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1 Von Bits & Bäumen oder Digitalisierung & Nachhaltigkeit

Als das Internet Ende der 1990er-Jahre die Arbeitswelt eroberte, war der allgemeine Optimismus groß, dass aufgrund der Möglichkeit von Webkonferenzen mittelfristig viele geschäftliche Reisen obsolet würden. Die Hoffnungen waren offensichtlich: ökonomische Einsparungen und ein Beitrag zum Umweltschutz, insbesondere durch weniger Businessflugverkehr. Ein Transatlantikflug verursacht hin und zurück etwa 2,5 t CO2-Äquivalente je Passagier*in. Im Vergleich: Full-HD-Videoconferencing verursacht je Teilnehmer*in weniger als 300 g CO2-Äquivalente pro Stunde. Eine einzelne Person kann also mit dem gleichen CO2-Ausstoß über 8000 Stunden – oder 1000 ganze Arbeitstage oder über vier Arbeitsjahre – mit Videokonferenzen arbeiten im Kontrast zu der Person, welche einen Transatlantikflug zu einer einzigen Konferenz wahrnimmt (Warland und Hilty 2016). Trotzdem ist das Gegenteil dieser Erwartungen eingetreten: Die Zahl der per Flugzeug beförderten Passagiere ist von 1,5 Mrd. im Jahr 1999 auf 4,2 Mrd. im Jahr 2018 um mehr als den Faktor 2,7 gestiegen (World Bank 2020).

Auch die Hoffnung, dass Digitalisierung zu einer erhöhten Lebensdauer von Produkten führen würde, etwa durch die verbesserte Koordination und Verfügbarkeit von Ersatzteilen, hat sich in der Praxis nicht verwirklicht. Der aktuelle Trend ist sogar gegenläufig: Hardware, die durch Software betrieben wird, wird nach Software-Updates oft nicht mehr unterstützt. Bisher waren insbesondere Peripheriegeräte wie Drucker und Scanner oder Endgeräte wie Computer betroffen. Im Zuge des sogenannten Internet der Dinge sind potenziell alle Alltagsgeräte wie etwa Rollläden, Waschmaschinen und Kühlschränke von Software-Updates abhängig und werden damit schneller als bisher obsolet (Hilty 2017).

Um die voranschreitende Digitalisierung nachhaltiger zu gestalten, ist es von zentraler Bedeutung, die Communities der Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenzubringen, um Synergien zu eruieren. Dies geschah im Jahr 2018 im Kontext der ersten Bits-&-Bäume-Konferenz. Ziel der gleichnamigen Bewegung ist es, Digitalisierung nachhaltig zu gestalten und eine nachhaltige Entwicklung digital zu fördern (Höfner und Frick 2019). Im Zuge dieser Konferenz wurden elf Bits-&-Bäume-Forderungen aufgestellt. Zwei davon sind unmittelbar für diesen Beitrag relevant: Die erste postuliert, dass die Gestaltung der Digitalisierung dem Gemeinwohl dienen soll, indem sie im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in allen Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Soziales und Ökonomie – ausgerichtet wird. Demnach setzt eine nachhaltige Digitalisierung „auf sinnvolle, menschenwürdige Arbeit, soziale Gerechtigkeit und suffiziente Lebensstile“ (Höfner und Frick 2019). Mit der fünften der Forderungen wird postuliert, dass ein kritischer und emanzipatorischer Umgang mit digitaler Technik „elementarer Bestandteil des öffentlichen Wissens sein [muss]“, indem entsprechende Bildungsangebote geschaffen werden (Höfner und Frick 2019). Digitalisierung soll demnach dem Gemeinwohl dienen, indem sie im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestaltet wird und damit eine nachhaltige Entwicklung fördern kann. Digitale Bildung und Bildung zu Themen der Digitalisierung sollen mündige Bürger*innen hervorbringen, sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt.

Dieser Beitrag zeigt auf, wie die Ausgestaltung von Digitalisierung in Form von digitaler Hochschullehre die Erreichung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung durch Bildung für nachhaltige Entwicklung fördern kann.

2 Digitale Bildung

Vor allem im beruflichen Alltag spielt digitale Bildung eine immer größere Rolle: 59 % der Erwerbstätigen in Deutschland geben an, im Jahr 2017 digitale Medien zur beruflichen Weiterbildung genutzt zu haben (Bertelsmann Stiftung 2017). Es gibt bisher keinen allgemeingültigen Konsens für eine Definition von digitaler Bildung oder E-Learning. Im weitesten Sinne kann deshalb all das als digitale Bildung oder E-Learning bezeichnet werden, bei dem Kommunikationstechnologien dazu genutzt werden, Informationen zu Bildungszwecken bereitzustellen (Arnold et al. 2018; Beldagli und Adiguzel 2010). Digitale Bildung wird oft gleichgesetzt mit E-Learning. Letzteres ist für diesen Beitrag als Komponente von digitaler Bildung zu verstehen und ist damit impliziert, wenn von digitaler Bildung die Rede ist. Für diesen Beitrag wird E-Learning – angelehnt an Kerres und Preußler (2012) – verstanden als Lernen mit rein digital bereitgestellten und eigens für die digitale Bildung aufbereiteten Lerninhalten. Geteilte PDF-Dateien oder aufgezeichnete Vorlesungen sind hier explizit ausgeschlossen.

E-Learning kann, insbesondere bei der Förderung von kognitiven Fähigkeiten und Kompetenzen, so effektiv sein wie klassische Lernformate (Sun et al. 2008). Zusätzlich bringt es die Vorteile, dass Lernende zeit- und ortsunabhängig und damit selbstgesteuert lernen können sowie dass eine höhere Anzahl an Lernenden partizipieren kann (Sun et al. 2008). E-Learning sollte, angelehnt an klassische analoge Lehre, mit einem Human Touch, also authentisch und problemorientiert, konzipiert werden. Fehlt der Bezug zur Realität, etwa weil das Lernziel zu konstruiert wirkt oder der Bezug zur eigenen Lebenswelt nicht erkennbar ist, kann dies zur Minderung der Motivation der Lernenden führen (Keller und Suzuki 2004; Margaryan et al. 2015). Dies kann wiederum hohe Abbruchquoten nach sich ziehen (Park und Choi 2009).

3 (Hochschul-)Bildung für nachhaltige Entwicklung

Im aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskurs sind die Themen der nachhaltigen Entwicklung als Herausforderungen und gleichzeitig als angestrebte Zielsetzungen sehr präsent. Sie werden unter anderem auch als Bildungsauftrag an die Schul- und Hochschulbildung adressiert, insbesondere durch den Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (BMBF 2017). Bei der 40. UNESCO-Generalkonferenz 2019 in Paris wurde die zentrale Bedeutung des Bildungskonzeptes Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE, engl.: ESD) für die Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele mit dem Beschluss des Programms Education for Sustainable Development: Towards achieving the SDGs (ESD for 2030) nochmals untermauert (DUK 2019). Diesem Beitrag liegt folgendes Verständnis dieses Bildungskonzeptes zugrunde:

„Bildung für nachhaltige Entwicklung zielt darauf ab, Menschen dazu zu befähigen, Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung zu erkennen und so zu handeln, dass heute und künftig lebende Generationen die Chance auf die Verwirklichung eines in sozialer, ökologischer, kultureller und ökonomischer Hinsicht ‚guten‘ Lebens haben“ (Michelsen et al. 2013).

BNE hat also zum Ziel, den Lernenden (Gestaltungs-)Kompetenzen zu vermitteln, um die Gesellschaft und die Umwelt zukünftig im Sinne der Nachhaltigkeit mitgestalten zu können (de Haan 2009).

Hochschul-BNE kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, da „Studierende befähigt [werden], sich nicht nur fundiert mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen und Informationen und Debatten auf ihre Validität zu prüfen, sondern auch dazu, selbst neues Wissen zu generieren“ (Bellina et al. 2018). BNE betont damit die Untrennbarkeit von Wissenschaft und Gesellschaft. Studierende hinterfragen nicht nur die Wissenschaften im Allgemeinen, sondern insbesondere die Rolle ihrer eigenen Disziplin in Bezug auf (nicht) nachhaltige Entwicklung. Gesellschaftliche Paradigmen und die der eigenen Disziplin werden ebenso kritisch beleuchtet und weiterentwickelt. BNE ermöglicht es Studierenden, durch forschendes Lernen an Innovationen für nachhaltige Entwicklung mitzuarbeiten. Damit können sie teilhaben an der Weiterentwicklung von Methoden zur Wissensproduktion und -kommunikation (Bellina et al. 2018).

Während BNE im Nationalen Bildungsbericht bislang keine Beachtung findet (BMBF 2018), haben zumindest einzelne Hochschulen BNE in ihren Leitbildern oder Nachhaltigkeitsberichten verankert. Dazu gehören die Leuphana Universität Lüneburg und die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (Etzkorn und Singer-Brodowski 2017). Bis auf wenige Ausnahmen gibt es für Hochschuldozierende infolgedessen kaum Anreize „von oben“ – weder auf nationaler, Landes- oder Hochschulebene –, sich zu Themen der nachhaltigen Entwicklung oder BNE weiterzubilden oder im Sinne einer solchen zu lehren (Brock et al. 2018).

Resultierend daraus herrscht hier eine große Diskrepanz: Hochschulen werden einerseits als essenziell wichtig für die Vermittlung und Förderung von BNE angesehen, andererseits wird BNE kaum in rahmengebenden Dokumenten benannt oder gefordert (Brock et al. 2018). Hochschuldozierenden ist es damit weitgehend selbst überlassen, ob und in welchem Maße sie sich zu BNE oder Themen der nachhaltigen Entwicklung weiterbilden und im Sinne einer BNE lehren oder entsprechende Themenfelder in ihre Lehrveranstaltungen integrieren.

4 Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung

Mit dem Ziel, durch inter- oder transdisziplinäre Vermittlung bei Lernenden (Gestaltungs-)Kompetenzen zu fördern, wird ersichtlich, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) mehr leisten muss als die bloße Vermittlung von Wissen zu Themen nachhaltiger Entwicklung. BNE und Digitalisierung beziehen sich beide sowohl auf aktuelle als auch auf zukünftige globale Herausforderungen, sind allerdings universitär-disziplinär nicht streng verortet (Engagement Global gGmbH 2018). Es ist noch wenig untersucht, inwiefern Digitalisierung und insbesondere digitale (Hochschul-)Bildung als Instrument zur Vermittlung von BNE genutzt werden können. Nach Birkelbach et al. (2019) gibt es gemeinsame Kriterien, welche sowohl digitaler Bildung als auch Bildung für nachhaltige Entwicklung zugrunde liegen. Beide Konzepte fordern und fördern kritisch reflektierendes Denken, partizipatives und kollaboratives Lernen sowie Interdisziplinarität und Ganzheitlichkeit. Damit weisen digitale Bildung und BNE genug konzeptionelle Überschneidungen auf, um Synergieeffekte zu generieren. Nachfolgend werden Kriterien in Form von E-Learning-Prinzipien sowie Elemente der Gamifizierung und des E-Assessments beschrieben, welche zur erfolgreichen Umsetzung von digitaler BNE beitragen können.

4.1 E-Learning-Prinzipien

User-Zentrierung ist das wohl offensichtlichste der Prinzipien für erfolgreiches E-Learning: Die Inhalte eines E-Learnings müssen demnach relevant sein, das heißt angepasst an den reellen Bedarf und die Lebenswelt der Lernenden (Birkelbach et al. 2019; Ghirardini 2011). Im Zuge dessen sollten Lerninhalte idealerweise individuell, zwingend aber zielgruppengerecht aufbereitet werden (Kinshuk et al. 2010). Wird beabsichtigt, unterschiedliche Zielgruppen zu adressieren, empfiehlt es sich folglich, Lerneinheiten in mehreren Varianten für die unterschiedlichen Adressat*innen zur Verfügung zu stellen. So wird sichergestellt, dass Lernende sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf das Format zufriedengestellt werden, um motiviert lernen und Lernerfolge verzeichnen zu können. Dies entspricht dem Grundsatz der BNE, in welcher Lernende im Fokus stehen, damit Lerninhalte an die individuelle Lebenswelt angeschlossen werden können.

Modularisierung meint, dass komplexe Lerninhalte in kleinere Lernsegmente „granularisiert“ werden. Dadurch wird individuelles und damit flexibles Lernmanagement ermöglicht (Chiari et al. 2016; Corner et al. 2015), was zur Folge hat, dass ein erhöhtes Kontroll- und Steuerungsgefühl wahrgenommen wird (Malone und Lepper 1987). Dies spiegelt sich in einer erhöhten intrinsischen Motivation wider, welche zu einer geringeren Abbruchquote beitragen kann (Park und Choi 2009). Eine Segmentierung der Lerninhalte führt außerdem zur besseren Assimilation und damit zu erhöhtem Lernerfolg, da neues Wissen so schrittweise an bestehendes angegliedert werden kann (Moon und Brockway 2019). Dies ist insbesondere für BNE von großer Relevanz, da hier komplexe inter- und transdisziplinäre Fragestellungen die Regel sind. Modularisierung erleichtert zudem die User-Zentrierung: Sind Lerninhalte in kleinere Lerneinheiten unterteilt, können Lernende zielgerichteter auswählen, welche Inhalte für sie relevant sind.

Interaktive Inhalte sind aufgrund der fehlenden direkten sozialen Interaktion beim E-Learning von zentraler Bedeutung für den Lernerfolg, da sie die Lernmotivation steigern (Malone und Lepper 1987). Lernende bleiben so aktiv auf die Lerninhalte fokussiert und lassen sich weniger ablenken (Birkelbach et al. 2019). Dieses Prinzip ist insbesondere bei komplexen Fragestellungen, wie sie in der BNE häufig vorkommen, von großer Relevanz. Interaktivität fördert die Vertiefung in die Lernumgebung und damit die Bindung (Englisch: engagement) an diese (Kapp 2012).

Adaptivität ist ein weiteres elementares Prinzip guten E-Learnings. Sind Lerninhalte oder -umgebungen adaptiv gestaltet, passen sie sich an die individuellen Bedürfnisse eines jeden Lernenden an. Kann dieser selbst entscheiden, welche Inhalte in welcher Reihenfolge und in welcher Zeit gelernt werden, führt dies nach Deci und Ryan (1993) zu einer Steigerung der Motivation. Das individuelle Kontroll- und Steuerungsgefühl des Lernenden wird gesteigert und damit die intrinsische Motivation gestärkt (Malone und Lepper 1987). Um diesem Prinzip gerecht zu werden, ist es von essenzieller Bedeutung, das Prinzip der Modularisierung zu beachten und stringent einzusetzen. Nur wenn Lerninhalte segmentiert genug aufbereitet sind – zum Beispiel in drei- bis siebenminütige Lerneinheiten –, haben Lernende einen reellen Einfluss auf die Auswahl und Abfolge ihres individuellen Lernpfades. Dauert eine einzelne Lerneinheit zu lange, verläuft der individuell geplante Lernpfad schnell linear, wodurch das Kontroll- und Steuerungsgefühl rapide verloren geht. Im Kontext von BNE ist Adaptivität besonders relevant, da Lernende in der Regel verschiedenste Kenntnisse und Zugänge zu nachhaltiger Entwicklung vorzuweisen haben. Dem kann durch individuelle, adaptive Lernpfade Rechnung getragen werden.

4.2 Gamifizierung

Eine erfolgreiche Umsetzung von digitaler BNE kann durch Elemente der Gamifizierung unterstützt werden. Gamifizierung beschreibt den Einsatz von spielerischen Elementen außerhalb von Spielkontexten (Deterding et al. 2011), mit dem Ziel, die Motivation zum Lernen zu steigern und die Aufmerksamkeit der Lernenden und damit deren Vertiefung in den Lernstoff zu erhöhen (Aparicio et al. 2019; Kapp 2012). Durch Elemente wie (Erfahrungs-)Punkte, Badges (Abzeichen), Rankings, Fortschrittsanzeigen und vieles mehr können das Engagement, die extrinsische Motivation, der Spaß am Lernen sowie der Lernerfolg erhöht werden (Bevins und Howard 2018). Jedes Element der Gamifizierung weist dabei spezifische Vor- und Nachteile auf. Damit hängt es stark vom Lernsetting und der Zielgruppe ab, welche Elemente den Erfolg von einem digitalen Lernsetting wie beeinflussen.

Erfahrungspunkte bekommen Lernende unter anderem für absolvierte Lerneinheiten, richtig beantwortete Fragen und abgeschlossene Module. Sie haben nach Bevins und Howard (2018) einen eher positiven Effekt auf die Motivation von Lernenden. Werden Erfahrungspunkte mit Fortschrittsanzeigen kombiniert, überwiegt der spielerische Eindruck, bei einer Kombination mit Rankings überwiegt dagegen die kompetitive Atmosphäre (Codish und Ravid 2014).

Rankings oder Leaderboards zeigen Lernenden, wie erfolgreich sie im Vergleich zu ihren Mitlernenden abschneiden. Damit wird ein kompetitives Milieu geschaffen, welches die intrinsische Motivationsstrategie der Herausforderung fördern kann (Malone und Lepper 1987). Außerdem können Rankings ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer gleichgesinnten Gruppe begünstigen (O’Donovan et al. 2013). Sie werden von Lernenden als der am meisten motivierende Aspekt von Gamifizierung wahrgenommen (Cheong et al. 2013; O’Donovan et al. 2013), auch wenn Einzelne diese als stark demotivierend einstufen (Dominguez et al. 2012; Hanus und Fox 2015; O’Donovan et al. 2013).

Fortschrittsanzeigen geben Lernenden Orientierung zum Stand ihres Vorankommens, beispielsweise über erreichte Punkte oder den prozentualen Fortschritt innerhalb einer Lerneinheit oder eines Moduls. Während Fortschrittsanzeigen von Lernenden als wenig motivierendes Element wahrgenommen werden (O’Donovan et al. 2013), schätzen Lehrende und Lernende ihren orientierungsgebenden Charakter (Olsson et al. 2015).

In Bezug auf Badges (Abzeichen) sind widersprüchliche Ergebnisse zu verzeichnen. Einerseits können sie die Lernmotivation erhöhen, insbesondere wenn bei Lernenden keine starken extrinsischen Motivationsfaktoren wie ECTS vorliegen (Olsson et al. 2015). Andererseits können sie eine vorhandene intrinsische Motivation untergraben (Hanus und Fox 2015). Nach O’Donovan et al. (2013) steigern Badges tendenziell die Motivation, sind aber das am wenigsten effiziente Element von Gamifizierung.

4.3 E-Assessment

Digitale Prüfungsszenarien oder E-Assessments umfassen alle Aktivitäten,

„die vor dem Verfahren zur Ermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten von Lernenden (diagnostisch), während des Verfahrens zur Steuerung des Lernprozesses (formativ) und nach Abschluss des Verfahrens zur Leistungsüberprüfung und Leistungsbeurteilung (summativ) eingesetzt werden“ (Handke und Schäfer 2012).

Hier soll insbesondere auf summative E-Assessments zur Leistungsüberprüfung eingegangen werden. Diese bringen nach Michel (2015) einige Vorteile mit sich: Lehrende können an gemeinsamen Fragenpools arbeiten, audiovisuelle Elemente wie Videos können integriert werden, bei der Korrektur kann eine erhebliche Zeitersparnis entstehen und darüber hinaus werden ohne Mehraufwand detaillierte Item- und Teststatistiken zur Qualitätssicherung zur Verfügung gestellt.

Da der Erwerb von Kompetenzen im Vordergrund steht, sind nicht alle E-Assessment-Formate zur summativen Leistungsüberprüfung bei Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zielführend. Zwei besonders geeignete Möglichkeiten sollen hier exemplarisch aufgegriffen werden.

Automatisierte Essaybewertung (Automated Essay Scoring, kurz AES) ist eine für E-Assessments nutzbare Technologie. Dozierende stellen beim AES einem Lernalgorithmus 100 bewertete Essays zur Verfügung. Dieser ermittelt dann, wie ein typischer Essay bewertet wird. So wird automatisiert ein einheitliches Feedback generiert, welches Bewertungen zu Grammatik, Rechtschreibung, Stil und Textexzerpten inkludiert (Keijzer-de Ruijter und Dopper 2014).

Peer-Assessment, Peer-Review und Peer-Grading werden oft synonym genutzt. Beim Peer-Assessment bewerten Lernende sich anonymisiert untereinander. Dies kann auch analog erfolgen, ist digital aber mit deutlich weniger Aufwand verbunden. Bewertungen können vom Lehrverantwortlichen überprüft werden, dies ist aber nicht notwendig. Beim Calibrated Peer Review (CPR) wird die Bewertungsqualität der Lernenden kalibriert in Bezug auf die Mitlernenden. Durch den daraus entstehenden Reviewer Competency Index (RCI) werden die Bewertungen der Lernenden gewichtet. Durch die mit dieser Kalibrierung einhergehende Gewichtung und der mehrfachen anonymisierten Bewertung wird sichergestellt, dass strenge und wohlwollende Prüfende sich tendenziell ausgleichen.

Die Nutzung von Peer-Assessment-Verfahren ermöglicht die Abfrage komplexer(er) Sachverhalte, wodurch der Lernerfolg insbesondere hinsichtlich erworbener Kompetenzen besser überprüft werden kann. Damit wandelt sich die Rolle der Lehrenden hin zu Lernbegleitenden. Lernende sind damit nicht mehr nur Rezipient*innen von Wissen und Kompetenzen, sondern müssen diese auch abfragen oder bewerten, werden damit also selbst zu Prüfenden.

5 Das Projekt Future:N!

Dieses Projekt setzt an der Schnittstelle der beiden gesellschaftlichen Herausforderungen Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung an. Es soll hier als konkretes Beispiel dienen, wie digitale Hochschul-BNE – wie im vorangehenden Kapitel diskutiert – aussehen und funktionieren kann.

„Future:N! – Entwicklung eines adaptiven Lernportals zur Förderung einer ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung im Web 2.0‘“ ist ein Projekt, welches vom Umweltministerium Baden-Württemberg in der Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo) am Heidelberger Zentrum Bildung für nachhaltige Entwicklung gefördert wird (2018–2021). Ziel des Projektes ist die Konzeption einer digitalen BNE-Lernplattform, welche adaptive Lernangebote und damit individuelle E-Learning-Inhalte bereitstellt. Dieses Lernportal hat dabei nicht nur den Wissenserwerb der Lernenden zum Ziel, sondern insbesondere deren Kompetenzerwerb – es wird als innovatives Tool zur Weiterbildung von Multiplikator*innen von BNE, zunächst im Schul- und Hochschulkontext, konzipiert.

Dabei werden die oben genannten Prinzipien eines erfolgreichen E-Learnings als Grundgerüst für dessen Konzeption genutzt:

Die User-Zentrierung wird dadurch gewährleistet, dass unter anderem mehrere Versionen von Modulen auf verschiedenen Niveaus angefertigt werden, um unterschiedlichen Zielgruppen gerecht zu werden – dabei werden dann jeweils unterschiedliche Elemente der Gamifizierung integriert. Detaillierte Metadaten für Lerneinheiten wie unter anderem Keywords vereinfachen die Navigation im Hintergrund und helfen Lernenden, für sie relevante Themen zu finden.

Lerninhalte werden stark modularisiert. Es wird angestrebt, ausschließlich Lerneinheiten mit einer Länge von drei bis sieben Minuten zu erstellen. Ziel ist, das Lernen mit der Plattform niederschwellig und kurzweilig zu gestalten. Zusätzlich erleichtert die Modularisierung Lernenden die Auswahl der für sie relevanten Inhalte.

Anspruch dieser Plattform ist es zudem, einen größtmöglichen Anteil an interaktiven Inhalten bereitzustellen. Dies wird vereinfacht durch die Einbindung von frei zugänglichen HTML5-Anwendungen wie zum Beispiel H5P (Joubel 2020). Diese ermöglichen eine deutliche Reduktion passiver Formate, insbesondere der oft dominierenden textlastigen. Um Wissenslücken bei Lernenden vorzubeugen, sollte allerdings nicht gänzlich auf fundierte Textpassagen verzichtet werden. Vielmehr sollten interaktive und passive Formate komplementär eingesetzt werden. Adaptivität wird bei dieser Plattform in zwei unterschiedlichen Varianten implementiert. Zum besseren Verständnis werden diese unterschiedlichen Formen hier aktiv und passiv genannt. Beide haben gemeinsam, dass Lernpfade keine festgelegte lineare Abfolge aufweisen. Bei der aktiven Adaptivität haben Lernende die Möglichkeit, nach jeder Lerneinheit selbst zu entscheiden, welche Einheit als Nächstes bearbeitet werden soll. So kann zum Beispiel nach einer sechsminütigen Einheit über die Dimensionen der Nachhaltigkeit zu einer Lerneinheit zu erneuerbaren Energien gewechselt werden. Bei der passiven Adaptivität werden im Hintergrund erfasste Parameter wie etwa aufgewendete Zeit je Lerneinheit oder Prozent der richtig beantworteten Kontrollfragen relevant. Verweilen Lernende zu kurz bei einer Lerneinheit, kann davon ausgegangen werden, dass das Lernniveau entweder zu niedrig ist oder die Lerninhalte irrelevant. In diesem Fall wird Lernenden entsprechend angeboten, schwerere oder eher weiterführende Lerneinheiten zu absolvieren. Dies soll verhindern, dass Lernende aufgrund wenig relevanter Lerninhalte oder falsch gewählter Lernniveaus die Motivation verlieren. Für die summative Leistungsüberprüfung bei Studierenden wird unter anderem Peer-Assessment genutzt, um so die komplexen Sachverhalte und insbesondere den Kompetenzerwerb abfragen zu können.

Mit der Future:N!-Plattform können Nutzer*innen nicht nur Lerneinheiten konsumieren, sondern auch produzieren. Die Plattform ist für alle Bildungsakteur*innen im Kontext von BNE offen – das heißt, diese können auch E-Learning-Module erstellen und damit ihre Expertise auf der Plattform zur Verfügung stellen. So können die vorhandene Expertise zu BNE und BNE-relevanten Themenfeldern aufgegriffen und damit Synergien genutzt werden. Dadurch soll Bildungsakteur*innen zum einen eine erhöhte Reichweite geboten werden, zum anderen sollen sie bei der Schaffung von transformativen Lehr-Lern-Szenarien – etwa indem sie ihre analogen Bildungsformate mit E-Learning-Modulen zu Blended Learning erweitern – unterstützt werden.

Das Projekt Future:N! leistet mit dieser Plattform also einen Beitrag, um die Diskrepanz zwischen politischen Forderungen wie dem Nationalen Aktionsplan BNE und der tatsächlichen Umsetzung von (Hochschul-)BNE zu verkleinern, indem BNE und Themen nachhaltiger Entwicklung in größere Bevölkerungsschichten verbreitet werden. Die Hochschullehre, insbesondere in der Lehramtsausbildung, spielt dabei eine zentrale Rolle: Hier werden die Lehrkräfte und Führungskräfte der Zukunft ausgebildet.

6 Fazit

Die Konzepte der digitalen Bildung und der BNE fordern und fördern beide kritisch reflektierendes Denken, partizipatives und kollaboratives Lernen sowie Interdisziplinarität und Ganzheitlichkeit (Birkelbach et al. 2019). Dadurch bietet sich eine Vielzahl von Möglichkeitsräumen zur Nutzung von Elementen der Digitalisierung in der Hochschullehre. So zum Beispiel E-Learning: Es hält viele Möglichkeiten bereit, um transformative Lehr-Lern-Umgebungen zu kreieren, welche essenziell sind, um Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Bildungslandschaft zu etablieren und so eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. BNE in der Hochschullehre zu fokussieren hat ein besonders hohes Wirkungspotenzial, da an Hochschulen die Lehrenden und Entscheidungsträger*innen der Zukunft ausgebildet werden (BMBF 2017).

Gamifizierung kann E-Learning, auch in der Hochschullehre, attraktiver und erfolgreicher gestalten. Je nachdem, was für eine Atmosphäre gepflegt werden soll, ob kompetitiv oder spielerisch, bieten sich unterschiedliche Elemente der Gamifizierung an (Bevins und Howard 2018). Um komplexe Sachverhalte abzufragen, stehen digitale Prüfungsformate (E-Assessment) wie Peer-Assessment oder Automatisierte Essay-Bewertung zur Verfügung. Mit ihnen müssen Lerninhalte durchdrungen werden, um eine Prüfungsleistung zu erbringen (Keijzer-de Ruijter und Dopper 2014; Michel 2015). So können auch die für BNE zentralen inter- und transdisziplinären Fragestellungen abgefragt werden. Lernende – zum Beispiel durch Peer-Assessment – zu Prüfenden zu machen ist ein zentrales Anliegen transformativer Lehr-Lern-Umgebungen: Hierdurch kann die Rolle der Lehrenden von aktiven Dozierenden zu eher passiven Lernbegleitenden weiter vollzogen werden, wie es unter anderem von Bellina et al. (2018) gefordert wird, um den für BNE so zentralen Kompetenzerwerb bei den Lernenden zu fördern.