Schlüsselwörter

1 Einleitung

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie wird der Solidarität, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Diskurs eine entscheidende Rolle zugesprochen. Solidarisches Handeln wird dabei von den Entscheidungsverantwortlichen in der Politik – sowohl national, als auch auf EU-EbeneFootnote 1 – ebenso wie von medizinischen Instanzen eingefordert, beispielsweise in der Aufforderung daheim zu bleiben und soziale Kontakte zu vermeiden („Social Distancing“), in bestimmten Situationen einen Mund-Nasenschutz zu tragen oder auch bei heimischen Produzent*innen einzukaufen, um deren ökonomische Betroffenheit zu mindern oder den Urlaub in Österreich zu verbringen. Wie vielfach erlebbar, änderte sich die Akzeptanz dieser Maßnahmen im Zeitverlauf und war außerdem auch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich. Während beispielsweise zu Beginn der Krise unter dem Eindruck der medialen Bilder von überfüllten Krankenhäusern in der Lombardei viele junge Personen in sozialen Medien den Hashtag „Stay at Home“ posteten, ist genau diese Altersgruppe gegen Ende des Sommers 2020 Zielgruppe massiver politischer Appelle zur Einhaltung der Abstandsregeln geworden. Eng verbunden und ebenso schillernd gebraucht wie der Begriff der Solidarität ist jener des „Vertrauens“. Vertrauen in die Politik, in die Wissenschaft, aber auch Vertrauen in die Mitmenschen ist ebenfalls Gegenstand öffentlicher Debatten. Vertrauen, so sowohl die öffentliche Meinung als auch die der Wissenschaft, gilt als Grundlage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt (z. B. Aichholzer 2019; Thome 2020). Dieser Zusammenhalt wiederum stellt die Basis einer erfolgreichen Bewältigung der Pandemie darFootnote 2. Gleichzeitig wird das Vertrauen in andere Personen sowie die Solidarität in Zeiten der Krise auf die Probe gestellt. Ein Indikator dafür waren die zunehmend beobachtbaren Hamsterkäufe zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020. Aus diesem Grund sollen in diesem Kapitel verschiedene Dimensionen der Solidarität sowie das soziale Vertrauen während der Corona-Krise in der österreichischen Bevölkerung untersucht werden. Sowohl der Begriff der Solidarität als auch der des sozialen Vertrauens, sind soziologische Begriffe mit einer längeren ideengeschichtlichen Entwicklung. Im Folgenden werden zunächst die Begriffe bzw. Konzepte Solidarität, soziales Vertrauen und Sozialkapital näher erläutert, bevor die empirischen Ergebnisse basierend auf den Daten des Austrian Corona Panel Projects (Kittel et al. 2020a, b) präsentiert, interpretiert und diskutiert werden.

1.1 Solidarität, Sozialkapital und soziales Vertrauen

Solidarität ist ein im öffentlichen Diskurs nicht erst seit der Corona-Krise häufig gebrauchtes Schlagwort. Es gehört zu den sozialen und moralischen Grundbegriffen der modernen Gesellschaft, wird wiederkehrend beschworen (z. B. Bude 2019) und sein Verschwinden ebenso häufig beklagt (z. B. Putnam 2000). Der Begriff wurde im soziologischen Diskurs insbesondere durch Durkheim (1992[1893]) vor mehr als einem Jahrhundert entwickelt und fokussiert auf den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“, den „sozialen Kitt“ der Gesellschaft. Im Gegensatz zur öffentlichen Bedeutung des Ausdrucks galt der Begriff „Solidarität“ aber lange Zeit theoretisch wenig bestimmt, wurde vage und mehrdeutig gebraucht und empirisch sehr unterschiedlich erfasst (z. B. Zoll 2000; Prisching 2003; Tranow 2012). In der Literatur wird häufig zwischen verschiedenen Reichweiten und Ebenen von Solidarität unterschieden (z. B. Prisching 2003; Denz 2003; Coates 2009; Tranow 2012 oder Prainsack und Buyx 2016). Einer „individualistischen“ Solidarität auf individueller Ebene wird häufig eine „strukturalistische“ Solidarität auf gesellschaftlicher Ebene gegenübergestellt. Diese Überlegungen folgen Durkheims (1992) Unterscheidung zwischen „mechanischer“ (verknüpft durch Ähnlichkeit der Menschen in Kleingruppen mit geringer Differenzierung) und „organischer Solidarität“ (Verknüpfung der Menschen durch gegenseitige Abhängigkeiten aufgrund spezialisierter Tätigkeiten in größeren Kollektiven). Die Diskussion über Solidarität im Kontext der auf gesamtgesellschaftlicher Ebene angesiedelten wohlfahrtsstaatlichen Überlegungen und Konzepten hat lange Zeit breiten Raum eingenommen. Schon länger wird allerdings auch eine – die Grenzen des Nationalstaates überschreitende – Solidarität intensiv diskutiert (z. B. Zoll 2000; Beckert et al. 2004; Lessenich et al. 2020).

Erste umfassende Studien zur Solidarität in Österreich wurden von Zulehner, Denz und Kolleg*innen bereits seit Beginn der 1990er Jahre durchgeführt (Zulehner et al. 1997; Denz et al. 2000). Den zugrunde liegenden Solidaritätsbegriff der Analysen beschreibt Denz als „die verbal geäußerte Bereitschaft, – mit anderen Menschen (Familie, Mitarbeiter*innen, Nachbar*innen, Flüchtlingen, Fremden usw.) – Lebenschancen (Geld, Zeit, Emotionen, Posten, Ansprüche, Rechte usw.) zu teilen, um eine gerechtere Verteilung dieser Lebenschancen zu erreichen“ (Denz 2003, S. 321). Somit spiegelt auch diese Definition die verschiedenen Ebenen (hinsichtlich Lebenschancen) und Reichweiten wider. Konkret differenzieren Zulehner und Denz zwischen einer „Mikrosolidarität“ (Solidarität in der Familie), einer „Mesosolidarität“ (Solidarität in der Gesellschaft/Umverteilungsbereitschaft) und einer „Makrosolidarität“ (Solidarität mit Fremden und Ausländer*innen). Ihre Analysen machen erstens deutlich, dass Solidarität mit Bezug auf verschiedene Reichweiten unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Es lassen sich verschiedene Typen von Solidaritätsmustern unterscheiden. Mit Menschen im bekannten unmittelbaren Umfeld ist man demnach solidarischer. Zweitens kann beobachtet werden, dass im Längsschnittvergleich zwar die allgemeine verbale Solidaritätsbereitschaft gestiegen ist, sie ist in konkreten Aspekten (insbesondere der Haltung gegenüber Migrant*innen) jedoch zurückgegangen (Denz 2003). Zwar mit einer anderen Fragestellung erhoben, zeigen auch die Befunde des European Value Survey (EVS) 2018, dass das Mitgefühl für Menschen im sozialen Nahbereich deutlich größer ist als z. B. für Nicht-Österreicher*innen oder Arbeitslose (Aichholzer 2019).

Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie ist von Interesse, wie die Bereitschaft zum Teilen von Lebenschancen mit Betroffenen der Krise ausgeprägt ist. Dies soll unter anderem im Ergebnisteil dargestellt werden.

Im Gegensatz zum theoretisch weniger spezifischen Begriff der Solidarität ist jener des sozialen Vertrauens schärfer umrissen und theoretisch klarer verortbar. Vertrauen fungiert nach Luhmann (1968) als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität und gilt als Grundkategorie menschlichen Zusammenlebens. Soziales Vertrauen wird im engen Zusammenhang mit dem Konzept des sozialen Kapitals gesehen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieses Konzept von Hanifan (Franzen und Freitag 2007a) in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht, blieb allerdings lange Zeit unbeachtet. Die erste systematische wissenschaftliche Analyse stammt von Bourdieu (1983). Mitte der 1990er Jahre schließlich kommt es zu einem starken Anstieg der Forschungsarbeiten (vgl. Portes 1998; Franzen und Freitag 2007b). Heute zählt der Begriff des sozialen Kapitals zu einem der populärsten Exporte aus soziologischer Theorie in die Alltagssprache (vgl. Portes 1998) und in andere Disziplinen. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass sozialem Kapital vielfältige positive Wirkungen für Individuen und Gesellschaften zugeschrieben werden.

Es gibt unterschiedliche Forschungsstränge (Soziologie, Politikwissenschaft, Ökonomie, Government Studies), die mit dem Begriff des sozialen Kapitals arbeiten. Zu den namhaftesten Pionieren in Soziologie und Politikwissenschaften zählen Pierre Bourdieu (1983), James Coleman (1986, 1988), Robert D. Putnam (1993, 2000) und Francis Fukuyama (1995). Während Bourdieu und Coleman die Wirkungen des sozialen Kapitals auf Individuen bzw. ihre Interaktionen mit anderen Individuen und Gruppen analysieren, legen Putnam und Fukuyama den Fokus auf die übergeordnete Ebene von Gemeinschaften und Gesellschaften wie Dörfer, Städte oder gesamte Staaten (vgl. Portes 1998, S. 18; Morrone et al. 2009).

Das soziale Vertrauen stellt bei Putnam (2000) als wesentliche Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft das Herzstück von Sozialkapital auf kollektiver Ebene dar. So zeigen empirische Befunde, dass in Staaten, in denen höheres soziales Vertrauen herrscht, im Durchschnitt glücklichere Menschen leben (vgl. Glatz und Eder 2020), dass sie einen höheren sozialen Zusammenhalt aufweisen sowie auch stabilere Demokratien darstellen (Putnam et al. 1994; Lippl 2007). Ebenso zeigen die Ergebnisse, dass Staaten mit höherem sozialem Vertrauen auch eine bessere wirtschaftliche Performance aufweisen (Morrone et al. 2009; OECD 2018). Manche Autor*innen warnen aber vor einer unreflektierten Sichtweise oder geradezu euphorischen Erwartungen an das Wirken des Sozialkapitals (z. B. Braun 2001).

Ein wichtiger Mechanismus, durch den das soziale Vertrauen die Performance (Leistungsfähigkeit) einer Gesellschaft fördert, stellt die generelle Reziprozität dar (Gouldner 1960). Damit wird die Vorstellung verbunden, dass, wenn man anderen Menschen einen Gefallen tut, dieser von wiederum einem oder einer anderen irgendwann erwidert wird. „Ich tu dir einen Gefallen ohne eine Gegenleistung zu erwarten, mit der Überzeugung, dass irgendjemand irgendwann dafür mir einen Gefallen tut“ (Putnam 2000, S. 134). Gerade diese Reziprozität gilt als wichtige Voraussetzung für ein hohes Maß an Freiwilligenarbeit sowie an solidarischem Handeln in einer Gesellschaft, weshalb das soziale Vertrauen eine Grundvoraussetzung für Solidarität bildet (vgl. Putnam et al. 1994, S. 167).

Zur Messung der diversen Aspekte von Vertrauen liegen bereits seit Langem verschiedene Konzepte vor. Zum Beispiel die Skala von Rosenberg (1956, 1957) zur Messung von Social Trust, die Interpersonal Trust Scale von Rotter (1967), die Kurzskala zur Messung des zwischenmenschlichen Vertrauens (KUSIV3) (Beierlein et al. 2012) oder die immer wieder verwendete Skala zur Messung des Vertrauens in politische und gesellschaftliche Institutionen, wie sie laufend in den European Social Surveys (ESS) sowie in den European Value Studies (EVS) verwendet werden. Die Befunde der Längsschnittstudien in Österreich zeigen erstens ein relativ hohes Vertrauen in Menschen im engeren sozialen Umfeld und ein abnehmendes Vertrauen gegenüber Menschen anderer Staatsbürgerschaft oder anderer Religion. Zweitens kann seit 2008 eine geringfügige Zunahme des sozialen Vertrauens (Aichholzer 2019, S. 193) beobachtet werden. Zwei der regelmäßig eingesetzten Items zur Messung sozialen Vertrauens stehen auch im hier untersuchten Austrian Corona Panel Project (Kittel et al. 2020a; b) zur Verfügung und können mit den Ergebnissen aus dem Jahr 2018 direkt verglichen werden.

1.2 Fragestellungen

Während die Krise Solidarität und Vertrauen innerhalb der Gesellschaft auf die Probe stellt, wird ihnen gleichzeitig eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung der Pandemie zugesprochen. Vor diesem Hintergrund ist es daher von großem Interesse zu wissen, wie es angesichts der Corona-Krise um die Solidarität und das soziale Vertrauen in Österreich bestellt ist. Dies wird in diesem Beitrag vorwiegend anhand der Daten des Austrian Corona Panel Projects (Kittel et al. 2020a, b) – welche Items zur Erfassung sozialen Vertrauens in der achten Welle und zur Erfassung von solidarischem Handeln in der neunten Welle beinhaltet – untersucht. Neben dem Austrian Corona Panel Project beinhaltet auch der Soziale Survey Österreich (SSÖ) aus dem Jahr 2018 (Hadler et al. 2019) idente Items zur Erfassung von sozialem Vertrauen, was einen Vergleich des sozialen Vertrauens vor und während der Corona-Krise ermöglicht. Untersucht werden daher folgende Fragestellungen:

  1. 1.

    Hat sich das soziale Vertrauen, während der Corona-Krise im Vergleich zum Jahr 2018 verändert?

Neben dem Vergleich hinsichtlich des sozialen Vertrauens vor und während der Corona-Krise wird außerdem überprüft, ob sich das soziale Vertrauen während der Corona-Krise zwischen verschiedenen Personengruppen unterscheidet. Von besonderem Interesse sind Personengruppen, die als vulnerabel bzw. besonders von der Krise betroffen angesehen werden können, wie zum Beispiel Personen mit Vorerkrankungen, ältere Personen, Personen in beengten Wohnverhältnissen, Alleinlebende, Personen mit Kinderbetreuungspflichten oder Personen, deren berufliche Situation sich aufgrund der Pandemie geändert hat, indem sie in Kurzarbeit geschickt wurden oder gar arbeitslos wurden.

  1. 2.

    Berichten Personengruppen, die besonders von der Krise betroffen sind, von mehr oder weniger sozialem Vertrauen als der Durchschnitt der Bevölkerung?

Darüber hinaus wird untersucht, wie sich die Wahrnehmung des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts in der Bevölkerung während der Zeit der Krise entwickelt hat. Dies geschieht anhand der Frage nach der Einschätzung, ob sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in der letzten Woche erhöht hat. Diese Frage wurde wiederholt in allen 12 verfügbaren Wellen des Austrian Corona Panel Projects gestellt.

  1. 3.

    Wie veränderte sich die Wahrnehmung des sozialen Zusammenhalts in der österreichischen Bevölkerung während der Corona-Krise?

Schlussendlich gehen wir der Frage nach, inwiefern sich Personengruppen, die besonders von der Krise betroffen sind, hinsichtlich solidarischen Handelns unterscheiden bzw. inwiefern das soziale Vertrauen das solidarische Handeln beeinflusst.

  1. 4.

    Berichten Personengruppen, die besonders von der Krise betroffen sind, von mehr oder weniger Solidarität als der Durchschnitt der Bevölkerung?

  2. 5.

    Berichten Personen mit höherem sozialem Vertrauen auch von einer höheren Solidarität?

2 Empirische Befunde

Das Austrian Corona Panel Project (ACPP, siehe Kittel et al. 2020a, b) ist eine für die österreichische Bevölkerung repräsentative Online-Befragung, in der seit dem 27. März 2020 dieselben Personen über einen längeren Zeitraum teilnehmen. Bis zum 29. Mai 2020 wurde die Erhebung wöchentlich wiederholt (1. bis 10. Welle). Anschließend folgten weitere Erhebungen im 14-Tage Rhythmus. Zum aktuellen Zeitpunkt (Stand: August 2020) sind 12 Wellen des ACPP verfügbar. Der Datensatz zum ACPP ist über AUSSDAThe Austrian Social Science Data Archive – frei verfügbar (siehe Kittel et al. 2020a; b).

Basierend auf den Fragestellungen sind in diesem Beitrag die Items zur Erfassung von sozialem Vertrauen, dem wahrgenommenen gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie zu solidarischem Handeln von Interesse. Dabei sollen Personengruppen betrachtet werden, die von der Pandemie speziell betroffen sind (siehe Tab. 7.1). So werden beispielsweise Personen mit VorerkrankungenFootnote 3 und Ältere als Risikogruppen gesehen, da bei ihnen ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs im Falle einer Infektion mit SARS-Cov-2 angenommen werden kann. Personen in beengten WohnverhältnissenFootnote 4 waren vor allem von den Ausgangsbeschränkungen während des Lockdowns betroffen. Auch Alleinlebende wurden von den Folgen des Lockdowns tangiert, da für sie das Risiko der sozialen Isolation bestand. Personen mit Kinderbetreuungspflichten, insbesondere Alleinerziehende, waren plötzlich mit Kindergarten- und Schulschließungen sowie Homeschooling konfrontiert. Des Weiteren wurden damit Zeit beibehalten wird auch Personen berücksichtigt, deren berufliche Situation sich dahingehend geändert hat, dass sie seit Beginn der Corona-Krise in Kurzarbeit geschickt oder gekündigt wurden.Footnote 5 In weiterer Folge wird geprüft, inwiefern sich diese Bevölkerungsgruppen hinsichtlich des sozialen Vertrauens, des wahrgenommenen gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie des solidarischen Handelns unterscheiden. Die Items zur Erfassung dieser Dimensionen werden nachfolgend in den Analysen der jeweiligen Fragestellungen dargestellt.

Tab. 7.1 Deskriptive Darstellung der betroffenen Personengruppen in der Corona-Krise sowie der Soziodemografie

Items zu sozialem Vertrauen sowie zu solidarischem Handeln in der Corona-Krise wurden im ACPP einmalig in der achten bzw. in der neunten Welle erhoben (Zeitraum 15.–20. Mai sowie 23.–27. Mai). Darüber hinaus wurde über alle 12 Wellen hinweg nach der Einschätzung gefragt, ob sich der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft in der letzten Woche erhöht habe. Wie bereits erwähnt sind die Items zur Erhebung des sozialen Vertrauens im ACPP dieselben wie im SSÖ 2018, was einen Vergleich mit den Ergebnissen vor der Krise ermöglicht. Nachfolgend werden die Ergebnisse zu den Fragestellungen dargestellt.

2.1 Fragestellung 1: Soziales Vertrauen vor- und während der Corona-Krise

Die erste Fragestellung beschäftigt sich mit dem sozialen Vertrauen während der Corona-Krise sowie mit dem Vergleich vor dieser Krise. Sowohl im ACPP als auch im SSÖ 2018 wurde soziales Vertrauen mit zwei 4-stufigen Items gemessen (siehe Tab. 7.2)Footnote 6. Die Items entstammen der Rosenberg Skala (1956, 1957) und werden beispielsweise auch in den regelmäßigen Erhebungen des European Social Survey (ESS) verwendet. Da beide Items Indikatoren des sozialen Vertrauens darstellen, wurde zur Vergleichbarkeit zusätzlich ein Mittelwertindex aus den beiden Items gebildet.

Tab. 7.2 Häufigkeitsverteilungen der Items zu sozialem Vertrauen

Das Antwortverhalten zu den beiden Items fällt unterschiedlich aus. Während weniger als 20 % der Befragten sich meistens bis fast immer ausgenutzt fühlen, gibt mehr als die Hälfte an, dass man Menschen gegenüber „normalerweise nicht“ oder „fast nie“ vorsichtig genug sein kann. Ein „gesundes Misstrauen“ gegenüber anderen Menschen wird also durchaus gelebt, auch wenn die meisten der Ansicht sind, dass sich Menschen im Allgemeinen fair verhalten.

Vergleicht man die Antworten des ACPP 2020 mit denen des SSÖ 2018, so zeigt sich, dass das Vertrauen in andere Menschen im Jahr 2018 tendenziell höher war. Die Korrelation zwischen beiden Items beträgt im ACPP r = ,260 (p < ,01). Der Index aus beiden Items erreicht einen Mittelwert von M = 2,66 (SD = 0,68) und liegt somit etwas über der Skalenmitte von 2,5, wobei höhere Werte für mehr soziales Vertrauen stehen. Zum Vergleich: Dieselbe Skala für soziales Vertrauen erreicht im SSÖ 2018 einen Mittelwert von M = 2,84 (SD = 0,61). Der Unterschied ist statistisch signifikant (t (2580) = 7,4; p < ,01)Footnote 7. Dies lässt den Schluss zu, dass sich das Vertrauen anderen Menschen gegenüber – unter der Annahme, dass beide Erhebungen repräsentativ für die Bevölkerung sindFootnote 8 – im Zuge der Corona-Krise etwas verringert hat.Footnote 9

2.2 Fragestellung 2: Soziales Vertrauen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen

Von Interesse ist nun, inwiefern sich von der Corona-Krise betroffene Bevölkerungsgruppen im Ausmaß ihres sozialen Vertrauens unterscheiden bzw. ob auch Geschlecht und Bildung als soziodemografische Merkmale das soziale Vertrauen beeinflussen. Diese Gruppenunterschiede sind der Tab. 7.3 zu entnehmen.

Tab. 7.3 Mittelwerte im sozialen Vertrauen nach Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und soziodemografischen Merkmalen

Die Ergebnisse aus Tab. 7.3Footnote 10 lassen den Schluss zu, dass die Betroffenheit von der Corona-Krise zumeist mit geringerem sozialem Vertrauen verbunden ist. Personen, die eine oder mehrere spezifische Vorerkrankungen aufweisen, verfügen im Schnitt über vergleichsweise weniger soziales Vertrauen. Deutlicher fällt das geringere soziale Vertrauen bei Alleinerziehenden und bei Personen in beengten Wohnverhältnissen aus. Auch Personen mit Kindern bis 14 Jahren im Haushalt berichten von einem signifikant geringeren sozialen Vertrauen. Kein signifikanter Unterschied im sozialen Vertrauen ist bei Alleinlebenden zu beobachten. Ebenso zeigt sich kein signifikanter Unterschied bei Personen, deren berufliche Situation sich verändert hat. In der Tendenz sind die Mittelwerte des sozialen Vertrauens aber sowohl bei Personen in Kurzarbeit, als auch bei jenen, die gekündigt wurden, unterdurchschnittlich – bei den Gekündigten sogar deutlich. Hier ist die geringe Fallzahl der Gruppe zu beachten (nur 3 %, siehe Tab. 7.1), die vermutlich dafür verantwortlich ist, dass der Unterschied nicht signifikant wird. Die einzige betroffene Gruppierung bzw. Risikogruppe mit einem erhöhten sozialen Vertrauen stellen ältere Personen ab 65 Jahren dar. Dabei zeigt die nähere Betrachtung der Daten, dass soziales Vertrauen generell stark altersabhängig ist. Auch wenn der Anstieg nicht ganz linear ist, geht der Gesamttrend mit zunehmendem Alter nach oben. Die jüngste Altersgruppe der bis 25-Jährigen weist dabei den geringsten Durchschnittswert (M = 2,50) und die älteste Gruppe der ab 60-Jährigen den höchsten (M = 2,86) auf. Während es keinen signifikanten Geschlechterunterschied gibt zeigt sich weiters, dass soziales Vertrauen bildungsabhängig ist. So weisen Personen mit Matura höheres soziales Vertrauen auf als Personen ohne Matura.

Die bisher dargestellten bivariaten Analysen konnten zeigen, in welchen Personengruppen generell ein über- oder unterdurchschnittliches soziales Vertrauen vorhanden ist. Die Effekte der Gruppenzugehörigkeiten auf das soziale Vertrauen können sich aber auch gegenseitig beeinflussen. Um dies zu berücksichtigen, bedarf es multivariater Analysen (vgl. Kapitel „Glossar“ von Glatz 2022). Mit dem nachfolgenden Regressionsmodell können die direkten Effekte der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit auf das soziale Vertrauen kontrolliert für die Einflüsse der weiteren im Modell berücksichtigten Merkmale dargestellt werden. Neben den soziodemografischen Grundgrößen AlterFootnote 11, Bildung und Geschlecht gingen die untersuchten Gruppen jeweils als Dummy-Variable in das Modell ein.

Die Regressionsanalyse (Tab. 7.4) zeigt, dass unter Kontrolle der weiteren Variablen ein höheres Alter sowie eine höhere Bildung nach wie vor deutliche positive Effekte auf das soziale Vertrauen aufweisen. Mit jedem Lebensjahr wächst das soziale Vertrauen dabei um durchschnittlich B = 0,01 Punkte an, während ein Maturaabschluss oder höher zugleich mit einem höheren Wert im sozialen Vertrauen um durchschnittlich 0,20 Punkte einhergeht. Weitere signifikante Einflüsse auf das soziale Vertrauen bestehen bei Menschen mit Vorerkrankungen, bei Alleinerziehenden sowie bei Menschen in beengten Wohnverhältnissen. Unabhängig von Alter oder Bildung bleibt das soziale Vertrauen in diesen Gruppen unterdurchschnittlich. Keine signifikanten Effekte lassen sich im Regressionsmodell bei Personen mit Kinderbetreuungspflichten feststellen. Eine nähere Betrachtung der Daten führt zu dem Schluss, dass der beobachtete bivariate Zusammenhang zwischen Kindern im Haushalt und sozialem Vertrauen eigentlich ein Alterseffekt ist. Bei den älteren Befragten sind in der Regel keine Kinder bis 14 Jahren mehr im Haushalt wohnhaft. Das geringere Vertrauen von Eltern mit Kindern bis 14 ist also auf ihr jüngeres Alter zurückzuführen. Zu beachten ist, dass das Regressionsmodell in Summe nur 7 % der Varianz des sozialen Vertrauens erklären kann und die persönliche Betroffenheit von spezifischen Risikofaktoren offenbar nur wenig Einfluss ausübt.

Tab. 7.4 Lineare Regression von sozialem Vertrauen auf Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und soziodemografischen Merkmalen

2.3 Fragestellung 3: Der soziale Zusammenhalt während der Corona-Krise

Nachdem wir gesehen haben, dass sich das soziale Vertrauen in der Corona-Krise verglichen mit dem Jahr 2018 tendenziell verringert haben könnte, überprüfen wir im nächsten Schritt, wie sich der wahrgenommene soziale Zusammenhalt während der Corona-Krise, genauer von Ende März bis Anfang Juli 2020, entwickelte.Footnote 12 In diesem Zeitraum beinhalteten alle 12 Wellen des Austrian Corona-Panel Projects die Frage: „Wie sehr trifft die folgende Aussage aus Ihrer Sicht zu? – Der Zusammenhalt in der Gesellschaft hat sich seit der letzten Woche erhöht“ (1 = stimme voll und ganz zu; 5 = stimme überhaupt nicht zu). Zur besseren Darstellung wurde die Skala umkodiert, sodass höhere Werte für eine höhere Zustimmung stehen und niedrigere Werte für eine geringere Zustimmung.

Zunächst ist festzuhalten, dass die querschnittlichen ZusammenhangsanalysenFootnote 13 kaum Effekte von soziodemografischen Variablen oder der Zugehörigkeit zu einer der betroffenen Personengruppe zeigenFootnote 14. Frauen (M = 3,14Footnote 15) sowie Personen in beengten Wohnverhältnissen (M = 3,32Footnote 16) schätzen die Zunahme des Zusammenhalts im Vergleich etwas höher ein. Des Weiteren zeigt die eingehendere Betrachtung der Daten einen nicht linearen Zusammenhang mit dem Alter. So wird die Zunahme des Zusammenhalts von den mittleren Altersgruppen (von 35 bis 55 Jahre) am geringsten eingeschätzt (M = 2,87), während ihn Jüngere (M = 3,20) und Ältere (M = 3,17) höher einschätzenFootnote 17. Am deutlichsten wird die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusammenhalts jedoch vom sozialen Vertrauen beeinflusst. Je höher das Vertrauen ist, desto eher besteht die Wahrnehmung, dass sich der gesellschaftliche Zusammenhalt erhöht hat (r = ,21; p < ,05; achte Welle). Die Unterschiede je nach Ausprägung des sozialen Vertrauens sind auch in Abb. 7.1 deutlich erkennbarFootnote 18. Trotz dieser höheren Einschätzung des Zusammenhalts in der Gesellschaft bei höherem Vertrauen ist der Trend allerdings in allen Gruppen gleich – und zwar sinkend. Diese abnehmende Zustimmung während der Krise steht im Einklang mit dem niedrigeren sozialen Vertrauen im Jahr 2020 verglichen mit 2018 wie bereits beschrieben. Der beobachtete Trend steht auch im Einklang mit einer anderen repräsentativen Längsschnitterhebung (Market 2020).Footnote 19

Abb. 7.1
figure 1

Mittelwerte zur Aussage: Der gesellschaftliche Zusammenhalt hat sich seit der letzten Woche erhöht (1 = trifft gar nicht zu; 5 = trifft voll und ganz zu) über 12 Messzeitpunkte. KW: Kalenderwoche; Datengrundlage: Austrian Corona Panel Project; Daten gewichtet

Wie bereits beschrieben legen die Daten nahe, dass der Nährboden für Solidarität, nämlich das Vertrauen in andere Menschen sowie die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes, während der Corona-Krise im Abnehmen begriffen ist. In einem letzten Schritt beschäftigen wir uns nun genauer mit solidarischem Handeln in der Bevölkerung.

2.4 Fragestellung 4: Solidarisches Handeln in verschiedenen Bevölkerungsgruppen

Die empirische Erfassung von Solidarität ist in der soziologischen Forschung kein einheitliches Unterfangen, da es – wie eingangs erwähnt – keine einheitliche Definition gibt und Solidarität anderen Menschen und Gruppen gegenüber auch themenabhängig und in der Reichweite unterschiedlich sein kann. Zudem ist zwischen solidarischen Einstellungen und konkretem solidarischen Handeln zu unterscheiden.

Untersucht wird hier solidarisches Handeln, welches mit Fragen nach bestimmten Tätigkeiten erfasst werden kann, die in der neunten Welle des Austrian Corona Panel Projects erhoben wurden.Footnote 20 Gefragt wurde, wie häufig seit Beginn der Corona-Krise eine der folgenden Tätigkeiten ausgeübt wurde: a) Freiwilligenarbeit (d. h. unbezahlte Arbeit außerhalb des Familienkreises) für eine soziale Organisation geleistet; b) Nachbarschaftshilfe geleistet (z. B. Besorgungen für Personen in der Nachbarschaft); c) Für betroffene Geld gespendet. Das Antwortverhalten ist in Tab. 7.5 abgebildet.

Tab. 7.5 Häufigkeiten von seit Beginn der Corona-Krise ausgeführten Tätigkeiten (in Prozent)

Alle drei Tätigkeitsbereiche zeigen sich schief verteilt. Gut drei Viertel der Befragten gaben an, seit Beginn der Corona-Krise nie Freiwilligenarbeit geleistet zu haben. Etwa zwei Drittel haben in diesem Zeitraum nie Geld gespendet. Etwa die Hälfte hat nie Nachbarschaftshilfe geleistet. Nachbarschaftshilfe war im Vergleich somit die am häufigsten geleistete solidarische Tätigkeitsform, was ja auch vor allem in der Zeit des Lockdowns gefordert war. Die drei Items sind untereinander positiv korreliert und können für die weiteren Analysen zu einem 5-stufigen Mittelwertindex zusammengefasst werden (höhere Werte stehen für häufigeres solidarisches Handeln. M = 1,76; SD = 0,86; Reliabilität: Alpha = ,63).

In Tab. 7.6 werden die Unterschiede im sozialen Handeln zwischen den bereits bekannten Personengruppen untersucht. Häufigeres solidarisches Handeln zeigt sich dabei bei Männern, bei Personen in beengten Wohnverhältnissen, beim Vorhandensein von Kindern bis 14 Jahren im Haushalt und bei Personen, die gekündigt wurden. Alleinlebende zeigen im Schnitt weniger solidarisches Handeln. Um auch die gegenseitigen Einflüsse der Personengruppen auf das solidarische Handeln zu berücksichtigen, wurde wieder ein Regressionsmodell erstellt. Dieses wird im Abschn. 7.2.5 zusammen mit sozialem Vertrauen als Einflussfaktor dargestellt.

Tab. 7.6 Mittelwerte im solidarischen Handeln nach Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und soziodemografischen Merkmalen

2.5 Fragestellung 5: Vertrauen und solidarisches Handeln

Das Regressionsmodell in Tab. 7.7 beinhaltet die untersuchten Personengruppen sowie soziales Vertrauen als Einflussfaktoren von solidarischem Handeln. Es zeigt sich, dass die Unterschiede in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen nur sehr wenig zur Erklärung solidarischen Handelns beitragen. In Summe kann das Modell nur 3 % der Varianz (korr. R2) des solidarischen Handelns erklären. Der zuvor beobachtete Geschlechterunterschied verschwindet im Regressionsmodell. Die Effekte von beengten Wohnverhältnissen, Kindern im Haushalt und Kündigung bleiben auf 5 %-Niveau signifikant, sind aber sehr schwach. Am stärksten wird solidarisches Handeln vom sozialen Vertrauen beeinflusst. Bei höherem sozialem Vertrauen wird signifikant häufiger solidarisches Handeln berichtet.

Tab. 7.7 Lineare Regressionsanalyse von solidarischem Handeln auf Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und soziodemografischen Merkmalen

3 Zusammenfassung und Diskussion

Dieser Beitrag beschäftigte sich mit der Solidarität und dem sozialen Vertrauen in der österreichischen Bevölkerung während der Zeit des 1. Corona-Lockdowns im Frühling 2020 anhand der Daten des Austrian Corona Panel Projects. Soziales Vertrauen wird als wichtige Komponente des Sozialkapitals einer Gesellschaft betrachtet und stellt eine wesentliche Grundlage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar (vgl. Delhey und Dragolov 2016).

Stellt man die Frage, ob man Menschen im Allgemeinen vertrauen kann oder im Umgang mit Menschen nicht vorsichtig genug sein kann, tendiert knapp mehr als die Hälfte eher zur Vorsicht anderen Menschen gegenüber. Gleichzeitig geht aber nur eine Minderheit (unter 20 %) davon aus, dass andere Leute bei passender Gelegenheit versuchen würden, sie auszunutzen. In Summe erreicht die (4-stufige) Skala zum sozialen Vertrauen im ACPP einen Mittelwert von 2,66. Damit ist das soziale Vertrauen signifikant niedriger als noch im Sozialen Survey Österreich 2018 (M = 2,84). Inwiefern dieser Rückgang als Auswirkung der Corona-Krise betrachtet werden kann, ist schwierig zu beantworten. Allein der Zeitpunkt der Befragung während der Pandemie (die Items stammen aus der achten Welle, die zwischen 15. und 20. Mai 2020 und somit zwei Wochen nach Ende der Ausgangsbeschränkungen durchgeführt worden ist) könnte wesentliche Auswirkung auf das Ergebnis haben. So wäre in Anbetracht der abnehmenden Zustimmung zu einer postulierten Zunahme des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die kontinuierlich über die 12 Erhebungswellen zu beobachten war, durchaus denkbar, dass das soziale Vertrauen ebenso zu Beginn der Krise noch höher war und von einem hohen Niveau aus abnahm. Dies kann leider nicht geprüft werden, da das soziale Vertrauen ausschließlich in der achten Welle erhoben wurde. Generell ist soziales Vertrauen sowohl alters- als auch bildungsabhängig. Sowohl höheres Alter als auch höhere Bildung sind im Allgemeinen mit höherem sozialen Vertrauen verbunden. Die Untersuchung bestimmter Personengruppen zeigt, dass unter Betroffenen das soziale Vertrauen teils niedriger als im Gesamtschnitt liegt. Unabhängig von Alter und Bildung ist das soziale Vertrauen etwa bei Menschen mit Vorerkrankungen, bei Menschen in beengten Wohnverhältnissen sowie bei Alleinerziehenden geringer. Man könnte auch sagen, dass von verschiedenen Risiken betroffene Menschen ein etwas gedämpftes soziales Vertrauen aufweisen.

Deutlich zeigte sich, dass soziales Vertrauen die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beeinflusst. Während soziodemografische Merkmale sowie die Zugehörigkeit zu einer betroffenen Personengruppe kaum einen Einfluss auf die Einschätzung haben, ob sich der gesellschaftliche Zusammenhalt erhöht habe, beantworten Personen mit hohem sozialen Vertrauen diese Frage häufiger positiv. Insgesamt nimmt die Zustimmung zur postulierten Zunahme des gesellschaftlichen Zusammenhalts über die verschiedenen Erhebungswellen kontinuierlich ab – je nach Ausmaß des sozialen Vertrauens (gemessen an der achten Welle) auf höherem oder niedrigerem Niveau.

Neben der Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusammenhalts wurde konkretes solidarisches Handeln anhand einer Skala aus den Häufigkeiten von Freiwilligenarbeit, Nachbarschaftshilfe und Geldspenden gebildet. In Summe wurden all diese Tätigkeiten nicht sehr häufig genannt. Die Nachbarschaftshilfe kam im Vergleich am häufigsten vor. Zwischen den untersuchten Bevölkerungsgruppen zeigt sich kein wesentlicher Unterschied im sozialen Handeln. Die beste Vorhersagekraft für solidarisches Handeln hat hingegen das soziale Vertrauen, das mit häufigerem solidarischen Handeln verbunden ist. Personen mit höherem sozialem Vertrauen handeln demnach auch häufiger solidarisch.

Zusammenfassend deuten die Ergebnisse dieses Beitrags darauf hin, dass sich der anfängliche Schub an Solidarität während des Lockdowns (siehe u. a. #Nachbarschaftschallenge; Orf.at 2020) im Laufe der Zeit verringert hat, was sich am wahrgenommen sinkenden sozialen Zusammenhalt zeigt (vgl. auch Market 2020). Gleichzeitig impliziert das geringere soziale Vertrauen im Frühling 2020 einen geringeren sozialen Zusammenhalt als im Jahr 2018 vor der Corona-Krise. Dieser Trend sagt allerdings nichts über das allgemeine Niveau der Solidarität in Österreich aus – schließlich berichtete ein nicht unwesentlicher Teil der österreichischen Bevölkerung von verrichteter Freiwilligenarbeit, von Geldspenden und insbesondere von Nachbarschaftshilfe während der Corona-Krise als Ausdruck solidarischen Handelns. Das soziale Vertrauen, welches als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhalts betrachtet werden kann (vgl. Putnam et al. 1994), bietet dabei die beste Vorhersagekraft zur Erklärung solidarischen Handelns. Die Stärkung des Vertrauens in die Mitmenschen könnte daher, neben der Erhöhung des allgemeinen Wohlbefindens im Land (vgl. Glatz und Eder 2020), zu einem höheren Grad an Solidarität innerhalb der österreichischen Gesellschaft beitragen.