Das folgende Kapitel über den begrifflichen und theoretischen Rahmen basiert auf fünf Teilen. Im ersten Unterkapitel geht es um Theorien und Konzepte zur Frage „Wer ist Migrant“. Ziel ist es, die Entscheidung, eine Gruppe der Professoren mit Migrationshintergrund – über die eingangs erläuterte Definition nach dem MikrozensusFootnote 1 – zu konstruieren, zu erläutern. Es geht also darum, deutlich zu machen, welche Chancen, aber auch welche Gefahren damit verbunden sind, eine Gruppe der Professoren mit Migrationshintergrund herauszustellen und diese Vorgehensweise im Rahmen der Studie zu begründen. Nachfolgend werden im zweiten Unterkapitel zentrale Migrationstheorien, insbesondere für die Migration von Hochqualifizierten und im Hochschulwesen, in den Blick genommen. In einem ersten Schritt werden dabei Theorien bezüglich der Migrationsentscheidung und in einem zweiten Schritt Theorien über Integration und Teilhabe erörtert. Abschließend geht es um spezifische Theorien der Arbeitsmarktintegration. Der dritte Teil stellt die Internationalisierung der Hochschulen in den Mittelpunkt. Im ersten Schritt geht es um die historische Entwicklung der Internationalisierung im Hochschulwesen. Im Anschluss findet eine Systematisierung der Internationalisierung der Hochschulen anhand zentraler definitorischer Zugänge statt. Dabei geht es auch um Motive und Hintergründe für Internationalisierungsprozesse. Der vierte Teil setzt sich mit Theorien über die akademische Profession im Kontext von Internationalisierung und Globalisierung auseinander. Dabei wird im ersten Schritt der Zusammenhang zwischen akademischer Profession und Internationalisierung der Hochschulen in den Blick genommen. Im zweiten Schritt stehen Theorien über Potentiale migrantischer und internationaler Wissenschaftler im Fokus. Im letzten Theorieteil geht es dann um den Ansatz von Diversity und Heterogenität im Hochschulwesen. Dabei werden sowohl der Diskurs über Menschenrechte, Minderheiten und soziale Gerechtigkeit als auch der strategische Ansatz des Human Ressource Management erläutert. Zugleich wird das theoretische Konzept über Zusammenhänge und Differenzierung nach unterschiedlichen Heterogenitätsmerkmalen, das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, näher erläutert.

3.1 Ansätze und Konzepte zur Frage: Wer ist Migrant?

Migration – zurückgehend auf den lateinischen Begriff migrare – lässt sich in der antiken Lesart zunächst einmal mit „den Ort wechseln“ oder „wegziehen“ übersetzen. Das Verständnis von Migration in der heutigen Zeit basiert zumeist darauf, dass erstens eine politische Grenze überschritten wurde, und zweitens nicht nur ein Wechsel des Aufenthaltsortes, sondern auch des Wohnortes stattgefunden hat. Hinsichtlich der Dauer gibt es eine Vielzahl von Definitionen. Die Vereinten Nationen sprechen von Immigration oder Langzeit-Migration ab einer Aufenthaltsdauer von einem Jahr, liegt die Aufenthaltsdauer zwischen drei Monaten und einem Jahr wird von temporärer Migration gesprochen (Düvell 2006, S. 5). Wenngleich es eine Vielzahl von unterschiedlichen Formen von Migration gibt, lässt sich der Prozess der Migration zunächst einmal vergleichsweise eindeutig beschreiben. Deutlich komplexer ist die Frage, wer eigentlich auf welcher Grundlage als Migrant definiert und verstanden wird. Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. Im ersten Teil wird die Herausforderung erläutert, dass es einerseits für Wissenschaft und Politik unerlässlich ist, klare und einheitliche Definitionen darüber, wer als Migrant gilt, zu definieren, andererseits damit auch immer die Gefahr der Fremdzuschreibung und der Konstruktion des Fremden verbunden ist. Im zweiten Teil werden die zentralen Differenzkonstrukte Ethnizität und Staatsbürgerschaft erläutert. Im dritten Teil wird dargelegt, welche Konzepte und Termini es in Deutschland zur Frage gibt, wer als Migrant definiert wird. Der vierte Teil betrachtet die Frage im internationalen Vergleich zu den Niederlanden, Großbritannien, USA und Frankreich und setzt das Konzept in Deutschland hierzu in Relation. Abschließend werden das Konzept und das Vorgehen im Rahmen der vorliegenden Arbeit begründet und erläutert.

3.1.1 Herausforderungen bei der Konstruktion des Migranten

Eine zentrale Fragestellung in der Migrations- und Integrationsforschung besteht darin, welche Gruppe eigentlich im Mittelpunkt der Analyse stehen sollte. Dabei ist es wichtig, hervorzuheben, dass Bezeichnungspraktiken nicht biologisch-deterministisch zu verstehen sind, sondern als sozial konstruiert verstanden werden müssen (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015). Es entsteht bei jeder sozialen Konstruktion „des Anderen“ oder „des Fremden“ automatisch eine Zuschreibung in „wir“ und „sie“, durch die möglicherweise Exklusionsprozesse erst entstehen oder verstärkt werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei auch das Grundverständnis von Migration. In gesellschaftlichen Debatten ist Migration häufig negativ konnotiert im Sinne einer Anomalie bzw. Abweichung von der Norm. Reuter verdeutlicht diesen Sachverhalt wie folgt:

„Man versteht unter Migration, Flucht und Vertreibung eine zumeist krisenhafte Abweichung von Normalbiographien und übersieht, dass auch Sesshaftigkeit vielerorts keine selbstverständliche Lebensweise darstellt, schon gar keine krisenresistente, man unterstellt AusländerInnen eine ethnische Identität, aber übersieht, dass auch Deutsche ethnisch konstituiert sind“ (Reuter 2013, S. 18).

Nowicka (2006) verweist hierzu auf bestimmte Fragen, mit denen sich Migranten typischerweise konfrontiert sehen, wie etwa nach der Herkunft, dem Grund der Emigration oder Rückkehrplänen. Derartige Fragen mögen aus ihrer Sicht zwar zunächst höflich und unschuldig erscheinen, bringen aber zugleich ein spezifisches gesellschaftliches Verständnis zum Ausdruck, dem eine starke Verknüpfung der nationalen Grenzen mit der eigenen Kultur und Identität zugrunde liegt. Daraus resultieren gewisse konstruierte Vorannahmen des heutigen Migrationsverständnisses, die Nowicka anhand einer Reihe von Gegenfragen aus Sicht der Migranten verdeutlicht:

„What difference does living in another country make? How much do these couple of hundred of kilometers matter? Would such a distance matter if the move had been between two towns within one country? And if not, does movement in geographical space actually matter, or is it rather the change between two political systems that makes the difference? Is social space more important than geographical space? What is the difference between geographical and social space? And if there is no difference in moving between the countries, is the concept of nation-states as containers just fiction? If a citizen of the European Union can cross a bordering member state at any time, is this border at all relevant? And if not, what difference does being on the one side or the other make? If nation-states are becoming increasingly irrelevant, and if they lose their functionality, where, if at all, do the boundaries between  >>us<  < and  >>them<< exist?“ (Nowicka 2006, S. 16).

Die Ausführungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, Zuschreibungen und Bezeichnungen im Kontext von Migration, Kultur und Identität im Sinne einer sozialen Konstruktion zu verstehen und entsprechend zu reflektieren. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt Zuschreibungen und Bezeichnungen vorgenommen werden sollten, wenn diese immer die Gefahr bergen, Exklusion und Abweichung von Normalität, Kultur und Identität zu markieren und zu verstärken.

An dieser Stelle sind insbesondere zwei zentrale Argumente zu nennen, die für eine klar definierte Bezeichnungspolitik sprechen. Erstens lässt sich strukturelle Teilhabe und die Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen nur auf der Grundlage eindeutiger Gruppenkonstruktionen messen. Zweitens ist eine klar definierte Bezeichnungspolitik für die Eindeutigkeit bei der Bekämpfung von staatlicher Diskriminierung unerlässlich (vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015).

Die daraus entstehende Ambivalenz veranschaulicht Pries wie folgt:

“For detecting unequal opportunities or discrimination, instruments of measurement are needed, but at the moment of generating new categories, these turn out and get alive as forces of naming and blaming in public discourses and in the politics of ascription” (Pries 2013, S. 78).

Mecheril spricht diesbezüglich von einem für die Migrationsforschung charakteristischen Dilemma:

„Damit Migration als gesellschaftliches Phänomen wahrnehmbar, besprechbar, anerkennbar und seiner historischen und aktuellen Zentralität entsprechend selbstverständlich(er) werden kann, braucht es eine Kennzeichnung, die aber immer wieder gefährdet ist, zur Besonderung der Anderen beizutragen“ (Mecheril et al. 2013, S. 18).

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich diese Ambivalenz in der Forschung über Migranten wohl nicht überwinden lässt. Dennoch lassen sich zwei wichtige Aspekte hervorheben. Erstens sollte die Konstruktion des Migranten immer sichtbar und transparent gemacht werden. Zweitens sollte die Wahl der Konstruktion stets auch forschungstheoretisch begründet werden.

3.1.2 Ethnizität und Staatsbürgerschaft als Differenzkonstrukte

Zur Frage der gesellschaftlichen Zugehörigkeit werden unterschiedliche Konzepte verwendet, auf dessen Grundlage Gruppenkonstruktionen vorgenommen werden. Im Folgenden werden zunächst kurz zentrale Konzepte wie Ethnizität, Nationalstaat und Staatsbürgerschaft dargestellt. Im Anschluss wird dargelegt, wie sich in Deutschland und im internationalen Vergleich die Frage, wer als Migrant wahrgenommen und definiert wird, in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.

Während im öffentlichen Diskurs Ethnizität häufig als eine Zuschreibung allein für Minderheitengruppen verstanden wird, definieren Sozialwissenschaftler Ethnizität als eine Eigenschaft, die jeder Mensch besitzt und die sich durch Gruppenzugehörigkeit, die Vorstellung einer gemeinsamen Herkunft, Geschichte, Kultur, Erfahrung und Wertvorstellung definieren lässt. Ethnisches Gruppenbewusstsein und Kultur sind dabei allerdings weder homogen noch statisch. Im Zentrum stehen vielmehr linguistische und kulturelle Praktiken, durch die sich eine kollektive Identität bildet und die über Generation weitervermittelt werden und sich zugleich im Prozess wandeln. Wissenschaftlich lassen sich drei unterschiedliche Formen der Ethnizität unterscheiden (Castles et al. 2014).

Erstens entsteht nach dem Ansatz der primordialist ethnicity ethnische Identität dadurch, dass man in eine bestimmte Gemeinschaft mit spezifischen linguistischen und sozialen Praktiken hineingeboren wird. Zweitens wird Ethnizität unter dem Ansatz der situational ethnicity als eine Entscheidung der Selbstidentifikation verstanden. Ethnische Zugehörigkeit steht demnach nicht a priori fest, sondern hängt davon ab, inwieweit sich Personen mit einer bestimmten Ethnie verbunden fühlen. Auf dieser Grundlage lässt sich auch erklären, warum sich Inklusions- und Exklusionsmuster hinsichtlich der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen über die Zeit wandeln können.

Drittens wird teilweise unter Soziologen das Konzept der Ethnizität als Mythos oder Nostalgie auch generell abgelehnt. Allerdings verweist auch diese Gruppe darauf, dass ethnische Mobilisierung als gesellschaftliches Phänomen eine wichtige Rolle spielt. Demnach werden phänotypische und kulturelle Merkmale der Ethnizität verwendet, um im Wettbewerb um Ressourcenallokation und Marktvorteile Gruppensolidarität zu initiieren. Die Frage, welche Aspekte bei der Konstruktion der Ethnizität hervorzuheben sind und wann Ethnizität überhaupt zu thematisieren ist, lässt sich aus der Perspektive der instrumental ethnicity in erster Linie unter Berücksichtigung der strategischen Interessen der Akteure verstehen.

Unabhängig von der Frage, welches Verständnis von Ethnizität nunmehr zugrunde zu legen sein soll, lässt sich festhalten, dass die soziale und politische Relevanz von Ethnizität unmittelbar davon abhängt, in welcher Form Grenzziehungen zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten stattfinden. Teil einer ethnischen Minderheit zu werden, ist keine zwangsläufige Folge von Migration, sondern vielmehr eine Konsequenz von Prozessen der Marginalisierung (Castles et al. 2014, S. 58–59)

Hinsichtlich Nationalstaat und Staatsbürgerschaft lässt sich zunächst festhalten, dass die ca. 200 Nationalstaaten der heutigen Welt weiterhin die zentralen Einheiten politischer Organisation bilden. Zugleich spielen sie mittels ihrer Nationalgrenzen maßgeblich eine Rolle dafür, wann und wo internationale Migration stattfindet. Die Legitimität von Nationalstaaten basiert darauf, dass sie zum einen Sicherheit garantieren und zum anderen die Vorstellungen der Bevölkerung repräsentieren. Die Frage, inwieweit es dem Nationalstaat gelingt, die Vorstellungen der Gesellschaft angemessen zu repräsentieren, hängt grundlegend von zweierlei Faktoren ab. Einerseits ist zu fragen, inwiefern ein gesellschaftlicher Konsens über zentrale Wertvorstellungen existiert. Andererseits bedarf es eines demokratischen Prozesses, durch den die Interessen der Bürger eingebracht werden können. Da die Bevölkerung von Nationalstaaten sich gerade in der heutigen Zeit ethnisch wie sozial zumeist hochgradig divers gestaltet, stellt das Erreichen eines gesellschaftlichen Konsenses zumeist eine enorme Herausforderung dar (Castles et al. 2014). Dabei spielt die Vorstellung einer imagined political community für das nationalstaatliche Modell eine zentrale Rolle. Unter imagined political community wird in Anlehnung an Anderson (2003) der Ansatz verstanden, dass selbst in kleinsten Nationalstaaten sich niemals alle Beteiligten untereinander kennen, es zugleich aber gelingt, ein geistiges Bild der Gemeinschaft und Zugehörigkeit zu konstruieren.

Infolge von Zuwanderung stellt sich somit die Frage, welche Personen Teil der sogenannten imagined political community werden. Die Verleihung der Staatsangehörigkeit stellt hierbei ein Instrument dar, durch das der umfassenden politischen und rechtlichen Teilhabe von Zuwanderern Ausdruck verliehen wird. Zugleich spiegelt sich in der bestehenden Praxis vieler Staaten, Migranten die Staatsangehörigkeit nur unter sehr engen Voraussetzungen zu erteilen, auch in gewisser Weise das gesellschaftliche und politische Selbstverständnis des jeweiligen Landes wider. Bis zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 lässt sich das Modell in Deutschland als ethnisch restriktiv beschreiben, was zu einem gewissen Grad auch mit der politischen Nichtanerkennung, de facto ein Einwanderungsland zu sein, korrespondiert (vgl. ausführlich Abschnitt 2.1.2). Die Reform lässt sich demnach aber auch als eine politische wie gesellschaftliche Öffnung für mehr Diversität in der imagined political community interpretieren. Zugleich gibt es eine zunehmende Zahl von Menschen, die sich mehreren Nationalstaaten zugehörig fühlen und entsprechend mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen, was insbesondere in der transnationalen Migrationsforschung thematisiert wird.

Die kontrovers geführten Debatten über die Anerkennung einer doppelten Staatsangehörigkeit in Deutschland werden ebenfalls darin sichtbar, wie umstritten multiple Zugehörigkeiten weiterhin sind. Darin zeigt sich, dass das Verständnis einer eindeutigen und exklusiven kulturellen Zuordnung und Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat immer noch das Denken und Weltbild vieler Menschen prägt. Empirisch zeigt sich ein Trend, dass die eindeutige Zuordnung zu einem Nationalstaat insgesamt an Bedeutung verliert. Fast alle Migrationsländer haben ihre Staatsbürgerschaftsgesetze in den letzten 40–50 Jahren reformiert, und immer mehr Länder akzeptieren die doppelte Staatsangehörigkeit. Zugleich gibt es zunehmend neue Arten von Regelungen, die den Migranten zwar nicht den Erwerb der Staatsangehörigkeit ermöglichen, diese jedoch in vielen rechtlichen Fragen der einheimischen Bevölkerung weitgehend gleichstellen. Ein solcher Status wird insbesondere durch die Erteilung dauerhafter Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen geschaffen (Castles et al. 2014).

3.1.3 Konzepte/Termini zur Frage „Wer ist Migrant?“ in Deutschland

In Deutschland unterliegt die Frage, wer als Migrant verstanden wird, aufgrund der menschenverachtenden Rassenideologie in der Zeit des Nationalsozialismus einer besonderen Brisanz. Migration in die Bundesrepublik Deutschland während der Nachkriegszeit war in erster Linie durch die Zuwanderung aus südeuropäischen und nordafrikanischen Ländern im Zuge der Anwerbeabkommen geprägt. Auch lange Zeit nach Kriegsende wurde mit dem Begriff des Fremdarbeiters noch sehr häufig eine Terminologie verwendet, die bereits zur Jahrhundertwende gebraucht wurde und in der zu einem gewissen Grad die unzureichende Aufarbeitung der Zwangsarbeit während der NS-Zeit Ausdruck findet. Erst Anfang der 1960er-Jahre etablierte sich dann zunehmend der Begriff des Gastarbeiters. Wenngleich diese Terminologie sicher freundlicher anmutet, kommt darin auch die explizite Erwartungshaltung der Remigration zum Ausdruck. Als sich im Zuge des Familiennachzugs während der 1970er-Jahre zeigte, dass eine große Gruppe der sogenannten Gastarbeiter dauerhaft in Deutschland bleiben wird, prägte nunmehr die Terminologie des Ausländers den öffentlichen und politischen Diskurs. Die öffentliche und politische Auffassung, wonach Deutschland kein Einwanderungsland darstelle, hatte auch in den 1980er- und 1990er- Jahren noch viele Vertreter. Ab Mitte der 1980-Jahre konzentrierte sich der Diskurs dabei immer häufiger auf die in Deutschland zunehmend stärker vertretene Gruppe der Asylsuchenden. Daneben geriet speziell der türkischstämmige Zuwanderer als Prototyp des Fremden oder Anderen immer stärker ins Zentrum des öffentlichen Diskurses, da durch die häufige Zugehörigkeit zum Islam ein weiteres Distinktionsmerkmal hinzutritt, und nicht zuletzt auch eine mitunter selektive mediale Berichterstattung dazu beigetragen hat, dass gewisse Themen von besonderer gesellschaftlicher Brisanz verstärkt thematisiert werden (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015).

Während im gesellschaftlichen Diskurs somit immer wieder andere Gruppen als „Fremde“ stigmatisiert und folglich in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wurden, basierte die Migrationsforschung in Deutschland bis zum Ende der 1990er-Jahre weitgehend auf der binären Unterscheidung der Staatsangehörigkeit. Die Staatsangehörigkeit bzw. das Nichtvorhandensein der deutschen Staatsangehörigkeit wurde als ausschließliches Exklusions- bzw. Inklusionskriterium herangezogen, um die Gesellschaft in Deutschland in die Gruppe der Deutschen und die der Ausländer zu unterteilen (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015). In diesem Kontext verweisen Galonska, Berger und Koopmanns (2004) auf eine Vielzahl von Projekten und Publikationen zur „Ausländerforschung“, die zwischen 1965 und 1996 veröffentlicht wurden. Als zentralen Wendepunkt bezeichnen sie den Regierungswechsel im Jahr 1998, in dessen Folge nicht nur ein neues Staatsbürgerschaftsrecht eingeführt wurde, in dem man sich vom Konzept des Abstammungsprinzips löste, sondern auch eine Zuwanderungskommission ins Leben gerufen wurde.

Infolgedessen mehrte sich die bereits seit längerem geäußerte Kritik an einer wissenschaftlichen und politischen Berichterstattung über Migration, die sich ausschließlich auf das Staatsangehörigkeitskriterium bezieht. Der Indikator Staatsangehörigkeit erschwert eine valide Forschung über Migranten aus unterschiedlichen Gründen. Staatsangehörigkeit als rechtliche Kategorie kann je nach politischer Situation stark variieren. Zudem kann der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht nur im internationalen Vergleich, sondern zum Teil auch zwischen den Bundesländern unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen (Diefenbach und Weiß 2006). Neben den genannten Einschränkungen kann eine Differenzierung ausschließlich anhand der Staatsangehörigkeit auch dazu führen, dass besonders „erfolgreiche“ Migranten infolge des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit aus dem Blickfeld geraten. So zeigt die BAMF-Einbürgerungsstudie von 2011, dass eingebürgerte Personen in Bezug auf verschiedene Integrationsbereiche und -indikatoren deutlich besser abschneiden als Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (Weinmann et al. 2012). Ein weiterer Kritikpunkt war, dass Aussiedler als besondere Gruppe von Zuwanderern über das Kriterium der Staatsangehörigkeit nicht erfasst werden.

In diesem Zusammenhang etablierte sich in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend das Konzept des Migrationshintergrundes sowohl im wissenschaftlichen als auch im politischen Diskurs. Eine zentrale Bedeutung spielte dabei auch die Etablierung des Konzeptes im Rahmen der ersten PISA-Erhebung, der die Aufnahme in die amtliche Statistik im Rahmen des Mikrozensus 2005 folgte. Im internationalen Vergleich findet die Einführung des Konzeptes in Deutschland somit erst zu einem relativ späten Zeitpunkt statt (Gogolin 2010).

Bei der Operationalisierung der Begrifflichkeit zeigt sich in der Wissenschaft eine große Heterogenität. Settelmeyer und Erbe (2010) zeigen am Beispiel von Studien in der Berufsbildungsforschung, dass Indikatoren wie Staatsangehörigkeit, Geburtsland und Sprache der Befragten und Migrationsmerkmale der Eltern in verschiedenster Weise operationalisiert werden, um den Migrationshintergrund einer Person festzustellen. Trotz dieser Heterogenität gibt es seit dem Mikrozensus 2005 eine offizielle Definition in der amtlichen Statistik, die auch in einer Vielzahl empirischer Studien verwendet wird. Diese Definition erfasst einen großen Personenkreis. Als Menschen mit Migrationshintergrund gelten demnach neben der Gruppe der Ausländer auch Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte sowie Deutsche, die in Deutschland geboren sind und mindestens einen zugewanderten oder ausländischen Elternteil haben. Darüber hinaus kann über das Konzept der erweiterten Staatsangehörigkeit allen Personen mit Migrationshintergrund ein Herkunftsland zugeordnet werden.

Die Folgen der Einführung dieses Konzeptes werden kontrovers diskutiert. Der Begriff des Migrationshintergrundes hat in den vergangenen Jahren sowohl medial als auch im wissenschaftlichen Diskurs enorm an Aufmerksamkeit gewonnen. Radke (2012) kritisiert, dass sich hinter dem Begriff des Migrationshintergrundes eine unbestimmte Vielfalt von Migrationsverläufen verberge, die sowohl Elitenwanderung als auch Flüchtlingsmigration oder Gastarbeiternachkommen umschließe. Zugleich bildet sich diese Vielfalt jedoch insbesondere im medialen Kontext nicht ab. Es zeigt sich vielmehr, dass die Berichterstattung unter dem „Label“ Migrationshintergrund eine stark problematisierende Ausrichtung aufweist und aus einer Defizitperspektive speziell Fälle von Devianz thematisiert werden, wobei insbesondere Menschen aus muslimischen Ländern in den Fokus gerückt werden. Dies trägt zu einer gesellschaftlichen Wahrnehmung von Menschen mit Migrationshintergrund bei, die sich an bestimmten Stereotypen orientiert und aufgrund derer Migranten oftmals direkt mit „muslimischen Problemgruppen“ in Verbindung gebracht werden (vgl. Wippermann und Flaig 2009, S. 3). Bedenken aus wissenschaftlicher Perspektive werden insbesondere von Seiten der kritischen Migrationsforschung geäußert. Beispielsweise stellt für Castro-Varela der Begriff „Mensch mit Migrationshintergrund“ eine Konzeptmetapher dar, die „die Reinheit der Nation, des eigentlichen Volkes sichert und eine Exklusion im Namen der Nation immer möglich macht – immer androht“ (Castro-Varela 2013, S. 73). Auch Radke (2012, S. 80) merkt kritisch an, dass das Konstrukt Migrationshintergrund Kultur unbemerkt in ein unverlierbares Merkmal umdeute, dass das Prinzip der Abstammung wieder in den Mittelpunkt stelle.

Neben dieser Kritik an kulturellen Zuschreibungspraxen stellt sich die Frage, inwiefern diejenigen Personen, die nach der Operationalisierung des Begriffs nunmehr in der amtlichen Statistik als Menschen mit Migrationshintergrund erfasst werden, sich auch tatsächlich als solche verstehen. Rein statistisch hat sich mit Einführung des Migrationshintergrundes im Jahr 2005 die „Migrantenzahl“ sozusagen über Nacht von 8 % auf 16 % verdoppelt (Pries 2013). Insbesondere bei Migranten, die seit langer Zeit in Deutschland leben, lässt sich kritisch hinterfragen, inwieweit diese Fremdzuschreibung letztlich mit dem Selbstbild der Personen in Einklang steht. Definitiv festzuhalten bleibt, dass sich auf der Grundlage der Definition eine große, ausgesprochen heterogene Gruppe ergibt, deren verbindende Komponente allein darin liegt, dass alle der Gruppe zugehörigen Personen selbst eine Migrationserfahrung aufweisen oder mindestens einen Elternteil mit Migrationsgeschichte haben. Aspekte wie Wohlstand, Bildung, Integration oder politische Teilhabe können innerhalb der Gruppe sehr stark variieren (Diefenbach und Weiß 2006).

Trotz aller Kritik gibt es einen breiten politischen und wissenschaftlichen Konsens darüber, dass sich das Konzept des Migrationshintergrundes im Vergleich zur Staatsangehörigkeit deutlich besser eignet, um die gesellschaftliche Teilhabe von Migranten zu untersuchen. Der Sachverständigenrat bezeichnet die Erhebung des Migrationshintergrundes als notwendige – wenngleich auch nicht hinreichende – Bedingung, um Ungleichheit und Diskriminierung sichtbar zu machen (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015).

3.1.4 Konzepte/Termini zur Frage „Wer ist Migrant?“ im internationalen Vergleich

Eine interessante Forschungsperspektive hinsichtlich der Frage, wer eigentlich als Migrant zu verstehen ist, bietet auch der international-vergleichende Ansatz. Der Sachverständigenrat für Migration und Integration untersuchte in seinem Jahresgutachten 2015 die Bezeichnungs- und Zugehörigkeitspolitik in Deutschland im internationalen Vergleich zu den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und den USA (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015). Die dort gewonnen Erkenntnisse sollen im Folgenden kurz skizziert werden.

In den Niederlanden war die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder politisch-weltanschaulichen Minderheit über lange Zeit von staatskonstitutiver Bedeutung. Mitte der 1900er-Jahre wurde erstmals die begriffliche Unterscheidung zwischen autochtoons (altgriechisch für „eingeboren“, „alteingesessen“) und allochtoons (altgriechisch für „fremd“, „auswärtig“) eingeführt. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen wird dabei über das eigene Geburtsland und das der Eltern ermittelt. Die Intention der Einführung lag darin, ein neutrales Instrument zu Evaluierung politischer Maßnahmen zu schaffen. Im öffentlichen Diskurs erweist sich der Begriff allochtoons, der häufig als Synonym für unerwünschte, niedrig qualifizierte und/oder muslimische Zuwanderer verwendet wird, indes als eher negativ konnotiert (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015).

In Großbritannien spielte die Frage der nationalen Zugehörigkeit vor dem Hintergrund der Konstitution als Vereinigtes Königreich historisch eine eher untergeordnete Rolle. Die Konstruktion des Migrantenbegriffs erfolgte hier primär über den Terminus der ethnischen Minderheit. Im englischen Zensus werden insgesamt 17 unterschiedliche Ethnien differenziert, die sich in die nachfolgenden fünf Hauptgruppen aufteilen: weiß, gemischt/mehrere ethnische Gruppen, asiatisch/britisch-asiatisch, schwarz/afrikanisch/karibisch/schwarz-britisch und sonstige ethnische Gruppen. Die Unterscheidungen basieren primär auf der phänotypischen Unterscheidung nach Hautfarbe und geographischer Herkunft (z. B. Afrika, Karibik). Die statistische Zuordnung erfolgt dabei über Selbstzuschreibung. Während diese Form der Erfassung einerseits den Vorteil bietet, dass keine gesellschaftlichen Fremdzuschreibungen gegenüber einer ethnischen Minderheit stattfinden, lässt sich andererseits kritisch hinterfragen, inwieweit die Selbsteinschätzung auch eine gewisse Beliebigkeit ermöglicht, bspw. können Zuordnung oder nicht Zuordnung zu ethnischen Minderheiten auch durch strategische Motive beeinflusst werden. Infolgedessen lässt sich kritisch hinterfragen, inwieweit auf der Grundlage valide Forschung über Diskriminierung möglich ist (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015).

In den USA wurden Zugehörigkeiten lange – und werden zum Teil auch heute noch – über das Konzept race bestimmt, wenngleich der Begriff in Wissenschaft und Politik zunehmend durch den politisch weniger aufgeladenen Terminus ethnicity ersetzt wird. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts wurden primär fünf Gruppen unterschieden: Euro-American, Asian American, African American, Hispanic und Indigenous People. Die entsprechende Zuordnung zu einer dieser Gruppen erfolgt mittels einer Selbstzuschreibung anhand der Hautfarben weiß, gelb, schwarz, braun und rot. Im 21. Jahrhundert lässt sich jedoch zunehmend eine Öffnung des Konzeptes beobachten. Zunächst konnte im Zensus 2000 zwischen einer größeren Zahl von Rassenkategorien gewählt werden, was vor allem im Kontext der zunehmenden Zahl interethnischer Partnerschaften zu verstehen ist. Im 2010er-Zensus wurde erstmals noch vor der Frage der Rassenzuordnung eine Frage zur Ethnizität in die Erhebung aufgenommen (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015).

In Frankreich wird – vor dem historischen Hintergrund des Republikanismus – die Maxime der Gleichheit dadurch angestrebt, dass Spezialrechte für bestimmte Gruppen verweigert werden, und von Zuwanderern indessen Anpassung gefordert wird. Traditionell fußt das republikanisch geprägte Integrationsmodell somit auf einer Unterscheidung zwischen dem „Wir“ und den „Anderen“ anhand des Kriteriums der französischen Staatsangehörigkeit. Trotz der angestrebten Gleichheitsmaxime zeigt sich, dass der gesellschaftspolitische Diskurs sich einer Stigmatisierung von weniger erfolgreichen Migranten und insbesondere von Muslimen als „Andere“ oder „Fremde“ nicht erwehren kann, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass diese in der Regel über die französische Staatsangehörigkeit verfügen. Im Jahr 1999 fand neben der Staatsangehörigkeit erstmals auch die Frage nach dem Geburtsort in der Zensus-Erhebung in Frankreich Berücksichtigung. Die Erfassung der ethnischen Herkunft bleibt in Frankreich hingegen weiterhin ein gesellschaftliches Tabu (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015).

Im internationalen Vergleich zeigt sich zunächst, dass in Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien und den USA die Merkmale „Ethnizität“ und „Rasse“ nicht erhoben werden. Ein zentraler Grund für die bewusste Nichtverwendung phänotypischer Kategorisierungsmerkmale liegt sicher in der eingangs beschriebenen historischen Sonderstellung Deutschlands. Dennoch sind auf der Grundlage der Erhebung des Migrationshintergrundes in Verbindung mit der Zuordnung des Herkunftslandes über das erweiterte Staatsangehörigkeitsprinzip auch weltregionale Zuordnungen möglich, wodurch sich im Ergebnis starke Parallelen zum Erhebungskonzept der Ethnizität ergeben. Ein zentraler Unterschied liegt allerdings darin, dass in Deutschland eine reine Fremdzuschreibung auf der Grundlage der eigenen Staatsangehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit der Eltern vorgenommen wird, während in Großbritannien und den USA die Zuordnung auf Selbstzuschreibung basiert. Im Vergleich zur in Frankreich vorherrschenden Bezeichnungspolitik, in der rechtliche Inklusion noch länger ausschließlich über das Staatsangehörigkeitskriterium gemessen wurde, erweist sich das deutsche Modell als deutlich stärker ausgeprägt bzw. differenzierter. Generell lässt sich insoweit festhalten, dass die länderspezifischen Ausprägungen von Bezeichnungspolitik stets eng mit eigenen historisch-gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft sind. Zusammenfassend wird auch von Seiten des Sachverständigenrats noch einmal hervorgehoben, wie wichtig es ist, klar definierte Konstrukte wie das Konzept des Migrationshintergrundes zu entwickeln. Insbesondere das Beispiel FrankreichsFootnote 2 verdeutlicht, „dass Etikettierung und Diskriminierung auch – oder gerade – dann stattfinden können, wenn es keine wissenschaftlich abgesicherte Datengrundlage gibt, denn dadurch wird Spekulationen über bestimmte Gruppen und ihre (angeblichen) sozial relevanten Merkmale Tür und Tor geöffnet“ (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015, S. 154).

3.1.5 Das Konzept Migrationshintergrund im Rahmen dieser Forschungsarbeit

In diesem Spannungsfeld hat sich für das Projekt „Internationale Mobilität und Professur“ die Frage nach einem adäquaten Konzept bzw. Begriff gestellt, um die Zuwanderungsgeschichte der Professoren adäquat abzubilden. Hinsichtlich der Definition wurde insoweit die Entscheidung getroffen, die Operationalisierung des Migrationshintergrundes nach dem Mikrozensus zu verwenden.

Trotz der dargelegten Kritik sind insbesondere zwei wichtige Argumente zu nennen, die für eine Verwendung dieses Begriffs sprachen. Erstens wird das Konzept bereits in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten umgesetzt. Dabei taucht es allerdings in erster Linie im Zusammenhang mit Fragen der Chancengerechtigkeit, Problemlagen und Förderbedarfe auf. Forschungen über Hochqualifizierte und Menschen in Führungspositionen nutzen das Konzept des Migrationshintergrundes bisher hingegen kaum. Die Entscheidung, in einer Untersuchung über eine Berufsgruppe mit hoher gesellschaftlicher Reputation gerade dieses Konzept zugrunde zu legen, liegt somit auch in dem Bestreben begründet, neue Impulse für die Migrationsforschung zu setzen und die gesellschaftlich vorherrschende Defizitperspektive herauszufordern. Zweitens haben durchaus auch forschungspragmatische Gründe eine Rolle gespielt. So sind statistische Vergleiche, beispielsweise zwischen der gesamten berufstätigen Bevölkerung mit Migrationshintergrund und der spezifischen Untersuchungsgruppe, nur möglich, wenn den Vergleichsgruppen dieselbe Definition zugrunde liegt.

Im Hinblick auf die Terminologie ergab sich hingegen das Problem, dass der dem Begriff des Migrationshintergrundes zugeschriebene Bedeutungsgehalt häufig nicht dem Selbstverständnis von Hochqualifizierten entspricht. Damit war die Gefahr verbunden, dass nur ein Teil der Professoren, die de facto nach dem Mikrozensus einen Migrationshintergrund aufweisen, sich unter dem Label „Professor mit Migrationshintergrund“ angesprochen fühlt. Dementsprechend ließ sich vermuten, dass hierdurch der Rücklauf grundlegend beeinträchtigt wird. Daher wurde im Rahmen des MOBIL-Projekts der Begriff „Internationale ProfessorInnen“ verwendet, um die internationale Herkunft der Zielgruppe auf eine möglichst wertungsfreie Art und Weise hervorzuheben. Wenngleich dieser Begriff auch in Anbetracht der hohen Rücklaufzahlen durchaus Potential aufweist, habe ich mich dazu entschieden, im Rahmen der vorliegenden Arbeit den Begriff Migrationshintergrund zu verwenden. Diese Entscheidung liegt darin begründet, dass die Erhebung auf der Definition des Migrationshintergrundes basiert und der Begriff somit analytisch besser geeignet ist. Zudem hat auch der wissenschaftliche Austausch im Rahmen der MOBIL-Studie gezeigt, dass andere Wissenschaftler den Begriff „Internationale Professoren“ zunächst mit international mobilen und international aktiven Professoren assoziieren und eben nicht mit Menschen, die nach dem Mikrozensus einen Migrationshintergrund aufweisen, wenngleich hier Überschneidungen stattfinden können. Zugleich war es mir wichtig, den zuvor beschriebenen Impuls gegen die häufige Defizitperspektive in der Forschung über Migration zu setzen, was aus meiner Sicht nur dann wirklich funktionieren kann, wenn der Begriff des Migrationshintergrundes auch konsequent Verwendung findet. Die Terminologie Professoren mit Migrationshintergrund wird dementsprechend auch verwendet, um transparent zu machen, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch zentrale Führungspositionen in der Gesellschaft einnehmen.

3.2 Migrationstheorien

Die Theorien im Bereich der Migrationsforschung lassen sich idealtypisch in zwei Felder unterteilen. Zum einen finden sich Theorien über die Gründe und Faktoren von Migrationsprozessen und zum anderen solche, die den Einfluss der Migrationsprozesse auf die Herkunfts- und Zielländer sowie das gesellschaftliche Zusammenleben zum Gegenstand haben (Castles et al. 2014). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit spielen beide Felder eine wichtige Rolle. Erstens stellt sich die Frage, welche Faktoren für die Migrationsentscheidung von Professoren mit Migrationshintergrund von besonderem Gewicht waren und inwieweit diese ihre berufliche und nachberufliche Zukunft in Deutschland planen. Zweitens ist die Frage zu klären, in welchem Maße Professoren mit Migrationshintergrund in Deutschland soziale und berufliche Kontakte etablieren, und wie sich entsprechende Kontakte zu Personen ohne Migrationshintergrund, zu Migranten aus dem Herkunftsland und zu anderen Personen mit Migrationshintergrund gestalten.

Im Folgenden geht es zunächst um Theorien über die Gründe und Faktoren, die zur Migrationsentscheidung führen. Im zweiten Schritt geht es um unterschiedliche Ansätze der Integration und Teilhabe. In einem dritten Schritt werden dann spezifische Theorien zur Arbeitsmarktteilhabe von hochqualifizierten Migranten dargelegt.

3.2.1 Theorien über Gründe und Faktoren von Migrationsprozessen

Im Folgenden werden zentrale theoretische Ansätze über die Gründe der Migration dargelegt, sowie einzelne Theorien darüber, wie sich das gesellschaftliche Zusammenleben gestaltet. Dabei liegt der Fokus auf solchen Theorien, die für Migrationsprozesse von Hochqualifizierten von besonderer Relevanz sind. Castles, Haas und Miller (2014) differenzieren zunächst zwischen funktionalistischen und historisch-strukturalistischen Theorien.

3.2.1.1 Funktionalistische Ansätze

Der funktionalistische Ansatz fußt auf der Annahme, dass Migrationsprozesse sich insbesondere durch ökonomische Gründe erklären lassen. Dabei wird der Migrationsprozess anhand eines Push-and-Pull-Modells erklärt. Als Push-Faktoren werden Gründe angeführt, die zur Emigration aus dem Herkunftsland führen, wie schlechte ökonomische Bedingungen, Bevölkerungswachstum, Bevölkerungsdichte oder politische Unterdrückung. Als Pull-Faktoren gelten solche Gründe, die für die Immigration in ein spezifisches Zielland zentrale Relevanz einnehmen, wie beispielsweise eine gute Arbeitsmarktlage, aussichtsreiche ökonomische Bedingungen oder die Gewährleistung politischer Freiheit (Castles et al. 2014).

Zudem lässt sich zwischen neoklassischen und humankapitaltheoretischen Betrachtungsweisen differenzieren. Der neoklassische Ansatz basiert seinerseits auf modernisierungstheoretischen Annahmen und versteht Migration insoweit als konstitutive Voraussetzung, um Fortschritt zu ermöglichen und überschüssige Arbeitskräfte effizient zu verteilen. Aus der Mikroperspektive werden Arbeitskräfte als individuelle, rational entscheidende Akteure verstanden, die nutzenmaximierend ihre Migrationsentscheidung treffen. Dabei werden neben der Einkommensdisparität zwischen Herkunfts- und Zielland zunehmend auch finanzielle und soziale Kosten der Migration berücksichtigt. Der humankapitaltheoretische Ansatz versteht Migration indessen als Investment in die Produktivität des Humankapitals. Da Menschen in Bezug auf Qualifikation, Wissen, Physis, Alter und Geschlecht unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, stellt sich entsprechend auch der Mehrwert der Migration unterschiedlich dar. Insofern hängt die Migrationsentscheidung des Einzelnen vom individuell zu erwartenden bzw. erwarteten Mehrwert des Migrationsprozesses ab. Dieser Ansatz bietet somit ein Modell, das zu erklären vermag, warum insbesondere junge und hochqualifizierte Menschen migrieren (Castles et al. 2014, S. 28–30).

3.2.1.2 Historisch-strukturalistische Ansätze

Nach dem historisch-strukturalistischen Ansatz hingegen lässt sich Migration nur vor dem Hintergrund der ungleichen Handelsbedingungen zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten verstehen. Globalisierung wird auch als eine neue Form des Imperialismus verstanden, die insbesondere den wohlhabenden Staaten, ihrer Führungselite und multinationalen Unternehmen dient. Staaten und überstaatliche Organisationen wie die EU haben zur Etablierung von Migrationsregimen beigetragen, durch die nicht nur die Mobilität von hochqualifizierten Migranten gefördert wird, sondern gleichzeitig geringqualifizierten Migranten und Flüchtlingen oftmals Rechte verwehrt werden. Baumann beschreibt Mobilität in der globalisierten Welt als mächtigsten Faktor der Stratifizierung: Armut und Elend entsteht lokal, Reichtum ist global. Demnach führen die kontrollierte Steuerbarkeit von Migration in Verbindung mit einer unterschiedlichen Behandlung verschiedener Migrantentypen zu einer neuen Form transnationaler Klassenstrukturen (Castles et al. 2014).

Nach der Theorie der segmentierten Arbeitsmärkte weisen hochentwickelte Staaten jeweils ein primäres und ein sekundäres Arbeitsmarktsegment auf. Der sekundäre Arbeitsmarkt ist durch hohe Instabilität, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und ein geringes Sozialprestige geprägt (Parnreiter 2000, S. 29). Bei hochqualifizierten Migranten findet zumeist aufgrund des Humankapitals eine positive Selektion für den ersten Arbeitsmarkt statt, wenngleich der Selektionsprozess immer auch durch Faktoren wie die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht, zur dominanten ethnischen Gruppe oder den Besitz einer regulären Aufenthaltserlaubnis beeinflusst wird. Dementsprechend finden sich weniger gebildete Migranten, Frauen, ethnische Minderheiten und irreguläre Migranten häufiger auf dem zweiten Arbeitsmarkt wieder. Besonders stark zum Vorschein tritt die Polarisierung der beiden Arbeitsmärkte in global cities mit hochbezahlten Arbeitskräften im Finanz-, Management- und Forschungsbereich einerseits und geringfügig entlohnten Arbeitskräften in Feldern wie der Gastronomie und der Reinigung andererseits (Castles et al. 2014, S. 31–35).

3.2.1.3 Netzwerk- und transnationale Migrationstheorien

Neben den funktionalistischen und historisch-strukturalistischen Theorien bieten Netzwerk- und transnationale Migrationstheorien wichtige Erklärungsansätze. Diese Ansätze untersuchen, wie Migranten auf der Mikro- und Mesoebene ihrerseits soziale, ökonomische und kulturelle Strukturen schaffen, und in welchem Maße diese Strukturen Migrationsprozesse aufrechterhalten. Die Migrationsnetzwerktheorie beschreibt dabei das Phänomen, dass soziale Verbindungen von Migranten zu Familie und Freunden im Herkunftsland oder in anderen Ländern fortbestehen und wie sich so infolgedessen soziale Netzwerke entwickeln. Auf der Mesoebene entstehen somit soziale Strukturen, die weitere Migration begünstigen. Die Gruppenzugehörigkeit, die über Netzwerkstrukturen geschaffen wird, lässt sich dabei als spezifisches soziales Kapital beschreiben, das den Migrationsprozess erleichtert. Ein zentraler Kritikpunkt an den klassischen Migrationstheorien ist hierbei, dass diese primär die individuelle Migrationsentscheidung männlicher Migranten zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machen. Der Umstand, dass derartige Entscheidungen viel häufiger kollektiv innerhalb eines Haushalts bzw. einer Familie getroffen werden, wird dort ebenso wenig berücksichtigt, wie mögliche Spezifika der Migrationsentscheidungen von Frauen. So zeigen neuere Studien einerseits, dass Migrantinnen häufig in besonderem Maße von Sexismus und sozialer Unterdrückung betroffen sind, und andererseits, dass Migration oft auch eine Form von Befreiung aus diskriminierenden Strukturen darstellt (Castles et al. 2014).

Neben den Netzwerktheorien hat in den letzten Jahrzehnten auch der Ansatz der transnationalen Migrationsforschung enorme Bedeutung erlangt. Nach diesem Ansatz eröffnet sich Migranten im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung zunehmend die Möglichkeit, soziale Kontakte auch über weite Distanzen aufrecht zu erhalten. Infolgedessen würden zunehmend transnationale soziale Räume geschaffen, in denen nicht nur Mehrfachmigration sowie ökonomische, politische und soziale Teilhabe in mehreren Staaten ermöglicht wird, sondern auch multiple Identitäten entstehen (Castles et al. 2014).

Nach Schiller, Basch und Blanc-Szanton (1995) entsteht infolgedessen ein neuer Migrantentypus, der von ihnen als Transmigrant beschrieben und wie folgt definiert wird:

“Migrants whose daily lives depend on multiple and constant interconnection across international borders and whose public identities are configured in relationship to more than one national-state. They are not sojourners because they settle and become incorporated in the economy and political institutions, localities and patterns of daily life of the country in which they reside. However, they are engaged elsewhere in the sense that they maintain connections, build institutions, connect transactions and influence local and national events in the country from which they emigrated” (Glick-Schiller et al. 1995, S. 48).

Für Pries ist die Person des Transmigranten dadurch gekennzeichnet, „dass sich ihr Lebenshorizont und auch ihr Lebens- und Erwerbsverlauf auf Dauer pluri-lokal innerhalb eines neuen, offenen, hybriden und in gewisser Hinsicht kosmopolitanen transnationalen Sozialen Raumes aufspannen. Letzterer wird von und durch Transmigranten selbst aufgebaut und stabilisiert.“ (Pries 2007, S. 125). Er beschreibt den Ansatz der Transmigration als eine enorme Erweiterung und Ergänzung der klassischen Migrationsforschung. Das Konzept basiert seiner Ansicht nach darauf, „grenzüberschreitende Wanderungsprozesse als mehr oder weniger dauerhaften Zustand, als nicht nur einmaligen, unidirektionalen Ortswechsel, sondern als neue soziale Lebenswirklichkeit für eine wachsende Anzahl von Menschen zu begreifen“ (Pries 2001, S. 17).

Während bestimmte Grundannahmen des transnationalen Ansatzes, wie die Entstehung neuer Formen zirkulärer Migration, sowie die Zunahme transnationaler Netzwerke und Kommunikationsstrukturen sich innerhalb der Migrationsforschung etabliert haben, wird die Frage, inwieweit dadurch tatsächlich ein neuer Typus in Form des Transmigranten entsteht, kontrovers diskutiert. Ein zentraler Kritikpunkt lautet dabei, dass bestimmte Formen der transnationalen Migration historisch schon lange Zeit bestehen und sich folglich Zweifel daran ergeben, ob die Etablierung eines neuen Typus gerechtfertigt sei (Castles et al. 2014, S. 42). Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf das Ausmaß transnationaler Migration. Dahinden (2005) verweist diesbezüglich auf eine Reihe von empirischen Studien, laut denen nur eine Minderheit der Migranten tatsächlich transnationalen Aktivitäten nachgeht.

Demgegenüber lassen sich jedoch auch eine Vielzahl von empirischen Belegen finden, die den Schluss nahelegen, dass transnationale Migrationsbiographien in Form mehrfacher Migrationsepisoden zunehmend das Migrationsgeschehen dominieren, während dem klassischen Ansatz eines einmaligen, permanenten Migrationsprozesses nur noch ein vergleichsweise geringer Stellenwert zukommt. Die Studie „Neue Muster der Migration“ (Brücker et al. 2014) verweist darauf, dass 21 % der „Neuzuwanderer“ in Deutschland zwischen 2000–2007 bereits internationale Erfahrungen in mehreren Ländern gesammelt haben. Für den Zeitraum 2008–2013 liegt der entsprechende Anteil von Neuzuwanderern indessen schon bei 42 % und hat sich somit verdoppelt.

Fauser, Liebau, Voigtländer, Tuncer, Faist und Razum (2015) betonen, dass transnationale Migrationsforschung zumeist spezifisch ausgewählte Bereiche untersucht, wozu insbesondere ökonomische, politische und sozialkulturelle Aktivitäten, Reisen, remittances (regelmäßige Geldüberweisungen in das Herkunftsland) und Identifikationsmuster zählen. Die Ergebnisse zeigen, dass die verschiedenen Aktivitäten nicht zwangsläufig korrelieren, sondern dass es durchaus Migranten gibt, die beispielsweise häufig remittances versenden, aber selten in das Herkunftsland reisen oder in umgekehrter Gewichtung. Demzufolge wird vorgeschlagen, Transnationalität stärker als marker of heterogenity zu verstehen. Dies bedeutet, dass mithilfe des Konzeptes der Transnationalität zunächst einmal zu untersuchen ist, in welchem Maße sich bestimmte transnationale Eigenschaften in unterschiedlichen Bereichen bei Menschen beobachten lassen. Die Frage, inwieweit sich aus der beobachteten Transnationalität Vorteile und Ressourcen ergeben, oder ob Transnationalität auch einen Nachteil darstellen kann, wird erst in einem zweiten Schritt untersucht (Fauser et al. 2015, S. 4–5). Dieser analytische Zugang zur Frage der Transnationalität wird auch in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen.

3.2.1.4 Transition theory

Einen weiteren wichtigen Erklärungsansatz in der Migrationsforschung liefert die transition theory. Dieser Ansatz ist ebenso wie die funktionalistischen und historisch-strukturalistischen Theorien auf der Makroebene zu verorten, unterscheidet sich allerdings grundlegend von diesen. Gründe für Migration lassen sich demnach nicht einseitig auf bestehende Probleme wie Armut zurückführen. Stattdessen wird hervorgehoben, dass Entwicklung und Migration sich gegenseitig bedingen. So fällt beispielsweise die Emigrationsrate für die ärmsten Staaten der Erde deutlich geringer aus, als für sogenannte middle-income-Staaten wie Mexiko, Marokko oder die Türkei. Die geringere Mobilität der Menschen in ärmeren Staaten lässt sich vor allem mit dem Fehlen bestimmter Ressourcen erklären, ohne die Emigration nicht möglich ist. Auch innerhalb der Gruppe der Flüchtlinge sind die ärmsten Bevölkerungsgruppen kaum vertreten (Castles et al. 2014; Parnreiter 2000).

Hinsichtlich der individuellen Migrationsentscheidungen stellt sich die Frage, in welchem Maße persönliche Fähigkeiten und Bestrebungen Einfluss auf die Migrationsentscheidung nehmen. Um diesen Prozess besser nachzuvollziehen, lässt sich der Ansatz der human capability nach Sen heranziehen:

“Amartya Sen defined human capability as the ability of human beings to lead lives they have reason to value, and to enhance the substantive choices (or ‘freedoms’) they have. Sen’s capabilities framework can be successfully applied to migration to develop a richer understanding of human mobility” (Castles et al. 2014, S. 50).

Dementsprechend führen Einkommenssteigerungen, Zugang zu Bildung und Informationen sowie verbesserte Kommunikations- und Transportmöglichkeiten dazu, dass Migration über weite Distanzen deutlich einfacher zu realisieren ist. Zugleich fällt es deutlich leichter, sich über Lebensumstände und Perspektiven in anderen Teilen der Welt zu informieren und sich auf dieser Grundlage ggf. für die Migration zu entscheiden, wenn die gegenwärtigen lokalen Gegebenheiten unbefriedigend sind. Während sich die Möglichkeiten der Migration also mit zunehmender Entwicklung des Landes erhöhen, lässt sich beobachten, dass die individuellen Bestrebungen zur Emigration ab einem bestimmten Entwicklungsniveau des eigenen Landes abnehmen.

Einen weiteren Faktor für Migration zwischen hochentwickelten Gesellschaften bildet in diesem Zusammenhang die zunehmende Spezialisierung der Berufswelt. Spezialisierung und Segmentierung von Arbeitsmärkten nehmen mit zunehmendem Bildungsniveau und ökonomischer Entwicklung zu. Migration spielt hier eine zentrale Rolle, um Nachfrage und Angebot zusammenzubringen. Insofern hängt dieser Ansatz unmittelbar zusammen mit den Theorien des Humankapitals, der Globalisierung und der segmentierten Arbeitsmärkte. Die Verbindung dieser Theorien ist hilfreich, um zu verstehen, warum auch in hochentwickelten Gesellschaften große Migrationsprozesse zu beobachten sind (Castles et al. 2014, S. 46–51).

3.2.1.5 Theorien über Migrationsprozesse im Hochschulwesen

Die Migration und Mobilität von Wissenschaftlern lässt sich innerhalb der Migrationsforschung im spezifischen Forschungsfeld der Migration von Hochqualifizierten verorten (vgl. Iredale 2001). Ackers (2005) spricht von highly skilled scientific migration. Die Migration von Wissenschaftlern unterscheidet sich dabei im Vergleich zu Hochqualifizierten, die in großen transnationalen Firmen arbeiten und deren Migrations- und Mobilitätsprozesse häufig in hohem Maße institutionell verankert sind. Demgegenüber sind Migration und Mobilität von Wissenschaftlern in deutlich geringerem Maße durch Unterstützung von Seiten der Organisation bzw. des Arbeitgebers geprägt. Wenngleich es eine starke Erwartungshaltung gibt, wonach Wissenschaftler internationale Mobilitätserfahrungen und Kompetenzen erwerben sollen, gibt es bisher nur in sehr geringem Maße Unterstützungsstrukturen im Rahmen entsprechender Migrationsprozesse, beispielsweise bei der Wohnungssuche, der Arbeitsplatzsuche für den Partner oder auch bei der Suche nach Bildungseinrichtungen für die Kinder. Häufig sind es sogenannte ad hoc networks zu befreundeten Wissenschaftlern, die im Rahmen von Mobilitäts- und Migrationsentscheidungen eine wichtige Rolle spielen. Verdienstmöglichkeiten nehmen zum Teil für Professoren aus Entwicklungsländern einen hohen Stellenwert ein, werden allerdings nur selten als primäre Motive genannt. Im Mittelpunkt stehen zumeist Karrieremöglichkeiten, Forschungs- und gesellschaftliche Lebensbedingungen sowie Persönlichkeitsentwicklung und kulturelle Neugier. Ein zentrales Motiv stellt zudem auch die Suche nach einem geeigneten sozialen Umfeld dar. So spielt der Wunsch, in einer Gesellschaft zu leben, in der Wissenschaft einen hohen Stellenwert einnimmt und zu der sich exzellente Forschungskollegen zählen, oftmals eine zentrale Rolle (Ackers 2005, S. 103). Zugleich verweisen Studien auf die Relevanz einer differenzierten Betrachtung der Erwartungshaltung und Motive, da es grundlegende Unterschiede zwischen Disziplin, Hochschulart und nationalem Kontext gibt (Ackers 2005, S. 107).

Bauder (2015) stellt ebenfalls heraus, dass die akademische Profession in einem spezifischen Arbeitsmarkt zu verorten sei. Dementsprechend gäbe es besondere Bedingungen und Formen internationaler Mobilität im Vergleich zu anderen Berufsfeldern. Die Besonderheit fasst er wie folgt zusammen:

“Academia possesses its own structures and practices of mobility, including a mobility infrastructure supported by supra-national and national institutions and governments, an academic habitus that valorizes mobility, and opportunities to accumulate social and cultural capital through migration” (Bauder 2015, S. 90).

Zugleich betont er wie Acker (2005), dass es dennoch kein universelles Modell internationaler Mobilität gäbe, sondern dass die Besonderheiten nach Migrationsdauer, Karrierephase, Geschlechterunterschieden, fachdisziplinären und geographischen Unterschieden berücksichtigt werden müssen, um der Komplexität akademischer Mobilität gerecht zu werden. Des Weiteren diskutiert Bauder die Frage, inwieweit internationale Mobilität zu einer höheren Anerkennung der eigenen Arbeitskraft führt. Diesbezüglich hebt er hervor, dass Migration zumeist – wie in anderen Berufsfeldern zu beobachten – eine Abwertung der Arbeitskraft zur Folge habe. Dieser Abwertungsprozess lässt sich für die akademische Profession normalerweise nicht beobachten. Wenngleich sich internationale Mobilität auch nachteilig auswirken kann, steigert internationale Mobilität zumeist die Anerkennung und Reputation von Wissenschaftlern und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich zeigen sich Geschlechterunterschiede dahingehend, dass Frauen sowohl höhere Hürden bezüglich der internationalen Mobilität überwinden müssen als auch darin, dass die Anerkennung internationaler Mobilität bei Frauen geringer ausfällt. Im Anschluss wirft Bauder die Frage auf, inwieweit Erkenntnisse über internationale Mobilität von Wissenschaftlern auch in anderen Berufsfeldern relevant sein könnten. Beispielsweise lassen sich auch bei Fach- und Führungskräften in internationalen Organisationen und Unternehmen eine hohe Anerkennung internationaler Mobilität beobachten, wohingegen in unteren Arbeitsmarktsegmenten eine starke Abwertung des eigenen kulturellen Kapitals durch Migration zu beobachten ist. Generell bleibt aber festzuhalten, dass viele Aspekte des Hochschulwesens und der Karrierestrukturen national ausgestaltet werden. Das hat zur Folge, dass kurzfristige oder zirkuläre Migration besondere Vorteile im Vergleich zu langfristiger Migration bieten, da hier eine Anerkennung der Internationalität stattfindet, ohne dass sich die Person langfristig auf andere nationale Besonderheiten einstellen muss (Bauder 2015, S. 90–91).

Scott (2015) analysiert globale Trends internationaler Wissenschaftlermobilität. Trotz der insgesamt schwierigen Datenlage, insbesondere aufgrund unterschiedlicher Operationalisierungen im Kontext nationaler Statistiken, lassen sich aus seiner Sicht drei zentrale Trends herausarbeiten. Erstens sind geopolitische Gründe auch im 21. Jahrhundert noch von Relevanz. Diesbezüglich verweist Scott (2015) auf Wettbewerbsvorteile bestimmter Länder im Rahmen der Rekrutierung internationaler Wissenschaftler, wozu vor allem ehemalige Kolonialmächte, Länder, in denen Weltsprachen wie Englisch, Französisch und Spanisch gesprochen werden, und auch generell bevölkerungsreiche Länder gehören, in denen sich wissenschaftliche Karrieremöglichkeiten in unterschiedlichsten Fachdisziplinen eröffnen. Ferner nimmt er Bezug auf begünstigte Mobilitätsbewegungen zwischen common cultural spaces, wie Deutschland, Österreich und der Schweiz, oder zwischen den arabischsprachigen Ländern sowie auf ökonomische Gründe, wie Wirtschaftswachstum und globale Ungleichheit, und politische Gründe, wie Bürgerkriege oder Zuwanderungsbarrieren.

Zweitens unterscheidet er zwischen vier unterschiedlichen Feldern und Märkten, innerhalb derer internationale Wissenschaftlermobilität stattfindet. Dazu zählt er die kurzfristige internationale Mobilität und Sabbatical, die internationale Mobilität von Promovierenden und Postdocs, wodurch sich die Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern überlagert, eine langfristige Form von Zuwanderung für die gesamte wissenschaftliche Laufbahn, die auch als heart of academic mobility verstanden wird, sowie die Rekrutierung von sogenannten mobile stars, die auf speziellen Wettbewerbsmechanismen zwischen world class universities basiert. Drittens hebt er hervor, dass trotz der schwierigen Datenlage ein Konsens darüber besteht, dass die internationale Mobilität von Wissenschaftlern in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat und mittlerweile ein Charakteristikum moderner Hochschulsysteme darstellt (Scott 2015, S. 58–60).

Zudem analysiert Scott die als Brain Drain, Brain Gain und Brain Circulation bezeichneten Phänomene im Kontext aktueller internationaler Wissenschaftlermobilität. Aus seiner Sicht lassen sich Beispiele für alle drei Elemente im globalen Hochschulwesen finden. Zugleich betont er, dass die Elemente auch in Kombination nicht den Anspruch erheben können, internationale Wissenschaftlermobilität abschließend zu erklären.

Der Brain Drain ist aus seiner Sicht weiterhin von hoher Relevanz. Zweifelsfrei gibt es Gewinner und Verlierer internationaler Wissenschaftlermobilität. Zu den Gewinnern gehören insbesondere Nordamerika und Europa, die in hohem Maße internationale Spitzenwissenschaftler aus anderen Regionen der Welt anziehen, während es vielerorts in den verschiedenen Fachdisziplinen nicht gelingt, die erfolgreichsten Studierenden aus dem eigenen Land als wissenschaftlichen Nachwuchs zu halten. Am Beispiel des Schwellenlandes Südafrika lässt sich zeigen, dass der Brain Drain auf zwei Ebenen stattfinden kann. Während das Land eine Vielzahl hochqualifizierter Nachwuchswissenschaftler an Europa und Nordamerika verliert, rekrutiert Südafrika im Gegenzug eine große Zahl an qualifizierten Nachwuchswissenschaftlern aus ärmeren Ländern Afrikas.

In Bezug auf den Brain Gain vertritt Scott den Standpunkt, dass Hochschulwesen und Forschungssysteme aller Länder, wenngleich in unterschiedlichem Maße, von internationaler Wissenschaftlermobilität profitieren können. Schließlich kommen zentrale Erkenntnisse der Wissenschaft nicht nur einzelnen Ländern zugute, da durch sie der wissenschaftliche Fortschritt auf globaler Ebene begünstigt wird. Zunehmende open access-Bestrebungen können diesen Aspekt in Zukunft noch verstärken. Zugleich können internationale Wissenschaftler auch Reformprozesse vorantreiben wie im Rahmen des antikolonialen Widerstandes Mitte des 20. Jahrhunderts.

Auch für den Standpunkt, dass internationale Wissenschaftlermobilität als eine Form von Brain Circulation zu verstehen sei, lassen sich fundierte Argumente anführen. Erstens lässt sich eine zunehmende Erosion der „westlichen Dominanz“ durch die enorme Entwicklung der Universitäten in Südostasien beobachten. Wenngleich Länder wie China, Südkorea und Indien sich bisher primär in der globalen Studierendenmobilität als zentrale Akteure gezeigt haben, so deutet vieles darauf hin, dass diese Länder in Zukunft auch bei der internationalen Wissenschaftlermobilität eine zentrale Rolle einnehmen werden. Zweitens zeigt sich ein Wandel, der, bedingt durch modernere Informations- und Kommunikationstechnologien und günstigere Reisemöglichkeiten, eine enorme Zunahme kurzfristiger internationaler Mobilitätsprozesse zur Folge hat. Drittens verweist Scott auf das Potential für die internationalen Wissenschaftler selbst. Die Möglichkeit, unterschiedliche Wissenschaftssysteme kennenzulernen und entsprechend zu reflektieren, kann ihnen besondere Relevanz für Innovationen im nationalen und internationalen Hochschulwesen verleihen.

Scott schließt seine Argumentation mit einer Erläuterung, warum alle drei Elemente internationale Wissenschaftlermobilität nicht abschließend erklären können. Alle drei Ansätze basieren auf einer dichotomen Unterscheidung zwischen mobilen und nichtmobilen Wissenschaftlern. Empirisch zeigt sich allerdings, dass es eine Vielzahl von Abstufungen gibt, die vom Fehlen jeglicher Mobilität bis hin zu hochgradig mobilen Wissenschaftlern reichen. Abschließend mahnt er, dass trotz aller Chancen, die sich durch internationale Mobilität bieten, der Diskurs nicht dazu führen darf, dass weniger mobile Wissenschaftler negativ betrachtet oder verurteilt werden, wie es im Rahmen der Hochschulrankings de facto geschieht (Scott 2015, S. 66–68).

3.2.1.6 Fazit zu Erklärungsansätzen für die Migrationsentscheidung

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Theorien auf unterschiedlichen Analyseebenen und Aspekten von Migration basieren. Parnreiter betont in diesem Kontext, dass es weniger darum gehe, die unterschiedlichen Theorien auf ihre empirische Nachweisbarkeit zu überprüfen, sondern die Theorien vielmehr als analytische Instrumente zu verstehen seien, um spezifische Migrationsprozesse adäquat theoretisch und empirisch zu untersuchen (Parnreiter 2000, S. 27). Dies bedeutet auch, dass es zum Teil durchaus sinnvoll sein kann, unterschiedliche Theorien miteinander zu verknüpfen (Massey et al. 1993, S. 443). Castles veranschaulicht die These anhand von Migrationsbewegungen zwischen Marokko und der EU. Auf der Makroebene mag hier eine historisch-strukturalistische theoretische Betrachtungsweise sinnvoll erscheinen, während auf der Mikroebene im Kontext der remittances Migrationsentscheidungen auch über die Rational-Choice-Theorie zu erklären sein können (Castles et al. 2014, S. 52). Eine wichtige Entwicklung, die auch dem Ansatz dieser Arbeit zugrunde liegt, ist darin zu sehen, dass Migranten nicht, wie lange Zeit üblich, als bloße Objekte von Politik verstanden werden, sondern dass explizit die Handlungsmacht von Migranten im Fokus der Aufmerksamkeit steht (Oltmer 2016, S. 118).

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird sowohl anhand der Internationalität des Bildungs- und Berufsverlaufs der Professoren (vgl. Abschnitt 6.2) als auch hinsichtlich der Motive der Zuwanderung (vgl. Abschnitt 6.7) geprüft und diskutiert, welche theoretischen Ansätze durch empirische Befunde bestätigt werden. Das heißt, es wird in Anlehnung an die Ausführungen von Parnreiter nicht vorab eine Bewertung der Theorien vorgenommen, sondern vielmehr anhand des empirischen Materials geprüft, inwieweit die theoretischen Ansätze sich in den Aussagen der Professoren widerspiegeln. Bei den Motiven für die Zuwanderung nach Deutschland wurden in Anlehnung an die funktionalistischen Ansätze unterschiedliche Pro- und Kontra-Argumente für die Migration nach Deutschland in Verbindung mit dem aktuellen Forschungsstand (vgl. Abschnitt 4.3.5) entwickelt.

3.2.2 Theorien zur Integration und Teilhabe

Neben Untersuchungen über Formen von Migrationsverläufen stellen die Folgen entsprechender Wanderungsbewegungen das zweite zentrale Themenfeld der Migrationsforschung dar, in dem Integration und Teilhabe im Fokus stehen (Castles et al. 2014; Hans 2016). Im Folgenden werden kurz Integrations- und Assimilationstheorien sowie Ansätze, die in kritischer Abgrenzung dazu entwickelt wurden, erläutert. Im Mittelpunkt steht im Anschluss der Ansatz der transnationalen Migrationsforschung, der nicht nur die Folgen von Migration im Emigrations- und Immigrationsland untersucht, sondern auch die Entstehung neuer transnationaler Sozialräume in den Blick nimmt.

3.2.2.1 Integrations- und Assimilationstheorien

Die Theorie von der sogenannten Straight Line Assimilation, die auf die Chicago School zurückgeht und ihren Ursprung bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat, geht davon aus, dass es im Laufe der Zeit zu einer Angleichung von eingewanderter und einheimischer Bevölkerung kommt. Demnach seien Einwanderer über Generationen nicht mehr als solche erkennbar. Die zentrale Fragestellung lautet somit weniger, ob es überhaupt zur Assimilation kommt, sondern vielmehr, wie schnell Assimilation in welchem Kontext stattfindet. In Anlehnung an dieses Konzept differenziert Gordon (1964) zwischen drei unterschiedlichen Formen von Integration. Erstens besteht die Möglichkeit einer einseitigen Assimilation der Migranten an die einheimische Bevölkerung. Zweitens ist das Melting-Pot-Modell zu nennen, das von einer reziproken Assimilation beider Gruppen ausgeht. Drittens wird noch das pluralistische Salad-Bowl-Modell vertreten, nach dem ethnische Unterschiede der jeweiligen Gruppen bestehen bleiben. Zudem unterscheidet Gordon sieben Teilprozesse der Assimilation:

  • Akkulturation: Änderung von kulturellen Mustern und Verhaltensweisen

  • Strukturelle Assimilation: Aufnahme in Gruppen und Institutionen der Mehrheitsgesellschaft

  • Bildung interethnischer Partnerschaften

  • Identifikative Assimilation: Ethnische und nationale Identifikation mit dem Aufnahmeland

  • Bürgerliche Assimilation: Teilhabe der Einwanderer am öffentlichen und politischen Leben

  • Abwesenheit von Vorurteilen: Keine abweisenden Verhaltensweisen und Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung

  • Abwesenheit von Diskriminierung: Keine abweisenden Verhaltensweisen und Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung

Nach Gordon gebe es zwar keine festgelegten kausalen Beziehungen zwischen den verschiedenen Prozessen. Aus seiner Sicht stelle jedoch die strukturelle Assimilation einen Kernprozess dar, der ein Schlüsselelement für weitere Assimilationsprozesse sein kann (Hans 2016, S. 28–31).

In Deutschland hat der Integrationsansatz von Esser, der auf der Rational-Choice-Theorie basiert, große Aufmerksamkeit erhalten. Demnach hänge die Integrationsfähigkeit von Einwanderern in erster Linie von ihrer Investitionsbereitschaft ab. Ein wichtiger Faktor für die Investitionsbereitschaft sei dabei, dass die Personen einen langfristigen Verbleib in Deutschland anstreben. Das Modell wurde in Anlehnung an die Konzepte des kanadischen Psychologen Berry entwickelt und differenziert zwischen System- und Sozialintegration. Die Sozialintegration lässt sich ihrerseits in vier Teilprozesse unterteilen:

  • Kulturation: Wissen und Kompetenzen von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung

  • Platzierung: Erreichen von Positionen innerhalb von gesellschaftlichen Schlüsselinstitutionen

  • Interaktion: Dauerhafte soziale Beziehungen

  • Identifikation: Kognitive und emotionale Bindung an die Gesellschaft

Dabei kann sowohl eine Integration in die Mehrheitsgesellschaft als auch in die Gesellschaft bzw. ethnische Gemeinschaft des Herkunftslandes stattfinden. Demzufolge sind vier Arten von Integration möglich:

  • Mehrfachintegration: Integration in beide Gruppen

  • Assimilation: Integration exklusiv in die Einwanderungsgesellschaft

  • Segmentation: Integration exklusiv in die ethnische Gemeinschaft

  • Marginalisierung: Integration in keine der beiden Gruppen

Nach Esser sollte die Zielsetzung darin bestehen, die Assimilation einer größtmöglichen Zahl von Migranten zu erreichen, da eine Mehrfachmigration aufgrund der hohen Anforderungen unwahrscheinlich sei. Ohne Integration in die Mehrheitsgesellschaft bestehe indessen die Gefahr ethnischer Ungleichheiten und Konflikte (vgl. Essser 2009, Hans 2016, S. 31–34).

3.2.2.2 Kritische Assimilations- und Integrationstheorien

Alba und Nee (1997) bieten in kritischer Auseinandersetzung mit der Straight-Line-Theorie der Chicago School einen neuen theoretischen Ansatz, der als Neoassimilation bezeichnet wird. Sie gehen davon aus, dass ethnische Zugehörigkeit in immer weniger Lebensbereichen überhaupt von Relevanz ist. Ferner verstehen sie Assimilation nicht als einseitigen, sondern als beidseitigen Prozess, der ebenfalls Veränderungen von Seiten der Mehrheitsbevölkerung erforderlich macht. Es werden drei Assimilationsprozesse unterschieden:

  • Boundary Crossing: Migranten, die sich in der Form assimilieren, dass sie nicht mehr als Teil einer ethnischen Gruppe, sondern als Teil der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden.

  • Boundary Shifting: Bestimmte Distinktionsmerkmale werden gesellschaftlich nicht mehr als solche wahrgenommen und somit Menschen mit diesen Merkmalen auch nicht mehr als ethnische Minderheit.

  • Boundary Blurring: Merkmale verlieren ihre Relevanz für die ethnische Distinktion. Unterschiede werden nicht mehr als ausschließlich wahrgenommen und multiple Zugehörigkeiten akzeptiert.

Die theoretische Orientierung basiert nicht auf strukturfunktionalistischen Rational-Choice-Annahmen, sondern auf Annahmen des Neoinstitutionalismus. Demnach ist Assimilation häufig nicht die Folge zweckgerichteter Handlungen, sondern eine unbeabsichtigte Handlungskonsequenz. Es geht somit primär darum, Mechanismen für den Assimilationsprozess zu identifizieren und dabei sowohl gesellschaftliche Strukturen und Institutionen als auch Humankapital und soziale Netzwerke der Migranten zu berücksichtigen (Hans 2016, S. 35–37).

Ethnischer Pluralismus und Multikulturalismus vereinen eine Reihe von Forschungsansätzen, deren Gemeinsamkeit in einer klaren Abgrenzung zum Ansatz der Assimilation liegt. Zentrale Kritikpunkte an den Assimilationstheorien knüpfen an deren ethnozentristischer Ausrichtung sowie der Annahme einer Bringschuld von Zuwanderern an. Einer der bekanntesten Vertreter des ethnischen Pluralismus, der kanadische Philosoph Taylor, betont die Bedeutung der Gruppe bzw. der ethnischen Gemeinschaft für die individuelle Identitätserfahrung. Identität entstehe immer dialogisch, also nicht innerhalb des Individuums allein oder zwischen Individuum und Staat, sondern stets im Zusammenspiel mit anderen innerhalb einer spezifischen Gruppe. Demnach seien die Anerkennung und Wertschätzung einer gesellschaftlichen Gruppe sowohl von staatlicher Seite als auch durch andere Gruppen von entscheidender Bedeutung. Am Beispiel des Kolonialismus macht Taylor deutlich, welch negative Auswirkungen die fehlende Anerkennung bestimmter Gruppen für die Identitätsentwicklung ihrer Mitglieder haben kann. Taylor fordert daher staatliche Schutzmechanismen zugunsten ethnischer Gemeinschaften, da andernfalls der enorme Anpassungsdruck der Mehrheitsgesellschaft zwangsläufig zu deren Auflösung führe (Hoesch 2017, S. 93–97).

Ein zentraler Kritikpunkt am Ansatz des Multikulturalismus liegt darin, dass diese Betrachtungsweise zu einem Konflikt zwischen Einzel- und Sonderrechten führt. Die Gewährung von Sonderrechten für bestimmte Gruppen birgt immer die Gefahr, Privilegien zu induzieren, die im Widerspruch zu den individuellen Gleichheitsrechten aller Gesellschaftsmitglieder stehen (Hoesch 2017).

3.2.2.3 Transnationaler Ansatz als Verbindung zwischen Herkunfts- und Zuwanderungsland

Der transnationale Ansatz verändert nicht nur die Perspektive hinsichtlich der Frage, warum Menschen migrieren, sondern hinterfragt zugleich das Modell der Integration. Das Konzept der Transnationalität, das auf dem Aufrechterhalten bzw. Fortbestand einer kontinuierlichen grenzüberschreitenden Bindung basiert, ist dabei weder mit einem Modell der exklusiven Integration von Migranten in die Mehrheitsgesellschaft noch mit dem Ansatz des ethnischen Pluralismus vereinbar. Aus der Perspektive des Transnationalismus sind Migranten nicht nur mit den sozialen Institutionen der Mehrheitsgesellschaft oder der ethnischen Gemeinschaft verbunden, sondern zugleich auch in ihrem Herkunftsland oder in anderen Ländern aktiv. Die Verbindung von mehreren Orten kann sich sowohl im Aufrechterhalten privater und familiärer Kontakte widerspiegeln als auch in politischen, kulturellen oder privaten Beziehungen in mehreren Ländern (Faist et al. 2014).

Pries fordert einen grundsätzlichen Perspektivwechsel mithilfe des transnationalen Ansatzes:

„Transmigration impliziert, dass nationalstaatlich verfasste ‚Container-Gesellschaften‘ immer stärker von transnationalen Sozialräumen ‚durchlöchert‘ und dass ethnisch-kulturelle Heterogenität und Differenzierung immer wieder neu (re-)produziert werden. Soziale Integration muss unter diesen Bedingungen anders bestimmt werden, als in der ausschließlichen Immigrations-Perspektive“ (Pries 2001, S. 17).

Es findet eine Verschiebung der Raumhorizonte statt. Insbesondere Gruppen wie Künstler, Manager, Journalisten und eben Wissenschaftler stehen in ihrem Berufs- und Alltagsleben nicht ausschließlich vor einem lokalen und nationalen Raumhorizont, sondern befinden sich häufig in pluri-lokalen, internationalen und globalen Verflechtungszusammenhängen. Pries` theoretisches Konzept basiert auf der Entstehung transnationaler Sozialräume, die eine neue Alltags- und Lebenswelt darstellen. Die Sozialräume entstehen neben der Ankunfts- und Herkunftsgesellschaft auf der Grundlage von dauerhaften sozialen Verflechtungsbeziehungen. Dabei bilden sich Alltagspraktiken, Symbolsysteme und soziale Artefakte heraus. Um diese zu verstehen, ist es wichtig, sich von einer lokalen Betrachtungsweise zu lösen und pluri-lokale und transnationale Verflechtungen in den Blick zu nehmen. Pries betont, dass nationalgesellschaftliche Bezüge weiterhin eine dominante Bedeutung haben, zugleich die Zahl der Menschen aber steige, für die transnationale Sozialräume eine Bedeutung entfalten. Dementsprechend gelte es, die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von transnationalen Sozialräumen und nationalstaatlich verfassten Herkunfts- und Ankunftsgesellschaften zu legen (Pries 2015, S. 30–31). Diese Perspektive stellt klassische Assimilations- und Integrationstheorien vor Herausforderungen. Klassische Dimensionen wie wirtschaftliche, kulturelle, soziale oder strukturelle Integration beziehen sich ausschließlich auf nationalstaatliche Vergesellschaftung, während Interdependenzen und Netzwerke zwischen bzw. jenseits von Nationalstaaten nicht berücksichtigt werden. Pries kritisiert in diesem Zusammenhang die konzeptionelle Verengung klassischer Assimilationsansätze, die Migration auf der Ebene sozialer Identitäten häufig als Biographiebruch deuten. Der Grad der Assimilation wird häufig als Indikator verwendet, ob eine Vergesellschaftung in die Ankunftsgesellschaft bereits stattgefunden hat oder eben nicht. Das heißt, es werden Konzepte von Entweder-Oder-Identitäten zugrunde gelegt, während Bindestrich-Identitäten oder multiple Sowohl-Als-Auch-Identitäten keine Rolle spielen (Pries 2007). Damit stellt der transnationale Ansatz die assimilationstheoretische Vorannahme, die Integration primär über die exklusive Zugehörigkeit in der Einwanderungsgesellschaft herstellt, in Frage. Verbundenheit und Zugehörigkeit zu mehreren national-kulturellen Kontexten wird demnach nicht als Besonderheit, sondern als Normalform migrantischer Lebensweisen verstanden (vgl. auch Mecheril et al. 2013, S. 9). Demzufolge müsse es darum gehen, ein offenes, pluralistisches und aktivierendes Integrationsverständnis zu etablieren, das als ein ergebnisoffener sozialer Prozess zwischen Individuen und Gruppen verstanden wird (Pries 2015, S. 30–31).

In den letzten Jahren wird zunehmend die Frage nach dem Verhältnis von Transnationalität und Integration diskutiert. Faist, Fauser und Reisenauer (2014) verweisen auf drei unterschiedliche Erklärungsmodelle:

  • Linearer Transnationalismus: Nach der Zuwanderung halten Migranten soziale Kontakte in das Herkunftsland aufrecht, tätigen Überweisungen und reisen in bestimmten Abständen in das Herkunftsland. Basierend auf den assimilationstheoretischen Annahmen nehmen mit der Zeit und der zunehmenden Integration in die Mehrheitsgesellschaft die grenzübergreifenden Bindungen ab.

  • Ressourcenabhängiger Transnationalismus: Migranten fehlen häufig unmittelbar nach der Migration Zeit und finanzielle Mittel, um transnational aktiv zu sein. Sobald diese Ressourcen (wieder) zur Verfügung stehen, nehmen sie transnationale Aktivitäten auf. Integrationsprozesse vollziehen sich vor oder parallel zur Transnationalität.

  • Reaktiver Transnationalismus: Marginalisierungs- und Diskriminierungserfahrungen im Zuwanderungsland führen dazu, dass Migranten transnational aktiv werden. Diese Aktivitäten lassen sich hier als Suche nach Anerkennung und Prestige im Herkunftsland verstehen, welche ihnen im Zuwanderungsland verwehrt bleiben.

Während diese Form der Systematisierung zunächst einmal einleuchtend erscheint, ließe sich diskutieren, ob neben dem Herkunftsland nicht auch weitere Länder mit in den Blick genommen werden sollten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es zunehmend Bildungs- und Berufsverläufe gibt, in denen Mehrfachmigrationsprozesse stattfinden (vgl. Brücker et al. 2014).

Schuncks` empirische Studie (2014) über transnationale Aktivitäten und die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland zeigt, dass transnationale Aktivitäten als normaler Bestandteil von heutigen Migrationsprozessen zu sehen sind und nicht zwangsläufig einen negativen Effekt auf die Integration in die Aufnahmegesellschaften haben müssen. Auch die zweite Generation erhält häufig, wenngleich in geringerem Maße, transnationale Aktivitäten aufrecht. Abschließend betont Schunck, dass für den Prozess der Integration Human- und kulturelles Kapital der Migranten sowie Möglichkeiten und Einschränkungen der Aufnahmegesellschaft eine zentrale Bedeutung einnehmen, während die Aufrechterhaltung transnationaler Aktivitäten aus seiner Sicht dem Integrationsprozess nicht grundlegend im Wege steht.

3.2.2.4 Fazit zu Erklärungsansätzen über Integration und Teilhabe

Das Verständnis von Integration und Teilhabe im Rahmen der vorliegenden Arbeit basiert weder auf den zu Beginn dargestellten Integrations- und Assimilationstheorien nach Gordon und Esser (vgl. Abschnitt 3.2.2.1) noch auf dem Ansatz des ethnischen Pluralismus (vgl. Abschnitt 3.2.2.2) Als theoretischer Zugang wird das Integrationskonzept nach Pries (2015), einem der bekanntesten Vertreter des transnationalen Migrationsansatzes, zugrunde gelegt. Dieses Verständnis orientiert sich an den Fragen:

„Bis zu welchem Grade und unter welchen Bedingungen allen in einem Land lebenden Menschen die Möglichkeiten gegeben sind, sich mit ihren Begabungen und Kompetenzen, durch die Mobilisierung ihrer Fähigkeiten sowie mit ihren Kulturen und Träumen von einem besseren Leben aktiv einzubringen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Integration ist dann ganz allgemein ein ergebnisoffener sozialer Prozess der ökonomischen, kulturellen, politischen und sozialen Verflechtungen zwischen einzelnen Menschen und sozialen Gruppen. Im Kontext von Migration geht es dabei immer um das Verhältnis der dauerhaft oder vorübergehend Ein- bzw. Zugewanderten zum Rest der (Mehrheits-)Bevölkerung“ (Pries 2015: S. 31).

Grundsätzlich gilt dieses Integrationsverständnis für alle Menschen und Gruppen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit geht es aber spezifisch um Migration und Menschen mit Migrationshintergrund. Zudem wird die in den Sozialwissenschaften vorherrschende Differenzierung nach ökonomischer, kultureller, sozialer und politischer Teilhabe aufgegriffen. Ökonomische Teilhabe umschließt u. a. Felder wie Arbeitsmarkt, Einkommen, Vermögen, Berufspositionen; kulturelle Teilhabe bezieht sich auf Aspekte wie (Mehr-)Sprachkompetenzen, Bildung, Ausbildung, Nutzung öffentlich kultureller Angebote, soziale Teilhabe betrachtet Felder wie Wohnen, soziale Beziehungen, Familie, Heiratskreise und Identität; bei der politischen Teilhabe stehen Aspekte wie Mediennutzung, aktive und passive Wahlbeteiligung, Mitarbeit in Vereinen und Parteien und Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten im Mittelpunkt. Die beschriebenen Teilhabeformen sollen aber nicht exklusiv in Nationalgesellschaften betrachtet werden, sondern es wird ein transnationales Teilhabemodell zugrunde gelegt, das die neue Qualität internationaler Mobilität und Migration, die in besonderer Weise durch Pendel- und Mehrfachmigration gekennzeichnet ist, mit in den Blick nimmt und Teilhabeprozesse nicht nur in Deutschland sondern auch im Herkunftsland untersucht (Pries 2015, S. 31–32 und vgl. Abschnitt 3.2.1.3).

Im Mittelpunkt der empirischen Analyse im Rahmen der vorliegenden Arbeit steht die soziale Teilhabe von Professoren mit Migrationshintergrund, die auf drei Ebenen näher betrachtet wird. Erstens werden Kontakte und Kommunikation zu Deutschen, zu Menschen aus dem Herkunftsland und zu Migranten aus anderen Ländern in Deutschland analysiert (vgl. Abschnitt 6.8). Zweitens wird untersucht, welche Kontakte, Beziehungen und Projekte im Herkunftsland selbst durchgeführt werden, das heißt im Sinne des transnationalen Migrationsansatzes die soziale Teilhabe über die nationalstaatliche Grenze hinaus (vgl. Abschnitt 6.8.3). Drittens wird das Selbstverständnis näher betrachtet, das heißt inwieweit die Professoren sich in ihrem Selbstverständnis auf Deutschland oder das Herkunftsland beziehen bzw. inwieweit nationalstaatliche Bezüge hier überhaupt eine Rolle spielen (vgl. Abschnitt 6.10). Dabei soll es im Hinblick auf alle drei Ebenen auch um die Frage gehen, inwieweit die Ergebnisse die vom transnationalen Migrationsansatz vertretene These widerspiegeln, dass zunehmend eine Mehrfachverortung über nationalstaatliche Grenzen hinaus bei Migranten zu beobachten sei. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern sich die drei unterschiedlichen Erklärungsmodelle für das Verhältnis von Integration und Transnationalität nach Faist, Fauser und Reisenhauer (2014) in den Antwortmustern der Professoren mit Migrationshintergrund widerspiegeln (vgl. Abschnitt 6.8.3).

3.2.3 Theorien zur Arbeitsmarktintegration von hochqualifizierten Migranten

In den dargelegten Theorien geht es um allgemeine Erklärungsansätze, wie Integrations- und Teilhabeprozesse von Menschen mit Migrationshintergrund verlaufen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stellt sich dabei insbesondere die Frage, wie die Arbeitsmarktintegration von hochqualifizierten Migranten verläuft. Es geht demnach um theoretische Ansätze, um der Frage nachzugehen, warum es welchen Migrantengruppen gelungen ist, eine Hochschulprofessur zu erlangen und welche Rolle dabei der Migrationshintergrund gespielt hat.

Untersuchungen über die Gruppe der hochqualifizierten Migranten haben in der Migrationsforschung in Deutschland lange Zeit kaum Berücksichtigung gefunden, während Großbritannien und die USA hierzu auf eine lange Forschungstradition zurückblicken können. Migrationsforschung in Deutschland setzt den Fokus primär auf Verteilungs- und Ungleichheitsfragen, wobei die Gruppe der hochqualifizierten Migranten aus dem Blickfeld gerät (Kolb 2006). Wenn es um hochqualifizierte Migranten geht, steht zumeist die Frage der Anwerbungsstrategien im Rahmen des global war for talents im Zentrum des Diskurses.

Zugleich lässt sich ein struktureller Wandel in fast allen gesellschaftlichen Bereichen beobachten, der sich in gestiegenen Qualifikationsanforderungen und einer Zunahme akademischer Berufe widerspiegelt. Wissen wird zur zentralen Ressource für Innovation und gesellschaftliche Wertschöpfung. Im Zuge der zu erwartenden Weiterentwicklung der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft und angesichts des demographischen Wandels in Deutschland und vielen weiteren westlichen Ländern, wird die gesellschaftliche Bedeutung der Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte weiter zunehmen und somit auch der internationale Wettbewerb um diese Gruppe. Dabei spielen Arbeits-, Aufenthalts- und Lebensverhältnisse ebenso eine Rolle wie Fragen der Willkommenskultur. Während auf politischer Seite lange Zeit die Bereitschaft fehlte, den eigenen Status als Einwanderungsland überhaupt anzuerkennen, wurden in den letzten Jahren verstärkt Bemühungen unternommen, beispielsweise zugunsten internationaler Studienabsolventen, um hochqualifizierte Zuwanderer für Deutschland zu gewinnen (Heckmann 2015).

Nohl, Schittenhelm, Schmidtke und Weiß (2014) verweisen auf die Studie „International Migration Outlook“ aus dem Jahr 2007 von der OECD, die Aufschluss darüber gewährt, dass im OECD-Durchschnitt fast 50 % der hochqualifizierten Migranten im Alter von 15 bis 64 Jahren ihrer Qualifikation entsprechend nicht adäquat beschäftigt sind. Dabei zeigt sich, dass Migranten aus Kanada, den USA oder den EU-15-Staaten nicht häufiger überqualifiziert beschäftigt sind, als Menschen ohne Migrationshintergrund. Dementsprechend wird ein besonders hoher Anteil von überqualifiziert Beschäftigten aus Subsahara-Afrika, Asien und osteuropäischen Ländern, die nicht Teil der EU sind, sichtbar. Faktoren hierfür können in den geringer entwickelten Bildungssystemen der Länder zu sehen sein, aber auch Vorurteile von Seiten der Arbeitgeber gegenüber Migranten aus nichtwestlichen Ländern können ursächlich sein (Nohl et al. 2014).

Im Folgenden wird zunächst die Theorie darüber dargelegt, in welcher Form ein spezifisches kulturelles Kapital bei Migranten die Arbeitsmarktintegration beeinflusst. Im zweiten Schritt geht es dann um Diskriminierungstheorien bei der Arbeitsmarktintegration von Migranten.

3.2.3.1 Kulturelles Kapital als theoretisches Konzept zur Arbeitsmarktintegration

Ausgehend von der dargelegten Studienlage stellt sich die Frage, worin die Gründe für die häufig nicht adäquate Arbeitssituation der Migranten liegen. Der Humankapital-Ansatz, basierend auf dem Rational-Choice-Modell, geht davon aus, dass Arbeitgeber bei der Einstellung abwägen, inwieweit die vorhandenen Fähigkeiten und Kompetenzen die geleisteten Investitionen, d. h. primär das Gehalt, rechtfertigen. Schwierigkeiten stellen bei diesem Modell die möglicherweise unvollständigen oder begrenzten Informationen dar (Nohl et al. 2014).

Nohl, Schittenhelm, Schmidtke und Weiß (2014) kritisieren diesen Ansatz und betonen die Relevanz des sozialen Kontextes. Gemeinsame Werte, Erinnerungen, kollektive Identitäten und soziale Rollen haben aus ihrer Sicht sowohl für den Arbeitgeber als auch für die Migranten eine enorme Bedeutung, die der Humankapitalansatz nicht berücksichtigt. In Anlehnung an Bourdieu schlagen sie vor, den Ansatz des kulturellen Kapitals zu verwenden, bei dem es nicht nur um die Produktivität der Fähigkeiten und Kompetenzen geht, sondern auch um die Akzeptanz der Fähigkeiten durch die Organisationen sowie um symbolische Aushandlungsprozesse über Anerkennung. Bourdieu (2012) unterscheidet zwischen inkorporierten, objektiviertem, institutionalisiertem Kulturkapital. Das inkorporierte Kapital entsteht durch die Akkumulation von Kultur in einen verinnerlichten Zustand. Die Verinnerlichung wird durch Bildungsprozesse hergestellt. Das objektivierte Kapital entfaltet seinen Wert erst in Relation zum inkorporierten Kulturkapital. Objektivierte materielle Träger wie Schriften, Gemälde, Instrumente oder Maschinen werden erst dann zum objektivierten Kulturkapital, wenn die Person ebenfalls über die kulturellen Fähigkeiten verfügt bzw. das entsprechende inkorporierte Kulturkapital besitzt, das zum Umgang und Gebrauch mit den materiellen Gütern nötig ist. Institutionalisiertes Kulturkapital stellt eine Objektivierung von inkorporiertem Kulturkapital in Form von Titeln und Bildungsabschlüssen dar, die rechtlich garantiert und unabhängig von der Person des Trägers gelten. Institutionalisiertes Kulturkapital stellt somit einen dauerhaften und rechtlich garantierten konventionellen Wert dar. Mithilfe von Bourdieus Ansatz lässt sich beispielsweise untersuchen, inwieweit bestimmte Exklusionsprozesse, die Bourdieu für untere soziale Schichten anhand habitueller Unterschiede beschreibt, auch für bestimmte Migrantengruppen beobachtbar sind. Kulturelles Kapital stellt kein quantifizierbares Merkmal dar, sondern erlangt seinen spezifischen Wert auf der Grundlage sozialer Aushandlungsprozesse.

Historisch betrachtet besteht ein starker Zusammenhang zwischen dem Prozess des Nation-Building und der Etablierung des modernen Schul- und Bildungssystems. Dementsprechend bildet der Nationalstaat in den meisten Fällen auch die zentrale Analyseeinheit im Rahmen von Aushandlungsprozessen über die Anerkennung kulturellen Kapitals. Zugleich zeigt sich insbesondere im Kontext zunehmender globaler Verflechtungen, dass Fähigkeiten und Kompetenzen, die grenzüberschreitend bedeutsam sind, eine besondere Relevanz zukommen. Demnach lässt sich zwischen lokal-spezifischem und transnationalem kulturellen Kapital differenzieren, was Weiß am Beispiel der Sprachen Englisch (transnational) und Farsi (location-specific) veranschaulicht (Nohl et al. 2014).

Studien zeigen, dass persönliche und institutionelle Gegebenheiten eine wichtige Bedeutung für die Form der Arbeitsmarktintegration haben. Zentrale Herausforderungen für Migranten bilden der Zugang zu Aufenthalts- und Arbeitsrecht, die Anerkennung von Bildungsabschlüssen, Berufserfahrungen im Zielland, die häufig zunächst im Niedriglohnsektor stattfinden, und die Aushandlungsprozesse zur Anerkennung des kulturellen Kapitals. Zusammenfassend ist die Arbeitsmarktintegration stark beeinflusst durch die nachfolgenden Faktoren:

  • Staatliche Arbeits-, Sozial- und Migrationsgesetzgebung

  • Inklusions-, Exklusions- und Diskriminierungsprozesse

  • Muster, Abläufe und Kontext der Arbeitsmarktintegration in Verbindung mit den individuellen Handlungsstrategien der Migranten (Nohl et al. 2014).

3.2.3.2 Diskriminierungstheorien

Ein weiterer Erklärungsansatz für die strukturelle Benachteiligung von Migranten auf dem Arbeitsmarkt sind diskriminierungstheoretische Ansätze. Ausgehend von der Annahme universeller Menschenrechte untersucht die Theorie, inwieweit ungerechtfertigte, illegitime Ungleichbehandlung stattfindet. Beispielsweise ist die Bevorzugung einer Person aufgrund ihrer spezifischen Qualifikation eine legitime Ungleichbehandlung, während eine Selektion aufgrund von Geschlecht, Aussehen oder Religion als illegitime Ungleichbehandlung bzw. Diskriminierung unter Verletzung universeller Rechte zu klassifizieren ist (Heckmann 2015).

Eine zentrale Frage lautet, inwieweit ethnische Diskriminierung und Rassismus die Arbeitsmarktintegration von Migranten erschweren. Zugleich erweist es sich wissenschaftlich als schwierig, Diskriminierungsprozesse aufzudecken und hinreichend zu belegen. Aktuelle Studien zeigen, dass biologistischer Rassismus in vielen Gesellschaften ersetzt wurde durch indirektere, subtilere Formen der ethnischen Diskriminierung. In diesen Fällen stufen die Akteure ihr Verhalten häufig selbst als rassistisch unproblematisch ein. In Europa spiegeln sich diese Formen ethnischer Diskriminierung insbesondere in der Haltung gegenüber Muslimen wider. Grundlage für ethnische Diskriminierung bilden ethnische Klassifizierungen, die zwischen dem „Wir/Uns“ und „den Anderen“ unterscheiden. Basierend auf kollektiven Gruppenidentitäten lassen sich infolgedessen Privilegierungen und Exklusionsprozesse legitimieren (Nohl et al. 2014).

Um strukturelle Diskriminierung von Migranten nachzuweisen, lassen sich zwei Ansätze unterscheiden. Quantitative Panel-Studien befassen sich zumeist mit der Frage, welche Unterschiede sich zwischen Migranten und der einheimischen Bevölkerung hinsichtlich bestimmter wichtiger arbeitsmarktstruktureller Merkmale (z. B. Einkommen, Arbeitslosigkeit etc.) zeigen und nehmen anschließend weitere wichtige Einflussfaktoren in den Fokus. Neben Panel-Studien gibt es eine Reihe experimenteller Studien, im Rahmen derer beispielsweise identische Jobbewerbungen von Migranten und Einheimischen versendet wurden. Dabei zeigte sich, dass Bewerber mit Migrationshintergrund allein aufgrund der Namensgebung deutlich seltener überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden (Nohl et al. 2014).

Hinsichtlich beider Ansätze lässt sich allerdings nicht abschließend klären, welches Gewicht migrationsspezifischen Faktoren, wie schwächer ausgeprägten Sprachkenntnissen oder Netzwerken, im Vergleich zu Diskriminierungsprozessen einzuräumen ist. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass insbesondere Migranten der zweiten Generation eine zentrale Zielgruppe der Untersuchungen über Diskriminierung darstellen können, da die genannten migrationsspezifischen Faktoren für diese Gruppe in den meisten Fällen keine Rolle spielen (Nohl et al. 2014).

Bedeutend einfacher als strukturelle Diskriminierung lassen sich Fälle subjektiv empfundener Diskriminierung im Wege einer Erhebung ermitteln. Dabei ist zunächst zu unterscheiden zwischen einer als generell wahrgenommenen Diskriminierung und einer persönlichen Diskriminierungserfahrung. Subjektive Diskriminierung kann dabei stets einen Indikator für das Vorliegen tatsächlicher Diskriminierung darstellen. Dennoch sollte man bei der Interpretation subjektiv empfundener Diskriminierung berücksichtigen, dass auch persönlicher Misserfolg, Unzufriedenheit und Frustration dazu führen können, dass sich des Vorwurfs subjektiver Diskriminierung als opportunes Argumentationsmuster bedient wird (Heckmann 2015).

Im Rahmen der Studie und im Hinblick auf die statistische Datenlage lassen sich durchaus Tendenzen und Hypothesen zur strukturellen Benachteiligung von Migrantengruppen beim Zugang zum Professorenberuf ausmachen. Allerdings müssten für einen wissenschaftlichen Nachweis systematisch die Bildungs- und Berufsübergänge von Migranten untersucht werden, was aufgrund der Zu- und Abwanderungsbewegungen für die Gruppe der Migranten eine besondere Herausforderung darstellt. Daher konzentriert sich die empirische Analyse auf subjektive Diskriminierungserfahrungen von Professoren mit Migrationshintergrund. Im Zuge der zunehmenden Internationalisierung der Hochschulen ist anzunehmen, dass eine Zuwanderungsbiographie in Auswahlverfahren auch einen Wettbewerbsvorteil darstellen kann. Ziel der empirischen Analyse ist es, zu untersuchen, welchen Einfluss Faktoren wie nationale und ethnische Herkunft, Geschlecht und Religion auf subjektiv wahrgenommene Vor- und Nachteile der Professoren mit Migrationshintergrund ausüben. Zudem wurden die Teilnehmer der Studie gebeten, Erfahrungsbeispiele zu schildern, die inhaltsanalytisch ausgewertet wurden (vgl. Abschnitt 6.9). Die Theorie des kulturellen Kapitals wird hinsichtlich der regionalen und sozialen Herkunft der Professoren mit Migrationshintergrund als Erklärungsansatz herangezogen (vgl. Abschnitt 7.4).

3.3 Theorien über die Internationalisierung der Hochschulen

Der dritte Theorieteil dieser Arbeit widmet sich Theorien zur Internationalisierung der Hochschulen. Im ersten Schritt geht es dabei um die historische Entwicklung der Internationalisierung der Hochschulen, bevor im zweiten Schritt anhand unterschiedlicher definitorischer Zugänge eine Systematisierung der Internationalisierungsprozesse vorgenommen wird. Dabei werden auch Motive und Hintergründe von Internationalisierungsprozessen im Hochschulwesen in den Blick genommen.

3.3.1 Historische Entwicklung der Internationalisierung der Hochschulen

Die Internationalisierung der Hochschulen ist eines der zentralen Themen, vielleicht das bedeutendste Thema weltweit, im Bereich der Hochschulentwicklung (Enders 2004, S. 2; Teichler 2007, S. 9). Um sich der Frage nach Konzept und Diskurs hinsichtlich der Internationalisierung von Hochschulen zu nähern, soll kurz die historische Entwicklung des Phänomens skizziert werden. Erste Formen von Internationalisierungsprozessen lassen sich bereits in der Antike beobachten. So kamen zwischen dem neunten und siebten Jahrhundert vor Christus Studierende aus allen Teilen Asiens und des Mittleren Ostens an die ersten wissenschaftlichen Akademien in Pakistan, Indien, Ägypten, China und Persien. Auch den Sophisten der griechischen Antike im fünften Jahrhundert vor Christus wird rückblickend die Rolle „reisender Gelehrter“ zugeschrieben, die aus allen Teilen der griechischsprachigen Welt kamen und für die Bildung der Söhne der Wohlhabenden bezahlt wurden (Britez und Peters 2010).

Zur historischen Analyse der Internationalisierung der Hochschulen werden in Anlehnung an die Forschungserkenntnisse von Kerr (1990) und Knight und De Wit (1995) im Folgenden drei Phasen von der historischen Entstehung der Universitäten im Mittelalter bis hin zur heutigen Zeit kurz dargestellt:

  • Internationalisierung der Hochschulen während des Mittelalters und der Renaissance

  • Internationalisierung der Hochschulen zwischen dem 18. Jahrhundert und dem Zweiten Weltkrieg

  • Internationalisierung der Hochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 1990er-Jahre

An den Universitäten des Mittelalters zeigten sich Entwicklungen, die Parallelen zu den gegenwärtigen Internationalisierungsprozessen aufweisen. So wurde etwa im 13. Jahrhundert Universitätsgelehrten durch Papst Gregor IX. für das Versprechen der Folgsamkeit das Recht verliehen, überall in der christlichen Welt sowie in sämtlichen Fachrichtungen unterrichten und lehren zu dürfen. Darüber hinaus kam es im 13. und 14. Jahrhundert zu einer Reihe von Aufständen und Unruhen Infolge des sogenannten Abendländischen Schismas, einer zweiteiligen Glaubensspaltung der lateinischen Kirche, war die Gründung von Universitäten nunmehr mit einer geringeren Zahl politischer Auflagen verbunden. Im Zuge dessen entstanden unter anderem die ersten Universitäten in Deutschland. Zugleich kam es in der Folgezeit zu großen Migrationsbewegungen von Studierenden und Lehrenden der „alten“ Universitäten in Richtung der neu entstehenden Institutionen. Es kam zu einer vermehrten Gründung regionaler Universitäten im 14. und 15. Jahrhundert, die alle in Latein unterrichteten. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Zusammenhang die Gruppe der „fahrenden Gelehrten“, der sogenannten peregrinatio academica, die an mehreren Universitäten lehrten (Welch 1997). Die Stellung Lateins als lingua franca und die Entwicklung einheitlicher Studienprogramme und -abschlüsse begünstigten zugleich die Mobilität der Studierenden. Diese Form internationaler Mobilität war in erster Linie Gelehrten aus elitären Kreisen vorbehalten, die ihr Wissen und ihre Erfahrung später in hochrangigen Positionen weitergaben (Knight und De Wit 1995). Aufgrund der unzureichenden statistischen Datenlage zu dieser Zeit ist schwer zu beziffern, wie groß die Zahl der international mobilen Studierenden tatsächlich war. Während zum Teil von einer „insignificant number of migrant students“ die Rede ist (vgl. Knight und De Wit 1995, S. 7), beläuft sich der Anteil international mobiler Studierender in anderen Schätzungen auf fast 10 %, was der heutigen Zielmarke des Europäischen Hochschulraums entspricht (Neave 2002, S. 184).

Die Entwicklung des Hochschulwesens vom 18. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg hängt unmittelbar mit der zunehmenden Bedeutung der Nationalstaaten zusammen. In dieser Zeit zeichnet sich das Hochschulwesen in besonderem Maße durch eine Orientierung an nationalstaatlichen Interessen aus (Kerr 1990, S. 8; Knight und De Wit 1995, S. 8). Im Hinblick auf die Internationalisierung der Hochschulen während dieser Zeit heben Knight und De Wit (1995) drei zentrale Strukturmerkmale hervor. Erstens war diese Zeit durch den Export von Hochschulsystemen von den Kolonialmächten in die jeweiligen Kolonien geprägt. Das Hochschulwesen Lateinamerikas wurde und ist in vielerlei Hinsicht noch immer geprägt durch das Hochschulwesen der Iberischen Halbinsel. Das Hochschulsystem Indiens und vieler weiterer Länder Asiens, Afrikas, der Karibik und Nordamerikas entstand nach dem Vorbild des britischen Hochschulmodells. Entsprechendes gilt für die ehemaligen Kolonien Frankreichs. Zweitens fand trotz der vorwiegenden Berücksichtigung nationaler Belange bereits damals in gewissem Rahmen eine Form internationalen Forschungsaustauschs statt. Internationale Publikationen, der Austausch von Ideen und Informationen sowie internationale Seminare und Konferenzen waren auch zu dieser Zeit, wenngleich auch in deutlich geringerem Maße als heutzutage, Bestandteil des Hochschulwesens. Drittens war auch bereits zu dieser Zeit eine internationale Mobilität von Studierenden zu verzeichnen. Allerdings erweist sich auch hinsichtlich dieser Frage die statistische Datenlage als unzureichend. Vermutlich beschränkte sich die internationale Mobilität jedoch weitgehend auf eine kleine elitäre Gruppe von Studierenden, die für das Studium an hoch renommierte Universitäten migrierten.

Der Zweite Weltkrieg veränderte die internationale Hochschullandschaft grundlegend. Die Bestrebungen der beiden Großmächte Sowjetunion und USA beschränkten sich in erster Linie darauf, durch internationalen Wissensaustausch und entsprechende Kooperationen ihre globalen Einflusssphären zu erweitern. Die europäische Hochschullandschaft zeigte sich durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges stark beeinträchtigt. Viele Wissenschaftler zählten zu den Kriegsopfern oder waren zu großen Teilen nach Kanada, Australien oder in die USA emigriert. Auch darin kann eine Ursache für die Vormachtstellung der USA innerhalb der internationalen Hochschullandschaft liegen, die sich in dieser Zeit herauszubilden begann. Innerhalb Europas sowie zwischen Ost- und Westblock fand indessen kaum internationaler Austausch zwischen den Hochschulen statt. Dies änderte sich allerdings grundlegend in den 1960er- und 1970er-Jahren. Das Ende der Kolonialzeit, die zunehmende Hochschulexpansion und eine veränderte öffentliche Wahrnehmung von Universitäten als wichtige Quelle von Humankapital führten zu großen Mobilitätsströmen von Studierenden aus den Entwicklungsländern im Süden in Richtung der Universitäten im Norden. Die UdSSR einerseits, aber auch die USA, Kanada, Australien und die Länder Westeuropas andererseits versuchten, ihre Einflusssphären durch große Investitionen in das Hochschulwesen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas zu erweitern.

Die Internationalisierungsstrategie bis Mitte der 1980er-Jahre war vor allem dadurch geprägt, dass Wissenschaftler und Investitionen in Regionen mit Entwicklungsbedarf gesandt und zugleich große Studierendenströme aus den entsprechenden Gebieten an die eigenen Universitäten geholt wurden. Einerseits führte dies zu einer Stärkung des internationalen Ideen- und Wissensaustausches. Andererseits hatte dies in vielen Staaten Lateinamerikas, Asiens und Afrikas gleichermaßen zur Folge, dass viele Hochqualifizierte ihrem Heimatland dauerhaft entzogen wurden (Brain Drain). In den 1980er-Jahren durchlief die internationale Hochschullandschaft erneut einen grundlegenden Wandel. Die historische Vormachtstellung der USA wurde durch die Stärkung des Hochschulwesens in Japan sowie den Ländern der Europäischen Gemeinschaft zunehmend in Frage gestellt. Ferner bedeutete das Ende des Kalten Krieges und der damit verbundene Zerfall der UdSSR zugleich auch das Ende einer bipolar geprägten Weltordnung (Knight und De Wit 1995).

Generell war die Folgezeit geprägt von einer starken Zunahme der internationalen Mobilität im Hochschulwesen. Zu Beginn der 1970er-Jahre studierte ca. eine halbe Million Menschen in einem anderen als ihrem Herkunftsland, Anfang der 1980er-Jahre lag die entsprechende Zahl bereits bei ca. einer Million und bis Mitte der 1990er-Jahre schon bei über 1,5 Millionen. Wenngleich die relativen Studierendenanteile im Zuge der Hochschulexpansion nur geringfügig anstiegen, so spiegelten sich in diesen Zahlen dennoch ein zunehmender globaler Austausch und eine fortschreitende Internationalisierung im Hochschulwesen wider. Zugleich zeigte sich ein grundlegender struktureller Wandel der internationalen Mobilität. Während die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wie zuvor beschrieben, zunächst durch eine vorwiegend vertikal verlaufende Süd-Nord-Migration von Studierenden aus Entwicklungsländern in Industrieländer geprägt war, findet seit Mitte der 1980er-Jahre in zunehmendem Maße eine stärker horizontal ausgerichtete internationale Mobilität innerhalb unterschiedlicher Industrieländer statt (Teichler 2007).

Der Begriff „Internationalisierung“ beinhaltet zunächst das lateinische Präfix „inter“, das sich als „zwischen“ übersetzen lässt. Der mittlere Wortteil „nation“ räumt indessen dem Nationalstaatsmodell gesonderte Bedeutung ein. Demzufolge lässt sich unter „Internationalisierung“ im reinen Wortsinn die Schaffung zwischenstaatlicher Beziehungen bzw. der Aufbau zwischenstaatlicher Kooperationen verstehen. Demgemäß kann es eine „Internationalisierung“ der Hochschulen im wörtlichen Sinne erst seit der Entstehung der Nationalstaaten geben (Huang 2014). Dies bedeutet allerdings nicht, dass es eine Überschreitung politischer und territorialer Grenzen im Hochschulwesen zuvor nicht gab. Es stellt sich vielmehr generell die Frage nach dem grundlegenden Verhältnis von universeller Bildung, Hochschulbildung, Wissenschaft und nationalstaatlichem Einfluss. Im Mittelpunkt des nachfolgenden Zitats von Knight und De Wit (1995) – unter Bezugnahme auf die Publikation von Kerr (1994) – steht die historische Entwicklung dieses Verhältnisses:

„Kerr describes the development of ‚partial reconvergence‘ of the cosmopolitan university. Until 500 years ago higher education could be typified by the ‚convergent‘ model of universal education. That model was replaced by a ‚divergence‘ model, in which ‚education, and higher education, not only came to serve the administrative and economic interests of the nation-state but became an essential aspect of the development of national identity‘. Now, we see the emergence of a partial reconvergence, what Kerr calls the ‚cosmopolitian-nation-state university‘, a result of the fact that ‚it has generally been to the advantage of nation-states to support the expansion of higher learning and its internationalization within and beyond their borders‘“ (Knight und De Wit 1995, S. 6).

Demzufolge wird der Nationalstaat als der zentrale Akteur verstanden, während das Hochschulwesen primär dem Zweck dient, die Funktionalität ebendieses Staates zu fördern. Zudem wird deutlich, dass erst durch die Entstehung von Nationalstaaten bestimmte territoriale Grenzen geschaffen wurden, die das Konzept universeller Bildung beschränken und die Entstehung divergenter Systeme in den unterschiedlichen Staaten begünstigen. So fragt zum Beispiel Teichler unter Verweis auf die hohe Studierendenmobilität im 17. Jahrhundert, ob es sich bei der gegenwärtigen Internationalisierung der Hochschulen nicht vielmehr um eine „Re-Internationalisierung“ handele (Teichler 2004, S. 8–9). Eine Gegenperspektive hierzu entwirft Enders. Auch er verweist auf den vielfältigen universellen Bildungsaustausch seit der Antike, vertritt allerdings zugleich den Standpunkt, dass die Universität der Gegenwart erst durch den Nationalstaat entstanden sei. Insoweit sei das komplexe reziproke Verhältnis zwischen Nationalstaat und Universität einerseits durch die Bedeutung der Universität für den Prozess des nation-buildings und andererseits durch die Förderung der Universität durch den Nationalstaat geprägt. Aus seiner Sicht habe die grundlegende Bezugnahme auf Wissenschaft und Technik an Universitäten erst im 19. und 20. Jahrhundert stattgefunden. Drei Viertel aller Universitäten wurden erst im 20. Jahrhundert gegründet und über die Hälfte von ihnen nicht vor 1945. Enders legt dar, dass die Steuerung und Finanzierung des Hochschulwesens, der Beitrag der Universität zur Kultur und die Ausbildung der Studierenden in erster Linie national organisiert und orientiert waren und es zu einem großen Teil bis heute noch sind (Enders 2004, S. 4–5). Bloch, Mitterle und Peter (2016) sprechen von einem paradoxen Status der Hochschulen zwischen Nation und Internationalität. Einerseits liege in der Nationalisierung der Wissenschaft eine zentrale Voraussetzung für die Institutionalisierung, den internationalen Austausch und länderübergreifende Kooperationen. Demzufolge verbleibt Hochschule organisational nationalstaatlich ausgerichtet. Andererseits führen grenzüberschreitende Angebote und Kooperationen dazu, dass auf der funktionalen und regulativen Ebene das Lokale und Nationale an Bedeutung verlieren.

Hinsichtlich der historischen Einordnung des Konzeptes der Internationalisierung der Hochschulen lassen sich zusammenfassend die nachfolgenden Erkenntnisse festhalten. Zentrale Merkmale, wie universelle Bildung und grenzüberschreitender Wissensaustausch, lassen sich seit der Antike beobachten. Seit der Gründung der ersten Universität in Bologna gegen Ende des 11. Jahrhunderts lässt sich auch ein grenzüberschreitender Austausch von Bildung und Wissen zwischen den unterschiedlichen Universitäten im Mittelalter und in der Renaissance beobachten. Die Annahme, dass dieser grenzüberschreitende Austausch bereits mit der heutigen Internationalisierung der Hochschulen vergleichbar sei, lässt sich jedoch aus zwei Gründen in Frage stellen. Zum einen muss berücksichtigt werden, dass das Hochschulwesen damals um ein Vielfaches kleiner war als heutzutage, sodass wissenschaftlicher Austausch und Migration zwischen Universitäten sich im Ergebnis weitgehend auf Einzelfälle beschränkten. Zum anderen lässt sich von einer Internationalisierung dem Wortsinn nach erst seit der Entstehung souveräner Nationalstaaten sprechen.

Die Entstehung des Nationalstaates stellt einen komplexen Prozess zwischen dem Mittelalter und dem 19. Jahrhundert dar (vgl. Anderson 2003). Im Hinblick auf die Entwicklung des Hochschulwesens im Kontext des Nationalstaatsmodells des 19. und 20. Jahrhundert lassen sich zwei zentrale Erkenntnisse festhalten. Erstens erlebte das Hochschulwesen seit dieser Zeit eine enorme Expansion, die in besonderem Maße seit den 1970er-Jahren augenscheinlich wird. Zweitens lässt sich, wenngleich es schon immer einen internationalen Austausch der Hochschulen gegeben hat, in erster Linie eine vorwiegend nationale Ausrichtung und Funktionalität des Hochschulwesens beobachten. Dies bedeutet, dass das heutige Konzept der Internationalisierung der Hochschulen in verschiedener Hinsicht etwas grundlegend Neues darstellt. Erstmals seit Entstehung des Nationalstaatsmodells wird auf globaler Ebene die Internationalisierung der Hochschulen als ein zentrales Ziel zur Weiterentwicklung des Hochschulwesens benannt. Zudem entsteht im Kontext der enormen weltweiten Hochschulexpansion der letzten Jahrzehnte in quantitativer Hinsicht, beispielsweise in Bezug auf die internationale Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern, eine noch nie dagewesene Form internationalen Austauschs.

3.3.2 Systematisierung der Internationalisierung der Hochschulen

Hinsichtlich der Internationalisierung der Hochschulen im 21. Jahrhundert verweisen Hahn und Teichler (2012) sowohl auf ein quantitatives Wachstum als auch auf eine Steigerung der Relevanz und identifizieren dabei die nachfolgenden zentralen Veränderungsprozesse. Zum einen lässt sich eine Ausweitung des Internationalisierungsprozesses beobachten, der neben physischer Mobilität auch Wissen, Bildung und Kommunikation auf internationaler Ebene in den Fokus rückt. Somit ist das Hochschulwesen zunehmend durch grenzüberschreitende Kommunikation und international vergleichende Analysen geprägt. Zum anderen zeige sich im Zuge der quantitativen Ausweitung internationaler Aktivitäten ein Wandel qualitativer Prozesse. Zu nennen ist dabei der Trend, dass Internationalisierung eine Zielsetzung fast aller Hochschulen geworden ist und sich nicht mehr exklusiv auf wenige Spitzenuniversitäten beschränkt. Zugleich lässt sich eine zunehmende Systematisierung internationaler Aktivitäten beobachten, die mehr und mehr zu einem konstitutiven Bestandteil des Hochschulalltags werden. Unter dem Stichwort internationalization mainstreaming etabliert sich Internationalisierung zunehmend als ein Querschnittsthema, hinsichtlich dessen alle zentralen Funktionsbereiche der Hochschule beleuchtet werden. Im Feld der der Lehre bedeutet dies, dass es weniger um die Ausbildung von Spezialisten für Internationales geht, als vielmehr darum, internationale Bildung zu einem Querschnittsthema sämtlicher Studiengänge zu machen.

Generell ist es wichtig, dabei festzuhalten, dass der Internationalisierung der Hochschulen je nach Land unterschiedliche politische, ökonomische, kulturelle und wissenschaftliche Schwerpunktsetzungen zugrunde liegen. In Deutschland gibt es traditionell eine sehr enge Kooperation und ausgeprägte Mobilität mit den Nachbarländern Österreich und dem deutschsprachigen Teil der Schweiz. Zugleich haben sich Kooperation und Mobilität auch in Bezug auf andere hochentwickelte Staaten stark im Hochschulwesen etabliert. Demgegenüber waren Beziehungen zu Entwicklungsländern historisch nur von geringer Bedeutung (Hahn und Teichler 2012).

Die Internationalisierung der Hochschulen wird sowohl durch den historischen, geographischen, kulturellen und linguistischen Kontext als auch durch organisationale Zielsetzungen der einzelnen Hochschulen beeinflusst. Seeber, Cattaneo, Huisman und Paleari (2016) zeigen auf der Grundlage des IAU-Surveys, der European Microdata Collection und des European Tertiary Education Register zeigen, dass der nationale Rahmen und die damit in Verbindung stehenden Ressourcen nur einen geringen Einfluss haben. Vielmehr sind Organisationsziele und individuelle Entscheidungen von Hochschulmitarbeitern von besonderer Relevanz für Internationalisierungsprozesse. Als das zentrale Motiv wird der Prestigegewinn durch Internationalisierung hervorgehoben (Seeber et al. 2016). Bloch, Mitterle und Peter (2016) verweisen ebenfalls darauf, dass Internationalität zunehmend zum Standortfaktor im globalen Wettbewerb wird. Dabei findet neben den zunehmenden Internationalisierungsprozessen in den Funktionsbereichen auch eine vertikale Differenzierung durch Internationalisierung statt. Auslandsmobilität, international renommierte Hochschullehrer und die Kooperationen mit internationalen Spitzenuniversitäten werden zu Ressourcen, mittels derer sich die eigene Sichtbarkeit erhöhen lässt. Internationalisierung wird somit auch zu einer Strategie, um sich im globalen Wettbewerb bestmöglich zu positionieren.

Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie sich Internationalisierung konkret definieren lässt. Generell zeigt sich eine Vielfalt an Definitionen und Abgrenzungen des Konzeptes. Jedoch gibt es zwei zentrale Systematisierungsansätze, die von einer Reihe von Autoren immer wieder aufgegriffen werden. Einen dieser Ansätze definiert Teichler in Anlehnung an die niederländische Hochschulforscherin Marijk van der Wende in Form der nachfolgenden Unterscheidung (vgl. auch Enders 2004, S. 2):

  1. 1.

    „Eine Zunahme spezifischer, sichtbarer grenzüberschreitender Aktivitäten, so z. B. studentische Mobilität, temporäre Wissenschaftlermobilität, Anstellung von Hochschullehrern ausländischer Nationalität, Lehren und Lernen von Fremdsprachen, international kooperative Forschungsaktivitäten und die Etablierung von Studienfächern, die ganz auf die Erkundung fremder Kulturen und Gesellschaften gerichtet sind (…).

  2. 2.

    Ein Trend zur Universalisierung, Globalisierung, Internationalisierung oder auch Regionalisierung – gemeint sind dabei größere nationenübergreifende Regionen wie Europa – der Substanz und der Funktion des Hochschulwesens. Die Europäische Kommission spricht im Kontext des Erasmus- bzw. Sokrates-Programms von der „Europäischen Dimension“ der Hochschulen, Studienangebote u. Ä., wenn sie diesen Trend anspricht, der nicht notwendigerweise mit grenzüberschreitenden Aktivitäten verbunden ist (…)“ (Teichler 2007, S. 25).

Neben dieser Unterscheidung des Internationalisierungskonzeptes zwischen zunehmenden grenzüberschreitenden Aktivitäten einerseits und vermehrt nationenübergreifenden Funktionsweisen andererseits ermöglicht die nachfolgende, vermutlich meistzitierte Definition von Jane Knight, die stärker aus der Perspektive der Institution Hochschule formuliert wurde, eine differenzierte Bestimmung des Konzeptes, die auch dieser Forschungsarbeit zugrunde gelegt wird:

„Internationalization at the national, sector, and institutional levels is defined as the process of integrating an international, intercultural, or global dimension into the purpose, functions or delivery of postsecondary education“ (Knight 2004, S. 11).

Knight erläutert dabei die unterschiedlichen Termini und Konzepte. Die gezielte Verwendung des Begriffs „process“ verdeutlicht, dass Internationalisierung einen andauernden und kontinuierlichen Vorgang darstellt. Dabei betont sie explizit, dass Internationalisierung nicht anhand einfacher Input- und Output-Indikatoren gemessen werden könne, sondern auch immer die Interessen unterschiedlicher Akteursgruppen reflektieren müsse. Die „international, intercultural and global dimension“ umfasst aus ihrer Sicht die gesamte Bandbreite der Internationalisierung, wobei die einzelnen Dimensionen sich gegenseitig beeinflussen. Während die internationale Dimension die Beziehungen von Staaten, Kulturen und Ländern in den Fokus nimmt, geht es bei „diversity“ explizit um die kulturelle Vielfalt innerhalb von Ländern, Gemeinschaften und Institutionen, also im Besonderen um den Aspekt der „internationalization at home“. Die globale Dimension steht für das weltweite Ausmaß der Internationalisierung. „Integrating“ steht für die Einbettung der genannten Dimensionen in Programme und Politik und verdeutlicht ein Verständnis von Internationalisierung als nachhaltig etabliertes Konzept. Während „purpose“ für die Zielsetzung der einzelnen Institution steht, verweist „function“ auf die drei zentralen Funktionsbereiche der Hochschule Studium/Lehre, Forschung und third missionFootnote 3. „Delivery“ steht schließlich für die Konzipierung neuer Kurse und Programme sowohl in nationaler als auch in internationaler Hinsicht (Knight 2004, S. 11–12).

Die empirischen Analysen in der vorliegenden Arbeit beziehen sich in vielfacher Weise auf unterschiedliche Felder der Internationalisierung der Hochschulen. Dabei geht es sowohl um konkrete Formen und Motive der internationalen Mobilität bei Professoren als auch um die Frage, in welcher Form die Professoren internationale und interkulturelle „Dimensionen“ in die Hochschule einbringen.

Auf der ersten Ebene lässt sich nach der Systematisierung von Teichler (2015) in Anlehnung an Van der Wende die vorliegende Arbeit über Professoren mit Migrationshintergrund im Feld der spezifisch, sichtbaren grenzüberschreitenden Aktivitäten verorten. Im Rahmen der Analyse werden sowohl Motive für die Migration nach Deutschland näher herausgearbeitet als auch mögliche Gründe und Motive in Deutschland zu bleiben bzw. Deutschland (wieder)Footnote 4 zu verlassen (vgl. Abschnitt 6.7). Zudem werden die unterschiedlichen internationalen Bildung- und Berufsverläufe der Professoren mit Migrationshintergrund detailliert nachgezeichnet (vgl. Abschnitt 6.2).

Auf der zweiten Ebene werden in Anlehnung an die Definition von Knight (2004) unterschiedliche internationale und interkulturelle Aktivitäten, die Professoren mit Migrationshintergrund an der Hochschule einbringen, untersucht und dabei hochschul- und fächerspezifische sowie migrationsspezifischeFootnote 5 Unterschiede herausgearbeitet. Zudem wird analysiert, welche Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen internationalen und interkulturellen Dimensionen bestehen (vgl. Abschnitt 6.6).

3.4 Theorien über die akademische Profession im Kontext von Internationalisierung und Globalisierung

Um die Frage zu diskutieren, welchen Einfluss migrantische und internationale Wissenschaftler auf grenzüberschreitende Prozesse an Hochschulen und auf die Entwicklung von Hochschulen und Wissenschaft generell haben, ist es zunächst wichtig, explizit zu erläutern, wie sich Internationalisierung und Globalisierung in diesem Zusammenhang unterscheiden.

Internationalisierung lässt sich als eine Form von Innovations- und Wissenstransfer verstehen. Zugleich kann dadurch das kulturelle und intellektuelle Kapital gestärkt werden. Die zunehmende Globalisierung führt dabei dazu, dass Prozesse der Internationalisierung an Hochschulen einen immer größeren Stellenwert einnehmen (Wolter 2019). Hahn und Teichler (2012) beschreiben das Verhältnis von Internationalisierung und Globalisierung wie folgt: Internationalisierung lässt sich als eine Zunahme des Grenzüberschreitenden verstehen, wobei die Struktur nationaler Hochschulsysteme bestehen bleibt. Physische Mobilität und klassische Hochschulkooperation stehen zumeist im Mittelpunkt. Demgegenüber wird unter Globalisierung verstanden, dass aufgrund einer Zunahme grenzüberschreitender Aktivitäten die Grenzen nationaler Hochschulsysteme an Relevanz verlieren.

Ein grundlegender Unterschied der beiden Konzepte lässt sich somit hinsichtlich der unterschiedlichen Kontrollmöglichkeiten feststellen. Während die Internationalisierung der Hochschulen als eine gezielte Strategie von Gesellschaften und Institutionen zu verstehen ist, entzieht sich Globalisierung der direkten Kontrollmöglichkeit einzelner Akteure (Altbach et al. 2009, S. 23). Zugleich wird Globalisierung im Hochschulwesen häufig im Kontext des weltweiten Wettbewerbs in der Wissenschaft und im Zusammenhang mit einer stärkeren Kommerzialisierung internationaler Aktivitäten der Hochschulen, insbesondere hinsichtlich transnationaler Studienangebote, thematisiert. Der Begriff der Europäisierung des Hochschulwesens nimmt indessen die Frage in den Blick, wie die genannten Aspekte der Internationalisierung und Globalisierung innerhalb des regionalen Schwerpunktes Europa umgesetzt werden (Hahn und Teichler 2012, S. 459–460; vgl. auch Marginson und van der Wende 2007). Daneben hat sich in den letzten Jahren auch der Begriff der Transnationalisierung etabliert. Pries versteht unter Transnationalisierung „grenzüberschreitende Phänomene, die – lokal verankert in verschiedenen Nationalgesellschaften – relativ dauerhafte und dichte soziale Beziehungen, soziale Netzwerke oder Sozialräume konstituieren“ (Pries 2010, S. 13). Ausgehend von der Frage der Kontrolle lässt sich festhalten, dass die Globalisierung einen enormen Einfluss auf das weltweite Hochschulwesen genommen hat. Internationalisierung lässt sich insofern auch als Antwort begreifen, um Prozessen der Globalisierung steuernde Elemente entgegenzusetzen. Der Umgang mit Globalisierung bietet in diesem Zusammenhang sowohl Chancen als auch Risiken. Zu den Chancen zählen die neuen Möglichkeiten für grenzüberschreitende Hochschulbildung vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Mobilität und der schnell voranschreitenden Weiterentwicklung von Informationstechnologien. Online- und Blended-Learning-Formate bieten neue Möglichkeiten der Hochschulbildung auch für Menschen in abgelegenen Regionen. Die weltweite Vernetzung über Informationstechnologien ermöglicht im Feld der Forschung den Zugang zu internationalen Forschungserkenntnissen in einem historisch neuen Ausmaß. Zugleich vereinfachen sich auch Formen des grenzüberschreitenden kollaborativen wissenschaftlichen Arbeitens. Demgegenüber besteht eines der größten Risiken darin, dass sich die bestehenden großen, weltweiten Ungleichheiten weiter verschärfen werden. Wirtschaftlich hochentwickelte Staaten speziell im englischsprachigen Raum dominieren zurzeit die Gestaltung wissenschaftlicher Agenden und Publikationen. Internationale Eliteuniversitäten bestimmen die Standards für Förderungen, Hochschulsteuerung und Lehr- und Lernkonzepte. Zugleich haben diese Universitäten einen Vorteil hinsichtlich des Budgets, der Ressourcen und Experten, den andere Hochschulen, insbesondere in weniger entwickelten Staaten, nicht nur in absehbarer Zeit nicht aufholen werden können, sondern der sich möglicherweise durch Prozesse der Globalisierung noch weiter verstärkt (Altbach et al. 2009, S. 29–32). Vielleicht der wichtigste Aspekt hinsichtlich der globalen Ungleichheit ist die Frage des Brain Gain. Wenngleich sich durchaus argumentieren lässt, dass Wissenschaftler zunehmend Kontakte und Kooperation zum Herkunftsland aufrechterhalten, so entsteht dennoch für das Herkunftsland im globalen Wettbewerb insgesamt ein großer Nachteil, wenn hochqualifizierte Wissenschaftler und Fachkräfte im Ausland verbleiben. Altbach (2013, S. 41–45) kritisiert in diesem Zusammenhang sehr deutlich, dass zwar einerseits auf der Ebene der Vereinten Nationen wie bei den Millennium Development Goals Zielsetzungen zur Armutsbekämpfung und Wirtschaftsförderung in Entwicklungsländern getroffen werden, andererseits bei dem globalen Wettbewerb um die „besten Köpfe“ und um hohe Bleibequoten von internationalen Studierenden es wohlhabenden Staaten – auch bei der politischen Ausgestaltung – ausschließlich darum geht, eine größtmögliche Anzahl der „besten Köpfe“ im eigenen Land zu halten, ohne dabei globale Ungleichheitsstrukturen zu berücksichtigen.

Eine weitere Differenzierung lässt sich zwischen Internationalization at home und Internationalization abroad vornehmen. Der erste bezieht sich auf die Internationalisierung vor Ort an der eigenen Hochschule und umfasst bspw. Aspekte wie die Etablierung globaler und international-vergleichender Perspektiven im Curriculum oder die Rekrutierung und Integration internationaler Studierender und Wissenschaftler. Bei der Internationalization abroad geht es stärker darum, internationale Kontakte, Netzwerke und Kooperationen durch unterschiedliche Hochschulakteure aufzubauen (Altbach et al. 2009, S. 24). Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit wird der Beitrag von Professoren mit Migrationshintergrund für beide Aspekte der Internationalisierung untersucht (vgl. Abschnitt 6.6).

Im Folgenden wird zunächst generell der Zusammenhang zwischen akademischer Profession und Internationalisierung in den Blick genommen. Im zweiten Schritt geht es dann konkret um Theorien über Potentiale migrantischer und internationaler Wissenschaftler.

3.4.1 Zusammenhang zwischen akademischer Profession und der Internationalisierung der Hochschulen

Ramirez und Meyer (2013) verweisen darauf, dass in der globalen Wissensgesellschaft das Hochschulwesen eine Schlüsselfunktion für gesellschaftlichen Fortschritt einnimmt. Die voranschreitende Globalisierung in kultureller, politischer und besonders ökonomischer Sicht führt dazu, dass Fortschritt globalen und nicht nur nationalen Maßstäben entsprechen muss. Damit einher geht weltweit eine enorme Expansion des Wissenschaftssystems, insbesondere im natur- und sozialwissenschaftlichen Feld. Dementsprechend sind Universitäten nicht mehr nur Orte der wissenschaftlichen Autorität, sondern zunehmend Gestalter der Rationalität und Funktionalität der Gesellschaft. Zugleich haben das Individuum und individuelle Entscheidungen in den letzten Jahrzehnten enorm an Bedeutung gewonnen, was sich sowohl im Humankapitalansatz als auch im Menschenrechtsdiskurs widerspiegelt. Hochqualifizierte Personen sind die zentralen Akteure der globalen Gesellschaft für Wohlstand und Fortschritt. Das Hochschulwesen und der Professorenberuf haben dabei in zweifacher Hinsicht eine wichtige Funktion. Im Feld der Forschung tragen sie unmittelbar zum Fortschritt und zur Weiterentwicklung der Wissensgesellschaft bei. Im Bereich der Lehre geht es um die Bildung der Akteure und Individuen, die in Zukunft die Wissensgesellschaft gestalten werden.

Wissenschaftler an Hochschulen sind Schlüsselfiguren für den globalen Wissenstransfer und die Entstehung von Innovation und Wissen an Hochschulen. Dabei nehmen insbesondere neue Perspektiven und Erfahrungen aufgrund von Migration und Mobilität einen besonderen Stellenwert ein (Fernandez-Zubieta et. al 2015, Kim 2017). Hamann und Zimmer (2017) untersuchten für Deutschland, das Vereinigte Königreich und die USA die Frage, wie sich im Nachruf von Wissenschaftlern, die zwischen 1960 und 2010 verstorben sind, die Darstellung der Internationalität verändert hat. Es wird sichtbar, dass disziplinübergreifend die Würdigung der Internationalität im Laufe der Zeit deutlich zugenommen hat. Hinsichtlich der drei ausgewählten Disziplinen lässt sich in der Physik die stärkste Betonung der Internationalität zu feststellen, vor der Soziologie und den Geschichtswissenschaften.

Wissenschaft und Wissenschaftler-Communities haben schon immer nationale und kulturelle Grenzen überschritten. Dennoch zeigt sich insbesondere in der Europäischen Union eine enorme Dynamisierung dieser Prozesse. Internationalität wird zunehmend als Qualitätskriterium und strukturelle Notwendigkeit von Wissenschaftlerkarrieren betrachtet. Exzellenzinitiativen auf nationaler und supranationaler Ebene verfolgen die strategische Förderung von internationaler Mobilität und Migration in der Wissenschaft und im Hochschulwesen (Kim 2017). Postiglione und Altbach (2015) bezeichnen Professoren als die zentrale Akteursgruppe für die Internationalisierung der Hochschulen. Vor dem Hintergrund des beschriebenen internationalization mainstream (vgl. Abschnitt 3.3) wird ersichtlich, dass Internationalisierung nicht nur einzelne Wissenschaftler betrifft, sondern die wissenschaftliche Tätigkeit in allen Bereichen. Dabei entsteht ein reziprokes Verhältnis zwischen Wissenschaftlern und Internationalisierung. Einerseits gestalten Wissenschaftler internationale Prozesse an Hochschulen, andererseits verändert die fortschreitende Internationalisierung zugleich auch die Anforderungen und den Arbeitsalltag von Wissenschaftlern (Proctor 2017).

Scott (2015) unterscheidet drei Felder der Internationalisierung der Hochschulen im Kontext internationaler Wissenschaftlermobilität. Erstens gehöre dazu the growth of international education. Insgesamt gab es nach OECD-Statistiken 4,3 Millionen internationale Studierende im Jahr 2011, womit sich die Zahl seit dem Jahr 2000 verdoppelt hat. Diese Zunahme wirkt sich in zweifacher Hinsicht auf die internationale Rekrutierung von Wissenschaftlern aus. Erstens haben sich durch den institutionellen Wandel im Zuge der Zunahme internationaler Studierender auch die Möglichkeiten hinsichtlich der Einstellung internationaler Wissenschaftler vereinfacht, da institutionell die Teilhabe internationaler Akteure stärker im Hochschulwesen etabliert wurde. Zweitens werden viele internationale Studierende sowie insbesondere Promovierende als Nachwuchswissenschaftler tätig und durchlaufen zum Teil die wissenschaftliche Laufbahn bis zur Professur. Ein zweites Feld liegt laut Scott (2015) im Bereich transnational education. Beispielhaft verweist er dabei auf länderübergreifende Kooperationen von Hochschulen, die Etablierung von branch campuses, also Nebenstandorten von Hochschulen im Ausland, oder auch die weltweite Verbreitung von Massive Open Online Courses. Drittens betont Scott die Zunahme globaler Hochschulrankings. Trotz vielfältiger Zweifel und vermehrter Kritik am weltweiten Hochschulranking zeigt sich sehr wohl, dass das Ziel, nationale Universitäten erfolgreich in internationalen Hochschulrankings zu platzieren, sich unmittelbar in der nationalen Gesetzgebung widerspiegelt. Da ein Indikator internationaler Rankingverfahren im Anteil internationaler Wissenschaftler liegt, verstärken diese den Anreiz zur Rekrutierung internationalen Personals. Zugleich entsteht ein deutlicher Vorteil für Länder, in denen Englisch als Sprache an Hochschulen dominiert, gegenüber minority language countries (Scott 2015, 61–64).

Nicht nur Hochschulrankings, sondern auch große nationale Fördermaßnahmen, wie das Research Excellence Framework im Vereinigten Königreich oder die Exzellenzinitiative in Deutschland, betonen als strategisches Ziel die Förderung internationaler akademischer Migration. Auch die Europäische Union hat akademische Mobilität in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gefördert und betont die Relevanz für den Wettbewerb auf dem globalen Arbeitsmarkt. Zugleich ist internationale Mobilität und Erfahrung zu einem zentralen Kriterium geworden bei der Beurteilung akademischer Karriereverläufe. Vor dem Hintergrund lassen sich speziell bei jungen Wissenschaftlern und Postdocs strategische Entscheidungen für internationale Mobilität beobachten, um die Karriereaussichten zu verbessern (Kim 2017). Dabei werden Schwierigkeiten, wie eine mangelnde Integration migrantischer Wissenschaftler oder Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und internationaler Mobilität, insbesondere für Frauen, häufig kaum thematisiert (Bauder 2015).

Huang (2014) unterscheidet fünf Felder der Internationalisierung, die unmittelbar mit der akademischen Profession zusammenhängen:

  • “Academic Mobility: mobility flows and statistics, impact of mobility on careers, vertical and horizontal mobility and virtual mobility with the help of information and communication technology (ICT),

  • Internationalization of the substance of teaching, learning and research, that is the internationalization of the main academic activities: internationalization of curricula, internationalization at home, the role of foreign-language knowledge, and teaching in a foreign language,

  • Institutional strategies of internationalization: networks and partnerships (i.e. the role played by academics in establishing these networks and partnerships)

  • Knowledge transfer: the contribution of research to increasingly international system of innovation and mobility of programs rather than students,

  • Cooperation and competition: networks and strategic alliances, brain gain, brain drain and brain circulation” (Huang 2014, S. 4).

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stehen insbesondere die ersten beiden Aspekte im Vordergrund. Es wird sowohl der internationale Verlauf der Bildungs- und Berufsverläufe detailliert nachgezeichnet (vgl. Abschnitt 6.2) als auch der Grad der Internationalität über ein differenziertes Indexmodell näher beleuchtet (vgl. Abschnitt 6.6.1). Der Beitrag von Professoren mit Migrationshintergrund zum zweiten Aspekt “Internationalization of the substance of teaching, learning and research” wird anhand internationaler Publikationen, der Lehre und Forschung in nichtdeutschen Sprachen und über interkulturelle Aktivitäten systematisch analysiert (vgl. Abschnitt 6.6.2). Zudem lassen sich Hinweise auf die Frage finden, inwieweit Professoren mit Migrationshintergrund einen Beitrag zu „Institutional Strategies of Internationalization“ leisten, indem berufliche Auslandsaktivitäten wie Hochschulkooperationen und Forschungsaufenthalte näher betrachtet werden (vgl. Abschnitt 6.6.3).

3.4.2 Theorien über Potentiale migrantischer und internationaler Wissenschaftler

Oltmer (2016) beschreibt die Wanderungen von Wissenschaftlern als einen zentralen Aspekt für die Herausbildung moderner Wissensgesellschaften. Migrantische und internationale Wissenschaftler bilden einen zunehmend wichtigen Teil des globalen Wissenschaftssystems, indem sie einen besonderen Einfluss haben auf Diversität, neue Perspektiven und Kompetenzen im Hochschulwesen (Altbach und Yudkevich 2017, S. 13).

Die besondere Relevanz der Gruppe entsteht dadurch, dass sie häufig Erfahrungen aus Hochschulsystemen anderer Länder mitbringen und somit auch neue Paradigmen in Forschung und Lehre setzen können. Vor diesem Hintergrund können sie möglicherweise auch institutionelle Prozesse und Innovationen vorantreiben (Altbach und Yudkevich 2017, S. 5). Teichler (2007) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Reformprozesse sich in ihrer Legitimation häufig auf Prozesse im Ausland beziehen (vgl. auch Waldow 2010). Während es außer Frage steht, dass migrantische und internationale Wissenschaftler zentraler Bestandteil des globalen Wissenschaftssystems sind, zeigt sich dennoch eine Vielzahl von praktischen Herausforderungen bei der internationalen Rekrutierung. Nationale Gesetzgebungen, wie beispielsweise die Vorrangprüfung für Einheimische in vielen Ländern oder bürokratische Hürden, erschweren häufig die Einstellung im Hochschulwesen. Dennoch lässt sich global gesehen durchaus eine Tendenz beobachten, dass das Potential internationaler Wissenschaftler erkannt und auch versucht wird, eine stärkere Willkommenskultur zu etablieren (Altbach und Yudkevich 2017).

Hinsichtlich Forschung und Lehre spielen migrantische und internationale Wissenschaftler eine zentrale Rolle. Lange Zeit wurde insbesondere der Aspekt der Lehre hervorgehoben, in den letzten Jahren rückt zunehmend aber auch die Forschung in den Fokus. In der Lehre soll die Gruppe internationale und innovative Impulse in Lehrveranstaltungen und in die Entwicklung der Curricula einbringen. Die Vermittlung der internationalen Erfahrung soll zudem die Vorbereitung der Studierenden auf einen globalen Arbeitsmarkt unterstützen. Eine besondere Rolle spielen im deutschen Hochschulwesen fremdsprachige, insbesondere englischsprachige Lehrveranstaltungen. Das Potential im Bereich der Forschung liegt unter anderem in der Publikation in renommierten internationalen Zeitschriften. Hier können die Wissenschaftler möglicherweise Impulse auch über internationale Netzwerke setzen, so dass sich Forschungsbereiche an Hochschulen stärker international ausrichten. Dabei können die Wissenschaftler ihre Publikationserfahrungen in internationalen Journals sowohl als Mentor als auch als Koautor mit „lokalen“ Wissenschaftlern einbringen. Durch internationale Publikationen kann Forschung in Deutschland für eine größere Zahl an Menschen sichtbar werden, höhere Zitationen erreichen und generell eine höhere Relevanz und Aufmerksamkeit erhalten (Fernandez-Zubieta et. al 2015, Altbach und Yudkevich 2017).

Graumann (2016) beschreibt als besonderes Potential internationaler Wissenschaftlermobilität das Entstehen eines Verfremdungseffektes. Durch den Vergleich erscheine Vertrautes in einem anderen Licht. Es gehe dabei weniger darum, dass internationale Wissenschaftler unmittelbar Aspekte aus dem Ausland übernehmen, sondern dass die Konfrontation mit anderen Ideen, Gedanken, Vorstellungen und Auffassungen ihrerseits etwas Neues – im besten Fall eine neue Qualität – hervorbringt“ (Graumann 2016, S. 22). Kim (2017) betont, dass für transnational mobile Wissenschaftler ihre Differenz zu lokalen Wissenschaftlern einen Wettbewerbsvorteil darstellt. In Anlehnung an das Konzept des Fremden bei Simmel besteht das besondere Potential der Gruppe darin, eine größere Objektivität herzustellen, die auf einer spezifischen Kapitalform basiert. Demnach bilden erfolgreiche internationale Wissenschaftler ein transnational identity capital. In Abgrenzung zu den zuvor genannten konkreten Potentialen geht es bei dieser Form des Kapitals um implizites, verkörpertes und interkulturelles Wissen. Kompetenzen im Umgang mit Differenz und Andersartigkeit befördern einen Habitus, der sich stärker von nationalen territorialen Grenzen löst. Das Kapital lässt sich auch als eine kosmopolitische Position beschreiben, die es ermöglicht, eine Vielzahl von sozialen Beziehungen in unterschiedlichsten ethnischen und nationalen Gruppen aufzubauen. Wichtig ist allerdings, dabei zu berücksichtigen, dass die Relevanz des transnational identity capital nicht ortsunabhängig ist, sondern in hohem Maße davon abhängt, inwieweit im jeweiligen nationalen Hochschulsystem diese Form des Kapitals anerkannt wird.

Ein weiteres Potential der Gruppe bezieht sich nicht unmittelbar auf den Beitrag für das Hochschulwesen im Ankunftsland, sondern auf das jeweilige Herkunftsland oder möglicherweise auch andere Staaten, in denen migrantische und internationale Wissenschaftler zeitweise gelebt und gearbeitet haben. Ausgehend vom Ansatz der Brain Circulation (vgl. Abschnitt 3.2.1.5) lässt sich auf der Grundlage von Studien (vgl. Fernandez-Zubieta et. al 2015, Baruffaldi und Landoni 2012) beobachten, dass eine große Zahl der Wissenschaftler weiterhin berufliche Kontakte und Kooperationen im Herkunftsland aufrechterhält. Die daraus entstehenden Publikationen erreichen häufig eine hohe wissenschaftliche Produktivität und Aufmerksamkeit in der internationalen Wissenschaftscommunity. Baruffaldi und Landoni (2012) verweisen darauf, dass Personen, die wissenschaftliche Kollaborationen mit Wissenschaftlern aus dem Herkunftsland durchführen, eine überdurchschnittliche hohe Produktivität erreichen, gemessen an der Zahl von Papers pro Jahr. Zugleich zeigt sich ein Trend, dass es generell zu einer Zunahme internationaler Co-Autorenschaft insbesondere auch mit Verbindung ins Herkunftsland kommt, was in hohem Maße mit den verbesserten und günstigeren Kommunikationsmöglichkeiten im Kontext der Digitalisierung und mit der zunehmenden Vernetzung der globalen Wissenschaftsgemeinschaft in Zusammenhang steht (vgl. Fernandez-Zubieta et. al 2015, S. 8–9). Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass dieses Potential der Wissenschaftler in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird.

Hinsichtlich der Potentiale wird sowohl die Internationalität in der Lehre (z. B. nicht deutschsprachige Lehrveranstaltungen) als auch in der Forschung (z. B. internationale Publikationen oder nicht deutschsprachige Publikationen) in den Blick genommen (vgl. Abschnitt 6.6). Um auch die möglichen Potentiale für das Herkunftsland abzubilden, gibt es eine Reihe von Fragen, die sich mit Kontakten und wissenschaftlichen Projekten im Herkunftsland befassen (vgl. Abschnitt 6.8.3).

3.5 Theorien über Diversity und Heterogenität im Hochschulwesen

Das Konzept der Diversity hat in den letzten Jahren eine enorme Aufmerksamkeit in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft erhalten. Dabei stehen zumeist die Chancen gesellschaftlicher Vielfalt innerhalb von Organisationen im Mittelpunkt (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2016, S. 13). Das Diversity-Konzept geht auf zwei sehr unterschiedliche Diskurse zurück: erstens den Diskurs über Menschenrechte, Minderheiten und soziale Gerechtigkeit und zweitens als strategischer Ansatz des Human-Resource-Managements (Wolter 2015b).

Oswick und Noon (2014) zeigen, dass der Diskurs über Diversität seit Ende der 1980er-Jahre den Diskurs über soziale Gerechtigkeit und Affirmative Action in weiten Teilen ersetzt hat und seither einem Großteil der wissenschaftlichen Publikationen zugrunde liegt. Dabei wird kontrovers diskutiert, inwieweit durch den Diversity-Ansatz tatsächlich ein substantieller Wandel auf semantischer Ebene stattgefunden hat oder ob es sich lediglich um begriffliche Veränderungen handelt. Es zeigt sich dabei zunehmend ein Trend, dass zwar ein gewisser substantieller Wandel anerkannt wird, der sich insbesondere darin zeigt, dass Diversitätsmaßnahmen häufiger durch Unternehmensvorteile legitimiert werden und seltener der Bezug zum Menschenrechtsdiskurs hergestellt wird. Zugleich zeigt sich bei einer Vielzahl von Publikationen zum Diversity-Konzept aber auch, dass der Unterschied zum Ansatz der Chancengleichheit sich weitgehend auf die veränderte Namensgebung beschränkt.

Dennoch ist zu betonen, dass die Perspektive des Diversity-Ansatzes ein deutlich größeres Feld in den Fokus rückt, wie anhand des nachfolgenden Zitats von Wolter ersichtlich wird:

„Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Diversity-Konzept und dem Konzept der Chancengleichheit liegt darin, dass sich Chancengleichheit primär auf Personen oder Gruppen bezieht. Demgegenüber nimmt das Diversity-Konzept darüber hinaus auch kulturelle Strukturen – z. B. Wissens- und Wissenschaftskulturen, fachliche Anerkennungs- und Relevanzkriterien oder subjektive Lebens- und Identitätsentwürfe – und institutionelle Prozesse in den Blick. So wird als ‚Response‘ auf die deutlich angewachsene Beteiligung an Hochschulbildung in vielen Ländern eine Debatte über eine stärkere institutionelle Differenzierung des Hochschulsystems, oft auch als Diversifizierung bezeichnet, geführt. Insofern ist der semantische Horizont von Diversity wesentlich breiter und umfasst neben der individuellen Mikroebene auch die Mesoebene (z. B. Fächer und Studiengänge) und die Makroebene des Hochschulsystems“ (Wolter 2017, S. 10).

Zugleich hat der Diversity-Ansatz das Potential, durch eine zielgruppenübergreifende, ressourcenorientierte Perspektive neue Impulse zu setzen und sich damit von der häufig defizitorientierten Ungleichheitsforschung abzugrenzen. Demnach ist Vielfalt als Normalität und nicht als Abweichung zu verstehen (Karakaşoğlu 2014; Tepecik 2011). Dabei birgt das Konzept der Diversity jedoch auch die Gefahr des „Rosinenpickens“, was bedeutet, dass ausschließlich solche Diversitätsmerkmale nach außen getragen werden, die einem positiven Image von Vielfalt entsprechen. Eine kritische Betrachtungsweise bezüglich der Frage, wie Diversität konkret gemessen und gestaltet wird, ist daher unumgänglich, damit über Diversity auch in systematischer Form Diskriminierungs- und Exklusionsprozesse sichtbar gemacht werden können (Heitzmann und Klein 2012b).

Zweitens wird der Diversity-Ansatz auch als Managementkonzept betrachtet, dem die Zielsetzung zugrunde liegt, Vielfalt als Ressource für die Organisationsentwicklung und -optimierung zu nutzen. Bestehende Differenzen zwischen Menschen und die Berücksichtigung entsprechender Unterschiede spielen eine entscheidende Rolle für Personalstrategien und Organisationsentwicklung. Die effizientere Nutzung menschlicher Ressourcen durch den Wandel von monokulturellen zu multikulturellen Organisationen ist ein Ansatz, der sich in den letzten Jahren auch zunehmend im Hochschulwesen etabliert hat. Im Zuge des demographischen Wandels in vielen westlichen Ländern wird die Suche nach neuen Zielgruppen zumeist mit dem Diversity-Management-Ansatz in Verbindung gebracht (Leicht-Scholten 2011; Wolter 2015b). Auch im Leitbild vieler Hochschulen findet sich ein Bekenntnis zur Förderung von Diversität. Während Diversity als eine Art Mission-Statement zur Förderung von Chancengleichheit und Vielfalt zu verstehen ist, sind die Begriffe Heterogenität und Homogenität stärker analytische Konzepte, die die Verteilung bestimmter Merkmalsausprägungen beschreiben (Wolter 2015b).

Die Forschung über Diversity konzentrierte sich lange Zeit ausschließlich auf Ethnizität als ein Heterogenitätsmerkmal, das zumeist über das Herkunftsland operationalisiert wurde. In den vergangenen Jahren hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass einer isolierten Betrachtung der ethnischen Herkunft als Diversitätsmerkmal wenig Aussagekraft zukommt. Stattdessen gilt es als anerkannt, dass die Frage, welchen Einfluss Diversity auf unterschiedliche gesellschaftliche Aspekte hat, letztendlich nur darüber zu lösen sein kann, den Zusammenhang und die Interaktion unterschiedlicher Heterogenitätsmerkmale zu untersuchen (Allemann-Ghionda 2014; Vertovec 2007). Diewald und Faist (2011) betonen, dass unterschiedliche Heterogenitätsmerkmale zumeist erst im Zuge der Merkmalskombination in unterschiedlichen sozialen Kontexten sowie Akteurs- und Interessenkonstellationen ihre spezifische Relevanz entfalten.

Einen wichtigen Forschungszweig bildet hier der Ansatz der Intersektionalität. Nach dem multiplikativen Ansatz der Intersektionalitätsforschung besitzen Geschlecht, soziale Herkunft und Migrationshintergrund für sich genommen oft wenig Aussagekraft, sondern der Interaktion zwischen den einzelnen Kategorien kommt häufig eine zentrale Bedeutung zu (Hancock 2007). Die Frage, inwieweit der intersektionale Ansatz noch zusätzliche Differenzlinien berücksichtigen sollte, wird kontrovers diskutiert. Heitzmann und Klein (2012a) betrachten in ihrer Forschung über die Diversität des Hochschulwesens in Deutschland als weitere Kategorien Religion, sexuelle Orientierung, Behinderung und Alter. Generell ist festzuhalten, dass bisher für die Studierenden und insbesondere für das wissenschaftliche Personal über die Frage der Kombination zentraler Heterogenitätsmerkmale wenig bekannt ist. Die Frage, ob es gelingt ein nachhaltiges Diversity-Konzept an Hochschulen zu etablieren, das nicht nur ökonomischen Management-Prinzipien folgt, sondern explizit auch zielgruppenübergreifende Chancengerechtigkeit begünstigt, hängt sehr stark von den verantwortlichen Hochschulakteuren ab. Langholz gibt diesbezüglich die Zielsetzung aus, „to etablish a critical mass of diverse faculty“ (Langholz 2014, S. 222).

Im Rahmen der empirischen Untersuchung der vorliegenden Arbeit wird um den Einfluss von Diversität auf die Arbeitssituation, internationale Aktivitäten oder Transnationalität und gesellschaftliche Teilhabe der Professoren zu untersuchen, kein monokausaler Zusammenhang hinsichtlich unterschiedlicher Herkunftsländer angenommen, sondern es wird explizit das Konzept der Multidimensionalität zugrunde gelegt. Vertovec spricht in diesem Zusammenhang von superdiversity. Der Begriff der superdiversity, den er anhand der Migration nach Großbritannien in den letzten Jahrzehnten veranschaulicht, unterscheidet sich vom Begriff der diversity zum einen darin, dass die Pluralität der Herkunftsländer der Zuwanderer in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Zum anderen betont er mittels der besonderen Terminologie, dass sich Diversity nicht allein auf die Herkunft beziehe, sondern vielmehr in der oben beschriebenen Form als multidimensionales Konstrukt untersucht werden sollte. Die Relevanz dieses breiteren Verständnisses präzisiert er wie folgt:

“In the last decade the proliferation and mutually conditioning effects of additional variables shows that it is not enough to see diversity only in terms of ethnicity, as is regularly the case both in social science and the wider public sphere. Such additional variables include differential immigration statuses and their concomitant entitlements and restrictions of rights, divergent labour market experiences, discrete gender and age profiles, patterns of spatial distribution, and mixed local area responses by service providers and residents. Rarely are these factors described side by side. The interplay of these factors is what is meant here, in summary fashion, by the notion of ‘super-diversity” (Vertovec 2007, S. 1025).

Dieses Verständnis bildet einen wichtigen theoretischen Grundstein des Forschungsdesigns. Generell ist das Design der vorliegenden Arbeit in der Form gestaltet, dass nicht ein binärer Vergleich zwischen Professoren mit und ohne Migrationshintergrund im Mittelpunkt steht, sondern eine differenzierte Betrachtung der Professoren mit Migrationshintergrund sowohl nach migrationsspezifischen Merkmalen wie Zuwanderungszeitpunkt oder Herkunftsland als auch nach demographischen Variablen wie Geschlecht, soziale Herkunft oder beruflichen Merkmalen wie Fächergruppe und Hochschulart vorgenommen wird. Unterschiede sowie das Zusammenspiel der genannten Faktoren werden hinsichtlich der unterschiedlichen Themenfelder der vorliegenden Arbeit durchgehend analysiert. Es geht dabei also in Anlehnung an die These von Diewald und Faist (2011) darum, herauszuarbeiten, welche unterschiedlichen Heterogenitätsmerkmale bei Professoren mit Migrationshintergrund in welchen sozialen Kontexten eine wichtige Bedeutung zukommt. Gruppenunterschiede werden systematisch im Kontext der verschiedenen Themenstellungen im Ergebnissteil (Kapitel 6) untersucht. Eine systematische Einordnung, Interpretation und Diskussion der Gruppenunterschiede findet im Abschnitt 7.1 statt. Zugleich wird bei der Untersuchung der Diskriminierung der Professoren mit Migrationshintergrund ebenfalls der Diversity-Ansatz aufgegriffen, indem Gruppenunterschiede sowohl für positive als auch für negative Erlebnisse nach Herkunft, Geschlecht, Alter und Religion differenziert untersucht werden (vgl. Abschnitt 6.9).