Ziel dieser Arbeit war es, die Lebenswelten abgelehnter afghanischer Asylbewerber*innen zu beschreiben und darzulegen, auf welche Art und Weise sie die unterschiedlichen restriktiven Facetten des Asylprozesses emotional bewältigen. Im Mittelpunkt stand hierbei die Frage nach den Emotionen, emotionalen Ausdrucksweisen und Handlungsstrategien des in der Institution gefangenen Menschen, welcher im Zuge der sozialen Ausgrenzung immer mehr Unterdrückungsmechanismen ausgesetzt ist. Zur Beantwortung wurden die empirischen Ergebnisse auf das Konzept der „totalen Institution“ von Goffman (1973) angewendet. Aus dieser Perspektive stellen sich die erwähnten restriktiven Seiten des Asylprozesses als totalitäre Merkmale und Dynamiken in Form von Angriffen auf das Selbst des gefangenen Menschen heraus. Darüber hinaus wurden mithilfe der Kombination verschiedener Theoriestränge – aus der Emotionstheorie (SFB Affective Societies 2016; Katz (1999) und Ratcliffe (2008)), der Anerkennungstheorie (Hegel), der Subjekttheorie (Butler), und dem Postkolonialismus (Spivak und Bhabha) – unterschiedliche Hauptdimensionen der aus den Angriffen auf das Selbst resultierenden Selbstunterwerfung transparent gemacht. Diese zentralen Dimensionen bilden gleichsam die Hauptkapitel des zweiten, empirischen Teils der Arbeit. Mithilfe der lebensweltlichen Analyse und der Einbeziehung der im ersten Teil erläuterten theoretischen Ansätze behandelten die Hauptkapitel des zweiten Teils jeweils die individuelle Art und Weise der Selbstunterwerfung. Theoretisch wird im Zuge der konzeptuell dichten Verknüpfung der zentralen Dimensionen folgende Kernkategorie deutlich:

Unterwerfung des in der Institution gefangenen Menschen durch Angriffe auf dessen Selbstbehauptungskräfte

Die Kernkategorie dieser Arbeit ist in Anlehnung an Butler (vgl. Abschn. 4.6) von der grundsätzlichen inneren Ambivalenz des Subjekts her zu begreifen. Unterwerfung bildet demnach überhaupt erst den Nährboden für die Handlungsfähigkeit des Individuums, ganz gleich, welche Form die Handlungsfähigkeit annehmen mag und wie sie beschaffen sein wird. Unterwerfung meint somit keine vollständige, „absolute Unterwerfung“, sondern eine relational verstandene Bewegung, die eine Macht generiert, die nicht außerhalb des in der Institution gefangenen Menschen agiert, weshalb sie auch niemals gänzlich gegen dessen Willen durchgesetzt werden kann (Abbildung 12.1).

Abbildung 12.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Zusammenfassende Darstellung der empirischen Ergebnisse.

Das Resultat, zu dem die Verflechtung der verschiedenen theoretischen Ansätze am Datenmaterial geführt hat, wird an der Figur des gekränkten Flüchtlings nachgezeichnet. Der inferiorisierte Mensch ist genötigt, im spannungsgeladenen Dritten Raum die Konstruktion einer neuen Identität auf den Weg zu bringen, um nicht seine soziale Existenz zu verlieren. Im Zuge dieses Prozesses zeigt die gefangene Person von Fall zu Fall ganz eigene, individuelle Dynamiken auf. Dieser Individualität wird Rechnung getragen, indem sich die Fallstudien sowohl stilistisch als auch bezüglich der Form sowie des theoretischen Zugangs unterscheiden. Im empirischen Teil wird das Spektrum der möglichen Identifikationen für den nunmehr im Raum der Ambivalenz gefangenen Menschen aufgezeigt. Geflüchtete bilden durch die permanente Wiederholung bestimmter Affekte und Gefühle dominierende Emotionen heran, welche sich maßgeblich auf ihr Leben in Deutschland auswirken. Die Zusammenführung verschiedener theoretischer Perspektiven eröffnet die Sicht auf eine affektive Anerkennungsfindung im Asylkontext: Das Selbst wird im Zuge der Inferiorisierungspraktiken transformiert, wobei ihm die Institution zugleich eine unmissverständliche Rolle als „Verlierer“ zuweist. Der gefangene Mensch entwickelt inmitten des liminalen Raums des Ankunftskontextes mithilfe der Inszenierung seines spezifischen sozialen Dramas eine Identität, die sich mit der ihm zugeteilten Rolle hervorragend vereinbaren lässt. Affekte und Emotionen „generieren“ im beschriebenen Prozess langfristig Anerkennung, unter anderem auch durch psychische Krankheit als „affektive Währung“. Teils bewusst, teils unwillkürlich vollzogen, erweisen sich Emotionen demnach als performierte, enaktive Verhaltensweisen, mittels derer wahrgenommene Qualitäten und Eigenschaften des affektiven Regimes Asyl von der fühlenden Person mitkonstruiert werden. Im Verlauf dieses zirkulären und dynamischen Prozesses wechseln sich aktive und passive Anteile des gefangenen Menschen in der Heranbildung von Emotionen ab. Emotionen stellen keine Vollzüge dar, die augenblicklich „geschehen“. Die emotionale Erfahrung Geflüchteter orientiert sich an der sozialen und affektiven Architektur der Institution Asyl, bezieht sich auf sie und erschließt allmählich spezifische Qualitäten dieser Architektur, die sich in der individuellen Performanz und Inszenierung eigener Verhaltensweisen („Narration“) widerspiegeln. Dieses komplexe Zusammenspiel zwischen aktiver, bewusster und passiver, unbewusster Inszenierung wurde als soziales Drama des sich unterwerfenden Individuums in Anlehnung an Hegels „Knecht“ entworfen. Die Überlegungen münden, mit Blick auf die gefundene Kernkategorie, schließlich in folgender These:

Die Institution Asyl fungiert als eine Identitäts-Zuteilungs-Maschine, die den gefangenen Menschen mithilfe totalitärer Dynamiken unterwirft.

Drei Faktoren, die aus den empirischen Daten resultieren, sind für diese Selbstunterwerfung verantwortlich:

  1. (I)

    Grundlegende Ausgesetztheit des gefangenen Menschen gegenüber den totalitären Dynamiken

  2. (II)

    Unumgänglichkeit der sozialen Asymmetrie

  3. (III)

    Fundamentale Dependenz des Menschen von Anerkennung

Der erste Baustein der Theorie der Unterwerfung des Selbst (I) meint die generellen Bedingungen, unter denen Geflüchtete in der Institution angegriffen, ihrer Identität beraubt und letztlich inferiorisiert werden. Eine wesentliche Aufgabe der Arbeit bestand daher darin, den Faktor der Ausgesetztheit des gefangenen Menschen in den ethnografischen Beschreibungen festzuhalten. Dazu wurden in jeder Fallstudie totalitäre Merkmale und Dynamiken auf der Mikroebene des Alltags herausgearbeitet, ausführlich beschrieben und analysiert. Die Anwendung des Konzepts der „totalen Institution“ (Goffman 1973) auf das empirische Material ergab, dass die Formen der Angriffe auf das Selbst teils subtiler erfolgen als in den klassischen „totalen Institutionen“ Goffmans. Fluchtmigrierende sind in der Institution Asyl vielfältigen strukturellen Diskriminierungen und Ungleichheiten ausgesetzt, ohne die Möglichkeit zu erhalten, sich effektiv zu wehren. Falls sie dies doch versuchen, wird der Widerstand über verschiedenste Disziplinarmaßnahmen unwirksam gemacht (Looping-Effekt). Der mangelnde Schutz durch fehlendes oder ungeeignetes Personal sowie die konsequente Vermeidung langfristiger und nachhaltiger Strategien für den Sektor Asyl wurde als totalitäre Dynamik – im Sinne eines moralischen Risikos – herausgestellt, die maßgeblich zu der Ausgesetztheit beiträgt. Zu betonen sind an dieser Stelle intersektionelle Diskriminierungsformen, denen geflüchtete Frauen ausgesetzt sind. Sie werden über die Diskriminierung durch die Institution Asyl hinaus zusätzlich für geringste emanzipatorische Absichten stigmatisiert. Die totalitären Merkmale und Dynamiken in Form von Angriffen auf das Selbst bilden die Initiation des Identitätsverlustes des Individuums. Hier spielt vor allem die Kontrolle über die Platzierung des Körpers unterdrückter Individuen im Raum eine Rolle. Dieses totalitäre Merkmal wird als Eingriff in die physische und psychische Integrität Geflüchteter gedeutet. Ihre Integration und Selbstbestimmung werden dadurch erheblich beeinträchtigt. Der gefangene Mensch kann gar nicht anders, als in der Willkür des chaotischen Geschehens die systematische Inferiorisierung zunächst hinzunehmen. Der sozialphänomenologische Ansatz der Lebensweltanalyse erwies sich als hilfreich, um aufzudecken, auf welche Art die subtilen Angriffe stattfinden und wie sie den Menschen typischerweise ausgrenzen, demütigen und kränken. Hierunter fallen insbesondere die aufgezeigten Unterbringungsproblematiken und daraus resultierende existenzielle Gefühle von Angst.

Entscheidend bei diesen Vorgängen ist der zweite Faktor (II): Hier steht die soziale Architektur der Institution im Blickfeld. Damit sind primär die sozialen Interaktionen in Gestalt eines superioren „Wir“, eines inferioren „die Anderen“ und der damit einhergehenden sozialen Rollen, Rituale, Verhaltensweisen und affektiven Bezugnahmen gemeint. Die zweite Bedeutungsdimension der Unumgänglichkeit beschreibt die charakteristischen Strukturen der sozialen Verhältnisse zwischen der Eigen- und der Fremdgruppe in der Hybridität des ambivalenten Raums im Asylprozess. Das übermäßige Warten, die ethnische Hierarchisierung, die permanenten Disziplinarmaßnahmen, die Entmündigung durch zahllose Reglementierungen sowie die Fragehoheit sind in diesem Zusammenhang als totalitäre Merkmale aufgedeckt worden, die die Identitätskonstruktionen von Asylbewerber*innen beeinträchtigen. Geflüchtete werden nicht bloß ihrer persönlichen Zielsetzungen beraubt, sondern ihrer fundamentalen (Handlungs–)Macht. Damit wird das Versprechen der Gleichheit vor dem Gesetz gebrochen – ein Versprechen, das etliche Geflüchtete motiviert, nach Deutschland zu fliehen. Der menschenrechtliche Kern unterschiedlicher Asylgesetze, die im ersten Teil der Arbeit erläutert wurden, und der damit verbundene normative Anspruch Fluchtmigrierender auf ein entsprechend faires, menschenwürdiges und gerechtes Asylverfahren werden durch das affektive Regime Asyl systematisch unterminiert. Der normative Anspruch und die mit ihr einhergehende Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland werden dabei Stück für Stück – insbesondere durch die ständigen menschenrechtlich umstrittenen Verschärfungen der Asyl- und Aufenthaltsgesetze (vgl. Abschn. 3.2) seit 2015 – aufgeweicht. Mit der Etablierung eines entsprechenden sozioökonomischen Status für Asylbewerber*innen produziert die Institution Asyl statt Gleichheit und Sicherheit existenzielle Gefühle der Verunsicherung durch Ungleichheit – und dies inmitten einer westlichen Demokratie, die niemals müde wird, sich nach außen hin bedingungslos zu den Menschenrechten zu bekennen. Der mediale Diskurs um die „humanitäre Verantwortung“ für Fluchtmigrierende sowie die Rede von der sogenannten „Fluchtursachenbekämpfung“ bilden geschickt Narrative aus, die den normativen Anspruch auf Asyl untergraben. Dies gibt etlichen Stereotypisierungen Auftrieb, die geflüchtete Menschen fortwährend mit Delinquenz und anderen negativen Eigenschaften (Faulheit, Dummheit, Kriminalität etc.) in Verbindung bringen. Die Homogenisierung aller Fluchtmigrierender im Verlauf dieser Zuschreibungen spielt der simplifizierenden Aufspaltung zwischen der dominanten Gesellschaft – „den Deutschen“ – und den zahllosen verschiedenen Gruppen geflüchteter Menschen – „den Flüchtlingen“ – in die Hände.

In dieser Situation liegt der Rückgang auf ethnische oder „identitäre“ Geschichtserfindungen und entsprechende „Wir/sie-Konstruktionen“ nahe. Der daraus folgende rassistische Diskurs affiziert die breite Bevölkerung derart, dass das Verlangen nach „reiner Identität“ und „reiner Kultur“ immer stärker wird. Die Begierde nach einer solchen „Ursprünglichkeit“ ist aus der Perspektive dieser Studie illusorisch und abwegig. Hier zeigt sich ein obsessiver Modus der Fixierung von Identität seitens der dominanten Mehrheitsgesellschaft, der eine Kausalität zwischen ethnischer Herkunft und delinquentem Verhalten herzustellen sucht. Dabei wird ein „Wahrheitssystem“ konstruiert, das die genannte simplifizierende Aufteilung bestätigen soll, mit dem Ziel, das binäre System – „delinquente Ausländer“ vs. „nicht delinquente Deutsche“ – aufrechtzuerhalten. Der eurozentrische Rassismus gegenüber Fluchtmigrierenden intensiviert die Spaltung der Gesellschaft und lässt angesichts der sozialen Ausgrenzung – besonders im Hinblick auf diejenigen mit unsicherem Aufenthaltstitel – Ressentiments aufkeimen, die eine Integration künftiger Generationen Geflüchteter unmöglich machen. Die Diskurse, die von der totalen Institution Asyl (mit-)konstruiert werden – man denke etwa an die streng bewachten Sicherheits- und Schutzzonen von Flüchtlingsunterkünften, die vermitteln, es handle sich um grundsätzlich gefährliche und bedrohliche Menschen –, stehen in direktem Zusammenhang mit den Ressentiments gegenüber den auf diese Weise stigmatisierten und ausgegrenzten Menschen. Maßgeblich verantwortlich für die Aufrechterhaltung eines solch gespaltenen sozialen Gerüsts sind Emotionen und emotionale Ausdrucksweisen, die in sozialen Ritualen und den beschriebenen Mechanismen der Stereotypisierung ständig (re-)produziert werden. Dabei werden insbesondere die Selbstbehauptungskräfte des Menschen zerstört. Dieser Angriff ist für den entworfenen Ansatz der affektiven Identitätsneukonstruktion zentral, denn an diesem Punkt beginnt die Selbstauflösung des gefangenen Menschen.

In der Unterdrückung seiner Energien erkennt die inferiorisierte Person nicht mehr sich selbst, was den existenziellen Charakter dieses Faktors auszeichnet und eng mit dem entscheidenden dritten Faktor zusammenhängt (III): Die menschliche Abhängigkeit von Anerkennung ergibt sich aus der skizzierten Figur des gekränkten Flüchtlings („Knecht“) in den Ansätzen der Anerkennungstheoretiker*innen nach Hegel. Sie basiert auf der „Urszene“ der Sozialität, der Begegnung des Subjekts mit dem „Anderen“ von Angesicht zu Angesicht. Das Individuum ist in seiner existenziellen Begierde nach Anerkennung bereit, sich der neu zugeteilten unterlegenen Identität knechtisch unterzuordnen. Dieser Feststellung liegt keine essentialistische Sicht zugrunde, die Macht und Subjekt als getrennte Instanzen versteht. Vielmehr wurde herausgearbeitet, dass die aufgezeigten Merkmale und Machtdynamiken im Rahmen der Institution Asyl die Handlungsmächtigkeit des gefangenen Menschen durch die Unterdrückung zwar begründen, sie aber nicht gänzlich begrenzen oder determinieren. Die Subjektwerdung bringt das Hinnehmen eines neuen, minderwertigen Selbstverständnisses, einer neuen Identität mit sich. Mit dieser gehen entsprechende Emotionen einher, die der gefangene Mensch mittels einer Narration selbst auf kreative Art heranbildet. In diesem Schlüsselmoment zeigt sich der Zusammenhang der dominierenden Konzepte und Themen dieser Arbeit – Totalität der Institution Asyl, Emotionen, Anerkennung bzw. Verkennung und Identitätsbildung seitens des gefangenen Menschen – ganz deutlich: Die Ausgesetztheit des Subjekts (I) angesichts der Unumgänglichkeit totalitärer Bedingungen (II) und dessen unauslöschbare Begierde nach Anerkennung (III) lancieren im Dritten Raum eine Bewegung der Selbstunterwerfung, die es mithilfe entsprechender Emotionen individuell realisiert. Dabei war die Nichtpathologisierung von Emotionen und emotionalen Ausdrucksweisen für die Deutungen richtungsweisend. Mit Blick auf die Institution Asyl ist es zudem gelungen, nicht nur die Form, sondern bis zu einem gewissen Grad auch den Gehalt der Anerkennungsrelationen, die die Autonomie des Menschen gewährleisten sollen, festzuhalten. Hier hat sich gezeigt, wie fruchtbar die Kombination von lebensweltlich-ethnografischer Analyse mit den gewählten Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen ist.

Hervorzuheben ist, dass die Ergebnisse dieser Studie nicht als vollständig und abschließend verstanden werden, sondern als Anreiz zu weiteren Forschungen und Debatten. Der Fokus auf die emotionale Erfahrung Geflüchteter im System Asyl ließ viele andere wesentliche Aspekte unberücksichtigt, etwa die Seite der Mitarbeiter*innen der Institution und deren Gefühle, Erfahrungen und Ansichten. Zudem war es nicht möglich, sich darüber hinaus mit Theorien der Intersektionalität und generell mit Migration, Rassismus und Genderstudien vertieft auseinanderzusetzen. Hier sind weitere Untersuchungen erforderlich, um die emotionale Erfahrung des Asyls sowie die anschließende emotionale Erfahrung der Integration aus anderen Perspektiven betrachten und nachvollziehen zu können.

Die aufgezeigte Unterwerfung und psychische Zerstörung von Menschen, die sich mit Tatkraft und Entschlossenheit auf eine hochgefährliche Fluchtroute begeben haben, um ein neues Leben in Freiheit und Sicherheit zu beginnen, wurde in einem Rahmen präsentiert, der globale und historische Ungerechtigkeiten einbezieht. Besonders der Postkolonialismus wurde im analytischen Teil als kritische Denkhaltung deutlich, die Diskurse zu Identität, (Ohn-)Macht und Sprachlosigkeit von Minderheiten in Anlehnung an die Moderne-Kritik der Frankfurter Schule neu zu fassen vermag. Die Auswertung und Untersuchung der Daten, insbesondere zu den Fluchtgeschichten von Asylbewerber*innen, haben gezeigt, dass deren Unterwerfung auf der Mikroebene der Institution Asyl unzertrennlich mit übergeordneten historischen und soziopolitischen Formationen gekoppelt ist. Dabei wurde das Scheitern der Bewahrung menschenrechtlicher Prinzipien in Form des uneingelösten Versprechens von Schutz und Gleichheit innerhalb der Institution Asyl mithilfe postkolonialer Denkfiguren aus Sicht ihrer weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkten Zwischenräume der Institution Asyl betrachtet. Auf der Grundlage des erörterten Differenzdenkens wurde der Versuch unternommen, über den eindimensionalen Gegendiskurs hinaus eine Perspektive auf Fluchtmigrierende zu erschließen, die es erlaubt, vereinfachende Logiken und Narrative zu Integration und Identität von Minderheiten zu überwinden. In einer Zeit globaler Transition und widersprüchlicher Weltbilder sind althergebrachte Ideen, die Multikulturalismus, Assimilation oder rein partikularistischen Perspektiven („Toleranz“) den Vorzug geben, unzulänglich, wenn es gilt, die Handlungsweisen und Emotionen Fluchtmigrierender und damit verbundene Narrationen, soziale Deformationen und ethische Dilemmata zu verstehen. Gerade im von äußersten Spannungen geprägten Sektor Asyl und Flucht, in dem ein überdurchschnittlicher Teil asylsuchender Menschen systematisch an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird, manifestiert sich die Andersheit „der jeweils Anderen“ in Form unvereinbarer Werte und Prioritäten. Ausgegrenzte Personen können aus dieser Perspektive durchaus Teil der deutschen Gesellschaft werden und sogar eingeschränkt am öffentlichen Leben teilnehmen. Zur gleichen Zeit können sie jedoch, angetrieben von ihren Gefühlen, die in der Unterwerfung wurzeln, Weltbilder und Lebenspraktiken generieren, die im Kern liberalen Prinzipien entgegengesetzt sind.

Mit dem Nachvollziehen dieser Konstellation wird ersichtlich, dass die „Subalternen und ehemaligen Sklaven“ (Bhabha 2000: 370) nunmehr in einer katachretischen Art der Neueinschreibung in die Moderne intervenieren, um die Äußerungsbedingungen auf der Ebene des Zeichens – des Denkens, Sprechens und Schreibens – neu zu konfigurieren (ebd.: 371). Es geht in diesem Sinne nicht um die Generierung neuer „positiver Geschichten über Flüchtlinge“, um unreflektierte und mitleiderregende Bilder subalterner Identitäten oder um die Auf- bzw. Abwertung bestimmter Gruppen und Gesinnungen, sondern schlichtweg um das Aufzeigen der schwer zu fassenden Ambivalenz, die jedem Akt kultureller Übersetzung innewohnt. Aus der postkolonialen Sicht lassen sich widersprüchliche kulturelle Vorstellungen, Wahrheiten und Praktiken auf eine Art begreifen, welche die gegebene Andersheit nicht verleugnet, sondern ganz und gar anerkennt. Kultur kann in diesem Sinn einer „verstörenden und ungemütlichen Praxis des Überlebens“ (ebd.: 261) gleichkommen, die sich nicht schablonenhaft in die üblichen Kategorien der Assimilation, des Multikulturalismus oder der Toleranz fügt. Solche Überlebensstrategien verbinden sich nicht selten mit Ressentiments und offenbaren sich – zeitlich verschoben – in spezifischen Ausformungen als Angriffe auf die Grundprinzipien der westlichen Moderne. Unterdrückte Selbstbehauptungskräfte tauchen infolgedessen in mutierter Form auf und führen zu neuen Konflikten.

Im Zuge der Analyse konnten die von der totalen Institution Asyl ausgehenden freiheitsgefährdenden Mechanismen rekonstruiert werden, wobei stets der Mensch, seine Emotionen und Handlungsstrategien im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Die Selbstunterwerfung geflüchteter Menschen wird dabei aus Sicht der vorliegenden Arbeit nicht als ein singuläres auf den Bereich Asyl beschränktes Phänomen verstanden, sondern als eine gesamtgesellschaftlich wirksame affektive Dynamik gesehen. Die Verkennung zahlloser Fluchtmigrierender durch die totale Institution Asyl birgt enorme Kräfte der Transformation in sich. Rassistische Diskurse und Narrative, die einerseits diese Verkennung mitkonstruieren und andererseits verstärkt aus ihr hervorgehen, transformieren nicht bloß die Identität Geflüchteter, sondern die der deutschen Mehrheitsgesellschaft insgesamt. Der aufgezeigten Selbstunterwerfung und den mit ihr einhergehenden prägenden Gefühlen des Ressentiments lässt sich aus diesem Grund einzig mit einer radikal offenen Haltung begegnen, die weder die Schwierigkeiten und Herausforderungen der Fluchtmigration ignoriert noch die fundamentalen Menschenrechte Fluchtmigrierender von der Hand weist. Eine solche Haltung ist sich der globalen (post-)kolonialen Ausbeutungsverhältnisse bewusst und weiß sich zugleich von oberflächlichen „Willkommenskulturen“ zu distanzieren. Diese Haltung der Anerkennung erkennt auch, dass in der globalisierten Weltlage keine Politik des (post-)kolonialen „Leidensausgleichs“ möglich ist, wenngleich sie zunächst sehr ehrenhaft zu sein scheint; sie verkennt und verharmlost nicht Radikalisierungstendenzen auf allen beteiligten Seiten und lässt sich vor allem nicht von Ideologien sowie von politischen Parteien und Gesinnungen instrumentalisieren. Eine Haltung der Anerkennung fällt weder Fiktionen der Vergeltung noch ihren politischen, gesellschaftlichen und medialen Reflexen anheim, sondern bricht sie gründlich auf, befreit von toxischen Affekten und begünstigt allmählich die Herausbildung einer antiautoritären Weltkultur mit unerschütterlichem Respekt vor den Menschenrechten.