Das Kapitel „Kontextualisierung“ besteht aus drei Unterkapiteln. Der Abschnitt 2.1 beschreibt aus historischer Perspektive die unterschiedlichen Phasen des Wandels Deutschlands zum Einwanderungsland. Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung seit den 1950er Jahren. Im Anschluss wird in Abschnitt 2.2 im ersten Schritt die Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund näher beschrieben, da aus dieser Gruppe eine Großzahl zukünftiger Professoren mit Migrationshintergrund rekrutiert werden. Im zweiten Schritt wird dann die Teilhabe im öffentlichen Dienst von Menschen mit Migrationshintergrund in den Blick genommen. Abschließend geht es in Abschnitt 2.3 um Hochschulreformen, die den Prozess der internationalen Rekrutierung von Professoren in Deutschland beeinflusst haben.

2.1 Deutschlands Wandel zum Einwanderungsland

Ziel des Kapitels ist es, einen kurzen Überblick zu geben über Migration und Zuwanderungsgruppen in Deutschland. Dabei werden der politische und gesellschaftliche Umgang und Diskurs über Migration in den letzten Jahrzehnten näher beleuchtet. Es soll ein kurzer Einblick gegeben werden zum Umgang von Politik und Gesellschaft in Deutschland mit der Zuwanderung. Zugleich soll herausgearbeitet werden, welche großen Migrantengruppen die Zuwanderung der letzten Jahrzehnte geprägt haben und wie sich die aktuelle Zusammensetzung der Menschen mit Migrationshintergrund darstellt. Die Erkenntnisse bilden die Grundlage, um sowohl die Repräsentation bestimmter Migrantengruppen unter Professoren mit Migrationshintergrund zu untersuchen als auch Aussagen über Integration und Diskriminierung der Professoren mit Migrationshintergrund in diesem Kontext einordnen zu können.

2.1.1 Entwicklungen bis Ende des Zweiten Weltkrieges

Während sich andere europäische Staaten wie Spanien, Frankreich oder Großbritannien aufgrund der Kolonialgeschichte bereits zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert mit Fragen der kollektiven nationalen Identität auseinanderzusetzen hatten, gewinnt das Thema in Deutschland erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts an Relevanz. Dennoch gab es selbst nach der Gründung des deutschen Reiches im Jahr 1871 noch keine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit. Stattdessen blieb die Angehörigkeit zu den einzelnen deutschen Staaten (wie Preußen, Bayern, Württemberg) bestehen. Nach dem ersten Weltkrieg fanden im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisen in Ost- und Ostmitteleuropa Pogrome gegenüber Juden statt. Insgesamt kamen infolgedessen ca. 70.000 asylsuchende Juden nach Deutschland. Einem Großteil der Gruppe wurde zunächst in Preußen noch Asyl gewährt, wenngleich ab Anfang der 1920er Jahre antisemitische Ausschreitungen und antijüdische Politik in Deutschland bereits zu beobachten waren (Oltmer 2016, S. 44).

Generell lässt sich konstatieren, dass Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges weniger als Einwanderungsland, sondern vielmehr als Emigrationsland klassifiziert werden kann, wobei insbesondere auf die große Zahl der transatlantischen Auswanderer in die USA zu verweisen ist (Pries 2013). Der größte Migrationsprozess in der Geschichte Deutschlands lässt sich als unmittelbare Folge des Zweiten Weltkrieges beschreiben. 1950 lag der Anteil von Einwohnern, die ihren Wohnsitz 1939 noch außerhalb des Territoriums Deutschlands hatten, bei 18 %. Zwischen Kriegsende und Mauerbau im Jahr 1961 kamen über 13 Millionen Heimatvertriebene aus ehemaligen deutschen Gebieten und Zuwanderer aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland (Heckmann 2015).

2.1.2 Anwerbeabkommen und Familienzusammenführungen 1950er bis 1980er Jahre

Als das zentrale migrationspolitische Instrument der Nachkriegszeit lassen sich Anwerbeabkommen einordnen. Zwischen Ende der 1940er Jahre und Anfang der 1970er Jahre haben westeuropäische Staaten insgesamt ca. 120 solcher bilateralen Verträge geschlossen. Die Abkommen ermöglichten den Anwerbeländern zu spezifischen Konditionen Zugang zum Arbeitsmarkt anderer Staaten. Die Abwanderungsländer hatten zugleich Einfluss auf die Zusammensetzung der Gruppe der Emigranten sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen im Zielland (Castles 1986; Oltmer 2016). Die Bundesrepublik Deutschland schloss zwischen dem ersten Abkommen 1955 mit Italien und dem letzten Abkommen 1968 mit Jugoslawien insgesamt sechs weitere bilaterale Verträge ((Spanien/Griechenland (1960), Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964) und Tunesien (1965)). Als Folge der Anwerbeabkommen wuchs die Erwerbsbevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland von 1961 bis zum Anwerbestopp 1973 von 550.000 auf ca. 2,6 Millionen. Der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen stieg von 1,2 % im Jahr 1960 über 4,9 % im Jahr 1970 auf 7,2 % im Jahr 1980 an. Die mit Abstand größte Gruppe stellten 1980 türkische Staatsangehörige (33 %) vor Zuwanderern aus Jugoslawien und Italien (jeweils 14 %) (Oltmer 2016).

Ausländerbeschäftigung auf der Grundlage von Regierungsabkommen lässt sich auch in der Deutschen Demokratischen Republik beobachten. So wurden Ende der 1970er-Jahre mit den sozialistischen Ländern Kuba, Mosambik und Vietnam entsprechende Abkommen geschlossen. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 1989 kamen knapp die Hälfte der 190.000 ausländischen Beschäftigten aus diesen drei Ländern. Die größte Gruppe stellten dabei vietnamesische Arbeitskräfte mit einer Gesamtzahl von ca. 59.000. Zugleich zeigen diese Zahlen, dass Zuwanderung in die DDR im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland einen deutlich geringeren Stellenwert einnahm (Oltmer 2016). Öffentliche Diskussionen über Arbeitskräfte mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der DDR wurden von staatlicher Seite systematisch unterbunden und offizielle Dokumente oder Verträge unter Verschluss gehalten. Bade und Oltmer (2010) beschreiben die Lage der ausländischen Werktätigen in der DDR weniger als eine Situation sozialer Integration als vielmehr einer staatlich verordneten sozialen Segregation.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde ab Ende der 1960er Jahre die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte zunehmend problematisiert. Dabei wurden insbesondere die Kosten für Anwerbung, kommunale Infrastruktur und Sozialsysteme thematisiert. Infolgedessen wurden die Anwerbeabkommen nicht nur von Seiten der Bundesrepublik Deutschland, sondern durch fast alle westeuropäischen Länder gestoppt. Der intendierte Effekt des Anwerbestopps, von dem man sich eine deutliche Reduktion der Zuwanderung sowie eine große Remigration der Angeworbenen verspricht, blieb allerdings aus. Im Gegenteil führten die neuen politischen Gegebenheiten dazu, dass Arbeitsmigranten, sobald sie temporär in ihre Heimatländer zurückkehrten, keine neue Arbeitserlaubnis in Deutschland mehr erhielten. Damit standen die Arbeitsmigranten vor der Wahl, entweder dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückzukehren oder einen Familiennachzug nach Deutschland anzustreben. Ein Großteil der Migranten entschied sich für die zweite Option, was zur Folge hatte, dass, obwohl die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen in Deutschland zwischen 1973 und 1989 von 2,6 Millionen auf 1,6 Millionen fiel, zugleich die Wohnbevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit von 4 Millionen auf 4,9 Millionen anstieg (Oltmer 2016).

Infolgedessen wurde Integration zunehmend zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema, ohne dass die dauerhafte Zuwanderung politisch aufgearbeitet wurde. Im Gegenteil wurde explizit im Koalitionsvertrag von 1982 zwischen Union und FDP festgehalten, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei und dass alle humanitär vertretbaren Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Zuwanderung ergriffen werden sollten (Bendel und Borkowski 2016). Insbesondere die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, wurde politisch und medial mit großem Eifer geführt. Bade spricht diesbezüglich von einem sozialschizoiden Paradox, in Deutschland eine de facto Einwanderungssituation vorzufinden, ohne sich selbst als Einwanderungsland zu verstehen. Politisch äußerte sich diese fehlende Bereitschaft zur Anerkennung in Programmen wie „Integration auf Zeit“, „Aufrechterhaltung der Rückkehrbereitschaft“ und „Rückkehrprämien“ (Bade 2017, S. 27). Dabei gilt es zu bedenken, dass in Deutschland damals wie heute Migrationspolitik und Integrationspolitik unterschiedlich institutionalisiert sind. Während die Integrationspolitik primär auf Länder- und Kommunalebene stattfindet, fällt die Migrationspolitik in erster Linie in die Zuständigkeit des Bundes (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014, S. 70). Infolgedessen konnte sich in den 1980er-Jahren trotz der paradoxen Migrationspolitik auf Bundesebene auf kommunaler Ebene eine Integrationspolitik etablieren, die dem realen Migrationsgeschehen deutlich besser gerecht wurde (Bade 2017, S. 27).

2.1.3 Zuwanderung von (Spät-)Aussiedlern und Asylsuchenden ab Mitte der 1980er-Jahre

Ähnlich wie das Ende des Zweiten Weltkrieges stellt die Wiedervereinigung 1989 und der Fall des Eisernen Vorhangs eine Zäsur dar, die nicht nur einem Wandel der Migrationsbewegungen zur Folge hat, sondern auch eine große Zahl sowohl von Binnen- als auch von internationalen Migranten induziert. Neben einem bedeutenden Anstieg der saisonalen bzw. kurzfristigen Arbeitsmigration aus osteuropäischen Staaten, die auf der Grundlage bilateraler Abkommen geregelt wird, nimmt nach der Wiedervereinigung auch die Zuwanderung von sogenannten Aussiedlern stark zu. Insbesondere aufgrund der Folgen des Zweiten Weltkrieges leben zu Beginn der 1950er-Jahre viele Millionen Menschen mit deutschen Wurzeln in Ost- und Südosteuropa. Diese Gruppe hat die Möglichkeit, unter Nachweis eines „Vertreibungsschicksals“ die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Der Migrationsforscher Bade bezeichnet die Aussiedlerzuwanderung als „Rückwanderung über Generationen“, da einige Vorfahren der Aussiedler bereits im Spätmittelalter vertrieben worden waren. Zwischen 1950 und 2015 sind insgesamt 4,5 Millionen Aussiedler nach Deutschland zugewandert, wovon über die Hälfte aus der UdSSR und ihren Nachfolgestaaten und 1,4 Millionen aus Polen sowie 430.000 Menschen aus Rumänien kamen. Die zahlenmäßig größte Zuwanderungsbewegung dieser Gruppe ist zwischen Ende der 1980er-Jahre und Mitte der 1990er-Jahre zu verorten, bevor eine striktere Gesetzgebung und die Einführung von Sprachprüfungen zu einem Rückgang führten. Neben Flüchtlingen, Vertriebenen der Nachkriegszeit und Arbeitsmigranten bilden Aussiedler somit eine weitere große Migrationsbewegung (Oltmer 2016).

Zugleich nimmt durch die politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen in Ost- und Südosteuropa ab Mitte der 1980er-Jahre die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland deutlich zu. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1948 ein im internationalen Vergleich weitreichendes Asylgrundrecht geschaffen. Dennoch bleibt die Zuwanderung von Asylsuchenden bis Ende der 1970er-Jahre eher moderat und schwankt zwischen 2.000 (1953) und 51.000 (1979). Erst ab Mitte der 1980er-Jahre kommt es dann zu einem deutlichen Anstieg. Ausgehend von über 100.000 Asylanträgen im Jahr 1988 steigt die Zahl 1992 auf insgesamt 440.000. In Folge der Gesetzesänderung 1993, nach der Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ oder Personen, die über sogenannte sichere DrittstaatenFootnote 1 eingereist sind, rechtlich keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland haben, geht die Zahl der Asylsuchenden ab 1994 wieder deutlich zurück und fällt im Jahr 1998 auf unter 100.000.

2.1.4 Wandel der Integrationspolitik nach der Wiedervereinigung

Erst Ende der 1990er-Jahre setzt sich in Deutschland auch auf bundespolitischer Ebene zunehmend ein Selbstverständnis als Einwanderungsland durch. Konkret zeigt sich dieser Wandel durch eine Reihe rechtlicher und institutioneller Veränderungen. Ein zentrales Element bildet dabei das neue Staatsbürgerschaftsrecht, das im Jahr 2000 verabschiedet wird (Sauer und Brinkmann 2016, S. 1). Durch das neue Gesetz wird das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) aus dem Jahr 1913, das die Staatsbürgerschaft ausschließlich über die Abstammung definierte (ius sanguinis), erstmals um Elemente des Territorialprinzips (ius soli) erweitert. Seit dieser Gesetzesänderung erwerben Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft durch Geburt, wenn ihre Eltern über einen langfristigen AufenthaltsstatusFootnote 2 in Deutschland verfügen. Nach dem Optionsmodell müssen sie sich bis zum 23. Lebensjahr entweder für die deutsche oder die Staatsangehörigkeit der Eltern entscheiden (Galonska et al. 2004, S. 1).

Ebenfalls im Jahr 2000 wird eine Zuwanderungskommission mit dem Ziel gegründet, eine bundesweite Integrationspolitik auszuarbeiten. Daraus folgt im Jahr 2007 der Nationale Integrationsplan (NIP). Des Weiteren wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschaffen, die Islamkonferenz eingeführt und verstärkt Sprach- und Integrationskurse ins Leben gerufen. Das Zuwanderungsgesetz von 2005 und das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen von 2012 sind weitere gesetzliche Änderungen, die den politischen Wandel symbolisieren (Sauer und Brinkmann 2016, S. 1). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Deutschland in dem Moment, in dem sich ein Verständnis etablierte, ein Einwanderungsland zu sein, auch eine deutlich systematischere Migrations- und Integrationspolitik entwickelte (Bendel und Borkowski 2016).

Im Rahmen dieses Wandels tritt auch erstmals die gezielte Zuwanderung von Hochqualifizierten als politische Zielsetzung hervor. Erste Schritte wurden zu Beginn der 2000er-Jahre mit der Einführung der Green Card unternommen. Wenngleich das Programm, das auf die gezielte Anwerbung qualifizierter ausländischer Fachkräfte in der Informations- und Kommunikationstechnologie abzielte, nur als eingeschränkt erfolgreich zu bezeichnen ist, entwickelte sich infolgedessen eine deutlich liberalere Migrationspolitik, die sich unter anderem in der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie, der Einführung eines Quasi-Punktesystems für Arbeitssuchende und Reformen der Beschäftigungsverordnung widerspiegelt (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014). Zugleich muss betont werden, dass diese migrationspolitische Öffnung keineswegs widerspruchslos verlief. Exemplarisch lässt sich hier bezüglich der Green-Card Einführung auf die populistisch geführte Debatte „Kinder statt Inder“ verweisen, die nach den Äußerungen des damaligen NRW Ministerpräsidenten Rüttgers aufkam.

Hinsichtlich des Hochschulwesens waren insbesondere die Erleichterungen für Absolventen mit ausländischer Staatsangehörigkeit an deutschen Hochschulen durch das „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ (ZuwG) von 2005 von Relevanz. Zuvor mussten Studierende mit ausländischer Staatsangehörigkeit nach Abschluss des Studiums in Deutschland – selbst bei Vorliegen eines Arbeitsvertrags – zumeist in ihr Herkunftsland zurückreisen, um sich von dort aus um eine Arbeitsgenehmigung für Deutschland zu bemühen. Die bis 2005 gängige Praxis hatte somit die insbesondere aus volkswirtschaftlicher Sicht fragwürdige Folge, dass Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zwar weitgehend kostenlos ein durch das allgemeine Steueraufkommen finanziertes Studium in Deutschland absolvieren konnten, das Ausländergesetz es ihnen jedoch unmöglich machte, ihre erworbenen Qualifikationen auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt einzubringen. Die neue Gesetzgebung ermöglicht es ausländischen Absolventen seit 2005, sich innerhalb eines Jahres nach ihrem Abschluss einen Arbeitsplatz zu suchen und im Erfolgsfall einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu bekommen (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014).

Interessant ist zudem die auf europäischer Ebene zwischen 2009 und 2011 eingeführte Blue-Card-Regelung: Wenngleich die ursprüngliche Idee der EU-Kommission, eine einheitliche europaweite Hochqualifizierten-Richtlinie zu verabschieden, nicht realisiert wurde, lässt sich aufgrund der Spielräume bei der nationalen Umsetzung für Deutschland in der Folge eine grundlegende Zuwanderungsreform beobachten. Die Umsetzung der Blue-Card-Richtlinie im Jahr 2012 in Deutschland führte dazu, dass eine selbst im internationalen Vergleich sehr liberale neue Regelung für die Zuwanderung von Hochqualifizierten vorgenommen wurde. Danach liegen die erforderlichen Mindestgehälter bei lediglich dem 1,5-fachen des Durchschnitts, auf die Vorrangprüfung wird verzichtet und Familienangehörige erhalten unbegrenzten Arbeitsmarktzugang (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014). Infolge der Blue-Card-Regelungen fanden noch weitere Liberalisierungsmaßnahmen, beispielsweise für Selbständige oder auch zugunsten von ausländischen Studierenden, statt. So wurde nicht nur, wie oben beschrieben, der Zeitraum für die Arbeitsplatzsuche vergrößert, sondern auch die Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit neben dem Studium von 90 auf 120 volle Tage pro Jahr erhöht (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014).

Trotz dieser vielfältigen Reformen hielt sich der Erfolg der Blue-Card-Maßnahmen zunächst in Grenzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es neben den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen eine Reihe weiterer Faktoren gibt, die für die Zuwanderung von Hochqualifizierten wichtig, zugleich allerdings nur eingeschränkt politisch steuerbar sind. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (2014) verweist hier auf Faktoren wie das Image eines Landes, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, das Lohnniveau, geographisch-topographische und klimatische Gegebenheiten, andere Aspekte der Lebensqualität, Sicherheit, die Verkehrs- und Schriftsprache sowie die Ähnlichkeit der Sprache zur Muttersprache. Zudem spielen historisch gewachsene Wanderungsbeziehungen zwischen Ländern, insbesondere hinsichtlich der Migrationsnetzwerke, eine entscheidende Rolle. Neben diesen Faktoren ist zusätzlich die Kommunikation mit den Arbeitgebern über die Gesetzesreformen von entscheidender Bedeutung dafür, dass die Liberalisierung des Zuwanderungsrechts auch tatsächlich dazu führt, dass qualifizierte Zuwanderer nach Deutschland kommen.

2.1.5 Zuwanderung bis Anfang der 2010er-Jahre

Trotz des eingeschränkten Erfolgs der Blue-Card-Initiative lässt sich generell eine deutliche Öffnung der Migrationspolitik konstatieren, die auch in einer zunehmenden Zuwanderung von Hochqualifizierten ihren Ausdruck findet. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Binnenmigration innerhalb der Europäischen Union. Eine Analyse der Zuwanderungszahlen zwischen 2007 und 2013 zeigt, dass weit über die Hälfte der Neuzugewanderten aus der Europäischen Union stammen (vgl. Abbildung 2.1). Dabei sind insbesondere zwei große Zuwanderergruppen hervorzuheben. Zum einen kamen im Zuge der Wirtschaftskrise aus den südeuropäischen Ländern Griechenland, Italien, Portugal und Spanien verstärkt ab 2010 große Zahlen von Migranten nach Deutschland. Zum anderen gab es seit der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 und infolge der EU-Beitritte von Rumänien und Bulgarien 2007 sowie von Kroatien 2013 große Zahlen von Zuwanderern aus den osteuropäischen Ländern.

Abbildung 2.1
figure 1

(Quelle:Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Seibert und Wapler 2015, S. 5))

Herkunftsregionen und Bildungsstruktur von Menschen mit Migrationshintergrund und Neuzuwanderern im Vergleich.

Wenn man das Bildungsniveau der Neuzuwanderer zwischen 1990 und 2009 vergleicht, zeigt sich generell, dass die Zuwanderung von Hochqualifizierten konstant und deutlich zugenommen hat. So hat sich der Anteil von Universitätsabsolventen von 13 % in der Kohorte von 1990 bis 1994 auf 37 % bei der 2005-2009er-Kohorte erhöht (Gathmann et al. 2014). Das Bildungsniveau der Neuzuwanderer, die zwischen 2007 und 2012 zugewandert sind, liegt deutlich über dem Bildungsniveau der bereits hier lebenden Migranten. Der Anteil von Zuwanderern aus osteuropäischen EU-Staaten mit akademischem Abschluss liegt mit 25 % zudem auch über dem Anteil der Akademiker ohne Migrationshintergrund (21 %). Noch deutlich höher fällt der Anteil der Zuwanderer mit akademischem Abschluss aus den vier südeuropäischen Ländern (47 %) und den weiteren EU-Mitgliedsstaaten (56 %) aus. Hochqualifizierte Migration beschränkt sich dabei nicht auf die Europäische Union, sondern auch Zuwanderer aus sogenannten Drittstaaten weisen ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau auf (vgl. Abbildung 2.1). Während die Migration von Hochqualifizierten also statistisch eine große Rolle spielt, beschränkt sich die mediale Berichterstattung in Deutschland häufig auf eine defizit- und problemzentrierte Darstellung von Migration (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2013).

2.1.6 Der Sommer der Migration 2015

Die größte Flüchtlingszuwanderung in der Geschichte Deutschlands fand allerdings im sogenannten langen „Sommer der Migration“ im Jahr 2015 statt. In diesem Jahr belief sich die Zahl der Asylanträge auf 440.000, während sie im Folgejahr (2016) auf 745.000 anstieg (größtenteils Nachholeffekt aus dem Jahr 2015) (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016). Insgesamt kamen im Jahr 2015 über 2,1 Millionen Menschen nach Deutschland, was einer Nettozuwanderung von 1,1 Millionen Menschen entspricht und damit zahlenmäßig die größte Zuwanderungsbewegung seit der Nachkriegszeit darstellt. Neben der großen Zuwanderung von Flüchtlingen blieb aber auch die Binnenzuwanderung aus der EU auf dem zuvor beschriebenen hohen Level. Die Qualifikationsstruktur liegt bei den Flüchtlingen deutlich unter dem Niveau der übrigen Neuzuwanderer. Dennoch gibt es eine relevante Gruppe mit einem Anteil von ca. 10 %, die bereits über einen akademischen Abschluss verfügt. Insgesamt sind die Personen, die der Gruppe von Asylsuchenden angehören, überwiegend jung (51 % zwischen 18-27 Jahren) und männlich (Frauenanteil liegt bei lediglich 26 %) (Engel und Wolter 2017). Die hitzige öffentliche Debatte, die insbesondere infolge der Aussage „Wir schaffen das!“ von Kanzlerin Merkel im August 2015 entbrannte, verdeutlichte abermals, welchen kontroversen Aushandlungsprozessen die Frage, wem politisches Asyl zu gewähren sein soll, in Deutschland unterliegt. Während sowohl die rechtsextremistischen Anschläge zu Anfang der 1990er-Jahre als auch aktuell das Erstarken rechtsnationaler und rechtsextremer Parteien in Deutschland und Europa die bestehenden gesellschaftlichen Vorbehalte gegenüber der Aufnahme von Asylsuchenden spürbar in Erscheinung treten lassen, gibt es zugleich eine große gesellschaftliche Gruppe, die die Aufnahme von Flüchtlingen begrüßt, was insbesondere zu Beginn des Sommers 2015 sichtbar wurde (Oltmer 2016).

2.1.7 Aktuelle Herkunftsländer und Demographie von Menschen mit Migrationshintergrund

Insgesamt leben in Deutschland Menschen aus 190 unterschiedlichen Staaten. Den größten Bevölkerungsanteil unter den Menschen mit Migrationshintergrund stellen dabei folgende Länder: Türkei (17 %), Polen (10 %), Russische Föderation (7 %), Kasachstan (5 %), Italien (5 %), Rumänien (4 %), Griechenland (2 %), Kroatien (2 %), Kosovo (2 %) und Österreich (2 %). Insgesamt stammt über die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund aus diesen zehn Ländern (56 %). Aus Polen kommt seit 1996 die größte Zahl der Neuzuwanderer. Menschen mit Migrationshintergrund sind zudem im Durchschnitt deutlich jünger als Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Während der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei Kindern unter fünf Jahren bei über einem Drittel (35,9 %) liegt, macht er bei den über 65-jährigen lediglich 9,7 % aus. Das Durchschnittsalter liegt mit 36,0 Jahren mehr als zehn Jahre unter dem Durchschnittsalter der Menschen ohne Migrationshintergrund (47,7 Jahre). Hinsichtlich der Geschlechterverteilung zeigen sich ebenfalls Unterschiede. So erweist sich der Frauenanteil innerhalb der Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund (48,7 %) als etwas geringer als in der Gruppe der Menschen ohne Migrationshintergrund (51,3 %) (Beauftragte der Bundesregierung für Migration 2016). Zudem zeigen sich in Deutschland starke regionale Unterschiede hinsichtlich der Verteilung von Menschen mit Migrationshintergrund. In Ostdeutschland (ohne Berlin) entspricht der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung lediglich 4,8 %, während er in Bremen, Hamburg, Hessen, Berlin und Baden-Württemberg jeweils bei über 25 % liegt (vgl. Abbildung 2.2).

Abbildung 2.2
figure 2

(Quelle: Grafik aus Mikrozensus 2015 (Statistisches Bundesamt 2017a, S. 24))

Regionale Verteilung Menschen mit Migrationshintergrund (Mikrozensus 2015).

Ein großer Teil der Menschen mit Migrationshintergrund lebt bereits seit längerer Zeit in Deutschland. So leben 76,6 % von ihnen bereits seit mindestens 10 Jahren in Deutschland, während mehr als die Hälfte (52,2 %) sogar bereits seit über 20 Jahren hier lebt. Letzteres trifft insbesondere auf Personen aus ehemaligen Anwerbeländern zu, wozu insbesondere Italien (71,1 %) und die Türkei (76,9 %) zählen (Beauftragte der Bundesregierung für Migration 2016; Brinkmann 2016).

Die Frage, inwieweit sich große Zuwanderungsgruppen und ihre Nachkommen wie Arbeitsmigranten, Aussiedler und Flüchtlinge unter Professoren mit Migrationshintergrund finden lassen und inwieweit sich andere Migrationsphasen in der Zusammensetzung widerspiegeln, wird in Abschnitt 6.1.5 ausführlich analysiert.

2.2 Hochschulbildung und Teilhabe im öffentlichen Dienst von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland

Im Folgenden werden Statistiken und Befunde in Deutschland über Menschen mit Migrationshintergrund im Studium dargestellt. Wenngleich eigentlich Professoren mit Migrationshintergrund im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen, soll trotzdem im ersten Schritt die Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund etwas ausführlicher betrachtet werden, da die zukünftige Generation der Professoren mit Migrationshintergrund zu einem großen Teil aus dieser Gruppe rekrutiert werden wird. Der zweite Teil stellt die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst in den Mittelpunkt. Erkenntnisse in diesem Feld dienen als Referenzrahmen, um die im folgenden durchgeführten Analysen über die Teilhabe von Professoren mit Migrationshintergrund in Relation zur Teilhabe von Migranten in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes setzen zu können.

2.2.1 Migration im Studium

Studien über die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund in der Hochschulbildung differenzieren grundsätzlich zwischen zwei Gruppen. Erstens gibt es dort die Gruppe der internationalen Studierenden, die alle ausländischen Studierenden mit einbezieht, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben habenFootnote 3. Zweitens wird die Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund in den Blick genommen, die sowohl Studierende mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben (sogenannte Bildungsinländer), als auch deutsche Studierende mit Migrationshintergrund, die entweder eingebürgert wurden oder den Migrationshintergrund aufgrund der Zuwanderungsbiographie der Eltern besitzenFootnote 4, erfasst. Während die Sozialerhebung nach der beschriebenen Differenzierungsmethode verfährt, differenzieren die Daten der Studierendenstatistik bisher lediglich nach Staatsangehörigkeit. Innerhalb der Studierenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit lässt sich jedoch zumindest danach differenzieren, ob diese ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland (Bildungsinländer) oder im Ausland (Bildungsausländer) erworben haben.

Die Zahl der Studierenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist zwischen 2007 und 2016 in Deutschland deutlich angestiegen, und zwar von ca. 176.000 auf ca. 251.000 an Universitäten und von ca. 58.000 auf 108.000 an Fachhochschulen. Da zugleich allerdings auch die Zahl der deutschen Studierenden deutlich zugenommen hat, hat sich der Ausländeranteil unter den Studierenden nur geringfügig erhöht. Bildungsausländer studieren anteilig deutlich häufiger an Universitäten. Demgegenüber liegt der Anteil der Bildungsinländer an Fachhochschulen höher als an Universitäten (vgl. Abbildung 2.3).

Abbildung 2.3
figure 3

(Eigene Darstellung: Quelle: Eigene Auswertung auf der Grundlage ICE-Datenbank des DZHW (vgl. Statistisches Bundesamt 2018b). Jahreszahlen entsprechen dem jeweiligen Wintersemester des Jahres.)

Anteil Bildungsausländer und Bildungsinländer unter den Studierenden 2007-2016.

Für eine idealtypische Trennung zwischen Studierenden mit Migrationshintergrund und internationalen Studierenden spricht, dass sich Lebenssituation und Herausforderungen für die neuzugewanderten Studierenden grundlegend von der Situation der Studierenden, die möglicherweise schon in der zweiten Generation in Deutschland leben, unterscheiden dürften. Problematisch ist dabei allerdings, dass sich die konnotative Ebene, auf der über internationale Studierende gesprochen wird, deutlich vom Diskurs über Studierende mit Migrationshintergrund unterscheidet. Während internationale Studierende häufig als Idealzuwanderer, als Indikator für die Internationalität einer Hochschule und als Hoffnungsträger in Anbetracht des Fachkräftemangels dargestellt werden, werden die Studierenden mit Migrationshintergrund stärker aus einer Defizitperspektive heraus oftmals einer bildungsfernen und förderbedürftigen Problemgruppe zugeordnet (vgl. ausführlich Engel, Neusel, Weichert 2014; Tepecik 2011, Wolter 2019). Aufgrund dessen sollte durchaus in Erwägung gezogen werden, ob es sinnvoller wäre, sich von vorab vorgenommenen Zuschreibungen zu lösen und die gesamte Gruppe zunächst anhand der Definition des Migrationshintergrundes nach dem Mikrozensus zu untersuchen und dann in einem nächsten Schritt an verschiedenen Stellen Differenzierungen anhand des Zuwanderungszeitpunktes vorzunehmen. Zwar gibt es erste Ansätze hierfür und auch Sonderauswertungen des Mikrozensus für die Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund (Rokitte 2012), allerdings arbeiten Befragungen und Erhebungen im Hochschulwesen selbst bisher nicht mit dem Konzept des Migrationshintergrundes nach dem Mikrozensus. Eine Ausnahme bildet der Beitrag von Kerst und Wolter (2017), in dem der Anteil der Studierenden in der Altersgruppe von 20 bis unter 30 Jahren für die Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund auf der Grundlage des Mikrozensus 2005 und 2013 verglichen wird. In dem Zeitraum ist in der genannten Alterskohorte ohne Migrationshintergrund der Studierendenanteil von 17 auf 23 Prozent gestiegen. In der Alterskohorte von Menschen mit Migrationshintergrund ist der Studierendenanteil von 9 auf 15 Prozent gestiegen. Trotz des deutlichen Anstiegs bleibt die Differenz mit 8 Prozent konstant und macht deutlich, dass eine ausgeglichene Beteiligung an Hochschulbildung nicht gegeben ist.

Dennoch spielen sowohl Studierende mit Migrationshintergrund als auch internationale Studierende im deutschen Hochschulwesen eine bedeutende Rolle. Diese Personengruppe wird auch perspektivisch, insbesondere im Kontext des demographischen Wandels, noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Während die gegenwärtige Entwicklung, die durch eine steigende Zahl ausländischer Studierender und eine entsprechend zunehmende Diversität innerhalb des Hochschulwesens geprägt ist, insgesamt positiv zu bewerten sind, sollten zugleich auch Schwierigkeiten ausreichend berücksichtigt werden. Zwar sehen sich die Studierenden beider Gruppen mit jeweils spezifischen Problemen konfrontiert, wozu im Falle der internationalen Studierenden insbesondere mangelnde Deutschkenntnisse und die Konfrontation mit spezifisch deutschen Studienanforderungen zählen, während Studierende mit Migrationshintergrund in besonderem Maße von Problemen hinsichtlich der Wissenschaftssprache Deutsch in Anbetracht des oftmals bildungsfernen Elternhauses betroffen sind. Allerdings lassen sich durchaus auch Probleme benennen, die für beide Gruppen gleichermaßen von Relevanz sein können. Finanzielle Abhängigkeit und fehlende soziale Integration im Studium bilden insoweit zwei Problemkreise, die in ähnlicher Form bei beiden Gruppen zu beobachten sind (vgl. Morris-Lange 2017). Da sich die genannten Probleme zum Teil gegenseitig bedingen (z. B. Sprachprobleme, soziale Integration, Vereinbarkeit von Studium und Beruf), lassen sich durch gezielte Verbesserungen in einzelnen Feldern möglicherweise auch Problemlagen in anderen Bereichen lösen. Trotz der dargelegten Schwierigkeiten lässt sich insgesamt allerdings festhalten, dass die große und ansteigende Zahl der Studierenden mit Migrationshintergrund als auch der internationalen Studierenden ein Potential eröffnet, dass möglicherweise in den kommenden Jahrzehnten die Zahl der Early MigrantsFootnote 5 und der Student MigrantsFootnote 6 unter den Professoren weiter steigen wird.

2.2.2 Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst

Aufbauend auf den dargelegten Erkenntnissen stellt sich die Frage, wie sich im nächsten Schritt die Zugangschancen von Menschen mit Migrationshintergrund zur Hochschulprofessur gestalten. Allerdings gibt es hierzu bisher noch keine Studien in Deutschland. Um zumindest eine Annäherung vorzunehmen, wird im Folgenden kurz dargelegt, welche Erkenntnisse es bisher über die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst gibt.

Trotz zunehmender Teilhabe sind Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Der zweite Integrationsindikatorenbericht nimmt zunächst das pädagogische Fachpersonal in den Blick, wobei hier lediglich Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zugrunde gelegt werden können, die nach Staatsangehörigkeit und nicht nach Migrationshintergrund differenzieren. Im Jahr 2010 liegt der Anteil von Beschäftigten mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Kindertageseinrichtungen und Schulen demnach bei 3,6 %, an weiterführenden Schulen bei 4,3 % und an Hochschulen bei ca. 8,7 %. Wenngleich der Anteil seit 2005 zugenommen hat, lautet der generelle Befund, dass das pädagogische Fachpersonal mit ausländischer Staatsangehörigkeit im öffentlichen Dienst in Deutschland noch immer deutlich unterrepräsentiert ist (Engels et al. 2011, S. 131). Auch bei Betrachtung des gesamten öffentlichen Dienstes zeigt sich ein ähnliches Bild. Dort lässt sich für das Jahr 2010 nach den Auswertungen des Mikrozensus ein Beschäftigungsanteil von Migranten von 9,9 % verzeichnen. Noch deutlich geringer fallen die entsprechenden Anteile aus, wenn ausschließlich Personen mit einem Nettomonatsgehalt von mindestens 2.000 Euro in den Blick genommen werden, wozu auch die Gruppe der Professoren gehört. Trotz einer deutlichen Zunahme des Anteils der Besserverdiener mit Migrationshintergrund seit 2005 liegt dieser noch immer lediglich bei 6,3 %, was also weniger als ein Drittel des Anteils der Menschen mit Migrationshintergrund in der Alterskohorte der Gesamtbevölkerung entspricht (Engels et al. 2011, S. 133).

Mit der Frage der interkulturellen Öffnung des öffentlichen Dienstes setzt sich auch der Sachverständigenrat für Integration und Migration auseinander. Im Mittelpunkt steht dabei unter anderem die Gruppe der Beamten. Im Jahr 2012 liegt der Anteil von Migranten der ersten Generation (0,9 %) und der zweiten Generation (1,3 %) an der Beamtenschaft und damit weit unter deren Anteil an der Gesamtbevölkerung. Einen zentralen Faktor stellen hierbei insbesondere rechtliche Barrieren für Menschen mit Migrationshintergrund hinsichtlich des Zugangs zur Beamtenlaufbahn dar, wenngleich diese in den letzten Jahren deutlich reduziert wurden. Beispielsweise können auch Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und mit ausländischen Bildungsabschlüssen heute unter bestimmten Voraussetzungen den Beamtenstatus erwerben. Darüber hinaus untersucht der Sachverständigenrat die Beschäftigung von Migranten im öffentlichen Dienst anhand des Anforderungsprofils der Tätigkeiten. Dabei zeigt sich, dass im öffentlichen Dienst Menschen ohne Migrationshintergrund (74 %) deutlich häufiger Tätigkeiten mit hohem Anforderungsprofil nachgehen, als Migranten der ersten (61 %) und zweiten (63 %) Generation (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2013, S. 113–116).

Eine Studie der Beauftragten für Migration, Integration und Flucht zusammen mit dem Bundesministerium des Inneren (BMI) untersucht die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesverwaltung. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesverwaltung bei 14,8 % liegt und damit zwar deutlich über dem Durchschnitt im öffentlichen Dienst, allerdings auch noch deutlich unter dem Anteil in der Privatwirtschaft und in der Alterskohorte der Gesamtbevölkerung. Dabei wird eine große Spannweite zwischen 6 % im Bundesministerium für Verteidigung und 24 % im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sichtbar. Wie generell für den öffentlichen Dienst zeigt sich auch für die Bundesverwaltung, dass Migranten seltener in höheren Laufbahngruppen anzutreffen sind (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2016, S. 9–10).

2.3 Entwicklung der Professorenzahlen und Hochschulreformen zur internationalen Rekrutierung

Im Folgenden werden, ausgehend von der Entwicklung der Professorenzahlen, Spezifika des Hochschulwesens in Deutschland im internationalen Vergleich hinsichtlich der akademischen Profession beschrieben. Abschließend werden wichtige Hochschulreformen im Hinblick auf die internationale Rekrutierung von Professoren erläutert.

Abbildung 2.4
figure 4

(Eigene Darstellung. Quelle: Eigene Auswertung auf der Grundlage ICE-Datenbank des DZHW (vgl. Statistisches Bundesamt 2018b))

Entwicklung der Professorenzahlen an Universitäten und Fachhochschulen 1992-2016.

Die Zahl der Professoren im deutschen Hochschulwesen hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre deutlich erhöht und beläuft sich im Jahr 2016 auf fast 47.000. Während sich der Anteil der an Universitäten beschäftigten Professoren seit 1992 um lediglich 13 % erhöht hat, ist insbesondere im Fachhochschulbereich ein enormer Anstieg von über 80 % zu verzeichnen (vgl. Abbildung 2.4). Trotz einer entsprechend positiven Gesamtentwicklung muss kritisch angemerkt werden, dass die Studierendenzahl im selben Zeitraum in deutlich stärkerem Maße angestiegen ist. Dementsprechend hat sich das Zahlenverhältnis von Studierenden und Professoren an Universitäten mit einem Anstieg der Quote von 58 Studierenden pro Professor im Jahr 1992 auf 67 im Jahr 2016 deutlich verschlechtert. Gleiches gilt für Fachhochschulen, an denen ein Anstieg der Quote von 39 auf 50 innerhalb des entsprechenden Zeitraums stattgefunden hat (Statistisches Bundesamt 2018b).

Akademische Laufbahnen innerhalb der einzelnen Nationalstaaten unterscheiden sich grundlegend. Dementsprechend variieren auch die Auswahlkriterien, anhand derer Hochschulen zwischen Bewerbern um eine unbefristete wissenschaftliche Seniorstelle selektieren. Im deutschen Hochschulwesen gibt es eine Vielzahl befristeter Mittelbaustellen, denen eine vergleichsweise geringe Zahl an Professuren gegenübersteht. Dementsprechend findet eine große Selektion beim Übergang von Mittelbaustellen zur Professur statt, die umgangssprachlich auch als „Flaschenhals der Wissenschaft“ bezeichnet wird. Dieser Flaschenhalseffekt als Spezifikum des deutschen Hochschulwesens hängt zum einen damit zusammen, dass durch die hohe Zahl von Mittelbaustellen, die in den vergangenen Jahren aufgrund der zusätzlich geschaffenen Drittmittelprojekte noch deutlich zugenommen hat, der Zugang zu diesen Stellen weniger strengen Voraussetzungen unterliegt als in vielen anderen Ländern. Zum anderen zählt Deutschland zu den Ländern mit dem geringsten Anteil an Seniorstellen (Galaz-Fontes et al. 2016, S. 324; Kreckel und Zimmermann 2014, S. 235).

Einen wichtigen Faktor im internationalen Wettbewerb um wissenschaftliche Spitzenkräfte stellen die länderspezifischen Einkommensverhältnisse von Professoren dar. Eine zentrale Herausforderung im Rahmen eines internationalen Vergleichs besteht darin, verschiedene Entgeltsysteme, in denen sich das Verhältnis von Grundgehalt und Zuschlägen unterschiedlich darstellen kann, unter Berücksichtigung von Faktoren wie steuerlichen Begünstigungen oder Wechselkursschwankungen in Verhältnis zueinander zu setzen. Dennoch lassen sich zumindest Größenordnungen und Mittelwerte für unterschiedliche Länder bestimmen. Der Vergleich von Kreckel und Zimmermann (2014) zeigt, dass Deutschland mit einem Durchschnittsgehalt von Professoren (der W3- bzw. C4-Besoldungsgruppe) von ca. 6.400 € deutlich hinter Großbritannien (ca. 8.400 €), den USA (ca. 7.400 €) und den Niederlanden (ca. 7.100 €), aber deutlich vor Frankreich (3.700 €) liegt. Professoren der W2-, C3- und C2-Besoldungsgruppen verdienen durchschnittlich ca. 5.200 €, womit Deutschland über dem französischen, allerdings ebenfalls unter dem britischen, US-amerikanischen und niederländischen Durchschnitt liegt (Kreckel und Zimmermann 2014, S. 240).

Das Hochschulwesen in Deutschland folgt trotz verschiedener Reformen in den letzten Jahren weiterhin dem Habilitationsmodell. Dies bedeutet, dass die Befähigung zur selbständigen Lehre und Forschung an Universitäten erst mit Abschluss einer Habilitation oder einer äquivalenten Leistung erworben wird. Dementsprechend werden Stellen für Nichthabilitierte überwiegend befristet ausgeschrieben und stellen sich somit vor allem als Qualifikationsstellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs dar (Kreckel und Zimmermann 2014). Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit dadurch auch die Rekrutierung von Professoren aus dem Ausland erschwert wird, da davon auszugehen ist, dass diese häufig keine Habilitation vorweisen können. Im Rahmen der Arbeit soll daher auch empirisch geprüft werden, wie hoch der Anteil an Professoren aus dem Ausland ist, der ohne Habilitation an eine deutsche Hochschule berufen wurde, um somit Rückschlüsse zu erhalten, wie eng de facto die Habilitationsvoraussetzung bzw. auch die Anerkennung habilitationsadäquater Leistungen im deutschen Hochschulwesen gehandhabt wird (vgl. Abschnitt 6.2.1).

Selbständige Lehre und Forschung und unbefristete Stellen an Universitäten sind weitgehend den Professoren vorbehalten, die allerdings lediglich ca. 13 % des hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen Personals stellen. Nach dem aktuellen Hochschulrecht werden Professoren nach den Besoldungsstufen W2 und W3 vergütet, die in der Regel mit einem unbefristeten Angestelltenverhältnis oder einer Verbeamtung auf Lebenszeit verbunden sind. Im Rahmen der Erstberufung gibt es allerdings seit 2002 auch die Möglichkeit einer zeitlichen Befristung, die zum Teil auch wahrgenommen wird. Das hauptberuflich tätige wissenschaftliche Personal besteht zu ca. 80 % aus Mittelbaupositionen, von denen zwei Drittel befristete Qualifikations- oder Drittmittelstellen darstellen. Im Folgenden werden zunächst die Einführung der W-Besoldung und die damit verbundene Zielsetzung für die internationale Rekrutierung von Professoren dargelegt. Im zweiten Schritt geht es generell um Reformen und Strategien bei der internationalen Rekrutierung von Professoren in Deutschland (Hüther und Krücken 2016)

Bei der W-Besoldung spielen die zusätzlich zum Grundgehalt vereinbarten Leistungszulagen eine deutlich größere Rolle. Diese Zulagen werden im Rahmen von Berufungs- und Bleibeverhandlungen für individuelle Leistungen in Forschung, Lehre, Weiterbildung und in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Übernahme von Leitungsfunktionen ausgehandelt. Im Rahmen der C-Besoldung konnten Leistungszulagen ausschließlich für C4-Stellen vereinbart werden und unterlagen dabei auch einer deutlich geringeren Obergrenze. Bei der W-Besoldung gibt es wie bei der C-Besoldung unterschiedliche Stellenkategorien. So wird die neu geschaffene W2-Professur zumeist mit der ehemaligen C3-Professur verglichen und die bestbezahlten C4-Professuren mit W3-Professuren. Dabei zeigt sich, dass das Grundgehalt der W-Besoldung insbesondere angesichts der entfallenden Gehaltserhöhungen aufgrund von Dienstaltersstufen deutlich unterhalb des Niveaus der früheren C-Besoldung liegt (Hüther und Krücken 2016). Die Gehälter in Berlin und Hessen liegen unter dem Bundesdurchschnitt. In Berlin liegen die entsprechenden Jahresgehälter nach der W-Besoldung bei ca. 64.000 (W2) bzw. 73.000 Euro (W3) und in Hessen bei ca. 64.000 (W2) bzw. 71.000 Euro (W3). Bei der C-Besoldung liegen die entsprechenden Gehälter in Berlin bei ca. 76.000 (C3) bzw. 87.000 Euro (C4), in Hessen bei ca. 77.000 (C3) bzw. 88.000 Euro (C4)Footnote 7 (Deutscher Hochschulverband 2017a, 2017b). Des Weiteren hat sich im Zuge der Einführung der W-Besoldung im Jahr 2005 auch die Juniorprofessur als W1-Stelle in Deutschland etabliert. Ursprünglich sollte die Juniorprofessur die Habilitation als Qualifikationserfordernis ersetzen. Stattdessen hat sich in Deutschland de facto ein Modell entwickelt, in der die Juniorprofessur neben der Habilitation einen alternativen Zugangsweg zur Universitätsprofessur bildet. Dabei spielen sowohl der Einfluss der Rechtsprechung zur Frage der Länderhoheit im Bildungsbereich als auch die geringe Zahl neu geschaffener Juniorprofessuren, die deutlich unter der politischen Zielsetzung geblieben ist, eine zentrale Rolle (Hüther und Krücken 2016).

Hinsichtlich der internationalen Rekrutierung von Professoren aus dem Ausland ist insbesondere die Flexibilisierung der einheitlichen Gehaltsobergrenze (B10) zu nennen. Es besteht dabei die Möglichkeit, die Gehaltsobergrenze durch Zahlungen von Leistungsbezügen zu überschreiten. Als Zielsetzung der Flexibilisierung wird dabei explizit auf die Gewinnung von Professoren aus dem Ausland sowie die Verhinderung der Abwanderung verwiesen. Es sollen somit flexible personalwirtschaftliche Lösungen gefunden werden können, um im globalen Konkurrenzkampf um Spitzenkräfte wettbewerbsfähig zu sein (vgl. Deutscher Bundestag 2001, S. 19). Das heißt, ein Motiv der Einführung der W-Besoldung bestand explizit darin, im internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte zu bestehen und somit auch die Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland zu stärken. Als einen Indikator, inwieweit die Regelung die angestrebte Zielsetzung erfüllen konnte, lässt sich der Anteil von Professoren mit ausländischer Staatsangehörigkeit zwischen Professoren in der W- und C-Besoldung vergleichen. Im Jahr 2017 lag der Ausländeranteil unter Professoren mit C-Besoldung bei 5,3 %. Der Anteil unter Professoren mit W-Besoldung liegt mit 7,2 % deutlich darüber. Es ist wichtig zu betonen, dass eine Vielzahl anderer Faktoren die Unterschiede bedingen können, dennoch deuten die Zahlen durchaus auf eine erfolgreichere Rekrutierung im Zuge der W-Besoldung hin. Die Unterschiede sind dabei auch auf den besonders hohen Ausländeranteil unter Juniorprofessoren (W1) von über 17 % (vgl. Abschnitt 4.2) zurückzuführen (Statisches Bundesamt 2018b). Neben der Flexibilisierung der Gehaltsobergrenze scheint demnach auch die Möglichkeit neuer Karrierewege, die nicht mehr zwangsläufig ausschließlich über die Habilitation zur Professur führen, dazu beizutragen, dass ein größerer Anteil an Professoren mit ausländischer Staatsangehörigkeit für das deutsche Hochschulwesen gewonnen werden kann.

Generell lässt sich hinsichtlich der Reformen und Strategien bei der internationalen Rekrutierung festhalten, dass seit Einführung des neuen Einwanderungsgesetzes im Jahr 2005 eine deutliche Liberalisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zuwanderung nach Deutschland stattgefunden hat. Nach dem Freizügigkeitsgesetz, mit dem die Vorgaben der europäischen Freizügigkeitsrichtlinie aus dem Jahr 2004 umgesetzt wurden, können Wissenschaftler aus anderen EU-Staaten in Deutschland leben und arbeiten, soweit sie nachweislich über adäquate finanzielle Ressourcen und Krankenversicherungsschutz verfügen. Nicht-EU-Bürger, die für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten nach Deutschland einreisen, müssen unter Nachweis eines konkreten Jobangebots ein Visum beantragen. Ein erfolgreicher Antrag führt im Anschluss zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung (Bruder und Galizia 2017, S. 127). Bruder und Galizia (2017) sehen in den deutschen Visabestimmungen im internationalen Vergleich hinsichtlich der Rekrutierung internationaler Wissenschaftler an sich keinen grundsätzlichen Nachteil für Hochschulen in Deutschland. Ihrer Ansicht nach lasse sich die Gesetzesänderung, wonach internationalen Studierenden aus Nicht-EU-Ländern mittlerweile ein Zeitraum von 18 Monaten gewährt wird, um eine adäquate Beschäftigung unter anderem auch im Wissenschaftsbereich zu finden, als ein wichtiger Pull-Faktor Deutschlands einordnen. Zugleich merken sie kritisch an, dass sich die Gesetzgebung in den letzten Jahren zwar deutlich liberalisiert habe, die Willkommenskultur der deutschen Behörden allerdings noch deutlich ausbaufähig sei.

Im Strategiepapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung findet sich die Zielsetzung, dass Deutschland zu einer der ersten Adressen für die besten Forscher und Studierenden weltweit werden solle. Zugleich findet darin das Bestreben Ausdruck, dass Forscher in Deutschland in besonderem Maße die Möglichkeit erhalten sollen, internationale Erfahrungen zu sammeln und internationale Netzwerke aufzubauen. Eine weitere Zielsetzung liegt darin, den Wissenschaftsstandort Deutschland sowohl für internationale als auch für deutsche, gegenwärtig im Ausland tätige Wissenschaftler attraktiver zu gestalten. Im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz von Bund und Ländern im Jahr 2013 wurde eine umfangreiche Internationalisierungsstrategie für das Hochschulwesen entwickelt. Hinsichtlich des Vorhabens, die internationale Rekrutierung von Wissenschaftlern zu begünstigen, lassen sich die nachfolgenden zentralen Akteure benennen. Zunächst ist dabei das Bundesministerium für Bildung und Forschung von Bedeutung, das gemeinsam mit den Landesregierungen für die Exzellenzinitiative zuständig ist. Durch Mittel in Höhe von 2,7 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2007 bis 2017 sollten Internationalisierungsaktivitäten sowie die Rekrutierung exzellenter internationaler Wissenschaftler durch deutsche Universitäten gestärkt werden. Auch das Nachfolgeprogramm, die sogenannte Exzellenzstrategie, durch die ab 2018 zur Förderung von Exzellenzclustern und Exzellenzuniversitäten von Bund und Ländern jährlich rund 533 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, betont explizit die Zielsetzung, dass deutsche Universitäten im internationalen Wettbewerb noch besser werden.Footnote 8 Ebenso sind der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD ) und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) zentrale Akteure im Rahmen der Förderung internationaler Mobilität von Wissenschaftlern. Der DAAD unterstützt dabei die Koordination internationaler Rekrutierungsprozesse. Das Programm der Alexander-von-Humboldt-Professur zielt auf die Rekrutierung international renommierter „Spitzenwissenschaftler“ ab (Bruder und Galizia 2017, S. 129).

Bei der Einrichtung neuer Professuren spielt – neben den Hochschulen – die Landesregierung eine entscheidende Rolle. Die Entwicklung der Professorenzahlen in den jeweiligen Disziplinen unterliegt primär der Entscheidung der Länderministerien, was auch die Entscheidungsbefugnis über die Frage beinhaltet, ob in bestimmten Disziplinen Kürzungen oder Neuausschreibungen vorzunehmen sind. Musselin (2010) gelangt in ihrer international-vergleichenden Studie „The Market for Academics“ zu der Erkenntnis, dass in Deutschland im Vergleich zu Frankreich und den USA der Einfluss der politischen Administration am stärksten ausfällt. Die inhaltlichen Kriterien und die Anforderungen an die Fähigkeiten der Bewerber unterscheiden sich bei der internationalen Rekrutierung von Professoren sehr stark nach Disziplin, den für den Wissenschaftszweig zur Verfügung stehenden Ressourcen und den potenziellen Arbeitsmarktchancen der Bewerber im außerhochschulischen Bereich (Fumasoli und Goastellec 2015).