Um den Erkenntnisstand zu individuellen Bedarfen Jugendlicher in ihrer beruflichen Orientierung zu erweitern – eine wesentliche Intention dieser Arbeit –, bedarf es einer ausdifferenzierteren Betrachtung des Entwicklungsprozesses. In diesem Kapitel werden daher ausgewählte theoretische Modelle vorgestellt, die die berufliche Orientierung in differenzierbare Stadien bzw. Phasen unterteilen, um allgemeingültige Prozesse beruflicher Entwicklung abzubilden. Ziel dieses Kapitels ist, zu veranschaulichen, wie in Abhängigkeit differierender Phasen spezifische Unterstützungsbedarfe entstehen, die ihrerseits wiederum zur Heterogenität der Bedarfe der Jugendlichen beitragen.

Dafür werden im ersten Teilkapitel (4.1) fünf Modelle im Einzelnen erläutert. Wie ersichtlich werden wird, unterscheiden sich die ausgewählten Modelle in drei zentralen Punkten. Erstens nehmen die Modelle unterschiedliche Perspektiven ein, z. B. eine entscheidungstheoretische oder entwicklungspsychologische Sicht. Zweitens beschreiben sie verschiedene Zeitpunkte innerhalb der beruflichen Entwicklung: Einige Modelle fokussieren die berufliche Orientierung in der Adoleszenz, andere beschreiben auf diesen Kontext bezogene Spezifika innerhalb des Erwachsenenalters. Drittens differieren die Modelle in den betrachteten Bereichen beruflicher Entwicklung. Dabei kann der Fokus beispielsweise auf den präferierten Unterstützungsmaßnahmen (Pelka, 2010a) oder der Strukturierung beruflicher Entscheidungsprozesse (Gati & Asher, 2001b) liegen.

Das zweite Teilkapitel (4.2) stellt die Modelle in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden gegenüber. Auf diese Modellvorstellungen wird zudem in Kapitel 6 zurückgegriffen, um die Auswahl des Thüringer Berufswahlkompetenzmodells (Driesel-Lange et al., 2010) als theoretische Grundlage der empirischen Studien in Kapitel 10 bis 12 zu erläutern. Wie ersichtlich wird, fokussieren dieses sowie das folgende Kapitel 5 den Entwicklungsprozess der beruflichen Orientierung (Perspektive auf die Jugendlichen).

1 Theoretische Modelle differenzierter beruflicher Entwicklung

Die Versuche, das Berufswahlverhalten durch eine allgemeingültige Aufteilung in relevante Entwicklungsziele und -phasen einzuteilen, reichen bis zu den Anfängen der professionellen Berufsberatung Anfang des vergangenen Jahrhunderts zurück. Parson (1909) definierte bereits drei Schritte der Berufswahl, die sich im Wesentlichen als 1) das Erlangen von Selbstwissen, 2) das Sammeln von Kenntnissen der Arbeitswelt und ihrer Voraussetzungen und schließlich 3) das Abgleichen beider Bereiche zusammenfassen lassen. Seitdem wurde eine Vielzahl an weiteren Modellen entwickelt. Dabei lassen sich zwei wesentliche Modellarten differenzieren, nämlich berufswahlbezogene TypologienFootnote 1 und phasen- bzw. prozessorientierte Modelle.

Supers (1957, 1980, 1990) Laufbahntheorie ist nicht nur eines der frühen Modelle, welches Phasen der beruflichen Laufbahn und damit der beruflichen Entwicklung distinguiert, sondern zeigt auch die (Weiter-)Entwicklung laufbahntheoretischer Überlegungen eines halben Jahrhunderts auf. Dies lässt sich vor allem anhand der Veränderungen darlegen, die Super an seinem Modell vorgenommen hat und anhand derer das sich verändernde wissenschaftliche Verständnis beruflicher Entwicklung nachgezeichnet werden kann. Frühe Modelle basierten auf der Annahme, dass Phasen altersabhängig und chronologisch durchlaufen werden (vgl. Smart & Peterson, 1997). Super definierte initial fünf sogenannte life stages, nämlich Wachstum, Exploration, Etablierung, Erhaltung und Abbau (Herzog et al., 2006). Die Adoleszenz stellt dabei eine Phase dar, in der die Berufswahl als Teil der Identitätsbildung eine bedeutende Rolle einnimmt (Super, 1990). Super integrierte in sein Modell die Erkenntnis kontextueller, einflussnehmender Variablen in Form von Rollen, die Individuen im privaten und beruflichen Bereich einnehmen und die den individuellen Lebensstil beeinflussen (Super, 1985). Später aufkommende, auf Supers Laufbahntheorie aufbauende theoretische Modelle, wie die konstruktivistische Laufbahntheorie (Savickas, 2005, 2011), haben darüber hinaus die Dynamik zwischen Individuum und Umwelt aufgenommen und das Entstehen von Laufbahnen auch als Ergebnis eines Austauschs mit und Reaktion auf die Umgebung beschrieben (Savickas, 2005, 2011). Auch der Gedanke diskontinuierlicher Berufswahlprozesse, in denen Individuen in ihrer beruflichen Laufbahn zu einzelnen Phasen „zurückspringen“ und diese in einem iterativen Prozess wiederholen, wurde von Super in sein Modell implementiert und seitdem in verschiedenen Modellen berücksichtigt (Smart & Peterson, 1997). Des Weiteren wurden Phasen und Entwicklungsprozesse der Berufswahl u. a. auch von Super (1990) von spezifischen Alterssegmenten entkoppelt und in stärkeren Bezug zu phasentypischen Entwicklungsaufgaben gestellt (vgl. Smart & Peterson, 1997). Durch die beschriebenen Anpassungen in der berufswahlbezogenen Theorie wurde die interindividuelle Varianz stärker fokussiert, die berufliche Entwicklungsprozesse charakterisiert (Köck, 2010).

Im Folgenden werden fünf Modelle exemplarisch beschrieben. Die Auswahl der Modelle erfolgte einerseits aufgrund ihres Phasenansatzes, andererseits aufgrund ihrer unterschiedlichen Perspektiven und betrachteten Handlungs- und Entwicklungsbereiche.

Phasenmodell der Berufswahl von Herzog et al. (2006)

Herzog et al. (2006) haben das idealtypische Phasenmodell von Heinz (1984, 1985) weiterentwickelt. Ihr Modell bildet die berufliche Entwicklung mit Beginn der Kindheit über den Prozess der Berufswahl und Berufsbildung bis zum Eintritt in das Erwerbsleben ab (siehe Abbildung 4.1). Dabei integrieren sie sechs Perspektiven auf die Berufswahl, nämlich die differentialpsychologische und typologische Perspektive, die entwicklungspsychologische Perspektive, die transitionstheoretische und ökopsychologische Perspektive, die lernpsychologische Perspektive, die sozialisationstheoretische Perspektive und schließlich die entscheidungstheoretische Perspektive (Herzog et al., 2006). Wie bereits zu Beginn des Teilkapitels erläutert, stellt die Berufswahl aus der differentialpsychologischen und typologischen Sicht heraus, die auch Hollands (1997) RIASEC-Modell zugrunde liegt, vornehmlich einen Zuordnungsprozess dar. Wie Herzog et al. (2006) beschreiben, stellt dabei das Wissen um die eigenen Fähigkeiten und Interessen sowie um die Anforderungen eines Berufs die wesentliche Voraussetzung für diesen Matching-Prozess dar. Dieser mündet im besten Falle in einer „optimalen Berufsleistung“ (Herzog et al., 2006, S. 15) und beruflicher Zufriedenheit. Der differentialpsychologischen und typologischen Sicht fehlt, wie Herzog et al. (2006) kritisch anmerken, der Blick auf den Entwicklungs- und Entscheidungsprozess.

Abbildung 4.1
figure 1

Das Sechs-Berufswahlphasenmodell von Herzog et al. (2006)

Der dynamische und prozesshafte Charakter der beruflichen Entwicklung wird durch die entwicklungspsychologische Perspektive aufgenommen. Bereits ab der Kindheit entwickeln Individuen Berufspräferenzen, die u. a. im Abgleich zwischen der eigenen geschlechts- und sozialstatusbezogenen Identität und der Geschlechtskonnotation bzw. dem Prestige eines Berufs begründet sind (Gottfredson, 1981, 2002, siehe Teilkapitel 3.2). In einem Abgleichungsprozess endogener und exogener Möglichkeiten nähern sich die Heranwachsenden über Stationen der Traum- und Wunschberufe schließlich einer realistischen Berufswahl an. Aus der entwicklungspsychologischen Sicht bedarf eine begründete Berufswahl neben kognitiven Fähigkeiten zudem Planungs- und Entscheidungskompetenz sowie ein gefestigtes Selbstkonzept (Herzog et al., 2006).

Die transitionstheoretische Perspektive betrachtet den Übergang von einer Entwicklungsphase in die nächste. Dabei stellen die Phasen selbst länger andauernde Entwicklungsplateaus und die Übergangsphasen kurze, intensive Sequenzen des Wandels dar (Herzog et al., 2006). Herzog et al. (2006) spezifizieren daher in ihrem Modell konkrete Ereignisse, die das Ende einer Phase bzw. den Beginn einer neuen Phase einläuten, wie beispielsweise die Entscheidung für eine konkrete Ausbildung. Die transitionstheoretische Perspektive wird durch die ökopsychologische Perspektive ergänzt, die in der Transitionsphase den Blick auf den Wechsel von Kontexten lenkt (Oerter & Dreher, 2008). Im Rahmen beruflicher Entwicklung durchleben Jugendliche beispielsweise einen institutionellen Kontextwechsel beim Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung oder in die Hochschule.

Das Sechs-Phasenmodell von Herzog et al. (2006) übernimmt zudem die Annahme, dass berufliche Entwicklung als sozialer Lernprozess angesehen werden kann, in dem Jugendliche – auch unter Einfluss des sozialen Umfelds – berufswahlrelevante Kompetenzen und Erfahrungen erwerben und diese gleichzeitig auf neue, berufsbezogene Aufgaben anwenden müssen. Die Modellautor*innen benennen fünf spezifische Aufgaben, die es für die Jugendlichen in den ersten vier Phasen zu bewältigen gilt. Diese Aufgaben können mit entsprechenden Kompetenzen übereinandergelegt werden. Der Erwerb berufswahlrelevanter Ressourcen und Kompetenzen ist in diesem Modell jedoch nicht konkretisiert. Jugendliche sollen sich demnach des Status ihrer Berufswahl und dessen Bedeutung bewusst werden. Weiter sollen sie die Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln, sich den Aufgaben der Berufswahl zu stellen. Darin spiegelt sich eine motivationale Komponente der beruflichen Orientierung. Eine weitere Aufgabe stellt die emotionale Balance in schwierigen Situationen der Berufswahl dar. Die letzte Aufgabe stellt die Entwicklung eines zufriedenstellenden Selbstkonzepts sowie der Erhalt des Kontrollgefühls dar.

Der Beginn der ersten Phase – der diffusen Berufsorientierung – ist in der Kindheit zu verorten, wie bereits Super (1980, 1990), Mitchell und Krumboltz (1990) und Gottfredson (2002) dargelegt haben (vgl. auch Abschnitt 3.2). In dieser Phase entwickeln Kinder Traumberufe auf Basis beobachteter Rollen und Vorbilder. Diese Traumberufe stehen noch nicht im Zusammenhang mit den eigenen Fähigkeiten und Interessen (Wannack, Herzog & Neuenschwander, o. J.). Außerdem basieren sie nicht auf Präferenzen hinsichtlich der Tätigkeitsprofile der genannten Berufe (Herzog et al., 2006). Der Übertritt in die nächste Phase beginnt mit der ernsthaften Beschäftigung mit der eigenen beruflichen Zukunft. In der zweiten Phase, der Konkretisierung, grenzen die Heranwachsenden interessens- und fähigkeitsgeleitet die beruflichen Möglichkeiten auf eine für sie in Frage kommende Auswahl an Wunschberufen ein. Dabei nimmt auch das soziale Umfeld Einfluss. Nach dieser ersten Eingrenzung sollen Jugendliche in dieser Phase verstärkt konkrete Informationen zu den verbleibenden Wunschberufen suchen. Die Phase endet mit der Formulierung eines konkreten Berufswunschs.

In der dritten Phase steht die Suche nach einem Ausbildungsplatz im Vordergrund. Dabei erleben die Jugendlichen zugleich Abgleichungsprozesse zwischen ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten und den in den Berufen geforderten Profilen. Die Rückmeldungen der Betriebe während des Bewerbungsprozesses stellen für die Jugendlichen auch einen Realitätscheck hinsichtlich der Umsetzbarkeit ihres Berufswunschs dar. Die Phase endet mit einer positiven Zusage für eine Ausbildung bzw. ein Studium. Die vierte Phase im Berufswahlprozess steht nach Herzog et al. (2006) im Zeichen der Konsolidierung der Berufswahl. In dieser der eigentlichen Entscheidung nachgelagerten Phase wird die getroffene Berufswahl noch einmal kritisch evaluiert. Im Falle, dass sich die Person für eine Ausbildung bzw. ein Studium entschieden hat, die nicht ihrer ersten Wahl entsprach, wird diese Alternative nun für sich selbst und vor anderen argumentativ als wünschenswerter und sinnvoller Teil in die eigene Biografie integriert (Herzog et al., 2006). Dieser konstruktivistische Prozess findet sich auch im Life Designing Konzept wieder (Savickas et al., 2009, siehe Abschnitt 5.2).

In der fünften Phase – der Berufsbildung – nehmen die Jugendlichen ihre Ausbildung bzw. ihr Studium auf und setzen damit ihre berufliche Entscheidung um. Diese Phase bewerten Herzog et al. (2006) als kritischste, denn inwiefern die hier zuvor getroffene Berufswahl als gelungen anzusehen ist, zeigt sich in der Durchführung bzw. im Abbruch der Ausbildung. Ein Abbruch des Studiums bzw. der Ausbildung kann zur Wiederholung der zweiten und dritten Phasen führen. Die sechste und letzte Phase des Modells beginnt mit dem Ausbildungsabschluss und dem Eintritt in das reguläre Arbeitsleben (Wannack et al., o. J.).

Phasenmodell der Berufswahl von Neuenschwander und Hartmann (2011)

Wie die Entwicklungen berufswahltheoretischer Modelle zusammenhängen und aufeinander aufbauen können, zeigt sich besonders deutlich an dem folgenden Beispiel. Neuenschwander und Hartmann (2011) haben die beruflichen Entscheidungsprozesse von Schweizer Jugendlichen aus einer entscheidungstheoretischen Perspektive heraus untersucht. Aufbauend auf dem gerade beschriebenen Sechs-Phasenmodell von Herzog et al. (2006) entwickelten sie ihrerseits ein Modell mit fünf Berufswahlphasen. Ihr Modell fokussiert dabei die berufliche Entwicklung innerhalb des Schweizer Bildungssystems, in dem die Mehrheit der Jugendlichen in eine berufliche Ausbildung mündet (SKBF, 2018), und beschreibt ausschließlich den Berufswahlprozess im Sinne einer Ausbildungsplatzsuche. Der nachschulische Übergang in eine Ausbildung bzw. das Übergangssystem wird aufgrund der entscheidungstheoretischen Perspektive nicht besprochen. Entsprechend stehen entscheidungsbestimmende Kontextfaktoren sowie die von Jugendlichen genutzten Entscheidungsstrategien im Vordergrund (Neuenschwander & Hartmann, 2011). Neuenschwanders und Hartmanns (2011) Modell basiert auf der von Simon (1993) beschriebenen Theorie der begrenzten Rationalität (bounded rationality). Angewandt auf die Berufswahl bedeutet „gebundene Rationalität“ (Neuenschwander & Hartmann, 2011, S. 42), dass Jugendliche ihre Entscheidung aufgrund der Komplexität der Berufswahl nicht ausschließlich auf Basis berufsbezogener Informationen treffen. Vielmehr lassen sich die Heranwachsenden durch Ratschläge von Vertrauenspersonen und positiven Emotionen, die sie mit berufsbezogenen Situationen verbinden, leiten und beeinflussen (Neuenschwander & Hartmann, 2011). Der Entscheidungsprozess verläuft demnach nicht rein rational, sondern wird zusätzlich durch zweckmäßige Überlegungen gesteuert (Neuenschwander & Hartmann, 2011). Den Einfluss zeitökonomischer Überlegungen (z. B. die geografische Nähe) auf die Entscheidung für bzw. gegen den Besuch einer Berufsschule, konnten Rahn et al. (2014) in ihrer Panelstudie zeigen. Wie in Abbildung 4.2 dargestellt, durchlaufen Jugendliche nach Neuenschwander und Hartmann (2011) in ihrer beruflichen Entscheidung fünf konsekutive Phasen.

Abbildung 4.2
figure 2

Das Berufswahlphasenmodell von Neuenschwander und Hartmann (2011)

Dabei nutzen sie als Entscheidungsstrategien insbesondere die Information und Beratung durch Vertrauenspersonen und die praktische Erkundung beruflicher Tätigkeiten. Ausgehend von einem themen- oder tätigkeitsbezogenen Interesse konkretisieren die Jugendlichen in den ersten vier Phasen Schritt für Schritt ihre beruflichen Anschlusspläne. Über informelle Gespräche mit Vertrauenspersonen aus ihrem Bezugsfeld gleichen Jugendliche in der ersten Phase ihre Interessen mit Merkmalen verschiedener Berufe ab. Über Kurzpraktika explorieren sie berufliche Alltagssituationen. Das Ziel der ersten Phase ist erreicht, wenn erste berufliche Optionen konkretisiert wurden. Die Bedingungen der in der ersten Phase entwickelten beruflichen Optionen werden in der zweiten Phase mit den eigenen Voraussetzungen, u. a. mit den eigenen Schulnoten, abgeglichen. Hier zeigt sich ein impliziter Einfluss von Boudons (1974) Primäreffekten, denn die erbrachten Leistungen weisen auf einen Schulabschluss hin, der wiederum das Feld der in Frage kommenden Berufe einschränkt. Aus dem Interesse an Berufen entwickelt sich in dieser Phase ein Interesse an konkreten Ausbildungen. In der dritten Phase übersetzen die Heranwachsenden dieses Interesse in die Suche nach und Bewerbung auf konkrete Ausbildungsplätze. In der vierten Phase werden ihre Bewerbungen durch die angesprochenen Ausbildungsbetriebe evaluiert. Durch den Selektionsprozess konkretisiert sich die Berufswahl weiter. Der Entscheidungsprozess endet mit der fünften Phase, in der die Jugendlichen schließlich eine positive oder negative Rückmeldung auf ihre Bewerbung erhalten. Neuenschwander und Hartmann (2011) haben ihr Phasenmodell als optional iteratives Modell angelegt, in dem einzelne oder mehrerer Phasen wiederholt werden können, zum Beispiel aufgrund von Absagen durch Betriebe.

Typologie der Berufsfindung und Berufsidentität nach Fend (1991)

Aufbauend auf den Erkenntnissen von Watermann (1985) und Marcia (1980, beide zitiert nach Fend, 1991) hat Fend (1991) eine Typologie der Berufsfindung und Berufsidentität entworfen. Dabei unterscheidet er vier Typen, die jeweils in ihrem Ausprägungsgrad der Berufswahlsicherheit und der Intensität ihrer berufswahlbezogenen Exploration divergieren (siehe Abbildung 4.3). Der Beschreibung der vier Typen vorweggenommen sei die Anmerkung, dass Fend (1991) zwar von einer Typologie der Berufs- und Identitätsfindung spricht, die vier im Folgenden beschriebenen Typen jedoch auch als Phasen eines zweidimensionalen Modells beschrieben werden könnten, das die Berufswahlsicherheit und die berufswahlbezogene Exploration umfasst. Eine diffuse berufliche Identität (identity diffusion, Typ 1) haben demnach Jugendliche, die nur wenig berufsbezogen explorieren und gleichzeitig eine gering ausgeprägte Berufswahlsicherheit aufweisen. Die Suchenden (Moratorium, Typ 2) verfügen ebenfalls über eine geringe Sicherheit hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft, jedoch explorieren sie ihre beruflichen Möglichkeiten intensiv. Die Festgelegten (foreclosure, Typ 3) zeigen nur eine geringe Erkundungstätigkeit; sie haben sich frühzeitig hinsichtlich ihrer Berufswahl festgelegt und verfügen daher über eine hohe Berufswahlsicherheit. Die Entschiedenen (identity achievement, Typ 4) zeigen zugleich eine hohe Explorationsaktivität sowie eine ausgeprägte Sicherheit hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft (Fend, 1991).

Abbildung 4.3
figure 3

Typologie der Berufsidentitätsfindung nach Fend (1991)

Für eine dem Modell immanente, phasenbezogene Betrachtung der beruflichen Identitätsbildung spricht zudem, dass die Berufsidentitätstypen, wie Fend (1991) herausstellt, Ergebnisse interner „Reifungsprozesse“ (S. 90) der Jugendlichen, ihrer Kompetenzen, aber auch externer Gegebenheiten sind. Er betont weiter, dass aufgrund ihrer unterschiedlichen Stadien beruflicher Identität differierende Bedarfe entstehen, die durch verschiedene Unterstützungsformen adressiert werden sollen. Damit plädiert Fend bereits Anfang der Neunziger Jahre für eine bedarfsorientierte Förderung Heranwachsender in ihrer beruflichen Orientierung.

Phasenmodell zur Berufsorientierung von Pelka (2010a, 2010b)

Das Phasenmodell von Pelka (2010a, 2010b) wurde im Rahmen einer empirischen Studie mit dem Ziel entwickelt, die berufswahlbezogenen Suchinteressen Jugendlicher zu identifizieren und berufsorientierende Maßnahmen entsprechend kategorisieren zu können. Eine Verschränkung zu anderen, bereits bestehenden Modellen der beruflichen Orientierung besteht nicht. Wie die Abbildung 4.4 grafisch verdeutlicht, beschreibt das Modell von Pelka (2010a, 2010b) die Präferenzen der Jugendlichen in ihrer berufswahlbezogenen Informationssuche in drei Phasen. In deren Verlauf nimmt die Präferenz für individuelle Gespräche im engen familiären Umfeld zugunsten von Angeboten im öffentlichen Raum sukzessive ab. Mit dem Fortschreiten der Phasen verzeichnet sich zudem eine wachsende Fachspezifik auf der inhaltlichen Ebene der Angebote.

Abbildung 4.4
figure 4

Das Phasenmodell in Anlehnung an Pelka (2010b)

Die erste Phase stellt eine Orientierungsphase dar, in der die Jugendlichen erste Informationen im Rahmen eines Frage-Antwort-Dialogs suchen. Dieser individuelle Dialog findet insbesondere im privaten Umfeld statt und schließt inhaltlich stark an die Lebenswelt der Jugendlichen an. Diese Angebote individueller Beratung im privaten Bereich nutzen insbesondere Heranwachsende, die sich am Anfang ihres Berufswahlprozesses befinden bzw. die über eine geringe Entscheidungssicherheit hinsichtlich eines Berufs verfügen (Pelka, 2010b).

Die zweite Phase steht im Zeichen einer tiefergehenden Informationssuche. Obwohl auch sie weiterhin im „soziale[n] Nahbereich“ (Pelka, 2010b, S. 46) der Jugendlichen vollzogen wird, steht eine Beratung mit stärkerem Fach- und Praxisbezug anstelle einer hohen privaten Vertrautheit im Vordergrund.

In der dritten Phase befinden sich vermehrt Jugendliche, die bereits einen konkreten Beruf avisieren und über eine hohe Entscheidungssicherheit verfügen. Gemäß dem Modell nutzen sie bevorzugt Informations- und Beratungsangebote mit starkem Fach-, Berufs- und Praxisbezug, wie Vorträge und Messen, oder recherchieren im Internet. Diese berufsorientierenden Angebote finden folglich im öffentlichen Raum statt. Die Möglichkeit der Einzelberatung tritt dabei in den Hintergrund (Genrich & Pelka, 2011). Wie Pelka (2016) beschreibt, bildet das Phasenmodell keinen linearen Entwicklungsprozess ab. Im Laufe der beruflichen Entwicklung können einzelne Phasen übersprungen oder wiederholt werden. Im Rahmen einer beruflichen Neuausrichtung ist auch die Wiederholung des gesamten Phasenmodells denkbar (Pelka, 2016).

Drei-Stufen-PIC-Modell nach Gati und Asher (2001a)

Das Drei-Stufen-PIC-Modell von Gati und Asher (2001a) ist ein Modell für die Beratungspraxis, das den beruflichen Entscheidungsprozess fokussiert und in drei aufeinander folgende Stufen aufteilt. Diese Stufen werden als Vorsortierung (prescreening), vertiefende Exploration (in-depth exploration) und Auswahl (choice) bezeichnet. Das PIC-Modell basiert auf der Entscheidungstheorie (Bell, Raiffa & Tversky, 1988, zit. n. Gati & Asher, 2001b). Ziel dieses dreistufigen Prozesses ist es, die Komplexität der Entscheidung zu reduzieren, um eine spezifische berufliche Wahl gezielt und systematisch aus der Masse an beruflichen Alternativen herauszufiltern. Im PIC-Modell lässt sich eine differenzialpsychologische Perspektive identifizieren, denn eine der Hauptannahmen des Modells ist es, dass berufliche Optionen möglichst gut zu den Fähigkeiten und Fertigkeiten des Individuums passen sollen. Durch die Aufteilung in drei Entscheidungsstufen soll dieser Matching-Prozess vereinfacht werden, indem der Fokus der zu verarbeitenden Informationen auf jeweils unterschiedliche Aspekte gelenkt wird. Die Entscheidungskriterien werden in mehreren Iterationen eingegrenzt, spezifiziert und nach Bedeutung geordnet. Im Folgenden werden die in Abbildung 4.5 illustrierten Stufen beschrieben.

Abbildung 4.5
figure 5

Das PIC-Modell nach Gati und Asher (2001a)

In der ersten Stufe, der Vorsortierung (prescreening), soll aus allen initial bestehenden beruflichen Optionen anhand weniger, zuvor definierter Kriterien eine Auswahl an potentiell zutreffenden Möglichkeiten ausgewählt werden. Die Auswahlkriterien werden anhand der Fähigkeiten, Interessen und Wertvorstellungen des Individuums sowie der Anforderungen an die beruflichen Optionen, beispielsweise die Länge der Ausbildung oder das Gehalt, definiert (Gati & Asher, 2001b). Für jeden einzelnen Aspekt, zum Beispiel das Gehalt, bestimmt die Person einen akzeptablen Kompromissbereich zwischen der optimalen Ausprägung und der gerade noch akzeptablen Ausprägung (Gati & Asher, 2001b). Die erste Stufe endet mit einer kritischen Überprüfung der erzielten Vorauswahl, um sicherzustellen, dass zum einen die richtigen Auswahlkriterien gewählt wurden und dass zum anderen keine beruflichen Optionen zu schnell ausgeschlossen wurden. Eine optionale Wiederholung der einzelnen Schritte ist im Modell explizit angedacht. In der zweiten Stufe findet eine vertiefende Exploration der vielversprechendsten Alternativen statt (Gati & Asher, 2001b). Ziel dieser Phase ist die Auswahl der beruflichen Optionen, die nicht nur vielversprechend sind, sondern auch bestmöglich zu den Fähigkeiten, Interessen und Erwartungen des Individuums passen. Dafür werden weitere Informationen zu den verbleibenden beruflichen Optionen gesucht und diese in Hinblick auf verschiedene Passungskriterien überprüft, wie die Realisierungschancen oder die Kompatibilität zwischen den eigenen Fähigkeiten und den beruflichen Anforderungen. Die Entscheidungsphase endet wieder mit einer Überprüfung der bisherigen Auswahl, um sicherzustellen, dass alle geeigneten Alternativen berücksichtigt wurden (Gati & Asher, 2001b). In der dritten Stufe trifft das Individuum die Entscheidung für die passbeste Option. Im Rahmen dieser Stufe soll auch der Entscheidungsprozess an sich reflektiert und die Umsetzung der Entscheidung geplant und vorbereitet werden. Ein Resultat des Reflexionsprozesses kann auch die Entscheidung dafür sein, mehrere berufliche Optionen zeitgleich zu verfolgen (Gati & Asher, 2001b). Dabei kann es sich beispielsweise um die Bewerbung für verschiedene Ausbildungsgänge oder an verschiedenen Ausbildungsinstitutionen handeln.

Der explizite Fokus des PIC-Modells liegt in der Begleitung des Entscheidungsprozesses. Die für die berufliche Entscheidung relevanten Kompetenzen, wie Selbstwissen oder Berufswissen, und deren Entwicklung werden folglich nicht beleuchtet. Des Weiteren ist die konkrete Umsetzung der getroffenen Entscheidungen nicht Teil des Modells.

2 Zusammenfassung und Fazit

Das Kapitel beleuchtet theoretische Modelle differenzierter beruflicher Entwicklung. Dabei zeigten sich zwischen den vorgestellten Modellen sowohl Überlappungen bzw. Überschneidungen als auch zentrale Unterschiede.

Den fünf vorgestellten Modellen gemeinsam ist die Unterteilung des berufswahlbezogenen Entwicklungsprozesses in differenzierbare Stadien bzw. Phasen. Die Berufswahl bzw. berufliche Entwicklung werden dabei jedoch aus verschiedenen Perspektiven heraus betrachtet. Während das Drei-Stufen-PIC-Modell von Gati und Asher (2001a, 2001b) auf einem entscheidungstheoretischen Ansatz fußt und eine differentialpsychologische Perspektive einnimmt, in der die Passung von Interessen und Fähigkeiten zu beruflichen Tätigkeiten fokussiert wird, nimmt Fend (1991) eine entwicklungspsychologische Perspektive ein, indem er von „Reifeprozesse[n]“ (S. 90) spricht. Zugleich bettet er diese Reifeprozesse zumindest implizit in das kontextuelle Umfeld ein (Fend, 1991). Auch das Phasenmodell von Neuenschwander und Hartmann (2011) setzt einen entscheidungstheoretischen Schwerpunkt. Multiple Perspektiven integriert das Sechs-Phasenmodell von Herzog et al. (2006), indem u. a. differentialpsychologische, entwicklungspsychologische, transitionstheoretische, lernpsychologische, sozialisationstheoretische und entscheidungstheoretische Erkenntnisse berücksichtigt werden (Herzog, Neuenschwander & Wannack, 2004; Herzog et al., 2006). Das Phasenmodell von Pelka (2010a, 2010b) ist das einzige der hier beschriebenen Modelle, welches sich nicht explizit auf eine theoretische Schule stützt. Zwischen Pelkas (2010a, 2010b) Phasenmodell und dem Sechs-Phasenmodell von Herzog et al. (2006) besteht jedoch auf der zweiten Betrachtungsebene, nämlich dem betrachteten Abschnitt der beruflichen Entwicklung, eine Gemeinsamkeit. Beide Modelle, ähnlich wie das Phasenmodell von Neuenschwander und Hartmann (2011), skizzieren einen längeren Zeitraum der beruflichen Orientierung in der Adoleszenz. Neuenschwander und Hartmann (2011) haben ihr Modell indes spezifisch auf das Schweizer Bildungssystem ausgerichtet. Auch Fends (1991) Modell bezieht sich auf das Jugendalter. Jedoch ist das Modell von Herzog et al. (2006) das einzige, das nicht nur die Entwicklung eines konkreten Berufswunschs beschreibt, sondern beginnend mit der Kindheit über die Phasen beruflicher Entwicklung im Jugendalter auch den Eintritt in die berufliche Ausbildung und das sich daran anschließende Erwerbsleben abbildet. Im Kontrast zu den anderen vier Modellen beziehen sich Gati und Asher (2001a, 2001b) mit ihrem Konstrukt auf das Erwachsenenalter.

Schließlich zeigte sich, dass die Modelle nicht nur unterschiedliche (zeitliche) Abschnitte beruflicher Entwicklung betrachten, sondern zudem differierende Schwerpunkte in Hinblick auf die betrachteten Bereiche setzen. Während Fend (1991) die Identitätsbildung als Voraussetzung beruflicher Entscheidungen anhand des Explorationsverhaltens und der Berufswahlsicherheit in vier Ausprägungen differenziert, nimmt das Phasenmodell von Pelka (2010a, 2010b) als einziges Modell die sich verändernden Informationspräferenzen der Jugendlichen und die passenden berufsorientierenden Unterstützungsmaßnahmen in den Fokus. Sowohl Gatis und Ashers Modell als auch Neuenschwanders und Hartmanns Modell betrachten den Selektions- und Entscheidungsprozess beruflicher Optionen. Gati und Asher (2001a, 2001b) wählen dabei einen aufgabenbezogenen Zugang, während Neuenschwander und Hartmann (2011) die inneren Prozesse der Jugendlichen im Zuge der Ausbildungsplatzsuche in Stadien unterteilen. Das Sechs-Phasenmodell von Herzog et al. (2006) definiert als einziges Modell konkrete Momente, die den Abschluss bzw. Übergang zur nächsten Phase markieren, und integriert sowohl die (frühe) Berufsfindung als auch deren Umsetzung und den Eintritt in das Erwerbsleben. Damit erlaubt das Modell am ehesten einen ganzheitlichen Blick auf die berufliche Entwicklung. Jedoch wird der diskontinuierliche Charakter berufswahlbezogener Prozesse im Sinne von Phasensprüngen und -wiederholungen hier nicht berücksichtigt.

Allen Modellen gemeinsam ist die Feststellung, dass jede Phase beruflicher Entwicklung implizit oder explizit mit zu bewältigenden Aufgaben verbunden wird. Aus den sich ergebenden phasentypischen Aufgaben lassen sich entsprechend heterogene Bedarfe von Jugendlichen ableiten, die sich in unterschiedlichen Phasen befinden. Somit muss der Blick auf die heterogenen Voraussetzungen um jenen auf die individuelle berufliche Phase ergänzt werden. Fend (1991) formuliert sogar einen heterogenen Bedarf passender Unterstützungsformate. Kritisch angemerkt werden muss, dass das Fehlen eines Instruments zur empirischen Überprüfung und Weiterentwicklung die beschriebenen Modelle mehrheitlich verbindet. Diese stellt nach M. S. Richardson (2017) allerdings eine zentrale Voraussetzung dar, um in der Praxis positive Veränderungen in der Unterstützung Jugendlicher bewirken zu können.

Mit Ausnahme von Pelkas (2010a, 2010b) Modell implizieren die vorgestellten Modelle den Erwerb bzw. das Vorhandensein von selbst- und berufswahlbezogenem Wissen und Kompetenzen, um die dargestellten, phasentypischen Aufgaben bewältigen zu können. Jedoch werden weder die benötigten Kompetenzen noch der Prozess des Kompetenzerwerbs beleuchtet. Daher sollen im folgenden Kapitel, nach einer begrifflichen Einordnung berufswahlrelevanter Kompetenzen und Ressourcen, entsprechende theoretische Modelle vorgestellt und miteinander verglichen werden.