Schlüsselwörter

1 Einleitung

Design Thinking (DT) ist eine Methode zur Entwicklung kreativer Ideen und zur Suche nach bedarfs- und nutzer*innenorientierten Problemlösungen und Innovationen. Sie wird seit den 1970er-Jahren angewendet (Lindberg 2013). Während des DT-Prozesses arbeiten interdisziplinär zusammengesetzte Teams innerhalb eines zuvor festgelegten Zeitraums (zumeist wenige Tage) intensiv an einem Ort zusammen. Dabei orientieren sich die Teams an (je nach gewähltem Ansatz variierenden und sich gegebenenfalls wiederholenden) Reflexions- und Handlungsschritten (siehe unten Tab. 1), für deren Einhaltung eine ausgebildete Prozessmoderation sorgt. Neben Team und Moderation oder Facilitation können noch weitere Rollen wie z. B. Auftraggeber*in, Nutzer*in oder auch spezifische Verantwortlichkeiten innerhalb der Gruppen hinzutreten (vgl. z. B. Gerstbach 2018). Von großer Bedeutung für das Gelingen des DT-Prozesses ist der gemeinschaftlich genutzte Arbeits- und Kreativitätsraum. Durch seine flexible Gestaltung und Ausstattung soll er die Interaktion und den offenen Gedanken- und Erfahrungsaustausch der interdisziplinären Teams fördern und den Einsatz vielfältiger Ideations-, Kreativitäts-, Mindmapping- und Kollaborationstechniken ermöglichen. Sehr häufig wird im Rahmen von DT-Prozessen mit der Herstellung konkreter Prototypen gearbeitet. Seine Ursprünge hat DT, wie der Name besagt, im Designbereich (Cross 2011), wurde jedoch vor allem über den Einsatz in der Softwareentwicklung bekannter (Plattner et al. 2009). Wachsender Beliebtheit erfreut sich DT inzwischen auch in der Pädagogik (Donar 2011; Koh et al. 2015; Luka 2014; Wei Leong et al. 2015; Wrigley und Straker 2017).Footnote 1 Gleiches gilt für die Hochschuldidaktik (Fischer 2019, S. 102), verstanden als wissenschaftliche Praxis, hochschuldidaktische Beratung und Weiterbildung sowie für die Erforschung von DT-Lehrveranstaltungen im Rahmen der Hochschuldidaktik als wissenschaftliche Disziplin. Michael Lewrick bezeichnet die zunehmende Anwendung von DT an Hochschulen sogar als „Erfolgsmodell“ (2017, S. 81). Der vermehrte Einsatz der Ideations- und Kreationstechnik (Lindberg et al. 2011) in der hochschuldidaktischen Praxis sowie Beratung und Weiterbildung kann – vor allem in letzterem Kontext – als eine Annäherung der qua Primärstudium überproportional geistes- und sozialwissenschaftlich geprägten Hochschuldidaktikprofessionellen (Scholkmann und Stoltz 2017, S. 19 f.) an die digitale Transformation interpretiert werden. Digitalisierungsbezüge der analogen Methode zeigen sich darin, dass DT angesichts zunehmend komplexer werdender Herausforderungen (Buchanan 1992) auf die problemlösende Wirkung von Schwarmintelligenz sowie auf interdisziplinäre Kollaborationsformen und routinisiert vorgegebene Iterationsabläufe setzt und dem algorithmischen Prinzip der Problemlösung durch endlich definierte Einzelschritte entspricht. Insofern also die auf interdisziplinärer Kollaboration basierende DT-Methode mit grundlegenden Logiken des Digitalen korreliert, ist sie von einem spezifischen „Denkstil“ (Fleck 1980) oder „Mindset“ (Gachago et al. 2017; Scheer et al. 2012) der digitalen Transformation gekennzeichnet.

Tab. 1 Prozessphasen des DT. (Eigene Darstellung der 6 Stufen gemäß Plattner et al. 2009)

2 DT und Hochschuldidaktik: Umsetzungsfelder und Bezüge

Attraktivität für den intermediären Bereich der Hochschuldidaktik, der zwischen Wissenschaft, Person und Praxis vermittelt, erlangt DT – zusätzlich zur hohen Visibilität als Trend in der Innovationsökonomie – aus der Nähe zu Arbeitsformen, die in der Hochschuldidaktik als Praxis oder Beratung und Weiterbildung etabliert sind (Scholkmann und Stotz 2017, S. 9 ff.). Damit ist Anschluss an wesentliche hochschuldidaktische Erfahrungsräume und Aufgabenstellungen, wie die Begleitung teambasierter Ideenfindungs- und Kreativitätsprozesse, gegeben, welche sich in Rollen- und Kompetenzprofilen von Hochschuldidaktikprofessionellen finden (Brinker et al. 2018, S. 10 ff.). So verortet Fischer die Adaption von DT im hochschuldidaktischen Diskurs im Kontext einer zunehmenden „Nutzerinnen- und Nutzerorientierung“ (Fischer 2019, S. 104). Zusätzlich betont er jedoch die Anpassungsnotwendigkeit der Methode von ihrer ursprünglichen „Profit- zur Nachhaltigkeitsorientierung“ und verweist auf Unterschiede bezüglich der Prototypisierung immaterieller Artefakte und der stoffbasierten Produktentwicklung (Fischer 2019, S. 105 f.). Außerdem benennt er erfahrungsbasierte Anknüpfungspunkte für hochschuldidaktische Kurs-, Beratungs- und Supervisionsangebote, die zur Entwicklung einer konstruktiven Art des Miteinanders führen können und dabei helfen, Denkblockaden aufzubrechen sowie den kollegialen Austausch zu fördern. Arbeiten zu konkreten DT-Settings, auf die Fischer verweist, beziehen sich auf die Themenfindung für Abschlussarbeiten (Schuster 2016), die Gestaltung hochschuldidaktischer Fortbildungsprogramme oder auf Formate des Forschenden Lernens (Kern und Kern 2018). Auffällig ist – über diese Anwendungsbeispiele hinausblickend –, dass die curriculare Einbindung von DT besonders ausgeprägt ist im informationstechnischen Studium (Plattner et al. 2009), im Rahmen von (Produkt-)Design- und Architekturcurricula (Georgiev 2012; Melles et al. 2012; Withell und Haigh 2013), in wirtschafts- und informationswissenschaftlichen Studiengängen wie BWL und Wirtschaftsinformatik (Lewick 2017, S. 82) sowie in Ingenieurcurricula (Ellwood et al. 2016; Lewick 2017, S. 83; Withell und Haigh 2013, S. 3) und medienwissenschaftlichen Studiengängen (Flores et al. 2016; Lugmayr et al. 2014). Ein interessantes neueres Beispiel mit dezidierter Reflexion der hochschuldidaktischen Herangehensweise findet sich im Bereich wahlpflichtiger Innovationsprojekte an der Beuth Hochschule, wo im Rahmen des Studium Generale der Aspekt des Diversity-Managements über die Methode des DT mit der Digitalisierung verknüpft wird (Gläsener et al. 2019). Inzwischen hat, neben den bundesweit bekannten Anbietern und Zentren, wie dem Hasso Plattner Institut in Potsdam (HPI) oder dem Strascheg Center for Entrepreneurship in München, DT an weiteren Hochschulen Einzug gehalten. Das belegen beispielsweise die Einrichtung einer Honorarprofessur für DT und Innovation an der Hochschule Darmstadt oder das ERASMUS+-Projekt „DT.Uni. Design Thinking for an Interdisciplinary University“ eines europäischen Universitätskonsortiums unter Beteiligung der TU Dresden. Aktuell führt der HRK-Hochschulkompass neun Studiengänge, die DT als ausdrücklichen Studienschwerpunkt ausweisen.Footnote 2

Bezüglich der strukturellen Umsetzung von DT im Hochschulkontext, die eng mit der Frage der curricularen Einbindung zusammenhängt, lassen sich drei Herangehensweisen erkennen:

  1. 1.

    DT-Einheiten als eigenständige Organisationsbestandteile, vor allem im Rahmen des Studium Generale über Zentren für Entrepreneurship, Hochschuldidaktik, Weiterbildung oder Career Services,

  2. 2.

    curriculare Angebote, die zu kompletten Studienabschlüssen oder umfangreichen Zertifikaten führen (sogenannte DT-Schools) und

  3. 3.

    individuelle Lehrveranstaltungsformate von einzelnen Lehrenden oder Lehrendenkonsortien, die entweder in bestehende Curricula integriert sind und Wahl(pflicht)optionen darstellen oder z. T. auch außercurricular stattfinden und dann oft in Kooperation mit externen Anbietern umgesetzt werden (in Anlehnung an: Melles 2010, S. 303).

Withell und Haigh (2013, S. 6) weisen darauf hin, dass die Entwicklung von DT-Curricula noch wenig durch Einbeziehung relevanter Forschungsergebnisse und darauf fußender Konzeptentwicklung geschieht. Wenn Forschungsarbeiten vorliegen, seien diese eher anekdotischer Natur. Deshalb wird von den vorgenannten Autoren als oberste Forschungspriorität formuliert, zu ergründen, wie DT-Expertise und die mit ihr verbundenen Kompetenzziele effektiv eingeführt, entwickelt, evaluiert und weiterentwickelt werden können. Dazu lenken sie den Blick auf klare und kohärente Konzeptionen und auf die Verknüpfung mit oder die Abgrenzung zu anerkannten Lehr- und Lernkonstrukten, Modellen und Theorien der (Hochschul-)Didaktik. Zu denken ist hierbei an: Kolbs Theorie des experimentellen Lernens (Kolb 1984), das Problem Based Learning (Barrows und Tamblyn 1980), den Konstruktivismus oder das Constructive Alignment (Biggs 1996), Blooms Taxonomien der Lernziele (Bloom 1965), Ansätze der Scholarship of Teaching and Learning (SoTL) und des Design-Based Research (DBR) (Barab und Squire 2004) oder an das Instructional Design (Smith und Ragan 1999). Anschlussfähig an aktuelle hochschuldidaktische Diskurse ist DT außerdem, weil es die Bedeutung des Raums als Lernort und seine Ausstattung betont (Grots und Pratschke 2009; Günther et al. 2019), so den Spatial Turn in der Hochschuldidaktik mitvollzieht und die Bedeutung von Visualisierungen zur Verständnisförderung zwischen Teilnehmenden unterschiedlicher Disziplinen hervorhebt (Gerstbach 2018, S. 75; Grots und Pratschke 2009, S. 22 f.). Infolge der dezidierten Anwendungs- und Aktionsorientierung (Scheer et al. 2012) geht die wissenschaftliche Auseinandersetzung jedoch – trotz der guten Anschlussfähigkeit von DT-Ansätzen an bestehende Methoden und Theoriegerüste der Hochschuldidaktik – selten über den heuristischen Vergleich verschiedener DT-Schulen hinaus. Bezug genommen wird dabei insbesondere auf die jeweils unterschiedlichen Prozessgliederungen und Begriffsverständnisse (Georgiev 2012). Wenig wird in der Beschäftigung mit DT jedoch über Implikationen des Ursprungskontexts und spezifische Logiken der Methode reflektiert. Implizite Vorannahmen und domänenspezifische Adaptionsschwierigkeiten bleiben deshalb verborgen, gerade auch weil ein Zusammenhang der Methode mit den Kompetenzerfordernissen der Digitalisierung nicht direkt einsichtig ist. Mithin ist offen, welche Zielrichtungen und Wirkungen der Einsatz von DT auf den „digitalen Umbau der Hochschulen“ (Wildt 2013, S. 38) hat.

3 Wirkungen von DT und das Technologiedefizit der Hochschuldidaktik

Die genuine Praxis- und Anwendungsorientierung der Hochschuldidaktik, die am Beispiel der Adaption des DT im Hochschulkontext augenfällig wird und sich in der bislang wenig erfolgten wissenschaftlichen Erforschung spiegelt, ist Ausdruck eines generellen Technologiedefizits (Hollstein 2011; Luhmann und Schorr 1982).Footnote 3 Der Begriff umreißt einen strukturellen Problemzusammenhang, der jeglicher Didaktik innewohnt: die Schwierigkeit, von Personen getragene individuelle Bildungsprozesse, die zudem im Fall der Hochschuldidaktik in einem disziplinär extrem breit gefächerten, hoch spezialisierten Spannungsfeld von Person, Wissenschaft und Praxis angesiedelt sind, mit verallgemeinerbaren, forschungsbasierten Aussagen zu ihrer Wirksamkeit zu belegen. Luhmann und Schnorr verweisen auf das daraus erwachsende unaufhebbare Dilemma, mit kontingenten Situationen jeweils aufs Neue kreativ umzugehen zu müssen. Bezogen auf die Wirkweise von DT stellt demzufolge der strukturierte kreative Umgang mit Unvorhergesehenem ein interessantes Forschungsfeld dar. Aus Perspektive der Hochschuldidaktik als wissenschaftliche Disziplin ist außerdem danach zu fragen, ob sich aus der Empirie verallgemeinerbare Gelingensbedingungen für den Einsatz von DT an Hochschulen oder in hochschulspezifischen Kontexten ableiten lassen. Schell (2018) hat angemerkt, dass die Anwendung von DT im Bildungsbereich ein erstaunliches Pädagogikdefizit aufweise, deshalb zu sehr im Zustand des Punktuellen verharre und, wenn überhaupt curricular verankert, noch viel zu wenig auf Stringenz und Nachhaltigkeit der erstrebten Kompetenzeffekte im Curriculumverlauf geachtet werde (Eagan et al. 2011). Auch Owen (2007) stellt fest, dass viele didaktisch höchst relevante Fragen noch nicht beantwortet sind, z. B. was die zeitliche Erstreckung anbelangt, welche Personen besonders gut für die Methode an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlichem und designbasiertem Denken geeignet sind, welches Erfahrungslevel und welche Vorkenntnisse Studierende haben sollten, um an DT herangeführt zu werden, oder auch was günstige Mischungsverhältnisse zwischen akademischen und praxisbezogenen Fragestellungen sind. Whithell und Haigh (2013, S. 4) konstatieren, dass viele der Behauptungen über die Wirksamkeit von DT nicht auf der Grundlage empirischer Forschungserkenntnisse beruhen und es insgesamt betrachtet relativ wenig publizierte Forschungsarbeiten zu den Lern- und Lehraspekten gibt. Kurzum: Die gründliche Erforschung von DT ist ein Desiderat der Hochschuldidaktik als wissenschaftliche Disziplin. Nach Erkenntnissen aus empirischen Arbeiten über DT an Hochschulen haben Studierende oft nicht den Blick für den größeren Gesamtzusammenhang; nicht immer besteht eine Kompatibilität zu den bisher im Studium erworbenen Fähigkeiten und insbesondere knappe oder nicht gut gemanagte Zeitressourcen bereiten Probleme bei der konkreten Umsetzung (Melles et al. 2012). Ungeachtet dieser Einschränkungen und Forschungsdesiderate wird DT aber überwiegend als angemessene Methode zur Entwicklung von Kreations- und Innovationskompetenzen bei Studierenden angesehen (Flores et al. 2016, S. 264 f.). Withell und Haigh (2013, S. 2) betonen, dass DT eine nützliche Methode zur Ergründung komplexer Probleme ist und mittlerweile von einem breiten Spektrum von Disziplinen zur Generierung von Innovationen eingesetzt wird.

4 DT als Handlungsmodell und Denkstil

Auffällig ist, dass, obwohl die Methode Design Thinking heißt, die Literatur überwiegend die Handlungs- und Anwendungsorientierung thematisiert (Grots und Creuznacher 2012). Sichtbar wird dieses Verständnis von DT als Handlungsmodell etwa in der Charakterisierung als „hands on approach“ durch Plattner et al. (2011, S. 14). Doch gerade die Wechselwirkung zwischen einer auf Herstellung von Begründungsketten beruhenden Rationalität und einer auf Generierung und Entwicklung von Ideen und Lösungskonzepten gerichteten Kreativität (Lindberg 2013, S. 177) wohnt dem DT inne. Vielmehr noch: Sie stellt seine Stärke dar. Denn Denken und Handeln werden durch DT in methodischer Weise miteinander verbunden. So stellt Cross (2011) das enorme Potenzial von DT heraus, je nach Herausforderung zwischen Konkretem und Abstraktem zu changieren. Grots und Pratschke (2009, S. 23) sprechen sogar davon, dass DT sich „zur Methode anschaulichen Denkens schlechthin“ entwickeln könne. Ersichtlich wird das an der Lösung von Problemen orientierte Oszillieren zwischen Handeln und Denken oder zwischen Praxis und Theorie, wenn man den im deutschsprachigen Raum wohl meistreferenzierten DT-Ansatz betrachtet, den die Hasso Plattner School of Design Thinking vertritt (Plattner et al. 2009): Die Problemlösung über ein sechsgliedriges Modell geht aus von der auf Empirie beruhenden Stufe des Verstehens und Beobachtens durch epistemische Pluralität (Bauer und Eagan 2008) und zielt auf die Entwicklung nutzerzentrierter Prototypen und deren Testung unter möglichst realistischen Bedingungen in der Praxis. Scharnier der iterativen Vorgehensweise, die Rückkoppelungen zwischen den jeweiligen Schritten erlaubt, ist das Definieren von Sichtweisen und die Ideenfindung im Sinne der Erarbeitung einer ersten Konzeptualisierung. Auch wenn die Zielperspektive des HPI-Prozessmodells die Anwendung ist, so sind doch zwei der drei Phasen, die etwa im Ansatz von Brown und Wyatt als Inspiration und Ideation bezeichnet werden (Abbildung bei Fischer 2019, S. 103 f.; Brown und Wyatt 2010), eher dem intellektuellen Erfassen eines Problemverständnisses und der diskursiven Auffindung von Lösungsideen zuzuordnen. Das daran anschließende Entwickeln und Testen von Prototypen ist dann anwendungs- und umsetzungsorientiert, wie Tab. 1 zur Darstellung des DT als Denkstil und Handlungsmodell zu entnehmen ist.

5 DT, die digitale Transformation der Hochschulen und das doppelte Technologiedefizit der Hochschuldidaktik

Mit Blick auf eine vielerorts dem Stand der Technik nachhängende Umsetzung der digitalen Transformation in den Hochschulen kann – selbst angesichts des pandemiebedingten Innovationsschubs – von einem zusätzlichen, in Summe mit dem didaktischen Technologiedefizit sozusagen doppelten Technologiedefizit der vielfach neu mit mediendidaktischen Fragestellungen betrauten Hochschuldidaktik als wissenschaftlicher Praxis, Beratung, Weiterbildung und Disziplin gesprochen werden.Footnote 4 Wenngleich sich dies vorrangig in unzureichenden infrastrukturellen Rahmenbedingungen zeigt, bezieht es sich aber genauso auch auf den ebenfalls zu erlernenden Umgang mit neuen Formen digitaler Medialität(en) und deren Einsatz in der Lehre. Insofern handelt es sich um technische und kulturelle Aneignungsprozesse. Begleitet wird das technisch-kulturelle Technologiedefizit zudem von der Frage nach einer – für die didaktischen Erfordernisse im Hochschulbereich besonders relevanten – domänenspezifischen Adaption digitaler Technik und der Reflexion des übergreifenden Zusammenhangs von Hochschulbildung und Digitalisierung. Im Sinne einer wirkungsorientierten Analyse der Gestaltungsmöglichkeiten des digitalen Wandels im Hochschulbereich lassen sich aus dem bisher am Beispiel von DT Diskutierten vier wesentliche Aufgabenfelder für eine souverän mit den Chancen, Herausforderungen und Kontingenzen der digitalen Transformation umgehende Hochschuldidaktik (als Zusammenspiel von wissenschaftlicher Lehrpraxis, Beratung und Weiterbildung sowie Disziplin) erkennen:

  1. 1.

    Technologie: Ausbau der Infrastruktur und Förderung eines den hochschuldidaktischen Erkenntnissen adäquaten Technologieeinsatzes und -verständnisses (als Ausgangspunkt für eine Kultur digitaler Hochschulbildung),

  2. 2.

    Kompetenzen: Orientierung der Curricula auf Zukunftskompetenzen, wie z. B. die Fähigkeit zu Teamarbeit,

  3. 3.

    Reflexivität: Stärkung der Fähigkeit zur interdisziplinären, den eigenen Erfahrungshorizont übersteigenden Reflexion (auch bezüglich Medialität/Digitalität),

  4. 4.

    Erforschung: Stärkung der Hochschuldidaktik als wissenschaftliche Disziplin sowie Ausweitung der Forschung zum Konnex von Hochschuldidaktik und Digitalisierung zur Identifikation von Gelingensbedingungen.

Diese vier Aspekte werden im Folgenden kurz erläutert.

5.1 Technologie

Die flächendeckende Schaffung technischer und infrastruktureller Voraussetzungen (Kampylis et al. 2015, S. 32 f.) ist sicherlich der grundlegende Punkt zur Stärkung der Digitalisierung in der Hochschuldidaktik auf dem Weg zu einer Hochschulbildung im „digitalen Zeitalter“ (Hochschulforum Digitalisierung 2016, S. 34 f.). Henke et al. (2019) haben in einer breit angelegten empirischen Studie über die mit der Technologieverfügbarkeit zusammenhängende Finanzierungsfrage hinaus noch weitere bedeutsame Faktorenbündel dargelegt: organisationale, rechtliche und soziokulturelle. Sie werden in Tab. 2 zusammengefasst und zeigen, dass außer der Komponente der Infrastruktur auch die Frage einer Kultur des Digitalen von Bedeutung ist.

Tab. 2 Wichtige Faktoren für die Förderung von Digitalisierung in der Hochschulbildung. (Eigene Darstellung in Anlehnung an: Henke et al. 2019, S. 7)

5.2 Kompetenzen

Neben der Behebung des technischen Technologiedefizites durch die Schaffung von digitaler Infrastruktur und Supportangeboten sowie rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sind soziale und kulturelle Faktoren von großem Gewicht. In diesem Zusammenhang ist vor allem der Erwerb von grundlegenden Zukunftskompetenzen (Meyer-Guckel et al. 2019: „Future Skills“) zu nennen. Deshalb weisen Koh et al. (2015, S. 33–46) auf den entscheidenden Beitrag von DT hin: Die Methode vermittelt wichtige Kompetenzen für das 21. Jahrhundert. Zu differenzieren sind diese bezüglich Grundfähigkeiten einerseits und Spezialkompetenzen andererseits. Gilroy (2020, S. 3) nennt für den Bereich der Grundfähigkeiten: digitale Literalität, digitales Lernen und Kollaborationen. In Anlehnung an Meyer-Guckel et al. (2019) kategorisiert er – technologiebezogen – komplexe Datenanalyse, Webentwicklung, Tech-Skills und Tech-Translation als spezifische Fähigkeiten. In dem höchst voraussetzungsvollen Zusammenhang der Schaffung grundlegender und spezifischer Kompetenzen ist der Rückgriff auf agile Methoden und die Bereitstellung agiler Innovationsräume wie DT-Workshops ein zielführender Ansatz, um die Lehrenden und Studierenden in grundlegenden Kompetenzen (wie z. B. interdisziplinäre Kollaboration im Rahmen der digitalisierten Arbeitswelt) zu befähigen (Watolla 2019, S. 3–4). Gleichwohl kann dies nur ein initialer Schritt sein, um einerseits dringend benötigte Digitalexpert*innen schlüsselkompetenzorientiert auszubilden, andererseits den Erwerb grundlegender digitaler (nicht nur rein technischer) Fähigkeiten (Meyer-Guckel et al. 2019, S. 2) in der Lehrenden- und Studierendenschaft durch hochschuldidaktische Qualifizierung zu fördern. Im Kontext der weitreichenden Veränderungsprozesse der digitalen Transformation kann DT damit als zukunftsweisender Ansatz des kompetenzorientierten Change Management eingesetzt werden (Brandes et al. 2014; Dunne und Martin 2006). Um den Kulturwandel der Hochschuldidaktik zu einer digitalen Hochschulbildung organisch zu gestalten, ist es außerdem sinnvoll, an aktuelle Veränderungsprozesse in der Hochschullehre anzuknüpfen. Al-Ani (2016, S. 237) fasst diese in vier wesentlichen Entwicklungsbereichen zusammen:

  1. 1.

    Lehr- und Lernformate,

  2. 2.

    Verbreitungs- und Personalisierungsmöglichkeiten des Angebotes,

  3. 3.

    Individualisierungsoptionen (durch die Lehrenden) entsprechend der Nachfrage,

  4. 4.

    Lehrendenrolle auf dem Weg zum Coaching.

In allen vier Entwicklungsfeldern lässt sich DT hervorragend einbringen, da die Methode

  1. 1.

    ein innovatives Lehr- und Lernformat zur Begleitung der digitalen Transformation darstellt,

  2. 2.

    gute Verbreitungs- und Personalisierungsmöglichkeiten (z. B. entsprechend den jeweiligen Fähigkeiten der Teammitglieder) bietet,

  3. 3.

    sich als metadisziplinärer Ansatz auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Fachdisziplinen hin anpassen lässt und so Formate ermöglicht und Disziplinen berücksichtigen kann, die nicht sofort mit der DT-Methode und der Kultur des Digitalen in Verbindung gebracht werden, und

  4. 4.

    Lehrende in die moderierende Rolle als Coach bringt.

Kurzum: Mit DT können Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich neben der Anwendung des zur Digitalisierung notwendigen technischen Wissens auch der interdisziplinär-kollaborative Charakter des digitalen Lehrens- und Lernens als wesentliches Element eines Denkstils des Digitalen ausbreitet (Gilroy 2020). Vorrangige Aufgabe der in der digitalen Hochschulbildung Tätigen wäre es dann, wie der Europäische Referenzrahmen für die Digitalkompetenz von Lehrenden (DigCompEdu) ausführt, den Einsatz digitaler Technologien in den unterschiedlichen Phasen und Settings des Lernprozesses möglichst harmonisch zu orchestrieren und den Fokus dabei auf die aktiven und selbstwirksamen Lernenden zu lenken (Kali et al. 2015). In ihrer Rolle als Coachs sollten die Lehrenden (unterstützt von digital kompetenten Hochschuldidaktikprofessionellen) autonome Lernprozesse von Individuen im kollaborativen Austausch ermöglichen und diese zugänglich und inklusiv halten. Zugleich ist entsprechend der jeweiligen persönlichen Eigenschaften der Lernenden zu differenzieren und ein den Lernzielen angemessenes elektronisches Assessment des aktuellen Kompetenzstands zu gewährleisten (Redecker 2017, S. 20–22).

5.3 Reflexivität

Um zuvor skizzierte Angebote zu entwickeln und die Digitalisierung als Gesamtphänomen zu erfassen, ist es außerdem wichtig, zukünftig Formate zu gestalten, die über analoge Adaptionen des DT hinausgehen und im aktiven Umgang mit digitaler Technologie zur reflexiv-kritischen Auseinandersetzung mit den Handlungslogiken und dem Denkstil der Digitalisierung ermuntern und die Herausbildung einer Kultur des digitalen Lernens und Lehrens fördern. Das könnte beispielsweise im Rahmen von thematisch auf die (Herausforderungen der) Digitalisierung bezogenen DT-Sprints oder in Kombination mit Hackathons stattfinden. Hochschuldidaktisch zu berücksichtigen sind dabei die Effekte und Besonderheiten des Einsatzes digitaler Medientechnologien in den adressierten Disziplinen, um den interdisziplinären Austausch produktiv werden zu lassen, z. B. durch Formate zu grundlegenden Chancen und Risiken des digitalen Wandels oder zum fachübergreifenden Programmieren. In solchen Kontexten hilft die multidisziplinäre Offenheit von DT, gegenseitiges Verständnis strukturiert zu fördern (Lugmayr et al. 2014).

5.4 Erforschung

Die wissenschaftliche Erforschung des Zusammenhangs von Hochschulbildung und Digitalisierung – und dabei besonders die Forschung zu Gelingensbedingungen und Wirkzusammenhängen – ist der vierte wichtige Punkt. So lässt sich über ein „Scholarship of Digital Teaching and Learning“ gezielt an der Behebung des doppelten Technologiedefizits arbeiten. Dies gilt insbesondere für die Frage nach der sinnvollen und nachhaltigen Verankerung von DT-Ansätzen und des digitalen Lernens und Lehrens in hochschulischen Curricula (Melles 2010). Denn sie lässt sich nur empirisch fundiert auf Grundlage wissenschaftlicher Forschung und daraus abgeleiteter Wirkmodelle beantworten. In Konsequenz bedeutet das eine personelle Stärkung der Hochschuldidaktik als wissenschaftliche Disziplin sowie die enge Verzahnung mit hochschuldidaktischen Qualifizierungsangeboten und der Lehrpraxis. Wichtig ist in diesem Kontext, über die Bereitstellung von Best-Practice-Beispielen und mehrfach erprobten Patterns hinauszugreifen (Withell und Haigh 2013, S. 2), um evidenzbasierte Erkenntnisse für einen nachhaltigen und hochschuldidaktisch aufeinander abgestimmten Einsatz analoger und digitaler Lehr-Lern-Szenarien fruchtbar zu machen.

6 Fazit

Eine kompetenzorientierte, auf Nachhaltigkeit angelegte Einbindung der als Handlungsmodell und Denkstil verstandenen DT-Methode in Hochschulcurricula könnte also dazu beitragen, für die digitale Transformation benötigte Kompetenzen zu entwickeln und das interdisziplinäre Verständnis der Digitalisierung zu fördern, mithin also wesentlich die Entwicklung einer Kultur des digitalen Lernens und Lehrens voranbringen. Dies wird plausibel, wenn man die von Luhmann aufgeworfene Frage des Umgangs mit Kontingenz aufgreift und mit Henke et al. (2019, S. 21) die zentrale Aufgabe von Hochschulbildung in der „Vorbereitung auf die Bewältigung des aktuell noch unbekannten Wissens“ versteht, worauf DT als eine damit hochgradig kompatible Form von Kompetenzerwerb und „Wissensarbeit“ (Rylander 2009) reagiert. In diesem Sinne ist DT ein geeigneter Prozesspromotor für die Digitalisierung der Hochschuldidaktik auf dem Weg zur digitalen Hochschulbildung. Übergeordnetes Bildungsziel wäre die Erlangung größtmöglicher digitaler Souveränität (Henke et al. 2019, S. 23). Um das doppelte Technologiedefizit der Hochschuldidaktik zu beheben, bedarf es allerdings massiver Investitionen in Infrastruktur, didaktische Supportangebote und weitere kulturbildende Ansätze, um über die technischen Voraussetzungen hinausgehend zu einem adäquaten Design von Lehren und Lernen für das digitale Zeitalter zu gelangen (Scheer et al. 2012, S. 10). Ob man hochschulisches Lernen und Lehren wie Laurillard (2012) es vorschlägt, deshalb gleich als Designwissenschaft konzipieren sollte, sei dahingestellt. Doch kann DT als Missing Link einen disziplinenverbindenden Beitrag leisten, um verständnisvoller und im kollaborativen und interdisziplinären Austausch miteinander in die digitale Zukunft zu gelangen. Spätestens mit der Beschleunigung der Digitalisierung an den Hochschulen aufgrund schlichter Notwendigkeit während der Coronapandemie, dürfte die – leider immens teuer erkaufte – Einsicht in den Mehrwert digitaler Hochschulbildung (Mayrberger 2016) evident geworden sein.