Im Nachfolgenden werden die Ziele, die Motivation und der wissenschaftliche Beitrag sowie die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit zusammengeführt. Daran anschließend werden die Resultate der vier empirischen Studien unter Bezugnahme auf die relevanten Theorien und die aktuelle empirische Befundlage diskutiert und eingeordnet. In diesem Kontext werden auch die Stärken und Grenzen der vorliegenden Arbeit erläutert. Ferner werden Überlegungen zu zukünftigen Forschungsarbeiten sowohl in Bezug auf theoretische Fragestellungen und empirische Forschungsdesiderate als auch mit Blick auf inhaltliche Fragestellungen entfaltet. Die Gesamtdiskussion schließt mit einer Erläuterung der Implikationen dieser Arbeit für die pädagogische Praxis im Konkreten und den erweiterten Kreis der Akteur*innen beruflicher Orientierung im Allgemeinen.

1 Ziele, Motivation und wissenschaftlicher Beitrag

Ziel dieser Arbeit war es, die Heterogenität von Jugendlichen in ihrer beruflichen Orientierung theoriegeleitet und systematisch in ihrer Multidimensionalität zu erfassen, empirisch zu analysieren und in ihrer Bedeutung für die schulische Maßnahmenplanung darzustellen. Entsprechend der in Kapitel 3 erläuterten Befundlage zu Bildungs- und Berufschancen und -entscheidungen (Beicht & Walden, 2019; OECD, 2014; Schneider et al., 2017) sowie dem in Kapitel 6 vorgestellten Berufswahlkompetenzmodell von Driesel-Lange et al. (2010) standen sowohl für die theoriegeleitete Erfassung als auch für die empirische Analyse demografische, leistungs- und entwicklungsbezogene Aspekte im Vordergrund. Ausgangspunkt der vorgestellten Arbeit war insbesondere die Motivation, empirisch basierte Ansatzpunkte für eine bedarfsorientierte Unterstützung Jugendlicher im schulischen Kontext zu schaffen. In diesem Zusammenhang wurde in Kapitel 2 die bedeutende Rolle von Schulen im Entwicklungsprozess beruflicher Orientierung von Heranwachsenden dargestellt. Dabei zeigte sich, dass Informationsdefizite hinsichtlich der Effekte berufsorientierender Maßnahmen für Schulen eine der zentralen Herausforderungen in der Ansprache individueller Bedarfe sind (Ohlemann et al., 2016). Ein wesentlicher Beitrag der vorliegenden Arbeit zur Berufswahl- und Laufbahnforschung liegt daher in der systematischen Untersuchung demografischer und leistungsbezogener Faktoren und ihrem intersektionalen Einfluss auf die Wahrnehmung berufsorientierender Maßnahmen seitens der Jugendlichen.

In Kapitel 3 wurde das Erfordernis dargelegt, die individuellen Voraussetzungen der Jugendlichen auch in ihren intersektionalen Einflüssen als einen der Bezugspunkte von Heterogenität sichtbar zu machen. Geschlechts- und herkunftsbedingte Chancenungleichheiten im Bildungssystem sowie in der Berufswahl und Laufbahn können anhand verschiedener Theorien (Boudon, 1974; Bourdieu, 1982; Gottfredson, 1981, 2002) erklärt und durch empirische Studien (Becker & Lauterbach, 2016; Beicht & Walden, 2014; Steinritz et al., 2016) belegt werden. Wenngleich für nicht-individualisierte Maßnahmen nur geringe Effekte empirisch nachzuweisen sind (Ratschinski & Struck, 2016; Whiston et al., 2017), werden Unterschiede in der Wahrnehmung von berufsorientierenden Maßnahmen häufig nur in Hinblick auf einzelne Merkmale, beispielsweise dem Geschlecht, analysiert (Balin & Hirschi, 2010; Ratschinski et al., 2017). Die Studie in Kapitel 9 zeigt, dass die berufliche Orientierung der Schüler*innen in Abhängigkeit ihres persönlichen Hintergrunds sowie in Kombination der verschiedenen persönlichen Faktoren mit der jeweils besuchten berufsorientierenden Maßnahme variiert. Folglich konnte mit der Studie empirisch belegt werden, dass für eine bedarfsorientierte Maßnahmenplanung die Heterogenität der persönlichen Voraussetzungen der Jugendlichen berücksichtigt werden muss.

Anknüpfend an die individuellen Voraussetzungen stellt die Analyse der beruflichen Entwicklung, insbesondere der Berufswahlkompetenz, einen weiteren Schwerpunkt dieser Arbeit dar. Denn die erfolgreiche Erfüllung berufswahlbezogener Aufgaben wird durch entsprechende Kompetenzen bedingt (Driesel-Lange et al., 2020; Savickas, 2001). Wie in Kapitel 2 außerdem sichtbar wurde, stellt die Nutzung diagnostischer Instrumente in den einzelnen Landeskonzepten bis dato kein verpflichtendes Element dar (vgl. dazu Schröder, 2015), um innerhalb der Schulen den individuellen Entwicklungsstand der Schüler*innen und ihre daraus resultierenden Unterstützungsbedarfe zu identifizieren. Weiter wurde in Kapitel 2 dargelegt, dass Schulen u. a. aufgrund fehlender diagnostischer Kompetenzen der Lehrkräfte (Schnebel, 2017) und knapper zeitlicher Ressourcen (Ohlemann et al., 2016) eine Möglichkeit der vereinfachten Diagnostik beruflicher Entwicklungsstände benötigen, um darauf aufbauend die individuellen Bedarfe adressieren zu können. Ein weiterer Beitrag dieser Arbeit zur Berufswahlkompetenzforschung liegt in der Konstruktion und Untersuchung eines entsprechenden Normwerts der Berufswahlkompetenz als Ausgangspunkt schulischer Diagnostik.

Auf der Grundlage der in Kapitel 2 erläuterten Schlussfolgerung, dass eine vollständig individualisierte Unterstützung, im Sinne eines Individualplans, derzeit nur schwer umsetzbar ist (Ohlemann et al., 2016; Rose & Beutner, 2015), lag ein weiterer Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Identifikation von Schüler*innengruppen, deren Berufswahlkompetenzfacetten strukturell und quantitativ ähnlich entwickelt sind. Ziel dieser latenten Analysen war eine evidenzbasierte Datenlage zur Binnendifferenzierung in Schulen. Bereits in früheren, variablenzentrierten Analysen konnten verschiedene Personencluster gefunden werden, die sich untereinander anhand ihrer Kompetenzausprägungen unterscheiden (Driesel-Lange & Kracke, 2017; Kaak et al., 2015; Ohlemann & Driesel-Lange, 2017). Jedoch basieren variablenbezogene Auswertungsverfahren nicht auf einem modellbasierten Ansatz. Im Vergleich dazu gelten personenzentrierte Auswertungsverfahren als qualitativ hochwertiger, da diese die Identifizierung stabilerer Subgruppen aus den latenten Datenmustern ermöglichen (Magidson & Vermunt, 2002). Einen zentralen Beitrag zum aktuellen Forschungsstand sowie zur Binnendifferenzierung im schulischen Kontext liefert die vorliegende Arbeit daher mit der Ergänzung variablenzentrierter Befunde durch personenbezogene Resultate. In Kapitel 11 wurde bezugnehmend auf das Berufswahlkompetenzmodell von Driesel-Lange et al. (2010) mittels latenter Profilanalysen (LPA) der Berufswahlkompetenzstand Jugendlicher am Ende der Sekundarstufe I auf systematische Muster hin untersucht. Die vier identifizierten Profile dienten als Ausgangspunkt der längsschnittlichen Analysen in Kapitel 12. Denn es bedarf, wie es u. a. Driesel-Lange und Kracke (2017) formuliert haben, einer Analyse der individuellen Entwicklungsprozesse, um darauf aufbauend unterstützende Maßnahmen effektiv gestalten und den individuellen Berufswahlkompetenzerwerb entsprechend begleiten zu können. Durch die Methode der latenten Transitionsanalysen (LTA) konnte in Kapitel 12 eine längsschnittliche Perspektive geschaffen werden. Zwei Vorteile bietet die LTA gegenüber anderen längsschnittlichen Analyseverfahren. Erstens basiert das Verfahren auf der Annahme von Wachstumsstadien anstelle eines stetigen Wachstums (Nylund, 2007). Zweitens werden in diesem Verfahren interpersonell differierende Wachstumsbewegungen implizit angenommen (Graham et al., 1991). Somit gibt die vorgelegte Arbeit einen ersten Einblick in die diskontinuierlichen Verläufe des Berufswahlkompetenzerwerbs verschiedener Schüler*innengruppen. In der Konsequenz wird das Verständnis von beruflichen Entwicklungsprozessen in der Adoleszenz erweitert und Anlass geboten, bestehende Modelle auf die Ergänzung eines diskontinuierlichen Phasenverlaufs hin zu prüfen.

2 Zusammenfassung der Befunde

Studie 1.

Die empirische Studie in Kapitel 9 brachte drei zentrale Erkenntnisse hinsichtlich der beruflichen Orientierung von Jugendlichen zu Tage. Erstens zeigten sich in Abhängigkeit verschiedener persönlicher Merkmale signifikante Unterschiede hinsichtlich der wahrgenommenen beruflichen Orientierung. Jungen schätzen sich im Durchschnitt als besser vorbereitet ein, als dies Mädchen tun (β = −.08 bis −.09.). Autochthone Schüler*innen fühlen sich besser vorbereitet als ihre Mitschüler*innen mit Migrationshintergrund. Der Einfluss des Migrationshintergrunds stellte sich im Vergleich zu dem des Geschlechts als stabiler und größer heraus (bis zu β = .14). Ein geringer, jedoch statistisch signifikanter Effekt konnte auch für den positiven Zusammenhang zwischen guten Schulleistungen und der wahrgenommenen beruflichen Orientierung (β = .06 bis .12) festgestellt werden. Zweitens wurde deutlich, dass der Besuch jeder der hier untersuchten berufsorientierenden Maßnahmen in einem positiven Zusammenhang mit der beruflichen Orientierung der Jugendlichen steht. Jedoch wurden zwischen den Maßnahmen Unterschiede hinsichtlich ihrer Effektstabilität sichtbar. Insgesamt war ihr Einfluss auf die berufliche Orientierung jedoch größer als der Einfluss der untersuchten persönlichen Merkmale. Drittens konnte ein differierender Einfluss der berufsorientierenden Maßnahmen aufgrund einzelner, persönlicher Merkmale sowie aufgrund intersektionaler Einflüsse festgestellt werden. Es zeigte sich, dass die intersektionalen Einflüsse stark zwischen den Maßnahmen differieren.

Studie 2.

In Kapitel 10 wurde die Konstruktion eines komplexitätsreduzierenden Normwerts zur Diagnostik von Berufswahlkompetenz (BWK) dargestellt. Die Studie zeigt, dass mittels eines aggregierten BWK-Kernwerts drei Gruppen mit ähnlichen Entwicklungsmustern gebildet werden können, die jeweils in ihrem übergreifenden Kompetenzniveau differieren. Auch zeigte sich, dass die drei Gruppen in Hinblick auf alle zwölf Berufswahlkompetenzfacetten, die in dem Normwert zusammengefasst sind, klar voneinander differenzierbar sind. Schließlich konnte gezeigt werden, dass für diese Stichprobe Rückschlüsse anhand des BWK-Kernwerts auf den Entwicklungsstand einzelner BWK-Facetten möglich sind.

Studie 3.

Mit den empirischen Analysen in Kapitel 11 wurde die Betrachtung eines zentralen Berufswahlkompetenzwerts mit dem Ziel einer übergreifenden Entwicklungseinschätzung durch latente Profilanalysen zur Binnendifferenzierung in der Maßnahmenzuteilung ergänzt. Den theoretischen Vorannahmen entsprechend konnten vier Berufswahlkompetenzprofile identifiziert werden, die qualitativ als auch statistisch voneinander differenzierbar sind. Rund 13 % der Schüler*innen in der Stichprobe hatten ein einfach ausgeprägtes Kompetenzprofil (die Unkonkreten), ca. 41 % ein durchschnittlich ausgeprägtes Kompetenzprofil (die Konkretisierenden) und wiederum ca. 35 % der Jugendlichen zeigten ein stark ausgeprägtes Kompetenzprofil (die Fortgeschrittenen). Diese drei Profilgruppen folgen einem ähnlichen Muster hinsichtlich der Ausprägung der einzelnen Berufswahlkompetenzfacetten, unterscheiden sich aber in ihrem Gesamtniveau. Das vierte Profil (die Fokussierten), dem ca. 10 % der Stichprobe zugeordnet ist, weicht vollständig von diesem gemeinsamen Muster ab. Des Weiteren wurde die Profilgruppenzugehörigkeit hinsichtlich des Geschlechts und des Alters untersucht. Es ergab sich entsprechend der theoretischen Erwartungen und vorangegangenen empirischen Studien eine altersunabhängige Verteilung auf die einzelnen Profilgruppen. Entgegen der aus der aktuellen Befundlage abgeleiteten Annahme waren auch die Geschlechter innerhalb der vier Gruppen in etwa gleich verteilt. Schließlich zeigte sich, dass Schüler*innen mit konkreten Berufswünschen häufiger über eine ausgeprägte Berufswahlkompetenz verfügen.

Studie 4.

Die in Kapitel 12 erläuterte längsschnittliche Studie schließt an die Analysen der vorangegangenen Kapitel zu Berufswahlkompetenz logisch an. Die Studie zeigt, dass der Berufswahlkompetenzerwerb von Schüler*innen in Hinblick auf den zeitlichen Verlauf und das erreichte Gesamtniveau äußerst heterogen verläuft. Anhand der latenten Transitionsanalysen konnten insgesamt 27 unterschiedliche Bewegungen festgestellt werden, die die Wechsel der Jugendlichen zwischen den in Kapitel 11 determinierten Profilgruppen beschreiben. Weiter zeigte sich, dass diesen Bewegungen fünf grundsätzliche Verlaufsmuster zugrunde liegen. Rund 22 % der Stichprobe erreichten am Ende der zwei Schuljahre ein höheres Berufswahlkompetenzprofil (Upward Movers), ca. 15 % kehrten nach einem ersten Wechsel wieder auf ihr initiales Berufswahlkompetenzniveau zurück (Returning Movers), bei ca. 4 % der Jugendlichen zeigte sich kein klares Bewegungsmuster (Diffuse Movers). Im Widerspruch zu den theoretischen Annahmen verblieben rund 43 % der Schüler*innen während der zwei beobachteten Schuljahre dauerhaft in ihrer Ausgangsprofilgruppe (Stayers) und zeigten folglich keinerlei messbare Entwicklung. Rund 16 % der Schüler*innen befanden sich am Ende der Beobachtungszeit in einer Gruppe mit einer geringeren Berufswahlkompetenzausprägung als zu Beginn (Downward Movers). Folglich musste die Hypothese einer positiven Berufswahlkompetenzentwicklung aller Heranwachsenden verworfen werden. Letztlich konnten rund 16 % der Stichprobe anhand ihrer Bewegungsmuster als Risikogruppe identifiziert werden, da sie entweder dauerhaft oder zum letzten Messzeitpunkt der Profilgruppe mit der gering entwickelten Berufswahlkompetenz zugeordnet wurden.

3 Multidimensionale Heterogenität als Ausgangspunkt

In der hier zu diskutierenden Arbeit konnte die Heterogenität der beruflichen Orientierung von Schüler*innen in Hinblick auf verschiedene Dimensionen, nämlich den individuellen Voraussetzungen, der Berufswahlkompetenzentwicklung sowie der Wahrnehmung von Unterstützungsangeboten, dargestellt werden. Die aus ihrer Heterogenität resultierenden, in sich differierenden Unterstützungsbedarfe zeigen die Notwendigkeit einer individualisierten, im Sinne einer bedarfsorientierten Ausrichtung der Unterstützungsbemühungen im Kontext von Schule auf. Sowohl für die empirische Forschung als auch für die politisch-gestaltenden und umsetzenden Akteur*innen entstehen daraus neue Erfordernisse und Herausforderungen. Gleichzeitig lassen sich begriffliche Überlegungen und theoretische Rückschlüsse aus den hier gewonnenen Erkenntnissen ziehen. Schlussfolgerungen zur Individualisierung beruflicher Orientierung sollen auch in den Kontext der zu Beginn beschriebenen Rahmenbedingungen (vgl. Kapitel 2) eingebettet und diskutiert werden.

Ein von Heterogenität geprägtes System

In Kapitel 2 wurde die Ausgangslage für die Unterstützung beruflicher Orientierung im schulischen Kontext erläutert. Dabei zeigte sich, dass die berufliche Orientierung der Jugendlichen neben der individuumsbezogenen Heterogenität auch durch eine systemimmanente Heterogenität beeinflusst und geprägt wird. Diese entsteht durch eine Vielzahl an Akteur*innen mit unterschiedlichen Perspektiven, Handlungsaufträgen und Zielen einerseits und unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf Landes-, Schul- und Maßnahmenebene andererseits. In Kapitel 2 wurde zudem deutlich, dass die Perspektive der Schulen auf die berufliche Orientierung und ihre Umsetzung u. a. in Abhängigkeit der Schulform differiert (Butz, 2008b; Dedering, 2002; Nentwig, 2018). Auch die personelle und finanzielle Ausstattung zur Umsetzung von berufsorientierenden Unterstützungsangeboten variiert in Abhängigkeit des Schulstandorts, der Schulart bzw. -größe (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2019a; Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, 2017). Weiter beeinflusst die Qualifizierung der verantwortlichen Lehrkräfte die Umsetzung des schuleigenen Unterstützungskonzepts (Dreer, 2013a). Während empirische Studien (Driesel-Lange et al., 2018; Schindler, 2012) den positiven Effekt der sozialen Unterstützung durch Lehrkräfte auf die Berufswahlkompetenzentwicklung zeigen, wurden Effekte des seitens der Schulleitung wahrgenommenen strategischen Stellenwerts von beruflicher Orientierung und die sich daraus ableitende Schulkultur bisher empirisch nicht untersucht. Jedoch konnte Haenisch (2003, zit. n. Kaak et al., 2017) die Unterstützung der Schulleitung als erfolgsbedingenden Faktor zur Umsetzung von Schulnetzwerken identifizieren. Ähnliche Studien stehen in Hinblick auf den Stellenwert der Schulleitung für die erfolgreiche Umsetzung beruflicher Orientierung noch aus. Während die sozialen Ressourcen von Individuen zum Beispiel Geschwister (Rosvall, Rönnlund & Johansson, 2018) als Faktoren der Berufswahl Heranwachsender bereits untersucht wurden, konnten die Effekte der heterogenen Ressourcen von Schulen, die durch Elternengagement sowie deren Kontakte in die Arbeitswelt entstehen, bisher nicht berücksichtigt werden. Allerdings zeigten Kaak et al. (2017) den Zusammenschluss mehrerer Schulen zu einem Netzwerk als förderlich für den Austausch und die Implementation von Innovationen zur beruflichen Orientierung. Zukünftige Studien sollten diese Erkenntnisse um die Analysen zu sozialen Ressourcen von Schulen ergänzen.

Die Heterogenität der Rahmenbedingungen auf Landes- und Schulebene wird, wie in Kapitel 2 erläutert wurde, durch einen dritten Faktor, nämlich die Heterogenität der berufsorientierenden Maßnahmen ergänzt. Unabhängig des Standorts werden Angebote zur beruflichen Orientierung vielfach von externen Trägern, Unternehmen oder Interessensverbänden angeboten und durchgeführt (vgl. Teilkapitel 2.2). Für die Umsetzung einzelner Maßnahmen sowie ihrer Vor- und Nachbereitung bestehen mehrheitlich keine verbindlichen Konzepte, sodass die Umsetzung innerhalb einer Angebotskategorie (z. B. der Potentialanalyse) in Abhängigkeit des Trägers didaktisch und inhaltlich variiert. Eine Ausnahme dazu bildet die Kompetenzanalyse Profil AC, deren Durchführung u. a. an weiterführenden Schulen in Niedersachsen verpflichtend ist und der ein für alle Schulen verbindlicher Ablauf zugrunde liegt (Niedersächsisches Kultusministerium, 2019).

Aufgrund der beschriebenen Maßnahmenheterogenität und -intransparenz sind Vergleiche von Maßnahmeneffekten nur bedingt möglich. Für zukünftige empirische Studien stellt daher die Verzahnung qualitativer Analysen der Maßnahmeninhalte und quantitativer Analysen ihrer Effekte eine zentrale Aufgabe dar. Für die pädagogische Praxis ergeben sich wiederum Überlegungen zur Standardisierung von Maßnahmen und ihrer (weiteren) Fundierung auf empirischer Evidenz.

In Abschnitt 2.1 ergab sich zudem die Schlussfolgerung, dass die Etablierung und Verwendung eines einheitlichen Begriffs für die berufliche Orientierung sowie die Definition seiner Inhalte durch die Vielzahl der Akteur*innen und ihrer verschiedenartigen Perspektiven gleichsam schwierig wie bedeutsam sind. In Hinblick auf den durch die KMK empfohlenen Begriff der beruflichen Orientierung zeigte sich jedoch auch eine weiterhin bestehende begriffliche „Bipolarität“ (Butz, 2008b, S. 50), die in dieser Arbeit durch eine Ausdifferenzierung in die Unterstützung beruflicher Orientierung (Perspektive auf die Beratenden) und den Entwicklungsprozess der beruflichen Orientierung (Perspektive auf die Jugendlichen) aufgelöst wurde.

Heterogenität aufgrund der persönlichen Voraussetzungen

Die in Kapitel 9 vorgestellte Studie zeigte, dass, wie zuvor theoretisch ausgearbeitet (vgl. Abschnitt 3.2), Heranwachsende sich in ihrer beruflichen Orientierung bereits aufgrund ihrer persönlichen Merkmale unterscheiden. Die geschlechtsbezogenen Zusammenhänge (β = −.08***/−.09***Footnote 1) weisen darauf hin, dass Jungen sich unabhängig der besuchten Orientierungsmaßnahmen im Durchschnitt besser vorbereitet fühlen als Mädchen. Diese Ergebnisse korrespondieren mit und ergänzen vorangegangene Studien, die einen größeren berufsbezogenen Optimismus bei Jungen (Schuchart et al., 2016) und eine höhere Unsicherheit bei Mädchen konstatieren konnten (Schneider et al., 2017). Gleichzeitig stehen die Befunde einer (wahrgenommenen) fortgeschritteneren beruflichen Orientierung der Jungen vordergründig im Kontrast zu bestehenden Befunden hinsichtlich des berufswahlbezogenen Explorationsverhaltens der beiden Geschlechter. Schließlich beginnen Mädchen früher mit der berufswahlbezogenen Exploration (Driesel-Lange, 2011) und Informationssuche (Schneider et al., 2017) und nennen seltener unrealistische Berufswünsche (Rahn et al., 2011). Hinsichtlich der Berufswahlkompetenzentwicklung konnten in der in Kapitel 11 erläuterten Studie – entgegen der Erwartungen – keine geschlechtsbedingten Unterschiede zwischen den vier Profilgruppen gefunden werden.

Mit Blick auf die weiteren persönlichen Voraussetzungen wurde in Kapitel 9 deutlich, dass der Migrationshintergrund, gemessen an der Muttersprache der Jugendlichen, grundsätzlich die Wahrnehmung der beruflichen Orientierung beeinflusst. Autochthone Jugendliche schätzen ihre berufliche Orientierung unabhängig der besuchten Maßnahmen im Durchschnitt höher ein als Jugendliche, die zuhause eine andere Sprache als Deutsch sprechen. Beachtenswert ist, dass die Einflüsse des Migrationshintergrunds statistisch größer (β = .14***Footnote 2) als die des Geschlechts sind. Sie bleiben darüber hinaus auch unter Berücksichtigung der berufsorientierenden Maßnahmen und der Interaktionseffekte länger bestehen. Mit Blick auf die in Abschnitt 3.2 erläuterten Theorien würde dementsprechend den von Boudon (1974) beschriebenen Primäreffekten der sozialen (und kulturellen) Herkunft bei der individuellen Einschätzung der beruflichen Orientierung eine größere Bedeutung als dem Geschlecht zukommen. Auch hinsichtlich des Migrationshintergrunds ergeben sich Übereinstimmungen mit früheren Befunden, die Nachteile Heranwachsender mit Migrationshintergrund in Hinblick auf das Erreichen eines mittleren Schulabschlusses (Beicht & Walden, 2019), die Ausprägung der Berufswahlreife (Rahn et al., 2014) und der Ausbildungs- und Studienaufnahme (Beicht & Walden, 2019; Lörz et al., 2012) aufzeigen. Relikowski et al. (2010) weisen darauf hin, dass diese Nachteile im internationalen Vergleich in Deutschland besonders schwer wiegen. Aus den beobachteten Einflüssen des Migrationshintergrunds leiten sich weitere Forschungsfragen ab. Schließlich konnten Boos-Nünning und Karakaşoğl (2004) bereits Unterschiede im nachschulischen Übergang von Mädchen und jungen Frauen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln feststellen. Entsprechend gilt es, den Migrationshintergrund auch in Hinblick auf den Nutzen berufsorientierender Maßnahmen differenziert zu betrachten. Für die pädagogische Praxis lassen die hier diskutierten Resultate den Rückschluss auf einen Sensibilisierungsbedarf der Beratenden hinsichtlich der heterogenen Bedarfe sowie individueller Fördermöglichkeiten zu (Beutner, Frehe, et al., 2012; Kampshoff & Wiepcke, 2016). Sultana (2017) verweist in diesem Kontext auf die sich ergebenden Herausforderungen aufgrund der eigenen Konviktionen der Beratenden, der vorherrschenden Monokultur sowie der tiefgreifenden und komplexen Wirkweisen der kulturellen Herkunft. Des Weiteren bedarf es bei der schulinternen Maßnahmenplanung der Berücksichtigung möglicher Sprachbarrieren, die den Teilnahmeerfolg für Schüler*innen schmälern könnten. Darüber hinaus sind Familien mit Migrationshintergrund überproportional stark in den unteren sozialen Schichten repräsentiert und verfügen folglich auch häufiger über geringere bildungsrelevante Ressourcen (Dollmann, 2016; Relikowski et al., 2010).

Empirische Studien sollten daher die Wahrnehmung der beruflichen Orientierung auch unter dem Aspekt des sozialen Status und der bildungsrelevanten Ressourcen untersuchen, um bestehende Studien zu Bildungschancen (N. Kracke et al., 2018), beruflichen Aspirationen (Eshelman & Rottinghaus, 2015) und beruflichen Übergängen sozial benachteiligter Jugendlicher (Beicht & Walden, 2019) zu ergänzen.

Als drittes persönliches Merkmal, das in Form von Primäreffekten nach Boudon (1974) die Wahrnehmung beruflicher Orientierung beeinflusst, wurde in Kapitel 9 die Schulleistung untersucht. Die Ergebnisse der empirischen Studie zeigen einen geringen, jedoch positiven Zusammenhang zwischen guten Schulleistungen und der beruflichen Orientierung (β = .07**/.08**Footnote 3). Jugendliche mit guten Schulnoten – gemessen an den Zeugnisnoten der Fächer Deutsch und Mathematik – fühlen sich im Durchschnitt besser vorbereitet als Jugendliche mit schwächeren Schulleistungen. Auch diese Ergebnisse passen zu den bisherigen Erkenntnissen hinsichtlich der positiven, jedoch geringen Einflüsse von Schulleistungen beispielsweise auf die Entwicklung von Berufswahlreife (Stangl & Seifert, 1986). Auch M. Richardson, Abraham und Bond (2012) fanden in ihrer Metaanalyse positive, jedoch nur geringe Effekte der Schulleistungen auf den späteren akademischen Erfolg. Trotz der geringen Aufklärung der drei Faktoren Geschlecht, Migrationshintergrund und Schulleistung an der GesamtvarianzFootnote 4 sollten diese in zukünftigen Studien zu beruflicher Orientierung sowie in der pädagogischen Praxis in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Schließlich konnten Negru-Subtirica und Pop (2016) in ihrer längsschnittlichen Studie Hinweise finden, dass sich die Betroffenheit und die schulischen Leistungen von Jugendlichen gegenseitig positiv beeinflussen. Letztere wirkt sich zudem positiv auf die Entwicklung des Verantwortungsgefühls für die eigene berufliche Zukunft (career concern) und die berufsbezogene Zuversicht (career confidence) aus (Negru-Subtirica & Pop, 2016). Inwieweit diese Zusammenhänge sich auch für die Berufswahlkompetenzentwicklung zeigen, bleibt entsprechend zu untersuchen.

Heterogene Entwicklung und Kompetenzstände

Aufbauend auf dem theoretischen Modell der Berufswahlkompetenz von Driesel-Lange et al. (2010), das in Kapitel 6 erläutert wurde, wird die berufliche Orientierung in dieser Arbeit als ein individueller Entwicklungsprozess betrachtet, in dem Jugendliche verschiedene Facetten von Berufswahlkompetenz auf berufswahlbezogene Aufgaben anwenden und durch deren erfolgreiche Erfüllung einen Kompetenzzuwachs erleben (Driesel-Lange et al., 2020). Daraus ergibt sich die Hypothese des individuell verlaufenden Kompetenzerwerbs sowie weiterführend die Hypothese latenter Kompetenzmuster, die den individuellen Verläufen des Kompetenzerwerbs unterliegen und daher zur Identifikation von Gruppen mit ähnlichen Entwicklungsständen und Bedarfen herangezogen werden können. Diese Überlegung greift die Studie in Kapitel 11 auf.

Es ließen sich insgesamt vier latente Profile identifizieren. Davon folgten drei Profile einem ähnlichen Kompetenzmuster, sodass die einzelnen Berufswahlkompetenzfacetten in ihrer Ausprägung jeweils im gleichen Verhältnis zueinanderstanden und die Profile sich lediglich bezogen auf ihr Gesamtniveau unterschieden. Die Schüler*innen, die dem vierten Profil zugeordnet wurden, weichen in ihrer Entwicklung von dem Muster der anderen Drei ab. Sie schätzen ihr Selbstwissen (M = 3.40) und ihr Bedingungswissen (M = 3.17) als relativ ausgeprägt ein, verfügen über eine hohe Zuversicht (M = 3.14) sowie ein vergleichsweise gut ausgeprägtes Stressmanagement (M = 2.95). In Verbindung mit den mehrheitlich bestehenden konkreten Berufswünschen (70 %) und einer geringen berufsbezogenen Exploration (M = 1.45) und Offenheit gegenüber neuen beruflichen Alternativen (M = 1.77) scheinen sie sehr fokussiert auf die bereits ausgewählte berufliche Option zu blicken.

Die vorgestellten Befunde entsprechen den theoretischen Annahmen individueller, und damit heterogener beruflicher Entwicklungsprozesse (Savickas, 2005). Jedoch bestätigen sie nur zum Teil, nämlich in Form der drei musterähnlichen Profile, die bisherigen Befunde (Driesel-Lange & Kracke, 2017; Kaak et al., 2015; Ohlemann & Driesel-Lange, 2017). Das vierte Profil ergänzt diese Erkenntnisse und wirft gleichzeitig neue Forschungsfragen auf. Beispielsweise stellt sich die Frage, inwiefern die aktuellen Berufswünsche der Fokussierten wirklich fundiert sind oder ob diese etwa auf romantisierten Darstellungen von Berufen in Fernsehsendungen beruhen (Gehrau & vom Hofe, 2013).

Die Studie in Kapitel 11 verdeutlichte zudem, dass die Facetten des Wissens um die eigenen Fähigkeiten und Stärken sowie der berufswahlbezogenen Betroffenheit und Zuversicht bei allen Jugendlichen – im Vergleich zu den anderen Berufswahlkompetenzfacetten – stark ausgeprägt sind. Aus diesen Ergebnissen resultiert die Frage, inwiefern die Entwicklung berufswahlbezogener Betroffenheit und Zuversicht durch das Wissen um die eigene Person über die Zeit beeinflusst wird. Negru-Subtirica und Pop (2016) konnten ähnliche Befunde hinsichtlich der Beziehung zwischen Schulleistung und berufswahlbezogener Zuversicht bereits aufzeigen. Das stark ausgeprägte Selbstwissen sowie der überproportional hohe Anteil an Jugendlichen mit konkreten Berufswünschen in der Gruppe der Fortgeschrittenen (73 %) und der Fokussierten (70 %) lässt die Vermutung zu, dass ein stärker ausgeprägtes Selbstwissen zu einer besseren Entscheidungsfähigkeit und darüber wiederum zu einem größeren Vertrauen in die eigenen berufswahlbezogenen Fähigkeiten führt (vgl. von Wyl et al., 2018). Diesbezüglich weist Brüggemann (2015) daraufhin, dass das Vorhandensein eines konkreten Berufswunschs einem gezielten und aktiven Berufswahlverhalten zuträglich ist. Das Fehlen eines konkreten Berufswunschs bei der überwiegenden Mehrheit (78 %) der Unkonkreten mit einer einfach ausgeprägten Berufswahlkompetenz löst weitere Forschungsdesiderata hinsichtlich der Gruppenzusammensetzung und daran anschliessende Handlungsaufträge für die pädagogische Praxis aus.

In Kapitel 11 konnten entsprechend der theoretischen Annahmen und früheren Befunden zur altersunabhängigen beruflichen Entwicklung (Driesel-Lange & Kracke, 2017; Rahn et al., 2011) keine signifikanten Alterseffekte hinsichtlich der Zuordnung zu einem der Kompetenzprofile gefunden werden. Abschließend zu den Profilgruppen bleibt zu bemerken, dass die drei Profile, die sich vor allem über ihr Gesamtniveau unterscheiden, auf drei von insgesamt vier im Berufswahlkompetenzmodell skizzierten Entwicklungsphasen hindeuten.

Die Frage nach der zeitlichen Entwicklung wurde in der in Kapitel 12 dargestellten längsschnittlichen Studie aufgenommen. Es zeigte sich, dass auch im zeitlichen Verlauf starke Unterschiede zwischen den Jugendlichen hinsichtlich ihrer Berufswahlkompetenzentwicklung bestehen, aus denen sich wiederum individuelle Unterstützungsbedarfe ergeben. Fünf Verlaufsmuster beschreiben die Bewegungen, die die Jugendlichen innerhalb von zwei Schuljahren zwischen den Kompetenzprofilen vollziehen (vgl. Kapitel 11). Es stellte sich heraus, dass nur ein kleiner Teil der Jugendlichen (22 %) einen messbaren Kompetenzzuwachs über die beiden betrachteten Schuljahre erfuhr. Die unterschiedlichen Bewegungsmuster, insbesondere der Wechsel zu einem Profil geringerer Berufswahlkompetenzentwicklung (downward movers) sowie nicht kategorisierbare Bewegungen (diffuse movers), widersprechen der bisher dominierenden These einer linearen Entwicklung (vgl. Kapitel 4; Herzog et al., 2006; Pelka, 2010b). Die Entwicklung von Berufswahlkompetenz mit ihren einzelnen Facetten scheint also auch durch Rückschritte gekennzeichnet zu sein. Dabei erscheint es logisch, dass das Wissen um die eigenen Stärken und Fähigkeiten sowie das konzeptionelle Wissen über die Berufswelt beispielsweise aufgrund erster praktischer Erfahrungen in der Arbeitswelt zeitweise hinterfragt werden und dadurch rückläufig erscheinen. Im Rahmen eines Praktikums erleben die Jugendlichen einen Realitätsabgleich ihrer Fähigkeiten mit den Fähigkeitsanforderungen eines Berufs. In diesem Prozess mögen sie ihre eigenen Fähigkeiten hinterfragen und sie zumindest zeitweise geringer einschätzen als zuvor. Durch eine Reflexion des Erlebten gewinnen sie im weiteren Prozess eine bessere Einschätzung ihrer Fähigkeiten, sodass ihr Selbstwissen mittel- und langfristig einen Zuwachs erfährt. Diese Wirkkette gilt es in zukünftigen Studien zu überprüfen.

Es stellt sich zudem die Frage, aus welchen Gründen einige Jugendliche über den Zeitraum von zwei Jahren keinerlei Veränderungen in ihrem Berufswahlkompetenzstand verzeichnen. Mit Blick auf die pädagogische Praxis interessiert insbesondere, welche formellen und informellen Angebote beruflicher Orientierung jene Jugendlichen genutzt haben, für die eine positive Berufswahlkompetenzentwicklung zu verzeichnen ist, bzw. in welchen Merkmalen, Einstellungen oder sozialen Unterstützungsressourcen (vgl. dazu Mayhack & Kracke, 2010; Schindler, 2012) sie sich von jenen Jugendlichen ohne positive Kompetenzentwicklung unterscheiden. Die Erkenntnisse, dass die Berufswahlkompetenz von rund 16 % der teilnehmenden Schüler*innen am Ende der Jahrgangsstufe zehn nur gering entwickelt ist, erweitert die gegenwärtige Befundlage zu berufswahlbezogenen Risikogruppen (Klug, Drobnič & Brockmann, 2019; Ulrich, 2011; Wiesner, Vondracek, Capaldi & Porfeli, 2003).

In Kapitel 10 wurde die Bildung und Nutzung eines zentralen Berufswahlkompetenz-Kernwerts (BWK-Kernwert) als übersichtsgebenden Normwert für die schulinterne Diagnostik und pädagogische Praxis diskutiert. Die drei dabei identifizierten Gruppen unterschieden sich in ihrem übergreifenden Kompetenzniveau und konnten auf den zwölf Facetten der Berufswahlkompetenz anhand ihres Mittelwerts distinguiert werden. Auch zeigte sich, dass anhand des individuellen BWK-Kernwerts Rückschlüsse auf einzelne Facetten möglich waren. Unter Voraussetzung seiner Replizierbarkeit und der Bestätigung seiner Trennschärfe, könnte der BWK-Kernwert im Schulalltag eine ressourcenschonende und damit praktikable Methode zur Eingruppierung von Schüler*innen mit dem Ziel der Binnendifferenzierung sein. Aktuell stehen diese Ergebnisse jedoch in potentieller Dissonanz zu den in Kapitel 11 identifizierten vier Profilgruppen, von denen eine in ihrem Berufswahlkompetenzmuster von den anderen drei Gruppen abwich und Überschneidungen in Hinblick auf einzelne Facetten zu beobachten waren. Zukünftige Forschungsfragen sollten diese Dissonanz adressieren. Beide Perspektiven behalten in der Zukunft ihre Bedeutung, denn die Betrachtung latenter Berufswahlkompetenzprofile unter Einbezug der berufsorientierenden Maßnahmen und sozioökonomischen Faktoren ermöglicht die Analyse von Kompetenzzuwächsen auf einzelnen Facetten und damit die Betrachtung von Maßnahmeneffekten (Welches Angebot unterstützt die Kompetenzentwicklung einer spezifischen Gruppe?). Währenddessen vereinfacht ein zentraler BWK-Kernwert die schulinterne Diagnostik des Kompetenzstands und damit die Zuweisung von Schüler*innen zu spezifischen Maßnahmen (Welcher Bedarf besteht aktuell für die jeweilige Person?).

Die Verzahnung der Analysen zur Berufswahlkompetenzentwicklung mit der berufswahlbezogenen Interventionsforschung stellt ein wesentliches, aus den Studien in Kapitel 11 und 12 hervorgegangenes Forschungsdesiderat dar. Diese Verzahnung erhält weitere Bedeutung und Gewicht durch die Befunde von Driesel-Lange und Kracke (2017), dass Jugendliche mit stärker ausgeprägter Berufswahlkompetenz auch von der Teilnahme an einer Potentialanalyse mehr profitieren. Denn mit Blick auf diese Befunde stellt sich die Frage, welche berufsorientierenden Maßnahmen die Entwicklung von Berufswahlkompetenz positiv beeinflussen.

Durch die empirische Darstellung der diskontinuierlichen Bewegungs- und Entwicklungsmuster leistet die längsschnittliche Studie in Kapitel 12 einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Berufswahlkompetenzerwerbs und widerlegt die bisherige Annahme linearer Entwicklungsverläufe (vgl. Herzog et al., 2006). Gleichzeitig zeigen ihre Resultate den Bedarf weiterer, systematischer Studien auf, um die Umsetzung evidenzbasierter Unterstützung beruflicher Entwicklungsprozesse zu ermöglichen (vgl. Brüggemann, Driesel-Lange & Weyer, 2017; Sultana, 2018). In der Gesamtschau der Studien zu persönlichen Voraussetzungen und Berufswahlkompetenzentwicklung lässt sich ableiten, dass die individuelle Perspektive sowie die individuellen Bedarfe für eine erfolgreiche Unterstützung beruflicher Entwicklung berücksichtigt werden müssen.

4 Individualisierte Unterstützung als Instrument der Chancengleichheit?

Die zu Beginn theoretisch hergeleiteten Unterschiede in den persönlichen Voraussetzungen und Entwicklungsständen konnten in der hier zu diskutierenden Arbeit auch empirisch nachgewiesen werden. Deutlich wurde zudem, dass aus der berufswahlbezogenen Heterogenität der Jugendlichen differierende Unterstützungsbedarfe resultieren. In dem Bestreben, herkunftsbedingte Nachteile zu kompensieren und Heranwachsende bestmöglich in ihrer individuellen beruflichen Orientierung zu unterstützen, stellte sich die Frage nach der Effektivität berufsorientierender Unterstützungsmaßnahmen. Um Empfehlungen für eine individualisierte Maßnahmenplanung abgeben zu können, lag aufgrund der Heterogenität der Jugendlichen zugleich die Frage nach zielgruppenspezifischen Effekten nahe.

Differierender Nutzen und geringe Effekte nicht-individualisierter Unterstützung

Die in Kapitel 9 erläuterte Studie zeigte nur geringe, jedoch positive Einflüsse (β ≤ .19) der berufsorientierenden Maßnahmen auf die berufliche Orientierung von Jugendlichen. Grundsätzlich profitieren Jugendliche folglich – unabhängig ihrer persönlichen Voraussetzungen und Merkmale – von der Teilnahme an berufsorientierenden Angeboten. Zugleich verdeutlichten die Resultate der Studie einen größeren Einfluss der berufsorientierenden Maßnahmen als der persönlichen Merkmale und Schulleistungen auf die berufliche Orientierung der Jugendlichen. Weiter zeigte sich, dass die Zusammenhänge in ihrer Effektstärke und -stabilität über die verschiedenen Modellschritte hinweg zwischen den einzelnen Maßnahmen differierten. Diese Beobachtungen entsprechen in großen Teilen früheren Befunden. Auch Whiston et al. (2017) fanden in ihrer internationalen Metaanalyse nur geringe Effekte berufsorientierender Maßnahmen auf verschiedene Ausprägungen beruflicher Orientierung. Beratende Angebote sowie Angebote zur beruflichen Exploration erzielten – ähnlich wie in der hier untersuchten Stichprobe – die mitunter stärksten Effekte. Für informierende Angebote zeigten sich bei Whiston et al. (2017) geringere Effekte, während in der hier vorgestellten Studie der Besuch im BIZ einen vergleichbar großen Einfluss auf die berufliche Orientierung erzielte wie die berufsberatenden Gespräche und das Praktikum. Dies lässt sich durch den besonderen Bedarf an berufsbezogenen Informationen vor der ersten Berufswahl erklären (Driesel-Lange et al., 2020). Die von Whiston et al. (2017) betrachteten Studien bezogen sich nur in rund einem Drittel der Fälle auf die berufliche Orientierung von Jugendlichen. Im Kontext beruflicher Orientierung in Deutschland konnten Ratschinski und Struck (2016) ebenfalls nur geringe Effekte für verschiedene Maßnahmen nachzeichnen. Aus diesen geringen Effekten ergeben sich methodische Überlegungen zur Messbarkeit von Maßnahmenwirkung und geeigneten Zielvariablen. Büchter und Christe (2014) merken zudem an, dass langfristige Wirkungen von beruflichen Unterstützungsangeboten bisher nur unzureichend erfasst sind, sodass zukünftige Studien auch diese Forschungslücke adressieren sollten.

Eine bedeutende Erkenntnis der Studie in Kapitel 9 lag zudem in der Darstellung der intersektionalen Zusammenhänge von persönlichen Merkmalen, schulischen Leistungen und berufsorientierenden Maßnahmen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Jugendliche aufgrund ihrer persönlichen Voraussetzungen aus einigen berufsorientierenden MaßnahmenFootnote 5 – unabhängig der festgestellten Haupteffekte – unterschiedlich großen Nutzen für ihre berufliche Orientierung ziehen können. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Migrationshintergrund zu. Wie schon im Kontext der Heterogenität thematisiert wurde, können hinsichtlich der intersektionalen Zusammenhänge keine generellen Regeln ableitet werden. Beispielsweise schätzen Jungen mit Migrationshintergrund und sehr guten Leistungen sowie Jungen ohne Migrationshintergrund und schwachen Schulleistungen ihre berufliche Orientierung statistisch signifikant besser ein, wenn sie an dem Angebot Praxislernens teilgenommen haben. Hinsichtlich des Bewerbungstrainings, des Praktikums und der Jobmesse war jedoch ein negativer Zusammenhang mit dem Migrationshintergrund verbunden. Bei allen drei Angeboten handelt es sich um Situationen, in denen dem sprachlichen Austausch mit Dritten eine bedeutende Rolle zukommt.

Die in Hinblick auf das Geschlecht asynchronen Einflüsse der hier untersuchten berufsorientierenden Maßnahmen reihen sich in die aktuelle, heterogene Befundlage ein. Denn auch andere empirische Studien finden geschlechtsbezogene Unterschiede nur für bestimmte Maßnahmen, die darüber hinaus in den Wirkweisen differieren (vgl. dazu Jordan & Kauffeld, 2019). Die Potentialanalyse scheint bei Jugendlichen mit überdurchschnittlichen Schulleistungen einen stärkeren Einfluss auf die berufliche Orientierung zu erzeugen. Ähnliche Beobachtungen machten Driesel-Lange und Kracke (2017) hinsichtlich eines höheren Berufswahlkompetenzniveaus und einem steigenden Nutzen von Potentialanalysen. Mit Blick auf die methodische Weiterentwicklung der berufswahlbezogenen Interventionsforschung unterstreichen die vorgestellten Ergebnisse den Bedarf, intersektionale Zusammenhänge noch stärker und systematischer in zukünftigen Studien zu integrieren.

Mit dem Ziel, Jugendliche gemäß ihrem heterogenen Bedarf zu fördern, bleibt weiter zu untersuchen, inwiefern berufsorientierende Maßnahmen herkunftsbedingte Informationsdefizite ausgleichen und damit das herkunftsabhängige Kosten-Nutzen-Kalkül, beispielsweise eines Hochschulstudiums, beeinflussen können. Ehlert, Finger, Rusconi und Solga (2017) konnten anhand einer 25-minütigen Informationsveranstaltung zu Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten eines Hochschulstudiums die Studienaufnahmeintention von sozial benachteiligten Schüler*innen der Oberstufe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant erhöhen. Die Resultate zeigen eine dringende Notwendigkeit, Angebote in der pädagogischen Praxis stärker auf zielgruppenspezifische Bedarfe auszurichten. Gleichzeitig weisen mehrere internationale Veröffentlichungen auf die begrenzte Evidenz bezüglich der Wirkung berufsorientierender Unterstützungsangebote hin (S. D. Brown, 2015, 2017; Collins & Barnes, 2017). Folglich bedarf es zur Umsetzung evidenzbasierter, bedarfsorientierter Unterstützung sowohl vorgelagerter empirischer Studien als auch begleitender Evaluationsstudien, die die zielgruppenspezifischen Effekte systematisch untersuchen und damit an die Initiative von Brüggemann, Driesel-Lange und Weyer (2017) zur Strukturierung und Systematisierung von berufsorientierenden Angeboten anknüpfen.

Dennoch kann an dieser Stelle konstatiert werden, dass berufsorientierende Maßnahmen in positivem Zusammenhang mit der beruflichen Entwicklung von Jugendlichen stehen und dabei gleichzeitig zielgruppenbezogene Einflüsse zu beobachten sind. Dies stärkt die These, die im Kontext von Schule organisierte Unterstützung beruflicher Orientierung in individualisierter(er) Form anbieten zu müssen. Eine weitere wesentliche Erkenntnis schließt sich an ebendiese an: Die Identifizierung homogener Subgruppen innerhalb der heterogenen Gruppe der Lernenden (vgl. Kapitel 11) ermöglicht eine binnendifferenzierte Vorgehensweise auch im Kontext beruflicher Orientierung, um individuelle Bedarfe anzusprechen. Diese Erkenntnis erweist sich auch für die pädagogische Praxis als wertvoll, da eine auf homogene Gruppen ausgerichtete Maßnahmenplanung zum einen dem Anspruch bedarfsorientierter Unterstützung gerecht wird und zum anderen mit Blick auf die schulinternen Ressourcen praktikabel erscheint.

Um die Ergebnisse dieser Arbeit in ihren Implikationen für die Theoriebildung, die empirische Forschung sowie für die pädagogische Praxis darzulegen, aber auch um ihre Limitationen auszuführen, soll an dieser Stelle auf zwei aktuelle Projekte hingewiesen werden. Denn zeitgleich mit dem Erkenntnisgewinn dieser Arbeit wurde das Projekt StepUp! (Ohlemann, Driesel-Lange, Weyland & Ittel, 2019) u. a. von der Autorin dieser Arbeit initiiert. Ziel des Projekts ist die Analyse zielgruppenspezifischer Effekte berufsorientierender Maßnahmen auf die Berufswahlkompetenzentwicklung von Schüler*innen im zeitlichen Verlauf. Im berufswahlbezogenen Diskurs innerhalb der wissenschaftlichen Community, an dem die Autorin aktiv teilnimmt, sowie im Austausch mit den diversen Akteur*innen der beruflichen Orientierung (vgl. Teilkapitel 2.2) werden diese und weitere Initiativen gefördert und entwickelt. Ziel ist die Erweiterung der wissenschaftlichen Befundlage und deren Implementierung in die pädagogische Praxis, um die berufliche Orientierung der Jugendlichen bedarfsorientiert zu unterstützen. Ein weiteres Beispiel des Wissenschaftstransfers und des erfolgreichen Austauschs zwischen Forschung und Steuerungsebene stellt das zweite Projekt dar, die Neukonzipierung des Berufswahlpasses in digitaler Form (Brüggemann, Driesel-Lange, Gehrau, Weyer & Zaynel, 2017).

5 Grenzen der Studien

Wie die Zusammenfassung der Ergebnisse und ihre Interpretation zeigen, ergeben sich aufgrund des Designs der vorgestellten Studien Einschränkungen in der Ergebnisinterpretation, die gleichzeitig wiederum Auskunft über weiterführende Forschungsfragen geben. Die Limitationen erstrecken sich auf Fragen der Vergleichbarkeit von berufsorientierenden Maßnahmen, deren Effekte auf die Berufswahlkompetenzentwicklung, die Datenstruktur und das Design der vorgestellten Studien sowie auf die genutzten Erfassungsinstrumente zur Berufswahlkompetenzmessung. Nachfolgend werden die Grenzen der Arbeit eingehender beschrieben.

Die vorgestellten empirischen Studien beruhen ausschließlich auf Selbstauskünften der Schüler*innen. Dabei zeigten sich zwei, im Hinblick auf die Interpretation der Ergebnisse und für die Gestaltung zukünftiger Studien zu berücksichtigende Faktoren. Zum einen besteht, wie Maag Merki und Grob (2005) kritisch anmerken, bei der Kompetenzdiagnostik anhand von Selbsteinschätzungen – im Vergleich zu Leistungs- oder Wissenstests – das Risiko von Verfälschungen, die beispielsweise durch Effekte sozialer Erwünschtheit oder durch unterschiedliche Bewertungen aufgrund differierender Standards entstehen. Gleichzeitig stellen die gleichen Autor*innen fest, dass die selbstbezogene Wahrnehmung ein Ergebnis persönlicher Erfahrungen ist, das wiederum die eigene Handlungstheorie bedeutsam formt und dadurch auch das individuelle zukünftige Handeln beeinflusst. Auch empirische Studien, u. a. von Retelsdorf et al. (2014), konnten diese wechselseitige Wirkung von Kompetenzwahrnehmung und Performanz nachweisen. Dennoch bleibt zu überlegen, wie in zukünftigen Studien die Selbsteinschätzungen von Berufswahlkompetenz durch Wissenstests bzw. die Abfrage tatsächlichen Verhaltens in erlebten berufswahlrelevanten Situationen ergänzt werden können.

Zum anderen dürfen die Selbstauskünfte der Jugendlichen zu ihrer Teilnahme an berufsorientierenden Maßnahmen in Hinblick auf ihre Akkuratheit und Vollständigkeit nicht unreflektiert analysiert werden. Denn während der Datenerhebungen zeigte sich, dass einige Schüler*innen Schwierigkeiten hatten, sich alle bereits besuchten Angebote in Erinnerung zu rufen. In Konsequenz scheint eine spezifizierte Abfrage sinnvoll, die sich begrenzt auf (1) Angebote des laufenden Schuljahres und (2) Angebote, die tatsächlich für die jeweilige Jahrgangsstufe an der jeweiligen Schule durchgeführt wurden. Zwangsläufig ist eine solche Spezifizierung mit hohem Aufwand verbunden, der forschungsökonomisch zu bedenken ist.

Analysen hinsichtlich der Einflüsse bzw. Effekte berufsorientierender Maßnahmen werden durch einen weiteren Umstand in Form einer fehlenden Standardisierung der Angebote limitiert. Berufsorientierende Angebote sind hinsichtlich ihres didaktischen Konzepts, ihrer theoretischen Anbindung, der zu erwerbenden Berufswahlkompetenzfacetten sowie der Qualifikation der Durchführenden weder auf Bundes- noch auch Landesebene reguliert. Stattdessen können und werden sie auf Anbieterseite frei gestaltet. Daraus ergeben sich unter Umständen auch innerhalb eines Maßnahmentyps, beispielsweise der Potentialanalyse, Formatunterschiede. Als Folge können nur begrenzte Rückschlüsse über die Einflüsse bzw. Effekte einzelner Angebotsformate gezogen werden, weil die dahinterliegenden Konzepte ungeklärt und möglicherweise heterogen sind.

In Kapitel 9 konnten insgesamt nur geringe Effekte hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen den berufsorientierenden Angeboten und der wahrgenommenen beruflichen Orientierung der Jugendlichen gemessen werden. Wie bereits erwähnt korrespondieren diese Ergebnisse mit Erkenntnissen aus internationalen Metaanalysen (S. D. Brown, 2017; Whiston et al., 2017), sodass sich neben Überlegungen zu konzeptionellen Anpassungen der Maßnahmen auch methodische Überlegungen hinsichtlich der Veränderung des Messinstruments bzw. der zu betrachtenden Zielvariable anschließen müssen.

Die querschnittliche Analyse in Kapitel 9 erlaubt keine Rückschlüsse auf die kausalen Effekte der betrachteten berufsorientierenden Maßnahmen sowie auf die Entwicklung der verschiedenen Berufswahlkompetenzfacetten. Während die in Kapitel 12 vorgestellte Studie die Erkenntnisse zur zeitlichen Entwicklung von Berufswahlkompetenz ergänzt, konnten aufgrund der Datenlage keine weiteren Analysen hinsichtlich der sozioökonomischen Merkmale und persönlichen, motivationalen und leistungsbezogenen Einstellungen durchgeführt werden. Auch lassen sich anhand der verwendeten Daten keine Rückschlüsse in Hinblick auf den Zusammenhang zwischen besuchten berufsorientierenden Angeboten und der Berufswahlkompetenzentwicklung ziehen. Die in Kapitel 11 und 12 durchgeführten Analysen bedürfen zudem aufgrund der Stichprobegröße einer Replikation anhand einer größeren, diverseren Personengruppe zur zielgruppendifferenzierten Betrachtung.

6 Zukünftige Forschungsvorhaben

Die in den vorangegangenen Abschnitten (13.213.4) dargestellten Ergebnisse dieser Arbeit zu zielgruppenspezifischen Einflüssen der berufsorientierenden Maßnahmen sowie zu den differierenden Berufswahlkompetenzständen und -entwicklungsverläufen konnten die heterogene Bedarfslage der Jugendlichen verdeutlichen. Diese spricht wiederum für eine differenzierte, bedarfsorientierte Unterstützung im schulischen Kontext. Im Folgenden wird daher erläutert, welche weiteren theoriebezogenen, methodischen und inhaltlichen Beiträge es von Seiten der Berufswahlforschung bedarf, um evidenzbasierte, bedarfsorientierte Unterstützung beruflicher Orientierung erfolgreich umzusetzen.

Theoriebezogene Rückschlüsse

Insbesondere die in den längsschnittlichen Untersuchungen abgebildeten diffusen Bewegungen (vgl. Kapitel 12) unterstützen die Annahme diskontinuierlicher Entwicklungsverläufe, in der auch Rückschritte als mögliche Folge explorativer Aktivitäten sowie deren kritischer Reflexion möglich sind.

Ein illustrierendes Beispiel: Im Rahmen einer angeleiteten Reflexion eines absolvierten Praktikums kann ein kritischer Abgleich zwischen den eigenen Stärken und Präferenzen und den erlebten Tätigkeiten vollzogen werden. Denn durch die praktische Erfahrung wird das zuvor bestehende Bild des Berufs kritisch betrachtet und angepasst. In diesem Prozess können Jugendliche zuerst ein Gefühl des Rückschritts hinsichtlich des Selbstwissens sowie des berufsbezogenen Konzeptwissens erleben (Diesen Beruf habe ich mir anders vorgestellt; Ich dachte, ich wäre besonders gut in den zu verrichtenden Tätigkeiten). Ein kritisch angelegter Reflexionsprozess ermöglicht jedoch die Entwicklung eines realistischen Bilds auf die Berufswelt und unterstützt damit langfristig die Ausprägung der entsprechenden Berufswahlkompetenzfacetten.

Die empirischen Befunde in Kapitel 12 deuten folglich auf einen Erweiterungsbedarf der bestehenden Entwicklungs- und Kompetenzmodelle um Iterationsphasen hin, die diese Diskontinuität beruflicher Entwicklung und damit die Wiederholung verschiedener Phasen abbilden.

Inhaltliche und empirische Überlegungen

Die aus den heterogenen Voraussetzungen resultierende Chancenungleichheit (vgl. insbesondere Kapitel 3 und 9) könnte durch eine zielgerichtete berufliche Orientierung, im Sinne einer an individuellen Bedarfen ausgerichteten Unterstützung, in Teilen kompensiert werden. Als Voraussetzung dafür und zur Heilung der ursächlichen Informationsdefizite bedarf es jedoch weiterer empirischer Evidenz, die folgend entlang der Themen Diagnostik, Maßnahmenevaluation und beruflicher Entwicklung erläutert wird.

Die systematische Diagnostik individueller Entwicklungsstände stellt eine wesentliche Voraussetzung in der Umsetzung einer bedarfsorientierten Unterstützung individueller Berufsorientierungsprozesse dar und war aufgrund dessen Auslöser der in Kapitel 10 erläuterten Studie. Mit Blick auf zukünftige Weiterentwicklungen diagnostischer Instrumente bedarf es der Berücksichtigung der Zielgruppe und des Anwendungszwecks (Maag Merki & Grob, 2005). Gleichzeitig sollten Faktoren zur Zielgruppendefinition verwendet werden, die im Schulalltag vergleichsweise einfach zu identifizieren oder den beratenden und planenden Lehrkräften bereits bekannt sind: Soziodemografische Faktoren werden in den Schulen standardmäßig auf Individualbasis erfasst. Auch Schulleistungen werden vor Ort gemessen und könnten zur individuellen Bedarfsanalyse herangezogen werden. Savickas et al. (2009) warnen dabei jedoch vor übermäßig vereinfachten Profilen und Testscores und geben bei der Bewertungsinterpretation die Berücksichtigung des jeweiligen Umfelds zu bedenken. Die Herausforderung der Entwicklung eines „angemessene[n] und vor allem praxisrelevante[n] Erhebungs- bzw. Messverfahren[s]“ (Petermann, 2018, S. 206) stellt sich auch im Zuge der Neukonzipierung und Digitalisierung des Berufswahlpasses, einem bundesweit eingesetzten Portfolioinstrument (Bundesarbeitsgemeinschaft Berufswahlpass, 2012; Lumpe, 2003). In der wissenschaftlichen Ausarbeitung zur Neukonzipierung des digitalen Berufswahlpasses empfehlen Brüggemann, Driesel-Lange, Gehrau et al. (2017) die Selbststeuerung der Jugendlichen durch die Verwendung von Selbstmanagement-Tools zu stärken. Diese Empfehlung eines individuumsbezogenen Diagnostikinstruments wurde als Teil des neu zu entwickelnden digitalen Berufswahlpasses übernommen, wie den Ausschreibungsunterlagen zu entnehmen ist (Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH, 2019). Schulen könnte folglich bald eine technische Möglichkeit zur systematischen und kontinuierlichen Bestandsaufnahme der individuellen Entwicklung zur Verfügung stehen. Zur bedarfsorientierten Planung im Kontext von Schule müssen jedoch weitere methodische Überlegungen vollzogen werden.

Denn neben dem Wissen um den individuellen Entwicklungsstand (Diagnostik) stellen empirische Befunde zur Effektivität berufsorientierender Maßnahmen eine weitere wesentliche Voraussetzung einer bedarfsorientierten Förderung dar. Die bereits beschriebene Blackbox der Maßnahmeneffekte, die aus der Heterogenität der Angebote und ihrer fehlenden Standardisierung resultiert, könnte mittels qualitativer Analysen der einzelnen Maßnahmenkonzepte durchleuchtet werden. Anhand einer qualitativen Analyse der Angebotsformate könnten Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den zugrundeliegenden didaktischen Konzepten transparent gemacht werden. In einem weiteren Schritt könnten diese Erkenntnisse in quantitativen (längsschnittlichen) Untersuchungen zur beruflichen Entwicklung Jugendlicher mit einbezogen und somit die Angebote hinsichtlich ihrer Effekte untersucht werden. Diesen Anspruch greift das Projekt StepUp! mit seiner qualitativen Maßnahmenanalyse und dessen Verschränkung mit quantitativen Analysen auf (Ohlemann et al., 2019). Auch Collins und Barnes (2017) verweisen auf die Notwendigkeit spezifischer Maßnahmenanalysen und das Potential für die Effektverbesserung. Kayser (2013) stellt für den deutschsprachigen Raum fest, dass die bisherigen Evaluationen einzelner Maßnahmen nebeneinanderstehen, jedoch „keine theoretisch und empirisch fundierte Übersicht oder Struktur“ (S. 10) zur Einordnung der berufsorientierenden Maßnahmen und ihrer Wirkfaktoren vorliegt. Brüggemann, Driesel-Lange und Weyer (2017) haben diesen Bedarf aufgegriffen und in ihrem Sammelband zum einen übergeordnete Perspektiven auf berufsorientierende Maßnahmen dargestellt und zum anderen empirische Studien zu diversen Maßnahmen zusammengetragen. Bestehen bleibt der Bedarf, (1) unterstützende Maßnahmen anhand eines einheitlichen Messinstruments zu vergleichen und (2) dabei zielgruppenspezifische Betrachtungen mit einzubeziehen.

Ein umsetzungsbezogenes Beispiel bietet die im Rahmen des Projekts StepUp! angestrebte Dokumentenanalyse von Schulungsunterlagen zu berufsorientierenden Maßnahmen, die die quantitativen Analysen des Projekts flankiert. Ziel dabei ist es, verschiedene Maßnahmenformate einer Maßnahmengruppe in Bezug auf ihre potentiell differierenden Effekte für verschiedene Zielgruppen zu vergleichen (Ohlemann et al., 2019).

Denn in Kapitel 9 konnte die Komplexität der Zusammenhänge zwischen der wahrgenommenen beruflichen Orientierung und den berufsorientierenden Angeboten in Abhängigkeit verschiedener, soziodemografischer Faktoren und ihrer Intersektionalität verdeutlicht und damit der Bedarf einer zielgruppenspezifischen, intersektionalen Betrachtung herausgestellt werden. Auch Hadjar und Hupka-Brunner (2013) verweisen auf die Notwendigkeit, intersektionale Effekte in bildungswissenschaftlichen Studien stärker zu berücksichtigen. Angesichts dessen sollte dies auch systematisch in (längsschnittlichen) berufswahlbezogenen Studien mit einbezogen werden, um zu analysieren, welche berufsorientierenden Maßnahmen sich besonders günstig auf die berufliche Orientierung verschiedener Zielgruppen auswirken. Würde die berufliche Entwicklung der Jugendlichen nach einem gemeinsamen Maßnahmenbesuch auch im zeitlichen Verlauf differieren, wäre damit ein weiteres Argument dafür gegeben, die Teilnahme an solchen Angeboten nicht mehr als Standardelemente für alle Jugendlichen einzusetzen, sondern deren Teilnahme gezielter anhand individueller Faktoren zu determinieren.

Wie zudem in Kapitel 11 sichtbar wurde, besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Existenz eines konkreten Berufswunschs und dem individuellen Berufswahlkompetenzstand. In Konsequenz sollte bei der Untersuchung berufsorientierender Maßnahmen neben den demografischen Faktoren als Prädiktoren auch der Berufswunsch als Zielvariable stärker adressiert werden. Ein weiteres Forschungsdesiderat in Hinblick auf den Berufswunsch stellt seine potentielle kausale Wirkung auf einzelne Berufswahlkompetenzfacetten bzw. gegenseitige Abhängigkeiten dar.

Neben der im vorherigen Teilkapitel (13.5) angesprochenen Überlegung zu möglichen Veränderungen des Messinstruments, lösen die studienübergreifend geringen Effektstärken der berufsorientierenden Maßnahmen auch die Frage nach der zu betrachtenden Zielvariable aus. Während die KMK (2017b) als eines der Ziele beruflicher Orientierung den Erwerb berufswahlrelevanter Kompetenzen benennt, die beispielsweise durch das in dieser Arbeit verwendete Instrument von Kaak et al. (2013) gemessen werden können, benennt Famulla (2008) den Erhalt des Ausbildungsplatzes als „entscheidendes Kriterium für einen erfolgreichen Übergang von Schule in Arbeit und Beruf“ (S. 27). In diesem Kontext interessieren folglich Indikatoren, die einen erfolgreichen nachschulischen Übergang messen. Die internationale Laufbahnforschung, die einen stärkeren Fokus auf Young Professionals bzw. die gesamte Gruppe der Berufstätigen legt, greift bei der Evaluation von Interventionen, aber auch bei der Analyse von Berufswahlkompetenzen entsprechend häufiger auf berufsbezogene Indikatoren des subjektiven Erfolgs, wie der beruflichen und allgemeinen Lebenszufriedenheit (Francis-Smythe et al., 2013; Heslin, 2005), oder auf objektive Erfolgsindikatoren, wie die Anzahl der erhaltenen Stellenangebote (Arthur, Khapova & Wilderom, 2005) oder Beförderungen (Francis-Smythe et al., 2013), zurück. Die durch Whiston et al. (2017) betrachteten sechs Indikatoren (Berufsidentität, Berufsreife, Entschiedenheit, Entscheidungsselbstwirksamkeit, wahrgenommene Unterstützung durch das Umfeld, wahrgenommene Karrierebarrieren und Ergebniserwartungen) ließen sich teilweise auch für die Evaluation berufsorientierender Maßnahmen im Kontext von Schule anwenden.

Eine weitere, aus den Resultaten dieser Arbeit hervorgegangene Überlegung ist die Verzahnung der berufswahlbezogenen Interventionsforschung auf der einen Seite mit der Analyse individueller Entwicklungsprozesse auf der anderen Seite. Denn um eine feinmaschigere, zielgruppengerechte Differenzierung der Angebote zu ermöglichen, müssen Effekte von berufsorientierenden Angeboten in Bezug zu den Facetten von Berufswahlkompetenz als Voraussetzungen erfolgreicher beruflicher Gestaltung gesetzt werden. Hinsichtlich der Berufswahlkompetenzentwicklung wurden in Kapitel 11 und 12 verschiedene Profile und Entwicklungsverläufe identifiziert. Zu beleuchten bleiben die möglichen Ursachen für die Zugehörigkeit zu den einzelnen Profilgruppen: Welche soziodemografischen Gemeinsamkeiten verbinden die Jugendlichen einer Gruppe? Bestehen ähnlichen Leistungseinstellungen?

Zudem stellt sich die Frage, welche berufsorientierenden Angebote in der Vergangenheit wahrgenommen wurden und welche dieser Maßnahmen bei den unterschiedlichen Zielgruppen besonders förderlich für die Berufswahlkompetenzentwicklung sind.

Für ein besseres Verständnis der kausalen Zusammenhänge zwischen der Teilnahme an spezifischen berufsorientierenden Maßnahmen und der beruflichen Entwicklung Jugendlicher bedarf es, wie Collins und Barnes (2017) ausführen, breit angelegter, längsschnittlicher Untersuchungen, die zudem Unterscheidungen nach Zielgruppen vornehmen. So könnte u. a. geklärt werden, aus welchen Gründen einige Jugendliche im zeitlichen Verlauf einen Zuwachs an Berufswahlkompetenz erleben, während andere, die am gleichen Ausgangspunkt gestartet sind, dauerhaft in ihrer ursprünglichen Profilgruppe verweilen. Sind ihnen unterschiedliche Angebote zu Teil geworden oder haben sie von ähnlichen Maßnahmen unterschiedlich profitiert? Haben sie qualitativ oder quantitativ differierende Unterstützung im schulischen Kontext erhalten?

Die Analyse der Berufswahlkompetenzentwicklung ist im schulischen Kontext insbesondere bedeutsam, da „Berufswahlkompetenzkonzepte einen Bezugsrahmen für die individuelle Beratung und Förderung von Jugendlichen im Berufsorientierungsprozess“ bieten (Hartkopf, 2013, S. 54). Mit Blick auf die pädagogische Praxis und die effektive Förderung von Jugendlichen mit einem gering entwickelten Kompetenzprofil stellt die Erhellung zielgruppenspezifischer Effekte von berufsorientierenden Maßnahmen auf die Berufswahlkompetenzentwicklung ein bedeutsames Forschungsdesiderat dar. Es kann zusammengefasst werden, dass die Herausforderungen zur Bestimmung der Wirksamkeit von Interventionen für die empirische Forschung bestehen bleiben (S. D. Brown, 2015). Um Aussagen über zielgruppenspezifische Wirkweisen und damit Empfehlungen zur zielgruppenspezifischen Förderung treffen zu können, stellt die empirische Verknüpfung von Berufswahlkompetenzentwicklung und berufsorientierenden Maßnahmen den zentralen nächsten Schritt für zukünftige Forschungsvorhaben dar.

7 Implikationen für die pädagogische Praxis

Im Folgenden sollen die bereits vorgestellten und diskutierten Erkenntnisse dieser Arbeit in ihrer Bedeutung für die pädagogische Praxis erörtert werden. Wie bereits zu Beginn der vorgestellten Arbeit erläutert wurde, stellt die berufliche Orientierung im Kontext von Schule aufgrund der Diversität der Beteiligten und ihrer differierenden Perspektiven ein Spannungsfeld dar, das sich auch in den begrifflichen Interpretationen widerspiegelt. Diesbezüglich weist Butz (2008b) kritisch auf die begriffliche „Bipolarität“ (S. 50) hin, die aus der Verwendung eines Begriffs zur Beschreibung verschiedener Prozesse entsteht und zwangsläufig zu Mehrdeutigkeiten führt. Ein besonderer Beitrag dieser Arbeit besteht daher in der Auflösung der begrifflichen Mehrdeutigkeit des KMK-initiierten Begriffs der beruflichen Orientierung. Vorgeschlagen wurde, diese aus der begrifflichen Mehrfachbesetzung bzw. Bündelung verschiedener Handlungsebenen resultierende Mehrdeutigkeit durch eine Ausdifferenzierung in die Unterstützung beruflicher Orientierung (u. a. durch Schule) und den Entwicklungsprozess beruflicher Orientierung (der Jugendlichen) aufzulösen. Dadurch wird der übergreifende Terminus der beruflichen Orientierung in seiner Anwendbarkeit gestärkt und eine erfolgreiche Kommunikation zwischen den Akteur*innen ermöglicht.

Ein weiterer Beitrag der vorgestellten Arbeit liegt in der systematischen, theoriegeleiteten und empirisch fundierten Herleitung der heterogenen Unterstützungsbedarfe Heranwachsender in ihrer beruflichen Entwicklung. Die hier vorgestellten Ergebnisse sprechen für eine differenzierte Maßnahmenplanung in Schule. Die sich daraus ergebenden praktischen Implikationen betreffen sowohl die politisch-gestaltende Ebene, die Ebene der Maßnahmenanbietenden sowie die schulische Ebene. Etwa weisen die Ergebnisse darauf hin, dass eine nichtdeutsche Muttersprache für Jugendliche eine mögliche Barriere zur Nutzung bestimmter Unterstützungsangebote sein könnte. Dies gilt es bei der Neukonzipierung berufsorientierender Maßnahmen durch Träger*innen wie auch bei der schulinternen Maßnahmenplanung zu bedenken.

Durch die Identifizierung der Berufswahlkompetenzprofile eröffnet die vorgelegte Arbeit zugleich in Form der Binnendifferenzierung neue Möglichkeiten zur zielgruppenspezifischen Förderung. Um die individuellen Bedarfe bestmöglich adressieren zu können, werden dabei Gruppen mit ähnlichen Merkmalen oder Voraussetzungen zusammengefasst. Die Binnendifferenzierung ist auch für andere Schulkontexte als ein Schlüsselfaktor erfolgreichen Lernens belegt (Hattie & Yates, 2014). Folglich stoßen die vorgestellten Ergebnisse auch Überlegungen zur Gestaltung der Rahmenbedingungen beruflicher Orientierung an. Die Landeskonzepte haben mit der flächendeckenden Einführung von verpflichtenden Maßnahmen zur beruflichen Orientierung in den vergangenen Jahren eine zentrale Voraussetzung für die weitere Binnendifferenzierung geschaffen, an der nun angesetzt werden kann. Zu klären bleibt, wie eine Binnendifferenzierung, die als eine mögliche Weiterentwicklung der bestehenden Konzepte zu verstehen ist, im Zusammenhang mit verpflichtend stattfindenden Maßnahmen im schulischen Alltag umgesetzt werden kann. Eine Möglichkeit bestände, wie von Jordan und Kauffeld (2019) vorgeschlagen, in der Einbettung individueller Bedarfe in strukturierte Settings, beispielsweise durch eine differenzierte Vorbereitung und eine individualisierte Reflexionsphase. Durch eine systematische Vorbereitung profitieren Schüler*innen laut Lipowski, Dreer, Kaak und Kracke (2020) beispielsweise in größerem Maße von Berufsfelderprobungen.

Ein weiterer Beitrag dieser Arbeit liegt in der Darlegung der bestehenden Maßnahmenintransparenz und des sich für die Praxis ergebenden Erfordernisses gemeinsamer Standards, im Sinne definierter Ziele und Durchführungskonzepte berufsorientierender Maßnahmen. Jordan und Kauffeld (2019) haben diesbezüglich bereits eine Strukturierungsmaske für Beratungsangebote vorgelegt. Sultana (2018) betont, dass die Unterstützung beruflicher Orientierung anhand von Kompetenzen weiterentwickelt und diskutiert werden muss und stützt damit Collins und Barnes (2017) Feststellung, dass das Potential der Unterstützung im schulischen Kontext ohne die Sicherstellung der Qualität und Konsistenz berufsorientierender Maßnahmen unerschlossen bleibt.

Ein besonderer Beitrag der vorgelegten Arbeit liegt in der Erhellung beruflicher Entwicklungsprozesse. Da sich zeigte, dass Jugendliche, die frühzeitig ein mittleres Berufswahlkompetenzniveau erreicht haben, dieses Niveau über die Zeit halten bzw. sogar ausbauen können, sollte der Berufswahlkompetenzerwerb in der Schule frühzeitig als möglicher Schutzfaktor für den nachschulischen Übergang unterstützt werden. Weiter konnte in dieser Arbeit demonstriert werden, dass die Entwicklungsprozesse der Heranwachsenden mehrheitlich diskontinuierlich verlaufen. Daraus leitet sich der Bedarf einer kontinuierlichen diagnostischen Begleitung der Jugendlichen ab, um Entwicklungserfolge bestätigen sowie Entwicklungspausen und neue Entwicklungsbedarfe frühzeitig erkennen zu können. Die Feststellung diskontinuierlicher Entwicklung verweist zudem auf die Notwendigkeit, Entwicklungsschleifen auch im Kontext der schulischen Unterstützung, beispielsweise durch eine zeitlich verzögerte oder wiederholte Teilnahme an entsprechenden Orientierungsangeboten, zuzulassen. Diese Handlungsempfehlung richtet sich gleichermaßen an die politisch-gestaltenden Akteur*innen (Flexibilisierung bestehender Elemente) als auch an Schulen (zielgruppenspezifische Planung von Maßnahmen).

Die Ergebnisse der Arbeit stellen die Wirkmechanismen eines übergreifenden Kernwerts der Berufswahlkompetenz dar. Zu prüfen bleibt jedoch noch, in welchem Maße dieser zur Erfassung von berufswahlkompetenzbezogenen Entwicklungsständen in der Praxis herangezogen werden kann. Im Kontext der Diagnostik verdeutlicht die vorgelegte Arbeit auch bei der Schulentwicklung weitere Bedarfe. Denn Frey, Jäger und Renold (2005) merken in Bezug auf die Interpretation und Kommunikation individueller Ergebnisse anhand diagnostischer Instrumente kritisch an, dass diese ausschließlich durch geschultes Personal durchgeführt werden sollten. Demzufolge gilt es also auch im Rahmen systematischer berufswahlbezogener Diagnostik die entsprechende Qualifizierung der Lehrkräfte sicherzustellen (vgl. auch Dreer, 2013b). Beratend und unterstützend tätige Personen im Auftrag von Maßnahmenträger*innen sowie innerhalb der Schulen benötigen darüber hinaus eine Qualifizierung hinsichtlich der gezielten Förderung Heranwachsender auf Basis ihrer differierenden Ausgangslagen und Bedarfe (vgl. Driesel-Lange & Ohlemann, 2019).

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der vorgelegten Arbeit, dass die Umsetzung beruflicher Orientierung als gemeinsame Aufgabe von Forschung und Praxis anzusehen ist. Theoriegeleitete, empirische Studien schaffen dabei eine wesentliche Voraussetzung zur gezielten, bedarfsorientierten Förderung individueller Entwicklung.