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1 Einleitung

Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, welche Berufe für die Aufrechterhaltung der Grundfunktionen in der österreichischen Gesellschaft von besonderer Bedeutung sind und damit zur sogenannten kritischen Infrastruktur zählen. Die SystemerhaltendenFootnote 1 im Sozial-, Gesundheits- und Pflegebereich, in der Versorgungs- und Abfallwirtschaft sowie im Handel ernteten im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 viel Lob vonseiten der österreichischen Politik und eine wohl noch nie dagewesene Aufmerksamkeit im öffentlichen und medialen Diskurs. Im Zuge dessen wurden auch jene Stimmen laut, die für eine entsprechende Honorierung des Einsatzes dieser Berufsgruppen eintraten, denn die Systemerhaltenden zählen nicht selten zu den Niedriglohnbeziehenden (Fritsch et al. 2014). Hinzu kommt, dass im Handel und Gesundheitsbereich zu einem überwiegenden Teil Frauen (Fritsch 2018) und darunter auch Mütter arbeiten, die ihre Kinder während der Lockdowns über viele Wochen hinweg zu Hause unterrichteten und betreuten (Berghammer und Beham-Rabanser 2020).

Neben den von Politik und Handel versprochenen Einmalzahlungen und Unterstützungsleistungen warf die Corona-Krise, einmal mehr, die viel grundsätzlichere Frage nach einer gerechten Entlohnung in diesen Berufsgruppen auf. So kündigte die Politik bereits im April 2020 an, dass Personen, die in den Supermärkten, in der Pflege und im Sicherheitsbereich tätig sind, „künftig mehr zum Leben haben“ sollen (Der StandardFootnote 2). Aber wie hoch ist eigentlich ein gerechter Lohn für Verkäufer*innen oder Arbeiter*innen? Wie hoch soll das Einkommen von Allgemeinmediziner*innen sein? Und wie viel sollen im Vergleich dazu Personen in statushohen Berufen, wie etwa Manger*innen und Minister*innen verdienen? Befragungen, die vor der Corona-Krise durchgeführt wurden, zeigen, dass die Österreicher*innen deutliche Einkommensunterschiede zwischen statushohen und statusniedrigen Berufsgruppen akzeptieren, vor allem, wenn dies auf Unterschiede in der Leistung (Bildung, Einsatz, Verantwortung) sowie in den Kompetenzen und Fähigkeiten zurückgeführt werden kann. Unbekannt ist, ob sich diese Vorstellungen zur gerechten Entlohnung in der Corona-Krise verändert haben.

Angesichts der medialen Wertschätzung der Systemerhaltenden lässt sich eine gewisse Sensibilisierung der österreichischen Bevölkerung dahingehend vermuten, dass sie sich für eine Erhöhung der Einkommen statusniedriger Berufspositionen aussprechen. Inwieweit dies mit einem Wunsch nach einer Verringerung der Einkommen in ausgewählten statushohen Berufen einhergeht und wie speziell die Einkommenssituation von Allgemeinmediziner*innen betrachtet wird, die zu den statushöheren Systemerhaltenden zählen, ist jedoch ungewiss. Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Beitrag untersucht, wie die Menschen in Österreich das durchschnittliche Einkommen von fünf Berufsgruppen – Politiker*innen, Manager*innen, Allgemeinmediziner*innen, Verkäufer*innen und ungelernten Arbeiter*innen – einschätzen und welche Einkommenshöhe sie für diese Berufsgruppen als gerecht empfinden. Diese Fragen wurden bereits 1993 und 2009 im Rahmen des International Social Survey Programme (ISSP) zum Thema „Soziale Ungleichheit“ erhoben und im Austrian Corona Panel Project (ACPP) erneut gestellt. Der Vergleich dieser Erhebungen gibt Aufschluss darüber, inwiefern sich die Vorstellungen zur Lohngerechtigkeit im Zuge der ersten Phase der Corona-Krise geändert haben. Ergänzend dazu werden die Einstellungen hinsichtlich der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens betrachtet, das zu einer sozialen Absicherung und generellen Besserstellung von Personen in statusniedrigen Berufen führen würde. Vorab ist hierbei zu erwähnen, dass im Herbst 2019, also kurz vor dem Ausbruch der Corona-Krise, ein VolksbegehrenFootnote 3 zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Österreich durchgeführt wurde. Dieses umfasste die Forderung nach € 1200 für jede Person, die in Österreich einen Hauptwohnsitz hat und wurde von 69.939 und damit nur von einem geringen Anteil der Stimmberechtigten unterstützt.

Im nächsten Abschnitt wird auf den theoretischen Hintergrund des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit näher eingegangen. Darauffolgend werden die Daten und Methoden dargestellt und die empirischen Ergebnisse in zwei Schritten präsentiert: in einem ersten Schritt die Ergebnisse zur Lohngerechtigkeit in den verschiedenen Berufsgruppen und in einem zweiten Schritt die Auffassungen zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Abschließend folgen eine Diskussion und ein Fazit der Ergebnisse.

2 Theoretischer Hintergrund – das Prinzip der Meritokratie und die Theorie funktionaler Schichtung

Das Prinzip der Meritokratie (Meritum bedeutet Verdienst) sieht im Sinne der Chancengleichheit vor, dass das Erwerbseinkommen der Qualifikation, die für einen Beruf erforderlich ist, der Leistung, die in diesem Beruf erbracht wird, entsprechen sollte, unabhängig von der sozialen Herkunft, dem Geschlecht, der Nationalität oder anderen leistungsfremden Faktoren (Hoffer 2002, S. 435; Becker und Hadjar 2011). In marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften wie Österreich gewann dieses Prinzip der Leistungsgerechtigkeit im Gegensatz zum Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung (Hadjar und Becker 2009). Dem meritokratischen Prinzip nach sind also Einkommensunterschiede zwischen Berufsgruppen solange gerechtfertigt, solange sie auf die individuelle Leistung, individuelle Fähigkeiten und Talente sowie auf die individuellen Anstrengungen zurückgeführt werden können (Watermann 2003, S. 188; Hadjar 2008). Damit ist das Prinzip der Meritokratie als individualistische, liberal-ökonomische Gerechtigkeitsvorstellung zu verstehen, das soziale Ungleichheit als Ergebnis eines freien Marktes versteht (Liebig und Wegener 1995).

In einer meritokratischen Gesellschaft ist die Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs zu Bildung von besonderer Bedeutung, die eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zum Arbeitsmarkt und für Berufskarrieren ist (Blossfeld 2001; Solga 2005). Insofern ist Bildung eines der Hauptkriterien zur Rechtfertigung von Einkommensunterschieden zwischen Berufsgruppen. Der Beruf ist letztlich, nach wie vor, ein zentraler Aspekt der Legitimierung von Einkommensungleichheit (Kelley und Evans 1993). Diverse Studien zeigen, dass es in vielen Gesellschaften zu einer Abnahme der Bedeutung der sozialen Herkunft im Bereich des Bildungssystems kam, dass es gleichzeitig dennoch zu einer Reproduktion von sozialen Klassen über die Vererbbarkeit von Bildungsabschlüssen kommt (Bacher und Moosbrugger 2018; Knittler 2011; Hadjar 2008, S. 47). Bildung ist dabei keineswegs das Hauptkriterium oder einzige Kriterium für beruflichen Erfolg (Mayer und Blossfeld 1990). Zudem lässt sich feststellen, dass der Zusammenhang zwischen Bildung und Einkommen aufgrund der starken Zunahme höherer Bildungsabschlüsse in den letzten Jahrzehnten schwächer wurde. Höhere Bildung lohnt sich noch immer, aber nicht mehr im selben Ausmaß wie in den 1980er Jahren (Bacher und Moosbrugger 2018). Dennoch ist Bildung, gerade für die leistungs- und aufstiegsorientierten Mittelschichten, eine besonders wichtige Investition und dient als Distinktionsmerkmal, als Mittel der Abgrenzung zu niedrigeren sozialen Schichten (Groh-Samberg et al. 2014, S. 226).

Neben den veränderten Bildungsrenditen kam es zu einem Wandel von Berufen und Berufsbildern, der mit technologischen Veränderungen einhergeht und insbesondere in niedrigqualifizierten Bereichen zu einer erheblichen Entwertung von Qualifikationen bzw. zu einem Anstieg der beruflichen Anforderungen geführt hat (Krzywdzinski et al. 2015; Mau und Verwiebe 2009, S. 147 ff.). In einer automatisierten und digitalisierten Wissensgesellschaft sinkt die Nachfrage nach Niedrigqualifizierten, was sich bei einem Überangebot an Nachfrage negativ auf die Einkommen auswirkt. Prozesse der Automatisierung führen beispielsweise dazu, dass die Arbeit von Kassierer*innen durch Selbstbedienungskassen und das Handwerk von Arbeiter*innen durch Maschinen ersetzt werden kann. Anders stellt sich die Situation hingegen im Sozial- und Gesundheitsbereich dar, wo Betreuungsroboter und Pflegeroboter den menschlichen Einsatz bislang nur unzulänglich ersetzen können.

Eine Befürwortung des meritokratischen Prinzips ließ sich bereits früh bei klassischen Vertretern der funktionalen Schichtungstheorie (Parsons 1940; Davis und Moore 1945) beobachten. In dieser Denktradition liegt die vordringliche Aufgabe von Gesellschaften darin, die Talentierten und Tüchtigen durch hohe Löhne in die höchsten sozialen Positionen zu bringen, damit sie zum gesellschaftlichen Fortschritt und zum Wohlstand aller beitragen können. Einkommensunterschiede zwischen Berufsgruppen betrachten die Befürworter*innen funktionaler Schichtung damit nicht nur als gerecht, sondern vor allem als positiv funktional und wichtig für die gesellschaftliche Stabilität und Ordnung (Solga 2005, S. 23 f.). Wie groß die Lohnunterschiede zwischen den Berufsgruppen sind, regelt vor allem der Markt, der die Talente, den Einsatz und die Leistungen nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage bewertet und honoriert.

Hinzu kommt, dass in der funktionalen Schichtungstheorie davon ausgegangen wird, dass es in Gesellschaften durchaus einen Konsens darüber gäbe, wie hoch die Entlohnung für bestimmte Berufsgruppen sein solle. Denn dieser Konsens hätte dazu beigetragen, dass die unterschiedliche Entlohnung auch in vertraglichen Regelungen (z. B. Kollektivlöhnen) festgeschrieben wurde. Tatsächlich sind Normen einer Verteilungs-, Tausch-, Verfahrens-, Bedarfs- und Leistungsgerechtigkeit historisch gewachsen und auch in den wohlfahrtsstaatlichen Institutionen inkorporiert, was die Sichtweisen der Bevölkerung entscheidend prägt (Mau 1997). Inwieweit diese Normen in Zeiten einer Krise wie der Corona-Krise einem Wandel unterliegen können, ist höchst fraglich, zumal diese als relativ persistent gelten. Speziell „sekundäre Wertvorstellungen“ zu sozialer Gerechtigkeit, die in unterschiedlichen Gruppen je nach sozialer Position und Eigeninteressen vertreten werden, seien jedoch auch kurz- und mittelfristig veränderbar (Liebig und Wegener 1995), so der Tenor in der sozialen Gerechtigkeitsforschung.Footnote 4

Kritik wurde an der funktionalistischen Schichtungstheorie in vielfacher Hinsicht geübt. So sei die Annahme nicht ausreichend zutreffend, dass Begabungen knappe Güter seien und nur aktiviert werden könnten, wenn man besonders attraktive Anreize wie hohe Einkommen setze (Solga et al. 2009). Außerdem vernachlässige diese Denktradition den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Erreichung sozialer Positionen, der in Österreich nach wie vor stark ausgeprägt ist (Altzinger et al. 2013). Kritisiert wurde überdies die mangelnde Reflexion darüber, dass die Eliten eine Definitionsmacht darüber verfügen, welche sozialen Positionen welchen Wert besitzen (Solga et al. 2009, S. 22 f.). Die Definitionsmacht von Eliten wird besonders offenkundig bei Berufspositionen im öffentlichen Dienst, die eben keinem freien Markt unterliegen. Aber auch bei der Ausschüttung von Boni im Topmanagement ist offensichtlich, dass die Elite der Mächtigen entscheidet, wer wie viel Geld erhält. Das Argument, dass Topmanager*innen das Geld eigenständig am Markt erwirtschaftet haben, greift insofern zu kurz, als die Dienstleistung oder das Produkt nicht von ihnen allein entwickelt oder bereitgestellt wurde.

Das Prinzip der Meritokratie und die funktionalistische Schichtungstheorie sagen wenig darüber aus, wie Gerechtigkeitsbewertungen über Einkommen im Alltag überhaupt zustande kommen. Hierzu liefert die Bewertung des eigenen Einkommens, im Vergleich zum Einkommen anderer Berufsgruppen, wichtige Erkenntnisse. Dem Proportionalitätsprinzip nach vergleichen Individuen ihren eigenen erbrachten Aufwand und den dadurch erzielten Ertrag mit dem Verhältnis von Kosten und Nutzen der anderen in bestimmten Berufsgruppen (Homans 1961). Fällt dieser Vergleich zu ihrem Nachteil aus, fühlen sie sich in der Regel depriviert (siehe Konzept der relativen Deprivation von Runciman 1966 oder Merton und Rossi 1968). Neuere Status-Wert-Theorien erweitern das Proportionalitätsprinzip um statusbezogene Vergleiche, denen zufolge das Einkommen des eigenen Berufsstatus, vor allem mit den Einkommen von Personen derselben Statusposition, verglichen werden (Wegener 1992). Wird das eigene Einkommen mit anderen Berufsgruppen verglichen, ist die Bewertung des eigenen Status und des Status der Referenzindividuen und -gruppen eine entscheidende Voraussetzung (Hadjar 2008, S. 40). Hierbei spielen in der Regel nicht nur leistungs- und fähigkeitsbezogene Kriterien, sondern auch kategoriale Faktoren wie das Alter eine Rolle (Berger et al. 1972).

3 Daten und Methoden

Im vorliegenden Beitrag werden Daten aus dem Austrian Corona Panel Project (ACPP) (Kittel et al. 2020) und dem International Social Survey Programme (ISSP) 1993 und 2009 (Modul „Soziale Ungleichheit“; ISSP Research Group 1994 und 2012) herangezogen und um Auswertungen des European Social Survey (ESS) 2016 und Sozialen Survey Österreich (SSÖ) 2018 (Hadler et al. 2019) ergänzt. Neben den Umfragedaten werden auch Einkommensdaten aus offiziellen Statistiken, wie dem Einkommensbericht der Statistik Austria 2018 und der Arbeiterkammer 2018, verwendet.

In den repräsentativen Bevölkerungsumfragen des ISSP wird die Legitimität von Einkommensunterschieden zwischen Berufsgruppen mit folgendem Erhebungsinstrument untersucht: „Was glauben Sie, wieviel verdient man in diesen Berufen durchschnittlich pro Monat BRUTTO (vor Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge)?“ – „Und wieviel sollten Ihrer Meinung nach Menschen in diesen Berufen durchschnittlich pro Monat BRUTTO verdienen?“ Die Befragten werden also gebeten zu schätzen, wie hoch das Gehalt in bestimmten Berufen ist und dann anzugeben, wie hoch das Einkommen dieser Berufe Ihrer Ansicht nach sein sollte. Für dieses Instrument wurden fünf Berufe ausgewählt: Drei davon, „praktischer Arzt“ (im Folgenden als Allgemeinmediziner*in bezeichnet), „Minister der Bundesregierung“ und „Vorstandsvorsitzender bzw. Generaldirektorin eines großen Unternehmens“ (im Folgenden als Manager*in bezeichnet), haben nach der internationalen Berufsprestige-Skala ISEI einen sehr hohen Status; zwei Berufe, „Verkäufer im Geschäft“ und „ungelernter Fabrikarbeiter“ (im Folgenden als Arbeiter*in (ungelernt) bezeichnet), liegen im unteren Bereich der Prestigeskala. Diese Fragen wurden in Österreich zuletzt bei der ISSP-Befragung 2009 gestellt und im ACPP im selben Wortlaut erneut erhoben.

Neben der Frage der Einkommensgerechtigkeit wird in diesem Beitrag auch die Einstellung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen untersucht. Da es verschiedene Varianten eines Grundeinkommens gibt, wurde die Einstellung dazu im ACPP anhand folgender Erklärung und anschließender Fragestellung erhoben:

„In einigen Ländern wird momentan über die Einführung eines Grundeinkommens diskutiert. Ein solches Grundeinkommen umfasst alle folgenden Punkte: Der Staat zahlt jedem ein monatliches Einkommen, das die grundlegenden Lebenshaltungskosten deckt. Dadurch werden viele andere Sozialleistungen ersetzt. Das Ziel ist es, allen einen minimalen Lebensstandard zu garantieren. Alle erhalten den gleichen Betrag, egal, ob man arbeitet oder nicht. Man kann zudem das Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder anderen Quellen behalten. Das Grundeinkommen wird aus Steuern finanziert. Alles in allem, wären Sie gegen oder für ein solches Grundeinkommen in Österreich?“

Die 4-stufige Antwortskala reichte von „sehr dagegen“ bis „sehr dafür“. Im ISSP wurde die Einstellung zum Grundeinkommen das letzte Mal im Jahr 1993 abgefragt und im ESS im Jahr 2016. Im Gegensatz zum ACPP und dem ESS wurde im ISSP eine 5-stufige Antwortskala verwendet, weshalb die Mittelkategorie hier aus Gründen der Vergleichbarkeit ausgeschlossen wird. Eine eingeschränkte Vergleichbarkeit liegt auch im Hinblick auf die Frageformulierung vor, da im ISSP lediglich gefragt wurde, ob der Staat jedem ein Grundeinkommen auszahlen sollte, ohne die Bedingungen für den Erhalt des Grundeinkommens näher zu definieren.

In weiterführenden Varianz- und Regressionsanalysen (siehe dazu Kap. 13 von Glatz et al. 2021) wurde untersucht, ob es Unterschiede zwischen ausgewählten sozialen Gruppen im Hinblick auf die Befürwortung von Einkommensunterschieden zwischen Berufsgruppen und das bedingungslose Grundeinkommen gibt. Berücksichtigung fanden hierbei das Geschlecht (weiblich/männlichFootnote 5), das Alter (in Jahren), die höchste abgeschlossene Bildung (Pflichtschule/NMS, Matura, Hochschule), das Einkommen in €, zwei Variablen zur subjektiven Einstufung der eigenen sozialen Lage: die Frage, wie groß man die wirtschaftliche Gefahr der Corona-Krise für sich selbst einstuft (von sehr groß bis sehr klein) und die Frage, wie gut man derzeit mit dem Familieneinkommen zurechtkommt (von sehr gut bis sehr schlecht), der Arbeitsmarktstatus (arbeitslos oder erwerbstätig), der Migrationshintergrund (mit und ohne), die Parteipräferenz (ÖVP, SPÖ, FPÖ, NEOs, Grüne, ungültig gewählt) sowie die Lebenszufriedenheit (unzufrieden bis zufrieden) und Religiosität (nicht religiös, mittel, religiös) und als zusätzliche Kontrollvariable das Bundesland.

4 Geschätzte und gerechtfertigte Einkommensunterschiede

Um die Ergebnisse der Umfragedaten besser einordnen zu können, betrachten wir zunächst das tatsächliche Einkommen dieser Berufsgruppen (siehe Tab. 6.1). Aus dem Einkommensbericht 2018 der Statistik Austria und anderen Quellen geht hervor, dass Verkäufer*innen im Jahr 2017 bei Vollzeitbeschäftigung monatlich im Durchschnitt € 1785 brutto verdienten und ungelernte Arbeiter*innen € 2075. Allgemeinmediziner*innen verdienten im Durchschnitt brutto etwa dreieinhalbmal so viel, Minister*innen rund 10-mal so viel wie Verkäufer*innen. Das Einkommen von Manager*innen schwankt stark je nach Größe und Art des Unternehmens. Geschäftsführende von Betrieben mit über 1000 Mitarbeitenden verdienen im Durchschnitt brutto etwa 12-mal so viel, Vorstandsvorsitzende der großen börsennotieren Unternehmen in Österreich verdienen mehr als 80-mal mehr als Verkäufer*innen. Laut Informationen der Arbeiterkammer sind die Einkommen von Manager*innen in den letzten Jahren stark gestiegen, die Gehälter von Politiker*innen wurden hingegen von 2010 bis 2017 nur um 8 %, also von rund € 16.200 auf rund € 17.500, erhöht.Footnote 6 Die Tariflöhne im Handel und in der Industrie stiegen in diesem Zeitraum jährlich um 2–3 %.Footnote 7 Die Einkommensdifferenz zwischen Management- und Niedriglohnberufen dürfte daher in den letzten Jahren erheblich gestiegen, der Unterschied zwischen Gehältern in der Politik und niedrig bezahlten Berufen in etwa gleich geblieben sein.

Tab. 6.1 Monats-Brutto-Medianeinkommen bei Vollzeitbeschäftigten in Österreich, 2017

Abb. 6.1 zeigt das Ergebnis der Schätzung der Einkommen und der als gerecht empfundenen Einkommen für diese fünf Berufe durch die Befragten des ISSP 2009 und des ACPP 2020.Footnote 8 Die Durchschnittseinkommen von Verkäufer*innen und Allgemeinmediziner*innen werden annähernd korrekt eingeschätzt, während der Verdienst von ungelernten Arbeiter*innen etwas und das Einkommen von Manager*innen und Minister*innen stark unterschätzt wird. Dies mag daran liegen, dass in der Bevölkerung ein Informationsmangel über die Einkommen in statushohen Berufen vorliegt, auch deshalb, weil in Österreich weniger offen über Einkommen gesprochen wird als in anderen Ländern (z. B. USA, Schweden). Hinzu kommt, dass man in Österreich beim Einkommen in der Regel an Nettobeträge denkt, und es deshalb vielen schwer fällt, sich vorzustellen, wie groß die Differenz zwischen Brutto- und Nettoverdienst bei Spitzenverdiener*innen ist.

Abb. 6.1
figure 1

(Quellen: ISSP 2009 „Soziale Ungleichheit”. Zahl der gültigen Fälle pro Frage: 964 bis 1.002; ACPP 2020, 5. Welle; Zahl der gültigen Fälle: 1435 bis 1440 (jeweils gewichtete Daten))

Geschätztes und gerechtes Medianeinkommen im Jahr 2009 und 2020. Datenquellen: ACPP 2020 und ISSP 2009. Anmerkung: Die Frageformulierung lautete: „Was glauben Sie, wieviel verdient man in diesen Berufen durchschnittlich pro Monat BRUTTO (vor Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge)?“ – „Und wieviel sollten Ihrer Meinung nach Menschen in diesen Berufen durchschnittlich pro Monat BRUTTO verdienen?“

Nach Ansicht der Befragten wäre es gerecht, dass Verkäufer*innen und ungelernte Arbeiter*innen um 25 bis 30 % mehr verdienen als sie nach ihrer eigenen Schätzung bekommen. Die Annahme, dass man den systemrelevanten Gesundheits- und Handelsberufen während der Corona-Krise ein höheres Einkommen zugestehen würde, trifft also auf Verkäufer*innen und – in geringerem Ausmaß – auch auf Allgemeinmediziner*innen zu. Während Allgemeinmediziner*innen 2009 noch als überbezahlt galten, gesteht man dieser Berufsgruppe in der Corona-Krise ein etwas höheres Einkommen zu. Für Verkäufer*innen fände man zu beiden Zeitpunkten ein höheres Einkommen gerecht; 2020 ist die Differenz zwischen dem geschätzten und dem als gerecht empfundenem Einkommen aber etwas größer.

Während die meisten Befragten Allgemeinmediziner*innen ein deutlich höheres Einkommen zugestehen als niedrig qualifizierten Berufen, sprechen sich sehr viele für eine drastische Reduktion der Gehälter von Spitzenverdiener*innen aus. Manager*innen und Minister*innen sollten nach Ansicht der Befragten höchstens halb so viel bekommen, wie sie nach ihrer Einschätzung verdienen. Dieses Muster lässt sich sowohl vor der Krise als auch in der Corona-Krise erkennen und verdeutlicht, in welcher Art und Weise die Mehrheit der Österreicher*innen die Einkommenshierarchie zwischen Berufen verringern würde.

Aufschlussreich ist auch eine differenziertere Betrachtung der Angaben der Befragten zum gerechten Verdienst der fünf Berufsgruppen (siehe Tab. 6.2). In der ISSP-Studie 2009 gaben nur wenige Befragte an, dass Minister*innen, Manager*innen oder Allgemeinmediziner*innen gleich viel oder sogar weniger verdienen sollten als Verkäufer*innen oder ungelernte Arbeiter*innen. Jeweils etwa 10 % bis 20 % fanden, dass das Einkommen der drei statushohen Berufe höchstens doppelt so hoch sein sollte als jenes der statusniedrigen Berufe. Im Austrian Corona Panel Project sind diese Anteile wesentlich höher. Besonders deutlich ist dies beim Beruf des Ministers/der Ministerin: 11 % der Befragten gaben bei der Frage nach dem gerechten Einkommen bei „Minister“ einen gleich hohen oder sogar niedrigeren Betrag an als bei „Verkäufer“ und „ungelernter Arbeiter“. Weitere 30 % finden, dass Minister*innen höchstens doppelt so viel verdienen sollten wie ungelernte Arbeiter*innen. Ähnliche Tendenzen finden wir auch in Bezug auf das gerechte Einkommen für Manager*innen.

Tab. 6.2 Gerechte Einkommensdifferenz (Angaben in %, Fallzahlen in Klammern)

Die starke Zunahme der Befürwortung einer deutlichen Reduktion der Einkommen von Elitepositionen könnte mehrere Ursachen haben: Im vergangenen Jahrzehnt haben sich die berufliche Situation, die Arbeitsplatzsicherheit und zum Teil auch die Einkommenssituation gewisser Bevölkerungsgruppen aufgrund des globalen Wettbewerbs und der Veränderungen in der Arbeitswelt verschlechtert, während die Einkommen der ökonomischen Elite besonders stark und die der politischen Elite moderat gestiegen sind (Bude 2014; Lengfeld und Ordemann 2017). Die Angst, durch die Folgen der Corona-Krise die ökonomische Existenzgrundlage zu verlieren, könnte das Gefühl der Benachteiligung gegenüber „denen da oben“ noch verstärkt und bei einem Teil der Befragten dazu geführt haben, ihren Unmut über die „Privilegien der Reichen“ dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass sie diese symbolisch auf die gleiche Ebene herabstufen wie ungelernte Arbeiter*innen und Verkäufer*innen. Diese Tendenz könnte auch durch den Erhebungsmodus begünstigt worden sein. Die ACPP-Studie wird in Form einer online-Befragung durchgeführt, während es sich beim ISSP um eine Face-to-Face-Befragung handelt. Manchen Befragten fällt es wahrscheinlich leichter in der anonymen Situation einer Online-Befragung anzugeben, dass Minister*innen nur € 1000 verdienen sollen, als dies Interviewer*innen gegenüber auszusprechen.

Im letzten Schritt der Analyse wurde für die einzelnen Befragten die Relation zwischen dem als gerecht erachteten Einkommen für Berufe mit hohem Status (Durchschnittswert für Manager*innen, Minister*innen und Allgemeinmediziner*innen) und dem gerechten Einkommen für statusniedrige Berufe (Durchschnittswert für Verkäufer*innen und ungelernte Arbeiter*innen) berechnet.Footnote 9 Im Durchschnitt aller Befragten ergibt sich eine Verhältniszahl von 3,8 zu 1, d. h. es wird als gerecht empfunden, dass die Einkommen in statushohen Berufen 3,8-mal so hoch sind wie jene in statusniedrigen Berufen. Anhand dieser Verhältniszahl wurde verglichen, welche Einkommensunterschiede verschiedene soziale Gruppen als gerecht erachten. Bei diesem Vergleich wurden folgende Variablen berücksichtigt: das Alter und das Geschlecht; die beiden objektiven Schichtungsvariablen Bildung und das Pro-Kopf-Haushaltsäquivalenzeinkommen; zwei Variablen zur subjektiven Einstufung der eigenen sozialen Lage: die Frage, wie groß man die wirtschaftliche Gefahr der Corona-Krise für sich selbst einstuft (von sehr groß bis sehr klein) und die Frage, wie gut man derzeit mit dem Familieneinkommen zurechtkommt (von sehr gut bis sehr schlecht); sowie die Frage nach der Parteipräferenz.Footnote 10 Zur optischen Verdeutlichung der Unterschiede wurde in Abb. 6.2 nur das Intervall 2,5 bis 5,0 (d. h. 2,5- bis 5-mal so viel) angegeben.

Abb. 6.2
figure 2

Gerechte Einkommensrelation zwischen statushohen und statusniedrigen Berufen nach Geschlecht, Alter, sozialer Lage und Parteipräferenz (Fallzahlen in Klammern). Datenquelle: Austrian Corona Panel Project (ACPP); gewichtete Daten. Anmerkungen: Finanzielles Auskommen: „Wie beurteilen Sie die aktuelle finanzielle Situation Ihres Haushalts?“ „Wie gut kommen Sie mit dem Haushaltseinkommen zurecht?“: sehr gut, gut, teils-teils, schwer, sehr schwer; Bedrohung durch Corona:  „Wie groß schätzen Sie die wirtschaftliche Gefahr ein, die vom Corona-Virus für Sie persönlich ausgeht?“: sehr groß, groß, mittel ; klein, sehr klein

Erstaunlicherweise finden wir die größten Unterschiede bezüglich der Legitimität von Einkommensdifferenzen nicht nach sozialer Schichtung oder nach der subjektiven sozialen Lage, sondern beim Alter. Befragte im Alter über 60 Jahre finden wesentlich größere Einkommensdifferenzen gerechtfertigt als Jüngere. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Ältere in der Regel ein sicheres Einkommen (d. h. eine Pension) haben und ihre Interessen in der Politik gut gewahrt sehen. Überdies sind ältere Personen an die tradierten Einkommenshierarchien gewöhnt und hinterfragen diese womöglich weniger als Jüngere. Bei den Jüngeren könnte eine unsichere finanzielle Lage (Langhoff et al. 2010; Völker 2013), gepaart mit dem Wunsch, sich im Leben etwas aufbauen zu wollen und dem Anspruch, echte Erfolgschancen zu erhalten (Chancengerechtigkeit), dazu beitragen, dass man die ungleiche Verteilung der Einkommen eher infrage stellt. Die ISSP-Erhebung des Jahres 2009 zeigt ein ähnliches Muster der Akzeptanz von Einkommensunterschieden nach Alterskohorten. Offensichtlich empfand die jüngere Generation schon damals ein stärkeres Unbehagen über die als ungerecht empfundene Einkommensverteilung.

In Hinblick auf die soziale Schichtzugehörigkeit und die subjektive Einschätzung der sozialen Lage zeigt die Analyse die erwarteten Tendenzen; die Unterschiede sind jedoch nicht sehr groß und nur zum Teil statistisch signifikant. Befragte mit Pflichtschulabschluss und mit niedrigem Haushaltseinkommen sprechen sich für etwas geringere Einkommensunterschiede aus als Höhergebildete und Personen mit höherem Einkommen. Auch jene Personen, die in der Befragung angaben, dass ihre finanzielle Lage derzeit eher schlecht sei, sowie jene, die in der Corona-Krise eine ökonomische Bedrohung für sich selbst sehen, sprechen sich für geringere Einkommensunterschiede zwischen statushohen und statusniedrigen Berufen aus. Angesichts der Tatsache, dass Frauen in Österreich im Durchschnitt nach wie vor deutlich weniger verdienen als Männer, ist es nicht verwunderlich, dass sie häufiger eine Verringerung der Einkommensunterschiede fordern als Männer.Footnote 11

Die Ergebnisse für die Bewertung der Einkommensungleichheit durch die Wähler*innen der politischen Parteien sind teilweise überraschend. Man würde erwarten, dass die Wähler*innen der ehemaligen Arbeiterpartei SPÖ geringere Einkommensunterschiede befürworten als die Wähler*innen der unternehmerfreundlichen ÖVP. In der ISSP-Erhebung von 2009 war das auch deutlich der Fall. Im ACPP hingegen erweisen sich ÖVP-Wähler*innen sogar als etwas egalitärer als SPÖ-Wähler*innen. Die übrigen Ergebnisse entsprechen den Erwartungen: Wähler*innen der liberalen NEOS vertreten eher meritokratische Prinzipien und halten es für legitim, dass die wirtschaftliche Elite aufgrund ihrer Leistung auch ein entsprechend hohes Einkommen erzielt. Grünwähler*innen sprechen sich eher für geringere Einkommensunterschiede aus. Bei FPÖ-Wähler*innen hingegen handelt es sich vielfach um Personen, die aufgrund ihrer Ressentiments gegen „die da oben“ die rechtspopulistischen Forderungen ihrer Parteispitze nach einem „Privilegienabbau“ unterstützen und aus diesem Grund eine Reduzierung der Gehälter in Politik und Management fordern (Gärtner 1998).

5 Einstellungen zum bedingungslosen Grundeinkommen

Die vorangehenden Analysen haben gezeigt, dass die Österreicher*innen auch in der Corona-Krise deutliche Einkommenshierarchien zwischen statushohen und statusniedrigen Berufsgruppen akzeptieren, auch wenn sie sich für eine drastische Verringerung der oberen und eine Anhebung der unteren Einkommen aussprechen (zur Auswirkung der wahrgenommenen Verteilungsgerechtigkeit auf den Zukunftspessimismus siehe auch Kap. 6 von Moosbrugger und Prandner 2021). Ein alternativer Weg zur Verbesserung der Lebenssituation im Niedriglohnbereich und von Personengruppen, die kein gesichertes, regelmäßiges Erwerbseinkommen haben, wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das im öffentlichen Diskurs Österreichs seit Jahrzehnten immer wieder aufgegriffen wurde.

Tab. 6.3 zeigt, dass der Anteil der Befürwortenden des Grundeinkommens, sowohl in der Corona-Krise mit rund 50 %, aber auch bereits im Jahr 2016 mit rund 48 % deutlich geringer war als im Jahr 1993, als sich noch rund 60 % für dessen Einführung aussprachen. Die österreichische Bevölkerung ist in der Frage des Grundeinkommens in zwei etwa gleich große Lager der Befürwortenden und Ablehnenden geteilt. Angesichts der Tatsache, dass das Volksbegehren für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (im Jahr 2019) nur von ca. 1 % der Wahlberechtigten unterschrieben wurde, ist die hohe Befürwortung des Grundeinkommens bei Befragungen durchaus überraschend.

Tab. 6.3 Einstellung gegenüber der Einführung eines Grundeinkommens

Betrachtet man ausschließlich die Extrempole der starken Befürwortung und Ablehnung des Grundeinkommens und damit jene, die die Angabe „sehr dafür“ oder „sehr dagegen“ machten, fällt eine vergleichsweise stärkere Befürwortung und Ablehnung in der Corona-Krise auf. Dies deutet auf eine gewisse Polarisierung der Einstellungen zum Grundeinkommen in der Corona-Krise im Vergleich zu 2016 und Anfang der 1990er Jahre hin.Footnote 12 Diese stärkere Polarität im ACPP hängt vermutlich auch damit zusammen, dass ein erheblicher Teil der Erwerbspopulation aufgrund der Krise auf Arbeitslosengeld oder staatliche Kurzarbeits-Unterstützung angewiesen war; der Pol der starken Befürwortung hat auch stärker zugenommen als jener der starken Ablehnung. Dementsprechend war auch die Zustimmung zur Aussage „der Sozialstaat macht Menschen träge und faul“ im ACPP deutlich geringer (rund 30 %) als in der Erhebung des Sozialen Survey Österreich 2018 (rund 51 %; nicht dargestellt in Tab. 6.3).

Um ein genaueres Bild von den Einstellungen der österreichischen Bevölkerung zum bedingungslosen Grundeinkommen zu erhalten, soll in weiterer Folge untersucht werden, welche sozialen Gruppen dessen Umsetzung unterstützen und welche diese eher ablehnen. In einem linearen Regressionsmodell wurde dazu der Einfluss von Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen, subjektiver Einstufung der eigenen sozialen Lage und Lebenszufriedenheit, Arbeitsmarktstatus, Religiosität, Migrationshintergrund sowie Parteipräferenz berechnet. Die Einflussfaktoren wurden zusätzlich um das Bundesland kontrolliert. Aus Gründen der Komplexitätsreduktion werden in Abb. 6.3 ausschließlich die bivariaten Prozentsatzdifferenzen von jenen Einflussfaktoren dargestellt, die sich im Rahmen der linearen Regression als statistisch signifikant erwiesen (Angaben zu den Effekten des Modells finden sich in den Anmerkungen zur Abbildung). Zudem werden von der 4-stufigen Antwortskala ausschließlich die beiden Zustimmungskategorien % „sehr dafür“ und % „dafür“ in Abb. 6.3 präsentiert.

Abb. 6.3
figure 3

Befürwortung eines bedingungslosen Grundeinkommens in unterschiedlichen sozialen Gruppen (% „sehr dafür“ und „dafür“; Fallzahlen in Klammern). Datenquelle: Austrian Corona Panel Project (ACPP); gewichtete Daten. Anmerkungen: Die dargestellten bivariaten Prozentsatzdifferenzen in der Abbildung wurden auf der Basis statistisch signifikanter Effekte eines linearen Regressionsmodells mit der 4-stufigen abhängigen Variablen Einstellung zum Grundeinkommen (höhere Werte stehen für mehr Zustimmung) und den unabhängigen Variablen: Alter, Geschlecht, Bildung, Haushaltseinkommen, Parteipräferenz, Auskommen mit Einkommen, Arbeitslosigkeit, Lebenszufriedenheit, Änderung der Einkommenssituation seit März 2020, Religiosität, Migrationshintergrund, Bundesland ausgewählt. 769 Fälle wurden in das Modell aufgenommen korr. R2 = 10,6 %. Effekte der Parteipräferenz (Referenzkategorie ÖVP-Wähler*innen): beta SPÖ = 0,239; p = 0,000; beta Grüne = 0,174; p = 0,000; beta NEOS = 0,091; p = 0,015; beta ungültig = 0,086; p = 0,040. Alterseffekte (Referenzkategorie über 74-Jährige): beta 18–29-Jährige = 0,138; p = 0,040; beta 30–44-Jährige = 0,149; p = 0,040. Effekt der Arbeitslosigkeit (Referenzkategorie erwerbstätig): beta arbeitslos = 0,121; p = 0,002. Effekt der Religiosität (Referenzkategorie religiös): beta nichtreligiös = 0,120; p = 0,014

Abb. 6.3 gibt einen Überblick über die Zustimmung in jenen sozialen Gruppen, die sich im Rahmen des linearen Regressionsmodells als statistisch signifikant erwiesen (siehe dazu auch Kap. 13 von Glatz et al. 2021). Zu diesen zählen Parteipräferenz, Alter, Arbeitsmarktstatus und Religiosität. Die Befürwortung des Grundeinkommens erweist sich in der Corona-Krise vor allem als eine Frage der Parteipräferenz, wobei ÖVP- und FPÖ-Wähler*innen häufiger gegen das Grundeinkommen sind als Wähler*innen aller anderen Parteien und Personen, die ungültig wählen. Während die stärkste Befürwortung eines bedingungslosen Grundeinkommens vonseiten sozialdemokratischer Wähler*innen wenig überrascht, ist dessen ausgeprägte Unterstützung unter den Wähler*innen der wirtschaftsliberalen Partei NEOS auf den ersten Blick verwunderlich, auch deshalb, weil sie hohe Einkommensunterschiede zwischen statushohen und statusniedrigen Berufen als gerecht empfinden. Die stärkere Ablehnung des Grundeinkommens vonseiten der ÖVP-Wähler*innen passt mit dem Befund zusammen, dass religiöse Österreicher*innen dem Grundeinkommen kritischer gegenüberstehen als nicht religiöse. Christlich-soziale Werte sehen insbesondere die Unterstützung von Benachteiligten und von Armut gefährdeten Menschen vor und weniger die Bereitstellung von Leistungen für jeden und jede, wie dies beim bedingungslosen Grundeinkommen der Fall wäre.

Wie in der Frage der Akzeptanz von Einkommenshierarchien zwischen Berufsgruppen, zeigen sich auch beim Grundeinkommen ähnliche Altersunterschiede: Ältere Personen ab 45 Jahren sprechen sich häufiger gegen die Einführung eines Grundeinkommens aus als Jüngere. Dies könnte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass sich die Arbeitsmarktsituation für die jüngere Generation in den letzten Jahren verschlechtert hat; zum anderen darauf, dass Menschen im Lebenslauf weniger egalitär werden und neuen Konzepten gegenüber generell weniger aufgeschlossen sind als jüngere Menschen. Auffallend ist, dass die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit in der Corona-Krise mit einer stärkeren Befürwortung des Grundeinkommens einhergeht, während das Haushaltseinkommen und die Bildung keinen nennenswerten Unterschied machen. Auch in den bivariaten Analysen lässt sich lediglich ein schwacher Bildungseffekt und geringer Effekt des Haushaltseinkommens beobachten, wobei höher Gebildete und Einkommensschwächere der Einführung des Grundeinkommens tendenziell positiver gegenüberstehen als niedriger Gebildete und Einkommensstärkere. Auch in der ISSP Erhebung 1993 waren die Fürsprecher*innen des Grundeinkommens Personen mit einem Hochschulabschluss und Österreicher*innen, die sich einer niedrigeren sozialen Schicht zugeordnet haben.

6 Fazit und Ausblick

Durch die Corona-Krise rückte die Frage der Einkommensgerechtigkeit verstärkt ins Blickfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit. Im ersten Lockdown wurde zum einen die Frage aufgeworfen, ob Personen in systemrelevanten Berufen im Gesundheits- und Handelssektor im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gerecht bezahlt werden. Angesichts des starken Anstiegs der Arbeitslosigkeit und der hohen Zahl der Personen, die auf staatliche Kurzarbeits-Unterstützung angewiesen waren, bekam auch die Frage nach einem bedingungslosen Grundeinkommen eine neue Aktualität.

Vor diesem Hintergrund wurde im vorliegenden Beitrag untersucht, inwieweit sich die Einstellungen zur Frage der Einkommensgerechtigkeit in Österreich in der ersten Phase der Corona-Krise gegenüber vorhergehenden Jahren geändert haben. Die Ergebnisse zeigen, dass sich eine deutliche Mehrheit von zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten sowohl vor als auch in der Corona-Krise für eine Verringerung der Einkommensunterschiede ausspricht. Die Vorstellungen darüber, wie hoch die Einkommensunterschiede zwischen statushohen und statusniedrigen Berufen sein sollen, sind jedoch individuell unterschiedlich und ändern sich im Zeitverlauf. Entgegen der funktionalistischen Schichtungstheorie gibt es keine eindeutige Evidenz für einen historisch gewachsenen Konsens darüber, wie hoch die Einkommensunterschiede zwischen Berufsgruppen sein sollen. Im Sinne der funktionalistischen Schichtungstheorie und des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit empfinden es die meisten Österreicher*innen aber grundsätzlich als gerecht, wenn Berufe, die hohe Qualifikationen erfordern und mit einer hohen Verantwortung verbunden sind, höher entlohnt werden. Im Durchschnitt finden es die Befragten für angemessen, dass man in Eliteberufen rund viermal so viel verdient als in statusniedrigen Berufen.

Bei genauerer Betrachtung wurde deutlich, dass die Forderung nach einer drastischen Reduktion der Gehälter der Spitzenverdiener*innen sehr viel stärker ausgeprägt ist als der Wunsch nach einer Erhöhung der niedrigen Einkommen. Manager*innen und Minister*innen sollten nach Ansicht der Bevölkerung höchstens halb so viel bekommen, wie sie nach ihrer Einschätzung verdienen, wobei die Einschätzungen noch dazu deutlich unter den realen Einkommen liegen. Die Angst, durch die Folgen der Corona-Krise die ökonomische Existenzgrundlage zu verlieren, scheint das Gefühl der Benachteiligung gegenüber „denen da oben“ und den Unmut über die Privilegien der Reichen noch verstärkt zu haben: Der Anteil derer, die Manager*innen, Minister*innen und Allgemeinmediziner*innen maximal das doppelte Einkommen von Verkäufer*innen und ungelernten Arbeiter*innen zugestehen, ist im ACPP etwa doppelt so hoch als in der ISSP-Erhebung zehn Jahre davor.

Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass den Allgemeinmediziner*innen in der Corona-Krise etwas höhere Einkommen zugestanden werden als vor der Krise, wo diese noch als überbezahlt galten. Diese Veränderung dürfte zum einen damit zu tun haben, dass die Krise die Wichtigkeit dieser Berufsgruppe und auch die Herausforderungen der Tätigkeit besonders deutlich gemacht hat. Zum anderen zählen die Allgemeinmediziner*innen in der Wahrnehmung der Bevölkerung nicht eindeutig zu den Eliteberufen. Ob es aus der Sicht der österreichischen Bevölkerung zu einer längerfristigen „Aufwertung“ dieses Berufsstandes durch die Corona-Krise gekommen ist, werden erst zukünftige Forschungsarbeiten zeigen können.

Angesichts der Tatsache, dass viele Erwerbstätige durch die Corona-Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben, ist im ACPP auch die Befürwortung eines bedingungslosen Grundeinkommens etwas höher als in vorhergehenden Erhebungen; die Bevölkerung ist in dieser Frage aber nach wie vor gespalten. Auch die niedrige Beteiligung am entsprechenden Volksbegehren hat gezeigt, dass konkrete Initiativen zur Einführung eines Grundeinkommens in der Bevölkerung kein ausreichendes Mobilisierungspotenzial aufzuweisen scheinen.

Zusammenfassend lassen sich die folgenden Charakteristika in den Einstellungen zur Lohngerechtigkeit in Österreich erkennen: 1) Für Teile der österreichischen Gesellschaft zählte vor und während der Corona-Krise nicht nur das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit zu den dominanten Wertesystemen, sondern auch das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit, das durch den jahrzehntelangen Einfluss der Sozialdemokratie nach wie vor stark in der Gesellschaft verankert zu sein scheint. Dies lässt sich vor allem in den Einstellungen zum Grundeinkommen erkennen. 2) Die Corona-Krise mag zwar dazu beigetragen haben, dass der Unmut gegenüber den „Privilegien der Reichen“ zunimmt; ein großer Teil der Bevölkerung findet es aber als legitim, dass das Einkommen in statushohen Berufen deutlich höher ist als in statusniedrigen Berufen. 3) Das Gerechtigkeitsempfinden hängt von den Eigeninteressen ab: Arbeitslose treten häufiger für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein; ökonomisch Benachteiligte sowie niedriger Gebildete, sprechen sich für geringere Einkommensunterschiede zwischen den Berufen aus; höher Gebildete möchten, dass sich ihre Bildungsinvestitionen durch ein höheres Einkommen bezahlt machen. 4) Zusätzlich zu den Eigeninteressen haben auch klassisch ideologische Unterschiede zwischen ÖVP- und FPÖ-Wähler*innen im Gegensatz zu SPÖ-Wähler*innen einen Einfluss auf die Gerechtigkeitsvorstellungen, die in der Corona-Krise weitgehend bestehen bleiben. Dass SPÖ-Wähler*innen im ACPP jedoch höhere Einkommensunterschiede zwischen statushohen und statusniedrigen Berufen akzeptieren als ÖVP-Wähler*innen, dürfte damit zu tun haben, dass gerade die Anhänger*innen einer klassischen Arbeiterpartei Unterschiede zwischen Berufen auf Unterschiede in der Bildungsanstrengung und Leistung zurückführen und deshalb als legitim erachten. Ähnlich wie die SPÖ-Wähler*innen sprechen sich auch die NEOS-Wähler*innen überdurchschnittlich häufig gleichzeitig für hohe Einkommensdifferenzen und für das Grundeinkommen aus. Die Befürwortung eines bedingungslosen Grundeinkommens bei den Anhänger*innen einer wirtschaftsliberalen Partei ist mitunter dadurch erklärbar, dass das Grundeinkommen hier mit der Vorstellung einer Verschlankung des Staatsapparats und einer Maximierung der persönlichen Freiheit assoziiert wird und nicht – wie im Fall der SPÖ – mit der Ideologie der Gleichheit. Ob und inwiefern politisch-ideologische Unterschiede in Zukunft wieder stärker zum Tragen kommen werden, wenn die ökonomischen und sozialen Folgen der Corona-Krise die Existenzgrundlage bestimmter Bevölkerungsgruppen gefährdet, werden aber erst zukünftige Forschungsarbeiten zeigen können.