In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Erhebung zu den Erfolgsfaktoren für eine kundenzentrierte Bereitstellung von kaufrelevanten Informationen im Schweizer Möbelhandel zusammengefasst. Dafür werden Inspirationen, die Herausforderungen beim Möbelkauf, kaufrelevante Informationen und die verschiedenen Informationskanäle genauer analysiert.
16.4.1 Inspiration
Die Inspiration war als Phase des Kaufentscheidungsprozesse vor der empirischen Datenerhebung nicht im ursprünglichen Fokus der Studie. Jedoch wurde sie als Eingangspunkt im Prozess in den Interviews von Kunden wie auch Experten immer wieder angesprochen. So wurden im 2. Auswertungsdurchlauf ganze 46 Aussagen mit dem Code „Inspiration“ versehen. Nachfolgend die Ergebnisse bezüglich verschiedener Inspirationsquellen.
16.4.1.1 Inspiration aus Katalogen und Broschüren
Einige Kunden gaben an, sich klassisch in Katalogen und Broschüren nach neuen Einrichtungsideen umzusehen. Typisch für diese Gruppe war folgende Aussage: „… und um Ideen zu holen, ist er [= der Katalog] wirklich cool. Aber ich würde darin nie ein Produkt suchen gehen“. In der Altersgruppe 40+ ist die Bedeutung dieses Kanals noch relativ hoch. Jüngere Kunden gaben dagegen an, Kataloge nur sporadisch und eher zufällig durchzublättern, diese jedoch nicht bewusst als Inspirationsquelle zu nutzen.
Die Experten waren bezüglich der Bedeutung von Katalogen und Broschüren geteilter Meinung. Der Branchenvertreter Experte 5 wies ihnen eine hohe Bedeutung zu. Anders sieht das der eCommerce-Experte Experte 2: „Ich glaube das spielt überhaupt keine Rolle, das ist überholt. … Kataloge hatten eine Rolle im Möbelkauf, weil auf der Fläche in den Filialen nicht alles verfügbar war. Da konnte man den Kunden zeigen, was es sonst noch gibt. Ich glaube es wäre sträflich, wenn man heute an diesen Katalogen festhält …“. Er relativierte diese Aussage nach einer Nachfrage und präzisierte, dass es sicher noch eine entsprechende Zielgruppe gebe, aber auch viele der älteren Generation („Silver Surfers“) mittlerweile aktiv online seien. Der Channel-Manager von FURNIT sah auch einen Wandel, der jedoch nicht abgeschlossen ist: „Es gehört zum FURNIT-Konzept dazu, dass man halt den Katalog hat. … Natürlich hat er immer noch seine Berechtigung, daher macht man ihn auch logischerweise. Aber ich glaube, heutzutage gibt es andere Mittel, die eher im Onlinebereich anzusiedeln sind, die mehr Einfluss haben“. Der digitale Transformationsspezialist Experte 1 differenzierte weiter: „Wohldosiert [spielt der Katalog] eine sehr wichtige Rolle. Das heißt konkret, noch seltener Kataloge rausbringen, die wertig sind, nahe am Buch, die man auch … – weil man es schön findet – in der Wohnung hat, um sich sozusagen kontinuierlich mit diesen Themen zu beschäftigen. Wenn man es schafft, über derartige physische Sendungen die Leute am Thema interessiert zu halten, dann gewinnt man viel mehr als über einen Newsletter“. Die Aussagen aus den Interviews zeigen, dass aktuell Kataloge und Broschüren zumindest von einem Teil der Kunden als Inspirationsquelle genutzt und geschätzt werden; dementsprechend werden Möbelanbietende wahrscheinlich weiterhin daran festhalten.
16.4.1.2 Inspiration aus dem stationären Handel
Viele Kunden lassen sich direkt im stationären Handel inspirieren. Ein Paar, das ohne konkrete Kaufabsicht in der FURNIT-Filiale war, antwortete auf die Frage zum Grund ihres Besuches: „‚Go schnöiggä‘ [stöbern], wie man es so schön auf Berndeutsch sagt“. Zu erwähnen ist, dass viele Kunden, die den Katalog angaben, auch die Filiale als Inspirationsquelle nannten.
16.4.1.3 Inspiration online
Tendenziell jüngere Kunden gaben an, sich online inspirieren zu lassen. Dies können einerseits Onlineshops oder auch die digitale Version eines Katalogs sein. Dazu erläuterte der eCommerce Experte 2: „Also zuerst kriege ich eine Inspiration. Die kriege ich ja heute oft aus sozialen Medien oder aus irgendwelchen Websites, die man angezeigt bekommt ...“. Als typische Social-Media-Kanäle wurden Facebook und Pinterest erwähnt. Passend hierzu erklärte Experte 3: „Was sicher hinzugekommen ist, sind die ganzen sozialen Kanäle, die jetzt gerade im Interior-Bereich halt schon auch eine wichtige Rolle spielen“. FURNIT verzeichnete Anfang Juni 2019 über 72.000 Besucher pro Monat über Pinterest, Möbel ITURE erreichte Anfang Juni über 35.000 Besuchern pro Monat. Die Experten im Bereich eCommerce, digitale Transformation und Channel-Management haben die wachsende Relevanz dieser Kanäle unterstrichen. Gleichzeitig wurde auch auf die damit verbundenen Herausforderungen hingewiesen. Experte 2 führte beispielsweise aus: „Der Händler kann viel direkter und viel einfacher an seine Zielgruppen und auch Interessenten erreichen, die heute noch nicht zu seiner Zielgruppe zählen. … Die Herausforderung dabei ist aber, dass man im Online- und Mobile-Auftritt dann auch wirklich Inspiration schafft, dass man den Kunden dort abholt und dass man wirklich mit ihm interagiert“. Hinweise darauf, wie Anbietende diesen Kanal erfolgreich nutzen und kaufrelevante Informationen kundenzentriert bereitstellen können, werden in nachfolgendem Kapitel gegeben.
16.4.1.4 Inspirierende Information – Storytelling
Es lässt sich kritisch hinterfragen, was Inspiration mit der Bereitstellung kaufrelevanter Informationen zu tun hat. Mit der Inspiration wird der Kaufentscheidungsprozess ausgelöst und es entsteht überhaupt erst ein Bedürfnis bei Kunden. Deshalb können Geschichten, die rund um Möbel erzählt werden, ebenfalls als kaufrelevante Information eingestuft werden. Experte 3 erklärte dies folgendermaßen: „Inspiration steht am Anfang von allem. … Dass sich die Leute ein besseres Wohnzimmer – oder welchen Raum sie auch immer einrichten wollen –, dass sie sich das mit unserem Range, mit unseren Produkten vorstellen können. … Also so die Bedürfnisse wecken. ‚Ich kann gewisse Sachen meines Lebens besser machen mit Möbel von uns‘“. Aus nachfolgender Aussage von Experte 4 lässt sich ableiten, wieso bei Möbeln gerade die inspirierenden Informationen durchaus als kaufrelevant bezeichnet werden können: „Gerade, wenn es um Design geht, geht es auch viel um Geschichten, was die Inspiration angeht. Wer die Person ist, die sich das ausgedacht hat. Da wird ja dann das Narrativ deutlich wichtiger, als die bloßen Spezifikationen wie Größe und Höhe, die eigentlich sekundär sind“. Experte 1 wiederum führte zur Konfiguration der verschiedenen Touchpoints aus: „Dann finde ich, man sollte davon wegkommen, von Informationen zu sprechen, die man am Touchpoints rüberbringen will. Sondern eigentlich sollte man eher von Werten sprechen, die man kreieren will …“. Was mit solchen Geschichten und Werten bzw. dem im Titel dieses Kapitels aufgeführten Storytelling gemeint sein könnte, konkretisierte Experte 2: „Mein Lieblings-Webshop ist Mister Porter … ein Fashionshop. Was den ausmacht, ist, dass die eine unglaubliche Vielzahl an inspirierendem redaktionellem Content haben. Die bieten Newsletter an, da sind bekannte Schauspieler oder irgendwelche Architekten, … zum Beispiel Jude Law, der erzählt, wo er am liebsten reist und was er dann trägt. Das ist aber redaktionell so gut aufbereitet, dass ich eigentlich in jeden Newsletter reinklicke und auch auf der Seite immer etwas finde“. Es geht also darum, interessanten Inhalt (oben „Content“) für Kunden zusammenzustellen. Dieser Inhalt hat nicht unbedingt direkt mit dem Produkt selbst zu tun, sondern setzt Produkte in einen Kontext. Dies geschieht auch mit der Inszenierung von Möbeln in einem Katalog. Beim Storytelling werden die Bilder mit weiteren Dimensionen erweitert. Der Mensch mit seinen Bedürfnissen oder die Geschichten rund um die Produkte werden in den Vordergrund gestellt und es wird mit, statt über Produkte kommuniziert.
Geschichten gut zu erzählen, ist eine eigene Marketingherausforderung. Treffend formulierte es Experte 4: „Mir bringt keine geile eigene Website was, mit einem super Narrativ und einer super Story, wenn die Leute nach meinen Produkten nur auf der Plattform suchen“. Wie Experte 1 erklärte, reiche es aber nicht aus, die richtigen Plattformen zu finden. So sei es „… ganz wichtig, dass man immer schaut, warum eine Person auf eine Plattform geht, was will sie dort. Zum Beispiel erwarte ich etwas anderes auf Facebook und Instagram, als wenn ich auf LinkedIn oder Tumblr gehe. Und ich glaube, die Art und Weise der Ansprache, aber auch die Botschaft oder die Information selbst, sollten einen Bezug haben zu dem, was ich auch auf der Plattform suche“. Um inspirierende Geschichten zu erzählen, sollten also zunächst die richtigen Plattformen identifiziert werden, nämlich solche, wo die eigene Zielgruppe sich aufhält bzw. nach den eigenen Produkten gesucht werden könnte. Die Geschichten wiederum sollten so erzählt werden, dass sie mit dem Zweck bzw. den Inhalten der Plattform passen.
16.4.2 Herausforderungen beim Möbelkauf
Auf die Frage zu Herausforderungen beim Möbelkauf antwortete eine Kundin bei Möbel ITURE: „Dass ich wirklich sicher sein kann, dass es das jetzt ist und es nicht noch etwas Besseres gibt“. Es fällt Kunden demnach schwer, die Unsicherheit bezüglich des Kaufentscheids so weit zu reduzieren, dass sie diesen tatsächlich fällen können. Die aufgrund fehlender Informationen vorhandene Unsicherheit bezüglich der Wirkung der Möbel in der Bestimmungsumgebung sowie bezüglich weiterer Produktmerkmale wird in den ersten 2 Unterkapiteln beleuchtet. Danach wird auf die Bedeutung der Meinung von Dritten eingegangen. Im 4. Unterkapitel werden die Herausforderungen aufgrund zu vieler Informationen bzw. einer zu großen Auswahl beschrieben. Weiter wird erklärt, dass der Transport der Möbel sowie der Weg in die Filiale ebenfalls herausfordernd sein können.
16.4.2.1 Unsicherheit bezüglich Wirkung in der Bestimmungsumgebung
Die Ergebnisse aus den Interviews zeigen, dass es Kunden schwierig finden, ausreichend Sicherheit darüber zu gewinnen, ob das Möbelstück zuhause in die Bestimmungsumgebung passt. Dies unterstreicht das hohe Involvement beim Kaufentscheidungsprozess. Bei einer Zuordnung der Herausforderungen zu den Phasen des Kaufentscheidungsprozesses wird klar, dass die Problematik nicht erst beim Entscheid selbst relevant wird. Die Informationen bezüglich der Wirkung des Möbels in der Bestimmungsumgebung sind kaufrelevant und werden entsprechend im Rahmen einer Informationssuche zusammengetragen. Danach werden diese Informationen benötigt, um eine Bewertung der Alternativen vorzunehmen. Für die Beantwortung der Forschungsfrage gilt es daher zu eruieren, wie diese Informationen zielführend bereitgestellt werden können.
16.4.2.2 Unsicherheit bezüglich Qualität und weiterer Produktmerkmale
Von Kunden gemachte Aussagen zu Produktmerkmalen, z. B. der Qualität, sind mit der Unsicherheit in der Nachkaufphase verbunden. In diesem Zusammenhang gaben Kunden an, sich vor Ort im stationären Handel ein Bild des entsprechenden Möbelstücks machen zu wollen. Ein Kunde erklärte dazu: „Ich muss es … anschauen können. Ich denke, über das Internet wird es ziemlich schwierig, dem Kunden das zu bieten, dass er weiß, dass es gute Qualität ist. Weil auch, wenn es auf dem Foto gut aussieht, … also ich vertraue auch Fotos im Internet nicht. Ich denke, ich muss die Sachen erst selbst anschauen, bevor ich sie kaufe. Gerade auch teurere Möbel“. Ähnliche Aussagen machten Kunden bezüglich Erhöhung der Sicherheit hinsichtlich weiteren Produktmerkmalen. Je nach Möbelkategorie wurden von den Kunden die Überprüfung der Materialisierung, der Haptik, des Komforts, der Robustheit oder der Wirkung der Möbel im Raum als Begründung für den Gang in den stationären Handel angegeben. Dieser Mehrwert des stationären Handels wurde auch von den Experten bestätigt. Die Bedeutung der verschiedenen Kanäle wird später noch ausführlich beschrieben. Es gilt an dieser Stelle zusammenfassend festzuhalten, dass beim Möbelkauf die Herausforderung besteht, die Sicherheit zu diversen Produktmerkmalen zu erhöhen und damit die kognitive Dissonanz zu reduzieren. Aktuell gelingt dies aus Sicht eines Großteiles der Kunden in ausreichendem Maß nur im stationären Handel.
16.4.2.3 Die Meinung Dritter
Kunden gaben an, dass es herausfordernd sei, sich mit Mitentscheidenden auf eine bestimmte Alternative zu einigen. In eine ähnliche Richtung ging die Aussage einer Kundin bei FURNIT, der es wichtig war, dass auch ihre Freunde das gekaufte Möbelstück mögen. In solchen Situationen wollen Kunden die Sicherheit bezüglich einer infrage kommenden Alternative bei Mitentscheidenden erhöhen oder auch die Meinung Dritter einbeziehen, um selbst sicherer zu werden. Entsprechend äußerte sich eCommerce Experte 2: „… und ich möchte das dann eigentlich auch ganz einfach teilen können ... und sagen: ‚Guck mal drauf, wie findest du das, passt das?‘“ Der Bedarf des Einbezugs Dritter beim Möbelkauf konnte bereits in einer früheren Studie festgestellt werden (vgl. Aemmer et al. 2019, S. 102). Der Einfluss von Drittmeinungen wird zudem im Zusammenhang mit der Relevanz von Kundenbewertungen und bei der Inspiration unten diskutiert.
16.4.2.4 Informationsflut und zu viel Auswahl
Kunden bietet das Internet ein deutlich größeres Angebot als im stationären Handel. Der Channel-Management-Experte, Experte 1, hat eine Auswirkung davon folgendermaßen beschrieben: „Es ist einfach die schiere Menge. Da gibt es sicher auch Studien darüber. Ich habe das Gefühl, manchmal denkt man noch ‚okay, ich könnte noch was kaufen‘, aber danach schaust du das Ding an und nur schon angefangen, sich damit auseinanderzusetzen, denkt man ‚oh nein, da hinten hat es irgendwie gefühlte fünftausend Sofas, das schaffe ich nicht‘“. Tatsächlich haben die Informationsflut und die Strategien, damit umzugehen, mit insgesamt 27 codierten Aussagen einen Schwerpunkt bei den Interviews mit den Experten dargestellt. Die Gewichtung des Themas ist umso bedeutsamer, als dass die Interviewer die Informationsflut nicht direkt ansprachen bzw. keine Fragen explizit zu diesem Punkt stellten. Die entsprechende Code-Kategorie wurde erst im 2. Analysedurchlauf festgelegt. Mit 9 weiteren codierten Aussagen haben auch Kunden auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit der großen Auswahl sowie der Informationsflut hingewiesen. Dabei besteht die Herausforderung vor allem online. Eine Möbel ITURE-Kundin führte diesbezüglich aus: „Ich denke online sind vielleicht viele Informationen vorhanden, aber die Schwierigkeit ist dort eher, sich zurechtzufinden mit den Informationen oder mit der Flut von Informationen oder an die richtigen Informationen zu kommen“. Im Zuge der ethnografischen Beobachtungen ist aufgefallen, dass im stationären Handel ebenfalls eine große Menge an Informationen bereitgestellt wird. Die Informationsmenge wirkt jedoch für viele nicht problematisch. Die meisten Kunden erklärten, dass ihnen die Einrichtung der Filialen sehr gut gefalle. Bezeichnend dafür steht dieses Zitat eines Ehepaars: „… Möbel ITURE inspiriert uns jedes Mal, auch die Ausstellung. Die machen das … sehr gut“.
16.4.2.5 Der Transport nach Hause und der Weg in die Filiale
Die Logistik des Möbelkaufs stellt für einige Kunden eine Herausforderung dar. Eine Kundin bei Möbel ITURE gab als für sie relevante Information an, ob die Möbel geliefert und aufgebaut werden können. Eine Kundin bei FURNIT erwähnte, dass sie ihr Wunschobjekt jetzt gefunden habe, es aber nicht direkt mitnehme, sondern bestellen und liefern lassen werde. Ein Pärchen begründete seinen Besuch der Möbel ITURE-Filiale folgendermaßen: „Wir wohnen in der Stadt. Das ist jetzt ein relativ großer Möbelladen und hat auch eine gewisse Fläche, wo sie Sachen ausstellen können. In anderen Läden ist es aber so, dass man auf [Stadt, ca. 20 km entfernt] oder so gehen muss, um sich das anzuschauen. Wir haben kein Auto, daher geht man nicht schnell zu FURNIT ein Sofa oder kleinere Sachen kaufen“. Herausfordernd ist somit für eine gewisse Kundengruppe auch der Weg zum stationären Handel. So erwähnte der Digital-Channel-Manager bei FURNIT, Experte 3: „Es geht halt in Richtung Stadt. Das sieht man bei anderen Anbietern, die auch immer mehr in die Stadt finden. Wie z. B. Zara Home oder H&M. Ich glaube, diese Bewegung ist ziemlich offensichtlich. Da werden wir natürlich auch unser Bestes geben, um stationär noch mehr in der Stadt stattzufinden“.
16.4.3 Kaufrelevante Informationen
Haben Kunden sich inspirieren lassen oder ist ein effektives Bedürfnis für einen Möbelkauf vorhanden, folgen die beiden Phasen Informationssuche und Bewertung von Alternativen. Es fällt Kunden schwer, sich zu entscheiden. Die Befürchtung, dass das Möbel nicht in die Bestimmungsumgebung passt, den Mitmenschen nicht gefällt, die Qualität nicht stimmt oder irgendwo im Angebotsdschungel doch noch eine bessere Alternative zu finden wäre, schwingt stets mit. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Informationen den Kunden helfen, einen Entscheid zu fällen. Deshalb werden in diesem Kapitel mögliche kaufrelevanten Informationen anhand der Aussagen in den Interviews gruppiert und in Zusammenhang mit den Phasen des Kaufentscheidungsprozesses gesetzt. Danach werden die von Interviewpartnern am höchsten gewichteten bzw. erwähnenswertesten Informationskategorien vorgestellt.
16.4.3.1 Übersicht und Strukturierung
Eine Übersicht über alle kaufrelevanten Informationen herzustellen, ist kaum möglich. So erklärte Experte 2, dass allein auf Onlineshops über 300 Einzelkriterien zusammenkämen. Die Antworten der Kunden auf die Frage, was für sie kaufrelevante Informationen darstellen, könnten jedoch darauf hindeuten, welche Informationen besonders relevant sind. Das Optische bzw. das Design, die Dimensionen, die Funktionalität, der Preis, die Qualität, die verwendeten Materialen sowie die Pflege davon oder der Komfort wurden immer wieder genannt. Eine besonders wichtige Rolle spielt der Preis. So haben mehrere Experten darauf hingewiesen, dass mit dem Internet bzw. der digitalen Transformation eine höhere Preistransparenz entstanden sei. Der Branchenvertreter Experte 5 äußerte dazu seine Bedenken: „Heute positionieren sich alle irgendwie über Aktionen, über noch mehr Rabatt. … [Es] sind für mich sehr viele Möbeldetailhändler einfach sehr ähnlich. Und alle profilieren sich über den Preis“. Abgesehen vom Preis sind nicht bei jedem Möbelstück die gleichen Informationen relevant. Dies zeigt sich in der Antwort des Begleiters einer Interviewpartnerin bei FURNIT. Dieser erklärte, er möchte „… beim Sofa vor allem einmal draufsitzen. Schauen, ob es bequem ist“ oder bei einer Kommode „… die Schublade rausziehen, nicht dass es gerade auseinanderfällt“. Eine Kundin bei FURNIT hat darauf hingewiesen, dass die zur Verfügung stehende Auswahl (Modelle, Ausführungen bzw. die Individualisierbarkeit) eine relevante Information sei. Obwohl keine konkrete Frage dazu gestellt wurde, gaben viele Kunden an, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig sei. Weitere Stichworte waren Verfügbarkeit, Lieferzeiten, Liefer- und Aufbauservice, Rückgaberecht, Garantie und Reparaturservice. Auch die Experten haben bei der Frage nach kaufrelevanten Informationen diese Faktoren bestätigt.
Basierend auf den Interviews wurden kaufrelevante Informationen gruppiert. Experte 3 führte dazu aus: „Die Grundsachen sind sicher der Preis und die Verfügbarkeit. Das sind einmal Grundvoraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit man überhaupt rein technisch einen Vertrag oder einen Kauf abschließen kann“. Als weiteren Schritt gab er an: „Und dann sind es natürlich all die Faktoren wie eben Farben, Materialen, Maße deiner Möbel“. Danach fügte er weiter an „Dann natürlich der Stil. Passt es überhaupt zu meiner Einrichtung? … Das sind so all die quasi kleinen Bits and Pieces, die sich zu einem ganzen Bild zusammenfügen“. Weiter erklärte Experte 3, was aus seiner Sicht die Geschichte rund um das Produkt oder die Nachhaltigkeit förderliche Aspekte darstellen, aber eben sicher nicht Hard Selling seien. Anhand dieser Ausführungen von Experten und Kunden wird in Tab. 16.2 eine Auswahl von kaufrelevanten Informationen den Phasen des Kaufentscheidungsprozesses zugeordnet. Es ist zu beachten, dass die Auswahl der Informationen auf keinen Fall abschließend ist, sondern Anhaltspunkte für die danach beschriebenen Erfolgsfaktoren bei der Bereitstellung von Information darstellen sollen.
Tab. 16.2 Strukturierung kaufrelevanter Informationen 16.4.3.2 Produktempfehlungen
Produktempfehlungen spielen an mehreren Stellen im Kaufentscheidungsprozess eine Rolle. Einerseits erscheint es nachvollziehbar, dass Kunden ganz zu Beginn durch eine passende Empfehlung inspiriert werden können. Andererseits erleichtern bzw. verkürzen auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Produktempfehlungen den Prozess. Jedoch waren sich die Experten 2,3, und 4 einig, dass hier die Reise erst gerade begonnen habe. Experte 2 formulierte es so: „Ich finde auch gerade Produktempfehlungen sind ein spannendes Thema. Und die kann man online ganz gut spielen, aber sie passen oft auch noch nicht so gut. Also das sind irgendwelche Recommendation Engines. Ich weiß nicht, auf welcher Basis die da Empfehlungen auswerfen. … Da gibt es Verbesserungspotenziale“. Experte 3 meinte, dass zukünftig sicherlich mithilfe von Algorithmen von großen Tech-Firmen oder auch von FURNIT selbst Produktempfehlungen aufgrund von Kundendaten geschaltet würden. Experte 4 sprach von der „theoretischen Möglichkeit, über Nutzerinformationen andere Einschätzungen zu Produkten zu bekommen. Empfehlungen zu bekommen, die näher an den eigenen Bedürfnissen sind“. Den Nutzen von solchen bedürfnisspezifischen, datenbasierten Produktempfehlungen sieht Experte 3 wie auch Experte 4 als Teil einer kundenzentrierten Beratung, insbesondere im stationären Handel. Produktempfehlungen auf Basis persönlicher Daten bergen allerdings große Herausforderungen. Die Sammlung, Auswertung, Interpretation und Bereitstellung der Daten erfordern ein hohes Maß an Verantwortung im Bereich Datenschutz. Experte 3 äußerte sich zu diesem Thema folgendermaßen: „Ich glaube, da gilt es, so wenig Datenpunkte wie möglich in Anspruch zu nehmen, um das [= personalisierte Produktempfehlungen] zu erreichen …, sodass es nicht creepy wird und nicht so quasi überwachungsstaatsmäßig wird, muss man da recht vorsichtig sein, was man alles für Daten in Anspruch nimmt, damit der Kanalübertritt gewährleistet werden kann“. Experte 4 bezeichnete eine transparente, glaubwürdige Datenstrategie als die zentrale Voraussetzung, um digital personalisierte Produktempfehlungen zu ermöglichen.
16.4.3.3 Kundenbewertungen
Die Bedeutung von Kundenbewertungen wurde in den Interviews mit Kunden wie auch Experten abgefragt. Eine hohe Relevanz zeigt sich in den Antworten einiger Experten auf die Frage, welche kaufrelevanten Informationen mit der digitalen Transformation verfügbar geworden sind. Experte 1 und 2 bezeichneten die Kundenwertungen sowie Fragen und Antworten von Kunden als eine der wichtigsten kaufrelevanten Informationen. Experte 3 bestätigte, dass FURNIT an eine Bedeutung von Kundenbewertungen glaube. So sei FURNIT einer der ersten Anbieter gewesen, die Kundenbewertungen einführten. Er präzisierte weiter: „Das hat definitiv einen Einfluss auf die Kaufentscheidung, auch wenn es eher vielleicht unterbewusst ist und nicht einmal so ‚ah, okay, und jetzt hat es ein Review, jetzt kaufe ich‘. Sondern es ist eher nochmals so ein zusätzlicher Soft Factor, der dir hilft, deine kognitive Dissonanz zu nehmen“. Experte 2 ging noch einen Schritt weiter und erklärte: „Ich glaube, die größte Herausforderung liegt heute da drin, dass man Informationen, die online verfügbar sind, auch offline verfügbar macht. Ich denke da weniger an die ganzen Detailinformationen. … Es geht vielmehr um die Frage, was eigentlich die beliebtesten Regale in unserem Onlineshop sind. Was sind die Topseller? Und genau so wichtig: Was sind denn eigentlich die Bewertungen. Was ist die Einschätzung unserer Kunden? … Man könnte so elektronische Preistags verwenden, wo immer automatisiert die Sachen drauf sind. Oder man stellt irgendwie andere Medien zur Verfügung, wo der Kunde gleich ganz vertrauensfördernd die ganzen Kundenmeinungen, -bewertungen und auch Fragen und Antworten in der Offlinefiliale lesen kann“. Dass es in diese Richtung gehen könnte, verriet Experte 3: „Irgendwann werden unsere Produktschilder [und] unsere Preisschilder nicht mehr gedruckt sein. Sondern irgendwann wird das elektronisch sein. Und entweder werden sie dann schon ersichtlich sein und sonst haben wir irgendeinen NFC-Chip drin oder einen QR-Code, den man abscannen kann, und dann wird das Review dann spätestens auf dem Mobile Phone ersichtlich sein“.
Viele Kunden und Experten sind gegenüber Bewertungen von unbekannten Dritten skeptisch. Einige gaben an, sie würden die Bewertungen vor allem beachten, wenn sie negativ seien. Der Begleiter einer Interviewpartnerin bei FURNIT erklärte seine Bedenken folgendermaßen: „Ich habe kein großes Vertrauen in diese Kommentare, da man Kommentare auch selbst erstellen kann. Also jeder und alle können Kommentare erstellen. Ein Geschäft könnte auch sagen, dass sie einige Leute aussuchen, die eine gute Kritik schreiben sollen“. Interessanterweise bezeichneten insbesondere die Kundinnen, die sich über soziale Medien inspirieren lassen oder schon online Möbel gekauft hatten, Kundenbewertungen als relevant. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Bedeutung bei der digital affinen Kundengruppe durchaus vorhanden ist. Überraschend kritisch äußerte sich der Experte für digitale Transformation, Experte 4: „Also da bin ich skeptisch. … Man sieht es auch bei der Relevanz von Kuratoren oder Influencern, die füllen genau diese Lücke, weil man auch durch diese Massenbewertung einfach [beeinflussen kann]. Das ist hochgradig unseriös und die Schlussfolgerungen extrem schwierig, weil man dazu viel mehr wissen müsste, welche Person das gemacht hat. Also ich glaube, gerade im Möbelbereich, wo es um subjektive Einschätzungen geht in Bezug auf Stil und Ästhetik, [sind Kundenbewertungen] eher unwichtig, ja“. Er fügte aber an, dass er Prozessbewertungen von Kunden, also die Art des Austausches mit der Firma bzgl. Lieferungen, Reklamationen, Umgang mit Reklamationen, als hochgradig relevant einschätze.
16.4.3.4 Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit wird als Einflussfaktor wichtiger. Eine Kundin bei FURNIT erklärte: „Ich habe mich bei den Kissen bewusst entschieden, … da sie aus natürlichen Fasern hergestellt wurden und nicht aus China stammen. … Es hatte Kissen mit einem Siegel bezüglich Qualität, dass es eben fair produziert wurde. Die haben etwas mehr gekostet. Aber das konnte ich zahlen. Das war mir wichtig“. Diese Aussage zeigt, dass Kunden in gewissen Fällen bereit sind, mehr für nachhaltige Produkte zu zahlen. Fast alle Kunden gaben bei Möbel ITURE an, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig sei. Experte 3 erklärte die Relevanz von Nachhaltigkeit beim Kaufentscheid folgendermaßen: „Das ist sicher so etwas, das im Hintergrund schimmert und eben eigentlich so ein bisschen ein Halo-Effekt ist und dir einfach ein gutes Gewissen oder so die Bestätigung gibt: ‚Ja, es ist etwas, ich mache es richtig‘, in dem Sinne: ‚Es ist das richtige Produkt‘. Ich glaube eben, wenn der Preis nicht stimmt oder das Produkt nicht verfügbar ist, dann schlägt das aber diese Faktoren. Aber ich glaube, je länger, [desto] mehr wird das auch verlangt und wird auch wichtiger. Man hat jetzt auch gerade einen Test am Laufen mit dem FSC-Holz, zusammen mit anderen Ländern, aber es gibt da jetzt noch keine Insights, was das jetzt genau für eine Auswirkung hat auf den Kaufprozess“. Experte 1 erwähnte Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Geschichten um das Produkt, um Kunden zu inspirieren. Auch Experte 4 wies auf das höhere Maß an Sensibilisierung zum Thema Nachhaltigkeit hin. Bezüglich des Kaufentscheidungsprozesses lässt sich zusammenfassen, dass Nachhaltigkeit ein Faktor ist, der für den Entscheid für ein Möbelstück nicht entscheidend ist, aber diesen begünstigen und die Zufriedenheit in der Nachkaufphase positiv beeinflussen kann.
16.4.3.5 Konfiguration/Individualisierbarkeit
Individualisierung ist ein wichtiger Trend in der Möbelbranche und es wird mit einer ansteigenden Nachfrage nach individualisierten Möbelstücken gerechnet (PwC 2017, S. 28). Auch der Branchenvertreter Experte 5 erwähnte im Zusammenhang mit der digitalen Transformation die besseren Möglichkeiten zur Konfiguration von Möbelstücken. Mit einer kundenspezifischen Konfiguration von Möbeln kann die Sicherheit, das passende Möbelstück zu kaufen, maßgeblich erhöht werden. Anders als bei Standardmodellen kann ein Teil der kaufrelevanten Informationen (Produktmerkmale) so verändert werden, dass sie besser auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Trotzdem gilt es zu hinterfragen, wer unter Anbetracht der vorhandenen riesigen Auswahl sowie der Informationsflut die Konfiguration von Möbel vornehmen sollte. Kunden sind in vieler Hinsicht schon jetzt überfordert. Im Rahmen der Studie wurden einige Tests sowie anekdotische Beobachtungen durchgeführt. Die Erfahrung bei der Anwendung wurde dabei als nicht zufriedenstellend eingestuft. So waren die Funktionen nicht selbsterklärend und es gab zu wenig Hilfemöglichkeiten, um die Bedienung zu erlernen. Während der anekdotischen Beobachtungen in der Filiale von FURNIT fiel auf, dass auch einfachste Konfiguratoren nur gemeinsam mit Kundenberatenden genutzt wurden. Jedoch sind in diesem Zusammenhang weitere Untersuchungen nötig, um den Nutzen von Konfigurationstools praxisgerecht darzustellen.
16.4.4 Kanäle und Kundenlenkung
Bisher wurden Inspiration, Herausforderungen, sowie kaufrelevante Informationen beim Möbelkauf beleuchtet. In diesem Kapitel wird der Fokus auf die Nutzung der Kanäle beim Kaufentscheidungsprozess gelegt. Die Struktur des Kapitels folgt dem Ablauf der Customer Journey. Nach den Ausführungen zu den Erfolgsfaktoren für die Bereitstellung der Information auf digitalen Kanälen (Information online), wird die Gestaltung des Übergangs beschrieben. Schließlich werden die Erfolgsfaktoren für die Bereitstellung von Information im stationären Handel analysiert. Im Kapitel zum stationären Handel sind zudem die Ergebnisse der Analyse von Leading Practices zusammengefasst.
16.4.4.1 Information online
Neun der 13 interviewten Kunden hatte in der letzten Zeit den Onlineshop von Möbel ITURE oder FURNIT besucht. Sechs Kunden hatten bereits einmal online Möbel bestellt. Bezüglich der Angabe zu Onlinekäufen ist jedoch zu beachten, dass nicht genau spezifiziert wurde, um was für Möbel es sich handelt. So erklärte ein Kunde: „Ich kaufe mir höchstens eine Lampe auf Websites“. Somit lässt sich nicht abschließend eruieren, ob diese Kunden auch Möbelstücke mit hohem Involvement beim Kaufentscheidungsprozess online kaufen würden. Zudem ist nicht klar, ob die Kunden, die online bestellten, nicht davor bereits im stationären Handel Informationen zusammengetragen hatten. So meinte Experte 3 auch: „Wenn es ein Einkauf ist, wo man höher involviert ist, wird man wahrscheinlich selten nur einen Touchpoint angehen“. Experte 4 sagte dazu: „Speziell bei Möbeln ist natürlich, dass nebst dem Preis die ästhetische Ebene eine ganz hohe Relevanz hat. Und auf der bis heute noch beschränkten Abbildungsmöglichkeiten, nämlich auf einem zweidimensionalen Screen, kann diese ästhetische und haptische Ebene – wie fühlt sich ein Material an, wie wirkt es im Kontext des eigenen Zuhauses – nur sehr unbefriedigend visualisiert oder virtualisiert werden“.
Alle Experten erwähnten, dass bezüglich des Wegs zum gewünschten Objekt Optimierungspotenzial bestehe. Dabei scheint einerseits der Einstieg bzw. der Zugang zu den Produkten beispielsweise in Form von kundenzentrierten anstatt produktzentrieren Filtern und Suchfunktionen hilfreich. Andererseits wiesen mehrere Experten auf den Nutzen von Kuration hin. Dabei wird nicht anhand von Filtern oder Suchfunktionen die Auswahl eingeschränkt, sondern anhand einer Expertenmeinung Produkte empfohlen. Experte 1 erläuterte den Nutzen des Kuratierens folgendermaßen: „Es hat dann wie mehr Wert, wenn man sagt: ‚Hey, dieser Tisch, der ist auf dich zugeschnitten, weil da können deine Kids rumturnen‘. Also mehr so Sachen, die im Alltag dann eine Relevanz haben“. Also mehr so Sachen, die im Alltag dann eine Relevanz haben“. Zudem wies Experte 1 darauf hin, dass dank der Einteilung von Produkten nach Bedürfnissen oder Lebensstilen auch die Produktinformation treffender auf die entsprechende Kundengruppe zugeschnitten werden könne. Dass mit einer Reduktion der Auswahl und somit Reduktion der Komplexität durch Expertenmeinungen ein gefragter Mehrwert geschaffen werden kann, zeigt ein Beispiel, das Experte 4 erwähnte: „Was ich noch interessant finde, ist die Plattform goodcheapandfast.com. Das ist ein Typ, der selektiert aus dem Amazon-Angebot in verschiedenen Kategorien Produkte. Also der reduziert sozusagen die Komplexität, bildet die Produkte auf seiner Website ab. Er wählt aus und wenn man es kaufen will, wird man auf Amazon geleitet. … Die Leute kommen auf diesen Plattformen nicht mehr zurecht. Das ist zu abstrakt. Die Auswahl ist unkonsumierbar“. Als weitere Möglichkeit zur Reduktion der Komplexität scheinen wiederum automatisierte Produktempfehlungen zu sein. Auch Live-Chats oder Videoberatungen mit Kundenberatenden haben Zukunftspotenzial. Dies einerseits, weil im Rahmen der angestellten Beobachtungen starke Schwankungen beim Kundenaufkommen im stationären Handel festgestellt werden konnten und dadurch wohl vereinzelt Kapazitäten für zusätzliche Onlineberatungen bestehen könnten. Andererseits wäre Unterstützung bei der Suche, z. B. in Form der Beantwortung von Fragen oder auch beispielsweise bei der Anwendung eines Konfigurators, im richtigen Moment voraussichtlich hilfreich. Es gilt jedoch zu beachten, dass die allermeisten Kunden der Idee der Videoberatung oder Beratung über Chat sehr kritisch gegenüberstanden.
16.4.4.2 Gestaltung Kanal-Übergang
Kunden sollen in die Filiale gelenkt werden. So führte Experte 3 aus: „Aber natürlich, es ist Fakt, dass, wenn du im Store bist, die Conversion Rate um ein x-Faches höher als online ist. … Und wie gesagt, der Kunde soll dann entscheiden, wie er die Customer Journey gestaltet. Wir probieren einfach möglichst, die Connection zwischen den verschiedenen Kanälen zu machen mit unseren Systemen, so gut, wie das halt eben möglich ist“. Diese Relevanz unterstrich auch Experte 1: „Das trägt dann viel stärker zur Loyalität bei. Ein Live-Kontakt ist immer intensiver als jeder Onlinekontakt, weil einfach so viel andere Sachen noch mitspielen. Man kann am POS mit so viel mehr arbeiten. Man hat persönlichen Kontakt zu den Leuten. Man kann einen Duft schaffen, der viel stärker oder der viel tiefer ins Hirn geht. Was eben die Leute viel stärker bindet ...“. Bezeichnend dafür ist eine Aussage einer Kundin bei FURNIT. Sie sagte zum Grund ihres Filialbesuchs: „Wir hatten für heute nichts geplant und da sagte ich: ‚Lass uns mal zu FURNIT gehen‘“. Es ist folglich nicht so, dass die Kunden lediglich wegen fehlenden Informationen zu einem Filialbesuch gezwungen werden, wie dies etwas überspitzt in der Costumer Journey formuliert war.
Ein gut gestalteter Kanalwechsel zum stationären Handel kann den Kaufabschluss begünstigen. Die meisten Kunden mussten sich für den Filialbesuch nicht vorgängig informieren. Falls doch, wurden nötige Angaben wie die Verfügbarkeit des Wunschobjekts, Öffnungszeiten oder Adresse gefunden. Eine höhere Bedeutung hat jedoch, die Kunden zu einem Besuch des stationären Handels zu motivieren. So relativierte Experte 4 in diesem Zusammenhang das Ziel, den Abschluss bereits online herbeiführen zu wollen, folgendermaßen: „Naja, es ist doch schön, wenn es funktioniert, wie gesagt. Aber was mir nichts bringt, ist, wenn es die meisten wieder zurückschicken, weil es nicht den Vorstellungen entspricht. Also ich glaube, in einem ersten Schritt wäre es cooler, die Plattformen so zu nutzen, dass man sie als Vehikel in Richtung Möbelgeschäft nutzt, um dann entweder dort die Kaufentscheidung zu treffen oder aber dann, nachdem man es gesehen hat, zu Hause online, die finale Entscheidung noch mal entlang der Auswahlmöglichkeiten zu Ende führt. Das ist doch das, was gerade im Hochpreissegment funktioniert heute“. Der Übergang soll somit möglichst motivierend gestaltet werden, um online noch unentschlossenen Kunden das Fortführen des Kaufentscheidungsprozesses zu ermöglichen sowie zusätzlich die Chance zu nutzen, die Kundenbindung mit einem intensiven Kundenerlebnis zu erhöhen.
Die Motivation zum Besuch des stationären Handels sollte von positiven Emotionen begleitet werden. So erklärte Experte 3: „Ein Storebesuch bei uns soll auch immer ein Erlebnis sein. Also es soll auch immer so ein Überraschungsfaktor mitspielen. … Eben, es soll ein Erlebnis sein …, dass du auch wirklich eintauchst in verschiedene Welten und auch inspiriert wirst von unseren Raumsets und von anderen Ideen rund ums Zuhause. Und natürlich auch der Bauch, der mitkommt, der vielleicht auch einmal gefüllt werden muss zwischendurch, oder vorher oder nachher, in unserem Bistro oder im Restaurant. … So probieren wir auch immer, die Überraschungs- oder Erlebniskomponente mitzugeben, wenn wir sagen: ‚Okay, gehe doch in unseren Store schauen und mach dir einen schönen Tag im Store‘“. Experte 1 wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es viele Wege gäbe, jemanden für etwas zu motivieren und dies nicht unbedingt jedes Mal ein Preisnachlass, sondern Neugier oder Mitteilungsbedürftigkeit sein kann. Ebenfalls einen konkreten Vorschlag, der jedoch eher mit dem Preis zu tun hat, äußerte Experte 2: „… ihnen vielleicht [online] gleich schon einen Bonus liefern: ‚Jetzt guckst du dir diesen Artikel an und wir geben dir einen einmaligen Rabattcode und wenn du innerhalb der nächsten 5 oder 3 Tage in der Filiale den Rabattcode zeigst, dann bekommst du 5 % extra‘“. Er erläuterte darauffolgend, wieso dies aus seiner Sicht wichtig ist: „Dann hätte man auch mal die Möglichkeit, das zu messen. Da scheitern ja auch viele daran. … Diesen Impact für ROPO – Research Online, Purchase Offline. … Da muss man sich heute auch mal Gedanken machen, wie man das messbar machen kann“. Um den Filialbesuch mit positiven Emotionen zu verknüpfen, kann den Kunden folglich ein Erlebnis (z. B. Überraschung, Essen, Kinderspielplatz, Events) oder einen Vorteil (Rabatte, Gewinnspiel) in Aussicht gestellt werden.
16.4.4.3 Information stationär und Verknüpfung der Kanäle
Ist der Übergang in den stationären Handel geschafft, sollten die Kunden nahtlos an die Onlinerecherche anschließen können und nicht wieder von vorne beginnen müssen. Wie im Ausschnitt der hypothetischen Customer Journey dargestellt, ist dieser nahtlose Anschluss aktuell kaum gewährleistet. Gleichzeitig wollen viele Kunden keine zusätzlichen Hilfsmittel oder Unterstützung. Eine Kundin bei Möbel ITURE meinte: „Ich dachte einfach, ich gehe von zuoberst nach unten durch. Diese Zeit nehme ich mir“. Auf die Frage, wie er auf seine vorgängig gesammelten Informationen in der Filiale zurückgreife, antwortete ein Kunde bei Möbel ITURE spöttisch: „Indem man sich daran erinnert“. Die 5 Kunden, die vorgängig online recherchiert hatten, gaben auf die Frage, wie gut sie in der Filiale an der Onlinerecherche anschließen können, 4-mal mit dem maximalen Wert als sehr gut an. Nur ein Kunde bei FURNIT beurteilte den Anschluss mit einer 3 eher mittelmäßig. Dieser Kunde befürchtete, dass das infrage kommende Möbel nicht passe und er dann von vorne beginnen müsse. Er fügte seiner Antwort aber an, dass er auch nicht wüsste, wie man die Situation verbessern könnte. Eine Kundin gab als Herausforderung beim Möbelkauf an, dass sie „Angst habe, [das Möbel] nicht zu finden“. Ihr Lösungsvorschlag wäre, das Personal zu fragen.
Relevanz der Beratung
Die Aussage der FURNIT-Kundin weist auf die Beratungskompetenz und den Informationsvorteil der Kundenberatenden als Erfolgsfaktor. Anders als die Kunden bestätigten nämlich mehrere Experten, dass der Anschluss an die Onlinerecherche wichtig sei und diesbezüglich Optimierungspotenzial bestehe. Die Frage, wie gut Kunden im stationären Handel auf die vorgängig recherchierten Informationen zugreifen (bzw. wieder anschließen) können, beurteilte Experte 2 mit 2 (eher ungenügend) und Experte 4 mit 1 (ungenügend) als sehr schlecht. Experte 4 führte aus: „Ich sehe überhaupt keine Schnittstelle. Vielleicht gibt es irgendwelche Computer, wo die Sachen da wären, aber der entscheidende Schritt ist ja, dass die Informationen dann zum Berater, zum Verkäufer gelangen. Und das habe ich bislang nie erlebt, dass dies wirklich gemacht wird“. Daraus lässt sich vermuten, dass es beim nahtlosen Anschluss an die Onlinerecherche vor allem um die weiterführende Beratung geht. Gleich mehrere Experten bemängelten, dass die Kundenberatenden vielfach kaum Informationen hätten, die nicht auch online abgerufen werden könnten. Experte 2 erklärte beispielsweise: „Das ist ja sehr oft leider dann doch nicht so, dass der Verkäufer einen beraten kann. Dass man heutzutage losgeht und viel mehr Informationen hat über das, was man kaufen will als die Verkäufer vor Ort“. Auch Experte 1 erwähnte, dass ihr ein Verkäufer nach der Onlinerecherche nicht viel zusätzliche Information liefern könne.
Insgesamt gaben die Kunden zur Relevanz der Beratung beim Möbelkauf mit einem Mittelwert von 4,4 sehr hohe Werte an. Bemerkenswert ist, dass 2 jüngere Kundinnen bei FURNIT, die wohl eher digital affin sind, mit 3 (weder wichtig noch unwichtig) als einzige einen eher tiefen Wert angegeben haben. Bei der geringen Anzahl befragter Kunden kann dies aber auch Zufall sein. Eine Kundin bei Möbel ITURE erzählte: „Vorher sah ich einen Tisch und sagte, in einem nächsten Schritt würde ich mich beraten lassen, damit mir die Möglichkeiten aufgezeigt werden und ich finde ein persönliches Gespräch manchmal bequemer als alles selbst online zu überlegen und zu machen“. Da diese Kundin vorgängig online recherchiert hatte, gälte es, laut Experte 4, genau hier anzusetzen: „Und die Kür wäre dann natürlich, die Themen, die man online recherchiert hat, oder sozusagen schon die Orientierung, die man hat, in den stationären Laden zu transferieren, dass man dort nicht wieder bei null anfängt. Das ist ja das, um was es heute geht, und was auch noch völliges Neuland ist“. Um dies nutzenstiftend und damit kundenzentriert bewerkstelligen zu können, müssten nicht nur ein Merkzettel mit einzelnen Produkten, sondern auch der Weg, wie die Kunden zu den entsprechenden Produkten gekommen sind, von den Kundenberatenden nachvollzogen werden. Experte 4 erklärte dies folgendermaßen: „Wenn ich nur die Empfehlungen sehe, habe ich keine Ahnung, was das für [ein Mensch] ist. Aber wenn ich weiß, zu was [sie] vorher ‚ja‘ und ‚nein‘ gesagt hat, dann kann ich mir sozusagen eine plastischere Vorstellung machen. Und diesen Weg mitnehmen können, damit jemand vor Ort, eine Person, ja, das als Grundlage für die weitere Unterstützung nehmen kann, das ist glaube ich der Clou“. Auch Experte 3 war sich diesem Optimierungspotenzial bewusst: „Nein, also eben, das ist sicher so, die digitale Kompetenz der Leute auf der Fläche, das ist sicher noch eine Herausforderung, die es zu lösen gilt. Also dass man ... ja, schlussendlich hängt alles an Daten. Und dass man die Daten, die relevant sind für die Mitarbeiter auf der Fläche, dass man die zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stellen kann. Ob das jetzt mit einer App sei oder wie auch immer das dann aussehen wird, da arbeiten wir daran. Also da sind wir sicher noch nicht dort, wo wir sein wollen“. Es ist somit anzunehmen, dass mit der voraussichtlich zukünftig stattfindenden konsequenteren Datensammlung sowie der steigenden Fähigkeit, diese Daten zu interpretieren und zu nutzen, auch im stationären Handel vermehrt Orientierung in Form von bedürfnisspezifischer Beratung und Empfehlungen geboten wird. Diverse Trends der digitalen Transformation werden diesbezügliche neue Möglichkeiten mit sich bringen. Dies sind wohl beispielsweise das Internet of Things zur Datensammlung, Big-Data-Modelle und künstliche Intelligenz für die Auswertung und Analyse der Daten. Beratung bleibt also wichtig, sollte jedoch stärker die individuelle Customer Journey berücksichtigen.
Verknüpfung der Kanäle und Beispiele Leading Practice
Für das Bestreben, anhand von Nutzerdaten mehr Orientierung im Angebotsdschungel und der Informationsflut zu schaffen, müssen Kanäle miteinander verknüpft werden. Einerseits könnten Kunden direkt in der Filiale über Apps auf ihren Smartphones kundenspezifische Empfehlungen zur Verfügung gestellt werden. Dies z. B. abhängig davon, was sich die Kunden vorher online angeschaut oder in welchem Bereich der Filiale sie sich aufgehalten haben. Ähnlich könnte die Beratung funktionieren. In diesem Fall müssten die Nutzerdaten jedoch den Kundenberatenden zur Verfügung gestellt und in die Ausbildung des Beratungspersonals investiert werden.
Um was es bei der Verknüpfung der Kanäle geht, erläuterte Experte 2: „Da steckt eine ganze Menge im Detail. Man muss hinbekommen, dass Omnichannel nahtlos funktioniert, um verlässliche Informationen zu bekommen. Ist dieser Artikel im Lager verfügbar und in welcher Größe ist er verfügbar? Das gibt es ja oft schon, dass ich mir den [Artikel] reservieren kann. Dass ich nicht Gefahr laufe, dass er dann weg ist. Da sehe ich, dass man bei Möbel ITURE auch gleich einen Beratungstermin vor Ort buchen kann. Also da gibt es ganz viele Sachen, die ineinander spielen müssen“. Zum besseren Verständnis der Verknüpfung von Kanälen soll ein konkretes Beispiel im Zusammenhang mit den Kundenbewertungen skizziert werden. Um an mehr Kundenbewertungen zu gelangen, könnten beispielsweise auf den Kaufquittungen der Link zur Beurteilung der entsprechenden Produkte online enthalten sein. In der Handlungsaufforderung, Bewertungen online abzugeben, könnte wiederum eine Belohnung beispielsweise in Form eines Gutscheins für einen Kaffee oder ein Mittagessen in der Filiale enthalten sein. Damit könnte allenfalls erreicht werden, dass online mehr kaufrelevante Informationen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig trägt man zur Kundenbindung bei, weil die Kunden motiviert werden, die Filiale wieder zu besuchen.
Es erscheint weiter sinnvoll, aus dem stationären Handel auf die wichtigsten Inspirationsquellen hinzuweisen und einen Anreiz zu schaffen, sich die entsprechenden Touchpoints anzusehen. Dies kann der Katalog, der eigene Onlineshop oder auch eine bei einer Kundengruppe beliebte soziale Plattform sein. Weiter sollten Hilfsmittel, die Kunden beim Bewältigen der größten Herausforderungen unterstützen, zur Verfügung gestellt werden. Im Zusammenhang mit dem Gewinnen von Sicherheit könnten dies Anwendungen sein, mit denen online zusammengestellte Merklisten transportiert und im stationären Handel wiederverwendet werden können (beispielsweise FURNIT Store-App). Umgekehrt sollte auch im stationären Handel auf Informationen, die online vorhanden sind, zugegriffen werden können. Sei dies mit dem eigenen Smart Phone über QR-Codes bei den entsprechenden Möbelstücken (wie gut solche Codes auch immer funktionieren) oder über digitale Preisschilder.
Weniger ist mehr
Im Zusammenhang mit der wachsenden Komplexität aufgrund der großen Auswahl und der Informationsflut wies Experte 1 auf folgenden Punkt hin: „Bei Kleidern hat man ja auch rausgefunden, dass wenn man weniger Sachen in den Läden ausstellt, tendenziell mehr gekauft wird“. Dies könnte vermutlich auch ein Hinweis für den Möbelhandel darstellen. Experte 2 sprach dann auch von einem „Etikettensalat“ im stationären Handel. Tatsächlich stellte sich anlässlich der Beobachtungen sowie den Interviews die Frage, wer da den Überblick behält und welche Informationen überhaupt beachtet werden. So hing bei FURNIT beispielsweise eine vom Betrag her nicht passende Anzeige zum Lieferservice neben dem Preisschild eines Sofas (bis CHF 1500 würde der Lieferservice nur CHF 69 kosten). Da dies anscheinend niemandem aufgefallen war, lässt sich kritisch hinterfragen, ob nicht Informationen weggelassen werden könnten.