Diskriminierende, rassistische, antisemitische und sexistische Äußerungen wurden im öffentlichen Raum in der letzten Zeit wieder verstärkt  verlautbart. Die modernen Informationstechnologien und die damit einhergehenden Möglichkeiten der Kommunikation (Social Media, YouTube, Instagram, Messengerdienste) schaffen neue Möglichkeiten, um Einstellungen und Meinungen zirkulieren zu lassen, ohne die eigene Identität offen legen zu müssen. Dies mindert die Hemmschwelle zur Verbreitung von Hate Speech im Internet, sodass Hass im Netz einen unvergleichlich größeren Rezipientenkreis erreicht als dies früher über traditionelle Printmedien jemals möglich war.

Aber nicht nur digitale Medien haben zu einer Diskursverschiebung nach rechts beigetragen: Geschichtsrevisionistische Positionen, die heftigen Angriffe gegen Political Correctness oder auch die Publikation von Thilo Sarrazin Deutschland schafft sich ab im Jahr 2010 haben zu der Haltung „Das wird man ja noch sagen dürfen“ beigetragen. Damit erweiterte sich das Spektrum des Sagbaren durch verletzende, diskriminierende und gewaltsame Formen.Footnote 1 Nicht zuletzt hat die Partei Alternative für Deutschland (AfD), die in allen Landtagen und im Deutschen Bundestag vertreten ist und dort neben antidemokratischen Positionen auch offen und explizit rassistische Positionen vertritt, maßgeblich zu dieser Veränderung der öffentlichen Auseinandersetzung beigetragen (Butterwegge et al. 2019).

Die (politische) Bildungsarbeit bleibt von diesen Entwicklungen nicht unberührt. Politische Bildner*innen und Lehrkräfte fragen sich, wie sie sich gegenüber demokratiefeindlichen, diskriminierenden, rassistischen, antisemitischen oder rechtsextremen Positionen verhalten sollen, vor allem dann, wenn sie von Vertreter*innen demokratisch gewählter Parteien geäußert werden? Es herrscht derzeit einige Unsicherheit darüber vor, ob Bildung politisch „neutral“ sein müsse. Oder muss sich Politische Bildung nicht vielmehr normativ im Sinne von Menschen- und Grundrechten positionieren (Cremer 2019; Lösch 2019)? Welche Kritik ist in Seminaren der Jugend- und Erwachsenenbildung und im schulischen Unterricht erlaubt oder gar geboten? Wie kann auf der Basis kritischer Urteilsbildung politische Handlungsfähigkeit erlangt werden?

Entfacht wurde die um sich greifende Verunsicherung in der Bildungsarbeit durch etliche Aktivitäten der AfD. Nachdem die Partei in den Jahren nach 2015 thematisch vor allem die Fluchtmigration und Fragen der inneren Sicherheit fokussierte, konzentriert sie sich seit 2018 verstärkt auf die Bereiche der Zivilgesellschaft und Kultur (Küppers et al. 2019), der Antidiskriminierungsarbeit und auch der politischen Bildung (Sturm 2019).

Sie stellt im Bundestag und in den Landtagen Kleine und Große Anfragen, um die Finanzierung von politischer Bildung und von Demokratieförderprogrammen zu hinterfragen oder gar zu attackieren. Sie greift in wissenschaftliche Projekte und Kooperationen zwischen Universitäten und Schulen ein, wenn sie vermutet, dass hier eine kritische Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD stattfinde (Moll 2018).

Ein gewichtiger Anstoß zur Verunsicherung in der Bildungsarbeit lieferte die im Herbst 2018 von der AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft – gefolgt von weiteren Bundesländern – eingerichtete Internetplattform „Neutrale Schulen“. Mit diesen Plattformen sollen Schüler*innen (auch Eltern oder Lehrkräfte) dazu aufgerufen werden, Lehrer*innen zu melden und zu denunzieren, wenn sich diese kritisch gegenüber Aussagen, Inhalten und Personen der AfD äußern. Die AfD will mit diesen Portalen darüber hinaus eine rechtliche Beratung anbieten und behauptet, der „Beutelsbacher Konsens“ (BK) schreibe ein politisches Neutralitätsgebot vor. Dieser hat jedoch weder (verfassungs-)rechtliche Geltung – wie das Grundgesetz oder die Menschenrechte – noch impliziert er ein Neutralitätsgebot. Anders als auf der Internetseite behauptet, sucht man außerdem vergeblich nach dem Begriff „politische Neutralität“ im Grundgesetz, denn auch dieses kennt kein Neutralitätsgebot. Lediglich staatliche Institutionen im engeren Sinne (d. h. Amtsträger, Ministerien und Behörden) sind – insbesondere in bestimmten Kontexten wie Wahlkampfzeiten – dazu verpflichtet, eine „Chancengleichheit der Parteien“ sicher zu stellen. Aber auch daraus lässt sich kein Neutralitätsgebot für die politische Bildung und den Unterricht ableiten (Hufen 2019b; Eckertz 2019). Dennoch bewirkte die AfD mit ihren Melde- und Denunziationsplattformen ein Klima der Verängstigung und Beunruhigung.

Sie legitimiert ihr Vorgehen damit, denjenigen die Angst zu nehmen und das Recht zu geben, die sich bislang nicht trauten, solche Vergehen zu melden bzw. die eigene Meinung zu äußern und sieht in ihrem Vorgehen einen Beitrag im Kampf um freie Meinungsäußerung. Gleichzeitig provozierte sie auch zahlreiche Gegenreaktionen, die von rechtlichen und inhaltlichen Stellungnahmen, bis hin zu kreativen Aktionen von Lehrer*innen und Schüler*innen reichten. Auf der einen Seite ist vielfältiger Protest gegen die Praxis der AfD zu vernehmen. Zugleich bewirken diese Portale und das Auftreten der AfD im Internet eine weitere Diskursverschiebung und somit eine Veränderung des öffentlichen Raums.

Unsere Ausgangsthese zur Analyse der Auswirkungen für die politische Bildung ist, dass diese Meldeplattformen und der damit einhergehende Anspruch sachlich korrekter rechtlicher Beratung eine besondere Form der Beeinflussung der politischen Öffentlichkeit und Meinungsbildung darstellen. Sie verändern demokratische Werte, dienen der Denunziation und Diffamierung, verletzen den Schulfrieden sowie Persönlichkeitsrechte und können in diesem Sinne unserer Auffassung nach auch als spezifische Formen von Hate Speech eingeordnet werden.Footnote 2

Eine zweite These ist, dass die Behauptung der AfD, (politische) Bildung müsse neutral sein, nur deshalb eine derartige Wirkmächtigkeit entfalten konnte, da sie eingebettet ist in einen größeren Diskurs zur politischen Neutralität, der das Verhältnis von Staatlichkeit und politischer Bildung betrifft und somit die Frage der (Un-)Abhängigkeit einer demokratisch ausgerichteten politischen Bildung berührt. In einem ersten Schritt wollen wir diesen Diskurs nachzeichnen und aufzeigen, warum sich in der Gesamtbetrachtung eine demokratiegefährdende Gemengelage ergibt. In einem zweiten Schritt zeigen wir anhand von Praxisbeispielen (der jeweiligen Landesverbände und Fraktionen) der AfD auf, wie sie konkret vorgeht und welche Auswirkungen dies hat. Hierbei stellt sich auch die Frage, in welcher Tradition diese Portale stehen, welche Bezüge es z. B. zur Praxis des „Radikalenerlasses“ in Deutschland aus den 1970er Jahren gibt? Der dritte Abschnitt widmet sich den Reaktionen auf die Praxis der AfD. Abgerundet wird unser Beitrag durch die Frage, welche Konsequenzen aus all dem zu ziehen sind.

1 Parlamentarische Anfragen und Onlinemeldeplattformen als Mittel im Kulturkampf um die politische Bildung

Die AfD stellt in ihrer parlamentarischen Praxis im Deutschen Bundestag und in den Landtagen die politische Bildung grundsätzlich infrage, indem sie den Vorwurf erhebt, dass diese – schulisch oder außerschulisch – in einem hohen Maße geprägt sei durch linke Indoktrination und Verletzung des Neutralitätsgebotes. In insgesamt 319 Kleinen und Großen Anfragen (Stand: 15. Oktober 2019) befasste sich die AfD in den Landtagen und im Bundestag mit der schulischen und außerschulischen politischen Bildung, Demokratieförderung, Präventionsarbeit etc.

In diesen Anfragen, die als Bundestags- oder Landtagsdrucksachen eine weite Verbreitung erfahren, finden sich Vorwürfe und Unterstellungen, ebenso in den Reden, die im Bundestag oder in den Landtagen gehalten werden, oder auch in Pressemitteilungen und sonstigen Publikationen. Erwähnt wird die politische Bildung im Grundsatzprogramm der AfD lediglich an einer einzigen Stelle. Hier heißt es im Kapitel „Demokratie und Grundwerte“ (Alternative für Deutschland [AfD] 2016, S. 14–15): Spätestens seit den Verträgen von Schengen (1985), Maastricht (1992) und Lissabon (2007) habe sich die „unantastbare Volkssouveränität“, die eigentlich als Fundament unseres Staates fungieren solle, als Fiktion herausgestellt. Nicht die „unantastbare Volkssouveränität“ habe die politische Macht inne; es habe sich vielmehr eine „kleine, machtvolle, politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien“ etabliert. Diese habe klandestin die Rolle des „heimlichen Souveräns“ übernommen und sei für die Fehlentwicklungen verantwortlich. Diese „politische Klasse von Berufspolitikern“ sei nur daran interessiert, ihre Macht, ihren Status, ihr materielles Wohlergehen zu sichern. Es handele sich um ein „politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in (ihren) Händen hat.“ Lediglich das „Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland“ sei dazu in der Lage, einen solchen unhaltbaren und illegitimen Zustand zu beenden (AfD 2016, S. 15).

In dieser Passage kommen sehr deutlich die verschwörungstheoretischen Phantasien der AfD zum Ausdruck. Hier – wie auch in anderen Passagen der Programmatik – wird erkennbar, dass der Prozess der europäischen Integration mit den Meilensteinen Schengen, Maastricht, Lissabon als Sündenfall der Geschichte betrachtet wird. Die Übertragung nationalstaatlicher Souveränität auf supranationale Organisationen (EU-Kommission) ist aus Sicht der AfD nicht nur der Beginn der ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Dekadenz Deutschlands. Der Prozess der europäischen Integration führt – folgt man der Logik der AfD – auch dazu, dass die politische Bildung nur noch ein Instrument in den Händen der „politischen Klasse von Berufspolitikern“ sei. In Übereinstimmung damit hat die AfD (in den Parlamenten) der (formalen und non-formalen) politischen Bildung den Kampf angesagt, der im Zeichen der Digitalisierung auch mittels Onlineplattformen im Netz ausgetragen wird.

1.1 AfD und die Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens

In 54 Kleinen und Großen Anfragen (Stand 15. Oktober 2019) fungiert der sogenannte Beutelsbacher Konsens (BK) als Referenz. Zur Erläuterung: Mitte der 1970er Jahre haben sich – auf Einladung der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung – die zu dem Zeitpunkt einflussreichen politischen Bildner getroffen. Ausgangspunkt waren die mit sozialdemokratischer Handschrift formulierten Hessischen Rahmenrichtlinien zur politischen Bildung, die den konservativen Vertretern des Faches und den CDU regierten Bundesländern zu weit gingen. Diese Auseinandersetzung spiegelte die fachdidaktische Kontroverse zwischen konservativen, affirmativen versus links-liberalen, emanzipatorischen Ansätzen wider. Der BK war eigentlich kein ausgehandelter Konsens, sondern eine protokollarische Mitschrift der Tagung von Hans-Georg Wehling. In einem Aufsatz mit dem Titel „Konsens à la Beutelsbach?“ hielt er drei Grundsätze fest:

1. Überwältigungsverbot, 2. Kontroversitätsgebot, 3. Orientierung an den Interessen der Schüler*innen sowie die Operationalisierbarkeit dieser Interessen (Wehling 2016). Demnach dürfen Schüler*innen nicht durch die Meinung einer Lehrkraft überwältigt oder politisch indoktriniert werden. Was in der Wissenschaft und Öffentlichkeit diskutiert wird, sollte auch in der politischen Bildung kontrovers diskutiert werden. Ferner sollten sich die Themenfelder und Fragestellungen der politischen Bildung immer an der Lebenswelt und den Interessen der Schüler*innen orientieren und sie dazu befähigen, dass sie ihre Interessen in politisches Handeln überführen können. Es gibt immer wieder aktualisierte Fachdebatten zum BK, da dieser nicht in Stein gemeißelt ist und als Leitethos der Disziplin immer wieder kritisch reflektiert werden muss (Zorn und Widmaier 2016). Die AfD interessiert sich jedoch nicht für diese Fachdebatten, sondern sie instrumentalisiert und verkürzt diese Leitsätze. In zahlreichen Anfragen nimmt sie Bezug auf den BK und argumentiert wie folgt: Materialien und Workshops (Arbeitsblätter, Themenblätter), die im Unterricht eingesetzt werden, oder auch Vorträge und Lehrerfortbildungen, stünden in Widerspruch zum Kontroversitätsprinzip und Überwältigungsverbot.

Kritisiert wurden z. B. Arbeitsblätter zur AfD, u. a. des Schroedel-Schulbuchverlages (Westermann Gruppe), die im PGW-Unterricht eingesetzt werden, moniert wurde eine Lehrkräftefortbildung (am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung) unter dem Titel „Gefährliche Bürger – Wie die neue Rechte in die gesellschaftliche Mitte vorstößt und was die Gesellschaft dagegen tun kann“. Ins Zentrum der Kritik rückte auch das Themenblatt „Rechtspopulismus – Herausforderung für die Demokratie“ (Behrens und Breuer 2017), herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die AfD-Fraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz reichte eine Anfrage ein unter dem Titel „Fragen zur Einhaltung des Beutelsbacher Konsenses, Neutralitätsgebotes und Schulgesetzes“. Ins Fadenkreuz der Kritik geriet ein Workshop, bei dem Jugendliche eines Gymnasiums in Neustadt an der Weinstraße gemeinsam mit Flüchtlingen einen Tanzfilm produziert und vorgeführt haben (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2016a, b, 2018b, 2019).

Der BK wird vonseiten der AfD als Gesetz oder Richtlinie betrachtet, auf die man sich beziehen könne, um eine positive oder zumindest neutrale Darstellung der AfD im Bereich der politischen Bildung zu erwirken. Trotz der Stellungnahme einiger Fachverbände, die über die Historie, die Geltung und die Zielsetzung des BKs aufzuklären bemüht sind (GPJE/DVPB/DVPW-Sektion 2018)Footnote 3, hat die AfD mit ihrer Politik und irreführenden Behauptung deutliche Wirkung entfaltet. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen wurde der BK in der Praxis und auch in der Profession der Politikdidaktik teils als Neutralitätsgebot fehlinterpretiert, sodass die AfD an dieses Narrativ anknüpfen kann. Zum anderen leidet der BK an einer normativen Unbestimmtheit bzw. daran, dass seine Deutungsoffenheit in der Praxis und der Lehramtsausbildung selten reflektiert wird. Zwar kann der BK durch seine (relative) Offenheit der Leitsätze als Minimalkonsens von allen Seiten und politischen Strömungen anerkannt werden. Gleichzeitig richtete sich der BK und seine Maßgabe des Überwältigungsverbots aus historischen Gründen vor allem gegen linke Positionen und Lehrkräfte, denn er ist in den 1970er Jahren im Kontext der „Radikalenerlasse“, der Berufsverbote gegen politisch links orientierte Lehrkräfte und Beamt*innen, entstanden (Studt 2016).Footnote 4 Der BK hatte stets (auch) eine ideologische Funktion. So ging es z. B. darum, Ansprüche nach Emanzipation oder Demokratisierung als Überwältigung von Schüler*innen zurückzuweisen, indem der gesellschaftliche Status quo aufrechterhalten werden sollte. Er kann in diesem Sinne auch anders genutzt werden, etwa um tatsächliche Kontroversität einzufordern oder rechte und rechts-konservative Positionen als Überwältigung zu bezeichnen. Durch seine normative Unbestimmtheit lässt er sich für alle Richtungen nutzen, aber auch instrumentalisieren – eben auch oder gerade im Sinne autoritärer Politik.Footnote 5 Lehrkräfte sollen im Unterricht zwar parteipolitisch zurückhaltend und abwägend sein. Sie dürfen nicht für eine spezifische Partei werben oder sich unsachlich zu einer Partei äußern. Auch unsachliche Schmähkritik oder Diffamierungen gegenüber Parteienvertreter*innen verbieten sich. Lehrkräfte sind aber den Menschen- und Grundrechten verpflichtet. Antidemokratische, menschenverachtende Positionen haben im Unterricht und in der Schule keinen Platz. Die Debatte um politische Neutralität steht hier im Spannungsverhältnis und Widerspruch zu den Werten, die sich aus den Menschen- und Grundrechten ableiten. Die AfD verfügt allerdings über mehr mediale Präsenz als die kleinen Fachverbände und -diskurse der politischen Bildung, und sie nutzt ihre parlamentarische Position und die die sozialen Medien zur Verbreitung ihrer ideologischen Positionen (Butterwegge et al. 2019).

Das alleine wäre schon problematisch; hinzu kommt allerdings, dass die Forderung nach politischer Neutralität gleichzeitig auch von staatlicher Seite im Rahmen der Vergabe von Fördermitteln an außerschulische Bildungsakteure erhoben wird (Deutscher Bundestag/Wissenschaftlicher Dienst 2018). Daraus resultiert eine für die politische Bildung problematische Gemengelage, die massive Auswirkungen auf die demokratische Gesellschaft nach sich zieht. Bundes- und Landesministerien fordern im Rahmen ihrer Förderprogramme, etwa für Demokratieförderung und Extremismusprävention, eine ‚politische Neutralität‘ der Förderempfänger (Cremer 2019; Hufen 2019a, b; Klare und Gold 2019). Obgleich der BK für die Schule und den Unterricht formuliert wurde, sehen sich nun auch außerschulische Träger und Akteure der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung sowie der Demokratiebildung und Rechtsextremismusprävention damit konfrontiert. Staatliche Behörden wollen sich durch diese Klauseln in Zuwendungsbescheiden dahingehend absichern, dass nicht gegen das Gebot der „Chancengleichheit der Parteien“ (nach Artikel 21 Grundgesetz (GG)) verstoßen wird. Bislang gibt es keine eindeutige Rechtsprechung, aber einige juristische Gutachten und wissenschaftliche Stellungnahmen zu dieser Problematik (Landtag Brandenburg. Parlamentarischer Beratungsdienst 2018; Hufen 2019b). Eine weitere Bedeutung im Gesamtkontext politischer Neutralität hat die Aberkennung der „Gemeinnützigkeit“ von Vereinen, die politische Bildungsarbeit anbieten. Dieser Aspekt kann hier nicht weiter vertieft werden, gehört aber zur Gesamtbetrachtung der Neutralitätsdebatte.Footnote 6

1.2 AfD und die Onlinemeldeplattform „Neutrale Schulen“

In den letzten Jahren hat die AfD Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Lehrer*innen aus Aachen, Bremen, Hamburg und Bornas eingereicht (Knuth 2018; Tonne 2019). In Hamburg war die AfD mit dieser Strategie zum Teil auch erfolgreich. In einigen Fällen hat die Schulbehörde interveniert. Aus der Materialiensammlung der AfD, auch präsentiert in der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Alexander Wolf u. a. der AfD in der Hamburger Bürgerschaft (2018a), folgerte die AfD im Mai 2018, dass eine Onlinemeldeplattform eingerichtet werden solle.

Diese Ankündigung sorgte in Hamburg für viel Kritik unter Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen. So sollten Lehrer*innen denunziert werden, die „Hetze, Stimmungsmache und Falschbehauptungen“ gegen die AfD betreiben. Kritisiert wurde i dieses Vorhaben von Seiten der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), die einen Vergleich mit der NS-Zeit zieht (Knuth 2018), auch der Deutsche Lehrerverband kommentierte diesen Vorschlag mit „Aufruf zur Denunziation“ (Knuth 2018).

Alexander Wolf, zu dem Zeitpunkt noch schulpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, der mittlerweile aus der AfD ausgetreten ist, bezeichnete die Onlinemeldeplattform jedoch als „Kummerkasten für Eltern und Schüler“ – und das habe nichts mit Denunziation zu tun (AfD Kompakt 2018). Die Schulbehörde solle vielmehr das Neutralitätsgebot an den Hamburger Schulen und am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung konsequent durchsetzen: „Dazu gehört, einmal zu erklären, weshalb in der mit linken Parteibüchern durchsetzten Behörde immer noch ‚Methodentrainings zu rechtspopulistischen Parteien aller Art‘ angeboten werden. Man kann wohl sagen: ‚Getroffene Hunde bellen‘“ („Interaktive Plattform zur Stärkung demokratischer Meinungsvielfalt“ 2018).

Seit Beginn des Schuljahrs 2018/19 ist diese Meldeplattform online. Überschrieben ist die Seite mit „Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg“. Implizit wird mit dieser Überschrift die Aussage getroffen, dass es ein Defizit an Informationen zum Thema „neutrale Schulen“ gebe und dass an den Hamburger Schulen permanent die Neutralität verletzt werde. Insofern inszeniert sich die AfD als die Retterin der Neutralität der Hamburger Schulen.

Die AfD legitimiert ihre „Aktion ‚Neutrale Schulen‘“ auf der Internetseite durch Verweis darauf, dass sich Eltern und Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulleiter*innen und Behördenmitarbeiter*innen immer wieder an die AfD-Fraktion wenden, um über mutmaßliche Neutralitätsverstöße zu berichten. Zu diesen Verstößen zähle u. a. „plumpes AfD-Bashing“, „fehlerhaftes und unsachliches Unterrichtsmaterial“, „Pädagogen, die mit ‚FCK-AfD-T-Shirts‘“ auftreten oder auch Aufrufe zu Demonstrationen gegen die AfD. Dabei handele es sich keineswegs um ein „Kavaliersdelikt“, sondern dahinter verberge sich die Strategie, Schüler*innen „für parteipolitische oder weltanschauliche Ziele zu vereinnahmen“. Das „Über-/Unterordnungsverhältnis“ zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen, die Existenz von zahlreichen „Ideologieprogrammen“ an Hamburger Schulen, die den Schüler*innen angeblich vorschreiben, was sie denken sollen, oder auch „politische Indoktrination von staatlichen Behörden“ seien mit dem Grundgesetz und dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren. Daraus leitet die AfD ab, dass Dienstvorgesetzte zur Überprüfung von Neutralitätsverstößen verpflichtet seien und dass sie ggf. disziplinarische oder arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen Beamt*innen oder angestellte Lehrer*innen ergreifen müssten. Nachdem die AfD den Zustand an Hamburger Schulen in den düstersten Farben gezeichnet hat, kommt sie zu dem Schluss, dass diese „politische Indoktrination“ in erster Linie den Schüler*innen schade: Deren Urteilsfähigkeit werde beeinträchtigt und sie würden zu einem „erwünschten (politischen) Verhalten erzogen“. Auch wenn die Schüler*innen nicht der Indoktrination folgten, so seien sie aufgrund ihrer Angst vor Nachteilen, Anfeindungen und Repressionen nicht dazu in der Lage, ihre Meinung frei zu äußern. Ausgehend von dieser beängstigenden Schilderung des Alltags an Hamburger Schulen folgert die AfD: „Nur das Vertrauen in die strikte parteipolitische und weltanschauliche Neutralität der Schule in den Grenzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) schafft die Voraussetzungen für ein Schul- und Unterrichtsklima, in dem sich demokratische Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit entfalten kann.“

Der zweite Reiter auf der Internetseite erläutert „Rechtsvorschriften rund um das ‚Neutralitätsgebot‘“ und verweist auf die Artikel 3, 20 und 21 GG, das Hamburgische Schulgesetz und auf den Beutelsbacher Konsens. Durch den Rekurs auf die Verfassung suggeriert die Onlinemeldeplattform Verfassungstreue und Seriosität. Mit Blick in die jeweiligen Verfassungsartikel stellt sich jedoch die Frage, wie die AfD daraus eine Legitimation ihres Handelns ableiten will: In Artikel 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ In Artikel 20 ist festgeschrieben, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat sei und dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe. Und Artikel 21 beschreibt die Rolle der Parteien im Prozess der „politischen Willensbildung des Volkes“ im Sinne einer Mitwirkung.

Das Hamburgische Schulgesetz und der BK hingegen werden im Sinne der AfD dahingehend interpretiert, dass der BK implizit fordere, dass sich Schüler im Unterricht kontrovers und kritisch mit den Positionen von Parteien auseinandersetzen sollen. Der BK sehe vor, dass auch eine Auseinandersetzung mit der AfD erfolgen müsse. Diese müsse aber „gemäß Beutelsbacher Konsens stets kontrovers sein, und nicht einseitig oder abwertend.“ Hier wird deutlich, dass die AfD den BK – bewusst oder unbewusst, intendiert oder unintendiert – missinterpretiert. Keineswegs ist aus dem BK abzuleiten, dass die AfD „stets kontrovers (…) und nicht einseitig oder abwertend“ zu behandeln sei. Eine kritische Auseinandersetzung mit den politischen Parteien und konkret mit der AfD – auch im Rahmen des schulischen Unterrichts – kann im Sinne einer Förderung des demokratischen und europäischen Gedankens – auch zu der Einschätzung kommen, dass die AfD – oder zumindest Teile der AfD (wie die ‚Junge Alternative‘ oder ‚Der Flügel‘) – mit demokratischen Prinzipien nicht in Einklang zu bringen sind, dass diese Strömungen Menschenrechte ebenso missachten (wie das Recht auf freie Religionsausübung) wie Minderheitenrechte und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus befördern.Footnote 7 Demnach können und dürfen Lehrkräfte keineswegs unter Bezugnahme auf den BK dazu gezwungen werden, die AfD in einem positiven Licht – oder etwa als Bereicherung der Demokratie – darzustellen.

Lehrkräften ist nicht nur erlaubt, eigene Einschätzungen zu treffen, sofern sie sachlich begründet werden, sondern sie sind dazu verpflichtet, Prozesse der Demokratisierung im Rahmen des Unterrichts voranzutreiben – und in diesem Rahmen geht es um die Vermittlung von Menschen- und Minderheitenrechten, Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, Holocaust-Education und Menschenrechtserziehung.

2 Verbote der AfD Onlineplattformen „Neutrale Schulen“

Auf das Hamburger AfD Meldeportal folgten weitere. So existieren aktuell solche Portale in Brandenburg, BerlinFootnote 8, SachsenFootnote 9, Sachsen-AnhaltFootnote 10 und NiedersachsenFootnote 11. Verboten wurden die Portale in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Die Meldeportale variieren von Bundesland zu Bundesland: So sollten bei der Plattform in Baden-Württemberg die Namen von Lehrer*innen und Professor*innen nicht nur veröffentlicht werden; Schüler*innen und Student*innen wurden zudem dazu aufgefordert, Fotos hochzuladen. Stefan Räpple, für die AfD im Landtag, der für dieses Portal verantwortlich war, verwies darauf, dass es sich bei Lehrenden an Schulen und Hochschulen um Personen mit hoheitsrechtlichen Aufgaben handele („AfD-Landtagsabgeordneter stellt Meldeplattform gegen Lehrer online“ 2018).

3 Auswirkungen der AfD-Onlineplattformen – das Beispiel der Ida Ehre Schule in Hamburg

Zweifelsohne sorgten die Meldeportale für eine mediale Resonanz, es folgten Stellungnahmen der GEW, von Berufs- und Fachverbänden, des Deutschen Hochschullehrerverbands, Rechtsgutachten etc. Doch ungeachtet dieser medialen Wellen – was haben diese Meldeportale vor Ort bewirkt? Dieser Frage wollen wir am Beispiel der Ida Ehre Schule in Hamburg nachgehen.

Anfang März 2019 reichte die AfD-Fraktion im Hamburger Senat eine Schriftliche Kleine Anfrage ein, in der sie den Vorwurf „verfassungsfeindliche(r) linksextremistische(r) Aktivitäten an der Ida Ehre Schule unter Duldung des Lehrerkollegiums und der Schulleitung“ erhoben hat (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2019). Die AfD behauptete, dass sie mittels ihres Meldeportals von verfassungsfeindlichen Aktivitäten an der Ida Ehre Schule erfahren habe. Die 21-seitige Anfrage dokumentiert sehr ausführlich Sticker, Flyer, Plakate von Antifa-Gruppen (Antifa Altona Ost, Antifa 309 bzw. Antifa 223009) sowie der Gruppe „Ende Gelände“, die im Eingangsbereich der Schule und auch in den Klassenräumen der Ida Ehre Schule zu finden seien. Statt sich an den Schulleiter, an die Oberstufenleiterin oder an die Klassenlehrerin zu wenden, wurde die Schulaufsicht umgehend tätig, wie in der Antwort des Hamburger Senats auf die Kleine Schriftliche Anfrage erläutert wird.

Auf Nachfrage bei der Schule wurde jedoch deutlich, dass dort ein Projekt zu dem Thema „Sich einmischen – Kunst als kulturelle Kompetenz“ durchgeführt wurde. Zu dem Zweck wurden die Schüler*innen dazu aufgefordert, politische Propaganda von Parteien und Bewegungen als Diskussionsgrundlage einer Unterrichtseinheit zu sammeln. Diese Materialsammlung war somit Teil eines pädagogischen Projekts und der AfD-Vorwurf „Duldung linksextremer Umtriebe“ löste sich in Luft auf.

Diese ‚Causa Ida Ehre Schule‘ ließ folgendes deutlich werden: Vonseiten der AfD wurde der massive Vorwurf der verfassungsfeindlichen Aktivitäten und Netzwerke an einer Schule erhoben und der Hamburger Schulsenator Rabe kontaktierte weder die Kolleg*innen, um sich über die Hintergründe zu informieren, noch stellte er sich schützend vor die Lehrenden. Stattdessen entschied er sich dafür, die Schule von den Symbolen säubern zu lassen, sodass der Eindruck entstehen konnte, es sei Gefahr im Verzug und die AfD habe einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Linksextremismus an Hamburger Schulen geleistet.

Flankiert wurde diese Causa Ida Ehre Schule durch den Artikel im Hamburger Abendblatt, der in weiten Teilen der AfD-Argumentation folgte und auch das unverzügliche Handeln des Hamburger Senators als angemessen präsentiert. Bei diesem Duktus überrascht es auch nicht, dass der Initiator der Kleinen Anfrage, Alexander Wolf (AfD), das letzte Wort hat. Für ihn zeige der Vorfall „eindrücklich, wie Linksextremisten an einer Schule ungehindert ihre Ideologie verbreiten und Schüler für ihre gewaltorientierte Organisation rekrutieren“. Dem „links eingestellte(n) Lehrerkollegium“ fehle es an „Problembewusstsein“ und es mache sich mit der „verfassungsfeindlichen Ideologie des Linksextremismus gemein“ (Alexander Wolf zit. nach Meyer-Wellmann 2019).

Das Hamburger Beispiel zeigt, dass die AfD-Meldeportale dann wirklich gefährlich werden, wenn die verantwortlichen Bildungspolitiker*innen die geäußerte Kritik der AfD übernehmen und in Übereinstimmung damit handeln. In diesem Fall wäre es geboten gewesen, zunächst die Schule zu kontaktieren, um in Erfahrung zu bringen, in welchem Kontext solche Plakate, Flyer, Sticker gesammelt werden. Problematisch und gefährlich ist ein Alarmismus, der sich dadurch auszeichnet, dass Antifaschismus/Antirassismus als verfassungsfeindlich betrachtet wird. Dies ist Wasser auf die Mühlen des Kulturkampfes, den die AfD eingeläutet hat.

4 Kreativer und vielfältiger Protest gegen die Onlineplattformen „Neutrale Schulen“

Zahlreiche Schulen, Lehrkräfte und Schüler*innen haben vielfältige Protestformen und kreative Wege genutzt, um sich den Meldeplattformen und der Politik der Verunsicherung und Denunziation der AfD entgegenzustellen. Es kam zu kollektiven Selbstanzeigen (Wittig 2018; Speit 2018) und unter #MeinLehrerFetzt konnte eine Petition mit dem Titel „Meine Solidarität mit Lehrkräften, die demokratische Werte und Vielfalt vermitteln“ unterzeichnet werden (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft [GEW] 2018b). Schüler*innen organisierten Protestaktionen und Demonstrationen gegen den „AfD Lehrer Pranger“.Footnote 12 Neben den Stellungnahmen von Fachverbänden hat die GEW inhaltliche und rechtliche Beratung angeboten. Sie unterstützt ihre Mitglieder in personenbezogenen und datenschutzrechtlichen Fragen (GEW o. J., 2018a; vgl. ebenfalls Deutsche Vereinigung für politische Bildung 2019).

Obgleich etliche und sehr unterschliche Akteure sich mit guten Ideen und politischen Aktionen in die Debatte eingebracht haben, fällt auf, dass es an einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung und an einem offensiven statt reaktivem Vorgehen dennoch mangelt. Manche wichtige Handreichungen für Lehrkräfte verstärken im ungünstigsten Fall durch ihre Fallbeispiele, was eine Lehrkraft darf oder nicht darf, die Verunsicherung, denn sie bleiben im Neutralitätsdenken verstrickt (vgl. Mittnik et al. 2018; Wieland 2019). Dann geht es nur noch um die Frage, was noch erlaubt ist und die Politik der AfD hat bereits ihre Wirkung entfaltet. Die Handreichung des Instituts für Menschenrechte (Cremer 2019) nimmt eine andere Haltung ein, indem in der Borschüre zunächst analysiert wird, ob Bildung neutral sein kann. Dies wird in Bezug auf die Menschen- und Grundrechte negiert:

Geht es um die Thematisierung rassistischer und rechtsextremer Positionen, haben Lehrpersonen nicht nur das Recht, sondern gemäß den in den menschenrechtlichen Verträgen und im Schulrecht verankerten verbindlichen Bildungszielen auch die Pflicht, solche Positionen entsprechend einzuordnen und diesen zu widersprechen. (Cremer 2019, S. 21)

Bildung ist nicht neutral, und schon gar nicht wertneutral. Im Gegenteil, sie basiert auf Werten einer demokratisch verfassten Gesellschaft und Rechtsstaatlichkeit (Kultusministerkonferenz 2018; Waldmann 2019).

Der Staats- und Verwaltungsrechtler Lindner hat außerdem in einem Kommentar argumentiert, dass es im Falle der Meldeplattformen nicht nur um zivilrechtliche Fragen wie Datenschutz und Persönlichkeitsrechte gehe. Es sei vielmehr geboten, die demokratieschädigende Wirkung (z. B. die Störung des Schulfriedens) zu benennen und verwaltungsrechtliche Konsequenzen zu ziehen (Lindner 2018). Das mache auch eine öffentliche Debatte und Herangehensweise notwendig, anstatt die Problematik einzelnen betroffenen Personen, Einrichtungen und dem Zivilrecht zu überlassen.

Häufig findet sich in der Argumentation gegen die Onlineportale eine Bezugnahme auf die freiheitliche demokratische Grundordnung (FdGO) statt auf das Grundgesetz. Dabei sind das Grundgesetz und die Menschenrechte viel umfassender. Wenn selbst Fachverbände der politischen Bildung und der Politikwissenschaft nicht mehr reflexiv und analytisch zwischen FdGO und GG unterscheiden, dann minimiert auch dies das demokratische Grundlagenwissen in der Bevölkerung (Widmaier 2017; Schulz 2018).

5 Was sind notwendige Konsequenzen?

Es liegen mittlerweile einige Stellungnahmen und Empfehlungen vor. Diese sind bedeutsam und hilfreich für die Unterstützung der Lehrkräfte und der Schulen und sie dienen der gemeinsamen Verständigung und dem fachlichen Austausch. Es ist aber nicht nur die Aufgabe einzelner Lehrkräfte, Schulen, Bildungsträger und politischer Bildner*innen, sich mit dem Problem und den Angriffen der AfD auseinanderzusetzen. Es braucht vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich politische Öffentlichkeit, der Meinungs- und Willensbildungsprozess sowie demokratische Grundhaltungen und Strukturen durch derartige Politiken verändern.

Die AfD nutzt für ihr politisches Vorgehen, die politische Öffentlichkeit zu beeinflussen und auf ihr Recht zu pochen, gerne sämtliche juristischen und parlamentarischen Möglichkeiten. Als Reaktion darauf ist man selbst versucht, Recht einzufordern und nach juristischer Klärung zu rufen. In vielen politischen Themen und Kontroversen wird es aber keine juristische Eindeutigkeit geben. Recht und Rechtsauffassung sind immer auch eine Frage von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und gesellschaftspolitischen Prozessen der Meinungsbildung. Richter*innen und Staatsanwält*innen agieren nicht im luftleeren Raum, sondern die öffentliche Auseinandersetzung bildet die Grundlage dafür, welche Rechtsgrundsätze geschaffen werden und wie rechtlich entschieden wird. Das bedeutet: Die öffentliche politische Debatte ist das tragende Fundament einer demokratischen Gesellschaft und eines demokratischen (und sozialen) Rechtsstaates. Diskriminierende, rassistische, sexistische und antisemitische Auffassungen müssen ebenso entscheiden zurückgewiesen und kritisiert werden wie damit einhergehende antidemokratischen Formen der Denunziation, der Diffamierung und des Hate Speechs. Die Verletzung der Menschen- und Grundrechte sowie sämtliche Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (Ideologien der Ungleichwertigkeit) gehören nicht zum demokratischen Pluralismus. Zwar gilt hierzulande das oberste Gebot der Meinungsfreiheit, aber nicht jede inhaltliche Position steht in einer demokratischen Gesellschaft gleichberechtigt neben einer anderen.

Politische Bildung ist schon aufgrund ihrer historischen Entstehung und Bedeutung in Deutschland nicht neutral, sondern was sie braucht, um ihrem demokratischen Anspruch gerecht zu werden, ist politische Unabhängigkeit. Politische Bildung wurde in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus als Schulfach etabliert und im außerschulischen Bereich hat sich eine vielfältige Träger- und Akteurslandschaft etabliert, um zu einer Demokratisierung der Gesellschaft und des Staates beizutragen. Gegen dieses demokratische Prinzip der politischen Bildung führt die AfD, teils auch in Kooperation mit anderen Parteienvertretern, durch unterschiedliche Praktiken derzeit einen Kulturkampf und beschädigt unserer Auffassung nach zentrale Grundfundamente einer demokratischen Gesellschaft und Rechtsstaatlichkeit.

Politische Bildung muss aber darüber hinaus und ganz grundsätzlich inhaltlich unabhängig von staatlichen Behörden und Ministerien sein. Diese versuchen zunehmend über die Mittelvergabe öffentlicher Gelder zu steuern, woran sich politische Bildung auszurichten und wie sie vorzugehen habe (z. B. eher Präventions- statt Bildungsarbeit). Staatliche Fördergeber sollten keine Restriktionen an die politische Bildung weitergeben, sondern ihre Pluralität und demokratische Orientierung garantieren.Footnote 13 Das politikwissenschaftlich umstrittene Extremismusmodell (Oppenhäuser 2011), das Rassismus in der Mitte der Gesellschaft bestreitet sowie rechte Politik und Gewalt relativiert, müsste dahingehend aus schulischen Lehrplänen und öffentlichen Förderprogrammen gestrichen werden. Es gibt andere wissenschaftliche Expertisen und Ansätze, wie etwa die Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, mit Ideologien der Ungleichwertigkeit sowie mit Autoritarismus, die inhaltlich präziser sind und auf empirischen Fakten langjähriger wissenschaftlicher Studien basieren. Der Extremismusansatz fungiert in der Logik der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, um vermeintliche Gegner und Feinde der Demokratie zu identifizieren. Auch dieser Ansatz basiert auf der (Un-)Kultur der Beobachtung, der Bespitzelung und Überprüfung sowie der Prävention von Jugendlichen vor einem „extremistischen“ Verhalten. Daraus resultiert eine für eine demokratische Gesellschaft und für die politische Bildung problematische Herangehensweise. Jugendliche sind nicht per se ‚Gefährder‘, die man präventiv bearbeiten muss, sondern immer nur so demokratisch, wie die Gesellschaft es ihnen vorlebt. Politische Bildung hat hier die Aufgabe, eine Werkstätte von Demokratisierung zu sein (Hafeneger et al. 2018; Gill und Achour 2019). Wie das Beispiel der Ida Ehre Schule zeigt, führt eine extremismustheoretische Denk- und Vorgehensweise zu Unterstellungen und Falschbehauptungen, die oftmals mit dem Ruf nach obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen verbunden wird. Während diese Denkweise in die antidemokratische Politik der AfD passt, verhält es sich ganz anders, wenn man in der Bildungsarbeit mit konkreten Ideologien der Ungleichwertigkeit (Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Sexismus, Homophobie, Klassismus) arbeitet (Bundschuh 2014). Zu all diesen Ideologien hat die AfD in den letzten Jahren deutliches Agenda Setting betrieben. In der Auseinandersetzung mit diesen Ideologien kommt man um eine kritische Auseinandersetzung mit den Politiken der AfD nicht herum. Wenn dies in Lehrplänen und Förderprogrammen verankert wäre, würde dies zur Absicherung einer demokratischen Haltung von Lehrkräften, Schulen und politischen Bildner*innen maßgeblich beitragen und sie darin bestärken, sich kritisch mit diesen Ideologien, Denkweisen und Praktiken auseinandersetzen. Nur in ihrer Unabhängigkeit und der Ermöglichung von Kritikfähigkeit kann eine politische Bildung gewährleistet werden, die sich an demokratischen Grundrechten und Menschenrechten orientiert.