1 Einleitung

Aufgrund von externen Deadlines (Heckhausen, 1999) müssen Jugendliche am Ende ihrer Schulzeit erste berufswahlbezogene Entscheidungen treffen, während sie gleichzeitig verschiedene kognitive, körperliche und sozioemotionale Entwicklungsprozesse und Aufgaben zu bewältigen haben (Slavin, 2006). Um eine informierte, proaktive Berufswahl treffen zu können, benötigen Jugendliche sowohl berufswahlrelevantes Wissen und Kompetenzen wie Selbstwissen, Kenntnisse der Arbeitswelt, Planungsfähigkeiten, Selbstvertrauen und Entschlossenheit, als auch die Motivation und den Willen zum Handeln (Herr et al., 2004).

Die Relevanz der Entwicklung dieser berufswahlbezogenen Kompetenzen wird deutlich, wenn man bedenkt, dass erfolgreiche Übergänge von der Schule in nachschulische Bildungsoptionen auch den späteren beruflichen Erfolg und die berufliche Zufriedenheit im weiteren Leben beeinflussen (Hirschi, 2007).

In Deutschland findet die berufliche Orientierung vor allem in den weiterführenden Schulen statt. Dort sollen die Schüler*innen auch beim Erwerb von Berufswahlkompetenz unterstützt werden (vgl. Kapitel 2). Die berufliche Entwicklung Jugendlicher unterscheidet sich dabei in Abhängigkeit einer Vielzahl von Einflussfaktoren, u. a. dem Geschlecht (Lechner, Sortheix, Göllner & Salmela-Aro, 2017), dem sozioökonomischen Status (Eshelman & Rottinghaus, 2015), dem Bildungsniveau der Eltern (N. Kracke, Buck & Middendorff, 2018) oder der sozialen Unterstützung durch Eltern, Gleichaltrige und Lehrkräfte (Dietrich & Salmela-Aro, 2013; Driesel-Lange, Ohlemann & Morgenstern, 2018; Kiuru et al, 2012; vgl. Kapitel 3). Zudem lassen sich bei gleichaltrigen Schüler*innen Unterschiede in der Entwicklung der Berufswahlkompetenz feststellen (Driesel-Lange & Kracke, 2017). Eine logische Schlussfolgerung aus diesen Beobachtungen wäre es, Jugendlichen BO-Programme in Schulen anzubieten, die auf ihre jeweils individuellen Bedürfnisse eingehen und sie somit bestmöglich in ihrer individuellen Berufswahlkompetenzentwicklung unterstützen. In anderen Bildungskontexten wird die Berücksichtigung individueller Bedarfslagen bereits weithin als einer der Schlüsselfaktoren erfolgreichen Lernens anerkannt (Hattie & Yates, 2014; OECD, 2016).

Folglich stellt sich die Frage, wie Schulen unter Berücksichtigung ihrer finanziellen und strukturellen Möglichkeiten der entwicklungsbedingten Heterogenität ihrer Schüler*innen in ihren schulinternen BO-Konzepten Rechnung tragen können. Eine Möglichkeit bestünde darin, Schüler*innen mit vergleichbarem Berufswahlkompetenzstand und ähnlichen Entwicklungsbedürfnissen in homogeneren Kleingruppen zu organisieren. In dieser Studie wird daher die Existenz homogener Gruppen mit ähnlichen Berufswahlkompetenzmustern an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen untersucht. Dabei dient das mehrdimensionale Modell der Berufswahlkompetenz von Driesel-Lange et al. (2010), das in Kapitel 6 ausführlich beschrieben wurde, als theoretische Grundlage.

Einflussfaktoren beruflicher Entwicklung und berufswahlbezogene Profile

Sowohl das Wissen um die individuellen Bedürfnisse Jugendlicher im Rahmen ihrer beruflichen Entwicklung als auch der Wille, die schulische BO systematisch an diesen auszurichten, nehmen stetig zu (Brüggemann, Driesel-Lange & Weyer, 2017; Sultana, 2018).

Ursachen für die differierenden Ausgangslagen Jugendlicher, ihre heterogenen beruflichen Entwicklungsverläufe und Entscheidungsprozesse wurden in Kapitel 3 detailliert entfaltet. Ebenso wurde in den Kapiteln 4 und 5 auf die theoretischen Modelle und den empirischen Forschungsstand zu berufswahlbezogenen Kompetenzen und Profilen eingegangen. Zur Kontextualisierung der nachfolgenden Untersuchung soll die entsprechende Empirie daher hier nur zusammenfassend dargestellt werden.

Wie zuvor bereits dargestellt, ergeben sich die individuellen Bedarfslagen aus den unterschiedlichen persönlichen Ausgangslagen der Jugendlichen, ihren persönlichen Präferenzen sowie aus den verfügbaren Ressourcen sozialer Unterstützung. Angesichts des Schwerpunkts dieser Studie und den zur Verfügung stehenden Daten wurden die Variablen Alter, Geschlecht und die Existenz eines konkreten Berufswunschs in die Analysen mit einbezogen.

Die empirischen Befunde über die Zusammenhänge zwischen dem Alter und dem Berufswahlverhalten bzw. der beruflichen Entwicklung sind heterogen. Frühere Studien mit Erwachsenen haben unterschiedliche Alterseffekte gefunden, zum Beispiel mit Blick auf die allgemeine berufliche Adaptabilität, das Verantwortungsgefühl und die Zuversicht (Zacher, 2014) sowie auf boundaryless und protean career Verhalten (Segers, Inceoglu, Vloeberghs, Bartram & Henderickx, 2008). Bei Heranwachsenden konnten Heterogenitäten innerhalb einer Jahrgangsstufe hinsichtlich der beruflichen Entwicklung (Rahn, Brüggemann & Hartkopf, 2011) und dem Entwicklungsstand der Berufswahlkompetenzfacetten beobachtet werden (Driesel-Lange & Kracke, 2017). Beide Ergebnisse deuten auf eine altersunabhängige Entwicklung hin.

Novakovic und Fouad (2012) stellten fest, dass bei Schülerinnen in der Sekundarstufe einige Komponenten ihrer Laufbahnplanung, z. B. Pläne zur Vereinbarung von Arbeit und Familie, nicht durch das Alter der Teilnehmerinnen beeinflusst wurden. Jedoch konnten sie auch zeigen, dass mit zunehmendem Alter der Mädchen die Wahrscheinlichkeit, auf traditionell weiblich konnotierte Berufe zurückzugreifen, stieg. Ergebnisse aus den PISA-Studien (OECD, 2015) weisen jedoch auf eine begrenzte Übertragbarkeit internationaler Erkenntnisse auf den Kontext der beruflichen Entwicklung in Deutschland hin.

Deshalb ist es wichtig, den ausgeprägten Einfluss, den das Geschlecht auf die berufliche Orientierung Jugendlicher in Deutschland hat und der uns zu unseren Hypothesen geführt hat, darzustellen. Wie durch Gottfredson (1981, 2002) in ihrer Theorie der Eingrenzung und Kompromissbildung beschrieben, schließen Mädchen und Jungen bereits in der Kindheit und frühen Pubertät Berufe, die dem anderen Geschlecht zugeordnet werden, für sich aus (Faulstich-Wieland & Scholand, 2017). Folglich wählen sie nach wie vor häufig geschlechtstypische Berufe (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2016). Auch in ihrer beruflichen Orientierung unterscheiden sich Heranwachsende in Abhängigkeit ihres Geschlechts: Mädchen setzen sich in der Vorbereitung intensiver mit ihrem Berufswahlprozess auseinander (Driesel-Lange, 2011) und suchen früher nach relevanten Informationen zur beruflichen und akademischen Qualifizierung (Schneider et al., 2017).

Um individuelle Bedürfnisse verstehen, kategorisieren und sie entsprechend adressieren zu können, ist die Identifizierung von Mustern und homogenen Gruppen bereits Ziel früherer Studien gewesen. Derartige Studien greifen zum einen den Bedarf an zusätzlichem Wissen über differierende Entwicklungsstände auf und zum anderen die Notwendigkeit, deren Komplexität für die schulpraktische Anwendung zu reduzieren.

Luttenberger, Aptarashvili, Ertl, Ederer und Paechter (2014) konnten vier latente Gruppen – jeweils zwei Gruppen für Mädchen und zwei für Jungen – identifizieren, die in der Konsistenz der beruflichen Interessen und Aspirationen voneinander abwichen. Hirschi und Valero (2015) fanden anhand einer Stichprobe mit deutschen Studierenden vier Untergruppen, die sich hauptsächlich im Gesamtzustand ihrer beruflichen Adaptabilität (adaptability) unterschieden, aber ähnliche Muster für die einzelnen Facetten aufwiesen, im Konkreten in ihrer Betroffenheit, ihrer Eigenverantwortung, ihrer beruflichen Offenheit und dem berufsbezogenen Selbstvertrauen. Ein hohes Maß an beruflicher Anpassungsfähigkeit stand dabei in Zusammenhang mit einem ebenfalls höheren Maß an Handlungsbereitschaft (adaptivity, z. B. Proaktivität) und tatsächlicher Anpassung (adapting, z. B. Exploration). Mit Blick auf die Handlungsbereitschaft konnten Perera und McIlveen (2017) ebenfalls anhand von Studierenden, jedoch in Australien, drei Gruppen ermitteln, die sich erneut im übergreifenden Gesamtmaß ihrer Handlungsbereitschaft (adaptivity) unterschieden und gleichzeitig jeweils ähnliche Muster aufwiesen. In Bezug auf die arbeitsbezogene Motivation von Sekundar- und Berufsschüler*innen in der Schweiz ergaben sich vier Profilgruppen, die sich wieder hauptsächlich in ihrer Gesamtmotivation unterschieden, sowie eine zusätzliche fünfte Gruppe, die ein abweichendes Motivationsmuster aufwies (Valero und Hirschi, 2016). Ein Profil mit höherer Motivation stand bei den Sekundarschüler*innen mit positiven Arbeitserwartungen und zielgerichtetem Handeln in Verbindung, bei den Berufsschüler*innen stand diese wiederum in Zusammenhang mit einem hohen person-job-fit, höherem Arbeitseinsatz und höherer Arbeitszufriedenheit. Die Schüler*innen der fünften Profilgruppe zeigten im Durchschnitt eine weniger positive Gefühlslage (affect) sowie seltenere autonome Zielsetzung und eine geringere Selbstwirksamkeit (Valero & Hirschi, 2016). An diese Untersuchungen anschließend ermittelten Paixão und Gamboa (2017) bei portugiesischen Sekundarschüler*innen drei Motivationsprofile (selbstbestimmt, nicht selbstbestimmt, extern reguliert), die aufgrund unterschiedlicher Ausprägungen des berufswahlbezogenen Explorationsverhaltens, des Informationsumfangs sowie der berufswahlbezogenen Unentschiedenheit jeweils unterschiedliche Muster aufwiesen.

Brüggemann (2015) weist zudem darauf hin, dass sich die Existenz konkreter Berufswünsche auch auf das Berufsverhalten von Schüler*innen auswirkt. Schüler*innen, die einen konkreten Berufswunsch vor Augen haben, planen ihre beruflichen Schritte aktiver und tragen zudem ein geringeres Risiko, dauerhaft ohne berufliche Qualifizierung zu verbleiben.

Darüber hinaus untersuchten zwei Studien mit deutschen Sekundarschüler*innen mit Hilfe von Clusteranalysen, einer variablenzentrierten Methode, die Hypothese von Berufswahlkompetenzprofilen (Kaak et al., 2015; Ohlemann & Driesel-Lange, 2017). Beide Male unterschieden sich die drei (Ohlemann & Driesel-Lange, 2017) bzw. vier (Kaak et al., 2015) identifizierten Gruppen vor allem in Hinblick auf ihr übergreifendes Berufswahlkompetenzniveau, folgten aber in Bezug auf die einzelnen Facetten von Berufswahlkompetenz einem ähnlichen Muster. Diese Ergebnisse deuten stark auf die Existenz verschiedener Berufswahlkompetenzprofile hin.

Es sollte jedoch geklärt werden, ob Berufswahlkompetenzprofile auch mit Hilfe von latenten Profilanalysen identifiziert werden können, da sich diese im Vergleich zu variablenzentrierten Clusteranalysen als die robustere Methode mit „weniger willkürlichen“ Gruppenzuweisungen erwiesen haben (Magidson & Vermunt, 2002, S. 37). Zudem stellt sich die Frage, wie diese Profile dann aussehen würden.

2 Durchführung der Studie

Ziel dieser Studie ist es, homogene Schüler*innengruppen mit ähnlichen Bedürfnissen hinsichtlich ihrer Berufswahlkompetenzentwicklung zu identifizieren, um weiterführenden Schulen in Deutschland perspektivisch eine organisatorisch und finanziell praktikable Alternative zu einer vollständig individualisierten Unterstützung beruflicher Orientierung zu bieten.

Fragestellung und Hypothesen

Basierend auf dem theoretischen Berufswahlkompetenzmodell von Driesel-Lange et al. (2010) wurde folgende Forschungsfrage formuliert, die ausgehend von dem oben beschriebenen Forschungsstand anhand von fünf Hypothesen untersucht wird:

Existieren unterschiedliche Berufswahlkompetenzprofile unter Sekundarschüler*innen, und falls ja, wie unterscheiden sich diese Profile?

  1. (1)

    Es bestehen verschiedene Berufswahlkompetenzprofile, die sowohl in ihrer qualitativen Ausprägung als auch statistisch differenzierbar sind.

  2. (2)

    Die Profile folgen in Hinblick auf die zwölf Berufswahlkompetenzfacetten einem ähnlichen Muster und unterscheiden sich hauptsächlich in ihrem Gesamtniveau.

  3. (3)

    Es finden sich keine signifikanten Altersunterschiede zwischen den Profilgruppen.

  4. (4)

    Es bestehen geschlechtsbezogene Verteilungsunterschiede zwischen den Profilgruppen.

  5. (5)

    Das Vorliegen eines konkreten Berufswunschs beeinflusst die (individuelle) Profilzuordnung.

3 Methode

Stichprobe

Die analysierte Stichprobe bestand aus 303 Schüler*innen der Jahrgangsstufe 10 an drei weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen. Zwei Teilnehmer*innen (< 1 %) wurden aufgrund fehlender Daten ausgeschlossen. Das Durchschnittsalter der Stichprobe betrug 15.94 Jahre (SD = 0.48, Min = 15, Max = 18). 173 Teilnehmende (58 %) waren weiblich. 167 Lernende besuchten eines von zwei Gymnasien, die restlichen 134 Schüler*innen besuchten eine Gesamtschule. Die Selbstauskünfte wurden 2015 während der regulären Unterrichtszeit mit Hilfe eines standardisierten Paper-Pencil-Fragebogens erhoben. Die Schüler*innen wurden von Mitgliedern des Forschungsteams instruiert und zusätzlich durch ihre jeweilige Lehrkraft beaufsichtigt. Die Studienteilnahme war freiwillig.

Die Stichprobe wurde unter besonderer Berücksichtigung der bevorstehenden, ersten wichtigen Berufswahl am Ende der zehnten Klasse ausgewählt, denn entweder setzen die Jugendlichen im Anschluss ihre allgemeine Schullaufbahn bis zum Abitur fort oder sie schlagen den Weg einer beruflichen Ausbildung ein. Diese nahenden externen Deadlines spielen wiederum eine entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung und dem Übergangsprozess (Heckhausen, Wrosch & Schulz, 2010).

Instrumente

Soziodemografische Daten. Die Schüler*innen wurden gebeten, jeweils ihr Geschlecht (0 = männlich, 1 = weiblich) und ihr Alter anzugeben.

Berufswunsch. Außerdem wurden die Schüler*innen gefragt, ob sie bereits über einen konkreten Berufswunsch verfügen (0 = nein, 1 = ja).

Berufswahlkompetenz. Der individuelle Berufswahlkompetenzstand wurde mittels 90 Items des in Abschnitt 6.2 vorgestellten diagnostischen Fragebogens zur Messung der Berufswahlkompetenz von Kaak et al. (2013) erfasst, der das oben vorgestellte theoretische Berufswahlkompetenzmodell operationalisiert.

Methode

Die querschnittlichen Daten wurden, wie im Überblickskapitel zu den statistischen Auswertungsverfahren (8.2) bereits beschrieben, in einer dreistufigen Vorgehensweise analysiert:

Im ersten Schritt wurden mehrere latente Profilanalysen (LPA) mit jeweils steigender Profilanzahl durchgeführt, um innerhalb der Stichprobe latente Berufswahlkompetenzprofile zu identifizieren. Der MLR-Maximum-Likelihood-Schätzer mit robusten Standardfehlern wurde dabei verwendet, da er unempfindlich gegenüber Verletzungen der Normalverteilung ist (Muthén & Muthén, 1998–2017).

Zur Berücksichtigung von Datennesting sowie zufallsbedingt fehlender Daten wurde ein Sandwichschätzer bzw. FIML verwendet (Geiser, 2010; Graham, 2012). Um lokale Likelihood-Maxima zu vermeiden, wurde die Anzahl der zufällig generierten Startwertesets im ersten Durchlauf auf 500 mit 50 Iterationen und im zweiten Durchlauf auf 1000 mit 100 Iterationen erhöht (Geiser, 2010). Folgende Indizes wurden zur Bestimmung der Profilanzahl herangezogen: der Log-Likelihood-Wert, BLRT, VLMRT, BIC, SaBIC und der Entropiewert. Zusätzlich wurden theoretische Überlegungen angestellt und mitbegezogen (Nylund et al., 2007), um eine sinnvolle und zugleich theoretisch fundierte Interpretation zu gewährleisten (Wang & Wang, 2012).

Darüber hinaus wurden die geschätzten mittleren Klassenzuordnungswahrscheinlichkeiten berücksichtigt (J. Rost, 2006), da niedrige Fehlerraten bei der Profilzuordnung für die Anwendung in der Praxis besonders bedeutsam sind. Als weiteres Indiz zur Anwendbarkeit in der Praxis wurden die geschätzten Profilgruppengrößen auf sehr geringe Gruppengrößen hin geprüft. Nach der Bestimmung des bestgeeignetsten Modells wurde allen Schüler*innen das Profil mit der jeweils höchsten Klassenzuordnungswahrscheinlichkeit zugeordnet.

Im zweiten Schritt wurden Muster der Profile anhand einer MANOVA mit zwölf Follow-up-ANOVAs untersucht. Ziel dabei war es, zwischen den latenten Profilen mögliche Unterschiede auf den zwölf Facetten der Berufswahlkompetenz zu bestimmen.

Im letzten Schritt wurden multinomiale logistische Regressionen durchgeführt, um die Bedeutung des Geschlechts, des Alters und der Existenz eines konkreten Berufswunschs für die Profilzuweisung der Schüler*innen näher zu untersuchen. Für die LPA wurde die Software Mplus Version 8 (Muthén & Muthén, 1998–2017) verwendet, für alle anderen Analysen wurde SPSS 25.0 genutzt.

4 Ergebnisse

Die deskriptiven Ergebnisse sind in Tabelle 11.1 dargestellt. Die drei Berufswahlkompetenzfacetten mit den höchsten Mittelwerten sind Betroffenheit (M = 3.44), Selbstwissen (M = 3.18) und Zuversicht (M = 3.10). Die Berufswahlkompetenzfacetten mit den niedrigsten Mittelwerten sind Exploration (M = 1.89), Offenheit (M = 2.41) und Konzeptwissen (M = 2.52). Mit Werten zwischen .75 und .89 für Cronbachs Alpha sind die Skalenreliabilitäten als akzeptabel bis gut anzusehen. Die einzige Ausnahme bildet die Skala für Planungs- und Entscheidungswissen, die für Cronbachs Alpha nur einen Wert von .68 erreichte. Um das theoretische Modell in seiner Gesamtheit in den Profilen widerspiegeln zu können, wurde die Skala dennoch in die Analysen einbezogen und die Ergebnisse mit Bedacht interpretiert.

Tabelle 11.1 Mittelwerte, Standardabweichungen und Cronbachs Alpha der Berufswahlkompetenzskalen

LPA – Modellauswahl

Die statistischen Werte in Tabelle 11.2 verdeutlichen, dass sich kein Modell eindeutig als das beste auszeichnet. Die Vier-Profile-Lösung zeigt den besten Wert für die Entropie auf. Das Fünf-Profile-Modell liefert den besten BIC, während das Sechs-Profile-Modell den besten SaBIC und die besten Log-Likelihood-Werte aufweist. Der BLRT ist für alle Modelle signifikant und lässt daher keinen Rückschluss auf das beste Modell zu. Der VLRMT ist signifikant für die Zwei-Profile-Lösung und die Vier-Profile-Lösung. Der VLRMT weist darauf hin, dass jedes dieser beiden Modelle einen besseren Modellfit bietet als das Modell mit je einer Klasse weniger.

Unter Berücksichtigung aller statistischen Parameter, theoretischen Überlegungen und mit Blick auf die Interpretierbarkeit wurde die Vier-Profile-Lösung gewählt, um im weiteren Verlauf die einzelnen Profile hinsichtlich der zwölf Berufswahlkompetenzfacetten zu untersuchen. Der Log-Likelihood-Wert war replizierbar, auch die durchschnittlichen latenten Klassenwahrscheinlichkeiten (.92 bis .96) sind mit einer 92 – 96 %-igen Wahrscheinlichkeit einer korrekten Profilzuordnung für alle latenten Profile als sehr gut zu bewerten. Diese niedrigen Fehlerquoten stellen für eine perspektivische diagnostische Anwendung in der Praxis eine sehr wichtige Voraussetzung dar.

Tabelle 11.2 LPA Modellfit-Indizes

Beschreibung und Abgrenzung der latenten Profile

Die vier sichtbaren Profile sollten zunächst vor allem unter dem zu klärenden Aspekt einer realistischen Selbsteinschätzung der Jugendlichen beleuchtet werden. Unter der Annahme, dass die meisten Schüler*innen sich bezüglich ihrer Berufswahlkompetenz wirklichkeitsnah einschätzen können, ergibt sich folgendes Bild: Betrachtet man die Profile hinsichtlich der einzelnen Facetten, so unterscheiden sich die ersten drei Profilgruppen vor allem im Gesamtniveau, also dem übergreifenden Konkretisierungsgrad ihrer Berufswahlkompetenz. Im Folgenden werden diese drei Gruppen daher als die Unkonkreten mit einfach ausgeprägtem Kompetenzprofil (n = 40, 13 %), die Konkretisierenden mit durchschnittlich ausgeprägtem Kompetenzprofil (n = 124, 41 %) und die Fortgeschrittenen mit stark ausgeprägtem Kompetenzprofil (n = 106, 35 %) bezeichnet. Die vierte Gruppe weicht im Muster, das sich aus den Ausprägungen der einzelnen Facetten ergibt, weitgehend von den ersten drei Gruppen ab und wird die Fokussierten mit stark variierenden Kompetenzausprägungen (n = 31, 10 %) benannt. Einen Überblick über die Mittelwerte der Facetten sowie die Verteilung der Schüler*innen auf die vier Profile liefert Tabelle 11.3. Die Ergebnisse der MANOVA zeigen einen signifikanten Gesamteffekt der Profilzugehörigkeit auf das Entwicklungsniveau der Berufswahlkompetenzfacetten, V = 1.41, F(36, 825) = 20.38, p < 0,001. Die Ergebnisse der Follow-up-ANOVAs sind ebenfalls in Tabelle 11.3 dargestellt.

Post-hoc-Tests ergaben, dass die drei Profile mit einfach, durchschnittlich und stark ausgeprägter Berufswahlkompetenz auf fast allen Facetten statistisch signifikant unterscheidbar sind. Nur hinsichtlich der Betroffenheit, der Offenheit und der Steuerung ähneln sich die Konkretisierenden und die Fortgeschrittenen, sodass sie statistisch nicht differenzierbar sind. Was das Stressmanagement anbelangt, lagen die Gruppen der Unkonkreten und der Konkretisierenden statistisch gesehen nahe beieinander. Die vierte Profilgruppe, die Fokussierten, überschneiden sich auf neun der zwölf Facetten mit mindestens einem der anderen Profile. Es lässt sich zusammenfassen, dass zwar partiell paarweise Überlappungen zwischen den vier Profilgruppen bestehen, sie dennoch differenzierbare Berufswahlkompetenzprofile darstellen, sodass die erste Hypothese als validiert angesehen werden kann.

Tabelle 11.3 Vier-Profile-Modell: Mittelwerte, Standardabweichungen und Ergebnisse der ANOVA

Abbildung 11.1 stellt die Muster der vier Profile dar, die durch die Ausprägungen der einzelnen Berufswahlkompetenzfacetten entstehen. Im Mittel weisen die Unkonkreten auf jeder Facette das niedrigste und die Fortgeschrittenen das höchste Niveau auf. Die Konkretisierenden liegen zwischen diesen beiden Gruppen. Die durchschnittlichen Entwicklungsstände der drei Gruppen weichen in ihren Mustern nur geringfügig voneinander ab. Die vierte Profilgruppe, die Fokussierten, steht im Kontrast zu diesem gemeinsamen Muster. Die zweite Hypothese betreffs ähnlicher Muster kann insofern nur in Teilen bestätigt werden.

Im Folgenden werden nun die vier Profile hinsichtlich der einzelnen Facettenausprägungen und ihre Beziehungen innerhalb der Profile näher beschrieben. Die Analyse gliedert sich gemäß den drei Kompetenzdimensionen.

Abbildung 11.1
figure 1

Entwicklungsstand der Profile auf den Berufswahlkompetenzfacetten

Die Unkonkreten mit einfach ausgeprägtem Kompetenzprofil.

40 Schüler*innen (13 %) wurden aufgrund ihrer relativ niedrigen berufswahlkompetenzbezogenen Selbsteinschätzung diesem Profil zugeordnet. Fast zwei Drittel von ihnen (63 %) sind weiblich und 78 % geben an, noch über keinen konkreten Berufswunsch zu verfügen.

Innerhalb der Wissensdimension ist das Selbstwissen (M = 2.47) bei ihnen am stärksten ausgeprägt. Dies ist ebenfalls bei den anderen drei Profilgruppen der Fall. Die Unkonkreten bewerten ihr Wissen über ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken als lediglich durchschnittlich entwickelt. Die anderen drei Wissensfacetten schätzen sie als noch geringer entwickelt ein. Mit anderen Worten, diese Schüler*innen sind offenbar der Ansicht, sehr wenig über die Arbeitswelt (MKonzept = 1.99) und ihre Zugangsvoraussetzungen (MBedingung = 1.93) zu wissen. Zudem scheinen sie nur über wenige oder fast keine konkreten Pläne oder Entscheidungsszenarien zu verfügen (MPlanung = 1.69).

Hinsichtlich ihrer Motivation erscheint das Ergebnis gewissermaßen inkonsequent: Denn obwohl die Unkonkreten eine relativ hohe Bereitschaft aufweisen, sich mit ihrer beruflichen Entwicklung auseinanderzusetzen (MBetroffenheit = 3.11), zeigen sie diesbezüglich gleichzeitig wenig Eigenverantwortung (MVerantwortung = 2.06) und bekunden eine noch geringere Offenheit für neue Karriereperspektiven (MOffenheit = 1.99). Die bei weitem am wenigsten entwickelte Facette ist die berufswahlbezogene Exploration (M = 1.37). Dies trifft im Übrigen auf alle vier Profilgruppen zu.

Schüler*innen mit einfach ausgeprägter Berufswahlkompetenz räumen ein, fast nie berufliche Optionen zu erkunden. Zudem bewerten sie ihr Stressmanagement als nur geringfügig ausgeprägt (M = 2.20).

Dieses einfach ausgeprägte Kompetenzprofil kann potentiell auf drei unterschiedliche Gründe zurückgeführt werden: Heranwachsende mit einem einfach ausgeprägten Kompetenzprofil könnten sich beispielsweise am Anfang ihrer beruflichen Orientierung befinden, sodass berufswahlbezogene Kompetenzen bisher nur in geringem Maße erworben werden konnten. Es kann erwartet werden, dass diese Jugendlichen ihre Berufswahlkompetenz zukünftig gemäß ihrer individuellen Entwicklung weiter konkretisieren können.

Zugleich besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass es einigen Jugendlichen langfristig nicht gelingen könnte, ihre Berufswahlkompetenz im Sinne eines Zuwachses zu konkretisieren. In Folge dessen würden sie dauerhaft diesem Profil zugeordnet werden. Schließlich könnten sich in dieser Gruppe auch Heranwachsende befinden, die ihre Berufswahlkompetenz zuvor bereits als konkreter wahrgenommen hatten, diese nun aber aufgrund von Abgleichungsprozessen, beispielsweise durch eine Praxiserfahrung oder ein Reflexionsgespräch ausgelöst, erneut als relativ gering ausgeprägt wahrnehmen.

Die erste Interpretationsmöglichkeit der in den Startlöchern stehenden Jugendlichen wird durch ihr relativ stark ausgeprägtes berufswahlbezogenes Vertrauen (M = 2.58) und ihren starken Glauben an ihre Problemlösefähigkeiten (M = 2.68) gestützt. Diese Schüler*innen scheinen bis zu einem gewissen Grad darauf zu vertrauen, die vor ihnen liegenden berufswahlbezogenen Herausforderungen mit ihren bestehenden Kenntnissen und Fähigkeiten bewältigen zu können. In Bezug auf die genannten Kompetenzfacetten bewertet diese Gruppe ihre eigene Position offenbar eher theoretisch. Aufgrund der querschnittlichen Betrachtung können die Ursachen der Selbsteinschätzung in dieser Analyse jedoch nicht abschließend geklärt werden. Folglich sollte ihre weitere Entwicklung in längsschnittlichen Analysen untersucht werden, um festzustellen, ob sich diese Schüler*innen tatsächlich eher in einer Startphase befinden, in der sie mit dem Erwerb der Berufswahlkompetenz gerade beginnen, oder ob sie dauerhaft in ihrem aktuellen Entwicklungsstand verweilen.

Die Konkretisierenden mit durchschnittlich ausgeprägtem Kompetenzprofil.

Im direkten Vergleich mit dem einfach ausgeprägten Profil bewegen sich konkretisierende Schüler*innen im Durchschnitt auf einem höheren, insgesamt durchschnittlichen Berufswahlkompetenzniveau. Von den 124 Jugendlichen mit diesem Profil sind zwei Drittel (61 %) weiblich, rund ein Drittel (31 %) hat bereits konkrete Berufswünsche.

Mit sieben der zwölf Facetten oberhalb des Skalenmittels (2.5) und weiteren vier Skalen knapp unterhalb des Skalenmittels liegend kann ihre Berufswahlkompetenz im Ganzen als durchschnittlich bezeichnet werden. Die Konkretisierenden bewerten ihre Fähigkeit, eigene Stärken zu benennen, als sehr gut entwickelt (MSelbstwissen = 3.00). Ähnlich wie die Schüler*innen mit einfach ausgeprägter Berufswahlkompetenz halten sie ihr Konzeptwissen (M = 2.28) und ihr Wissen über Zugangsvoraussetzungen (M = 2.39) für weniger stark ausgeprägt.

Bezüglich der Dimension Motivation scheint es, als hätten diese Heranwachsenden ihre Verantwortung für die eigene berufliche Laufbahn vollständig akzeptiert und versuchen ein möglichst klares Bild ihrer beruflichen Optionen zu erhalten. Ihre Bereitschaft, sich mit ihren Berufsperspektiven auseinanderzusetzen (MBetroffenheit = 3.51), ist so weit entwickelt, dass sie sich rein statistisch nicht von den Fortgeschrittenen unterscheiden. Die Konkretisierenden fühlen sich für ihre eigene Laufbahn verantwortlich (MVerantwortung = 2.86) und bewerten ihre Fähigkeiten, berufswahlbezogene Aufgaben zu lösen, optimistisch (M = 2.96).

Analog zu den Unkonkreten mit dem einfach ausgeprägten Kompetenzprofil äußern auch sie nur eine mäßige Neugierde in Bezug auf alternative berufliche Optionen (M = 2.52) und sammeln kaum Informationen, auf die sie ihre zukünftigen berufswahlbezogenen Entscheidungen stützen könnten (MExploration = 1.81). Mit Blick auf die Handlungsdimension weisen sowohl die Konkretisierenden als auch die Fortgeschrittenen ein ähnliches Kompetenzmuster wie die Unkonkreten auf.

Die Darstellung der durchschnittlichen Ausprägung der einzelnen Berufswahlkompetenzfacetten in der Abbildung 11.1 lässt ein bogenförmiges Muster der Handlungsdimension für diese drei Profilgruppen erkennen. Dieser Bogen beginnt tief mit der am geringsten ausgeprägten Facette Exploration, erreicht bei der Problemlösekompetenz den höchsten Punkt, also den höchsten Entwicklungsstand, und flacht in Richtung Stressmanagement leicht ab.

Die Konkretisierenden bewerten ihre Fähigkeiten zum Stressmanagement (M = 2.35) als vergleichsweise gering entwickelt. Sie scheinen jedoch über eine starke Selbstregulierung zu verfügen (MSteuerung = 3.00), die es ihnen erlaubt, gesetzte Ziele beharrlich zu verfolgen. Die Konkretisierenden schätzen sich selbst zugleich als solide Problemlöser*innen (M = 3.08) ein, die im Krisenfall erfolgreich manövrieren und gesetzte Ziele weiter verfolgen bzw. situationsbedingt adaptieren können.

Die Fortgeschrittenen mit stark ausgeprägtem Kompetenzprofil.

Wie ihr Name besagt, sehen sich die 106 Schüler*innen dieser Gruppe in ihrer gesamtheitlichen Berufswahlkompetenz weit vorne. Etwa die Hälfte dieser Gruppe (55 %) sind Mädchen. Auf zehn der zwölf Facetten verorten sich diese Jugendlichen im oberen Skalendrittel. Die große Mehrheit von ihnen (73 %) verfügt zudem bereits über einen konkreten Berufswunsch.

Sowohl in Bezug auf ihre eigenen Fähigkeiten (MSelbstwissen = 3.57) als auch hinsichtlich der Arbeitswelt (MKonzept = 3.01) und deren Zugangsbedingungen (MBedingung = 3.46) fühlen sie sich informiert und sachkundig. Überdies geben die Fortgeschrittenen an, über einen konkreten Plan für ihre weiteren beruflichen Schritte zu verfügen und diesen systematisch umsetzen (MPlanung = 3.19).

Analog zu den Jugendlichen mit einem einfach bzw. durchschnittlich ausgeprägten Berufswahlkompetenzprofil sind ihre berufswahlbezogene Offenheit (M = 2.63) und Exploration (M = 2.29) im Verhältnis zu den anderen Facetten vergleichsweise gering ausgeprägt. Dennoch schätzen die Fortgeschrittenen ihr Explorationsniveau nur knapp unter dem statistischen Skalenmittel ein. Hinsichtlich ihrer Offenheit und Steuerung unterscheiden sie sich rein statistisch nicht von den Konkretisierenden. Bemerkenswert ist zudem, dass auch ihr Stressmanagement (M = 3.17) im Vergleich zu den anderen Profilen nicht nur relativ stark ausgeprägt, sondern überdies auch stimmig hinsichtlich ihrer wahrgenommenen Selbststeuerungs- (M = 3.16) und Problemlösefähigkeiten (M = 3.34) zu sein scheint.

Die Fokussierten mit stark variierenden Kompetenzausprägungen.

Die Benennung dieser vierten Gruppe mit insgesamt 31 Schüler*innen (45 % weiblich) erwies sich als besonders schwierig. Die jeweiligen Einschätzungen auf den zwölf Berufswahlkompetenzfacetten sowie die Beziehungen zwischen den einzelnen Facetten weisen im Vergleich zu den anderen Profilen stärkere Kontraste und Polaritäten auf. Das sich daraus ergebende Muster lässt verschiedenste Interpretationen zu den Motivationen, Hintergründen, Wünschen und Entwicklungsständen dieser Jugendlichen zu. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass mehr als zwei Drittel dieser Schüler*innen (70 %) bereits über einen konkreten Berufswunsch verfügen, erscheint die Interpretation der selektiven Fokussierung jedoch am plausibelsten.

Die Fokussierten bewerten ihr Selbstwissen (M = 3.40) sowie ihr Bedingungswissen (M = 3.17) als stark konkretisiert und nähern sich damit dem Niveau der Fortgeschrittenen. Ihr Wissen über die Arbeitswelt (MKonzept = 2.46) empfinden sie als durchschnittlich entwickelt. Im Vergleich zu diesen drei Wissensfacetten ist ihr Planungs- und Entscheidungswissen (M = 2.17) nur geringfügig entwickelt, liegt aber dennoch über dem der Unkonkreten.

Obwohl die Fokussierten ihre Betroffenheit (M = 3.01) im oberen statistischen Skalendrittel ansiedeln, bleibt ihre Selbsteinschätzung auf dieser Facette hinter der der drei anderen Profilgruppen zurück. Dasselbe Phänomen lässt sich hinsichtlich ihrer berufswahlbezogenen Offenheit (M = 1.77) beobachten. Ihre Zuversicht (M = 3.14) gleicht jedoch wiederum der der Fortgeschrittenen. Währenddessen nehmen sie ihre berufswahlbezogene Eigenverantwortung (M = 2.56) weniger stark als die Konkretisierenden wahr.

Mit Blick auf ihre Exploration (M = 1.45), Steuerung (M = 2.29) und Problemlösekompetenz (M = 2.52) ähnelt das Profil der Fokussierten stark dem der Unkonkreten mit einfacher Kompetenzausprägung. Ein wichtiger Unterschied liegt jedoch in ihrer vergleichsweise hoch eingeschätzten Fähigkeit zum Stressmanagement (M = 2.95), mit dem sie wiederum den Fortgeschrittenen ähneln.

Alter, Geschlecht und Berufswunsch als Prädiktoren der Profilzugehörigkeit

Die Berechnung der logistischen Regressionen hatte zum Ziel, die drei Prädiktoren (Alter, Geschlecht, Vorhandensein eines konkreten Berufswunschs) sukzessive in ein gemeinsames Modell zu integrieren, um ihren Effekt auf die Gruppenzugehörigkeiten zu eruieren. Das Profil der Fokussierten diente bei allen Regressionen als Referenzgruppe. Die beiden ersten Modelle, in denen das Alter bzw. das Alter und das Geschlecht als Prädiktoren integriert wurden, waren nicht signifikant. Es konnten also keine Zusammenhänge zwischen dem Alter sowie dem Geschlecht und der Profilzuordnung nachgewiesen werden. Die dritte Hypothese fehlender Altersunterschiede zwischen den Profilgruppen gilt daher als bestätigt. Die vierte Hypothese muss hingegen abgelehnt werden, da weibliche und männliche Lernende zu gleichen Teilen in den Profilgruppen vertreten sind.

Das finale Modell, dessen Ergebnisse in Tabelle 11.4 im Detail dargestellt werden, inkludiert folglich nur das Vorhandensein eines konkreten Berufswunschs als Prädiktor für die Profilzuordnung. Das Modell war statistisch signifikant mit einem Pseudo-R2 nach Nagelkerke von .20.

Entsprechend dem Modell gehören Schüler*innen ohne Berufswunsch eher zu den Unkonkreten oder den Konkretisierenden als zu den Fokussierten. Für die Gruppe der Fortgeschrittenen konnte kein signifikanter Effekt des Berufswunschs gefunden werden. Dies lässt sich durch den ähnlich hohen Anteil an Jugendlichen mit konkretem Berufswunsch bei den Fortgeschrittenen (73 %) und den Fokussierten (70 %) erklären. Die fünfte Hypothese konnte folglich in Teilen validiert werden.

Tabelle 11.4 Multinomiale logistische Regression: Prognostizierung der Profilzuteilung anhand des Vorliegens konkreter Berufswünsche

5 Diskussion

Berufswahlkompetenzprofile

Ziel der Studie war es, mithilfe eines personenzentrierten Analyseansatzes homogene Gruppen mit ähnlichen Berufswahlkompetenzprofilen unter den Schüler*innen an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen zu erfassen. Weiter wurde untersucht, inwiefern sich über das Alter, das Geschlecht und das Bestehen eines konkreten Berufswunschs die Zugehörigkeit zu einem bestimmen Profil vorhersagen lässt.

Von den vier identifizierten Profilgruppen unterschieden sich drei Gruppen hauptsächlich in ihrem übergreifenden Berufswahlkompetenzniveau, welches als einfach, durchschnittlich bzw. stark ausgeprägt bezeichnet werden kann. Diese Befunde zu Niveauunterschieden decken sich mit vorangegangenen Erkenntnissen zu berufswahlbezogenen Profilen (Kaak, Lipowski & Kracke, 2017; Ohlemann & Driesel-Lange, 2017; Perera & McIlveen, 2017; Valero & Hirschi, 2016).

Es lässt sich aus diesen Erkenntnissen schlussfolgern, dass diese drei Profile möglicherweise drei Entwicklungsphasen des theoretischen Modells der Berufswahlkompetenz von Driesel-Lange et al. (2010) abbilden. Auch die altersunabhängige Verteilung zwischen den Profilen würde diese Hypothese stützen. Zur weiteren Erforschung phasenähnlicher Entwicklungsprozesse bedarf es im nächsten Schritt einer längsschnittlichen Untersuchung.

Auffallend bei den drei beschriebenen Profilen war zudem, dass das Selbstwissen und die berufswahlbezogene Zuversicht jeweils auf einem ähnlichen Entwicklungsstand waren. Zu untersuchen bleibt, inwiefern das Selbstwissen bzw. dessen Wahrnehmung die berufswahlbezogene Zuversicht moderiert, ähnlich der Zusammenhänge zwischen akademischer Leistung und berufswahlbezogener Zuversicht (Negru-Subtirica & Pop, 2016). In diesem Sinne würden Schüler*innen mit einem ausgeprägten Verständnis ihrer Stärken und Interessen auch ein größeres Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln.

Das ausgeprägte Selbstwissen und die Häufung konkreter Berufswünsche bei den Fortgeschrittenen (73 %) und den Fokussierten (70 %) stützt die Argumentation, dass größeres Selbstwissen zu einer größerer Entschlossenheit bei der Berufswahl und damit zu entsprechendem Vertrauen in die eigenen Gestaltungsfähigkeiten führen könnte (von Wyl, Sabatella, Zollinger & Berweger, 2018).

Der Befund der Fokussierten, also des vierten Profils, erweitert unser bestehendes Wissen über die Berufswahlkompetenz im Jugendalter (Kaak et al., 2017; Ohlemann & Driesel-Lange, 2017). Denn diese vierte Gruppe zeigt ein markantes Berufswahlkompetenzmuster mit größeren Amplituden auf den einzelnen Facetten. Die meisten dieser fokussierten Schüler*innen haben bereits einen konkreten Berufswunsch vor Augen und scheinen sich in ihrer beruflichen Entwicklung auf dieses Ziel zu konzentrieren. Offenbar gehen sie davon aus, ihre eigenen Fähigkeiten sowie die Voraussetzungen für ihren anvisierten Beruf gut oder gut genug zu kennen. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass sie aufgrund ihres weniger stark konkretisierten Konzeptwissens den Arbeitsalltag ihres künftigen Berufs (zu) wenig kennen. Folglich könnten diesen Berufswünschen auch unrealistische Erwartungen zugrunde liegen, die sich beispielsweise aus romantisierten Berufsdarstellungen in Fernsehsendungen ergeben (Gehrau, Brüggemann & Handrup, 2016).

Es kann jedoch angenommen werden, dass die Fokussierten ihre berufliche Entwicklung als persönliche Aufgabe angenommen haben. Dass sie dabei dennoch eine vergleichbar geringe Besorgnis und berufswahlbezogene Offenheit an den Tag legen, ist in gewisser Weise darüber zu erklären, dass die zentrale Aufgabe, nämlich die Wahl eines Berufs, aus ihrer Sicht bereits erledigt ist. Mit ihrem Ziel im Blick scheinen sie die Exploration und Erwägung neuer oder alternativer Berufsoptionen völlig eingestellt zu haben. Eine konkrete berufliche Option vor Augen zu haben, scheint beruhigend auf diese Gruppe zu wirken, denn Gedanken an die berufliche Zukunft werden von ihnen als wenig belastend empfunden.

Limitationen

Die Studie muss insofern eingegrenzt werden, als dass sie ausschließlich auf Selbsteinschätzungen der Teilnehmenden basiert. Auch wenn Retelsdorf, Köller und Möller (2014) Wechselwirkungen zwischen wahrgenommener Kompetenz und bestehender Leistung festgestellt haben, können auf Basis der analysierten Daten keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Planungs- und Umsetzungsaktivitäten der Schüler*innen bzw. ihren Umgang mit berufswahlbezogenen Herausforderungen gezogen werden. Künftige Studien könnten daher konkrete Maßnahmen und berufswahlbezogene Aktivitäten Jugendlicher fokussieren. Anknüpfend an die Ergebnisse dieser Studie ist eine Längsschnittstudie mit einer größeren sowie diverseren Stichprobe mit Schüler*innen verschiedener Jahrgangsstufen geplant. Mit der Replikation der hier vorgestellten Analysen sollen die Befunde validiert werden. Auf diese Weise soll mehr Einblick in die Zusammensetzung der identifizierten Profile gewonnen werden. Zum Beispiel interessiert die soziodemographische Struktur der einzelnen Profile, aber auch mögliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den berufsbezogenen Einstellungen sowie den berufsorientierenden Aktivitäten der Schüler*innen wie der Durchführung von Praktika.

Praxisbezogene Implikationen

Insbesondere mit Blick auf zu setzende pädagogische Ziele erlangt die Diskussion um die Notwendigkeit einer kompetenzorientierten Bildung auch für die berufliche Orientierung im Kontext von Schule an hoher Bedeutung.

Durch die Identifizierung der Berufswahlkompetenzprofile liefert diese Analyse einen aktiven Beitrag zur laufenden Debatte. Denn es wurde ersichtlich, dass Jugendliche sowohl in ihren berufsweltbezogenen Kenntnissen und praktischen Erfahrungen als auch in ihrem individuellen Entwicklungsstand berufswahlbezogener Kompetenz differieren.

In der Konsequenz benötigen sie entsprechende Angebote, die diese Unterschiede berücksichtigen und ihre Entwicklung auf den spezifischen Facetten individuell angemessen unterstützen. Ebenso besteht ein Bedarf an Lernangeboten, die einen kritisch-reflektierenden Blick auf die eigenen Einstellungen ermöglichen. Ferner sollten diese Lerngelegenheiten durch individuelles Feedback eine tiefere Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen einleiten und aufrechterhalten, da sich diese Vorgehensweise als effizienter erwiesen hat (S. D. Brown, 2017).

Da die Unkonkreten einen deutlich niedrigen Berufswahlkompetenzstand aufweisen, stellen sie eine potentielle Risikogruppe dar, die mit über zehn Prozent der analysierten Stichprobe nicht zu vernachlässigen ist.

Für Schulen besteht die Herausforderung folglich darin, die Entwicklung von Schüler*innen mit einem derartigen Profil aufmerksam zu beobachten, um im Falle einer Stagnation frühzeitig eine angemessene Unterstützung bereitstellen zu können.

Die Identifizierung der Berufswahlkompetenzprofile eröffnet darüber hinaus neue Möglichkeiten für eine differenzierte Unterstützung in der beruflichen Orientierung im Kontext von Schule. Eine solche Binnendifferenzierung anhand von Berufswahlkompetenzprofilen könnte eine im Vergleich zur aktuellen Praxis gezieltere Adressierung individueller Bedarfe ermöglichen. Auf der Grundlage einer größeren Stichprobe könnten die Profile perspektivisch durch Cut-off-Werte ergänzt werden, welche wiederum eine breite Anwendung in der schulischen Praxis ermöglichen könnten und einen wesentlichen Beitrag zur Diagnostik von Berufswahlkompetenz darstellen würde.