Das von den beiden Herausgeberinnen dieses Bands von 2010 bis 2014 geleitete Forschungsprojekt „Puppenstuben, Bauecken und Waldtage: (Un)doing Gender in der Kinderkrippe“ wurde vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms „Gleichstellung der Geschlechter“ (NFP 60) gefördert. Das Nationale Forschungsprogramm verfolgte das Ziel, sowohl einen aktuellen Stand der Gleichstellung in der Schweiz darstellen zu können, als auch vertiefende Analysen gesellschaftlicher und organisationaler Praktiken, Strukturen und Prozesse der Herstellung von Ungleichheit durchzuführen. Kindertagesstätten sind aus Gleichstellungsperspektive interessant, da mit Blick auf die betreuten Kinder hier Sozialisationsprozesse in einem für die Geschlechtsidentitätsentwicklung wichtigen Alter stattfinden. Kitas sind aber auch Arbeitgeberinnen und mittendrin im Diskurs um die Frage, wie der Beruf des Kinderbetreuers auch für Männer attraktiver wird.

Aus unserer Perspektive einer interdisziplinären Geschlechterforschung interessierte uns besonders das in der Kita vorzufindende doing und undoing gender. Die damit verbundene konstruktivistische Perspektive auf die Herstellungspraktiken von Geschlecht versprach möglichst genau aufzeigen zu können, wie die lange Tradition, die Aufgaben der frühen Kindheit als weiblich zu verstehen auch heute noch in der Kita vorhanden ist; zugleich aber auch bereits vorhandene Alternativen aufzuspüren und hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zu untersuchen. Wir setzten uns zum Ziel, (un)doing gender in der Kita aus vielfältigen theoretischen Verständnissen heraus zu analysieren und so auch empirisch umzusetzen. Die Konzeptionalisierungen unserer Analysen waren dabei durch die Debatten der gender studies in den deutschsprachigen Erziehungswissenschaften (Faulstich-Wieland et al. 2004; Kelle 2016) sowie der Soziologie (Gildemeister 2017; Gildemeister und Hericks 2012; Gildemeister und Robert 2008; Heintz und Nadai 1998; Hirschauer 1994, 2001, 2014), der Kritischen Diskurspsychologie (Edley und Wetherell 1997; Morison und Macleod 2013; Nentwich und Morison 2018; Wetherell 1998, 2008; Wetherell und Edley 1999), wie auch der englischsprachigen Forschung zu gender und Organisationen, insbesondere dem durch Gherardi, Bruni und Poggio (1994, 1995; Bruni et al. 2004, 2005; Gherardi und Poggio 2007) sowie Martin (2001, 2003, 2004, 2006) erarbeiteten praxistheoretischen Zugang geprägt. Wir werden diese Verständnisse von (un)doing gender noch ausführlicher vorstellen.

Unser empirischer Zugang war in erster Linie ethnografisch und durch die Kombination verschiedener Erhebungsmethoden sowie Analyseverfahren gekennzeichnet. In insgesamt 20 Kindertagesstätten in der deutschsprachigen Schweiz konnten wir die Kitaleitungen interviewen und die räumliche Situation näher analysieren, in acht dieser Kitas zudem mit insgesamt zehn männlichen und acht weiblichen Fachpersonen für Kinderbetreuung vertiefende Interviews führen und schließlich in vier Kitas den Arbeitsalltag beobachten. Ergänzend sprachen wir mit Expertinnen und Experten und analysierten das Ausbildungscurriculum. Das im Rahmen des Forschungsprojekts erhobene Material wurde auf vielfältige Weise ausgewertet, unter anderem auch im Rahmen von Masterarbeiten (Bockstaller 2018; Wustmann 2013) sowie einer Dissertation (Tennhoff 2018).

Im hier vorliegenden Band geben wir einen Überblick über die Ergebnisse des Forschungsprojekts. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen für uns die verschiedenen empirischen Herausforderungen, doing und undoing gender zu untersuchen. In einem ersten Kapitel setzen wir uns darum mit verschiedenen Debatten hinsichtlich der Konzeptionalisierung von doing, insbesondere aber undoing gender auseinander und arbeiten die an eine empirische Herangehensweise entstehenden Herausforderungen heraus. Wir legen dar, inwieweit es sich bei Kindertagesstätten um vergeschlechtlichte Organisationen handelt und stellen das Forschungsdesign und insbesondere die zur Datenerhebung verwendeten Methoden und Techniken näher vor. Die vielfältigen Analyseansätze, die im Rahmen des Forschungsprojekts zur Anwendung kamen, werden in den darauffolgenden sechs empirischen Kapiteln näher beschrieben.

Der Herausforderung, zunächst einmal herauszufinden, was doing, was undoing gender im pädagogischen Kontext der Kindertagesstätte bedeuten kann, stellen sich die empirischen Kapitel zu den räumlichen Arrangements, den Interaktionen zwischen Kinderbetreuenden und Kindern sowie der Routinen in der Tagesgestaltung. Franziska Vogt analysiert die in den räumlichen Arrangements der Kitas vorgefundenen Genderismen (Kap. 3) und zeigt, dass als weiblich verstandene Elemente zentral verankert sind, während männlich oder neutral konnotierte Elemente weitaus seltener zu finden sind. Den episodenhaften Charakter des doing und undoing gender greift Franziska Vogt (Kap. 4) in einer Analyse der Interaktionen zwischen Kindern und Fachpersonen anhand des Videomaterials aus dem Kita-Alltag auf und untersucht, wie in unterschiedlichen Interaktionsverläufen sowohl das doing gender als auch das undoing gender dramatisiert oder aber dethematisiert werden kann. Mit einer praxistheoretischen Analyse der Alltagspraktiken zeigt Julia Nentwich auf (Kap. 5), dass verschiedene Ideale guter Kinderbetreuung in der zeitlichen Rhythmisierung des Kita-Alltags und anderen Routinen eingeschrieben sind. Während doing gender hier für die Aktivierung des Diskurses der Betreuung und damit verknüpft einem Ideal hausfraulicher Weiblichkeit steht, aktivieren Praktiken des undoing gender den Diskurs der frühkindlichen Bildung und ermöglichen so einen potenziell geschlechtsneutralen Bezug. Die folgenden Kapitel fokussieren auf die Kinderbetreuenden, zunächst in zwei Kapiteln die männlichen Kinderbetreuer, schließlich auf das in der Ausbildung der Kinderbetreuenden vermittelte Fachwissen. Den Butlerschen Subjektbegriff verbinden Julia Nentwich und Wiebke Tennhoff mit der diskurspsychologischen Analyse der Subjektpositionierungen der interviewten männlichen Fachpersonen (Kap. 6). Unter doing gender werden hier Positionierungen verstanden, die die Differenz der Geschlechter betonen, unter undoing gender die Positionierungen, mit denen Gleichheit betont wird. Zudem konnte eine Position identifiziert werden, in der Geschlecht zunächst im Hintergrund verbleibt und Professionalität anstelle von gender in den Mittelpunkt gerückt wird. Tobias Bockstaller analysiert unter Bezug auf Connells Theorie der hegemonialen Männlichkeit sowie Bourdieus Habitustheorie die körperlichen Praktiken des doing masculinity der männlichen Fachpersonen (Kap. 7). Seine Analyse des Videomaterials zeigt auf, dass bei den untersuchten männlichen Kinderbetreuern verschiedene Formen von Männlichkeit relevant gemacht werden und der jeweilige Kontext eine zentrale Rolle für die Dramatisierung und Dethematisierung von hegemonialer Männlichkeit spielt. Julia Wustmann untersucht mittels der Methode der dokumentarischen Interpretation das im Ausbildungscurriculum angehender Kinderbetreuer und Kinderbetreuerinnen vermittelte Geschlechterwissen (Kap. 8). Ihre Analyse zeigt, dass diskursiv unterschiedliches Wissen verhandelt wird, das zudem praktisch nur bedingt relevant gemacht wird.

Unsere empirischen Analysen zeigen allesamt unterschiedliche Dimensionen und Aspekte von doing und undoing gender im Kontext der Kita auf, die wir im abschließenden Kap. 9 zusammenfassen und konzeptionelle sowie methodische Schlussfolgerungen ziehen. Auch führen wir aus, welche praktischen Schlussfolgerungen aus unserer Analyse der Kindertagesstätte gezogen werden können – zum einen hinsichtlich einer genderreflektierten Pädagogik, zum anderen hinsichtlich der Möglichkeiten, Kindertagesstätten mittels Organisationsentwicklung zu verändern.