FormalPara Die Corona-Pandemie als neue Herausforderung und Ungleichheitsverstärker 

Bis zum Ausbruch der globalen Corona-Pandemie wurde als zentrale Herausforderung, neben der Digitalisierung und dem Klimawandel, auf den demografischen Wandel verwiesen. Diese Fokussierung ergab sich daraus, dass im nächsten Jahrzehnt allein in Deutschland die Zahl der Rentner und Pensionäre gegenüber heute um mehr als drei Millionen ansteigen wird, während die erwerbsfähige Bevölkerung schrumpft. Inzwischen hat sich die Situation grundlegend verändert: Ein Virus hat uns unvorbereitet getroffen und die Auswirkung und Intensität geht tiefer als die in den letzten Jahrzehnten erlebten Krisen. Man kann von einer Disruption des gesellschaftlichen Lebens sprechen, die bei Betrachtung der letzten 75 Jahre für die westlichen Länder beispiellos ist. Zwar gab es Hinweise, dass solche Pandemien und andere externe Schocks eintreten können, diese wurden aber sowohl von der Politik als auch der allgemeinen Öffentlichkeit weitgehend ignoriert. Diese Nichtthematisierung hat verschiedene Ursachen. Im Gegensatz zu den Risiken der Atomwirtschaft und des Klimawandels, die bspw. durch die Tschernobyl-Katastrophe und den Reaktorunfall in Fukushima konkrete Anlässe für Ängste, aber auch Empörung boten, wurden die schon seit einigen Jahren wiederkehrenden Virenausbrüche und andere Epidemien eher als abstrakte Bedrohungen interpretiert. Dennoch haben sich in den letzten Jahrzehnten parallel zur sich fortschreitenden Globalisierung auch in westlichen Ländern neue Infektionskrankheiten ausgebreitet. „Die neu auftauchenden Epidemien und Pandemien seit der Jahrtausendwende haben den epidemiologischen Optimismus des späten 20. Jahrhunderts beendet. Sie transformierten die Krisenhaftigkeit der Globalisierung in sinnlich erfahrbare Körperängste. Mit anderen Worten, die SARS-Pandemie ab 2002, die sogenannte Schweinegrippe ab 2009 oder die Ebola-Epidemie ab 2014 evozierten die Gefahr, die Risiken der Globalisierung am eigenen Körper zu erfahren. In diesen Bedrohungen verband sich das – wenn auch nur vage – Unbehagen an der Globalisierung mit der Angst um die Integrität des eigenen Körpers“ (Biess, 2020, S. 38; vgl. auch die Beiträge in Brink et al., 2020; Stegbauer & Clemens, 2020).

Mit der Corona-Pandemie ist nun eine neue Risikostufe eingetreten, die das alltägliche Leben massiv veränderte, Ansteckungsängste auslöste und auch nach Überwindung tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlassen wird. Gerade hochaltrige Menschen, die oftmals gesundheitlich bedroht sind, werden von den sozialen Distanzierungen weitaus stärker betroffen. Dies gilt insbesondere für Bewohner von Altenheimen, die durch die Kontakteinschränkungen massiv unter Vereinsamung leiden. Für viele ist deshalb das Telefonieren die häufigste Kommunikationsweise, um mit der Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben (angewachsen sind auch digitale Kontakte). Generell werden durch die Pandemie individuelle Verunsicherungen gesteigert und durch die ökonomisch-sozialen Verwerfungen weiten sich soziale Ungleichheiten aus. Zunächst bewirkte die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 einen Schockzustand und aufgrund der existenziellen Betroffenheit wurden die staatlich rigoros verordneten Einschränkungen von der großen Mehrheit widerspruchslos hingenommen. Zugleich breitete sich in der ersten Phase der Pandemie eine Welle von Hilfsbereitschaft aus, die manche Beobachter schon zur These verdichteten, die Solidarität habe nun ihre Gestaltungskraft nachhaltig demonstriert und werde auch die Gesellschaft in Zukunft stärker prägen. Wenngleich nicht bestritten werden soll, dass sich zukünftig einiges im Verhältnis von Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft verändert, ist es voreilig, schon jetzt eine neue gesellschaftliche Entwicklungsstufe auszurufen, die oft auch als resiliente Gesellschaft bezeichnet wird. Resilienz ist inzwischen auch in sozialwissenschaftlichen Diskursen zu einem Modebegriff geworden, der vielfach verwendet wird, was nicht unbedingt seiner analytischen Klarheit dient. Im Kern geht es um die Widerstands- und Überlebensfähigkeit von Individuen und sozialen Gruppen in gesellschaftlichen Krisensituationen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die derzeitige Karriere des Begriffs, der in den meisten Argumentationen im Zusammenhang mit einer sozialverträglichen, ökologischen und nachhaltigen Handlungsstrategie genutzt wird. Für die soziale Sicherung älterer Menschen bedeutet dies, einerseits die sozialen Sicherungssysteme in Richtung Nachhaltigkeit umzustrukturieren und andererseits für integrierte Versorgungsstrukturen auf lokaler Ebene zu sorgen.

Mit der Krisendauer sind die Ängste und gesellschaftlichen Spannungen angewachsen; manche Ältere fühlen sich sozial ausgegrenzt. Über die langfristigen Folgen kann derzeit aber nur wenig gesagt werden, dennoch sind schon heute verstärkte soziale Zersplitterungsprozesse unübersehbar. „Natürlich akzentuierte die Krise bestehende soziale Unterschiede. Das Virus wirkte keinesfalls demokratisierend. Soziale Distanzierung war und ist immer auch ein Mittelklasseprivileg, die Opferzahlen unter sozial Schwachen und Minderheiten sind um ein Vielfaches höher“ (Biess, 2020, S. 38; vgl. auch Blom, 2020 sowie die Beiträge in Florack et al., 2021). Diese sozialen Selektivitäten zeigen sich in verschiedenen Dimensionen und konkret in den neu entstandenen Lebens- und Arbeitspraktiken. Ein Beispiel ist das „Homeworking“, das durch die Corona-bedingten Einschränkungen erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Während Akademiker im Homeoffice ihrer Arbeit zumeist relativ gesichert nachgehen können, ist der erzwungene Rückzug in den Privatbereich für andere Gruppen verbunden mit Existenzängsten und zunehmendem Alltagsfrust. Man denke etwa an die Schließung der Schulen und Kindertageseinrichtungen und deren Effekte für Alleinerziehende oder Großfamilien mit niedrigem Einkommen, die vor allem neue Belastungen für Frauen mit sich brachte (vgl. Krohn, 2020; Villa, 2020). Auf ältere Menschen hat die Ausbreitung von hybriden Arbeitsformen allerdings kaum Auswirkungen, da sie mehrheitlich nicht mehr erwerbstätig sind. Ihre Lebensqualität wird durch die radikalen Kontaktreduzierungen negativ betroffen, die auch das Angebot vieler gemeinnütziger Organisationen vor Ort (Vereine, Wohlfahrtsorganisationen, Selbsthilfegruppen etc.) fast vollständig lahmgelegt haben, in denen ältere Menschen miteinander kommunizieren und Kontakte pflegen konnten.

Die neuen Kommunikationsmedien können hierbei ein wenig Abhilfe schaffen und es ist auch zu einer Aufwertung digitaler Kontakte in der Corona-Krise gekommen, die die soziale Abschottung gerade Älterer verringert hat. Darüber hinaus haben Digitalkontakte auch in der gesundheitlichen Versorgung einen Bedeutungsgewinn erfahren. Durch die möglichen Gefährdungen, mit denen bspw. für ältere Menschen ein Arztbesuch verbunden war, erlebten telemedizinische Verfahren wie Online- und Videosprechstunden, Terminbuchungen über Apps, aber auch elektronische Patientenakten einen Aufschwung. Telemedizinische Technik, die mit gut zugänglichen und weit verbreiteten Kommunikationsmedien kombiniert werden kann, ermöglicht Ärzten, die Patienten mobil und ortsunabhängig zu betreuen. Die traditionelle Beziehung zwischen Ärzten und Patienten wird somit durch eine technische Komponente erweitert; unter dem Motto „move the information, not the patient“ können problematische Patiententransporte oder Krankenhausaufenthalte vermieden oder reduziert werden. „Home Monitoring“ kann sich so zu einem modernen Bestandteil der Betreuung Kranker und Hilfebedürftiger entwickeln, der von der Prävention über die Diagnostik und Therapie bis hin zur Rehabilitation die gesamte Behandlungskette berücksichtigt. Ältere Menschen können davon stark profitieren, wenn es zu einer Regelumsetzung kommt und zu den „normalen“ Leistungen der Krankenkassen zählt.

Obwohl die Folgewirkungen der gesellschaftlichen Strukturbrüche bislang nur ansatzweise erkennbar sind, zeichnet sich insgesamt ein Wandel der gesellschaftspolitischen Narrative ab. Nach einer Phase der dynamischen Fortschrittsgläubigkeit und vielfältigen Öffnungen in kultureller, sozialer wie ökonomischer Hinsicht ist nun eine Relativierung zu diagnostizieren. Es zeichnet sich ganz allgemein ein Wertigkeitsverlust marktlicher Regulierungen ab, denn das Virus hat bewusstgemacht, wie stark auch wirtschaftliche Wertschöpfungen von einer funktionierenden staatlichen Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge abhängen. Reckwitz sieht deshalb als eine konkrete Folgewirkung der Pandemie eine Umsteuerung in „eine Art Infrastrukturstaat, der sich um notwendige Infrastruktur kümmert etwa im Bereich Gesundheit, aber auch wenn es um das Wohnen geht oder um die Bildung, die Energieversorgung“ (ders., 2020; vgl. auch ders., 2019 sowie Heinze, 2020). Die durch die Krise bewirkte Aufwertung digitaler Prozesse wie auch des lokalen Raumes werden über den Krisenmodus hinaus den Lebensalltag älterer Menschen beeinflussen, denn beide Entwicklungen zeichnen sich schon länger als Megatrends ab. Im Folgenden werden diese strukturellen Trends dargestellt, wobei zunächst ein zentraler Bereich der Daseinsvorsorge für Ältere, das Wohnen, im Mittelpunkt steht.

FormalPara „Aging in Place“ als Leitbild

Mit der Ausdehnung der Lebensphase des Alters steigt die Bedeutung des Wohnsitzes; die Wohnung wird immer stärker zum Lebensmittelpunkt. Wohnungen konstruieren die eigene Lebenswirklichkeit, sind mit vielen Erinnerungen versehen und geben damit Sicherheit. Man sucht in einer komplexen und beschleunigten Welt, die für viele (insbesondere Ältere) Orientierungsprobleme aufwirft, nach einem festen Bezugspunkt. Im Wohnen kann man seine Umwelt gestalten, wobei eine gute „Passung“ zwischen den individuellen Bedürfnissen und Wünschen älterer Menschen und dem sozialräumlichen Umfeld anzustreben ist. In der gerontologischen Forschung wird schon länger auf die verschiedenen Alternsprozesse von Menschen hingewiesen und dies impliziert eine Vielfalt von Wohnformen (vgl. Höpflinger, 2009 sowie Oswald & Wahl, 2016; Penger et al., 2019). Bereits im zweiten Altenbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1998 wurde auf die zentrale Bedeutung des Wohnens mit all den sozialen Netzwerken für Ältere hingewiesen. Im siebten Altenbericht wurde ebenfalls explizit auf das Wohnen und insbesondere auf die lokale Umgebung und neue technische Optionen (wie Smart Homes, Telemedizin) eingegangen. Über 90 % der Personen im Alter von über 65 Jahren leben in privaten Wohnungen; unter 5 % der Personen über 65 Jahre leben in institutionellen Kontexten von Alten- und Pflegeheimen, wobei der Anteil jenseits des 80. Lebensjahres deutlich ansteigt. Altenpflegeeinrichtungen werden von der Mehrheit der Älteren nur akzeptiert, wenn keine anderen Möglichkeiten zur selbstständigen Lebensführung mehr bestehen. Selbst im Falle von Pflegebedürftigkeit bleiben gut 70 % der Betroffenen in der eigenen Wohnung bzw. Immobilie und werden dort versorgt. Deshalb geht es bei dem Thema „Wohnen im Alter“ nicht nur um die Wohnung oder die Immobilie, sondern um das sozialräumliche Umfeld (vgl. Heinze & Drewing, 2020).

Die Zufriedenheit mit der eigenen Wohnsituation und -umgebung ist nach empirischen Untersuchungen bei Älteren sehr hoch – insbesondere für diejenigen, die eine eigene Immobilie haben. Deutliche Unterschiede zeigen sich bei dem Immobilienbesitz mit Blick auf Stadt und Land (auf dem Land wohnen fast 80 % der Älteren). In den letzten Jahren ist es zu einer Steigerung der Wohneigentumsquote (insbesondere bei den über 70-Jährigen gekommen) (vgl. Generali-Altersstudie, 2017). Die Daten demonstrieren nicht nur eine hohe Verbundenheit mit dem Wohnzustand, sondern ebenso mit dem Wohnort. Vor pauschalen Bewertungen ist allerdings zu warnen; gerade weil die Wohnung als Verortungspunkt des eigenen Lebens gesehen und mit vielen Erinnerungen verbunden wird, fließen bei Befragungen viele Emotionen mit ein.

Hinsichtlich objektiver Lebenslagen ist auf den Trend zur Individualisierung im Alter hinzuweisen; die Zahl der Alleinlebenden steigt (und der größte Anteil davon ist weiblich). Insbesondere, wenn sich Individualisierung mit niedriger Bildung paart, besteht die Gefahr des Rückzugs aus assoziativen Netzwerken und der Vereinsamung. Die tendenzielle Auflösung der Großfamilien führt zu einem wachsenden Hilfe- und Pflegebedarf (auch wenn Familiennetzwerke noch immer eine große Bedeutung haben). Wohnwünsche differenzieren sich bei Älteren durch die wachsende Pluralisierung immer weiter aus. Es gibt nicht „den“ älteren Menschen, die Vielfalt hat zugenommen – und dies gilt aus sozialer sowie regionaler Sicht. Räumliche Differenzierungen treten zudem stärker hervor. Man altert in städtischen Quartieren anders als auf dem Land und auch innerhalb der Städte wächst die Vielfalt. Gleichlaufend haben aber Mobilität und Selbstständigkeit in allen Altersgruppen über 65 Jahren deutlich zugenommen.

Wenn auch viele der heute älteren Menschen materiell besser abgesichert sind als frühere Generationen, gilt das nicht für alle Älteren gleichermaßen. Ob jemand im Alter finanziell hilfebedürftig und von Verarmungsprozessen betroffen ist, hängt von einer Vielzahl an Einflüssen ab und kann nur vor dem Hintergrund der Erwerbsbiografie, des Gesamteinkommens und des Haushaltskontextes beantwortet werden. Dramatische Verschiebungen in Richtung Verarmung hat es in den letzten Jahren aber nicht gegeben. Wenngleich konkrete Aussagen zur künftigen Verbreitung von Altersarmut in Deutschland aufgrund der Komplexität der unter Umständen zu Altersarmut führenden Lebensverläufe und der institutionellen Rahmenbedingungen kaum möglich sind, ist dennoch von einer wachsenden Gruppe auszugehen (vgl. hierzu zusammenfassend Fachinger, 2019). Dies hätte auch für das Wohnen im Alter – je nach regionalem Wohnungsmarkt – teilweise gravierende Auswirkungen. Schon heute sollten deshalb betroffene Kommunen gegensteuern (z. B. durch Stärkung des genossenschaftlichen Wohnens).

Generell ist für die Entwicklung des Wohnens weniger die Bevölkerungszahl als vielmehr die Zahl und Größe der nachfragenden (wohnungssuchenden) Haushalte von Bedeutung (z. B. wie viele Singlehaushalte bestehen). Hierfür mussten die Prognosen der letzten Jahre revidiert werden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es 2018 41,4 Mio. Haushalte in Deutschland, wovon knapp 42 % Einpersonenhaushalte waren. In der aktuellsten Haushaltsvorausberechnung wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Haushalte bis 2035 auf etwa 43,2 Mio. ansteigen wird (trotz eines vorher einsetzenden Rückgangs der Bevölkerung). Bis zu diesem Zeitpunkt erwartet man allerdings auch einen Anstieg des Anteils an Einpersonenhaushalten auf 44 % – von denen viele zur älteren Bevölkerung gehören werden. Erst zeitverzögert wird es somit auch zu einem tatsächlichen Rückgang der Haushaltszahlen kommen. Für den Wohnungsmarkt bedeutet dies, dass zukünftig von einem weiteren (demografisch bedingten) Bedarf an Wohnungen auszugehen ist und dieser auch zunächst weiter anwächst, selbst wenn die Bevölkerung insgesamt zurückgeht. Dies liegt an der kontinuierlichen Veränderung der Altersstruktur und konkret an der gestiegenen Lebenserwartung.

Die absehbare anhaltende Steigerung des Anteils der älteren Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten macht die Entwicklung integrierter Versorgungsformen und damit verbunden auch neuer altersgerechter Produkte und Dienstleistungen zu einer dringenden Notwendigkeit. Da die große Mehrzahl der Älteren (auch viele Hochbetagte) möglichst lange im gewohnten Wohn- und Lebensumfeld verbleiben wollen, sind innovative Verbundlösungen zwischen sozialen Diensten, medizinischen Einrichtungen und technischen Assistenzsystemen gefragt, die helfen können, den Lebensalltag in der gewohnten Wohnumgebung zu bewältigen. Die Gestaltung des Wohnumfeldes ist gerade für ältere Menschen von erheblicher Bedeutung für Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb gilt es, vor Ort eine soziale Infrastruktur inklusive der Versorgung mit Einkaufs- und sonstigen Dienstleistungsangeboten aufzubauen. Die ausgeprägte institutionelle Segmentierung und Differenzierung von Politikfeldern mit spezifischen Spielregeln und Diskursformen erschwert allerdings eine solchermaßen ressort- und sektorenübergreifende nachhaltige Politik. Vernetzte Versorgung bedeutet das Ineinandergreifen unterschiedlicher Hilfen und Unterstützungsformen; konkret heißt dies bspw. die Kooperation zwischen kommunalen Instanzen, Einrichtungen sozialer Dienste und Kostenträgern. Wenn auch noch viele Handlungsvorschläge im Konzeptionellen steckenbleiben, hat sich dennoch eine experimentelle Praxis vernetzten, altengerechten Wohnens in einigen Regionen entwickelt, die zunehmend auch von der Politik aufgegriffen wird.

FormalPara Engagement im Alter: Handlungsressourcen und aktuelle Begrenzungen

Hinsichtlich der zivilgesellschaftlichen Teilhabe belegen diverse empirische Untersuchungen soziale Ungleichheiten: Personen mit einer höheren Ausstattung an Ressourcen (einem höheren Bildungsabschluss und/oder einem höheren Einkommen) sind häufiger sozial engagiert als Personen, deren Ressourcenausstattung vergleichsweise schlechter ausfällt (vgl. Beckmann et al., 2019; Beckmann & Schönauer, 2020 sowie Richter, 2020). Konsens besteht auch darin, dass dem sozialen Nahraum für die Teilhabe eine wichtige Bedeutung zukommt, da sich für Menschen in prekären Lebensverhältnissen primär hier Anknüpfungspunkte für Engagement und Aktivität finden. SOEP-Daten zum Engagement weisen explizit auf eine Steigerung bei den älteren Gruppen hin, was auf verschiedene Faktoren (wie z. B. ein besseres Bildungsniveau und einen besseren Gesundheitszustand) zurückzuführen ist. „Insgesamt zeigt sich, dass sich insbesondere die Personen über 65 Jahre heute stärker engagieren als noch vor 20 bis 30 Jahren. Dies schlägt sich in einem Anstieg von drei Millionen Engagierten im Jahr 1990 auf sieben Millionen Engagierte im Jahr 2017 nieder“ (Burkhardt & Schupp, 2019, S. 769). Auch andere Untersuchungen sehen den Aufholprozess bei den Senioren, sodass der Vorsprung der Jüngeren beim ehrenamtlichen Engagement kaum noch sichtbar ist. Hinzuweisen ist noch auf den durchschnittlich größeren Umfang ehrenamtlichen Engagements bei Älteren (mehr als drei Stunden wöchentlich bei den aktiven Senioren über 65 Jahre) (vgl. Erlinghagen & Hank, 2019). Wenngleich kaum Untersuchungen zum Engagement und der Teilhabe der Hochaltrigen (ab 80 Jahre) vorliegen, ist von deutlichen Einschränkungen auszugehen.

Empirische Studien belegen, dass sich soziale Nahbeziehungen durchaus positiv auf die soziale Integration auswirken können und die Bereitschaft der Bürger anspornen, das eigene Lebensumfeld mitzugestalten. Dabei treten aber sozialräumliche Differenzen auf. „Auf dem Lande hatte das subsidiäre, eigenverantwortliche Handeln immer einen hohen Stellenwert. Der fürsorgliche Staat, der in den Zentren die U-Bahn fahren lässt und für eine Rundumversorgung vom Kindergarten bis zum Krankenhaus sorgt, hat in den Dörfern so nie existiert. Deshalb sind aus reiner Notwendigkeit schon früh Selbsthilfestrukturen entstanden, von Genossenschaften bis zur freiwilligen Feuerwehr, die Versorgungslücken gar nicht erst haben entstehen lassen. Diese Strukturen funktionieren z. B. im Emsland bis heute und sie werden getragen von verschiedensten Sport-, Heimat- oder Schützenvereinen, von der Nachbarschaftshilfe und von den Kirchen, insbesondere der katholischen, die dort stark vertreten ist. Diese Zivilgesellschaft, die anderswo immer wieder als wichtige Stütze der Gesellschaft angemahnt wird, ist im Emsland fest verankert. Sie bindet die Menschen zusammen, absorbiert auch viele Zugezogene und sorgt für ein Verantwortungsgefühl, das auch die Jungen anspricht“ (Berlin-Institut, 2017, S. 5).

Zu konstatieren ist in allen Regionen ein Strukturwandel sozialen Engagements, der sich auch in ländlichen Räumen – wenngleich mit einem gewissen Zeitverzug – bemerkbar macht. Insgesamt zeigt sich über alle Milieus hinweg, dass eher organisationsungebundene Aktivitäten im Sozialraum angewachsen sind und oft schon höher sind als „formale“ Engagementstrukturen. Das Engagement ohne festgefügte und auf Langfristigkeit programmierte Organisationen wächst weiter, während viele der traditionellen Vereine und Sozialorganisationen über Mitgliederverluste klagen. Die Erfolgsaussichten für gesellschaftliche Integration liegen deshalb in eher informellen Teilhabestrukturen höher als bei „klassischen“ Organisationen wie politischen Parteien, Verbänden und Vereinen. Aber auch hier hat die Corona-Pandemie für Einschränkungen gesorgt, denn gerade die Personengruppen, die auf soziale Kontakte und Hilfestellungen besonders angewiesen sind, sind von den geforderten sozialen Distanzierungen stärker betroffen – und dies gilt für viele ältere Menschen (vor allem, wenn sie zu den ohnehin nicht privilegierten sozialen Milieus gehören).

Die Kontakteinschränkungen betreffen gegenwärtig alle zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dadurch leiden die unmittelbaren Begegnungen in Vereinen, Selbsthilfegruppen, Tafeln, Kirchengemeinden, Altenheimen und generell im öffentlichen Raum. „Denn aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist nicht nur die Wirtschaft zum Stillstand gekommen, sondern auch weite Teile der Zivilgesellschaft. Exemplarisch zeigt sich dies an den Tafeln, lokalen Hilfsorganisationen zur Verteilung von Lebensmitteln an Bedürftige. Trotz steigender Nachfrage war im April 2020 fast die Hälfte der Tafeln bundesweit geschlossen. Der Vorsitzende des Dachverbands Tafel Deutschland e. V., Jochen Brühl, äußerte die Sorge, dass sich dies auch langfristig auf das freiwillige Engagement in den Tafeln auswirkt“ (Grande & Hutter, 2020, S. 28). Andererseits wachsen die digitalen Kommunikationsräume und diese können die Aktivitäten kleinerer Communities abseits etablierter Verbände und Vereine steigern. In der Corona-Krise wurde das Gestaltungspotenzial der beteiligungsoffenen digitalen Zivilgesellschaft anschaulich: „Civic Tech ist jener Teil der Zivilgesellschaft, der in Projekten und Organisationen mit digitalen Technologien auf gesellschaftliche Problemlagen reagieren will. Zwar kommen auch Praktiken aus der kommerziellen Software-Entwicklung zum Einsatz, die Anwendungen sind aber gemeinwohlorientiert. Etablierte Civic-Tech-Praktiken zeichnen sich durch experimentelles und schnelles Agieren aus. In der Krise öffnen sich auch staatliche Institutionen neuen Handlungslogiken, in diesem Fall den Organisationsrepertoires und Verfahren der Civic-Tech-Szene“ (Berg et al., 2020, S. 30; vgl. auch Baack et al., 2019).

Neben der Zunahme der digitalen Kommunikation wurden auch nachbarschaftliche Kontakte revitalisiert. In einer repräsentativen Untersuchung in Nordrhein-Westfalen konnte das gestiegene Engagement in der Nachbarschaft in der Corona-Krise empirisch belegt werden: Etwa „ein Drittel der Befragten [ist] grundsätzlich bereit, Nachbarschaftshilfe zu leisten (gegenüber 15 %, die das bereits heute tun). Hinzu kommt wegen der Krisensituation ein weiteres Drittel, das als Solidarpotenzial aktiviert werden könnte. Außerdem existiert ein veritabler Anteil, der nach Abklingen der Krise (dauerhaft) für nachbarschaftliches Engagement gewonnen werden könnte – je nachdem, wie sich das nachbarschaftliche Engagement in Zukunft entwickelt, könnte also hier auch eine Art ‚Weckruf‘ geschehen, um den Anteil der Menschen, die sich dauerhaft in der Nachbarschaftshilfe engagieren, zu erhöhen“ (Bölting et al., 2020, S. 28).

FormalPara Von der Wohnung zum Quartier: Integrierte Versorgung als Steuerungskonzept

In den öffentlichen Diskursen zur gesundheitlichen Versorgung und explizit zum Thema „Wohnen im Alter“ rückt die sozialräumliche Dimension (Quartiere) in den letzten Jahren verstärkt in den Mittelpunkt. Zumeist wird der Quartiersbegriff verwandt und es liegen auch vielfältige Definitionen vor. Quartiere sind mehr als administrative Gebietsabgrenzungen, sie sind sozial konstruiert. Ein Quartier erfüllt vielfältige Funktionen, ist lebensweltlich geprägt und bietet Identifikationspotenziale. Analysen zeigen, dass sich eine aktive Teilhabe in der Nachbarschaft positiv auf das Wohlbefinden und den Gesundheitszustand auswirkt (vgl. zusammenfassend Heinze & Drewing, 2020).

Vor diesem Hintergrund wird über integrierte sozialräumliche Versorgungskonzepte in verschiedenen Regionen diskutiert und einzelne werden auch gefördert. Neue Formen gemischter Sorge- und Pflegearrangements sind zwischen der traditionellen Familienpflege in der Immobilie und der Vollversorgung im Heim angesiedelt. Unbestritten ist, dass ein großer Bedarf an derartigen Mischformen besteht. Dies gilt nicht nur für Stadtquartiere, sondern auch für Dörfer mit hohen Eigenheimanteilen, die oft von kollektiver Alterung betroffen sind. Es gibt jedoch keinen einfachen Schlüssel dafür, wie eine lokale Hilfs- und Pflegekultur zur gesellschaftlichen Praxis wird, denn noch liegen so gut wie keine evidenzbasierten Studien darüber vor, wie es gelingt, derartige Versorgungsstrukturen aufzubauen. Neben der Funktion als Ort des Wohnens kommt dem Quartier bzw. dem Sozialraum als Ort des sozialen Austauschs und der Teilhabe an gesellschaftlichen Institutionen (wie Vereinen) eine wichtige Bedeutung zu – insbesondere, wenn die Mobilität eingeschränkt ist. In solchen Quartieren, in denen die Sozialeinbindung nicht mehr gegeben ist – zum Beispiel durch eine hohe Bewohnerfluktuation, den Generationenwechsel in Eigenheimquartieren oder den Fortzug der mittleren Generation in ländlichen Regionen –, ist die soziale Teilhabe gefährdet.

Wenngleich es einen Konsens über die Notwendigkeit gibt, die Voraussetzungen dafür zu verbessern, dass alte Menschen möglichst lange selbstständig zu Hause leben können, sind offenkundig Defizite unübersehbar. Noch dominiert auch in Altersfragen die Fragmentierung des deutschen Sozialstaats („Silos“). Ein integriertes Vorgehen auf lokaler Ebene ist nicht selbstverständlich, allerdings rücken die steigenden Kosten im Pflegebereich für die Kommunen immer mehr in den Fokus und forcieren die Suche nach neuen Versorgungsarrangements. Viele Kommunen rechnen inzwischen im Feld des Wohnens im Alter mit einer Verdopplung der Aufwendungen für Sozialhilfeträger in den nächsten 20 Jahren. Wenn die sozialräumliche Dimension an Bedeutung gewinnt, ist auch auf kommunaler Ebene eine ressortübergreifende Querschnittspolitik gefragt. Neben der Kommunalpolitik sind die Sozialorganisationen und weitere Akteure ebenfalls aufgefordert, nicht nur ihre Organisationsinteressen zu verfolgen, sondern der in Deutschland ausgeprägten Gefahr des „Silodenkens“ aktiv zu begegnen, um sowohl Doppelstrukturen zu vermeiden als auch neue strategische Allianzen aufzubauen. Benötigt wird ein Schnittstellenmanagement. Vor allem in strukturell benachteiligten Quartieren werden zudem Schlüsselfiguren gesucht, die das Leben vor Ort kennen, geschätzt werden und sich schon länger sozial engagieren. Sie können Partizipationsformate anregen und gemeinsame Projekte (auch generationenübergreifend) aufbauen. Sozialräumliche Infrastrukturen verursachen Kosten, bieten aber auch Entfaltungsmöglichkeiten für die Bewohner. Aktive Nachbarschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen bringen Unterstützung im Alltag (z. B. handwerkliche Dienstleistungen, Einkäufe), ermöglichen rechtzeitiges Eingreifen bei sozialer Isolation oder Verarmung und verzögern so das Eintreten von Pflegebedürftigkeit.

Integrierte Versorgungsmodelle wurden als Pilotprojekte gefördert und haben explizit in der Corona-Krise ihre Leistungsfähigkeit belegt. Verschiedene Projekte zum „Smart-Living“ oder „Ambient Assisted Living (AAL)“ haben allerdings deutlich gemacht, dass für den Erfolg technischer Assistenzsysteme eine interdisziplinäre Kooperation erforderlich ist – zwischen Wohnungswirtschaft, Kommunen, Kranken- und Pflegekassen, Wohlfahrtsverbänden oder Kommunikationsanbietern. Die konkreten Anwendungen in der Corona-Phase weisen darauf hin, dass diese Technologien von älteren Menschen dann angenommen werden, wenn sie auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtet und flexibel anpassbar sind.

Bezogen auf das Engagement und die Teilhabe im Quartier breiten sich neue Formen der digitalen Vernetzung aus (Nachbarschaftsforen und -Apps). Bislang gibt es allerdings nur wenige Studien darüber, wie solche Plattformen genutzt werden (vgl. Heinze et al., 2019). Der aktuelle Dritte Engagementbericht der Bundesregierung verweist auf die Vielfalt der digital agierenden Organisationen, wobei allerdings die traditionellen Seniorenorganisationen erst langsam eigene Digitalisierungsstrategien aufbauen (vgl. BMFSFJ, 2020a, S. 35 sowie den achten Altenbericht der Bundesregierung: BMFSFJ, 2020b; Baringhorst, 2020). Ob und für welche sozialen Gruppen in welchem sozialräumlichen Kontext es real zu neuen Vergemeinschaftungen kommt, ist noch offen. Es bedarf der Forschung, um die Frage zu beantworten, ob und wie digitale Techniken für den (analogen) Zusammenhalt einer alternden und sozial zersplitterten Gesellschaft nützlich gemacht werden können. Zu Beginn der Corona-Krise gab es deshalb ein Missmatch zwischen den digitalen Kommunikations- und Unterstützungsangeboten und der Nachfrage, da die Risikogruppen der Viruskrise nicht bzw. weitaus weniger in den digitalen Netzwerken engagiert waren. Die ersten Erfahrungsberichte (z. B. mit Online-Sprechstunden bei Ärzten) deuten darauf hin, dass vieles, was jahrelang abgelehnt oder verzögert und dann im Krisenmodus eingeführt wurde, zumeist besser funktioniert als erwartet. Diese großteils positiven Online-Erfahrungen im Schnelldurchgang haben in vielen Fällen Blockaden aufgelöst und werden wohl auch im Normalmodus beibehalten. Dennoch sollte untersucht werden, welche weiteren Wirkungen zu verzeichnen sind (ob bspw. durch digitale Kontakte analoge Treffen verringert werden und welche sozialen Gruppen vorwiegend die digitalen Angebote nutzen).

Gefragt sind jedoch nicht nur temporäre Förderungen in der Corona-Krise, sondern langfristig angelegte integrative Versorgungslösungen für hilfe- und pflegebedürftige ältere Menschen. Benötigt wird dafür eine flächendeckende Organisation der Daseinsvorsorge, die nur in Kooperation von öffentlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen realisiert werden kann. Unabhängig von den Visionen eines gemeinschaftlich organisierten Zusammenlebens im Alter muss für alle eine (analoge wie digitale) Infrastruktur bereitgestellt werden, die eine selbstverantwortliche Alltagsgestaltung unterstützt, einen möglichst barrierefreien Zugang zu Geschäften, Behörden und Ämtern, öffentlichen Verkehrsmitteln, fachärztlicher Versorgung, aber auch zu Freizeit-, Kultur- und Bildungsangeboten eröffnet und es so Menschen auch bei zunehmenden Einschränkungen ermöglicht, in ihrer vertrauten Wohnumgebung zu verbleiben. Als Initiator und Moderator kommt hierbei den Kommunen insbesondere mit Blick auf integrierte Versorgungsformen eine entscheidende Rolle zu. Versorgung sollte unabhängig von den noch immer bestehenden Fragmentierungen dort geleistet werden, wo sie gebraucht wird. „Zur Aufhebung der sektoralen Fragmentierung sollen die leistungsrechtlichen, leistungserbringungsrechtlichen und ordnungsrechtlichen Unterschiede zwischen den Sektoren aufgehoben werden, sodass formelle Pflege unabhängig vom Ort der Pflege unter gleichen Regeln erfolgen kann. Dies führt dazu, dass die bisherige Abgrenzung von ambulanter und stationärer professioneller Pflege durch eine Unterscheidung entlang der Trennlinie ‚Pflege‘ und ‚Wohnen‘ ersetzt und Freiraum für innovative Formen der Leistungserbringung geschaffen wird“ (Rothgang & Kalwitzki, 2019, S. 5).

Es ist inzwischen sowohl in der Forschung zu sozialen Innovationen bekannt als auch manchen Akteuren im Sozial- und Gesundheitssektor bewusst, dass die Verbesserung der Kooperation und der Aufbau neuer Netzwerke, d. h. das bessere Zusammenwirken von öffentlichen, gemeinnützigen und privaten Akteuren immer wichtiger wird, weil zukunftsträchtige Innovationen – so die neuere soziologische Innovationsforschung – nur noch zustande kommen, wenn Ressourcen und Potenziale aus unterschiedlichen Funktionsbereichen miteinander verknüpft werden. Gefragt ist eine vernetzte Politik, die auf einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie beruht und je nach Bedarf über administrative Grenzen hinausgehen muss – ein hybrider Wohlfahrtsmix (vgl. Grohs et al., 2014). Ob sich solch neu akzentuierte Formen wohlfahrtsstaatlicher Politik erfolgreich ausbreiten, ist noch nicht endgültig entschieden. Grenzüberschreitungen produzieren auch immer neue Konfrontationen und Konflikte. Zudem bleibt das grundsätzliche Dilemma weiterhin bestehen, heute investieren zu müssen, den Ertrag aber erst morgen realisieren zu können. Von den öffentlichen Institutionen wird im Sinne eines neuen Managements sozialer Sicherung ein Paradigmenwechsel von bürokratischer Organisation und Planung hin zu einer Rolle als Vernetzungsinstanz gefordert, um die Fragmentierungen zu überwinden.

Durch die Corona-Krise wurde ein Fenster für digitale Versorgungsstrukturen geöffnet und solche Umbruchphasen können sogar zum Beschleuniger von Reformprozessen werden, weil im Notzustand sowohl bürokratische Regulierungen vereinfacht werden (müssen) als auch aus Eigennutz des „Gewährleistungsstaates“ blockierende Interessengruppen weniger Gehör finden. Gleichwohl darf diese neue Verknüpfung von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Steuerung nicht vorschnell als Epochenbruch überschätzt werden. Wenn etwa in Folge der Pandemie eine tiefgreifende Rezession folgt, die neben den ohnehin schon direkt existenziell betroffenen Branchen wie dem Gastgewerbe oder der Kulturwirtschaft insgesamt die Volkswirtschaft schwächt und dadurch die Gesellschaft weiter auseinanderdriftet, sind auch sozialpolitische Innovationen im Feld der integrierten Versorgung und Teilhabe älterer Menschen schwierig zu realisieren, denn diese sind zumeist von zusätzlichen finanziellen Unterstützungen abhängig (vgl. u. a. Dörre, 2020). Schon heute zeigen sich die Einschränkungen für die kommunalen Haushalte, denen durch die Corona-Pandemie die Steuereinnahmen wegbrechen, während die Ausgaben massiv ansteigen. Erforderlich sind für eine neugestaltete Politik aber starke öffentliche Institutionen, ein breiter gesellschaftlicher Diskurs und innovative Kooperationskulturen, um die Handlungsimpulse zu nutzen.

Derzeit steht die öffentliche Daseinsvorsorge bei nahezu allen im Bundestag vertretenen politischen Parteien und in der Öffentlichkeit hoch im Kurs. Die Gesundheitsversorgung und die Altenpflege werden wieder stärker als Kollektivgüter betrachtet, welche nicht dem Marktmechanismus sowie einer primär gesundheitsökonomischen Logik überlassen werden sollen. Gefordert sind aber nicht nur symbolische Bekundungen, wie wichtig öffentliche Infrastrukturen für die Überwindung von Krisen und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft sind. Es müssen politische Prioritäten zur Stärkung dieser Infrastrukturen umgesetzt werden. Vor Ort werden „Treiber“ für strategische Partnerschaften im Feld der integrierten Versorgung benötigt. Insbesondere für ältere Menschen sind quartiersnahe Versorgungsangebote – von der Prävention über die Beteiligung bis hin zur Pflege im eigenen Haushalt – attraktiv und steigern die Lebensqualität.

Erneuerungsstrategien haben bislang aber nur „Inseln“ geschaffen, was auch darin begründet liegt, dass intersektorale Kooperationen sowie die Koproduktion mit den Nutzern schwer zu organisieren sind. Die Digitalisierung und deren gegenwärtige Verknüpfung mit der Corona-Pandemie könnten einerseits als Beschleuniger wirken und die Fragmentierungen in diesem Sektor aufbrechen. Nicht zu unterschätzen sind andererseits das Beharrungsvermögen und die Eigeninteressen der etablierten Akteure sowie die sozioökonomischen Zersplitterungen, die durch die Corona-Pandemie verstärkt werden.