Abschließend wird der Beitrag der vorliegenden Arbeit auf drei Ebenen diskutiert werden. Erstens wird der Beitrag der Arbeit hinsichtlich der Grundlagenforschung im Feld der Hochschulforschung herausgestellt. Zweitens wird der Beitrag der Arbeit für die theoretische Fundierung der Hochschulforschung verdeutlicht. Drittens sollen Erkenntnisse für Hochschulentwicklung und Hochschulgovernance herausgestellt werden. Hier geht es speziell um die unmittelbare Anwendungsorientierung der Forschungsbefunde. Final wird auf die Frage des Titels der vorliegenden Arbeit „Professoren mit Migrationshintergrund – Benachteiligte Minderheit oder Protagonisten internationaler Exzellenz?“ eingegangen und diese vor dem Hintergrund zentraler Erkenntnisse der Untersuchung beantwortet.

7.1 Beitrag für die Hochschulforschung

Im ersten Schritt soll im Folgenden der Beitrag der vorliegenden Arbeit für die Hochschulforschung diskutiert werden. Hochschulforschung lässt sich nur zum Teil der Erziehungswissenschaft zuordnen, sondern ist vielmehr inter- und transdisziplinär orientiert. Es finden sich neben den Erziehungswissenschaften, auch historische, soziologische, psychologische, ökonomische, rechtswissenschaftliche und politikwissenschaftliche Forschungsansätze in der Hochschulforschung. Wolter unterscheidet heuristisch sieben Themenfelder: (1) Bildungsbeteiligungs- und Studentenforschung, (2) Lehr- und Lernforschung, Studienwirkungsforschung, (3) Absolventen- und Berufsforschung, (4) Professionsforschung, (5) Institutionen-, Struktur- und Hochschulentwicklungsforschung, (6) Forschung zur Hochschulplanung, Organisation und Steuerung des Hochschulsystems und zur Hochschulpolitik, (7) Wissenschaftsforschung (vgl. Wolter 2015a, S. 153–154).

In den letzten Jahren wurde kontrovers diskutiert, inwieweit Hochschulforschung möglicherweise ausschließlich als Subdisziplin der Wissenschaftsforschung zu verstehen ist, in der die Hochschule als die zentrale Institution des Wissenschaftssystems in den Mittelpunkt gestellt wird. Ein solches Verständnis kann weder der oben skizierten Vielfalt der Themenfelder gerecht werden, noch trägt sie der Tatsache Rechnung, dass Hochschulen an der Schnittstelle zwischen Bildungs- und Wissenschaftssystem zu verorten sind. Hochschulforschung stellt einerseits Bezüge zur Bildungsforschung her, in dem sie sich mit Voraussetzungen, Prozessen und Ergebnissen von Bildung und Lernen im Kontext der Hochschule auseinandersetzt. Andererseits untersucht sie die Hochschule auch als Teil des Wissenschaftssystems, das heißt primär als Forschungseinrichtung (vgl. Wolter 2015a). Die Erkenntnis, dass für die Hochschulforschung beide Bezugssysteme elementar sind, lässt sich auch anhand der vorliegenden Arbeit verdeutlichen. Die Untersuchung über Professoren mit Migrationshintergrund stellt erstens Bezüge zur Bildungsforschung her, indem beispielsweise die Bildungs- und Berufsverläufe dargestellt, Beurteilungen der Lehrevaluationen und Akkreditierungen von Studiengängen an deutschen Hochschulen oder auch internationale Aktivitäten in der Lehre in den Blick genommen werden. Zweitens geht es aber auch explizit um die Frage, welche Bedeutung Professoren mit Migrationshintergrund als Forscher im globalen Wissenschaftssystem zukommt. Es geht dabei sowohl um internationale Forschungsaktivitäten als auch um Forschungskooperationen, eingeworbene Drittmittel oder Netzwerke von Professoren mit Migrationshintergrund. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage: Was kann die vorliegende Arbeit zur Entwicklung der Hochschulforschung beitragen?

Zunächst stellt die vorliegende Arbeit auf der Grundlage der MOBIL-Studie überhaupt das erste Mal die Gruppe von Professoren mit Migrationshintergrund im Rahmen einer großen Befragung in den Mittelpunkt. Im abschließenden offenen Kommentarfeld gab es von einer Vielzahl der befragten Professoren die positive Rückmeldung, dass sie sich freuen und es als Wertschätzung empfinden, dass eine Studie durchgeführt wird, in der sie als Zielgruppe im Mittelpunkt stehen. Zugleich wurde in diesem Zusammenhang von einigen Professoren kritisch angemerkt, dass sie eine solche Studie nach über 20 oder 30 Jahren Berufstätigkeit in Deutschland als überfällig empfinden. In diesem Sinne besteht ein wesentlicher Beitrag der vorliegenden Arbeit darin, dass überhaupt erstmalig empirische Befunde zur Gruppe der Professoren mit Migrationshintergrund vorgelegt werden können. Das heißt es entsteht dadurch die Möglichkeit, bestimmten Thesen – aus der einen wie aus der anderen Richtung – empirische Zahlen entgegenzuhalten. Im positiven Sinne wird die Hochschule häufig als kosmopolitische, weltoffene Institution verstanden, die seit ihrer Entstehung territoriale und nationalstaatliche Grenzen überschreitet (vgl. Abschnitt 3.3), was die These nahelegt, dass die Hochschule eigentlich eine paradigmatische Einrichtung sein könnte für einen offenen Zugang zur Hochschulprofessur für Menschen aus allen Teilen der Welt. Auf der Grundlage der vorliegenden Arbeit muss diese These in vielen Teilen zurückgewiesen werden. Ein geschätzter Anteil von 12 % liegt deutlich unter dem Anteil in der Alterskohorte der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Bei der regionalen Herkunft zeigt sich keine große Diversität der Herkunftsländer, sondern eine starke Konzentration auf die beiden deutschsprachigen Nachbarländer Österreich und die Schweiz sowie weitere Länder Westeuropas und Nordamerikas. Bei der sozialen Herkunft zeigt sich eine noch selektivere Zusammensetzung als bei den Professoren ohne Migrationshintergrund. Zugleich lässt sich aber auch die Gegenthese, nach der die Hochschule eine elitäre Einrichtung darstellt, die zugespitzt formuliert traditionell – und zu einem großen Teil auch heute noch – durch alte weiße deutsche Männer geleitet und geprägt wird und für Migranten kaum Zugangschancen bildet, deutlich zurückweisen. Ein geschätzter Anteil von ca. 12 % von Menschen mit Migrationshintergrund in der Professorenschaft liegt zwar deutlich unter den entsprechenden Anteilen der Alterskohorten in der Gesamtbevölkerung, aber dennoch deutlich oberhalb der Migrantenanteile in vergleichbaren Berufsfeldern (vgl. Abschnitt 2.2). Zudem hat der Ausländeranteil unter Professoren in den letzten Jahren deutlich zugenommen (vgl. Abschnitt 4.2), und über 60 % der befragten Professoren mit Migrationshintergrund wurden in den letzten sechs Jahren berufen (Abschnitt 6.2.2), was für eine deutliche Öffnungstendenz spricht.

Zudem lässt sich die vorliegende Arbeit als Beitrag zur Weiterentwicklung des Diversity-Ansatzes in der Hochschulforschung verstehen (vgl. auch Abschnitt 7.2.4). Die vorliegende Arbeit untersucht systematisch Unterschiede der Professoren mit Migrationshintergrund sowohl nach Migrationsmerkmalen wie regionaler Herkunft, Nationalität oder Zuwanderungszeitpunkt als auch nach demographischen Merkmalen wie Geschlecht und sozialer Herkunft sowie hochschulspezifischen Merkmalen wie Hochschulart, Besoldungsgruppe und Fächergruppe. Der Bezug zum Diversity-Ansatz besteht darin, dass sowohl Fragen der Zugangschancen, Teilhabe und Diskriminierung (vgl. Abschnitt 6.1, 6.5, 6.8, 6.9) untersucht werden als auch die Frage, welche Potentiale, Veränderungsprozesse und neuen Perspektiven (vgl. Abschnitt 6.3, 6.4, 6.5) durch Professoren mit Migrationshintergrund in das Hochschulwesen in Deutschland eingebracht werden. Die Gruppenunterschiede werden dabei für beide Felder in den Blick genommen.

Der Beitrag für die Hochschulforschung umfasst somit erstens explorative Erkenntnisse unter anderem über die soziodemographische Zusammensetzung, über die Bildungs- und Berufsverläufe, berufliche Zufriedenheit, internationale Aktivitäten, Zuwanderungsgeschichte und Bleibeabsichten, sowie die soziale Teilhabe und Diskriminierung von Professoren mit Migrationshintergrund. Zweitens soll im Kontext der beschriebenen Differenzierungen zusammenfassend analysiert werden, welche Bedeutung den verschiedenen soziodemographischen Merkmalen hinsichtlich der untersuchten Themenfelder zukommt. Drittens stellt sich die Frage, wie sich die Gruppe der Professoren mit Migrationshintergrund von Professoren ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Da im Rahmen der MOBIL-Studie keine Vergleichsgruppe von Professoren ohne Migrationshintergrund befragt wurde, ist es lediglich möglich, sich dieser Frage über einen Vergleich mit anderen Professorenbefragungen anzunähern.

Die explorativen Erkenntnisse lassen sich anhand der Struktur des Kapitel 6 leicht identifizieren und nachvollziehen und werden daher im Folgenden nicht erneut aufgegriffen. Lediglich am Ende des Kapitels wird kurz darauf eingegangen, um daran anknüpfende zukünftige Forschungsvorhaben zu diskutieren (vgl. Abschnitt 7.1.5). Im Folgenden werden zunächst die Besonderheiten von Professoren mit Migrationshintergrund über den Vergleich zu anderen Befragungen näher bestimmt. Es folgen Erkenntnisse hinsichtlich der Differenzierungen nach den soziodemographischen Merkmalen. Dabei geht es im ersten Schritt um den Einfluss von migrationsspezifischen Merkmalen wie Zuwanderungszeitpunkt, Nationalität und regionale Herkunft, anschließend um die demographischen Merkmale Geschlecht, soziale Herkunft und Alter und abschließend um die hochschulspezifischen Merkmale Hochschulart, Besoldungsgruppe und Fächergruppen. Im letzten Teil werden Empfehlungen für das Design zukünftiger Studien vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit herausgearbeitet.

7.1.1 Besonderheiten von Professoren mit Migrationshintergrund im Vergleich

Um die Besonderheiten von Professoren mit Migrationshintergrund im Vergleich zu ihren Kollegen darzustellen, werden im Folgenden Vergleiche zu anderen Hochschullehrerbefragungen in Deutschland gezogen. Solche Vergleiche sind aufgrund der unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte und Zusammensetzung der Samples mit besonderen Unsicherheiten verbunden. Dementsprechend lassen sich die Erkenntnisse aus den folgenden Analysen nicht als gesicherte Forschungserkenntnisse verstehen, sondern sollten vielmehr als Thesen für kommende Forschungsvorhaben verstanden werden. Inhaltlich lässt sich der Vergleich für die klassischen Felder von Hochschullehrerbefragungen durchführen, das heißt die Beschreibung der Tätigkeitsbereiche, die Beurteilung von Hochschulreformen, die berufliche Zufriedenheit sowie internationale Aktivitäten

Bei der Beschreibung der Tätigkeitsbereiche deutet der Vergleich mit der LEESI-Befragung darauf hin, dass Universitätsprofessoren mit Migrationshintergrund im Vergleich zu ihren Kollegen etwas mehr Zeit für die Forschung aufwenden und Fachhochschulprofessoren mit Migrationshintergrund etwas mehr Zeit für die Lehre als ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund. Ähnlich wie in anderen Hochschullehrerbefragungen liegt die Präferenz der Professoren mit Migrationshintergrund ebenfalls selten exklusiv im Bereich der Lehre, sondern entweder sowohl in der Forschung und der Lehre (38 %) oder exklusiv in der Forschung (47 %) (vgl. Neusel et al. 2014, S. 85). Bei der akademischen Selbstverwaltung sind Professoren mit Migrationshintergrund im Vergleich zu anderen Befragungen sogar etwas aktiver als ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund (vgl. Barlösius et al. 2017). Die Forschungsergebnisse bestätigen zugleich die Befunde der MIND-Studie von Wegner (2016b), bei der ebenfalls eine etwas höhere Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung von internationalen Nachwuchswissenschaftlern angeführt wird. Hinsichtlich der Aktivitäten und Mitgliedschaften außerhalb der Hochschule zeigen sich ebenfalls ähnliche Werte wie bei den befragten Professoren im Rahmen der CAP-Studie (vgl. Jacob und Teichler 2011, S. 163–165).

Bei der Beurteilung von Hochschulreformen wurde die Einstellung zur Bologna-Reform analysiert. Die Zielsetzung, internationale Mobilitätsprogramme zu stärken, wird von der großen Mehrheit der Professoren mit Migrationshintergrund positiv bewertet, während sie bei der Einführung gestufter Studiengänge geteilter Meinung sind. Im Vergleich zur LESSI-Studie (Schomburg et al. 2012, S. 81–88) bewerten Professoren mit Migrationshintergrund beide Aspekte deutlich positiver.

Bezüglich der NPM-Reformen wird der verstärkte Einsatz von Lehrevaluationen und die Umstellung der Hochschulfinanzierung über den Globalhaushalt von den Professoren mit Migrationshintergrund mehrheitlich positiv gesehen. Hinsichtlich der Stärkung des Hochschulmanagements und der Zielvereinbarungen an Hochschulen ist der Anteil der Befürworter lediglich geringfügig höher als der der Kritiker. Die Akkreditierung von Studiengängen/Qualitätssicherung wird von der Mehrheit der Professoren mit Migrationshintergrund abgelehnt. Die Zustimmung zu Lehrevaluationen und die Ablehnung der Akkreditierung von Studiengängen zeigen sich in ähnlicher Form bei den in der LESSI-Studie befragten Professoren (Schomburg et al. 2012, S. 80), wobei die Akkreditierung dort noch deutlich kritischer beurteilt wird, als von den Professoren mit Migrationshintergrund.

Bei der beruflichen Zufriedenheit zeigt sich, dass fast drei Viertel der befragten Professoren mit ihrer Arbeitssituation zufrieden sind, während sich lediglich jeder siebte Professor unzufrieden äußert. Vergleiche mit anderen Hochschullehrerbefragungen deuten darauf hin, dass der Grad beruflicher Zufriedenheit bei Professoren mit Migrationshintergrund noch etwas höher ausfällt als bei Professoren ohne Migrationshintergrund (vgl. Höhle und Teichler 2013a). Andere Hochschullehrerbefragungen verweisen zudem darauf, dass Männer im Durchschnitt etwas zufriedener sind als Frauen, Senior Academics etwas zufriedener als Junior Academics, Personen über 55 Jahre zufriedener als ihre jüngeren Kollegen, Ingenieurwissenschaftler, Physiker und Wirtschaftswissenschaftler zufriedener als Humanmediziner oder Geisteswissenschaftler und Wissenschaftler an Universitäten zufriedener als ihre Kollegen an Fachhochschulen (Bentley et al. 2015; Höhle und Teichler 2013a; Teichler et al. 2017). Die bivariaten Analysen für Professoren mit Migrationshintergrund legen ebenfalls den Schluss nahe, dass „Vollprofessoren“ deutlich zufriedener sind als Juniorprofessoren und dass männliche Professoren zufriedener sind als Professorinnen. Hingegen ist unter Migranten die ältere Generation sogar etwas unzufriedener als ihre jüngeren Kollegen. Zwischen Fachhochschulen und Universitäten bestehen kaum Unterschiede. Bei den Fächergruppen sind Ingenieurwissenschaftler ebenfalls besonders zufrieden. Professoren aus den Geistes- und Lebenswissenschaften sind allerdings kaum bzw. nicht unzufriedener. Deutlich zufriedener als ihre Kollegen sind hingegen Professoren der First Generation. Multivariate Analysen zeigen, dass Geschlechterunterschiede deutlich zurückgehen, sobald sie nach Besoldungsgruppen kontrolliert werden.

Hinsichtlich internationaler Erfahrungen und Aktivitäten zeigen Analysen im Zuge der CAP- und EUROAC-Auswertungen (vgl. Abschnitt 4.3.3), dass Hochschullehrer in Deutschland im internationalen Vergleich eher zu einem geringen Anteil auf internationale Bildungs-/Berufsbiographien verweisen. Der Anteil nichtmobiler Hochschullehrer in Deutschland variiert je nach Operationalisierung zwischen 77 % und 81 %. Die Zahlen verdeutlichen, dass es zwar durchaus auch Professoren ohne Migrationshintergrund gibt, die internationale Bildungs-/Berufsverläufe aufweisen, dass diese Form der Internationalität aber generell eher die Ausnahme als die Regel darstellt (vgl. Abschnitt 4.3.3). Vor diesem Hintergrund lassen sich Professoren mit Migrationshintergrund, die fast ausnahmslos auf internationale Bildungs- und Berufsverläufe verweisen (ca. 87 %), als besonders internationale Gruppe im deutschen Hochschulwesen verorten. Hinsichtlich der internationalen Publikationen zeigt sich, dass ca. 90 % der Professoren außerhalb Deutschlands und in einer anderen Sprache als Deutsch publiziert haben. Knapp zwei Drittel haben auch gemeinsam mit ausländischen Kollegen publiziert. Ein Vergleich mit den Hochschullehrerbefragungen LESSI und CAP deutet darauf hin, dass Professoren mit Migrationshintergrund sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen im Bereich internationaler Publikationen deutlich aktiver sind als ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund (vgl. Abschnitt 4.3.4 und Neusel et al. 2014, S. 121).

Konferenzen, Workshops, Gastvorträge oder ähnliche Aktivitäten im Ausland können über drei Viertel der Professoren vorweisen. Von mehrwöchigen Forschungsaufenthalten, Aktivitäten im Rahmen von Hochschulkooperationen und Lehrtätigkeiten im Ausland berichtet jeweils ca. ein Drittel der Professoren. Jeder fünfte Professor mit Migrationshintergrund hatte in den letzten Jahren eine Gastprofessur im Ausland inne. Der Besuch von Konferenzen oder ähnlichen Veranstaltungen und die Wahrnehmung von Lehrtätigkeiten im Ausland wurden auch in der LESSI-Studie erhoben

Während die Internationalität von Professoren mit Migrationshintergrund beim Bildungs-/Berufsverlauf und hinsichtlich der Publikationstätigkeit deutlich stärker ausgeprägt ist, zeigt sich hinsichtlich der der Auslandstätigkeiten eine etwas geringere Aktivität als bei den Professoren der LESSI-Studie (Schomburg et al. 2012, S. 59). Ein Erklärungsansatz könnte darin liegen, dass viele Professoren mit Migrationshintergrund erst seit wenigen Jahren die Professur innehaben und ihr Fokus oftmals zunächst darauf liegt, sich ein wissenschaftliches bzw. berufliches Netzwerk innerhalb von Deutschland aufzubauen.

Auf die häufige Verwendung der englischen Sprache in der Forschung verweisen über 80 % der Professoren mit Migrationshintergrund. Über ein Viertel benutzt noch weitere nichtdeutsche Sprachen in der Forschung. In der Lehre verwenden 48 % häufig und 41 % selten die englische Sprache, während weitere nichtdeutsche Sprachen von 13 % häufig und von 34 % selten benutzt werden. Nach der LESSI-Erhebung bieten Universitätsprofessoren fremdsprachige Lehrveranstaltungen im Bachelor zu 4 % vollständig und zu 25 % teilweise an. Im Master liegen die entsprechenden Anteile bei 11 % bzw. 48 %. An Fachhochschulen liegen die Anteile im Bachelor bei 2 % bzw. 33 % und im Master bei 8 % bzw. 46 % (Schomburg et al. 2012, S. 65). Nach der CAP-Studie unterrichten Hochschullehrer in Deutschland zu 6 % überwiegend auf Englisch und zu 1 % überwiegend auf Französisch. Weitere Sprachen erreichen keine relevante Größenordnung (Jacob und Teichler 2011, S. 180). Die Zahlen lassen sich nur schwer vergleichen. Dennoch deuten sie darauf hin, dass „fremdsprachige Lehrangebote“ unter Professoren mit Migrationshintergrund deutlich häufiger zu finden sind (vgl. auch Abschnitt 4.3.4). Zu interkulturellen Aktivitäten gibt es keine Vergleichszahlen. Die Tatsache, dass fast die Hälfte Abschlussarbeiten von Studierenden mit Migrationshintergrund betreut, über ein Drittel Mitarbeiter mit Migrationshintergrund beschäftigt und über 80 % häufige berufliche Kontakte zu Menschen mit Migrationshintergrund pflegt, veranschaulicht indessen in welch hohem Maße Interkulturalität den beruflichen Alltag von Professoren mit Migrationshintergrund prägt.

Zusammenfassend lässt sich folgendes Fazit ziehen. Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass Professoren mit Migrationshintergrund sich in vieler Hinsicht nur geringfügig von ihren Kollegen unterscheiden. Dennoch deutet der Vergleich an, dass sie in besonderem Maße in der Gremienarbeit aktiv sind, die Bologna-Reformen positiver und die NPM-Reformen etwas weniger kritisch beurteilen, und mit ihrer beruflichen Situation noch etwas zufriedener sind als ihre Kollegen. Zudem lassen sich Professoren mit Migrationshintergrund als zentrale Akteure im Rahmen der Internationalisierung deutscher Hochschulen darstellen. Durch internationale Erfahrungen, Publikationen, fremdsprachige Lehrveranstaltungen und nicht zuletzt die interkulturellen Aktivitäten nehmen sie für den Internationalisierungsprozess eine besondere Stellung ein. Vor dem Hintergrund der zu Beginn hingewiesenen Unsicherheiten der Vergleiche zwischen Hochschullehrerbefragungen, sollte, um die vergleichenden explorativen Erkenntnisse zu validieren, in zukünftigen Erhebungen auch eine Vergleichsgruppe von Professoren ohne Migrationshintergrund befragt werden.

7.1.2 Erkenntnisse über den Einfluss von Zuwanderungszeitpunkt, Nationalität und regionaler Herkunft

Bei der Zusammensetzung der Professoren mit Migrationshintergrund zeigt sich, dass die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und jeder fünfte Professor bereits in Deutschland geboren ist. Insgesamt ca. ein Drittel ist entweder in Deutschland geboren oder vor der Volljährigkeit zugewandert (Early Migrants), ein Drittel ist im Alter zwischen 18–31 Jahren nach Deutschland gekommen (Student Migrants) und ein weiteres Drittel ist zwischen dem 32. und dem 60. Lebensjahr zugewandert (Professional Migrants).

Die Vermutung liegt nahe, dass Student und Professional Migrants Internationalität an Hochschulen in besonderem Maße prägen. Bei beiden Gruppen zeigt sich zu gewissen Teilen qua Definition, dass der Bildungs-/Berufsverlauf vor der Berufung internationaler war als bei Early Migrants. Dennoch lässt sich auch der Großteil der Biographien von Early Migrants als international bezeichnen. Early Migrants, die ihre gesamte Bildungs-/Berufslaufbahn in Deutschland durchlaufen haben, bilden die absolute Ausnahme. Überraschend sind die Ergebnisse der anderen vier Indexe: internationale Publikationen, nichtdeutsche Sprachen in Forschung und Lehre, berufliche Auslandstätigkeiten und interkulturelle Aktivitäten. Hier zeigt sich, dass Early Migrants sich hinsichtlich der hohen internationalen Aktivität kaum von den anderen beiden Migrationstypen unterscheiden. Es bestehen durchweg keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei MigrationstypenFootnote 1. Der Indexwert zu den internationalen Publikationen und zur Verwendung nichtdeutscher Sprachen liegt bei Professoren der zweiten Generation sogar leicht über dem Durchschnitt.

Bei der Migrationsentscheidung hat die gute berufliche Perspektive für Professional Migrants eine deutlich größere Rolle gespielt als für Student Migrants. Ein Erklärungsansatz könnte darin liegen, dass durch die Migration zu einem biographisch späteren Zeitpunkt eine Einschätzung über die berufliche Perspektive leichter möglich war. Auffällig ist zudem, dass der Großteil der zweiten Einwanderergeneration noch zahlreiche Kontakte zu Menschen aus dem Herkunftsland pflegt. Kritisch untersucht werden sollte, warum die zweite Generation in besonderem Maße unzufrieden ist. Hinsichtlich des Selbstverständnisses ist interessant, dass Early Migrants genau wie Student und Professional Migrants sich überwiegend als internationale Professoren verstehen.

Es gibt zahlreiche Studien, die sich damit befassen, welche zentralen Faktoren für die erfolgreiche Rekrutierung und den Verbleib internationaler Spitzenkräfte eine Rolle spielen (vgl. Yudkevich et al. 2017). Ein Desiderat bildet allerdings die Frage, welche Faktoren Early Migrants und Menschen der zweiten Einwanderergeneration in ihrer Entscheidung, beruflich ins Ausland zu wechseln oder im Land zu bleiben, beeinflussen. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass fast die Hälfte der Professoren mit Migrationshintergrund erwägt, ins Ausland zu wechseln. Zukünftige Studien sollten diesen Aspekt näher ergründen.

Bezüglich der Mobilitäts- und Migrationsverläufe haben insbesondere die zahlreichen Publikationen im Kontext der CAP-Studie wichtige erste Impulse für eine systematische Untersuchung gegeben (vgl. Abschnitt 4.3). So wurde auch die Benennung der drei Migrationstypen in Anlehnung an die CAP-Studie vorgenommen. Kritisch ist hinsichtlich des aktuellen Forschungsstandes zu vermerken, dass die Konzepte Herkunft/Migrationshintergrund, internationale Biographie und Mobilität sowie internationale Aktivitäten sich zum Teil überlagern. Im Rahmen dieser Arbeit wurden die drei Ebenen analytisch klar getrennt, wodurch zugleich die Möglichkeit entsteht, die Zusammenhänge der Ebenen in einem zweiten Schritt systematisch zu analysieren. Diese Herangehensweise hat sich in hohem Maße bewährt und sollte in kommenden nationalen wie internationalen Hochschullehrerbefragungen aufgegriffen werden.

Hinsichtlich der Kontakte und Kommunikation mit Menschen unterschiedlicher Herkunft in Deutschland und im Herkunftsland lässt sich in Übereinstimmung mit der Theorie der transnationalen Migration festhalten, dass es dem Großteil der Professoren mit Migrationshintergrund gelingt, vielfältige soziale Kontakte und Verbindungen in mehrere Länder aufrechtzuerhalten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese in der Migrationsforschung als pluri-lokale Verortung beschriebene Lebensweise in besonderem Maße von Professoren mit doppelter Staatsangehörigkeit praktiziert wird. Für diese These spricht auch das besonders ausgeprägte Selbstverständnis dieser Gruppe als internationale Professoren. Zugleich pflegen Professoren mit doppelter Staatsangehörigkeit aber auch sehr ausgeprägte soziale Kontakte zu Deutschen. Im Rahmen der – in bestimmten Zeitabständen immer wieder aufkommenden – Debatte zur doppelten Staatsangehörigkeit sollte dieser Befund zum besonderen Potential einer doppelten Staatsangehörigkeit dringend berücksichtigt werden.

Bei der regionalen Herkunft zeigt sich, dass fast ein Drittel der Professoren allein aus Österreich und der Schweiz kommt, knapp unter 30 % aus weiteren Ländern Westeuropas, sowie jeweils 15 % aus Osteuropa sowie den großen angelsächsischen Ländern (USA, Kanada, Australien). Dementsprechend liegt der Anteil der Professoren aus Lateinamerika, Asien und Afrika zusammen bei lediglich 11 %. Die Konzentration auf westeuropäische (75 %) und angelsächsische Herkunftsländer (17 %) fällt unter ausländischen Professoren noch deutlich stärker aus, während unter Deutschen mit Migrationshintergrund Professoren aus Osteuropa (26 %) und aus Lateinamerika, Asien, Afrika (17 %) etwas größere Anteile stellen. Zudem war es möglich, auf der Grundlage der vorliegenden Arbeit, erstmals systematisch Unterschiede zwischen den Herkunftsländern deutscher Professoren mit Migrationshintergrund und ausländischer Professoren zu untersuchen. Während der bisherige Forschungsstand lediglich darauf verweist, dass die Herkunftsländer der ausländischen Professoren sich sehr stark auf einige wenige Regionen und Länder beschränken, zeigt sich für die bisher kaum erforschte Gruppe der deutschen Professoren mit Migrationshintergrund durchaus eine etwas größere Diversität der Herkunftsländer, die auch ein wenig stärker die Herkunftsländerverteilung in der Gesamtbevölkerung widerspiegelt (vgl. Abschnitt 6.1.4). Dennoch bleibt festzuhalten, dass Professoren aus Entwicklungs- und Schwellenländern lediglich einen sehr kleinen Anteil (14 %) ausmachen. Die geringe Diversität wird auch an der noch deutlich geringeren Zahl an Bildungsabschlüssen aus diesen Ländern sichtbar. Ein Ansatz, um die regionale Zusammensetzung der Professoren mit Migrationshintergrund nachzuvollziehen, liegt darin, die historischen internationalen Beziehungen zwischen den Hochschulwesen in den Ländern näher in den Blick zu nehmen. Die Tatsache, dass es traditionell sehr enge Kooperationen und Austauschbeziehungen zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie zu anderen westeuropäischen Ländern gibt, und zugleich Beziehungen zwischen Deutschland und Entwicklungsländern historisch nur eine geringe Bedeutung zukommt (Hahn und Teichler 2012), lässt sich als ein Erklärungsansatz für die regionale Zusammensetzung der befragten Professoren mit Migrationshintergrund anführen.

Hinsichtlich der Unterschiede nach regionaler Herkunft zeigt sich, dass in vielen Feldern keine großen Divergenzen zu verzeichnen sind. Lediglich bei der Beurteilung von Hochschulreformen und Hochschulentwicklung und bei den Migrationsmotiven werden gewisse Unterschiede sichtbar, wobei diese in vielen Fällen auf die unterschiedliche Verteilung der Professoren auf Besoldungs- und Fächergruppen zurückzuführen sind. Ansonsten unterscheiden sich Professoren aus den unterschiedlichen Herkunftsregionen weder bei der Verteilung nach Geschlecht oder nach sozialer Herkunft noch bei der Arbeitssituation, den internationalen Aktivitäten oder den Bleibeabsichten. In einem Aspekt kommen allerdings sehr grundlegende Unterschiede zum Vorschein. Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund der Herkunft spielt für die Mehrheit der Professoren kaum eine Rolle. Allerdings gilt dies nicht für Professoren aus Entwicklungs-/Schwellenländern, die deutlich stärker als ihre Kollegen von Benachteiligungen und Negativerfahrungen aufgrund ihrer Herkunft berichten.

In dem Beitrag „Migrationsbiographien und Internationalität von Professoren“ (Engel 2017) wurden systematisch die Herkunftsregionen der Professoren mit Migrationshintergrund mit den Herkunftsregionen aller Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund in Berlin und Hessen verglichen. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Anteile der Personen aus der Türkei, Polen, Russland und Rumänien in der Professorenschaft um ein Vielfaches kleiner ausfallen als in der Gesamtbevölkerung. Große Migrantengruppen aus Kasachstan, Serbien oder Kroatien finden sich indessen überhaupt nicht unter den befragten Professoren. Zugleich machen Professoren aus Österreich, der Schweiz, den USA, den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich über die Hälfte der befragten Professoren aus, während diese Nationen zugleich jeweils weniger als 2 % der erwerbstätigen Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Berlin und Hessen stellen (vgl. ausführlich Engel 2017, S. 370–371).

Zwei zentrale Erkenntnisse sollten abschließend hervorgehoben werden. Erstens unterscheidet sich die nationale bzw. regionale Zusammensetzung der Professoren mit Migrationshintergrund erheblich von der entsprechenden Verteilung in der Gesamtbevölkerung. Zweitens zeigt sich hinsichtlich der unterschiedlichen Untersuchungsfelder, dass die Kritik des methodologischen Nationalismus, Unterschiede immer primär auf das Herkunftsland zurückzuführen, durchaus empirisch belegt und gerechtfertigt werden kann. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass insbesondere bei Fragen der Benachteiligung und Diskriminierung einer Differenzierung nach Herkunftsland eine zentrale Bedeutung zukommt.

7.1.3 Erkenntnisse über den Einfluss von Geschlecht, sozialer Herkunft und Alter

Hinsichtlich der Zugangschancen von Frauen mit Migrationshintergrund lässt sich erstens positiv festhalten, dass der Frauenanteil von 34 % deutlich höher ausfällt als bei Professoren ohne Migrationshintergrund. Zugleich kann die Tatsache, dass über die Hälfte der Juniorprofessoren mit Migrationshintergrund Frauen sind, als vielversprechend angesehen werden im Hinblick auf eine zukünftig möglicherweise stärker ausgeprägte Geschlechtergerechtigkeit. Zielsetzung muss es dennoch sein, die Geschlechterdisparitäten, insbesondere in der höchsten Besoldungsgruppe und in spezifischen Fächergruppen, weiter zu reduzieren.

Zweitens zeigt sich, dass die in zahlreichen Studien belegten besonderen Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Professorinnen (vgl. Jacob 2013; Teichler et al. 2017; Lind und Samjeske 2010) in gleicher Weise für Professorinnen mit Migrationshintergrund gelten. Als Indikatoren lassen sich der geringere Anteil der Professorinnen in einer festen Partnerschaft und mit eigenen Kindern im Vergleich zu den männlichen Kollegen anführen. Darüber hinaus müssen Professorinnen mit Migrationshintergrund häufiger mit migrationsbedingten Herausforderungen in der Partnerschaft zurechtkommen. Partner von Professorinnen sind deutlich seltener bereit, mit nach Deutschland zu kommen, und es ist ihnen deutlich seltener gelungen, einen Arbeitsplatz in der Nähe des Arbeitsplatzes der Partnerin zu finden. Umfassende Kinderbetreuungsmöglichkeiten und dual-career programmes stellen in diesem Zusammenhang sicher zentrale Stellschrauben für die Förderung einer besseren Vereinbarkeit von Elternschaft und Karriere dar.

Drittens muss aber auch festgehalten werden, dass sich – ungeachtet aller Unterschiede zwischen den Geschlechtern – die Bildungs-/Berufsverläufe, die Arbeitssituation und internationalen Aktivitäten von Professorinnen und männlichen Professoren nicht grundlegend voneinander unterscheiden. Einerseits scheint es somit die berechtigte Hoffnung zu geben, dass das Geschlecht in Karriere und Beruf zunehmend seine exkludierende Funktion verliert. Andererseits weisen die geschlechtsspezifischen Probleme der Vereinbarkeit von Kind und Berufstätigkeit und die geringere Bereitschaft der Partner von Professorinnen, gemeinsam zu migrieren und somit möglicherweise die eigenen Karriereziele denen der Partnerin unterzuordnen, darauf hin, in welchem Maße bestimmte patriarchale Strukturen in Deutschland und international noch immer Bestand haben.

Es ist bekannt, dass in Deutschland Migranten deutlich häufiger aus nichtakademischen Elternhäusern kommen als Menschen ohne Migrationshintergrund. Dies gilt insbesondere für die Nachkommen der Arbeitsmigranten, die größtenteils in den 1960er- und 1970er-Jahren nach Deutschland kamen (vgl. ausführlich Abschnitt 2.1.2). Während es über soziale Ungleichheit bei Studierenden eine Vielzahl von Studien gibt (Heublein et al. 2011; Lörz et al. 2015; Neugebauer et al. 2016), ist der Einfluss der sozialen Herkunft auf die wissenschaftliche Karriere bisher kaum erforscht. Graf (2016) zeigt in ihrer Studie über die deutsche Wissenschaftselite, dass es sich hierbei um eine sozial hochgradig exklusive Gruppe handelt.

Der Anteil von Professoren der First Generation, das heißt aus Familien mit Eltern ohne Hochschulabschluss, liegt in der MOBIL-Studie bei lediglich 37 % und damit deutlich unterhalb des Anteils bei Professoren ohne Migrationshintergrund. In der Studie von Möller (2017b) über Professoren in Nordrhein-Westfalen liegt der Anteil aus nichtakademischen Elternhäusern, der sogenannten First-Generation bei Professoren, die in Deutschland geboren wurden, bei 62 %. Auch in Möllers Studie zeigt sich bei Professoren, die im Ausland geboren wurden, ein deutlich geringerer Anteil an Professoren aus nichtakademischen Elternhäusern (46 %). Wie im Forschungsstand erläutert, spielt die Altersstruktur eine wichtige Rolle. Ein Erklärungsfaktor für den deutlich geringeren Anteil an First-Generation Professoren in der MOBIL-Studie könnte auch das jüngere Durchschnittsalter der Professoren der MOBIL-Studie darstellen. Zugleich stehen die Zahlen in Einklang zur Befragung der Wissenschaftler in der CEWS-Studie (Löther 2012b), die auch zu dem Ergebnis kam, dass Wissenschaftler mit Migrationshintergrund noch seltener aus nichtakademischem Elternhaus kommen als Wissenschaftler ohne Migrationshintergrund. Zusammenfassend deuten sowohl die MOBIL-Studie als auch alle weiteren bisher durchgeführten Studien darauf hin, dass sich der Zugang zur Hochschulprofessor für Professoren mit Migrationshintergrund in besonderem Maße sozial selektiv gestaltet.

Bei Professoren aus Entwicklungs- und Schwellenländern liegt der Anteil aus nichtakademischen Elternhäusern sogar bei lediglich 26 %Footnote 2. Hinsichtlich der sozialen Herkunft bestehen kaum Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten. Deutliche Unterschiede werden hingegen nach Fächergruppen sichtbar. Während in den Naturwissenschaften der Professorenanteil aus nichtakademischen Elternhäusern gerade einmal 20 % erreicht, erweist sich der Bereich Kunst/Kunstwissenschaften (63 %) in sozialer Hinsicht als deutlich durchlässiger. Möller (2017a) verweist in ihrer Studie auf die besondere soziale Selektivität beim Zugang zur Juniorprofessur. Auch bei Juniorprofessoren mit Migrationshintergrund fällt der Anteil der Professoren aus nichtakademischen Elternhäusern mit 30 % ebenfalls leicht unterdurchschnittlich aus.

Studien in der Hochschulforschung zeigen, dass internationale Mobilität für Studierende aus nichtakademischen Elternhäusern schwerer zu realisieren ist (Lörz et al. 2016). Auf der Grundlage von Analysen der CAP-Studie (Goastellec und Pekari 2013b, Rostan und Höhle 2014) wird sichtbar, dass Wissenschaftler aus nichtakademischen Elternhäusern deutlich seltener sowohl im Studium als auch im Berufsverlauf international mobil sind (vgl. Abschnitt 4.3.3). Die gleiche Beobachtung lässt sich auch für Professoren mit Migrationshintergrund machen. First Generation Professoren sind deutlich weniger mobil als Professoren aus akademischen Elternhäusern. Hinsichtlich internationaler Aktivitäten zeigen sich hingegen keine signifikanten Unterschiede. Bei internationalen Publikationen und beruflichen Auslandstätigkeiten sind Professoren der First Generation sogar etwas aktiver. Die Zuwanderungsmotive unterscheiden sich kaum. Allerdings hat das Gegenargument der Umstellung auf andere Lebensbedingungen für die Migrationsentscheidung von Professoren der First Generation eine deutlich größere Rolle gespielt.

Es bleibt festzuhalten, dass der erfolgreiche Weg bis zur Professur insbesondere für Migranten aus nichtakademischen Elternhäusern unabhängig vom Zuwanderungsalter eine besondere Herausforderung darstellt. Dies gilt in besonderer Weise für Professoren der First Generation aus Entwicklungs-/Schwellenländern, in denen diese erfolgreiche Laufbahn nur in absoluten Ausnahmefällen gelingt. Ein Grund für den geringen Anteil an Professoren der First Generation könnte auch in der geringeren internationalen Mobilität dieses Personenkreises liegen. Möglicherweise beeinträchtigt die geringere internationale Mobilitätserfahrung im Bildungs-/Berufsverlauf die Chancen auf die Berufung. Die Möglichkeiten, internationale Mobilität für diese Gruppe zu stärken, sollten Hochschulpolitik und Förderinstitutionen verstärkt in den Blick nehmen. Besonders beachtlich ist es, dass die Professoren der First Generation trotz der geringeren internationalen Mobilität im Bildungs-/Berufsverlauf hinsichtlich der anderen internationalen Aktivitäten vergleichbare Zahlen aufweisen. Scott (2015) hebt hervor, dass der Diskurs über Internationalisierung der Hochschulen nicht dazu führen dürfe, dass weniger international aktive Wissenschaftler stigmatisiert werden (vgl. Abschnitt 3.2.1.5). So wichtig internationale Erfahrung für den Professorenberuf auch sein mag, gilt es auch kritisch zu prüfen, ob sich die Zugangschancen für Menschen aus nichtakademischen Familien dadurch nicht noch weiter verschlechtern und somit die soziale Selektion sich noch weiter verstärkt. Zudem lässt sich festhalten, dass Professoren der First Generation ihre berufliche Situation, die Kooperation im Kollegium und die Bezahlung deutlich positiver beurteilen. Diese positive Perspektive könnte möglicherweise auch damit zusammenhängen, dass die Gruppe einen besseren Einblick in die zum Teil prekären Arbeitssituationen von Menschen ohne akademischen Abschluss hat. Das heißt, die Unterschiede lassen sich vermutlich auch über den unterschiedlichen Referenzrahmen erklären.

Hinsichtlich des Alters deutet der fast ausgeglichene Geschlechteranteil und der hohe Anteil an Early Migrants in der jüngeren Generation darauf hin, dass eine Öffnungstendenz für Frauen und Menschen der zweiten Einwanderergeneration in der Professorenschaft zu beobachten ist. Zugleich deutet der geringe Anteil an Professoren der First Generation in der jüngeren Generation aber auch auf Schließungstendenzen in Bezug auf die soziale Herkunft bzw. auf eine mangelnde soziale Durchlässigkeit hin. Diesbezüglich lässt sich die Frage stellen, inwieweit der geringe Anteil an Professoren der First Generation in der jüngeren Generation möglicherweise auch damit zu erklären ist, dass die Elterngeneration der jüngeren Generation generell zu einem höheren Anteil Hochschulabschlüsse erworben hat als die Elterngenerationen der älteren Professoren. Um Tendenzen der sozialen Schließung abschließend beurteilen zu können, sollte speziell dieser Aspekt in kommenden Studien systematisch erforscht werden. Hinsichtlich der Internationalisierung der Hochschule zeigen sich die größten Aktivitäten in der jüngeren Generation, was vermuten lässt, dass der hohe Beitrag zur Internationalisierung durch Professoren mit Migrationshintergrund in Zukunft noch weiter steigen wird. Interessant ist zudem ein Generationenvergleich in Bezug auf Familie und Beruf. Hier lässt sich ein Wandel über die Generationen beobachten von einer starken Familien- und Partnerschaftsorientierung in der älteren Generation über eine stärkere Karriereorientierung in der mittleren Generation zurück zu einer stärkeren Partnerschaftsorientierung in der jüngeren Generation. Diese Entwicklung lässt sich sowohl über den Anteil der Professoren in einer festen Partnerschaft als auch über die Bedeutung der Karriereaussichten für die Migrationsentscheidung abbilden.

7.1.4 Erkenntnisse über den Einfluss von Fächergruppen, Hochschularten und Besoldungsgruppen

Hinsichtlich der Besoldungsgruppen und Hochschularten wurde im Rahmen der Arbeit zwischen Juniorprofessoren (14 %), Fachhochschulprofessuren (22 %), W2-/C3-/C2-Professuren (Universität) (22 %) und W3-/C4-Professuren (Universität) (43 %) unterschieden.

Juniorprofessoren mit Migrationshintergrund stellen hinsichtlich der Diversität des Hochschulwesens eine besondere Gruppe dar. Die Gruppe hat mit großem Abstand den höchsten Anteil an ausländischen Professoren in Deutschland (vgl. Abschnitt 4.2). Zugleich machen unter Professoren mit Migrationshintergrund auch Early Migrants einen erheblichen Anteil aus. Dabei zeigt sich eine große Diversität bei den Herkunftsländern sowie bei den Zugangschancen von Frauen mit Migrationshintergrund. Darüber hinaus sind Juniorprofessoren in hohem Maße international aktiv. Berücksichtigt man, dass die Juniorprofessur einen alternativen Zugangsweg zur Vollprofessur darstellt, erscheint die Zusammenstellung durchaus vielversprechend im Hinblick auf eine zukünftige Stärkung der Diversität und der Internationalität der Professorenschaft an Universitäten, wobei der geringe Anteil an First Generation Professoren nicht aus den Augen verloren werden sollte. Zugleich sollte kritisch berücksichtigt werden, dass Juniorprofessoren mit Migrationshintergrund mit Abstand am unzufriedensten mit ihrer beruflichen Situation sind und am häufigsten erwägen, ins Ausland zu wechseln. Die Ursachen und Faktoren detaillierter zu erforschen, sollte eine wichtige Aufgabe zukünftiger Studien darstellen. Eine Schlüsselfunktion kommt hier sicherlich der stärkeren Etablierung von Tenure-Track-Professuren zu, die das Potential haben, durch verlässlichere Karrierewege sowohl die Zufriedenheit zu erhöhen als auch eine größere Sicherheit zu bieten, damit sich Elternschaft und wissenschaftliche Karriere leichter vereinbaren lassen.

W2-/C3-/C2-Professoren weisen hingegen eine geringere Diversität auf. Ansonsten weichen sie kaum von den Durchschnittswerten ab. Auch W3-/C4-Professoren erreichen nicht eine so große Diversität wie Juniorprofessoren; wobei hier insbesondere auf den sehr geringen Frauenanteil zu verweisen ist. Die Tatsache, dass diese Gruppe die meisten Drittmittel einwirbt und international am aktivsten ist, ist zwar erfreulich, allerdings angesichts der besseren Personal- und Sachmittelausstattung und der traditionell stärkeren internationalen Ausrichtung von Universitäten auch ein Stück weit zu erwarten.

Interessant ist auch die Gruppe der Professoren mit Migrationshintergrund an Fachhochschulen. Während Fachhochschulen auf der Grundlage von Analysen über die Staatsangehörigkeit als Institutionen mit nur einem geringen Anteil an „internationalem“ Personal erscheinen, zeigt die Analyse auf der Grundlage des breiter gefassten Konzeptes des Migrationshintergrundes, dass gerade deutsche Migranten sich häufig speziell für diese Hochschulart entscheiden. Dieser Aspekt sollte auch hinsichtlich zukünftiger Internationalisierungsstrategien an Fachhochschulen berücksichtigt werden. Während die zunehmende Offenheit für deutsche Migranten sowie für Frauen mit Migrationshintergrund sehr erfreulich ist, ist gleichwohl festzuhalten, dass sich der Befund, dass Fachhochschulen eine besondere Zugangschance für Studierende mit Migrationshintergrund der First Generation darstellen, nicht in gleicher Weise auf die Professorenschaft übertragen lässt. Der Anteil der Professoren der First Generation fällt an dieser Hochschulart nicht erkennbar höher aus als an Universitäten.

Vertovec definiert als ein Kriterium seines Konzeptes der Superdiversität (2007) die zunehmende Vielfalt der Herkunftsländer und Regionen unter den Migranten (vgl. Abschnitt 3.5). Hinsichtlich der Fächergruppendifferenzierung fällt auf, dass in Fächergruppen, die generell eher einen geringeren Ausländeranteil in der Professorenschaft aufweisen (vgl. Abschnitt 4.2), sich unter den Professoren mit Migrationshintergrund wiederum eine größere Diversität der Herkunftsländer zeigt. Die beiden Fächergruppen mit dem geringsten Ausländeranteil, die Sozial-/Verhaltenswissenschaften und die Ingenieurwissenschaften (vgl. Abschnitt 4.2), wiesen unter den befragten Professoren mit Migrationshintergrund einen deutlich höheren Anteil an Professoren aus Osteuropa, Lateinamerika, Asien, Afrika sowie den USA, Kanada und Australien auf. Auch der Anteil von Professoren aus Entwicklungs- und Schwellenländern fällt in diesen beiden Fächergruppen am höchsten aus. Hinsichtlich der deutschen Professoren mit Migrationshintergrund stellen ebenfalls beide Fächergruppen den höchsten Anteil. Demgegenüber kommen die Professoren im Bereich Kunst/Kunstwissenschaften und aus den Geisteswissenschaften, die deutschlandweit neben der Mathematik und Naturwissenschaft den höchsten Ausländeranteil verzeichnen (vgl. Abschnitt 4.2), unter den befragten Professoren mit Migrationshintergrund zu über 70 % aus Westeuropa und die Anteile der Deutschen mit Migrationshintergrund fallen deutlich unterdurchschnittlich aus. Diese Analyse veranschaulicht, dass Diversität – wie in Abschnitt 3.5 erörtert – auf mehreren Ebenen stattfindet. Zugleich wird deutlich, dass der Ausländeranteil als alleiniger Indikator, bspw. zur Messung von Internationalität und Diversität in Hochschulrankings, nur begrenzt aussagefähig ist. Der Wechsel des Messinstruments von der Staatsangehörigkeit hin zum umfassenden Konzept des Migrationshintergrundes bringt zum Vorschein, dass die beiden Fächergruppen mit dem geringsten Ausländeranteil in der Professorenschaft zugleich eine besondere Offenheit für Deutsche mit Migrationshintergrund aufweisen. Des Weiteren zeigen die Analysen, dass keine Fächergruppe durchgehend geringe oder hochgradige Diversität aufweist, sondern dass alle Fächergruppen in bestimmten Feldern in höherem oder geringerem Maße von Diversität geprägt sind. Beispielsweise fallen die Diversität der Herkunftsländer und der Frauenanteil im Bereich Kunst/Kunstwissenschaften sehr gering aus. Zugleich verweist ein Anteil der Professoren der First Generation von über 60 % aber auf die größte soziale Durchlässigkeit im Fächergruppenvergleich.

Während dem Ausländeranteil nur eine begrenzte Aussagefähigkeit hinsichtlich der Diversität zukommt, lässt sich hingegen schon beobachten, dass Professoren mit Migrationshintergrund in Fächergruppen mit hohem Ausländeranteil international deutlich aktiver sind. Beispielhaft lassen sich auf der einen Seite die Natur- und Geisteswissenschaften anführen, die sowohl einen hohen Ausländeranteil als auch die größte Internationalität im beruflichen Kontext aufweisen. Auf der anderen Seite stehen die Ingenieur- und Lebenswissenschaften mit einem geringen Ausländeranteil und eher geringer internationaler Aktivität. Vor diesem Hintergrund lässt sich ein Zusammenhang vermuten, dass internationalere Fächerkulturen tendenziell offener für internationale Wissenschaftler sind, wodurch diese die Möglichkeit haben, die Internationalität der Fächerkultur weiter zu stärken. Zugleich werden Fächerkulturen durch die Inhalte geprägt. In diesem Kontext kann davon ausgegangen werden, dass die Geisteswissenschaften, insbesondere durch die Sprach- und Kulturwissenschaften, in hohem Maße internationale Perspektiven aufweisen. In den Naturwissenschaften ist insbesondere die Forschung fast immer englischsprachig und international ausgerichtet. Demgegenüber begreift sich Deutschland in den Ingenieurwissenschaften häufig als das international führende Land, wodurch möglicherweise der Blick in geringerem Maße ins Ausland geworfen wird.

7.1.5 Empfehlungen für das Design zukünftiger Forschungsvorhaben

Das folgende Unterkapitel besteht aus drei Teilen. Zunächst geht es um die Grenzen der vorliegenden Arbeit hinsichtlich Repräsentativität und Größe des Samples. Im zweiten Schritt werden hinsichtlich des Aufbaus und der Gestaltung des Fragebogens (siehe Anhang) Empfehlungen formuliert. Im dritten Teil werden zentrale Erkenntnisse und A-Priori-Hypothesen, die für eine bundesweite Studie von zentraler Bedeutung wären, dargestellt.

Da die Befragung ausschließlich in Berlin und Hessen durchgeführt wurde, muss abschließend die Frage gestellt werden, inwieweit sich die gewonnenen Erkenntnisse über Professoren mit Migrationshintergrund in diesen zwei Ländern auf Deutschland als Gesamtheit übertragen lassen. Zwar lässt sich argumentieren, dass über die Auswahl eines Stadtstaates und eines Flächenlandes durchaus die Abbildung einer gewissen Vielfalt möglich ist, dennoch unterscheiden sich beide Länder in vielfacher Weise vom übrigen bzw. vom gesamten Bundesgebiet. Berlin hat im Ländervergleich den mit Abstand höchsten Ausländeranteil unter Professoren (vgl. Abschnitt 4.2). Zugleich sind die Hauptstadt und ihr Umfeld in hohem Maße international geprägt und es gibt dort eine große wissenschaftliche Community. Der Ausländeranteil unter Professoren in Hessen liegt in etwa im Durchschnitt. Allerdings lässt sich auch hier speziell für die Metropolregion um Frankfurt am Main eine große Internationalität beobachten. Die dargelegten Befunde der Befragung verweisen auf eine Vielzahl von internationalen Bildungs- und Berufsbiographien, umfangreiche Tätigkeiten bei der akademischen Selbstverwaltung und der Einwerbung von Drittmitteln, ausgeprägte internationale Aktivitäten in einer Vielzahl von Feldern, auf eine große Zufriedenheit mit der Arbeitssituation sowie auf einen hohen Grad der Integration und sozialen Teilhabe. Die Frage, inwieweit sich ähnliche Befunde auch in stärker ländlichen und weniger international geprägten Regionen zeigen, lässt sich auf der Grundlage der Erhebung nicht beantworten. Zweifelsohne fällt der Ausländeranteil unter Professoren in ländlich geprägten Bundesländern deutlich geringer aus (vgl. Abschnitt 4.2, Abbildung 4.5). Um die Frage beantworten zu können, inwieweit damit auch Unterschiede in Bezug auf Zusammensetzung, Arbeitssituation, Internationalität und Teilhabe der Professoren mit Migrationshintergrund verbunden sind, müsste eine geographisch deutlich breiter aufgestellte Studie durchgeführt werden.

Die Tatsache, dass es gelungen ist, insgesamt 203 Professoren mit Migrationshintergrund von der Teilnahme an der Studie zu überzeugen, hat die Möglichkeit eröffnet, erstmals überhaupt detailliert diese spezifische Gruppe untersuchen zu können. Zudem zeigt die Verteilung nach grundlegenden soziodemographischen Merkmalen, dass zwischen den befragten ausländischen Professoren und der Grundgesamtheit der ausländischen Professoren in Berlin und Hessen keine systematischen Verzerrungen sichtbar werden. Zugleich konnten erstmals überhaupt detaillierte Informationen und Erkenntnisse über deutsche Professoren mit Migrationshintergrund auf der Grundlage einer quantitativen Erhebung gewonnen werden. Dennoch lässt sich die Repräsentativität der Studie aufgrund der Tatsache, dass die Zahl der deutschen Professoren mit Migrationshintergrund nur recht grob geschätzt werden kann, nicht abschließend beurteilen. Dementsprechend sollte ein wesentliches Ziel darin liegen, zentrale Erkenntnisse dieser Studie als A-priori-Hypothesen in zukünftigen Studien aufzugreifen. Neben der Repräsentativität ist auch die Größe des zugrunde gelegten Samples kritisch zu hinterfragen. Generell sind bei einer Samplegröße von über 200 eine Vielzahl von bi- und multivariaten Untersuchungsformen möglich. Kritisch wird es allerdings, wenn bestimmte Fragestellungen fachspezifisch untersucht werden sollen. Auch verallgemeinerbare Aussagen für kleine Teilgruppen – wie bspw. Professoren aus Entwicklungs- und Schwellenländern – sind aufgrund der geringen Fallzahlen zum Teil nur unter Vorbehalt möglich.

Hinsichtlich des Fragebogens lässt sich zunächst festhalten, dass die Fragen- und Themenstellung zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse geführt haben. Es wurde ermöglicht, erstmals in Deutschland einen umfassenden Einblick über die Gruppe der Professoren mit Migrationshintergrund zu erhalten. Dementsprechend sollen die folgenden Empfehlungen in erster Linie als Impulse für eine Weiterentwicklung des bestehenden Fragenkatalogs im Hinblick auf zukünftige Studien verstanden werden.

Eine Herausforderung bei der Untersuchung der Bildungs-/Berufsverläufe stellte die Frage dar, wie detailliert dieser Aspekt erhoben werden sollte. Die unterschiedlichen Stationen wie in einem Lebenslauf zu dokumentieren, ist vom Arbeitsaufwand her für die Teilnehmer im Rahmen einer Onlinebefragung zu hoch. Daher wurde in der MOBIL-Studie lediglich nach den Ländern gefragt, in denen ein Bildungsabschluss erworben wurde und in denen die Professoren beruflich tätig waren. Positiv lässt sich durchaus festhalten, dass eine erste Rekonstruktion der Bildungs-/Berufsverläufe auf dieser Grundlage möglich ist. Kritisch lässt sich allerdings einwenden, dass keine Informationen über die Dauer des Aufenthaltes in den unterschiedlichen Staaten vorliegen. Eine Empfehlung für zukünftige Studien wäre es daher, dahingehend stärker zu differenzieren. Beispielsweise könnte die Differenzierung der Vereinten Nationen aufgegriffen werden, die zwischen Kurzzeitmigration von bis zu einem Jahr und Langzeitmigration ab einer Aufenthaltsdauer von einem Jahr unterscheiden. Eine detaillierte Dokumentation der verschiedenen Staaten wäre insbesondere im Hinblick auf Langzeitmigration interessant. Dabei ließe sich auch erheben, welche Motive zur weiteren Migration beigetragen haben und inwieweit die zeitliche Befristung zu Beginn geplant war. Hinsichtlich der Drittmittelförderung wäre es interessant, die unterschiedlichen Förderinstitutionen näher zu betrachten und bspw. zu untersuchen, ob Professoren mit Migrationshintergrund auch häufiger internationale Drittmittel einwerben. Generell lassen sich die Indikatoren zur Internationalität noch weiterentwickeln und insbesondere bei internationalen Publikationen sollte auch die Zahl und die Form der Veröffentlichungen präziser erhoben werden. Zugleich ist insbesondere die internationale Aktivität ein interessantes Feld, um Unterschiede zwischen Professoren mit und ohne Migrationshintergrund herauszuarbeiten und generell der Frage nachzugehen, welche Faktoren für eine hohe internationale Aktivität von großer Relevanz sind.

Bei der Teilhabe wurden soziale Kontakte und Interaktionen mit Deutschen, mit Menschen aus dem Herkunftsland und mit Menschen aus weiteren Ländern untersucht. Neben der Tatsache, dass es analytisch präziser gewesen wäre, statt nach der Interaktion mit Deutschen nach der Interaktion mit Menschen ohne Migrationshintergrund zu fragen, wäre es wichtig, die Indikatoren der Teilhabe zu erweitern und weiterzuentwickeln. Insbesondere die Items zum Kontakt und zur Kommunikation mit Deutschen erreichen derart hohe Zustimmungswerte, dass Differenzierungen kaum möglich waren. Darüber hinaus wäre es interessant, ausgehend von einem umfassenden Integrationsverständnis, in dem Teilhabe unabhängig von der Herkunft untersucht wird, zu analysieren, wie sich Teilhabestrukturen zwischen Professoren mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden. Hinsichtlich der transnationalen Migration zeigt sich, dass es eine große Gruppe von Professoren mit Migrationshintergrund gibt, die beruflich und privat in hohem Maße im Herkunftsland aktiv sind. Zwei Aspekte könnten in Folgestudien noch näher betrachtet werden. Erstens wäre zu berücksichtigen, inwieweit die starke Verbindung und Aktivität sich primär auf das Herkunftsland beschränkt bzw. inwieweit auch starke Verbindungen und Aktivitäten in anderen Ländern außerhalb Deutschlands stattfinden. Zweitens stellt sich in diesem Kontext die Frage, inwieweit auch Menschen ohne Migrationshintergrund, zwar nicht als transnationale Migranten, aber doch als Menschen mit transnationaler Lebensweise, verstanden werden können. Konkret ließe sich beispielsweise untersuchen, wie stark die Verbindungen von Professoren ohne Migrationshintergrund noch in Länder sind, in denen sie längere Zeit gelebt haben oder in die sie beispielsweise aufgrund der Partnerschaft Verbindungen aufweisen.

Hinsichtlich der Vor- und Nachteile und der Diskriminierung wäre es interessant, die ersten explorativen Erkenntnisse über eine stärkere theoretische Fundierung in der Diskriminierungsforschung weiterzuentwickeln. Zugleich könnte ein Vergleich zwischen Professoren mit und ohne Migrationshintergrund dabei helfen, Benachteiligungen aufgrund der Herkunft detaillierter zu erforschen. Auch hier ist es wichtig, Diskriminierung nicht ausschließlich der Herkunft zuzuschreiben, sondern ein breites Verständnis von Diskriminierung zugrunde zu legen, wonach diese auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden und grundsätzlich alle Professoren betreffen kann (vgl. Abschnitt 7.2.3).

Abschließend soll kurz aufgezeigt werden, welche weiterführenden Fragestellungen auf der Grundlage zentraler Erkenntnisse für zukünftige Forschungsvorhaben relevant sind. Berufliche Zufriedenheit ist bei Professoren mit Migrationshintergrund generell stark ausgeprägt, wobei Juniorprofessoren eine Ausnahme bilden. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, inwieweit sich der Befund bundesweit und im Vergleich zu Professoren ohne Migrationshintergrund bestätigt. Professoren mit Migrationshintergrund sind international sehr aktiv, wobei große Unterschiede nach Hochschulart und Fächergruppe bestehen. Hier wäre die Frage zu stellen, ob und inwieweit sich dieser Befund bundesweit bestätigen lässt. Hinsichtlich der Zuwanderungsmotive hat sich gezeigt, dass – neben beruflichen – auch private Gründe eine zentrale Rolle spielen und dass das Alter zum Zeitpunkt der Zuwanderung einen großen Einfluss hat. Zudem zeigen die Auswertungen, dass eine große Gruppe Mehrfachmigrationsprozesse durchlaufen hat. In zukünftigen Studien sollte Migration nicht nur als einmaliger Prozess untersucht werden, sondern detaillierter betrachtet werden, welchen Motiven bei erneuter Migration, insbesondere mit längerer Aufenthaltsdauer, eine zentrale Relevanz zukommt. Interessant wäre es auch, für Professoren ohne Migrationshintergrund zu untersuchen, welche Motive bei Professoren, die länger im Ausland gelebt haben, der Emigration und der Remigration zugrunde lagen. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden deutlich größere Probleme für Frauen sichtbar. Interessant wäre diesbezüglich, näher zu analysieren, inwieweit Herkunft überhaupt eine Rolle spielt, ob sie möglicherweise in Verbindung mit dem Geschlecht eine Rolle spielt oder ob weitgehend ausschließlich das Geschlecht für Ungleichheiten relevant ist. Die Frage der Bleibeabsicht wurde multivariat untersucht. So beeinflussen Besoldungsgruppe, Herkunft des Partners, privater Kontakt zu Deutschen sowie Lehre und Forschung in nichtdeutschen Sprachen die Wahrscheinlichkeit, ob erwogen wird, ins Ausland zu wechseln, in hohem Maße. Interessant wäre es, im Rahmen eines Vergleichs zu untersuchen, welche Faktoren für Professoren ohne Migrationshintergrund von zentraler Bedeutung sind, wenn sie erwägen, aus beruflichen Gründen ins Ausland zu wechseln.

Ein zentraler Aspekt zukünftiger Studien sollte zweifelsfrei auch darin liegen, systematisch zu untersuchen, welchen Einfluss der Migrationshintergrund auf Biographie, Berufstätigkeit und Privatleben von Professoren hat. Sicher ist es hierfür sinnvoll, neben Professoren mit Migrationshintergrund auch eine Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund zu befragen. Allerdings sollte hier nicht – wie häufig in der Schulforschung – der Fehler gemacht werden, ausschließlich nach signifikanten bivariaten Unterschieden zwischen den beiden Gruppen zu suchen. Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit haben gezeigt, wie stark die Heterogenität unter Professoren mit Migrationshintergrund ausgeprägt ist und dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten häufig deutlich stärker über die Fächergruppe, die Hochschulart bzw. Besoldungsgruppe oder demographische Merkmale wie Geschlecht und soziale Herkunft zu erklären sind, als über das Herkunftsland bzw. die Herkunftsregion. Die vielfältigen Einflussfaktoren und die Heterogenität der Gruppe sollten in zukünftigen Forschungsdesigns dringend berücksichtigt werden, damit nicht wieder ein Rückfall in binäre Vergleiche mit Herkunftslandbezug stattfindet. Eine multivariate Untersuchung von Professoren mit und ohne Migrationshintergrund könnte darüber hinaus die Möglichkeit bieten, detailliert herauszuarbeiten, an welchen Stellen der Migrationshintergrund tatsächlich eine Rolle spielt – möglicherweise auch lediglich für eine Teilgruppe der Professoren mit Migrationshintergrund – und an welchen Stellen anderen Faktoren die entscheidende Bedeutung zukommt.

7.2 Beitrag für theoretische Fundierung der Hochschulforschung

Bei dem Beitrag zur theoretischen Fundierung geht es zunächst um eine konzeptionelle Frage, inwieweit der Migrationshintergrund nach dem Mikrozensus ein sinnvolles Instrument zur Forschung über Migration im Hochschulwesen darstellt. Im theoretischen Teil der Arbeit wurde ausführlich die Frage diskutiert, inwieweit ein Konzept wie das des Migrationshintergrundes nach dem Mikrozensus die Gefahr einer Stigmatisierung und einer „Konstruktion des Fremden“ in sich birgt oder ob darin vielmehr eine wichtige wissenschaftliche Definition zur systematischen Untersuchung zu sehen ist, inwieweit Migranten im Hochschulwesen vertreten sind und wie sie das Hochschulwesen mitgestalten. Im Folgenden will ich vor dem Hintergrund der durchgeführten Untersuchung noch einmal auf diese Frage zurückkommen.

Mobilität und Migration existieren seit Anbeginn der Menschheit. Hingegen unterlag und unterliegt das Verständnis dieser beiden Begriffe einem permanenten Wandel im Kontext unterschiedlicher historisch-gesellschaftlicher Organisationsformen. Durch die Entstehung der Nationalstaaten, das heißt der Einteilung der Welt in territorial fest definierte Staatsgebiete, entwickelte sich grundlegend ein neues Verständnis von Migration und Mobilität. Aktuell zählen die Vereinten Nationen 193 StaatenFootnote 3. Während historisch permanente Wanderungen verschiedener Stammesgruppen und -kulturen eine nicht untypische Daseinsform darstellten, führt die globale Einteilung in Nationalstaaten zu einer Neudefinition von Mobilität „as a flow that can be regulated and restricted“ (Nowicka 2006, S. 15).

Sicher wird durch das Konzept des Migrationshintergrundes eine neue Gruppenkonstruktion geschaffen, die erstmals in der Hochschulforschung im Rahmen einer großen Professorenbefragung Berücksichtigung findet. Es wird eine erste Gruppe konstruiert, die einen Migrationshintergrund hat, und eine zweite Gruppe ohne Migrationshintergrund. Die erste Gruppe wird konstruiert, indem untersucht wird, ob die Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht als Deutscher geboren wurden oder ob sie selbst oder mindestens ein Elternteil nach 1949 nach Deutschland zugewandert sind. Wenn mindestens eines der beiden Kriterien zutrifft, wird die Person der Gruppe 1 zugeordnet, wenn keines zutrifft, gehört sie zu der Gruppe 2. Somit gibt es klar definierte Kriterien, anhand derer sich für jeden Professor in Deutschland, Berlin oder Hessen eindeutig bestimmen lässt, ob die Person einen Migrationshintergrund aufweist oder nicht. Die entscheidende Frage lautet: Was sagt eine Zuordnung zu Gruppe 1 oder Gruppe 2 letztlich über die darin befindlichen Personen aus? Worin unterscheidet sich ein Mensch von einem anderen bzw. ein Professor von einem anderen Professor, wenn er eine andere Staatsbürgerschaft oder einen Geburtsort im Ausland oder mindestens ein zugewandertes Elternteil hat?

Die Gefahr liegt darin, dass jede Konstruktion von Gruppen die Vermutung nahelegt, dass daraus unmittelbare Rückschlüsse gezogen werden können über die Identität oder die kulturelle Lebensweise der Personen (vgl. Nowicka 2006, S. 15). Vielmehr bildet eine entsprechende Gruppenzugehörigkeit ein Mosaikteil von vielen im Zuge der hochkomplexen Entstehung und Wandlung von Identitäten und kulturellen Lebensentwürfen einzelner Personen. Jede Gruppenkonstruktion legt bestimmte mehr oder weniger klare Eintritts- und Austrittskriterien fest und impliziert dadurch Gemeinsamkeiten der Mitglieder innerhalb der Gruppe und eine Verschiedenheit der Personen unterschiedlicher Gruppen. Auch eine Einteilung der Professoren in Fächergruppen oder Hochschularten impliziert bestimmte Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf Grundlage bestimmter institutioneller und inhaltlicher Kriterien. Auch diese Gruppenkonstruktionen lassen sich, wie am Beispiel der Einteilung der Fächergruppen bereits deutlich geworden ist, sicher kritisch hinterfragen. Dennoch bleiben sie ein hilfreiches Instrument, um die Gesamtstruktur der Professorenschaft in ihrer institutionellen und fachlichen Ausrichtung besser verstehen zu können. An diesem Beispiel werden zwei wichtige Erkenntnisse deutlich. Einerseits können Gruppenkonstruktionen von elementarer Bedeutung sein, um die Grundgesamtheit verstehen zu können. Zugleich ist es aber unumgänglich, die Konstruktion der Gruppen bei jeder Form der Analyse grundlegend zu berücksichtigen und kritisch zu hinterfragen. Zudem muss man die Gefahr berücksichtigen, dass Gruppenkonstruktionen von vielen Menschen nicht als solche wahrgenommen, sondern häufig direkt und unmittelbar mit Identitäten und kulturellen Lebensentwürfen gleichgesetzt werden.

Das Interessante an der Gruppenkonstruktion in der vorliegenden Arbeit liegt darin, dass die weitgefasste Definition von Menschen mit Migrationshintergrund Rückschlüsse darüber zulässt, wie groß der Anteil von Professoren in Deutschland ist, die entweder selbst eine „Migrationserfahrung“ oder deren Eltern eine entsprechende Erfahrung gemacht haben. Es gibt folglich eine gemeinsame Erfahrung in der Lebensbiografie dieser Menschen, die unmittelbar mit der Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen in Verbindung steht. Welche Bedeutung diese Erfahrung im Leben der Menschen einnimmt, inwieweit sie überhaupt eine Rolle spielt, insbesondere für die zweite Generation, inwieweit sie betont wird oder nicht, sind alles Fragen, die einerseits mit den höchst unterschiedlichen spezifischen Biographien und Erfahrungen der Menschen im Zusammenhang stehen und andererseits auf subjektiven Entscheidungen der Personen beruhen.

Dennoch haben die Ausführungen im theoretischen Teil der Arbeit verdeutlicht (vgl. Abschnitt 3.1), dass die Lösung nicht einfach in der Nichtthematisierung bestehen kann. In Frankreich ist die Égalité aller Bürger in der Verfassung festgeschrieben. Vor dem Hintergrund dieses Gleichheitsideals ist die wissenschaftliche Untersuchung und Datengrundlage über Migration in Frankreich im europäischen Vergleich bisher wenig ausgeprägt. Exklusionsprozesse in den Banlieues und die große gesellschaftliche Resonanz für den rechtsextremen Front National zeigen allerdings sehr deutlich, dass eine „Nichtkennzeichnung“ von Migranten keinesfalls Diskriminierung und Rassismus verhindern. Im Gegenteil erhöht ein solcher Umgang in besonderer Weise die Gefahr von Diskriminierung, da nationalistische Parolen und Thesen über empirische Daten kaum entkräftet werden können (vgl. Abschnitt 3.1.4). Zugleich zeigen auch die Wahlbefragungen der letzten Jahre, wie stark die Menschen in Deutschland das Thema Migration beschäftigt. Auch dieser Umstand verdeutlicht aus meiner Sicht, wie wichtig eine reflektierte, adäquate wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Migration ist.

Die Analysen im Rahmen der vorliegenden Arbeit zeigen sehr anschaulich die Chancen und Grenzen des Konzeptes Migrationshintergrund in der Hochschulforschung. Positiv lässt sich festhalten, dass mithilfe des Konzeptes bei jeder Befragung eindeutig der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bestimmt werden kann. Er kann somit einen hilfreichen Indikator darstellen, um Diversität, interkulturelle Öffnung oder auch Internationalität für unterschiedliche Gruppen oder in unterschiedlichen Feldern des Hochschulwesens näher zu bestimmen. Zugleich bleibt die Gruppe hinsichtlich der Migrationsgeschichten sehr heterogen. Daher sind zwei weitere Differenzierungen essenziell. Erstens eine Differenzierung nach dem Zuwanderungsalter, die im Rahmen dieser Arbeit mit der Aufteilung in Early Migrants, Student Migrants und Professional Migrants vorgenommen wurde. Zweitens eine Einteilung nach Herkunftsländern mithilfe des Konzeptes der erweiterten Staatsangehörigkeit.

Auf der Grundlage lässt sich beispielsweise detailliert beschreiben, welche Migrantengruppen, in welchen Feldern der Hochschule aktiv sind, welchen internationalen Aktivitäten sie nachgehen oder inwieweit sie planen in Deutschland zu bleiben. Es kann sichtbar gemacht werden, wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit, welche wichtige Rolle auch Early Migrants für den Prozess der Internationalisierung spielen und dass zugleich aber die zweite Zuwanderergeneration, die bereits in Deutschland geboren ist, in besonders Maße beruflich unzufrieden ist und besonders häufig in Erwägung zieht, Deutschland zu verlassen.

Im Folgenden wird zunächst vor dem Hintergrund der empirischen Erkenntnisse die Frage diskutiert, inwieweit das Konzept Migrationshintergrund als erster Zugang zur Untersuchung von Ungleichheit in zukünftigen Untersuchungen genutzt werden könnte. Im Anschluss geht es um Fragen der Ungleichheit hinsichtlich der regionalen Herkunft von Menschen mit Migrationshintergrund in der akademischen Profession. Im dritten Schritt wird erläutert wie weitere Ungleichheitsdimensionen zusätzlich und in Verbindung mit dem Migrationshintergrund erhoben werden sollten. Es folgen Erkenntnisse hinsichtlich der Theorien und Befunde zu den Potentialen migrantischer Wissenschaftler. Abschließend wird ausführlich erörtert, wie Migrationstheorien, insbesondere der Ansatz der transnationalen Migrationstheorie, als theoretische Fundierung in zukünftigen Studien in der Hochschulforschung aufgegriffen werden können.

7.2.1 Migrationshintergrund als erster Zugang zur Untersuchung von Ungleichheit

Zunächst soll die Frage in den Mittelpunkt gestellt werden, inwieweit das Konzept des Migrationshintergrundes eigentlich geeignet ist, um rassistische Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft sichtbar zu machen. Um der Frage nachzugehen, werden die empirischen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit in Verbindung mit dem Gutachten „Erhebung von Antidiskriminierungsdaten in repräsentativen Wiederholungsbefragungen“ (Baumann et al. 2018) diskutiert.

In der vorliegenden Arbeit haben 24 % der Professoren mit Migrationshintergrund nach eigener Aussage Nachteile aufgrund der nationalen Herkunft erlebt, lediglich 8 % sprechen von Nachteilen aufgrund der ethnischen Herkunft. Auf Karrierehindernisse aufgrund der Herkunft verweisen 29 % der Befragten (vgl. Abschnitt 6.9). Die Zahlen zeigen sehr deutlich, dass für den Großteil der Professoren mit Migrationshintergrund Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund der Herkunft kein großes Problem darstellt. Im Gutachten (Baumann et al. 2018, S. 86) findet sich explizit die Forderung, das Konzept Migrationshintergrund nicht weiter zu verwenden, da es zur Identifikation von Personen, die rassistische Diskriminierung erfahren, nicht geeignet ist. Auch wenn sich am Merkmal Migrationshintergrund nicht unmittelbar Diskriminierungsprozesse festmachen lassen, stellt sich die Frage, ob das Konzept in ausdifferenzierter Form in Verbindung mit dem Konzept der erweiterten Staatsangehörigkeit nicht doch Ungleichheiten und Diskriminierung aufgrund der Herkunft sichtbar machen kann. Der Sachverständigenrat für Migration und Integration spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Erhebung des Migrationshintergrundes sich als notwendige – wenngleich auch nicht hinreichende – Bedingung, um Ungleichheit und Diskriminierung zu untersuchen, bezeichnen lasse (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015). Migrationshintergrund als notwendige aber nicht hinreichende Bedingung zu deuten, bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass herkunftsbedingte Ungleichheit und Diskriminierung ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund erleben, wenngleich lediglich eine Teilgruppe davon betroffen ist. Bednaschewsky und Supik (2018) behaupten hingegen, dass es eine Gruppe sogenannter „Deutscher of Color“ gebe, die statistisch unsichtbar seien, das heißt nach dem Konzept des Mikrozensus keinen Migrationshintergrund aufweisen, zugleich aber Benachteiligungen aufgrund ihrer Herkunft erfahren würden. Die Autorinnen liefern für ihre These keine empirischen Belege. Es ist zu vermuten, dass sich die Zahl dieser Personen auf Einzelfälle beschränkt, die die Funktion des Migrationshintergrundes als notwendige Bedingung nicht grundsätzlich in Frage stellt, was empirisch, aber näher erforscht werden sollte.

Weitergehende Differenzierungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit haben gezeigt, dass Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund der Herkunft insbesondere für bestimmte Teilgruppen eine größere Rolle spielen. So sprechen Professoren aus Osteuropa (38 %) und aus Lateinamerika, Asien und AfrikaFootnote 4 (31 %) deutlich häufiger von Nachteilen aufgrund ihrer nationalen Herkunft. Eine große Relevanz kommt zudem auch dem Entwicklungsstatus des Herkunftslandes der Professoren mit Migrationshintergrund zu. Fast die Hälfte der Professoren aus Entwicklungs- und Schwellenländern (45 %) berichten von Nachteilen aufgrund ihrer nationalen Herkunft, über 40 % von Karrierehindernissen aufgrund ihrer Herkunft. Im gesellschaftlichen Diskurs über Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund stehen zumeist Menschen aus Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung im Mittelpunkt, was vermutlich auch mit der Tatsache zusammenhängt, dass sowohl die größte Migrantengruppe in Deutschland aus der Türkei kommt als auch der Großteil der Flüchtlingsmigration der letzten Jahre aus Ländern kommt, in denen die Mehrheit der Gesellschaft muslimischen Glaubens ist. Anhand der Klassifizierung des Pew Research CentersFootnote 5 lässt sich zeigen, dass 5 % der befragten Professoren mit Migrationshintergrund aus mehrheitlich muslimischen Ländern kommen. Konkret handelt es sich dabei um Professoren aus der Türkei, Albanien, Syrien, dem Sudan, Malaysia und Kuwait. Die Unterscheidung wurde nicht systematisch in die Untersuchung eingebunden, da es zu viele Unsicherheiten gibt, in welcher Form die religiöse Ausrichtung des Herkunftslandes Diskriminierung und Benachteiligung in Deutschland zur Folge hat, zumal Religion/Weltanschauung der Professoren selbst aufgrund datenschutzrechtlicher Beschränkungen nicht erhoben wurde. Dennoch zeigen auch wissenschaftliche Studien, dass in westlichen Ländern insbesondere Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern rassistische Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft erleben (vgl. Abschnitt 3.1). Die Tatsache, dass 63 % der Professoren aus mehrheitlich muslimischen Ländern von Benachteiligungen aufgrund ihrer Herkunft berichten, macht sichtbar, dass Professoren aus diesen Ländern besonders häufig Diskriminierungserfahrungen erleben.

Einerseits lässt sich das Konzept des Migrationshintergrundes in Verbindung mit dem Konzept der erweiterten Staatsangehörigkeit durchaus als adäquate Annäherung zur Untersuchung von Ungleichheit und Benachteiligung aufgrund der Herkunft bezeichnen. Dennoch blendet das Konzept aus, dass rassistische Diskriminierung sich nicht einfach am Herkunftsland festmachen lässt, sondern häufig im Zusammenhang steht mit Aspekten wie Hautfarbe, Physiognomie, Name oder Akzent (vgl. Abschnitt 3.1), die zum Teil durch das Herkunftsland beeinflusst werden, aber weit davon entfernt sind vollständig darin aufzugehen. Darüber hinaus lässt sich über das Konzept des Migrationshintergrundes keine Aussage über das Selbstverständnis der Personen treffen. Die Frage, inwieweit sich ein Mensch selbst als Migrant versteht, kann – wie auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit gezeigt (vgl. 6.10) – durchaus von der statistischen Zuschreibung abweichen.

Auf dieser Grundlage sollten für zukünftige Erhebungen folgenden Fragen aufgenommen werden:

  1. 1.

    Migrationshintergrund/inkl. erweiterte Staatsangehörigkeit und Zuwanderungsalter?

  2. 2.

    Erlebte rassistische Fremdzuschreibungen?

  3. 3.

    Selbstbezeichnung als Migrant?

Das Vorgehen ist angelehnt an die Empfehlungen des Gutachtens von Baumann, Egenberger und Supik (2018, S. 91). Allerdings unterscheidet es sich dahingehend, dass das Gutachten im ersten Schritt – statt der Erhebung des Migrationshintergrundes – vorschlägt, die Staatsangehörigkeit sowie das Geburtsland zu erfragen, das heißt Dimensionen, die sich eigentlich seit langem als wenig hilfreich in der Bildungs- und Migrationsforschung erwiesen haben (vgl. Abschnitt 3.1.3). Demgegenüber sind Fragen zur Fremdzuschreibung in hohem Maße sinnvoll, da darüber rassistische Zuschreibungsprozesse sichtbar gemacht werden können, ohne selbst rassistische Klassifizierungen zu konstruieren. Konkret ließen sich erlebte Fremdzuschreibungen unter anderem anhand der genannten Merkmale wie Hautfarbe, Physiognomie, Name oder Akzent untersuchen. Drittens stellt sich die Frage der Selbstbezeichnung der Befragten. Hier werden häufig unterschiedliche Kategorien verwendet, die zum Teil eine Mischung aus regionaler Herkunft, Hautfarbe und Religion darstellen (vgl. Baumann et al. 2018, S. 88), wie Schwarz, Polnisch-Deutsch, Türkisch-Deutsch, Jüdisch oder Muslimisch (vgl. auch Erhebungsformen in Großbritannien und den USA in Abschnitt 3.1.4). Eine solche Kategorisierung erscheint wenig sinnvoll, da regionale Herkunft und Hautfarbe bereits über die ersten beiden Fragen abgebildet werden. Religion sollte – wenn überhaupt – als eigene Frage erhoben werden. Dennoch ist für Forschung, in der Menschen mit Migrationshintergrund im Mittelpunkt stehen, die Frage wichtig, ob sich die Menschen selbst als Migranten verstehen. Interessant ist aus meiner Sicht dabei insbesondere das Konzept People of Color (POC), das von einer Vielzahl von Migranten zunehmend als Selbstbezeichnung gewählt wird und sich wie folgt definieren lässt:

„People of Color ist eine internationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff markiert eine politische gesellschaftliche Position und versteht sich als emanzipatorisch und solidarisch. Er positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch Rassismus und Kulturalisierung sowie gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft“ (Amnesty International 2014, S. 1).

Teil der Entstehungsgeschichte des Konzeptes sind Bezüge zur Black-Power-Bewegung und antikolonialen Bewegungen und Schriften. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung, steht die grenzüberschreitende Verbundenheit der People of Color im Mittelpunkt. Das heißt es geht bei dem Konzept darum – im Gegensatz zu bisherigen Formen ethnischer Gruppeneinteilungen wie oben beschrieben – die Gemeinsamkeit in den Vordergrund zu stellen und sich dementsprechend als eine Gruppe und nicht als eine Vielzahl ethnischer Minderheiten zu verstehen. Das Konzept zielt zugleich darauf ab, dass People of Color eine sichtbare Rolle im Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsbetrieb spielen (vgl. Ha 2009). Auch vor diesem Hintergrund wäre es interessant zu erheben, wie groß die Zahl der Professoren in Deutschland ist, die sich selbst als People of Color verstehen und in welcher Weise sie im Hochschulwesen agieren. Das Konzept People of Color ist hier als ein erster Vorschlag zu verstehen. Wichtig ist es meiner Ansicht nach, einen verbindenden Begriff für Menschen zu finden, die rassistische Diskriminierung erleben. Die konkrete Ausarbeitung und Weiterentwicklung des Konzeptes sollte – wie auch im Gutachten empfohlen (vgl. Baumann et al. 2018, S. 108–109) – gemeinsam mit den betreffenden Personen und Organisationen in dem Feld stattfinden.

Der skizzierte Vorschlag, zunächst den Migrationshintergrund und erlebte Fremdzuschreibungen zu erheben und abschließend danach zu fragen, inwieweit sich die Personen selbst als People of Color verstehen, könnte aus meiner Sicht die bisher kaum fundierte Forschung über Migranten im Hochschulwesen, insbesondere im Kontext quantitativer Studie, deutlich voranbringen. Auf der Grundlage ließe sich ebenfalls empirisch überprüfen, ob und inwieweit es Menschen ohne Migrationshintergrund gibt, die rassistische Zuschreibungsprozesse erleben und die sich als People of Color verstehen. Auf der Grundlage ließe sich die oben beschriebene Kontroverse, ob das Konzept Migrationshintergrund als erster Zugang im Sinne einer notwendigen Bedingung verstanden werden kann, empirisch überprüfen.

Die beschriebene Systematik sollte möglichst zeitnah etabliert werden, da aktuelle Befragungen in der Hochschulforschung zumeist immer noch ausschließlich auf Fragen zum Geburtsland und zur Nationalität basieren, in Ausnahmefällen auch im Hinblick auf die Eltern. Zugleich variiert die Operationalisierung, wer als Migrant definiert wird, zwischen den Studien erheblich. Fragen zu Fremdzuschreibung und Selbstverständnis finden sich ebenfalls in der quantitativen Hochschulforschung bisher kaum (vgl. Baumann et al 2018). Ein Grund dafür, dass sich der Migrationshintergrund bisher kaum in Befragungen etabliert hat, könnte darin liegen, dass die Operationalisierung, wer einen Migrationshintergrund hat, nicht trivial ist, was zum Teil auch als Gegenargument hinsichtlich des Konzeptes verwendet wird (vgl. Baumann et al., S. 86). Die in den Abschnitt 1.1 und 5.2 erörterte Definition des Migrationshintergrundes basiert auf dem Mikrozensus 2010. Ab dem Jahrgang 2016 wurde im Zuge des neuen Mikrozensus-Gesetzes eine leichte Revision der Definition vorgenommen, die allerdings die Ergebnisse der zuvor gültigen Definition nur geringfügig verändert. So habe nach Aussage des Referatsleiters für Migration und Integration beim Statistischen Bundesamt die „Geburt im Ausland“ auch bei der Definition des Migrationshintergrundes von 2005–2016 nur eine „unterstützende“ Rolle gespielt. Ziel der Revision war es, unter anderem das Konzept des Migrationshintergrundes leichter verständlich zu machen, um der oben beschriebenen Kritik entgegenzuwirken. Demnach hat seit dem Mikrozensus 2016 eine Person „einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“ (Statistisches Bundesamt 2017a, S. 4).

Dementsprechend sollte folgende Operationalisierung, die mir der Referatsleiter für Migration und Integration beim Statistischen Bundesamt, Gunter Brückner, im Oktober 2018 zugesandt hat, durchgehend in Befragungen etabliert werden, um den Migrationshintergrund zu erheben:

  • Haben Sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt?

  • Haben beide Elternteile von Ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt?

Wenn mindestens eines der beiden Kriterien nicht zutrifft, hat die Person einen Migrationshintergrund. Zudem ist es wichtig, um eine Zuordnung und Differenzierung nach Herkunftsland vornehmen zu können, neben der aktuellen Staatsangehörigkeit sowohl die Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Geburt zu erheben als auch für Menschen, bei denen der Migrationshintergrund ausschließlich aufgrund der Migrationsgeschichte der Eltern besteht (das heißt auf die ausschließlich Kriterium 2 zutrifft), das Herkunftsland der Mutter und des Vaters zu ermitteln, sodass eine Einteilung auf der Grundlage des Konzeptes der erweiterten Staatsangehörigkeit (vgl. Abschnitt 6.1.4) möglich ist. Zudem sollte das Zuwanderungsalter ebenfalls erhoben werden, damit Differenzierung, wie in der vorliegenden Arbeit nach Migrationstypen, möglich sind.

Die empfohlene Systematik für zukünftige Erhebungen bietet das Potential ein deutlich weitergehendes Verständnis über Menschen mit Migrationshintergrund im Hochschulwesen zu erlangen. Wichtig wäre es, dass nicht nur vereinzelte Studien die Systematik aufgreifen, sondern dass die Systematik umfassend etabliert wird, damit Vergleiche zwischen Studien und zeitliche Entwicklungen analysiert werden können, wovon der aktuelle Forschungsstand weit entfernt ist (vgl. Kapitel 4).

7.2.2 Regionale Herkunft als Ungleichheitsdimension

In Abschnitt 3.1 wurden ausführlich die Konstruktionsprozesse zu der Frage, wer als Mensch mit Migrationshintergrund zu definieren ist, erläutert und diskutiert. Die enormen Gruppenunterschiede hinsichtlich der Vor- und Nachteile, auch im Hinblick auf die wissenschaftliche Karriere, deuten darauf hin, dass Benachteiligung und Diskriminierung in erster Linie für bestimmte Gruppen ein Problem darstellen, nämlich für Menschen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, die mit Abstand am häufigsten von Diskriminierung und Karrierehindernissen berichten (vgl. Abschnitt 6.9 und 7.2.1). Die Tatsache, dass Professoren aus diesen Ländern nur einen geringen Anteil von 14 % stellen, lässt auch die Frage entstehen, ob sich diese Gruppen möglicherweise besonderen Herausforderungen im Rahmen der Selektionsprozesse vor der Berufung ausgesetzt sehen.

Bei der Frage der subjektiv wahrgenommenen Diskriminierung (vgl. Abschnitt 3.2.3.2) wurden Vor- und Nachteile mit Erfahrungsbeispielen aufgrund spezifischer Merkmale näher untersucht. Die größte Relevanz sowohl bezüglich der Vorteile (22 %) als auch der Nachteile (24 %) kommt der nationalen Herkunft zu. Bei den Erfahrungsbeispielen zu den Vorteilen aufgrund der nationalen und ethnischen Herkunft zeigen sich drei Antwortmuster: erstens der Verweis auf das positive Image des Herkunftslandes in Deutschland, zweitens der Verweis auf spezifische Privilegien aufgrund der europäischen Herkunft und drittens der allgemeine Vorteil der Herkunft für internationale Aktivitäten an der Hochschule. Bei den Nachteilen aufgrund der Herkunft werden ebenfalls drei Antwortmuster erkennbar: erstens Erfahrungsbeispiele, in denen von minderwertiger Behandlung durch Vorgesetzte und Kollegen die Rede ist, zweitens Erfahrungsbeispiele, in denen rassistische Behandlungen, bspw. aufgrund eines „ausländisch klingenden“ Namens oder der Hautfarbe, geschildert werden und drittens negative Erfahrungsbeispiele im Kontext von Behörden, bspw. in Bezug auf Probleme bei der Beantragung von Aufenthaltsgenehmigungen.

Die dargelegten Befunde stehen in Einklang mit Erkenntnissen aus anderen Studien. Mihut, Gayardon, Rudt (2017) verweisen darauf, dass in europäischen Ländern speziell Wissenschaftler mit Migrationshintergrund aus dem außereuropäischen Ausland und ethnische Minderheiten auf geringe Teilhabechancen verweisen. Otto und Temme (2012) berichten in ihrer Studie über Wissenschaftler mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Köln und Aachen, dass in erster Linie sogenannte visible minorities von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sind (vgl. Abschnitt 4.3.7). Wie in der entwickelten Systematik für kommende Befragungen dargelegt (vgl. Abschnitt 7.2.1), kann der Migrationshintergrund lediglich einen ersten Zugang darstellen, um Diskriminierung zu untersuchen. Ob wie in dem Beitrag von Mihut, Gayardon, Rudt (2017) von ethnischen Minderheiten, wie in der Studie von Otto und Temme (2012) von visible minorities oder wie im Rahmen dieser Arbeit vorgeschlagen von People of Color (vgl. Abschnitt 7.2.1) gesprochen wird, spielt eher eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist vielmehr, dass rassistische Fremdzuschreibungsprozesse – wie sie auch bei den Erfahrungsbeispielen zu den Nachteilen in der vorliegenden Arbeit sichtbar wurden – in zukünftigen Studien systematisch erfasst werden.

Die Befunde deuten darauf hin, dass es – wie von Bauder (2016) (vgl. Abschnitt 4.3.8) beschrieben – eine regionale Hierarchie bei der Anerkennung internationaler Biographien und Erfahrungen gibt. Für diese These spricht darüber hinaus, sowohl die Zusammensetzung der Professoren nach regionaler Herkunft (vgl. Abschnitt 6.1) als auch die Zusammensetzung der Länder, in denen Bildungs- und Berufsverläufe von Professoren mit Migrationshintergrund stattgefunden haben (vgl. Abschnitt 6.2). Hier dominieren hochentwickelte Länder aus Europa und Nordamerika mit hoher wissenschaftlicher Reputation.

7.2.3 Migrationshintergrund als ein Merkmal im Kontext von Diversität

Daran anschließend geht es generell um die Frage, wie unterschiedliche Diskriminierungsdimensionen in zukünftigen Studien im Feld der Hochschulforschung erhoben werden könnten. Forschung über Diversity hat lange Zeit ausschließlich ethnische Unterschiede in den Mittelpunkt gestellt. Allerdings hat sich in den letzten Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass es wichtig ist, unterschiedliche Heterogenitätsmerkmale und ihre Interaktion zu untersuchen, um den Diversity Ansatz wirklich nachhaltig zu etablieren und dabei auch die Vielfalt von Diskriminierungs- und Exklusionsprozessen im Blick zu halten (vgl. Abschnitt 3.5). Im Folgenden werden zunächst zwei Dimensionen, die in engem Zusammenhang mit dem Migrationshintergrund stehen und zum Teil auch in Verbindung mit der ethnischen Herkunft erhoben werden, in den Mittelpunkt gestellt. Erstens geht es um die Erfassung der Religion und zweitens darum, wie Sprachkenntnisse erhoben werden sollten. Im Anschluss werden Erkenntnisse und Weiterentwicklungen zum Geschlecht und zur sozialen Herkunft sowie zur Interaktion der Merkmale mit dem Migrationshintergrund auf der Grundlage der vorliegenden Arbeit diskutiert. Geschlecht und soziale Herkunft stellen in Verbindung mit dem Migrationshintergrund die drei zentralen Merkmale im Kontext der Forschung über Diversity und Intersektionalität dar (vgl. Abschnitt 3.5).

Die Frage der Religion stellt sich auf zwei Ebenen. Erstens die Frage nach der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Dabei lässt sich durchaus diskutieren, ob es möglicherweise auch sinnvoll ist nach säkularen Weltanschauungen zu fragen. Darüber hinaus sollte auch nach der Bedeutung des Religiösen gefragt werden, da sich dies auch innerhalb der gleichen Glaubensgemeinschaft stark unterscheiden kann (vgl. Baumann et al. 2018). Ob und wie detailliert die Frage erhoben werden sollte, hängt von der jeweiligen Fragen- und Themenstellung der Erhebung ab. Wichtig insbesondere im Hinblick auf den Aspekt der Migration ist zweitens die Tatsache, dass Menschen aus dem türkisch- oder arabischsprachigen Raum häufig – zumeist ohne weitere Kenntnis über die Konfession – als Muslime klassifiziert werden. Zugleich wird diese Gruppe, dann auch häufig als die „Menschen mit Migrationshintergrund“ verstanden (vgl. Abschnitt 3.1.3). Die Tatsache, dass allein die vermutete regionale Herkunft dazu ausreicht, dass Menschen als Muslime klassifiziert werden, verdeutlicht auch das folgende Zitat einer Professorin aus der Türkei in der vorliegenden Arbeit:

„There’s anti-muslim debates in politics and media. On an everyday level, people ask me why I don’t wear a headscarf” (Professorin aus den Geistes- und Sozialwissenschaften).

Das Zitat zeigt exemplarisch, in welcher Form Fremdzuschreibungen als Muslima stattfinden. Zugleich wird daran deutlich, wie wichtig es ist Fremdzuschreibungen, vor dem Hintergrund des antimuslimischen Rassismus, über Befragungen sichtbar zu machen (vgl. Baumann et al. 2018). Die oben entwickelte Systematik hinsichtlich der erlebten rassistischen Fremdzuschreibungen sollte neben Aspekten wie Name oder Hautfarbe auch nach Fremdzuschreibung als „Muslim“ oder Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft fragen. So ließe sich empirisch überprüfen, ob ähnliche Zuschreibungsprozesse als „Jude“ oder „Buddhist“ sich ebenfalls beobachten lassen und zugleich könnte sichtbar gemacht werden, wie groß das Ausmaß der erlebten Fremdzuschreibung als „Muslim“ ausfällt. In Verbindung mit den Fragen zur Mitgliedschaft und Bedeutung von Religion ließe sich zudem auch zeigen, wie groß die Zahl der Menschen ist, die möglicherweise nicht oder „kaum“ religiös sind, aber dennoch mit Zuschreibungsprozessen beispielsweise als „Muslim“ konfrontiert werden.

Neben der Religion spielt auch die Sprache im Kontext von Migration eine wichtige Rolle, wozu es in es insbesondere in der Schulforschung eine Vielzahl von Untersuchungen gibt (vgl. Gogolin 2010). Der im Rahmen der MOBIL-Studie verwendete Begriff der Muttersprache ist für die Forschung allerdings wenig geeignet (vgl. auch Baumann et al. 2018, S. 84), da die Definition insbesondere in mehrsprachigen Haushalten schwerfällt. Eine Möglichkeit könnte darin liegen, nach Häufigkeiten verwendeter Sprachen mit den Eltern, im Freundeskreis und in Bildungseinrichtungen zu fragen. Wichtiger sind aus meiner Sicht insbesondere im Kontext von Hochschullehrerbefragungen die Sprachkompetenzen, da darüber auch mögliche Potentiale für nichtdeutschsprachige Lehre und Forschung im Kontext der Internationalisierung sichtbar gemacht werden können. Zudem sollte auch nach den Sprachkompetenzen im Deutschen gefragt werden, um sowohl einen Einblick zu bekommen wie stark fließende Deutschkenntnisse in unterschiedlichen Feldern der Hochschule vorausgesetzt werden als auch mögliche Herausforderungen der Befragten besser nachvollziehen zu können. Interessant ist zudem nicht nur die Frage der alltagssprachlichen Kompetenz, sondern inwieweit die Befragten die Bildungssprache im Deutschen beherrschen. Studien in der Schulforschung zeigen, dass schwächere Schulleistungen sowohl von Schülern, die Deutsch als Zweitsprache erlernt haben, als auch von Schülern, die aus nichtakademischen Elternhäusern kommen, in hohem Maße auf geringere Kompetenzen in der Bildungssprache Deutsch zurückzuführen sind (Gogolin und Lange 2011). Bildungssprache lässt sich als ein bestimmter Ausschnitt sprachlicher Kompetenz beschreiben:

„Gemeint ist ein formelles Sprachregister, d. h. eine Art und Weise Sprache zu verwenden, die bestimmte formale Anforderungen beachtet. Sehr grob charakterisiert, kann man sagen, dass Bildungssprache auch dann, wenn sie im Mündlichen vorkommt, an den Regeln des Schriftsprachgebrauchs orientiert ist. Besonderes Gewicht besitzt das Register im Bildungskontext: Es wird bei Lernaufgaben, in Lehrwerken und anderem Unterrichtsmaterial verwendet; es wird in Prüfungen und vielen Unterrichtsgesprächen eingesetzt. Je weiter eine Bildungsbiographie fortschreitet, je weiter sich der Unterricht in Fächer bzw. Fächergruppen ausdifferenziert, umso mehr wird das Register Bildungssprache verwendet und gefordert“ (Gogolin und Lange 2011, S. 111).

Eine Übertragung des Konzeptes auf das Studium und den akademischen Karriereverlauf, in der die Bildungssprache demnach immer weiter an Relevanz gewinnt, könnte demnach einen wichtigen Erklärungsansatz bieten, um Ungleichheiten nach sozialer Herkunft und Migrationshintergrund zu erklären. Konkret übertragen auf die vorliegende Arbeit wäre es in zukünftigen Studien interessant, näher zu erforschen, welche bildungssprachlichen Kompetenzen bei Berufungen erwartet werden und inwieweit dadurch Barrieren entstehen für Menschen, die Deutsch als Zweitsprache erlernt haben. Ein wichtiger Faktor dabei ist der Einfluss englischsprachiger Lehre und Forschung in den jeweiligen Fachgebieten. In Fachrichtungen, in denen bereits das Bewerbungsverfahren auf Englisch stattfindet, wäre es ebenfalls interessant zu erforschen, welche Standards für die Bildungssprache im Englischen gesetzt werden und wie sich diese im Vergleich zur Bildungssprache im Deutschen unterscheiden.

Hinsichtlich des Geschlechts zeigt die vorliegende Arbeit, dass über ein Drittel (34 %) der Professoren mit Migrationshintergrund Frauen sind. Damit liegt der Anteil deutlich höher als in der gesamten Professorenschaft (23 %) (Statistisches Bundesamt 2018b). Eine wichtige Frage in dem Kontext ist, ob, wie in der vorliegenden Arbeit, auch in Zukunft das Geschlecht ausschließlich binär erhoben werden sollte. Im Dezember 2018 hat die Bundesregierung die Einführung des dritten Geschlechts beschlossen, wodurch neben männlich und weiblich auch die Möglichkeit besteht, als Geschlecht „divers“ anzugeben. Die Zahl der intersexuellen Menschen in Deutschland wird zwischen 80.000 und 160.000 Personen geschätzt. Zwischen Dezember 2018 und Mai 2019 haben sich lediglich 69 Menschen als divers eintragen lassen, zugleich ist allerdings der Geschlechtswechsel von männlich zu weiblich oder umgekehrt mit 355 Personen seit der Gesetzeseinführung deutlich angestiegen (tagesschau.de 2019). Was heißt die Entwicklung für die Erhebung des Geschlechts in zukünftigen Befragungen? Sollte durchgehend das dritte Geschlecht auch in Befragungen der Hochschulforschung etabliert werden? Wichtig ist in diesem Zusammenhang, ob nach dem juristischen Geschlecht gefragt wird, das heißt nach dem in den Personaldokumenten genannten Geschlecht oder nach dem empfundenen Geschlecht, das heißt nach dem Geschlecht, mit dem sich die jeweilige Person selbst identifiziert. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll zunächst nach dem juristischen Geschlecht in der jetzt gültigen Form männlich, weiblich und divers zu fragen, wenngleich die Angabe divers vermutlich vor dem Hintergrund der oben genannten Zahlen minimal ausfallen wird. Auf der Grundlage könnten dementsprechend problemlos auch Statistiken über Frauenanteile fortgeschrieben werden. In einem zweiten Schritt sollte dann nach dem Geschlecht gefragt werden, mit dem sich die Personen identifizieren. Hier ist es sinnvoll, wie im Gutachten vorgeschlagen (Baumann et al. 2018), neben weiteren Kategorien zu männlich und weiblich auch danach zu fragen, ob sich das aktuelle Geschlecht von dem zur Geburt zugeordneten Geschlecht unterscheidet, um den Wandel der geschlechtlichen Identitäten nachzuvollziehen. Diskriminierung im Kontext von Geschlecht spiegelt sich auch häufig darin wider, dass Menschen, die nicht geschlechtskonformen Erwartungshaltungen entsprechen, Mobbing ausgesetzt sind (vgl. Baumann et al. 2018). In dem Kontext ließen sich sowohl subjektive Diskriminierungserfahrungen erheben als auch Fremdzuschreibungen, die nicht der eigenen geschlechtlichen Identität entsprechen. Interessant könnte in diesem Zusammenhang im Kontext der Migration sein, wie sich Erfahrungen diesbezüglich zwischen Deutschland und anderen Ländern unterscheiden.

Das Verfahren als Indikator für die soziale Herkunft, die akademischen Abschlüsse der Eltern zu verwenden, hat sich in der Studierendenforschung als hilfreiches Instrument, um soziale Selektionsprozesse nachzuvollziehen, bewährt. Auch für Hochschullehrerbefragungen wird dieser Indikator verwendet, wodurch gezeigt werden konnte, dass Professoren mit Migrationshintergrund lediglich zu 37 % aus nichtakademischen Elternhäusern kommen und damit noch deutlich seltener als Professoren ohne Migrationshintergrund (vgl. Abschnitt 7.1.3). Dennoch stehen Hochschullehrer- und Professorenbefragungen dabei vor der Herausforderung der deutlich größeren Altersheterogenität der Befragten im Vergleich zur Studierendenerhebungen. Hier muss berücksichtigt werden, dass sich der Anteil der tertiären Bildungsabschlüsse über die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts deutlich erhöht hat und somit die Wahrscheinlichkeit, dass die Elterngeneration bereits einen Hochschulabschluss besitzt für die jüngere Professorengeneration deutlich höher ausfällt als für die ältere Generation. Dementsprechend sollten, wenn es die Größe der Fallzahlen zulassen – was im Rahmen der vorliegenden Arbeit leider nicht möglich war – auch alterskohortenspezifische Vergleiche in zukünftigen Studien durchgeführt werden.

Abschließend soll es um den Zusammenhang der drei zentralen Merkmale der Intersektionalitätsforschung gehen: Geschlecht, soziale Herkunft und Migrationshintergrund (vgl. Abschnitt 3.5). Für die befragten Professoren mit Migrationshintergrund lässt sich festhalten – wie auch theoretische Ansätze und qualitative Studien im Feld der Intersektionalität betonen (vgl. Abschnitt 3.5 und 4.3.8) –, dass eine einfache Addition der Ungleichheitsdimensionen „Migrant“, „weiblich“ und „nichtakademische Herkunft“ empirisch nicht haltbar ist. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass erfolgreiche akademische Karriereverläufe der First Generation bis zur Professur auch und möglicherweise in besonderer Form für Männer mit Migrationshintergrund eine Herausforderung darstellen. Hinsichtlich des Verhältnisses von Geschlecht und sozialer Herkunft wird von Hüther und Krücken die Frage in den Raum gestellt (Hüther und Krücken 2016, S. 297), inwieweit möglicherweise die an sich wünschenswerte Zunahme des Anteils von Professorinnen zugleich den Effekt haben könnte, dass eine noch stärkere soziale Schließung stattfindet. Diese These basiert u. a. auf Forschungsergebnissen von Möller (2015), die darauf hindeuten, dass in der gesamten Professorenschaft Frauen besonders häufig aus akademischen Elternhäusern kommen. Die empirischen Auswertungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit zeigen für die Gruppe der Professoren mit Migrationshintergrund indessen einen gegenläufigen Befund. Der Anteil von Professorinnen mit Migrationshintergrund aus nichtakademischen Elternhäusern fällt mit 43 % um 10 % höher aus als bei ihren männlichen KollegenFootnote 6.

7.2.4 Potentiale migrantischer Wissenschaftler im Kontext von Diversität und Internationalität

Im vorangegangenen Kapitel wurden ausgehend vom Diversity-Ansatz unterschiedliche Ungleichheitsdimensionen und ihre Zusammenhänge in den Blick genommen und zukünftige Erhebungsformen diskutiert. Dabei ist wichtig zu beachten, dass das Diversity-Konzept – neben den Fragen der Ungleichheit und sozialen Gerechtigkeit auch Bezüge zum Human-Ressource Managements herstellt, wo insbesondere die Frage im Mittelpunkt steht, welche Vorteile und Potentiale Diversity für die Organisation bzw. im Rahmen der vorliegenden Arbeit für das Hochschulwesen bietet (Wolter 2015b). Wie im Theorieteil dargelegt (vgl. Abschnitt 3.5), wird in diesem Zusammenhang kritisch diskutiert, ob der Diversity-Ansatz zu sehr Unternehmensvorteile in den Vordergrund stellt und dementsprechend Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Diskriminierung vernachlässigt. Sicherlich ist es wichtig, kritisch die Balance zwischen den beiden Diskursen zu beobachten und sicherzustellen, dass der Diversity-Ansatz sich nicht zu sehr unter der Maxime der Optimierung von Personal- und Organisationsentwicklung primär wirtschaftlichen Interessen unterordnet.

Dennoch hat der Diversity-Ansatz im Vergleich zur „klassischen“ Ungleichheitsforschung einen entscheidenden Vorteil, der eben darin liegt, dass Ungleichheit und Potentiale innerhalb eines theoretischen Konzeptes verhandelt werden. Der häufige Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund aus einer Defizitperspektive oder die Tatsache, dass Migranten lange Zeit als bloße Objekte von Politik verstanden wurden, ohne die Frage der Handlungsmacht der Gruppe zu thematisieren (vgl. Oltmer 2016, S. 118), zeigen, welche Gefahren damit verbunden sein können, wenn einseitig und exklusiv Fragen der Benachteiligung thematisiert werden. Zugleich zeigt sich, wie wichtig es ist, auch die Frage zu stellen, welches Potential, welche Veränderungsprozesse und neuen Perspektiven durch Menschen mit Migrationshintergrund im Hochschulwesen und darüber hinaus eingebracht werden. Diese Perspektive spielt aus meiner Sicht für jegliche Ungleichheitsdimension eine wichtige Rolle. Auch bei Professoren aus nichtakademischen Elternhäusern sollten Fragen aufgeworfen werden, wie die Gruppe das Hochschulwesen verändert und welche neuen und anderen Perspektiven eingebracht werden. Nur in dieser Form lässt sich sicherstellen, dass die ethisch und gesellschaftlich wichtige Forschung über soziale Gerechtigkeit nicht zugleich auch gewisse paternalistische Züge trägt.

Was heißt diese Perspektiverweiterung auf Grundlage des Diversity-Ansatzes für das Konzept des Migrationshintergrundes? Während das Konzept für die Untersuchung von Diskriminierung und Ungleichheit nur als ein erster Zugang fungieren kann (vgl. Abschnitt 7.2.1), ist das Konzept in hohem Maße geeignet, um die Frage zu analysieren, wie Menschen mit Migrationshintergrund das Hochschulwesen beeinflussen und verändern. Das weit umfassende Konzept des Migrationshintergrundes in Verbindung mit der erweiterten Staatsangehörigkeit und der Differenzierung nach dem Zuwanderungszeitpunkt macht es möglich, zu zeigen, in welcher Form Menschen, die aus unterschiedlichen Regionen und zu unterschiedlichen Zeiten nach Deutschland gekommen sind, das Hochschulwesen in Deutschland prägen.

Ein spezifischer Bereich, in dem besonders die Potentiale von Professoren mit Migrationshintergrund sichtbar werden, liegt im Feld der internationalen Aktivitäten. Neben der Tatsache, dass die Gruppe eine wichtige Rolle für die Internationalisierung der Hochschulen spielt (vgl. Abschnitt 7.1), waren insbesondere die Gruppenunterschiede interessant. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass die Potentiale sehr stark zwischen Fächergruppen und Besoldungsgruppen sowie Hochschularten variieren, während die regionale Herkunft und der Zeitpunkt der Zuwanderung einen deutlich geringeren Einfluss aufweisen. Dieser Erkenntnis sollte für zukünftige Forschungsvorhaben berücksichtigt werden. Ramirez und Meyer (2013) verweisen darauf, dass es bisher vergleichsweise wenig Studien gibt, die sich wirklich mit der Substanz von Forschung und Lehre auseinandersetzen. Auch in der vorliegenden Arbeit lässt sich diese Kritik nicht von der Hand weisen. Allerdings stellt dieser Aspekt für eine fächerübergreifende quantitative Hochschulbefragung durchaus eine Herausforderung dar. Möglicherweise ist es sinnvoll, um die fächerspezifischen Potentiale von Professoren mit Migrationshintergrund herauszuarbeiten, sich zunächst auf einzelne Fachrichtungen zu beschränken und diese mithilfe eines Mixed-Method Design zu analysieren. Auch die im Theorieteil beschriebenen Potentiale wie die Entstehung eines transnational identity capital oder eines Verfremdungseffektes (vgl. Abschnitt 3.4.2) ließen sich über einen solchen Ansatz tiefergehend analysieren.

7.2.5 Theoretische Erkenntnisse über Migration und Teilhabe im Hochschulwesen

Migrationstheorien lassen sich differenzieren in Ansätze, die Gründe und Faktoren von Migrationsprozessen in den Mittelpunkt stellen (vgl. Abschnitt 3.2.1) und Theorien zur Integration und Teilhabe (vgl. Abschnitt 3.2.2). Der Ansatz der transnationalen Migrationstheorie stellt eben diese idealtypische Trennung der beiden Felder in Frage (vgl. Abschnitt 3.2.2.3). Mögliche Impulse dieses Ansatzes für die Weiterentwicklung der theoretischen Fundierung der Hochschulforschung werden abschließend diskutiert.

Die Untersuchung der Migrationsmotive wurde in Anlehnung an funktionalistische Ansätze entwickelt. Der Ansatz hat sich als hilfreich erwiesen, um herauszuarbeiten, welche beruflichen, privaten und gesellschaftlichen Gründe für die Zuwanderung von Professoren mit Migrationshintergrund relevant waren (vgl. Abschnitt 6.7.1). Der Humankapitalansatz erklärt in diesem Zusammenhang Migrationsentscheidungen mit dem erwarteten Mehrwert des Migrationsprozesses (vgl. Abschnitt 3.2.1.1). Die Tatsache, dass Karrieremotive bei der Migration von Universitätsprofessoren (im Vergleich zu Fachhochschulprofessoren) und bei Professional Migrants (im Vergleich zu Student Migrants) eine deutlich größere Rolle spielen (vgl. Abschnitt 6.7.1), könnte dementsprechend damit erklärt werden, dass erstens der Mehrwert bspw. Reputation und Besoldung an Universitäten häufig höher ausfällt und zweitens für die Gruppe der Professional Migrants der Mehrwert zumeist mit einer Berufung als Professor verbunden war, während Student Migrants häufig im Kontext des Studiums nach Deutschland zugewandert sind. Um den Mehrwert fundiert zu erfassen, stellt sich immer die Frage nach möglichen Alternativentscheidung, die je nach Karrierephase oder hochschulspezifischen Bereich sehr unterschiedlich ausfallen. Dennoch wäre es für die weitere Theorieentwicklung in dem Feld interessant auch zentrale Alternativoptionen in den Blick zu nehmen.

Die transition theory weist darauf hin, dass Spezialisierung und Segmentierung von Arbeitsmärkten mit zunehmendem Bildungsniveau und ökonomischer Entwicklung zunehmen und Migration dabei zum Zusammenbringen von Nachfrage und Angebot eine besondere Relevanz zukommt (vgl. Abschnitt 3.2.1.4). Die hohe Spezialisierung lässt sich unmittelbar auf die Konzeption von Professorenstellen übertragen. Interessant wäre es, näher zu untersuchen, inwieweit die Adäquanz und Passung des eigenen Spezialgebietes zur Stellenausschreibung für die Migrationsentscheidung eine große Relevanz gehabt hat. Insbesondere die hohe Zahl der Professoren aus Österreich und der Schweiz, die als Professional Migrants nach Deutschland gekommen sind, könnte damit zu erklären sein. Das heißt, dass die Entscheidung, sich in Deutschland zu bewerben, in hohem Maße darauf zurückzuführen sein könnte, dass es für das spezifische Lehr- und Forschungsgebiet in den kleineren Ländern Österreich und Schweiz keine Stellenausschreibungen gab. Interessant wäre für die weitere Theorieentwicklung näher zu erforschen, wie eigentlich Entscheidungen für Spezialisierung im Bildungs- und Berufsverlauf von Wissenschaftlern entstehen und an welchen Stellen in diesem Kontext auch Migrationsentscheidungen ins Ausland in Betracht gezogen werden. Auch die Tatsache, dass für über zwei Drittel der Professional Migrants die „gute berufliche Perspektive“ von zentraler Bedeutung für die Migrationsentscheidung war, könnte u. a. damit zusammenhängen, dass die Stellenausschreibung in hohem Maße dem eigenen Spezialgebiet entsprochen hat.

Historisch strukturalistische Ansätze gehen davon aus, dass Migration immer nur vor dem Hintergrund des Machtgefälles zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern zu verstehen sei (vgl. Abschnitt 3.2.1.2). Kontrolle und Steuerung von hochqualifizierter Migration ziele somit immer auf den Machterhalt der wirtschaftsstarken Länder ab. Die vorliegende Arbeit über Professoren mit Migrationshintergrund lässt nur sehr begrenzt Rückschlüsse über globale Ungleichheitsstrukturen zu. Allerdings deuten die Ergebnisse weniger darauf hin, dass gezielte Abwerbungsprozesse in Entwicklungsländern stattfinden, sondern eher darauf, dass ärmere Herkunftsregionen weder bei den Herkunftsländern noch in den Bildungs- und Berufsverläufen eine nennenswerte Rolle spielen (vgl. Abschnitt 6.1.4 und 6.2). Zugleich kommen Professoren aus diesen Ländern überdurchschnittlich häufig aus akademischen Elternhäusern. Diese Erkenntnisse deuten an, welche großen Hürden für Menschen aus diesen Regionen vorhanden sind. Die Vermutung liegt nahe, dass insbesondere für Menschen aus einfachen Verhältnissen, die aus diesen Regionen kommen, kaum die finanziellen Mittel für ein internationales Studium aufzubringen sind und somit eine große Selektion bereits zu einem frühen Zeitpunkt stattfindet. Das heißt Ungleichheitsverhältnisse manifestieren sich in diesem Sinne an globalen Zugangschancen.

Hinsichtlich netzwerktheoretischer Ansätze betonen Mihut, Gayrdon und Rudt (2017) die Relevanz, familiäre Gründe im Rahmen von Migrationsentscheidungen systematisch zu berücksichtigen. Die Netzwerktheorie (vgl. Abschnitt 3.2.1.3) verweist darauf, wie wichtig es ist zu berücksichtigen, dass Migrationsentscheidungen zumeist im Kollektiv innerhalb eines Haushalts und einer Familie getroffen werden. Durch die Befragung lässt sich diese Relevanz in dreifacher Hinsicht bestätigen. Erstens haben familiäre Gründe und Partnerschaft bei fast einem Drittel der Professoren die Zuwanderungsentscheidung nach Deutschland positiv beeinflusst. Zweitens war die Trennung von Familie und/oder Partner das häufigste Argument gegen eine Zuwanderung. Drittens zeigt sich in Bezug auf die Bleibeabsicht, dass sich die Wahrscheinlichkeit für einen Wechsel ins Ausland deutlich erhöht, sobald der Partner ebenfalls aus dem Ausland kommt und sich entsprechend beträchtlich verringert, wenn der Partner aus Deutschland kommt. Interessant wäre es, in zukünftigen Studien, beispielsweise über Interviews, noch detaillierter herauszuarbeiten, in welcher Form Familie und Partnerschaft die Migrationsprozesse konkret beeinflussen. Netzwerktheoretische Ansätze können auch hilfreich sein, um die hohen Anteile von Professoren aus dem westeuropäischen Ausland und den angelsächsischen Ländern USA, Kanada und Australien zu erklären. Die Hochschulpersonalstatistik zeigt, dass die Anteile ausländischer Professoren aus diesen Regionen an der Gesamtheit aller ausländischen Professoren in den letzten Jahren sogar noch etwas zugenommen hat (vgl. Statistische Bundesamt 2018). Ein Erklärungsansatz könnte sein, dass Kontakte und Verbindungen zwischen Wissenschaftlern aus dem gleichen Herkunftsland sich bspw. aufgrund der Sprache leichter herstellen lassen. Professoren aus bestimmten Herkunftsländern agieren dementsprechend als Türöffner, möglicherweise auch indem sie Wissenschaftler aus dem Herkunftsland schon zu einem früheren Zeitpunkt bspw. als Doktoranden und/oder Wissenschaftliche Mitarbeiter an ihren Lehrstuhl holen.

Ein Kernanliegen der transnationalen Migrationstheorie liegt darin, Migration nicht mehr als einmaligen, unidirektionalen Ortswechsel zu verstehen, sondern Mehrfachmigration als neue soziale Lebenswirklichkeit zu begreifen (vgl. Abschnitt 3.2.1.3). Die empirischen Analysen über die Bildungs- und Berufsverläufe der Professoren mit Migrationshintergrund zeigen, dass einmalige Ortswechsel die absolute Ausnahme darstellen, sondern dass bei der großen Mehrheit der Professoren mit Migrationshintergrund Mehrfachmigration im Bildungs- und Berufsverlauf stattfindet. Zugleich bestärken die empirischen Daten zur Internationalität der Bildungs- und Berufsverläufe die Kritik von Scott (2015), dass theoretische Ansätze, die dichotom zwischen mobilen und nichtmobilen Wissenschaftlern unterscheiden, der Lebensrealität heutiger Wissenschaftler nicht mehr entspricht (vgl. Abschnitt 3.2.1.5). Die sechsstufige Differenzierung im Rahmen der vorliegenden Arbeit (vgl. Abschnitt 6.6.1) zwischen nichtmobilen und hochgradig mobilen Professoren mit Migrationshintergrund, verdeutlicht, wie wichtig es ist, das dichotome Modell durch abstufende Differenzierungen zu ersetzen.

Neben allgemeinen Migrationstheorien sollen im Folgenden spezifisch für das Hochschulwesen entwickelte Migrationstheorien vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit diskutiert werden. Zunächst soll der von Scott auf das Hochschulwesen übertragene Ansatz über Brain Gain, Brain Drain und Brain Circulation (vgl. Abschnitt 3.2.1.5) betrachtet werden. Dabei ist zunächst einschränkend hervorzuheben, dass eine nationale Erhebung in Berlin und Hessen hierzu lediglich einzelne Hinweise liefern kann, die unter Vorbehalt zu betrachten sind. Positiv betrachtet, lässt sich der geringe Anteil von Menschen aus Entwicklungs-/Schwellenländern als Indiz dafür werten, dass kein großer Brain Drain aus Entwicklungsländern nach Deutschland stattfindet. Berücksichtigt man allerdings auch die Tatsache, dass Bildungsabschlüsse und Berufserfahrungen in noch deutlich geringerem Maße vorliegen, muss kritisch hinterfragt werden, inwieweit Entwicklungs- und Schwellenländern zunächst überhaupt als Akteur im internationalen Hochschulwesen agieren bzw. eingebunden sind. Die vielfältigen Migrationswege zeigen, dass die befragten Professoren in hohem Maße mehrfache Staatenwechsel durchlaufen, dabei allerdings Entwicklungs- und Schwellenländer fast keine Rolle spielen. Die von Scott (2015) beschriebene Brain Circulation findet also bei den befragten Professoren durchaus statt, begrenzt sich allerdings weitgehend auf Industrienationen. Um im Sinne eines Brain Gain von internationaler Wissenschaftlermobilität zu profitieren, ist es jedoch unerlässlich, dass Entwicklungs- und Schwellenländer überhaupt zu relevanten Akteuren im internationalen Hochschulwesen werden. Beim wissenschaftlichen Nachwuchs unter Doktoranden und Wissenschaftlichen Mitarbeitern spielen asiatische Herkunftsländer zunehmend eine wichtige Rolle. Über 22 % der ausländischen Promovenden in Deutschland kamen 2017 allein aus China und Indien (vgl. Statistisches Bundesamt 2018b). Insofern ist durchaus zu erwarten, dass sich die Strukturen in Zukunft wandeln werden. Zugleich bleibt allerdings die Frage, ob sich dieser Trend für alle Weltregionen ändern wird. Insbesondere Menschen aus afrikanischen Ländern sind auf allen Ebenen nur sehr marginal im deutschen Hochschulwesen vertreten.

Abschließend sollen die Erklärungsmodelle für akademische Mobilität und Migration von Ackers (2005) und Bauder (2015) diskutiert werden (vgl. Abschnitt 3.2.1.5). Ackers (2005) stellt die Theorie auf, dass Karrieremöglichkeiten, ad hoc Netzwerke zu befreundeten Wissenschaftlern und gute Forschungsbedingungen zentrale Bedeutung für die Migrationsentscheidung haben. Exakt die drei Migrationsmotive wurden am häufigsten von Professoren mit Migrationshintergrund genannt (vgl. Abschnitt 6.7.1) Des Weiteren spiele nach Ackers (2005) Persönlichkeitsentwicklung, kulturelle Neugier und die Frage, inwieweit es eine lokale und nationale Wissenschaftscommunity gebe, eine wichtige Rolle. Die Aspekte wurden leider in der Befragung nicht adäquat abgebildet und sollten in zukünftigen Befragungen dringend berücksichtigt werden. Sowohl Ackers (2005) als auch Bauder (2015) weisen darauf hin, dass die Migrationsmotive differenziert nach Merkmalen wie Disziplin, Hochschulart, Geschlecht, Karrierephase und Migrationsdauer betrachtet werden sollten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit zeigen sich diese Gruppenunterschiede speziell nach Geschlecht, Zuwanderungszeitpunkt, Hochschulart und Alter (vgl. Abschnitt 6.7.1). Bauder (2015) stellt zudem die These auf, dass es in der Wissenschaft im Gegensatz zu vielen anderen Berufsfeldern kaum zu einer Abwertung der Arbeitskraft in Folge von Migrationsprozessen käme, sondern eher Reputation und Anerkennung steigere. Diese Frage wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht explizit erhoben. Allerdings lässt sich die Tatsache, dass über die Hälfte der Befragten ihren internationalen Hintergrund als Vorteil deutet, während lediglich 30 % nicht der Meinung sind, als Indikator für die These von Bauder deuten.

Im nächsten Schritt werden Migrationstheorien über Integration und Teilhabe, insbesondere mit Bezug zum transnationalen Migrationsansatz, vor dem Hintergrund der empirischen Befunde diskutiert. Nach klassischen Integrationstheorien wie dem Ansatz von Esser (2009) hängt Integration primär von der Investitionsbereitschaft der Migranten ab. Integration kann entweder in die Mehrheitsgesellschaft (Assimilation) oder innerhalb der ethnischen Minderheit (Segmentation) stattfinden, wobei eine Mehrfachintegration zwar nicht ausgeschlossen sei, aufgrund der hohen Anforderungen nur in Ausnahmefällen stattfinde. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde in Anlehnung an den transnationalen Ansatz ein umfassenderes Konzept entwickelt, das als dritte Gruppe auch Menschen aus weiteren Ländern umfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass fast alle Professoren mit Migrationshintergrund häufig Kontakt zu Deutschen haben und Deutsch häufig im Kreis der Familie und im Freundeskreis sprechen, was sich auf einer Skala von 1 (nie) bis 3 (häufig) in einem hohen Indexwert von 2,89 widerspiegelt. Zugleich spielen aber auch Kontakte zu Menschen aus dem Herkunftsland und in der Herkunftssprache (2,33) ebenso eine wichtige Rolle wie Kontakte zu Menschen aus weiteren Ländern und in weiteren Sprachen (2,43). Auf der Grundlage der Indexbildung wurde eine Clusteranalyse durchgeführt. Die beiden größten Gruppen sind das Cluster „Herkunftsland und Deutschland“ (38 %) und das Cluster „Weitere Länder und Deutschland“ (32 %). Zudem gibt es zwei kleinere Gruppen, die entweder in erster Linie Interaktionen mit Menschen aus dem Herkunftsland (17 %) bzw. mit Deutschen und in deutscher Sprache (13 %) haben. Das heißt hinsichtlich der von Esser verwiesen Ausnahmefälle der Mehrfachintegration, dass 70 % der Befragten in hohem Maße sowohl zu Deutschen als auch zu Migranten soziale Kontakte pflegt, was Essers These von Ausnahmefällen für die Gruppe der Professoren deutlich widerlegt. In zukünftigen Befragungen sollten die Indikatoren weiter ausgearbeitet werden und auch die Frage berücksichtigt werden, in welchem Maße auch berufliche Kontakte und soziale Freundschaften zusammenfallen. Zudem sollte vor dem Hintergrund, dass über zwei Drittel der Professoren häufig Kontakt zu Familie und Freunden im Herkunftsland hat, knapp die Hälfte häufig dorthin reist und ebenfalls fast die Hälfte der Professoren Projekte im Herkunftsland unterstützt, grenzüberschreitende Phänomene ebenfalls im Kontext von Integration berücksichtigt werden. Die Zielsetzung sollte sein, die Relevanz transnationaler Räume über ein theoretisches Modell und Indikatoren abzubilden. Sinnvoll wäre es dann, neben Kontakten und Beziehungen ins Herkunftsland auch Bezüge in weiteren Staaten mit in den Blick zu nehmen.

Der transnationale Migrationsansatz geht davon aus, dass nationalstaatlich gefasste Container-Gesellschaften zunehmend durch transnationale Sozialräume durchdrungen werden und das exklusive national-kulturelle Zugehörigkeiten zu einem Nationalstaat zunehmend durch Mehrfachzugehörigkeiten und hybride Identitäten ersetzt werden (vgl. Abschnitt 3.2.2.3). Die Frage nach dem Selbstverständnis als internationaler Professor zeigt, dass lediglich ca. ein Fünftel betont, dass sie sich entweder als deutsche Professoren oder als Professoren des Herkunftslandes verstehen. Ein Großteil der Professoren misst der eigenen Nationalität und Herkunft in diesem Kontext keine Bedeutung zu. Im Gegenteil gibt es eine Vielzahl von Professoren, die explizit betonen, dass Internationalität für sie mit Herkunft und Nationalität nicht in Verbindung stehe. Vielmehr dominiert ein internationales Selbstverständnis aufgrund der Biografie und der Profession die Antwortmuster. Zugleich ist es interessant, dass einerseits bei den Vor- und Nachteilen die nationale Herkunft das Item darstellt, dass am häufigsten im positiven wie im negativen Sinne eine Rolle gespielt hat, andererseits beim Selbstverständnis Bezüge zur nationalen Herkunft nur selten hergestellt werden. In Anlehnung an das Konzept der imagined political community nach Anderson (2003) (vgl. Abschnitt 3.1.2) zeigt sich, dass die nationale Herkunft und Fragen der Zugehörigkeit im Alltag durchaus weiterhin häufig von Relevanz sind, während die Professoren selbst deutlich seltener ihr Selbstverständnis in Verbindung zur nationalen Herkunft setzen. Aus migrationstheoretischer Perspektive sollte festgehalten werden, dass das pluralistische Verständnis des transnationalen Ansatzes sich in vieler Hinsicht in den Antwortmustern der Professoren widerspiegelt. Zugleich geben die Antworten deutlich Hinweise darauf, dass es bei Theorien über Selbstverständnis und Identität von Migranten von großer Relevanz ist, nicht nur die unterschiedliche Bezüge und Zugehörigkeiten hinsichtlich der Nationalität oder auch der Transnationalität in den Fokus zu nehmen, sondern insbesondere die Profession als zentralen Bezug für das eigene Selbstverständnis in den Mittelpunkt zu rücken.

Ein Aspekt für die Theorieentwicklung über Migration im Hochschulwesen liegt auch in der Frage der Positionierung und des Verhältnisses zwischen „Forschern“ und „Beforschten“. Shinozaki (2012) verweist darauf, dass dieser Aspekt auch in der transnationalen Migrationsforschung bisher kaum Berücksichtigung gefunden hat. Auf der Grundlage einer qualitativen Feldstudie zeigt sie, wie das Geschlecht sowie die ethnische und soziale Herkunft der forschenden Person die Forschung über Migranten beeinflusst. Wenngleich die Übertragung dieser Ansätze auf die quantitative Hochschulforschung sich durchaus anspruchsvoll darstellt, sollte es dennoch das Ziel sein, eine selbstreflexive, theoretische Fundierung der Hochschulforschung im Feld der Migration voranzutreiben.

7.3 Beitrag für Hochschulentwicklung und Governance

Im dritten Teil soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Form die Erkenntnisse der Arbeit gestaltende Hochschulpolitik wissenschaftlich fundieren können. Das Paradigma evidenzbasierter Bildungspolitik hat in den letzten Jahren auch zunehmend in der Hochschulforschung Berücksichtigung gefunden (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, Teil F). Im Mittelpunkt steht dabei, der Hochschulpolitik fundiertes Wissen bereitzustellen über Bedingungen, Prozesse, Ergebnisse und Wirkungen von Hochschulbildung und Reformmaßnahmen (vgl. Wolter 2015, S. 151). Die folgenden Ausführungen zielen in Anlehnung an das oben beschriebene Konzept auf wissenschaftliche Politikberatung ab, gehen zum Teil aber auch darüber hinaus.

Zentrale Relevanz für evidenzbasierte Hochschulpolitik sollte die Etablierung eines objektiven Konzeptes zur Erforschung von Migration und Herkunft haben. Auf der Grundlage der vorliegenden Arbeit wurden sowohl ausführlich Chancen und Grenzen des Konzeptes Migrationshintergrund für die Professions- und Ungleichheitsforschung im Hochschulwesen als auch die konkrete Umsetzung erläutert (vgl. Abschnitt 7.2.1). Aus meiner Sicht könnte eine umfassende Etablierung im Kontext quantitativer Studien im Hochschulwesen einen fundierten Kenntnisstand ans Licht bringen über Chancen und Herausforderungen im Kontext von Migration, um damit eine empirische Grundlage auch für hochschulpolitisches Handeln zu schaffen. Hinsichtlich Ungleichheit und Diskriminierung kann das Konzept Migrationshintergrund lediglich einen ersten Zugang darstellen. Hier ist es, wie erläutert (vgl. Abschnitt 7.2.1) von entscheidender Bedeutung auch das subjektive Selbstverständnis und Fremdzuschreibungen aufgrund der Herkunft zu erheben. Hierfür wurden erste Vorschläge entwickelt (vgl. Abschnitt 7.2.1). Wichtig ist diesbezüglich ebenfalls eine Standardisierung vorzunehmen, um Vergleiche und Entwicklungen zwischen Studien untersuchen zu können und somit einen Mehrwert für evidenzbasierte Hochschulpolitik zu schaffen.

Während internationale Studierendenmobilität hochschulpolitisch in hohem Maße gefördert wird, lässt sich die Haltung der Hochschulpolitik gegenüber der internationalen Mobilität der akademischen Profession als ambivalent beschreiben. Einerseits gibt es ein Bewusstsein, dass internationale Erfahrungen im Ausland die Hochschulentwicklung in Deutschland voranbringen, andererseits ist damit häufig die Sorge um brain drain verbunden, wenn die Personen langfristig im Ausland verbleiben (vgl. Teichler 2007). Hochschullehrerbefragungen sollten in diesem Kontext einerseits sichtbar machen, worin die konkreten Potentiale internationaler Erfahrungen für das Hochschulwesen in Deutschland bestehen. Andererseits sollte im Detail versucht werden, Unterschiede hinsichtlich der Formen, Motive und der Aufenthaltsdauer von internationaler Mobilität zu beschreiben, um auf der Grundlage Internationalisierungsstrategien zu entwickeln.

In Abschnitt 2.3 wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die Habilitation bei Berufungen von Professoren aus dem Ausland überhaupt noch von Relevanz ist. Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass über die Hälfte der Professional Migrants, die größtenteils direkt aus dem Ausland an eine deutsche Hochschule berufen wurden, eine Habilitation besitzt. Auch im Vergleich der Altersgeneration zeigen sich unter Kontrolle der Besoldungsgruppen kaum Unterschiede bei den Habilitationsanteilen. Die Tatsache, dass Universitätsprofessoren mit Migrationshintergrund zu 57 % eine Habilitation erworben haben, macht zwar einerseits sichtbar, dass es eine große Zahl an Universitätsprofessoren gibt, die ohne Habilitation berufen werden, andererseits verweist der hohe Anteil in der jüngeren Generation und unter Professional Migrants aber auch auf die anhaltende Relevanz der Bildungsqualifikation (vgl. Abschnitt 6.2.1). Auf der Grundlage der vorliegenden Arbeit lässt sich nicht beantworten, wie groß die Zahl an exzellenten Wissenschaftlern aus dem Ausland war, denen der Zugang zur Universitätsprofessur in Deutschland aufgrund einer fehlenden Habilitation nicht möglich war. Vor diesem Hintergrund sollten Vor- und Nachteile des Habilitationsmodells in Deutschland im Kontext der internationalen und globalen Entwicklungen fundiert abgewogen werden.

Das Interessante an den Einstellungen von Professoren mit Migrationshintergrund zu Bologna- oder NPM-Reformen liegt darin, dass damit eine Gruppe befragt wurde, die zu einem großen Teil eine Vielzahl von Erfahrungen und Einblicke in Hochschulsysteme anderer Länder gewinnen konnte. Es zeigt sich, dass die befragten Professoren sowohl Bologna- als auch NPM-Reformen (vgl. Abschnitt 7.1.1) im Vergleich zu anderen Professorenbefragungen in Deutschland etwas positiver beurteilen. In zukünftigen Forschungsvorhaben wäre es interessant zu erforschen, welche Argumente dieser positiveren Beurteilung zugrunde liegen und inwieweit Erfahrungen und Perspektiven aus anderen Hochschulsystemen dabei eine Rolle spielen. Generell sollte geprüft werden, insbesondere wenn es um die Implantation bestimmter Hochschulreformen geht, die bereits in anderen Ländern stattgefunden hat, inwieweit es hilfreich sein könnte, auf die Expertise von Professoren mit Migrationshintergrund zurückzugreifen.

Olbertz betont, dass Hochschulen als Expertenorganisationen mehr als je zuvor unter marktwirtschaftlichen Bedingungen globaler Natur agieren. Hochschulen sollten ihren Fokus darauf legen, ihre institutionelle Identität zu bewahren und diese zugleich als Potential für die Qualitätsentwicklung einbringen. Im Anschluss daran diskutiert er die Frage der zunehmenden institutionellen Autonomie von Hochschulen. Es gehe um ein intelligentes und reflektiertes Kooperationsverhältnis von Hochschule und Staat. Wichtig sei dabei, dass die Hochschulen ihre öffentliche und demokratische Verantwortung und Verpflichtung nicht aus den Augen verlieren (vgl. Bülow-Schramm, Krücken, Olbertz und Pasternack 2007). Für den Umgang mit marktwirtschaftlichen Bedingungen globaler Natur können die internationalen Erfahrungen und Aktivitäten, die Professoren mit Migrationshintergrund an Hochschulen einbringen (vgl. Abschnitt 6.6), sicherlich hilfreich sein. Zugleich stellt sich die Frage, inwieweit Hochschulen auch bei der internationalen Rekrutierung von Professoren den Logiken globaler Marktwirtschaft folgen sollten. Konkret lässt sich in diesem Kontext beispielsweise diskutieren, inwieweit Deutschland mit Professorengehältern, die deutlich hinter Großbritannien, den USA und den Niederlanden zurückbleiben (vgl. Kreckel und Zimmermann 2014, S. 240), im internationalen Wettbewerb um die „besten Köpfe“ ins Hintertreffen gerät. Aus meiner Sicht geht es darum eine Balance zu finden, einerseits internationale Wettbewerbsstrukturen im Blick zu halten, anderseits aber auch das Selbstverständnis der Hochschulen herauszustellen.

Ramirez und Meyer (2013) verweisen darauf, dass das Konzept der World Class University und die damit verbundene globale Anerkennung und Relevanz in hohem Maße nationale Hochschulpolitik beeinflusst, wobei der Anteil internationaler Wissenschaftler einen Indikator im Rankingverfahren darstellt. Deutsche Universitäten tauchen in den globalen Hochschulrankings kaum unter den Spitzenplätzen auf, allerdings finden sich im internationalen Vergleich überdurchschnittliche viele deutsche Universitäten unter den Top 500. Für hochschulpolitisches Handeln stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit die zur Verfügung stehenden Ressourcen genutzt werden sollten, um einzelne „globale Champions“ in Deutschland zu schaffen oder ob Ressourcen eher breit verteilt werden sollten. Es lassen sich für beide Positionen eine Vielzahl von Argumenten anführen. Wichtig vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit sollte es sein, dass Internationalisierung als Querschnittsthema in allen Feldern des Hochschulwesens etabliert wird, weil darin unter anderem das besondere Potential besteht, traditionelle Denk- und Analysestrukturen durch neue internationale Perspektiven zu erweitern oder auch in Frage zu stellen. Dieses Potential sollte sich nicht nur an einzelnen World Class Universities genutzt werden. Zudem sollte die von Olbertz geforderte Bewahrung der institutionellen Identität der Hochschulen mit öffentlicher und demokratischer Verantwortung und Verpflichtung als besonderes Merkmal der Hochschule herausgestellt werden. Das gilt  speziell bei der Positionierung im Wettbewerb um die „besten Köpfe“ in Konkurrenz zum außerhochschulischen und privaten Arbeitsmarkt.

Die Lehr- und Forschungsbedingungen im internationalen Vergleich werden insbesondere in den Sozial-/Verhaltenswissenschaften, den Geisteswissenschaften und den Lebenswissenschaften kritisiert (vgl. Abschnitt 6.5.1). Hochschulpolitisch wäre es interessant, hierzu nähere Informationen einzuholen. Hinsichtlich der beruflichen Zufriedenheit ist es erfreulich, dass Professoren mit Migrationshintergrund sogar noch etwas zufriedener sind als ihre Kollegen (vgl. Abschnitt 7.1.1). Trotzdem muss auch festgehalten werden, dass über ein Viertel der Professoren mit Migrationshintergrund nicht oder nur teilweise mit der beruflichen Situation zufrieden ist (vgl. Abschnitt 6.5.2). Eine besonders hohe Korrelation zur beruflichen Zufriedenheit konnte für die Items „Möglichkeit, beruflich weiterzukommen“, „Rückmeldungen über Leistungen in der Forschung“, angemessene Bezahlungen“, „gute Kooperation im Kollegium“ und „institutionelle Anerkennung für Leistungen in der Lehre“ nachgewiesen werden (vgl. Abschnitt 6.5.3). Ausgehend von diesen Items sollten die Hintergründe näher untersucht werden und mögliche hochschulpolitische Maßnahmen getroffen werden.

Das große Ausmaß an internationaler Erfahrung, internationalen Aktivitäten in Forschung und Lehre sowie an interkultureller Zusammenarbeit zeigt sehr deutlich, dass Professoren mit Migrationshintergrund Schlüsselakteure für Internationalisierungsprozesse an Hochschulen darstellen. Die Tatsache, dass kaum Unterschiede zwischen Early Migrants und Professional Migrants oder auch zwischen Professoren mit ausländischer Staatsangehörigkeit und deutschen Professoren mit Migrationshintergrund bestehen, zeigt sehr deutlich, dass bspw. der Indikator Professoren mit ausl. Staatsangehörigkeit für die Internationalität von Hochschulen in Frage gestellt werden sollte und stattdessen vielmehr generell der Anteil an Professoren mit Migrationshintergrund betrachtet werden sollte. Das heißt, das Konzept des Migrationshintergrundes mit der Differenzierung nach Zuwanderungszeitpunkt und regionaler Herkunft hat das Potential, aussagekräftigere Indikatoren im Kontext von Hochschulrankings zu entwickeln. Die exklusive Perspektive von Hochschulranking auf ausländische und aus dem Ausland angeworbene Akteure könnte durch das Konzept Migrationshintergrund erweitert werden. In dessen Folge könnte ein Bewusstsein entstehen, dass auch Menschen der zweiten Einwanderergeneration wichtige Akteure der Internationalisierungsprozesse an Hochschulen darstellen.

Ein zentraler Faktor für eine weitergehende internationale Öffnung von Hochschulen liegt in der Frage der Sprache. Ein Ausbau von englischsprachiger Forschung und Lehre stärkt die die Attraktivität von Professuren in Deutschland für exzellente Wissenschaftler aus dem Ausland. Demgegenüber führen Hochschulstrukturen, in denen Lehre und Verwaltung weitgehend exklusiv auf Deutsch stattfinden, dazu, dass für bestimmte Gruppen der Hochschulstandort Deutschland kaum in Betracht gezogen wird. Die Frage der internationalen Rekrutierung von Wissenschaftlern kann im positiven Fall einen selbst verstärkenden Effekt haben. Durch eine stärkere Öffnung der Hochschulen für internationale Wissenschaftler, steigt die Zahl der Professoren, die in Forschung und Lehre die Internationalisierung der Hochschulen vorantreiben und über Netzwerke als Türöffner für die Anwerbung weiterer internationaler Wissenschaftler agieren (vgl. Abschnitt 6.6 und 6.7.1).

Die in Abschnitt 2.3 näher erörterte Analyse zu hochschulpolitischen Reformen hinsichtlich der internationalen Wissenschaftlerrekrutierung in Deutschland von Bruder und Galizia (2017) kommt zu dem Fazit, dass sich die Gesetzgebung in den letzten Jahren dahingehend zwar deutlich liberalisiert habe, die Willkommenskultur der Behörden in Deutschland allerdings noch immer deutlich ausbaufähig sei. Die Tatsache, dass für Professoren mit Migrationshintergrund Bürokratie das zweithäufigste Argument gegen eine Zuwanderung nach Deutschland darstellt sowie die Vielzahl negativer Hinweise über Verwaltungsabläufe in den Erfahrungsbeispielen deuten darauf hin, dass hier weiterhin erheblicher Handlungsbedarf besteht.

Im Folgenden soll nochmal kurz Bezug genommen werden auf die Debatte, ob sich die Strukturen des globalen Arbeitsmarktes von Hochqualifizierten eher als Brain Drain/Brain Gain oder als Brain Circulation beschreiben lassen (vgl. ausführlich Abschnitt 3.2.1.5), da der Frage für internationale und globale Hochschulpolitik eine wichtige Bedeutung zukommt. Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, inwiefern die Strukturen der weltweiten Arbeitsmigration von Hochqualifizierten auf einem reinen Wettbewerbs- und Konkurrenzsystem basieren, in dem es ausschließlich darum geht, möglichst viele Spitzenkräfte für das eigene Land anzuwerben. Kritisch wird dabei häufig insbesondere der „Abzug“ von Hochqualifizierten aus Entwicklungsländern diskutiert. Oder ob – nach der These der Brain Circulation – stärker von internationalen Kooperationsstrukturen zwischen Nationen ausgegangen werden sollte, die sich in Anbetracht der zunehmenden internationalen Arbeitserfahrung und des stärkeren Austauschs von Hochqualifizierten für mehrere Länder als vorteilhaft erweisen können. Zugleich berücksichtigt Brain Circulation den Befund, dass Migranten häufig Kontakte und Wirtschaftsbeziehungen in ihr Herkunftsland aufrechterhaltenFootnote 7 (Sippel 2009).

Hinsichtlich der Bleibeabsicht wurde danach gefragt, ob die Professoren ihre langfristige berufliche Zukunft in Deutschland oder im Ausland planen. Für zukünftige Studien wäre aus meiner Sicht zu empfehlen, konkret danach zu fragen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Professoren in den kommenden zwei Jahren ins Ausland wechseln und diese z. B. über eine Fünfer-Likert-Skala abzubilden. Auf der Grundlage ließe sich geplante Emigration noch präziser abbilden, um vor dem Hintergrund mögliche hochschulpolitische Maßnahmen zu entwickeln. Zugleich sollte in diesem Zusammenhang erhoben werden, inwieweit private oder berufliche Motive einer Wechselabsicht zugrunde liegen, um hochschulpolitisch darauf reagieren zu können. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass für die Bleibeabsicht in Deutschland neben privaten Kontakten zu Deutschen und der Herkunft des Partners auch die Besoldungsgruppe sowie Lehre und Forschung in nichtdeutschen Sprachen eine wichtige Rolle spielen (vgl. Abschnitt 6.7.4). Über die multivariate Regressionsanalyse wurde gezeigt, dass die Herkunft des Partners, die Aufenthaltsdauer in Deutschland und die berufliche Zufriedenheit die wichtigsten Faktoren für die Zukunftsplanung darstellen. Diese Befunde sollten hochschulpolitisch Beachtung finden. In zukünftigen Studien sollten einzelne Motive in Bezug auf die Bleibeabsicht darüber hinaus direkt erhoben werden. Die hier vorgenommenen Analysen zeigen – vereinfacht ausgedrückt –, welche Push-Faktoren möglicherweise dazu führen, dass Professoren ihre berufliche Zukunft nicht in Deutschland planen. Als Zielländer nennen einzelne Professoren insbesondere die USA, die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Daran anschließend empfiehlt es sich, in zukünftigen Studien detailliert herauszuarbeiten, aus welchen Gründen Professoren eine Berufstätigkeit in diesen Ländern im Vergleich zu Deutschland bevorzugen, und den Zusammenhang zwischen Push- und Pull-Faktoren näher zu untersuchen. Ähnlich wie für die Zuwanderung im Rahmen der vorliegenden Arbeit (vgl. Abschnitt 6.7.1) könnte auch für die Bleibeabsicht konkret untersucht werden, welche Motive für eine mögliche Emigration sprechen.

Welche Erkenntnisse lassen sich daraus auf die Kontroverse über Brain Gain/Brain Drain und Brain Circulation übertragen? Aus einer Brain-Gain-Perspektive heraus sollte primär die Stärkung der beruflichen Zufriedenheit in den Fokus gerückt werden. Zugleich erscheint es wenig sinnvoll, internationalen Austausch und internationale Aktivitäten von Professoren mit Migrationshintergrund einzuschränken, wenngleich entsprechende Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit erhöhen würden, dass die Professoren in Deutschland bleiben. Diese Überlegungen zeigen, dass ein rein utilitaristisches nationales Modell zu kurz greift. Ziel sollte es vielmehr sein, eine stärkere globale Perspektive auf das Hochschulsystem zu etablieren, die internationale Kooperation und Austausch im Allgemeinen stärkt. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die aktuelle Situation sich primär als ein Wettbewerb um Spitzenkräfte darstellt, in dem insbesondere die Staaten profitieren, die sich in diesem Wettbewerb am besten positionieren. Daher ist in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen, welche Möglichkeiten und Mechanismen sich über internationale politische Maßnahmen – etwa auf EU-Ebene – schaffen lassen, um Strukturen zu etablieren, die insbesondere internationale Kooperationen und wissenschaftlichen Austausch fördern und weniger die besten nationalen Rekrutierungsstrategien belohnen.

Hochschulen und die akademische Profession sind Schlüsselinstitutionen nicht nur für die tertiäre Bildung und das Wissenschaftssystem, sondern fungieren auch – wie von Olbertz beschrieben – als Expertenorganisationen mit öffentlicher und demokratischer Verantwortung (vgl. Bülow-Schramm, Krücken, Olbertz und Pasternack 2007). Vor diesem Hintergrund sollte aus einer globalen Perspektive die Frage gestellt werden, ob nicht internationaler Austausch, Mobilität und Migration viel stärker im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit betrachtet werden sollten (vgl. Abschnitt 3.4). Wie sinnvoll ist es, dass einerseits die Bekämpfung von Fluchtursachen ganz oben auf der politischen Agenda platziert wird, andererseits aber nationale und internationale Hochschulpolitik weiterhin primär als Arena im Kampf um die besten Köpfe verstanden wird, wobei selbstverständlich wohlhabende Staaten unter deutlich besseren Wettbewerbsvoraussetzungen agieren (vgl. Altbach 2013 in Abschnitt 3.4)? Daran zeigt sich, wie wichtig es ist, Wissenschaft und Hochschulbildung nicht als marktwirtschaftliche Güter zu betrachten, sondern Hochschulen vielmehr als zentrale Institutionen zu verstehen, die im Kontext einer nachhaltigen und reflektierten politischen Steuerung einen wichtigen Beitrag für eine global gerechtere und demokratischere Gesellschaft leisten können. Die Divergenz zwischen Peripherie und Zentrum im internationalen Hochschulwesen lässt sich dabei nicht einfach überwinden, in dem Brain Gain Prozesse etwas anders verteilt werden, sondern, dass es Entwicklungs- und Schwellenländern gelingt, ihr jeweiliges Hochschulwesen so zu etablieren, dass sie sowohl als wichtige Akteure im internationalen Hochschulwesen agieren können als auch der oben beschriebenen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Die Ergebnisse im Rahmen der vorliegenden Arbeit zeigen, dass bisher weder bei der Herkunft der Professoren noch bei den Bildungs- und Berufsverläufen Entwicklungs- und Schwellenländer eine große Rolle spielen (vgl. Abschnitt 6.1.4, 6.2).

7.4 Professoren mit Migrationshintergrund – Benachteiligte Minderheit oder Protagonisten internationaler Exzellenz?

Der Titel der vorliegenden Arbeit ist als Frage formuliert: „Professoren mit Migrationshintergrund – Benachteiligte Minderheit oder Protagonisten internationaler Exzellenz?“ Wie lässt sich die Fragestellung abschließend beantworten?

Grundsätzlich muss bei der Beantwortung der Frage berücksichtigt werden, dass hochqualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland generell deutlich schlechter gestellt und bisher nur in sehr geringem Maße im öffentlichen Dienst beschäftigt sind (vgl. Abschnitt 2.2.2). Vor diesem Hintergrund ist ein bundesweiter Ausländeranteil von knapp 7 % und ein geschätzter Anteil von ca. 12 % von Menschen mit Migrationshintergrund in der Professorenschaft zwar immer noch deutlich unter den entsprechenden Anteilen der Alterskohorten in der Gesamtbevölkerung, aber dennoch höher als in vergleichbaren Sektoren einzuordnen (vgl. ausführlich Abschnitt 7.1). Kritisch muss in diesem Zusammenhang jedoch bemerkt werden, dass der Anteil an Professoren der First Generation, das heißt Professoren aus einem nichtakademischen Elternhaus, unter Professoren mit Migrationsgrund noch geringer ausfällt als der ohnehin schon sehr geringe Anteil in der gesamten Professorenschaft (vgl. Abschnitt 7.1.3). Ebenfalls kritisch ist die geringe Repräsentation von Menschen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, die in der deutschen Gesellschaft generell einen großen Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ausmachen, hervorzuheben. Auch große Zuwanderungsgruppen wie Nachkommen der Arbeitsmigranten, (Spät-)Aussiedler und Flüchtlinge sowie deren Nachkommen sind kaum in der Professorenschaft zu finden.

Die Arbeitsmarkintegration von Migranten wird nach der Theorie des kulturellen KapitalsFootnote 8 nach Nohl, Schittenhelm, Schmidtke und Weiß (2014) in hohem Maße durch den sozialen Kontext, gemeinsame Werte, Erinnerungen, kollektive Identitäten und soziale Rollen beeinflusst. Dabei spielen neben der Produktivität der Fähigkeiten und Kompetenzen, die Akzeptanz der Fähigkeiten durch die Organisationen sowie symbolische Aushandlungsprozesse eine zentrale Rolle (vgl. Abschnitt 3.2.3). Über diesen theoretischen Zugang lässt sich zu einem gewissen Grad die Zusammensetzung der Professoren mit Migrationshintergrund nach regionaler Herkunft erklären. Über die Hälfte der Professoren mit Migrationshintergrund kommen aus Österreich, der Schweiz, den USA, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich. Eine Vielzahl der Bildungs- und Berufsverläufe sowie der Hochschulkooperationen der Professoren in Deutschland fanden bzw. finden in diesen Ländern statt. Eine Auswahlkommission von Professoren mit Erfahrungen und Erinnerungen aus diesen Ländern wird vermutlich den Fähigkeiten bspw. den Bildungsabschlüssen der Professoren aus diesen Ländern eine hohe Akzeptanz einräumen. Gemeinsame Erfahrungen in den jeweiligen Ländern bieten Identifikations- und Austauschräume. Zugleich lässt sich vermuten, dass Bildungsabschlüsse aus Ländern, zu denen die Professoren keine Verbindung haben, was vermutlich für den Großteil aller Schwellen- und Entwicklungsländern gilt, deutlich kritischer betrachtet werden. Damit soll nicht in Frage gestellt werden, dass es durchaus ein qualitatives Gefälle etwa zwischen den fünf genannten Ländern im Vergleich zum Großteil der Schwellen- und Entwicklungsländer bezüglich Studien, Lehr- und Forschungsbedingungen gibt. Die dargelegte These besagt lediglich, dass durch die konkrete Erfahrungswelt der Professoren an Hochschulen in Deutschland möglicherweise der Selektionsprozess von Menschen aus Schwellen-/Entwicklungsländern verstärkt wird. Auch als Erklärung für die geringere Repräsentation von Nachkommen der Arbeitsmigranten und sowie der Flüchtlinge bzw. deren Nachkommen könnte dieser Ansatz hilfreich sein. Bei den beiden letztgenannten Gruppen könnte sich neben der regionalen Herkunft zusätzlich die häufige bildungsferne Herkunft nachteilig auswirken. Vor dem Hintergrund der sehr bildungsbürgerlichen Zusammensetzung der Professorenschaft in Deutschland (vgl. Möller 2015), lässt sich hinsichtlich des beschriebenen theoretischen Erklärungsansatzes die These aufstellen, dass es Menschen aus akademischen Elternhäusern leichter gelingt, gemeinsame Werte, Erinnerungen und kollektive Identitäten mit der Berufungskommission zu finden.

Demgegenüber lässt sich für die Menschen mit Migrationshintergrund, die auf eine Professur berufen wurden, durchaus ein positives Fazit ziehen. Sie blicken größtenteils auf hochgradig internationale Bildungs-/Berufsverläufe zurück, sind mit ihrer beruflichen Situation überwiegend sehr zufrieden und international in besonderem Maße aktiv. Zugleich pflegen sie vielfältige Kontakte zu Menschen unterschiedlichster Herkunft in Deutschland und halten in hohem Maße auch Kontakt in ihr Herkunftsland. Diskriminierung spielt für den Großteil der Professoren mit Migrationshintergrund keine Rolle. Ganz im Gegenteil berichtet die Mehrheit von Vorteilen im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Karriere aufgrund ihrer internationalen Herkunft. Die hohe Anerkennung, die internationaler Erfahrung und Mobilität im Hochschulwesen zuteilwird, spielt demnach durchaus eine wichtige Rolle.

Es ist wichtig, die beschriebenen Negativerfahrungen spezifischer Migrantengruppen, die zugleich nur in geringem Maße im Sample repräsentiert sind, kritisch zu berücksichtigen. In positiver Hinsicht ist hervorzuheben, dass die Mehrheit der Professoren mit Migrationshintergrund transnational aktiv ist, die Herkunft eher als Vorteil denn als Hindernis für die wissenschaftliche Karriere ansieht und sich durch ein international geprägtes Selbstverständnis auszeichnet. Diese Erkenntnisse lassen sich durchaus als Nachweis von Diversität, Pluralität und Weltoffenheit der Gesellschaft und des Hochschulwesens in Deutschland deuten. Die starke Verflechtung des eigenen Selbstverständnisses mit der positiv erlebten Berufstätigkeit spricht zudem in besonderem Maße für die Interkulturalität und Internationalität des Hochschulwesens in Deutschland.

Final lässt sich herausstellen, dass die Zugangschancen für Menschen mit Migrationshintergrund, auf eine Professur in Deutschland berufen zu werden, weiterhin kritisch betrachtet und untersucht werden sollten. Vor allem die geringe Repräsentation großer Migrantengruppen in Deutschland und die stärkere Diskriminierung von Professoren aus Entwicklungs-/Schwellenländern sind kritisch zu beurteilen und sollten stärker in den Fokus der Hochschulentwicklung gerückt werden. Dabei ist es, um Diskriminierung umfassend zu erforschen, unerlässlich auch das Selbstverständnis und rassistische Fremdzuschreibungen in den Blick zu nehmen (vgl. Abschnitt 7.2.1), um u. a. die Frage zu untersuchen, inwieweit Professoren of Color von Diskriminierung betroffen sind.

Menschen mit Migrationshintergrund, denen es gelungen ist, auf eine Professur in Deutschland berufen worden zu sein, sind zentrale Akteure für die Vielfalt und Internationalität des Hochschulwesens. Diese Erkenntnis rückt die reine Defizitperspektive – so wie sie immer noch weitgehend den gesellschaftlichen Migrationsdiskurs prägt – in ein anderes Licht. Die vielfältigen Beiträge, Tätigkeiten und Einschätzungen der Befragten machen deutlich, wie positiv sich die Situation gestalten kann und wie wichtig es ist auch die Augen zu öffnen für das Potential und die Erfolgsgeschichten der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Zugleich zeigt sich das große Potential einer interkulturellen Öffnung für Bildung, Forschung, gesellschaftliche Entwicklung und Verständigung.