Seit dem Abschluss des Schengener Übereinkommens ist das Gewicht der Asyl- und Migrationspolitik für die EU erheblich angewachsen. Bis weit in die 1990er Jahre waren gemeinsame Aktivitäten auf diesen Feldern durch Verfahren zur intergouvernementalen Entscheidung gekennzeichnet: Vor allem die Innen- und Justizministerien der EU-Staaten verständigten sich über gemeinsame politische Initiativen und Regularien. Seit Ende der 1990er Jahre aber sind die Verfahren vergemeinschaftet, das heißt Mitgliedstaaten und die supranationalen Organe der EU entscheiden gemeinsam: Gesetzesvorhaben gehen ausschließlich von der Europäischen Kommission aus, sie werden vom Parlament und dem Rat der EU verabschiedet.

Ausgenommen von gemeinsamen Initiativen ist weiterhin das Feld der Arbeitsmigration. Die Forderung des 2009 in Kraft getretenen Lissaboner Vertrags nach der Entwicklung einer EU-Einwanderungspolitik blieb weitgehend folgenlos. Der einzige Bereich, in dem sich in diesem Feld eine Abkehr von dem Primat der nationalen Politik ergab, bezieht sich auf hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten: Wegen des großen internationalen Wettbewerbs um diese Gruppe setzten die EU-Mitgliedstaaten auf gemeinsame Aktivitäten.

Der Rückblick auf die Verhandlungen zum Schengener Abkommen 1985, zum Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 sowie die folgenden nationalen und zwischenstaatlichen Debatten um die Umsetzung der Regelungen lässt eines deutlich werden: Je länger diskutiert und je intensiver neue Weltvorstellungen wie insbesondere „Globalisierung“ und „Migration“ Auffassungen über die Gegenwart und die Zukunft der Staatengemeinschaft prägten, desto größeren Regelungsbedarf sahen die beteiligten Staaten in den grenz- und migrationspolitisch motivierten Ausgleichsmaßnahmen des Durchführungsübereinkommens: Weil „Schengen“ erhebliche Risiken mit sich zu bringen schien, müssten zunächst durch die deutlich vermehrte polizeiliche Zusammenarbeit sowie durch eine Intensivierung der Überwachung der Außengrenzen die Kontrollkapazitäten deutlich erhöht werden. Erst danach könne die Öffnung der Binnengrenzen erfolgen.

Die beschlossenen Ausgleichsmaßnahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens führten zu deutlich mehr Personal an den Außengrenzen. Der Grenzschutz blieb zwar Aufgabe der Einzelstaaten. Allerdings werden diese durch die 2004 gegründete EU-Grenzschutzagentur Frontex unterstützt. Deren Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten wuchsen kontinuierlich an: Verfügte sie 2006 über ein Budget von 19 Mio. EUR, waren es 2018 320 Mio. EUR. Zentrale Aufgabe von Frontex ist die Sammlung von Daten über Kriminalität über Staatsgrenzen, den Schmuggel von Personen und Waren sowie die grenzüberschreitende Bewegung von Menschen, die nicht über Aufenthaltstitel verfügen. Diese Daten sollen analysiert, Ergebnisse für die Mitgliedstaaten aufbereitet, Konzepte für den Grenzschutz entwickelt, Forschung initiiert, Grenzschutzaktivitäten koordiniert und nationale Grenzpolizeien unterstützt werden. Um die operativen Fähigkeiten von Frontex erweitern zu können, sollen in den kommenden Jahren vermehrt eigene EU-Grenzschutzbeamte an den Außengrenzen aktiv werden (Bossong 2019). Frontex ist Kennzeichen einerseits der gewachsenen Bedeutung der Vorstellung von der Notwendigkeit der Sicherung der Außengrenze, andererseits aber auch der Bereitschaft, die Mitgliedstaaten zu entlasten, die an der Außengrenze Sicherungsmaßnahmen für die gesamte EU übernehmen. Frontex ist aber auch ein Zeichen dafür, dass die Länder Kerneuropas nicht in allen Fällen davon überzeugt sind, dass die Staaten an den Außengrenzen diese effizient genug überwachen (Fink 2018, S. 22–79).

In den Kontext der Verstärkung der Überwachung der Außengrenzen gehört auch deren vermehrte Technisierung und Digitalisierung, weshalb auch von einer „e-Border“ oder von „technological borders“ gesprochen wird (Dijstelbloem et al. 2011, S. 1, 5). An der zunächst vor allem im sicherheitspolitischen Fokus stehenden Schengen-Ostgrenze (aber auch an den Flughäfen) kamen seit 1993 verstärkt Geräte zur Prüfung von Dokumenten und Gepäck sowie Wärmebild- und Überwachungskameras zum Einsatz. Sie sollten Menschen, die über keine oder gefälschte Einreisepapiere verfügten oder jenseits von Kontrollstellen bzw. versteckt in Fahrzeugen einzureisen versuchten, von einem Grenzübertritt abhalten. Seither hat sich die Infrastruktur zur Überwachung der Grenzen erheblich verändert und verstärkt: durch den Einsatz von Drohnen, Flugzeugen und Satelliten, aber auch durch die sehr viel schnellere Verarbeitung von immer mehr Daten im Rahmen verschiedener Schengen- bzw. EU-Informationssysteme, die als „Digitalisierung des Grenzregimes“ beschrieben werden kann („Schengener Informationssystem“, „Visa-Informationssystem“, „Eurodac“) (Marin 2011).

Jenseits der Aktivitäten an den und vor den Außengrenzen vermehrte sich das Kontrollaufkommen im Binnenland. Grenzschutz verlagerte sich von der Grenzlinie zum Grenzraum, der das gesamte Territorium eines Staates bzw. die Schengen-Staaten insgesamt umfasst. Hierzu zählen Maßnahmen wie die „Schleierfahndung“, die Kontrollen weit vor den Grenzen im Binnenland etwa an wichtigen Verkehrswegen ermöglicht. Auch die intensivierte grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der Schengen-Staaten ist auf den gesamten Schengen-Raum und nicht auf die Grenzlinie selbst ausgerichtet. Außerdem werden vermehrt private Akteure in das Grenzregime eingebunden: Bereits seit Ende der 1980er Jahre schrieben einzelne Staaten, Beförderungsunternehmen – und hier vor allem Fluggesellschaften – vor, Personaldokumente vor dem Antritt einer Reise in den Schengen-Raum zu prüfen. Im Falle eines Transports von Menschen mit ungültigen Papieren müssen die Unternehmen die Kosten für den Rücktransport übernehmen und Strafzahlungen leisten. Diese Verpflichtung fand Eingang in das Schengener Durchführungsübereinkommen (Laube 2010; Menz 2010).

Die Herausbildung einer Migrations- und Grenzpolitik im Schengen-Raum und in der EU lässt in der durch eine weitreichende Heterogenität migrationspolitischer Vorstellungen geprägten Staatengemeinschaft vor allem zwei Spannungsfelder sichtbar werden. Sie bewegt sich erstens zwischen den Polen einerseits eines supranationalen Vereinheitlichungsstrebens und andererseits der Wahrung nationaler Autonomie, die sich höchstens zu einer Abstimmung untereinander ohne Abgabe von Souveränitätsrechten bereitfindet, sowie zweitens zwischen der Durchsetzung als universell gültig verstandener Menschenrechte und den Prämissen innerer Sicherheit. Migrations- und Asylpolitik gelten in den Mitgliedstaaten zumeist als für die Innen- und nationale Identitätspolitik hochgradig sensible Bereiche, in denen die Beschränkung nationaler Souveränität besonders bedrohlich wirkt angesichts offenbar grenzenloser, weil menschenrechtlich definierter Ansprüche von Schutzsuchenden. Gemeinsame Interessen zu markieren und gemeinsame Regelungen zu entwickeln, gelang in den vergangenen Jahren deshalb vor allem dort, wo eine Verstärkung von Kontrollen und der Restriktionen des Zugangs nach Europa verfolgt wurde. Demgegenüber blieb die vielfach angemahnte Teilung von Verantwortung bei der Aufnahme von Schutzsuchenden weitgehend aus – wie in den späten 2010er Jahren die intensiven Debatten um die Seenotrettung im Mittelmeer, den Umgang mit Schutzsuchenden in Lagern am Rande der EU oder eine gescheiterte Weiterentwicklung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vielfach verdeutlichten.