Schlüsselwörter

Der nachstehende Beitrag basiert auf Überlegungen, die ursprünglich 2010 für den Einführungsvortrag zur Frankfurter Bürger-Universität „Vorsorgen für die Welt von morgen – Positionen zur Nachhaltigkeit“ formuliert wurden.Footnote 1 An der interdisziplinären Vortragsreihe waren auch zahlreiche Kolleg*innen beteiligt, die ebenfalls mit Beiträgen im vorliegenden Band vertreten sind. Beides ist natürlich kein Zufall. Denn während „Nachhaltigkeit“ zu jenen Begriffen gehört, die – sicherlich nicht ganz grundlos – zum Basisvokabular professioneller und insbesondere politischer Phrasenproduktion gezählt werden beziehungsweise durch entsprechenden Ge- und Missbrauch an Leumund eingebüßt haben, liegt zugleich auf der Hand: Wer sich seriös für Nachhaltigkeitsthemen engagiert, wer theoretisch und/oder praktisch, wissenschaftlich und/oder künstlerisch im Feld arbeitet, wird dies kaum von Konjunkturen abhängig machen. Vielmehr ist bereits der Frage nach Nachhaltigkeit eine Zeitperspektive eingeschrieben, die auf eine langfristige Beschäftigung mit der Sache und auf die Ausdauer aller Beteiligten setzt.

Das bedeutet selbstverständlich nicht, einmal eingenommene Standpunkte zu zementieren, indem man sie wiederholt. Wohl aber kann es darum gehen, Wiederholung, Wiederaufnahme und Weiterführung miteinander zu verknüpfen: Das als Fundament zu belassen, was nach wie vor gültig erscheint, und nach geeigneten Ansatzpunkten zu suchen, auf die sich aufbauen lässt – wobei die neuerliche Betrachtung derselben Gegenstände ebenso zu neuen Überlegungen Anlass bieten kann wie neu hinzugekommene Gegenstände bereits gefasste Gedanken untermauern mögen. Und schließlich: Wem wäre es jemals gelungen, zweimal im selben Fluss zu baden?

In diesem Sinne mögen jene Leser*innen, die Grundgedanken und Passagen des vorliegenden Textes aus der früheren Lektüre kennenFootnote 2, prüfen, ob es geglückt ist, die Wiedervorlage im neuen Kontext – mit der sich zudem die Gelegenheit bot, das bereits Bestehende zu überarbeiten, zu ergänzen und mit einem Apparat zu versehen – in der Weiterführung der seinerzeit entwickelten Stränge und unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen fruchtbar zu machen.

1 Ars longa

Vita brevis, ars longa – kurz ist das Leben, lang währt die Kunst: Wenngleich der Arzt Hippokrates, dem man den Aphorismus zuschreibt, seinerzeit kaum an die Bildende Kunst gedacht haben dürfteFootnote 3, galt Letztere über Jahrhunderte hinweg als vornehmste Schöpferin und Verwalterin die Zeiten überdauernder Werte.

Heute hingegen scheint sich die Kunst in weiten Teilen aus einer solchen Perspektive verabschiedet zu haben – nicht nur, weil vorzugsweise in Materialien, Medien und Formaten gearbeitet wird, die kaum konservierbar sind.Footnote 4 Angesichts der umfassenden Aufgaben, denen sich eine Politik der Nachhaltigkeit zu stellen hat, werden der Kunst weder der Einfluss noch die Kompetenzen zugebilligt, wie sie etwa zur Lösung drängender ökologischer und wirtschaftlicher Probleme vonnöten wären. Bestenfalls erwartet man von ihr, wirkmächtige Bilder für Utopien und Dystopien zu schaffen, Schreckensszenarien einer Endzeit zu zeichnen oder mit positiven Gegenentwürfen einem Wunsch nach Ganzheitlichkeit Ausdruck zu verleihen.

Doch nicht von ungefähr mehren sich die Stimmen jener, die Nachhaltigkeit nicht nur als gesamtgesellschaftliche Herausforderung verstehen, sondern gerade in Kultur und Künsten wichtige Säulen für zukunftsfähiges Denken und Handeln sehen.Footnote 5 Zudem begnügen sich zeitgenössische Künstler*innen längst nicht mehr mit Beiträgen zu einer ökologischen oder sozialen Ästhetik.Footnote 6 Zusammen mit Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen arbeiten sie an Projekten, die kreative Impulse für nachhaltige Entwicklungen mit konkreten Perspektiven für die Praxis verbinden – und zwar einer Praxis, die in den Projekten nicht nur exemplarisch vorgeführt und „zur Nachahmung empfohlen“ wirdFootnote 7, sondern mitunter auch direkt zur aktiven Beteiligung einlädt.

Damit gewinnt auch die Rede von der „ars longa“ neuen Sinn. Der hippokratische Aphorismus lässt sich nämlich so deuten, dass sich aus der Kürze des Lebens gerade für die Kunst – die sich auf ein historisch über lange Zeiträume gesammeltes Wissen berufen kann und zugleich auch stets über den Moment hinaus auf eine Zukunft hin denken muss – eine besondere Verantwortung ergibt, im Hier und Jetzt tätig zu werden. Im Übrigen wird im – meist nicht mit zitierten – weiteren Verlauf des Aphorismus auch darauf verwiesen, dass keineswegs allein der Arzt in der Verantwortung steht: „der Kranke selbst und seine Umgebung, eben so wie die äussern Umstände müssen, jeder das Seinige, zur Erreichung des Zweckes beitragen.“ (Boenninghausen 1863, S. 1).

Ausgehend von Joseph Beuys – einem der ersten und wohl auch prominentesten deutschen Künstler, der sich in seiner Arbeit explizit auf das Ineinanderwirken ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Denkens und Handels bezogen hat, wie es für den hier zugrunde gelegten Nachhaltigkeitsbegriff eine zentrale Rolle spieltFootnote 8 – sollen im Folgenden exemplarische Projekte vorgestellt werden, die einen Einblick in das Spektrum der Ansätze bieten, die auf eine solche Kunst der Nachhaltigkeit abzielen.

Mit Blick auf die in diesem Zusammenhang relevanten lokalen, regionalen und globalen Dimensionen hatten bereits in der ersten Fassung der vorliegenden Überlegungen Künstler*innen im Mittelpunkt der Betrachtung gestanden, deren Arbeiten genau diese Dimensionen nicht nur für sich genommen ausloten, sondern insbesondere auch aus der Perspektive und für den Diskussionskontext anschaulich zu machen geeignet schienen, in denen sich Vortragende und Teilnehmer*innen 2010 und 2017Footnote 9 bewegten. Die Stadt Frankfurt, das Rhein-Main-Gebiet, Hessen, Deutschland, Europa, die sogenannte westliche Welt und die sogenannte nördliche Hemisphäre, die Welt: Schon die Aufzählung mag darauf verweisen, dass es sich zwar immer auch, aber nie allein um geografische Koordinaten handelt, in denen wir uns positionieren und in denen wir navigieren – sondern vielmehr um auf vielfältige und komplexe Weise kulturell, sozial, historisch, politisch, ökonomisch und ökologisch konditionierte Lebensräume.

Zugleich zeigt sie an, dass es stets konkrete Ausgangspunkte, Anlässe, Kontexte und Radien des Wahrnehmens, Denkens, Handelns gibt, „die eigene Haustüre, vor der es zu kehren gilt“, die individuellen Kompetenzen, die sich einbringen lassen, die eigene Perspektive, die auf spezifische Weise geprägt ist – dass diese aber stets in einem größeren Zusammenhang von Voraussetzungen, Konditionen, Interaktionen und Konsequenzen stehen.

Letzteres wiederum mag bereits einen Hinweis darauf geben, warum es Künstler*innen – denen man zunächst einmal besonders dann, wenn es um Aufgaben und Probleme globalen Ausmaßes wie jene, die auch in den aktuellen Debatten um Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle spielen, eher geringeren Einfluss und weit weniger Handlungsmacht zubilligen wird als Akteur*innen aus Wirtschaft und Politik – wagen, mit ihren Arbeiten Stellung zu beziehen und sich mit ihren Projekten im Feld engagieren. Wie im Folgenden noch näher auszuführen sein wird, hat dies durchaus auch mit den spezifischen Kompetenzen und Potenzialen der Kunst zu tun: nämlich Bilder zu schaffen, die – wortwörtlich nachhaltig – zum Denken und Handeln anregen.

Dies festzustellen heißt weder, der für die Moderne durchaus prägsamen „Kunstreligion“ ein auf das ausgehende Anthropozän zugeschnittenes Kapitel hinzufügen zu wollen, indem man die Aufgabe, Alternativen zum Bestehenden aufzuzeigen, vorzüglich den Künsten zuweist und sie zum Hoffnungsträger für Heilserwartungen stilisiert. Noch auch soll behauptet werden, dass jegliche Art von Kunst mit einschlägigen Bezügen das Potenzial besitzt und/oder intentional darauf ausgerichtet wäre, gesellschaftliche, ökologische und/oder ökonomische Missstände nicht nur zu kritisieren, sondern auch konkrete, konstruktive Impulse zur Korrektur dieser Missstände zu vermitteln.Footnote 10

In jedem Fall jedoch lässt sich Adrienne Goehlers Hinweis folgen, dass es nicht nur angemessen ist, den drei Nachhaltigkeitsdimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt mit der Kultur eine vierte hinzuzufügen – sondern auch lohnend, sich eingehender mit den Impulsen zu befassen, die diese für nachhaltiges Denken und Handeln bereit hält (vgl. Gersmann und Wilms 2010, S. 8).

2 Eichen

Einen Baum pflanzen: Nicht von ungefähr zählt dies zu den Handlungen, die schon der Volksmund mit Nachhaltigkeit verknüpft. Wer einen Baum pflanzt, ein Haus baut, ein Kind zeugt, will „vorsorgen für die Welt von morgen“Footnote 11, auch über die eigene Lebenszeit hinaus.

Als der Künstler Joseph Beuys 1982 im Rahmen der siebten documenta – jener Großausstellung, die alle fünf Jahre aus dem nordhessischen Kassel eine „Weltstadt der Kunst“ machtFootnote 12 – zum Spaten griff, um direkt vor dem Museum Fridericianum eine Eiche zu pflanzen, ging es ihm um ebendies. Unter dem Motto „Stadtverwaldung statt Stattverwaltung“ trat er in seiner Aktion „7000 Eichen“ an, mit den Mitteln der Kunst für ein nachhaltiges Denken und Handeln aller zu werben.Footnote 13 Und er wusste seinen Wirkungskreis zu nutzen, um diesem Anspruch Nachdruck zu verleihen. Nicht nur begleitete er sein Projekt mit Vorträgen, Diskussionen und weiteren, bildmächtigen Aktionen – darunter der „Schmelzaktion“, in deren Zuge Beuys zwei Wochen nach der Eröffnung der Schau auf dem Friedrichsplatz einen Ofen errichtete, um als „Künstler-Alchemist“ die wertvolle Nachbildung einer Zarenkrone in das Ensemble „Friedenshase“ und „Sonnenkugel“ zu transformieren.Footnote 14 Vor allem hatte er es von Anfang an so angelegt, dass die Stadt Kassel und ihre Bürger*innen in Zugzwang waren: Für seinen documenta-Beitrag hatte er sich ausbedungen, einen Keil aus 7000 Basaltstelen auf dem zentralen Friedrichsplatz aufzuschütten, der nunmehr Stück um Stück abzutragen war: Mit einer Spende von 500 DM erwarb man das Recht, selbst eine Eiche zu pflanzen, der dann eine der Basaltstelen beigesellt wurde. Nicht allein wegen der erheblichen Kosten für die UmsetzungFootnote 15, sondern auch schon wegen der Standortsuche für die Bäume erwies sich das Projekt als langwieriger Prozess. Die zunächst letzte der mit den von Beuys vor Ort ausgebrachten Basaltstelen zu paarenden „7000 Eichen“Footnote 16 wurden 1987 – ein Jahr nach dem Tod des Künstlers – zur documenta 8 von seinem Sohn neben die erste Eiche gepflanzt.

Indes schieden und scheiden sich an dem Projekt auch weiterhin die Geister. So manche*r Kunstliebhaber*in konnte der Aktion wie auch insgesamt dem politischen Engagement des Künstlers, der 1979 sogar als Direktkandidat der Grünen für das Europa-Parlament kandidiert hatte (vgl. Beuys 1978)Footnote 17, kaum etwas abgewinnen. Die Kasseler*innen haben selbst nach dem Abtragen des Basaltkeils nach wie vor ihre Mühen und Kosten mit dem Projekt, nicht nur, weil die Baumpflanzungen verschiedentlich Vandalismus zum Opfer fallen – wobei insbesondere die Basaltstelen aus ästhetischen wie sicherheitstechnischen Gründen ‚nachhaltig‘ Anstoß erregen. Wie jede Stadt befindet sich auch Kassel kontinuierlich in Veränderung; Bäume müssen Bauvorhaben weichen oder erkranken – ein Problem, mit dem gerade auch Stadtbäume durch die ökologische Mehrfachbelastung, zu der lokale Luftverschmutzung ebenso wie Klimafaktoren zählen, in zunehmendem Maße konfrontiert sind.Footnote 18

Wenngleich die Idee der „Stadtverwaldung“ direkt an die historischen Wurzeln des Nachhaltigkeitsgedankens und dessen Begriffsgeschichte im deutschen Sprachraum anzuknüpfen scheint, die in der Forstwirtschaft liegenFootnote 19, mag man sich schließlich fragen, warum Beuys ausgerechnet Eichen in den Stadtraum pflanzen wollte und warum er seine Aktion im vergleichsweise grünen Kassel beziehungsweise im (eichen-)waldreichen Nordhessen situierte.

Die Antwort ist einfach: Als Künstler dachte Beuys in Bildern. Vor diesem Hintergrund hatte er sich bewusst für die Eiche als einen historisch konnotierten Baum von monumentalem Wuchs und sprichwörtlich langer Lebensdauer entschieden, dem er das in die Erde eingesenkte, erstarrte Vulkangestein als Konterpart zur Seite stellte.Footnote 20 Mindestens ebenso wichtig wie die Dimension der Zeit und der ökologische Aspekt des Stadtgrüns war ihm jedoch das, was er als „Soziale Plastik“Footnote 21 bezeichnete: Die Pflanzung eines Baums in der und für die Gemeinschaft als exemplarischer Akt sozialen Handelns, zu dem auch die Übernahme von Verantwortung und das Aushandeln von Konflikten gehören. Die Kasseler documenta bot ihm als international beachtete Ausstellung eine denkbar geeignete Plattform für sein Projekt.

Im Übrigen scheint die Zeit Beuys in mehrfacher Hinsicht Recht zu geben. In Kassel hat sich der Unmut der Skeptiker*innen und Gegner*innen weitgehend gelegt. Unter jenen, die sich um den Erhalt und die Pflege der Bäume kümmern, finden sich heute neben der Stadt und der eigens gegründeten Stiftung „7000 Eichen“ nicht nur kulturell und ökologisch engagierte Bürger*innen, sondern auch ortsansässige Firmen, die im Feld der nachhaltigen Technologien tätig sind (vgl. Stiftung 7000 Eichen 2012). In der Folge wurden zudem in weiteren Städten „Beuys-Eichen“ und andere Bäume unter den Vorzeichen der Kunst gepflanzt.Footnote 22

3 Bäume pflanzen 2.0

Eine unmittelbare Hommage an Beuys’ Projekt ist unterdessen im Internet entstanden: 2007 hat das italienische Künstler*innen-Duo Eva und Franco Mattes, das in den 1990er Jahren mit Netzkunst Aufsehen erregte und sich seither konsequent auf künstlerische Interventionen spezialisiert hat, die sich mit den Entwicklungen in der digitalen Technologie und Medienkultur befassenFootnote 23 (vgl. Quaranta 2009), eine digitale Version von „7000 Eichen“ für die 3D-online-Plattform „Second Life“ erstellt. In einer ganzen Werkreihe befassten sich die beiden seinerzeit mit von ihnen alternativ auch als „Synthetic Performances“ bezeichneten „Reenactments“ – Software-basierten „Wiederaufführungen“ beziehungsweise Adaptionen prominenter Peformances aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in digitalen online-Umgebungen.Footnote 24 Für „Joseph Beuys’ 7000 Oaks“ waren zunächst mit der für die Fertigung digitaler Objekte vorgesehenen „Second Life“-Software 7000 „Eichen“ und 7000 „Basaltsteine“ entstanden; am 17. März 2007 – genau fünfundzwanzig Jahre nach Beuys‘ initialer Baumpflanzung in Kassel – wurden von den Avataren der beiden Künstler*innen die ersten Eiche-Stein-Paare in „Second Life“ gesetzt, während Nutzer*innen der Plattform eingeladen waren, sich in der Folge selbst an der virtuellen Pflanzaktion zu beteiligen.Footnote 25 Im Sommer 2008 wurde das Projekt noch einmal prominent positioniert, indem es als erster künstlerischer Beitrag für die neue Präsenz des Goethe-Instituts in „Second Life“ figurierte, zu der auch Künstler*innen-Residenzen für die Entwicklung eigens auf die Medienplattform zugeschnittener Arbeiten gehören sollten.Footnote 26

Nun kann ein solches Reenactment sicher dazu beitragen, einer jüngeren, medienaffinen Generation die Grundgedanken von Beuys’ Baumpflanzungsaktion zu vermitteln und sie für das ursprüngliche Projekt zu interessieren. Für sich genommen muss eine solche mediale Emulation auch keineswegs gegen Konzepte ausgespielt werden, die demgegenüber auf das Pflanzen ‚echter‘ beziehungsweise biologischer Bäume in einer im weitesten Sinne „natürlichen Umwelt“Footnote 27 setzen: Im Gegenteil mögen gestalterische Aktivitäten in digitalen Räume nicht nur generell zur Entwicklung und Wertschätzung kreativer Fähigkeiten und Tätigkeiten beitragen, sondern in diesem Fall auch spezieller zur Reflexion von Fragen der Landschafts- und Umweltgestaltung anregenFootnote 28 – und spätestens dann, wenn die digitalen Gärtner*innen feststellen, dass das künftige Schicksal ihrer Pflanzungen gegebenenfalls davon abhängen kann, ob die Plattform und deren Zugänge, die Werkzeuge und die Codes offen bzw. quelloffen oder proprietär sind, dürfte es hinreichend Motivationen zu Vergleichen und Erfahrungen mit Praktiken im analogen Raum geben.Footnote 29

Mit Blick auf die Energiebilanz sind jedoch gerade in Sachen Nachhaltigkeit bei computer- und netzbasierten Projekten deutliche Abstriche zu machen: Tatsächlich trägt unsere Nutzung digitaler Technologien ganz erheblich zur Vergrößerung des „ökologischen Fußabdrucks“ bei.Footnote 30 Zudem gilt es nicht zu vergessen: über das Internet lassen sich zwar Informationen weltweit verbreiten – nachhaltiges Handeln, auch im Umgang mit und in der Nutzung von Hard- und Software, findet primär im Realraum statt; hier wiederum sind, gerade im Bewusstsein um die letztlich immer globalen, grenz- und systemübergreifenden Zusammenhänge und Konsequenzen einzelner Handlungen und ihrer Effekte, individuelle und kollektive lokale Initiativen von entscheidender Bedeutung.

Das musste auch Dirk Fleischmann feststellen, als er 2007 vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM)Footnote 31 und dem von der Royal Society for the encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (RSA) gemeinsam mit dem Arts Council England initiierten RSA Arts and Ecology Centre LondonFootnote 32 eingeladen wurde, ein Projekt mit Ökologie-Bezug für die ZKM-Repräsentanz in „Second Life“ zu entwickeln.

Schon zu seiner Studienzeit an der Frankfurter Städelschule hatte der Künstler damit begonnen, sich mit Nachhaltigkeitsfragen zu beschäftigen. So betrieb er in der Akademie einen Kiosk mit Süßigkeiten, für die seine Kommiliton*innen entweder den regulären Preis bezahlen oder einen Obolus nach Gusto entrichten konnten.Footnote 33 Den Gewinn reinvestierte Fleischmann in neue Ware; die Verpackungs-Displays sammelte er, sortierte und stapelte sie in seinem Atelier. Am Ende des Semesters konnte er beim Rundgang jeweils eine beeindruckende Rauminstallation präsentieren. Aus der Untersuchung studentischer Ökonomie wurde so nebenbei Reycling-Kunst, die denkbar anschaulich demonstrierte, wie viel Abfall allein der kleine Hunger zwischendurch produziert, wenn man nicht zu einem Butterbrot oder einem Stück Obst, sondern zu Schokoriegeln und anderen Fertigsnacks greift. Den monetären Erlös aus seinem Kiosk und aus weiteren Projekten wie „mychickeneggproduction“ (2001)Footnote 34 – einem Gehege für freilaufende Hühner, dessen Gestaltung auf bis dahin lediglich als Konzept existierenden Plänen der Kölner Künstlerin Rosemarie Trockel basierte – setzte Fleischmann ein, um 2004 auf dem Dach der Städelschule Solarpanels zu installieren.Footnote 35

Für sein „Second Life“-Projekt hatte sich der Künstler den CO2-Emissionshandel als Thema gewählt und geplant, eine Baumpflanzung vorzunehmen, die den „ökologischen Fußabdruck“ der virtuellen ZKM-Repräsentanz zugleich sichtbar machen und kompensieren sollte. Für jeden realen Baum wollte er wiederum einen digitalen Baum pflanzen und mit Informationen über die CO2-Emissionen verknüpfen. Schon bald sah er sich jedoch mit zahlreichen Problemen konfrontiert: Als Ort für die Pflanzungen hatte er die Philippinen ausgewählt, die als Gegenleistung für Aufforstungsmaßnahmen Emissionszertifikate anbieten. Aber allein über das Internet ließ sich weder die Pflanzung noch die Beauftragung einer dortigen Firma mit der Programmierung der „Second Life“-Bäume organisieren. Zudem wäre die Pflanzung weniger einzelner Bäume lediglich eine symbolische Geste geblieben. Daher ließ sich Fleischmann auf das Wagnis eines weitaus umfangreicher angelegten Aufforstungsprojekts ein. Er reiste selbst auf die Philippinen und gewann dortige Umwelt-Engagierte und Bäuer*innen für die Realisierung. So entstand eine echte „Forest Farm“, über deren Fortschritte die lokale Betreibergemeinschaft in den ersten Jahren der Laufzeit des Projekts regelmäßig im World Wide Web berichteteFootnote 36 – indes in „Second Life“ ein schlichtes Bauschild genügte, das über das Schicksal des Projekts informierte.Footnote 37

Ungeachtet der vergleichsweise sparsamen Nutzung von Netzressourcen sind Dokumentation und künstlerischer Output des Projekts allerdings nicht durchgängig konsequent auf einen nachhaltigen Umgang mit Technologie ausgerichtet. So entstand 2010 die Reihe „mycarboncredits“, die auf 1838 digitalen Fotografien von seinerzeit 1838 Bäumen der „myforestfarm“ basiert. Für jede dieser Baum-Fotografien wurde eine eigene Foto-CD gebrannt, deren schimmernde Oberfläche Dirk Fleischmann fotografierte, sodass am Ende eine Reihe von 1838 scheinbar ungegenständlichen Farbaufnahmen stand.Footnote 38 Diese wurden als jpg-Dateien archiviert und werden im Ausstellungskontext auf kleinen Bildschirmen präsentiert; ebenfalls 2010 zeigte sie Fleischmann in Form einer großformatigen Videoprojektion mit dem Titel „A Walk In A Forest“ im Rahmen des Gwangju Media Arts Festival im öffentlichen Raum.Footnote 39 Zweifelsohne können beide Arbeiten beziehungsweise Präsentationsformate ästhetisch und konzeptuell überzeugen: Der mehrfache Transfer zwischen den Dimensionen, in denen Baum und Raum zusammenkommen und sich manifestieren, schließen unmittelbar an die Eckpunkte des ursprünglichen Projektes an – und wenn man will, mag man sogar eine visuelle Analogie zwischen den Baumringen und dem ebenfalls konzentrisch aufgebauten physikalischen Speichermedium erkennen. Zugleich besitzt Letzteres eine geringere Lebensdauer als ein Baum – und trägt ganz im Gegensatz zu diesem von der Herstellung bis zur Entsorgung als Technoschrott zur ökologischen Belastung bei. Verglichen mit dem nachhaltigen Erfolg des Kernprojekts fällt eine solche Teilbilanz freilich kaum kritisch ins Gewicht.

Insgesamt lässt sich Dirk Fleischmanns „myforestfarm“ in ihrer Verschränkung von künstlerischem Konzept und ökologischem, ökonomischem sowie sozialem Handeln zweifelsohne als eine zeitgemäße Nachfolge von Beuys’ „7000 Eichen“ sehen. Zugleich belegt das Projekt in ganz ähnlicher Weise wie die Kasseler „Stadtverwaldung“, aber etwa auch das 2001 vom Fotografen Sebastião Salgado auf dem Grundbesitz seiner Familie begonnene Wiederaufforstungsprojekt „Bulcão Farm“Footnote 40 zweierlei: Aus der Initiative und dem Engagement einzelner Menschen und kleiner Gemeinschaften kann Großes entstehen – und die Kunst ist dabei nicht nur eine guter Kommunikatorin, sondern dürfte schon vorweg den Weg zum Ziel auf entscheidende Weise mit gebahnt haben: Künstler*innen sind Profis darin, mit wenigen Mitteln viel zu erreichen – und jene Mittel, die sie benötigen, einzuwerben. Und sie lernen früh, die Freiräume, die dem scheinbar so marginalen künstlerischen und kulturellen Handeln offen stehen, gerade weil man ihm in der Regel weniger Relevanz zuschreibt als etwa ökonomischem und wirtschaftlichem Handeln, höchst effizient zu nutzen.

Derweil gibt es in Deutschland auch wieder forstwirtschaftliche Projekte, in denen die Eiche eine zentrale Rolle spielt: Etwa den „CO2-Speicher Eichenwald“, den die Technische Universität München 2008/2009 zusammen mit dem Bayerischen Staatsforstamt angelegt hat. Gefördert wurde die Pflanzaktion vom Autohersteller Audi, der die Bäume jeweils in der Nähe verschiedener Produktionsstandorte setzen ließ. In diesem Zuge wurden nahe Ingolstadt in einem ehemals von Nadelhölzern dominierten Areal, dessen Bestände durch Windbruch und Borkenkäferbefall vollständig zerstört worden waren, 36.000 Stieleichen gepflanzt, die den Klimaveränderungen trotzen sollen.Footnote 41 In Hessen wiederum haben im Rahmen des am Frankfurter Senckenberg Biodiversität und Klima-Forschungszentrum (BiK-F) sowie der Goethe-Universität angesiedelten Projekts „Wald der Zukunft“ aus wärmeren Regionen stammende Eichenarten auf hessischem Boden eine neue Heimat gefunden; fortgesetzt wird die Forschung seit einiger Zeit im „South Hesse Oak Project (SHOP/FUTUREOAKS)“.Footnote 42

Künstler*innen und andere Kulturschaffende mischen sich auch weiterhin aktiv und kreativ in dieses Forschungsfeld ein: Beispielsweise in Anlehnung an und/oder Auseinandersetzung mit im Wald situtiere(n) Umweltmonitoring-Projekte(n) wie „Treewatch“Footnote 43, die mit Hilfe neuer Technologien darauf abzielen, eine Kommunikationsschnittstelle zwischen Bäumen und Menschen zu schaffen, über die der Wald seinen Notstand gleichsam selbst melden und auf diese Weise umso nachdrücklicher zu nachhaltigem Umwelthandeln auffordern kann.Footnote 44 So etwa der Schweizer Künstler Markus Maeder, der seit 2011/2012 – teils gemeinsam mit Forst- und Umweltwissenschaftler*innen – zur Sonifikation klimabedingter Umweltveränderungen an Bäumen forscht.Footnote 45

Oder sie arbeiten mit Projekten, die mit nachhaltigen Zukunftsutopien unmittelbar an Beuys‘ Aufruf zur „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ erinnern mögen – wie etwa die exemplarische „Verwaldung“ eines Fußball-Stadions in KlagenfurtFootnote 46 oder der Vorschlag, auf dem Dach des Flughafens Berlin Tempelhof nach dessen Stilllegung einen Wald zu pflanzen.Footnote 47 Beide Ansätze lassen sich als konstruktive Beiträge zu einer angewandten, sozial-ökologisch orientierten Nachhaltigkeitsforschung betrachten.

Für eine Erkenntnis allerdings wird es kaum noch umfangreicherer Studien bedürfen: Allein mit maßvoller Nutzung und Nachpflanzen beziehungsweise Wiederaufforsten – also Maßnahmen, wie sie Hans Carl von Carlowitz seinerzeit zuvorderst im Auge hatte – werden wir unsere Wälder und unsere Baumbestände kaum erhalten können. Und auch eine weitere Erkenntnis scheint sich mittlerweile auch jenseits der bemessenen Kreise im weitesten Sinne professionell mit der Materie befasster Menschen – ob es sich nun um Forstwissenschaftler*innen oder Umweltwissenschaftler*innen, in der Forstwirtschaft, in der Landschaftsgärtnerei oder im Umweltbereich Tätige, um im Feld engagierte Aktivist*innen oder zum Thema arbeitende Künstler*innen handelt – zunehmend durchzusetzen: Baumbestände, sei es nun im Stadtgrün oder in Form von Wäldern, spielen für den Erhalt und die Förderung unserer auf vielfältige Weise bedrohten Artenvielfalt sowie sehr konkret dafür, dass die Spezies Mensch auch weiterhin und auch perspektivisch unter ihr zuträglichen Konditionen diesen Planeten besiedeln kann, eine wichtige Rolle.

Künstlerische Projekte – und die Bilder, die sie kommunizieren – tragen dazu bei, die Bedeutung dieses Komplexes und die Dringlichkeit eines gesamtgesellschaftlichen Handlungsbedarfs, über den angesichts eines zunehmend beschleunigten Baum- und Waldsterbens eigentlich kaum Zweifel bestehen sollten, weiter ins Bewusstsein zu rücken.Footnote 48 Um es dort auf breiterer Basis nachhaltig zu verankern, wird es eines Mittuns auf vielen Ebenen bedürfen.Footnote 49

4 Summ, summ: Die Bienen

Greift man insbesondere letztere Perspektive auf, so lässt sich neben den Bäumen eine Reihe weiterer Lebewesen benennen, die man gleichsam als ‚Zeiger‘-Organismen und zugleich ‚Medien‘ einer populären Kommunikation ökologischen Bewusstseins bezeichnen könnte. Unter diesen wiederum dürfte namentlich in unseren Breiten vielen anderen, je auf ihre Weise ebenfalls populären Vertreter*innen aus dem Pflanzen- und Tierreich wie dem Edelweiß, der Kornblume, dem Wolf, verschiedenen Singvögeln sowie in jüngerer Zeit auch Schmetterlingen insbesondere ein Insekt den vorgenannten unschwer den Rang ablaufen – und zwar auch aufgrund seines markanten Eintrags in die Kulturgeschichte: die Honigbiene.Footnote 50 Dies wiederum schließt, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, auch ihre Rolle in der Nachhaltigkeitsdebatte ein. Ihren herausgehobenen Status speziell in diesem Kontext verdankt die Honigbiene wohl nicht zuletzt der auch für Laien leicht nachvollziehbaren Einsicht, dass zahlreiche für die menschliche Ernährung wichtige Nutzpflanzen für die Fruchtbildung – und prinzipiell auch die FortpflanzungFootnote 51 – auf eine Bestäubung durch spezifische Insektenarten angewiesen sind, unter denen wiederum sich die Honigbiene wohl der größten populären Prominenz erfreut. Zugleich werden von der auf einen massiven Einsatz von Pestiziden und Herbiziden sowie großflächigen Monokultur-Anbau setzenden Landwirtschaft Insekten ihrer Lebensgrundlagen beraubt, unabhängig davon, ob sie Menschen als so genannte „Schädlinge“ oder „Nützlinge“ gelten. Beides hat sich inzwischen auch über den engeren Radius ökologisch Engagierter hinaus herumgesprochen. So ist gerade in den letzten Jahren, in denen regelmäßig in der Tagespresse und anderen Nachrichtenmedien alarmierende Meldungen zu weltweit auftretendem Bienensterben kursieren, immer wieder das Albert Einstein zugeschriebene Zitat zu lesen: „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr.“Footnote 52

Wiewohl diese Aussage, unabhängig von ihrer Provenienz, kaum beim Wort zu nehmen ist, haben die Schreckensnachrichten vom Verschwinden der Bienen eine erhebliche Öffentlichkeitswirksamkeit entfaltet, wie sie vielen anderen bedrohten Tier- und Insektenarten bislang leider weitgehend versagt geblieben ist.Footnote 53 Denn anders als andere Bestäuber*innen kann die Honigbiene, als Nutztier sowie wiederum nicht zuletzt aufgrund ihrer historisch verbrieften positiven kulturellen Rezeption, auf breiter Basis mit Sympathien rechnen.Footnote 54 Wenngleich kaum von einer breitenwirksamen Bekanntheit der Kulturgeschichte als solcher auszugehen istFootnote 55, so gehören doch deren populäre Ausläufer – etwa, noch vor Waldemar Bonsels ‚Immenmärchen‘ selbst, die „Biene Maja“ der ihre Vorlage recht frei umsetzenden ZeichentrickserieFootnote 56 – sowie eben ganz grundsätzlich das Bild der fleißigen, uns mit köstlicher Süße versorgenden Honigbiene zum Allgemeingut.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Biene in den vergangenen Jahren zu einer prominenten „Botschafterin für nachhaltiges Handeln“Footnote 57 geworden ist und allenthalben Projekte entstanden sind, in denen Bienen eine zentrale Rolle spielen – und zwar allem voran im urbanen Raum. Tatsächlich sind es gerade die Städter*innen, die das Imkern zunehmend für sich entdecken und damit dem zuvor noch von Nachwuchssorgen geplagten Handwerk bereits zu einer unverhofften Renaissance verholfen haben.Footnote 58 Zumal diese urbane Imkerei in der Regel nicht gewerblich betrieben wird, ist sie aus ökologischer Perspektive prinzipiell in mehrfacher Hinsicht ein Zugewinn. Zwar können Stadtbienen die durch Monokulturen und industriell betriebene Landwirtschaft mit bedingte Verdrängung der Honigbiene und deren Konsequenzen für das Ökosystem nicht kompensieren – und es gibt inzwischen durchaus auch kritische Stimmen, die vor den Folgen einer urbanen ‚Honigbienen-Monokultur‘ warnen.Footnote 59 Gleichwohl tragen die Bienen in den Städten, wo sie in Parks, auf Friedhöfen, in Gärten und Brachen reiche Nahrung finden, als Bestäuberinnen zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Honig von Stadtbienen ist – anders als im Stadtraum angebautes Obst und Gemüse und auch anders als so mancher auf dem von industrieller Landwirtschaft geprägten Land geimkerte Honig – kaum schadstoffbelastet und obendrein als lokales Produkt weitaus verträglicher als ein Gutteil des aus unterschiedlichen Quellen stammenden Honigs, der im Supermarkt zum Verkauf angeboten wird.Footnote 60 Und schaut man auf dessen für ein von Tieren durchaus mühevoll hergestelltes Naturprodukt beschämend niedrige Preise, die sich dem globalen Markt und dessen von Handels- und Preispolitiken gesteuerten Produktionsbedingungen verdanken, so kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Wer selbst als Imker*in über mehrere Monate des Jahres mit der Hege und Pflege von Bienenvölkern befasst ist, aus nächster Nähe beobachten kann, wie diese Honig produzieren, und wer ihn selbst den Stöcken entnimmt und in Gläser füllt, weiß den Wert des Guts ganz anders zu schätzen.Footnote 61

5 Das soziale Leben der Stadtbienen

Dass die Frankfurter Künstlergruppe „finger“ in Deutschland zu den Pionier*innen der urbanen Imkerei gehört, ist kein Zufall. Seit ihrem Zusammenschluss im Jahr 1998 haben sich die an „finger“ beteiligten Künstler*innenFootnote 62 in zahlreichen Projekten intensiv mit den Zusammenhängen von Ökonomie, Ökologie und Gemeinschaftlichkeit beschäftigt. In diesem Kontext ist auch die 2007 erfolgte Gründung der „Stadtimkerei“ durch die „finger“-Künstler Florian Haas und Andreas Wolf zu sehen, bei der es nicht allein um Honigproduktion geht. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Bienen selbst – genauer gesagt, wie es die beiden Stadtimker auf ihrer Webseite formulieren, deren „Lebenswelt“, die in den Projekten „in Analogie zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Themen“ gesetzt wird. Der Bienenstock bzw. -staat dient dabei als Modellorganismus und „Material“ für die „Kunstbeiträge zu Umwelt- und Gesellschaftsprozessen“, die Haas und Wolf in verschiedenen Formaten für unterschiedliche Kontexte entwickeln.Footnote 63

So fanden die ersten Bienenstöcke auf Einladung von Gerald Hintze, der im Auftrag der evangelischen Diakonie im Frankfurter Bahnhofsviertel als Kurator der ebendort gelegenen Weißfrauenkirche Kunstprojekte mit sozialem Bezug organisierte, im Kirchturm Aufstellung; ursprünglich war geplant gewesen, die Aktivitäten der Stadtimkerei mit der ebenfalls von der Diakonie betriebenen Anlaufstelle für Obdachlose, „Weser 5“, zu verknüpfen.Footnote 64 Vor diesem Hintergrund riefen die beiden Künstler die „Gemischte Bienengruppe“ ins Leben, in der sich Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten gemeinsam um Bienenstöcke kümmern.Footnote 65 Als die Kirche 2008 renoviert werden musste, migrierten die Stöcke aufs Dach des Museums für Moderne Kunst (MMK), wo Haas und Wolf seither regelmäßig auch öffentliche Veranstaltungen wie Kinder-Workshops und ein „Honigfrühstück“ anboten; 2019 zogen die Stöcke ans andere Mainufer auf das Museum Angewandte Kunst um.Footnote 66 Zeitgleich mit dem ersten Umzug der Stöcke erhielt die „Gemischte Bienengruppe“ für mehrere Jahre einen eigenen Ort mit Bienenstöcken auf einem ehemaligen Campingplatz am südlichen Mainufer beim Niederräder „Licht- und Luftbad“, das ehedem insbesondere für die Frankfurter Arbeiterschicht einen beliebten Erholungsraum darstellte.Footnote 67

Nachdem der kleine Kunstraum, den die Stadtimkerei in direkter Nachfolge der ursprünglichen „finger“-Aktivitäten im Zentrum der Frankfurter Innenstadt als Büro mit Ausstellungen und Veranstaltungsprogramm betrieb, aus Kostengründen nicht länger zu halten und zudem der Bienenstand der „Gemischten Bienengruppe“ am Mainufer einer Brandstiftung zum Opfer gefallen war, entschlossen sich Haas und Wolf zum Umzug an einen auf der lokalen Landkarte erfolgreicher ökologischer Transformationen eingetragenen Ort: den im Frankfurter Grüngürtel zwischen Bonames und Kalbach-Riedberg gelegenen „Alten Flugplatz“, einen ehemaligen US-amerikanischen Militärflughafen, der ab 2002 renaturiert und in ein Natur- und Freizeitgelände umgestaltet wurde.Footnote 68 In ihren Installationen und Aktionen sowie begleitenden Veranstaltungen vermitteln die Künstler Kindern und Erwachsenen nicht nur Grundlagenwissen über die Imkerei, sondern erkunden gemeinsam mit ihnen auch die kulturgeschichtlichen und ästhetischen Dimensionen des Bildes vom „Bienenstock“.

Gerade Letztere sind hierbei ebenso wie in den zahlreichen weiteren Aktionen und Projekten, die von den beiden Künstlern in den vergangenen Jahren im Rahmen von Ausstellungen in Kunstinstitutionen und im öffentlichen Raum entwickelt wurden, durchaus entscheidend. Für jeden Ort, jeden Anlass entwickeln Haas und Wolf ein auf diesen zugeschnittenes künstlerisches Gestaltungskonzept, das mit ihrer Grundidee einer wechselseitigen Erhellung der Perspektiven korrespondiert; dies umfasst alle Elemente des jeweiligen Projekts, vom Ausstellungsraum bis hin zu Informationsmaterialien, vom Honigglas bis zu unterschiedlichen Konstruktionen, in denen Bienenstöcke beziehungsweise Beuten untergebracht werden können. So ist beispielsweise das als mobile, modular aufgebaute Konstruktion konzipierte „Frankfurter Bienenhaus“ (2014) einerseits auf die Bedürfnisse der Imkerei zugeschnitten, der ein an verschiedene Orte verbringbarer Unterstand für temporär zu Bienenweiden verbrachte Stöcke zupass kommt. Andererseits bietet es aufgrund seiner mit Bildern, Texten und Mustern versehenen Wände den Menschen eine ästhetische „Augenweide“ und lädt zum Nachdenken über Insekten- und Menschengesellschaften ein.Footnote 69 Ganz ähnlich funktioniert auch das „Neue Museum für Bienen“ (seit 2011), das die alte Tradition der „Figurenbeute“ als bildhafter Gestaltung des Bienenstocks aufnimmtFootnote 70 und in eine Modell-Architektur transformiert, die zugleich an die Institution des (Kunst-)Museums als vitalem Gedächtnis- und Denkraum anknüpft. Seine auf die Stöcke gesetzten Schauhäuser können dabei je nach Ausstellungskontext neu eingerichtet werden – wie etwa 2013, als das Museum in der Kunsthalle Budapest gastierte. Haas und Wolf nahmen die seinerzeit in und um Ungarn entbrannten Diskussionen um die demokratische Orientierung der Regierung Orban auf, indem sie das Thema „Demokratie“ in den Mittelpunkt der auf drei Räume beziehungsweise Bienenstöcke verteilten Museumsschau stellten. Während der erste Raum danach fragte, ob im Bienenstaat eine „bessere“ Demokratie herrsche, lud der zweite mit einer Präsentation über Insekten als Nahrungsalternative zum in Europa traditionell auf Säugetiere, Geflügel und Fische fokussierten Fleischkonsum dazu ein, demokratisch über die Frage der menschlichen Ernährung abzustimmen. Der dritte Raum forderte dazu auf, einer lokalen „Gemischte Bienengruppe“ beizutreten und auf diese Weise in der gemeinschaftlich betriebenen Imkerei nachhaltig sozial und ökologisch tätig zu werden.Footnote 71

Wie die Projekte belegen, werden die Bienen von Haas und Wolf nicht als „Natur“ repräsentierende, lebende Objekte in den Kontext der Kunst gerückt, sondern vielmehr als Ko-Produzent*innen verstanden, die dazu beitragen, den Menschen neue Perspektiven auf sich, ihre Umwelt und ihre Lebensverhältnisse zu eröffnen.Footnote 72 Ähnliches gilt für die in Anspruch genommene Analogie zwischen Bienenstaat und Gesellschaft, zumal diese nicht länger allein auf den Menschen ausgerichtet bleibt, sondern – wie im „Neuen Lorscher Bienensegen“ sogar wortwörtlich demonstriertFootnote 73 – auch den Bienen selbst eine Stimme gibt: Stets steht die künstlerische Arbeit der Stadtimker im Dienst einer Reflexion der Mensch-Tier-Beziehung, die das Tierwohl im Auge behält – und gerade deshalb auch in dem, was sie speziell von Mensch zu Mensch vermitteln will, in doppeltem Wortsinn nachhaltig wirksam werden kann. Dies wiederum stellt durchaus eine besondere Qualität ihrer Projekte dar, gerade auch wenn man sie im weiteren Feld der Kunst betrachtet.

Tatsächlich sind die Frankfurter Stadtimker längst nicht die einzigen unter den zeitgenössischen Künstler*innen, die sich für Bienen interessieren und diese in ihre Arbeit mit einbeziehen. Gerade in den vergangenen Dekaden, in denen auch die urbane Imkerei an Fahrt aufgenommen hat, lässt sich hier eine regelrechte Konjunktur verzeichnen. Das Spektrum reicht dabei von unterschiedlichen Verknüpfungen zwischen Imkerei und KunstFootnote 74 bis hin zu komplexen künstlerischen Forschungsprojekten wie sie etwa die Belgierin AnneMarie Maes betreibt, die mit anderen Künstler*innen kooperiert und dabei neue Technologien miteinbezieht, um etwa die Flugrouten von Bienen im Stadtraum zu kartieren, die Klänge von Bienenstöcken zu belauschen oder „smarte Bienenkörbe“ zu entwerfen.Footnote 75 Andere wiederum setzen auf die Fähigkeiten der Bienen, vorgefundene Strukturen zum Wabenbau nutzen, um Plastiken und Objekte zu kreieren.Footnote 76

So sehr die Ergebnisse dieser „Zusammenarbeit“ ästhetisch faszinieren und die in jüngerer Zeit in den Human-Animal-Studies sowie den Multispecies Studies virulenten Diskussionen darüber weiter befeuern mögen, ob und inwiefern den Tieren künstlerische Kompetenzen zugestanden werden könnenFootnote 77: Ob entsprechende Objekte und deren unter Netzkonditionen oftmals auch jenseits des Radius der Kunst verbreitete Bilder über die temporäre Bewunderung hinaus dazu beitragen können, Tierrechte und Tierwohl dauerhaft in den menschlichen Horizont zu rücken, dürfte vorerst offen bleiben.Footnote 78 Was sie indessen in jedem Fall belegen ist, dass sich mit den Kompetenzen der Kunst und ihren auf die ästhetische Anschauung ausgerichteten Mitteln gesellschaftliche Aufmerksamkeit generieren und einer Sensibilität für die Komplexität der Zusammenhänge zuarbeiten lässt, in denen Mensch-Tier-Verhältnisse immer schon gestanden haben – die insbesondere jedoch dann interessieren müssen, wenn es um Nachhaltigkeitsperspektiven geht.Footnote 79

6 Hive Mind und Honigpumpe

Deren Reflexion anzuregen, mag man in der Tat als eine Aufgabe der Kunst – und namentlich einer Kunst, die sich als „ars longa“ verstehen will – betrachten. Doch wenngleich ästhetische Bildung im weitesten Sinne ebenso wie die Auseinandersetzung mit Kunst hier einen wichtigen Beitrag leisten kann, wäre es wohl verfehlt, Künstler*innen an erster Stelle auf eine solche Perspektive zu verpflichten. Allerdings kann nicht zuletzt die für viele zeitgenössische Positionen charakteristische Deutungsoffenheit und Unabgeschlossenheit dazu einladen, in der Auseinandersetzung mit den Arbeiten selbst entsprechende Perspektiven zu erschließen – und Letzteres wiederum wird sich umso mehr anbieten, wenn diese bereits über den jeweiligen Präsentationskontext angelegt sind.

Wer etwa Pierre Huyghes komplexer Installation „Untilled“ (2011–12) in jüngerer Zeit in einer Museumsausstellung begegnet, dürfte ohne Vorwissen um den ursprünglichen Entstehungszusammenhang der Arbeit beim Anblick des liegenden Aktes, dessen Kopf komplett von einer Bienenwabe umkleidet ist, nicht zwangsläufig an Ökologie oder gar Nachhaltigkeit denken.Footnote 80 Entwickelt hat der Künstler das Projekt jedoch ursprünglich für die documenta 13, deren Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev der Auseinandersetzung mit „NaturKulturen“Footnote 81, einschließlich der mit dieser verknüpften ökologischen und sozialen Fragen, im Konzept der Schau einen denkbar zentralen Platz eingeräumt hatte.Footnote 82 Huyghe gestaltete für „Untilled“ eine Brache am Rande der Kasseler Karlsaue so um, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung der Großausstellung nurmehr zu erahnen war, welche Elemente und Partien der Landschaft neu angelegt und welche so wie vorgefunden belassen waren. Folgte man den Wegen zwischen Wildwuchs und neu aufgeschütteten, größten Teils begrünten Hügeln, konnte man dabei nicht nur auf den liegenden Akt mit seinem von Bienen umsummtem Waben-Kopf und auf einen durchs Grün streifenden, weißen Windhund mit einem in leuchtendem rosa gefärbten Lauf stoßen. Sondern auch auf den liegenden Baumriesen einer toten Eiche, von der es hieß, es handele sich um einen jener Bäume, die ehedem im Zuge von Beuys‘ „Stadtverwaldung“ angepflanzt worden waren.

Anders als „7000 Eichen“ war „Untilled“ nicht auf den Verbleib in Kassel hin konzipiert. Dennoch scheint es voreilig, dem Projekt jegliche Nachhaltigkeit abzusprechen. Ebenso wie das zwischen Traum und Wirklichkeit oszillierende, poetische Bild, das es bei jenen hinterlassen konnte, die den Ort während der Laufzeit der documenta 13 aufgesucht haben – wovon nicht zuletzt das Echo zeugt, das die Arbeit im Netz, in der Presse und anderen Publikationen fand –, dürften wohl auch der temporäre Eingriff in das bestehende Biotop mit den Erdaufschüttungen, Saaten und Pflanzungen sowie nicht zuletzt den Bienen, Hunden und Menschen dem Gelände bleibende Spuren eingetragen haben.

Insbesondere in Verbindung mit der toten Eiche mag Huyghes „Hive Mind“Footnote 83 schließlich von der – auch historisch eingetragenen – Distanz und Nähe zur unauslöschlich mit der Kasseler documenta verknüpften Position von Joseph Beuys zeugen. Tatsächlich hatte dieser 1977, mithin fünf Jahre bevor er zur documenta 7 seine Pflanzaktion für „7000 Eichen“ initiierte, mit seiner „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ das Museum Fridericianum in einen Bienenstock transformiert. Während sich im zentralen Treppenhaus des Gebäudes eine riesige Kupferwalze in einem Margarineberg drehte, flossen 150 kg Honig durch ein über die Geschosse verteiltes Schlauchsystem. Am „Arbeitsplatz“ selbst versammelte Beuys allerdings keine Bienen, sondern lud zusammen mit Mitstreiter*innen der von ihm begründeten „Free International University“ zu Vorträgen und Diskussionen ein (vgl. Loers und Witzmann 1993, S. 145220).

Beuys‘ Beschäftigung mit dem Bienenstaat beginnt nicht erst im Zuge seines ökologischen Engagements. Bereits um 1950 formt er seine erste „Bienenkönigin“ aus WachsFootnote 84; zahlreiche frühe Blätter zeugen von seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Im Anschluss an Rudolf Steiner – dessen anthroposophische Bienenkunde wiederum von historischen wie zeitgenössischen sozialutopischen und politischen Lesarten des Insektenstaats als Metapher für die Organisation menschlicher Gemeinschaft mitgeprägt war – wollte Beuys die Biene als „Wärmewesen“ und den Bienenstaat als „sozialen Organismus“Footnote 85 verstanden wissen. Letzteres wiederum lässt seine Position – und insbesondere seinerzeit mit entsprechenden Aktionen verbundene Werke wie die „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ – aus heutiger Sicht ebenso aktuell wie anschlussfähig erscheinen.

Mit Blick auf Projekte wie „Die Honigpumpe am Arbeitsplatz“ und „7000 Eichen“ kann man Beuys wohl mit Fug und Recht als Pionier auf dem Feld einer „Kunst der Nachhaltigkeit“ bezeichnen. Nachhaltig wirken nicht zuletzt die Denkbilder fort, die er mit seinem Werk hinterlassen hat. Indes hat eine jüngere Generation zeitgenössischer Künstler*innen längst damit begonnen, eigene Zugänge und Perspektiven zu entwickeln. Dabei können sie auf bereits angelegte Fundamente bauen. Beuys galt seinerzeit noch als Provokateur und seine „Erweiterung des Kunstbegriffs“ in die Gesellschaft, in die Auseinandersetzung mit Ökologie und Ökonomie hinein Vielen als Affront.Footnote 86 Heute hingegen scheint es nahezu selbstverständlich, dass Künstler*innen nicht allein aus dem Atelier heraus operieren, sondern mit Projekten direkt in die Öffentlichkeit gehen – und dabei etwa auch unter den Vorzeichen der Kunst Bäume pflanzen oder eine Stadtimkerei betreiben. Kunst, die kulturelle Bildung, ökologisches und soziales Engagement verknüpft, hat sich als zukunftsfähig erwiesen: Als „ars longa“, die das Thema Nachhaltigkeit – und die mit ihm verknüpften Fragen und Komplexe – nicht nur aufgreift und in Bilder fasst, sondern direkt zum Handeln und Mittun einlädt.