Schlüsselbegriffe

1 Entstehungsgeschichte

Das Studienmodell der Leuphana Universität Lüneburg zeichnet sich durch einen gemeinsamen, fächerübergreifenden Einstieg ins Studium für alle Erstsemester-Studierenden aus. Das sogenannte Leuphana-Semester dient dabei unter anderem der Einführung in wissenschaftliches Arbeiten, bevor ab dem zweiten Semester das Fachstudium im Vordergrund steht (Weiser et al. 2019). Neben zwei fachspezifischen Einführungsmodulen umfasst das Leuphana-Semester drei fachübergreifende Module, die von allen Studierenden gemeinsam belegt werden. Eines dieser fachübergreifenden Module ist das Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“. Orientiert am Leitbild der Nachhaltigkeit beschäftigen sich die Studierenden hier vertieft mit Fragen gesellschaftlichen Wandels. Eine Vorlesungsreihe führt in das Themenfeld ein und gibt den Studierenden einen Einblick in die aktuelle Nachhaltigkeitsforschung (Wissensvermittlung). Sie bezieht dabei im Sinne eines Perspektivwechsels unterschiedliche disziplinäre und interdisziplinäre Schwerpunkte ein. In Projektseminaren setzen sich die Studierenden vertieft mit bestimmten Fragestellungen des Themenfelds auseinander, um interdisziplinäre Lösungswege für konkrete gesellschaftliche Herausforderungen aufzuzeigen oder zu entwickeln (Wissensgenerierung). Das Leuphana-Semester endet mit der Konferenzwoche, einer dreitägigen Abschlusskonferenz, bei der alle 1500 Studierende ihre Ergebnisse aus den Projektseminaren öffentlich präsentierten (Wissenskommunikation).

Die Lehre in den Projektseminaren des Moduls „Wissenschaft trägt Verantwortung“ orientiert sich am Ansatz des Forschenden Lernens. Dabei durchlaufen die Studierenden einen idealtypischen Forschungsprozess (Kolb 1984; Huber 2009, 2014; Ellinger 2015). Durch das Seminarthema ist seitens der Lehrenden ein gewisser Rahmen abgesteckt, der den Studierenden Spielraum lässt, einen Themenschwerpunkt zu setzen, der sie besonders interessiert und motiviert, sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Mittels einer eingehenden Recherche erschließen sich die Studierenden den Forschungsgegenstand weitgehend selbstständig und entwickeln, unterstützt durch die Seminarleitung, ein geeignetes Forschungsdesign. Ein zentrales Anliegen des Forschenden Lernens ist ein Erkenntnisgewinn, der auch für Dritte relevant sein sollte und den die Studierenden in der Projektarbeit erarbeiten und kommunizieren müssen. Die Modulleitung unterstützt Lehrende und Studierende, indem sie neben einem ausführlichen „Leitfaden für die Projektarbeit“ (Barth et al. 2017) ein Paket an didaktischen Hilfsmitteln zur Verfügung stellt.

Im Wintersemester 2018/2019 wurde im Rahmen des Moduls „Wissenschaft trägt Verantwortung“ erstmals ein interdisziplinäres Projektseminar zum Thema Low-Profit angeboten (Fahrbach 2019). Das Projektseminar fand mit 28 Teilnehmenden alle 14 Tage während der gesamten Vorlesungszeit des Wintersemesters 2018/2019 statt und war – wie alle Projektseminare – mit 3 SWS ausgestattet, da zusätzlich zu den Seminarsitzungen (2 SWS) noch die Anwesenheit auf der Konferenzwoche eingeplant ist. Die Idee des Projektseminars war es, das Thema Low-Profit mit den UN-Nachhaltigkeitszielen, den sustainable development goals (SDG), zu verbinden und auf diese Weise ein neues Forschungsfeld zu erschließen (Abb. 1). Die Studierenden waren mit der Frage konfrontiert: „Was sind Low-Profit-Investitionen überhaupt und können diese einen Beitrag zur Umsetzung der SDG leisten?“ Die Studierenden sollten dazu eine Forschungsfrage formulieren, diese im Laufe des Semesters gemeinsam in Gruppen bearbeiten und einen abschließenden Projektbericht verfassen.

Abb. 1
figure 1

Quelle: Fahrbach 2019

Schnittmenge zwischen zwei Themenbereichen.

Die SDG erfahren in der Öffentlichkeit oft viel positive Resonanz, aber es melden sich auch kritische Stimmen zu Wort, insbesondere wenn es um das Verhältnis zwischen SDG und Ökonomie geht. Die Kritik entzündet sich am SDG 8 und der Forderung nach weiterem Wirtschaftswachstum. Das SDG 8 knüpft historisch an das Konzept der green economy an, das 2008 vom UN-Umweltprogramm (UNEP 2011) initiiert und von der OECD (2011) unter dem Begriff green growth aufgegriffen wurde und im Jahr darauf auf der Agenda des UN-Umweltgipfels in Rio de Janeiro (UNO 2012) stand. Dieses Konzept propagiert im SDG-Unterziel 8.4 eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch durch Steigerung der Nutzungseffizienz. Vertreter der Postwachstumsökonomie wie Niko Paech – der auch in der begleitenden Vorlesungsreihe des Moduls vertreten war – verweisen jedoch darauf, dass eine ökologisch ausreichende Entkopplung nicht möglich ist (Paech 2013). Mit solchen Positionen lege sich die UNO selbst einseitig fest und bewege sich innerhalb der engen Grenzen einer orthodoxen, wirtschaftsliberalen Dogmatik. Es fehle ein grundsätzlicher Diskurs über systemische Alternativen.

2 Innovative Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragen

2.1 Die Forschungsfrage

Das Seminar zum Thema Low-Profit war gleich eine doppelte Premiere: Zum einen wurde damit ein ganz neues finanzwirtschaftliches Thema auf die Agenda einer Hochschule gesetzt und zum anderen schon die Verbindung zu Gemeinwohlzielen (SDG) hergestellt. Den Teilnehmenden am Projektseminar wurde zunächst eine übergeordnete Forschungsfrage vorgegeben: „Können Low-Profit-Investitionen einen zusätzlichen Beitrag zur Umsetzung der SDG leisten?“ Die Studierenden waren gefordert, diese Frage anhand eines einzelnen SDG „X“ oder bestimmter SDG-Unterziele zu konkretisieren und auf diese Weise mit Leben und Inhalt zu füllen (Abb. 2). Daraufhin bildeten sich sechs Gruppen à vier bis sechs Personen, die sich jeweils auf ein SDG-Ziel einigten und sich während des Semesters zu regelmäßigen Gruppentreffen verabredeten, um einen gemeinsamen Projektbericht zu erstellen.

Abb. 2
figure 2

Quelle: Fahrbach 2019

Bestandteile des Projektseminars.

2.2 Was sind Low-Profit-Investitionen?

Low-Profit-Investitionen rentieren in etwa zwischen 0 und 3 % pro Jahr (Fahrbach 2014, 2016). Investorinnen und Investoren erwarten hingegen eine Rendite von 5 % und mehr, wenn sie sich an Unternehmen beteiligen (Abb. 3). Auch eine klassische Finanzierung über die Bank kommt eher nicht infrage, da Banken in der Regel mindestens 5 % Kreditzinsen verlangen. Daher ist es für Unternehmen schwierig, Low-Profit-Investitionen zu finanzieren.

Abb. 3
figure 3

Quelle: Fahrbach 2019

Renditebereiche von Investitionen.

Im Projektseminar wurden drei wirtschaftspolitische Instrumente angesprochen:

  1. 1.

    Vermögensteuer auf sichere Geldanlagen

  2. 2.

    Zinsgünstige Förderkredite

  3. 3.

    Gemeinwohlziele (SDG)

Die Vermögensteuer knüpft an Geldanlagen an, die keinem unternehmerischen Zweck dienen. Dazu gehören Tages- und Festgeldkonten, Staatsanleihen und andere sichere Geldanlagen. Eine solche spezielle Vermögensteuer könnte EU-weit eingeführt werden und die bisherigen nationalen Zinsertragsteuern ablösen (Kapitalertragsteuer). Denkbar wäre ein einheitlicher Vermögensteuersatz von z. B. 3 % pro Jahr auf alle sicheren Geldanlagen über einem Steuerfreibetrag von z. B. 100.000 €, um Kleinsparerinnen und Kleinsparer zu schonen.

Eine spezielle Vermögensteuer auf sichere Geldanlagen beschert dem Staat nicht nur zusätzliche Einnahmen, sondern erfüllt darüber hinaus auch eine Lenkungsfunktion: Wenn man sichere Anlagen höher besteuert, dann investieren Anlegerinnen und Anleger eher in reale Werte. Diese sind dann eher bereit, sich an Unternehmen zu beteiligen und diesen günstig Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, z. B. in Form von Aktien oder Anteilen einer GmbH. Die Abb. 4 illustriert diesen Lenkungseffekt: Investorinnen und Investoren haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten ihre Gelder anzulegen – entweder als sichere Spareinlage auf der Bank oder als Beteiligung an einem Unternehmen. Angenommen die Spareinlage bringt 1 % Zinsen pro Jahr und außerdem existiere eine Vermögensteuer auf sichere Geldanlagen in Höhe von 3 % pro Jahr. Welchen Effekt hat nun eine solche Steuer auf das Anlageverhalten der Investorinnen und Investoren? Um die Vermögensteuer zu vermeiden, tendieren steuerpflichtige Investorinnen und Investoren dazu (das sind jene Investorinnen und Investoren, die über dem Freibetrag hinaus risikofrei anlegen), sich auch für eine relativ geringe Rendite von z. B. 2 % pro Jahr am Eigenkapital von Unternehmen zu beteiligen. Unternehmen gewinnen so finanziellen Spielraum für Low-Profit-Investitionen.

Abb. 4
figure 4

Quelle: Fahrbach 2019

Finanzierungsmodell.

Ein weiteres Instrument, um Low-Profit-Investitionen zu fördern, sind zinsfreie und zinsgünstige Kredite, die nach strengen sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitskriterien vergeben werden. So können Haushalte, Unternehmen, Institutionen und andere nachhaltige Akteurinnen und Akteure die Zinsbelastung reduzieren und sich günstig fremdfinanzieren (Abb. 5). Förderkredite könnten ganz wesentlich dazu beitragen, Gemeinwohlziele wie die SDG zeitgerecht zu erreichen.

Abb. 5
figure 5

Fördermodell. Quelle: Fahrbach 2019

3 Lehrinhalte und Lehrmethoden

3.1 Wissenschaftliche Herangehensweise

Das Thema Low-Profit ist finanzwirtschaftliches Neuland und hat sowohl praktisch-utilitäre als auch theoretische Implikationen. Das diesbezügliche Projektseminar ist eher kognitiv ausgerichtet und verlangt von den Studierenden eine hermeneutische, verstehensorientierte Herangehensweise und damit eine qualitative Forschungsleistung. Als Forschungsmethoden sind neben der Literaturrecherche die Akteursanalyse, die Szenario-Technik und Interviews geeignet. Um das Seminar insgesamt nicht zu theorielastig werden zu lassen, kann es mit praktischen Projekten kombiniert werden. Die Studierenden überlegen sich in der Gruppe ein gemeinsames Projekt und erproben auf diese Weise das Gelernte in der Praxis, indem sie Interviews führen oder einen Fragebogen erstellen und auswerten.

3.2 Gruppenarbeit

Im Leuphana-Semester – speziell im Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“ – wird großer Wert auf Gruppenarbeit und Kooperation gelegt. Der interaktive und weitgehend selbstständig organisierte Themenfindungsprozess wird zunächst in einer Projektskizze festgehalten und im Projektseminar vorgestellt. Daraufhin erfolgt eine intensive Literaturrecherche. Im Projektseminar zum Thema Low-Profit wurde in einer Gruppe die Akteursanalyse und in einer anderen die Szenario-Technik als Forschungsmethode hinzugezogen, um die Forschungsfrage zu beantworten. Die einzelnen Gruppen trafen sich während des Semesters regelmäßig, um das gemeinsame Thema zu entwickeln. Schließlich stellten die Gruppen in eigenständiger Forschungsarbeit den synthetischen Bezug zwischen dem Thema Low-Profit und dem selbst gewählten SDG-Ziel her und verfassten dazu einen gemeinsamen Projektbericht.

Auf der Abschlusskonferenz – diese stand in diesem Jahr unter dem Motto „Fortschritt“ – präsentieren die Projektgruppen ihre Ergebnisse entweder mittels Power-Point-Präsentation oder als Postersession. Neben dem Erwerb von ‚Gestaltungskompetenz‘ und dem Einüben einer verständlichen Präsentation oftmals komplexer Inhalte durch die Studierenden steht bei der Abnahme der Prüfungsleistung durch die Seminarleitung die Gruppenarbeit im Vordergrund. Die Prüfungsleistung wird in der Gruppe erbracht, weil im Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“ das kooperative Forschen zu den wichtigsten Lernzielen gehört.

3.3 Aufgabe der Projektleitenden

Zentrale Aufgabe der Projektleitenden ist die thematische Einführung in das Projektseminar. So ging es im Projektseminar zum Thema Low-Profit zunächst darum, finanzwirtschaftliche Begriffe, Prämissen und Methoden zu erklären. Die Studierenden sollten in der Lage sein, das finanzwirtschaftliche Standardmodell in Grundzügen zu verstehen und finanzwirtschaftliche Zusammenhänge nachzuvollziehen. Sie sollten die Grenzen der finanzwirtschaftlichen Modellierung erkennen und eine interdisziplinäre Perspektive einnehmen.

  • Wie lässt sich das Standardmodell sinnvoll erweitern?

  • Welche fiskalischen Instrumente sind zu berücksichtigen (Steuern und Subventionen)?

  • Wie kann der Staat Low-Profit-Investitionen fördern?

  • Wie kann man das Thema Low-Profit mit den SDG in Verbindung bringen?

Im Laufe des Semesters wandelt sich allerdings die Aufgabe der Projektleitenden. Sie sind zwar weiterhin diejenigen, die ihre Expertise einbringen, aber im Verhältnis zu den Studierenden wird die Projektleitung zunehmend zum Coach oder Facilitator des Forschungsprozesses innerhalb der Projektgruppen, was die Art des traditionellen Verhältnisses zwischen Studierenden und Lehrenden wesentlich verändert. Während der Konferenzwoche betreuen die Projektleitenden die Studierenden schließlich bei ihrer ersten hochschulöffentlichen Präsentation und nehmen die Prüfungsleistung ab.

4 Die Schaffung hochschuldidaktischer Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Forschungsleistungen im ersten Semester

Es kann durchaus als anspruchsvoll bezeichnet werden, Studierende bereits im ersten Semester mit der Aufgabe zu konfrontieren, eigenständig ein erstes, überschaubares Forschungsprojekt zu entwerfen und durchzuführen. Es ist die Kombination gleich mehrerer Aspekte, die im vorliegenden Fall zu einem Gelingen dieses Vorhabens beigetragen haben: Der didaktische Rahmen des Forschenden Lernens sowie die inhaltliche Ausrichtung des Seminars und dessen Einbettung in einen interdisziplinären Lehr-Lern-Kontext.

Die Lehrmethode Forschendes Lernen verlangt von den Studierenden schon im ersten Semester, eine konkrete Forschungsfrage zu formulieren, zu bearbeiten und dazu Ergebnisse zu präsentieren. Gleichzeitig schafft sie aber auch genau den didaktischen Rahmen, den Studierende in ihrer Studieneingangsphase benötigen. Indem sie nicht nur etwas über Fachinhalte hören und lesen, sondern sich diese selbstständig erarbeiten, ein eigenes Erkenntnisinteresse formulieren und so nach und nach durch den Forschungsprozess hindurch begleitet werden, macht das Vorgehen den Unterschied zum Alltagswissen für die Studierenden erfahrbar.

Im Leuphana-Semester kommt insbesondere der fachübergreifende Charakter zur Geltung. Die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts offenbaren, wo sich zwischen den oftmals hoch spezialisierten wissenschaftlichen Disziplinen Lücken auftun, die sich nicht immer mit einer bestimmten Methode oder Theorie schließen lassen und auf die viele Lehrende an etablierten Fakultäten infolge ihrer einzelwissenschaftlichen Ausrichtung bislang noch nicht ausreichend hingewiesen haben. Das hier beschriebene Projektseminar ermöglichte eine interdisziplinäre Perspektive auf ein noch junges Thema, in welchem die Studierenden eben diese Lücken erkennen und aufgreifen konnten. Damit steht der inhaltliche Zuschnitt auch dem möglichen Einwand entgegen, dass nur, wer sich intensiv und jahrelang mit der einschlägigen Materie befasst und sich einen umfassenden Überblick verschafft hat, über den State of the Art hinaus wissenschaftliche Ergebnisse liefern kann. Hinzu kommt, dass die Fokussierung auf das eigene Fach den gesellschaftlichen Kontext oft ausblendet, sodass gesellschaftliche Defizite entstehen können, z. B. Wohnungsnot in Ballungsräumen (Krebs 2018). Bei aktuellen gesellschaftlichen Problemen ist eine ganzheitliche Herangehensweise gefragt: „Vielfältige Perspektiven einnehmen, vermeintlich Bekanntes in Frage stellen, sich in einen Dialog über Fächergrenzen hinweg begegnen, dies sind Kennzeichen nicht nur guter Forschung, sondern auch eines lebendigen Lehrens und Lernens“ (Ellinger 2015).

5 Ergebnisse und Ausblick

5.1 Breites Spektrum für angewandte Forschung

Das Thema Low-Profit ist finanzwirtschaftliches Neuland und positioniert sich zwischen Non-Profit-Organisationen (Vereinen) und gewinnorientierten Unternehmen (AG, GmbH). Infolge dieser Wissenslücke tun sich neue Möglichkeiten für die Wissensgenerierung auf:

  • Was unterscheidet den Low-Profit Case vom klassischen Business Case?

  • Wie kann man Low-Profit-Investitionen finanzieren?

  • Für welche Technologien, Unternehmen und Branchen ist Low-Profit ein Thema?

  • Wie kann der Staat günstige Rahmenbedingungen für Low-Profit-Investitionen schaffen?

Vom ökonomischen Mainstream weitgehend unbeachtet, eröffnet das Thema Low-Profit ganz unverhofft ein breites Feld für angewandte, interdisziplinäre Forschung. Diese Einschätzung spiegelt sich in den Projektberichten der sechs Gruppen des Projektseminars wider. Die Ergebnisse aus den Projektgruppen zeigen eindrucksvoll: Low-Profit eröffnet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, von der lokalen Wasserversorgung bis hin zur globalen Armutsbekämpfung.

5.2 Ergebnisse aus den Projektgruppen

Welche Lerneffekte stellten sich bei den Teilnehmenden des Projektseminars ein? Um dieser Frage nachzugehen, sollen die Studierenden selbst zu Wort kommen. Diese hatten die Aufgabe, zu Beginn des Semesters ein bestimmtes SDG auszuwählen, den Bezug zum Thema Low-Profit herzustellen und die Ergebnisse in einem gemeinsamen Projektbericht zu bündeln. Im Folgenden werden die Ergebnisse aus fünf von sechs Projektberichten (unabhängig von deren Güte) exemplarisch vorgestellt. So können die Leserinnen und Leser zum einen die SDG näher kennen lernen und zum anderen die Schlussfolgerungen der Studierenden nachvollziehen.

Die UNO adressiert mit den SDG nicht nur Entwicklungsländer, sondern explizit auch die Industrieländer. Zwei von sechs Gruppen wählten internationale Themen: Einer ging es um Armut in Afrika (SDG 1) und einer anderen um eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung (SDG 8), die in Entwicklungs- und Industrieländern sehr unterschiedlich verlaufen kann. Die anderen vier Gruppen wählten Themen, die sich auf Deutschland und aktuelle gesellschaftliche Probleme im eigenen Land bezogen: Wasserversorgung in Deutschland (SDG 6), Pumpspeicherkraftwerke für die Energiewende (SDG 7), Zukunft der Deutschen Bahn (SDG 9) und Wohnprojekte in Hamburg (SDG 12).

5.3 Armut in Afrika

Das Forschungsinteresse dieser Gruppe galt dem SDG 1 und der Subsahara-Region in Afrika. „Die Region wurde gewählt, da sie nicht nur die mit den meisten Menschen (ist), die in extremer Armut leben, sondern auch die einzige, in der sich diese Situation weiter zuspitzt, anstatt sich zu verbessern“ (Kuhr et al. 2019, S. 7). Die Ursachen von Armut in Afrika sind komplex: unproduktive Landwirtschaft, Bevölkerungswachstum, hohe Auslandsverschuldung, Korruption, fehlende staatliche Strukturen und Rechtssicherheit. Zunächst ging es der Gruppe darum, was „bereits durch Entwicklungspolitik, Nichtregierungsorganisationen und Förderprojekte getan wird und wo man mit Low-Profit ansetzen könnte“ (ebd., S. 11).

Um das Thema anschaulich auf der Konferenzwoche präsentieren zu können, hat die Gruppe ein fiktives Unternehmen, die „Textilo AG“, ins Leben gerufen, das orientiert an Prinzipien der corporate social responsibility (CSR) wirtschaftet, um „den regionalen Produktionsarbeiterinnen und -arbeitern faire Löhne zu gewähren und die hergestellten Textilprodukte […] für die breite Bevölkerung in den Staaten der Subsahara preislich zugänglich zu machen“ (ebd., S. 32). Dafür verzichtet die Textilo AG „auf einen gewissen Anteil des potenziellen Gewinns“ (ebd.). Mit einem Fragebogen auf der Konferenzwoche wollte die Gruppe bei den Studierenden der Leuphana Universität herausfinden, „in wie weit [sic!] die Idee, für einen sozialen und nachhaltigen Zweck auf Rendite zu verzichten, bereits bei den Leuten integriert ist“ (ebd., S. 41).

5.4 Gutes und bezahlbares Trinkwasser

Eine Gruppe machte das SDG 6 und die Wasserversorgung in Deutschland zu ihrem Thema. Die Kommunen haben laut Grundgesetz das Recht auf Selbstverwaltung und können die Wasserversorgung staatlich, privat oder als Mischform führen. Bei Privatisierung behält die Kommune immer eine Kontroll- und Überwachungsfunktion. Dennoch stehen die Kommunen vor einem Dilemma: Einerseits stellt die Wasserversorgung eine erhebliche Belastung der kommunalen Finanzhaushalte dar. Andererseits hat eine Privatisierung oft die Folge, „dass die Verbraucherinnen und Verbraucher eine schlechtere (Wasser-)Qualität erhalten und dafür einen höheren Preis bezahlen müssen“ (Daniel et al. 2019, S. 20), weil privat geführte Unternehmen gewinnorientiert wirtschaften. Die Privatisierung der Wasserversorgung in Großbritannien diente hierzu als abschreckendes Beispiel.

Die Gruppe führte eine Akteursanalyse durch, um die wichtigsten Akteurinnen und Akteure zu identifizieren: die gesetzgebenden Organe auf EU-, Bund- und Länderebene, die Anbieterinnen und Anbieter (kommunale oder privatwirtschaftliche Unternehmen) und die Nachfragerinnen und Nachfrager (unter anderem Haushalte). Ein Aktionsnetzwerk diente der Visualisierung (Abb. 6). Die Gruppe kam zu dem folgenden Ergebnis: „Unsere Forschungsfrage, inwiefern kann Low-Profit als sozialer Kompromiss zwischen Privatisierung und Verstaatlichung der Wasserversorgung in Deutschland fungieren, kann also wie folgt beantwortet werden. Low-Profit bewahrt alle Vorteile der staatlichen Versorgung und gleicht Probleme der klassischen privaten Versorgung aus“ (Daniel et al. 2019, S. 25).

Abb. 6
figure 6

Aktionsnetzwerk zur Wasserversorgung. Quelle: Daniel et al. 2019

5.5 Zugang zu Finanzdienstleistungen erleichtern

Beim SDG 8 einigten sich die Gruppenmitglieder bereits bei der Präsentation der Projektskizze mit der Projektleitung darauf, anstelle des umstrittenen Begriffs „Wirtschaftswachstum“ den Begriff „nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“ zu verwenden. Im Projektbericht wird zunächst eine Studie zitiert, die jährlich von der Frankfurt School of Finance erstellt wird und die den globalen Investitionsbedarf allein für erneuerbare Energien aktuell auf 300 Mrd. Dollar pro Jahr beziffert. Wegen des hohen Investitionsbedarfs geht es im SDG 8 auch um den Zugang zu Finanzdienstleistungen und um die Frage, „wie der Staat Banken und Finanzinstitutionen dabei unterstützen kann, Finanzierungen für nachhaltige Low-Profit-Investitionen anzubieten und wie Banken ihre Finanzdienstleistungen dahingehend erweitern können, damit potenzielle Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer (wie Haushalte, NGOs, Unternehmen, Institutionen) Low-Profit-Investitionen finanzieren können“ (Kalinina et al. 2019, S. 13). Eine Möglichkeit sind zinsgünstige Förderkredite. Die Gruppe kommt zu dem Ergebnis, dass Low-Profit-Investitionen eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung begünstigen, denn „im Zielsystem von Low-Profit Unternehmen stehen die sozialen oder ökologischen Ziele über den marktwirtschaftlichen oder finanziellen Zielen“ (ebd., S. 22).

5.6 Die Zukunft der Deutschen Bahn

Eine Gruppe widmete sich, ausgehend vom SDG 9, der Deutschen Bahn (DB) (Hendriok et al. 2019). Verspätungen und Zugausfälle bei der DB ereignen sich nicht zufällig, sondern weisen auf Missstände innerhalb des Konzerns hin. Vor dem Hintergrund der kontroversen öffentlichen Diskussion um die Privatisierung der DB wurde eine Verbindung zum Thema Low-Profit hergestellt und motiviert. Dazu wurde die Szenario-Technik angewendet, die geeignet ist, komplexe Zusammenhänge und Unsicherheiten bei der strategischen Planung von Unternehmen zu reduzieren. In aktiver Gruppenarbeit wurde eine Matrix zur DB erstellt, die es erlaubt, die vier wichtigsten Einflussgrößen zu identifizieren: Innovation, Wirtschaftlichkeit, Förderungen und Kapitalzufluss.

Die Gruppe kommt zu dem Ergebnis, dass die DB vor allem zusätzliches Kapital für Schienennetz, Personal und eine Versorgung mit erneuerbaren Energien bräuchte. In einem Positivszenario könnte die DB bis 2030 vollständig privatisiert und als Low-Profit-Unternehmen geführt werden. Dies wäre eine Chance, um den langjährigen Investitionsstau bei der DB zu entschärfen und die Personalsituation zu verbessern. Allerdings sollte die DB nur dann privatisiert werden, wenn der Staat günstige Rahmenbedingen für Low-Profit-Investitionen schafft und dafür sorgt, dass Eigen- und Fremdkapital günstig und ausreichend zur Verfügung steht. Die Ergebnisse wurden auf der Konferenzwoche anschaulich mittels Plakaten visualisiert und den Besucherinnen und Besuchern in verständlicher Form präsentiert.

5.7 Alternative Wohnprojekte in Hamburg

In der letzten Gruppe ging es um das SDG 11 und sicheren und bezahlbaren Wohnraum. Zunächst wurde die aktuelle Situation des Immobilienmarkts reflektiert, der verstärkte Zuzug in Ballungsräume, steigende Mieten und die damit verbundene Gentrifizierung am Beispiel Hamburg. Daraus leitete die Gruppe das Forschungsinteresse ab, „inwiefern sich Low-Profit-Investitionen dazu eigenen, das Problem von fehlendem Wohn- und Arbeitsraum in Großstädten, insbesondere Hamburg, zu beheben“ (Backens et al. 2019, S. 4). Dazu wurde die Geschäftsführerin des City Managements der Hansestadt, Frau Engler, interviewt. Die Gruppe besuchte außerdem zwei konkrete Wohnprojekte in Hamburg-Altona, die Fux eG und das Rialto Hausprojekt und führte persönliche Gespräche mit den Initiatorinnen und Initiatoren durch (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Quelle: Backens et al. 2019

Finanzierung des Rialto Hausprojekts.

Die Genossenschaften spielen in diesem Kontext eine besondere Rolle: „Die unterschiedlichen Finanzierungsansätze der vorgestellten Genossenschaften haben gemeinsam, dass sie aus mehreren Quellen zinsgünstiges Kapital beziehen, sei es durch Förderkredite oder private Investorinnen und Investoren, die den sozialen Aspekt ihrer Investition wertschätzen“ (Backens et al. 2019, S. 30). Im Projektbericht wird abschließend bedauert, „dass die von uns interviewten Genossenschaften prinzipiell von Förderkrediten und kleinen Privatinvestorinnen und -investoren finanziert werden“ (ebd., S. 35). Auch die großen Immobilieninvestorinnen und -investoren sollten einen Beitrag dazu leisten, indem sie niedrigere Renditen akzeptieren, damit Wohnraum entsteht, der für alle bezahlbar ist. Eine spezielle Vermögensteuer auf risikofreie Anlagen würde „die Möglichkeit ergeben, große Investorinnen und Investoren für solche Projekte zu gewinnen“ (ebd., S. 24).

6 Anknüpfungspunkte für Bildungseinrichtungen und Hochschulen

Nach den umfassenden Einblicken in die Ergebnisse der Projektgruppenarbeit geht es abschließend um die Frage, ob und inwiefern die wesentlichen Merkmale des Forschenden Lernens von den Studierenden während des Semesters eingehalten wurden. Dazu gehört vor allem ein größtmögliches Maß an Selbstständigkeit, eigener Aktivität und Kooperation, sowohl untereinander als auch mit dem Lehrenden. Darüber hinaus ist zu fragen, ob es sich dabei im Ergebnis um „echte“ Forschungsleistungen handelt.

Im Projektseminar zum Thema Low-Profit ist es allen sechs Gruppen gelungen, das selbst gewählte SDG-Ziel mit dem Thema Low-Profit zu verbinden, dazu eine relevante Forschungsfrage zu formulieren und eine geeignete wissenschaftliche Methode auszuwählen. Es wurde schlüssig argumentiert, dass der Staat günstige Rahmenbedingungen für Low-Profit-Investitionen schaffen sollte, um ein zusätzliches Potenzial zur Umsetzung der SDG zu erschließen. Die Resultate der Projektgruppen wurden in den abschließenden Projektberichten durchweg nachprüfbar dokumentiert und selbstkritisch reflektiert.

Welche Empfehlungen ergeben sich für Hochschulen und Bildungseinrichtungen, die auch eine interdisziplinäre Stoßrichtung verfolgen und dabei innovative Lehr- und Lernformen erproben? Zwei Punkte sind dabei besonders hervorzuheben, die sowohl inhaltliche als auch didaktische Aspekte betreffen: Die Auseinandersetzung mit Themen wie Low-Profit und den SDG verlangen von den Lehrenden, Neuland zu betreten und sich wissenschaftlichen Fragestellungen interdisziplinär und idealerweise lösungsorientiert zu nähern. Forschendes Lernen liefert hierfür einen neuen, vielversprechenden didaktischen Ansatz, der ein Stück weit auch das klassische Verständnis des Verhältnisses der Lehrenden zu den Lernenden hinterfragt. Daraus folgt, dass ganz konkret neue Anforderungen an die Lehrenden gestellt werden. Hochschulen und Bildungseinrichtungen sollten zum einen Rahmenbedingungen schaffen und Freiräume eröffnen, um solche inhaltlichen und didaktischen Ansätze auszuprobieren und daraus zu lernen. Schließlich sollten sie Lehrende vielleicht nach anderen als den in der ‚traditionellen‘ Lehre vorgesehenen Kriterien auswählen und dafür geeignete Weiterbildungsangebote bereitstellen.