Schlüsselbegriffe

1 Entstehungskontext

(Nicht nur) Studierende der wirtschaftsberuflichen Bildung, mit denen wir das in diesem Beitrag skizzierte Lehr-Lern-Arrangement erprobt haben, werden während ihrer wissenschaftlichen (Aus-)Bildung mit einer standardisierten wirtschaftswissenschaftlichen Lehre konfrontiert und durch das darin vorherrschende ökonomische Weltbild in ihren Weltanschauungen und Überzeugungen einseitig geprägt (vgl. exemplarisch Bäuerle et al. 2020; van Treeck und Urban 2017).Footnote 1 Beispielsweise zeigt Graupe (2017a) auf, dass ökonomische Lehrbücher sogenannte „threshold concepts“ transportieren. Damit sind Konzepte gemeint, die die objektive Weltsicht ebenso wie das subjektive Selbstverständnis fundamental und nachhaltig ändern können. In ihren Untersuchungen kommt Graupe zu dem Ergebnis, dass aufgrund der weltweit standardisierten ökonomischen Bildung an Hochschulen von Indoktrination gesprochen werden kann. Sie stellt anhand von sprach- und textbasierten Analysen am Beispiel zweier Standardlehrbücher – Economics von Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus sowie Economics von N. Gregory Mankiw – exemplarisch Formen von Beeinflussung dar, die (Vor-)Verständnisse von Studierenden bis in weltanschauliche Bereiche größtenteils unbewusst wandeln können. In einem Schwarz-Weiß-Schema werden z. B. klar positive Assoziationen und Emotionen mit dem Konzept ‚Markt‘ verbunden, während der Staat entweder kaum erwähnt oder aber unterschwellig in abwertender Weise mit emotional stark negativ behafteten Begriffen assoziiert wird – und dies weitestgehend ohne empirische Bezüge zu real existierenden Märkten (Graupe und Fischer 2019; Graupe 2013, 2014, 2017a, 2017b).

Graupe befürchtet, dass die vielfältigen sozialen Wurzeln wirtschaftlichen Denkens dadurch gekappt werden. Diesen Prozess hält sie für besonders kritisch, solange eine Reflexion der apriorischen Argumentationsweisen der Mathematik in den gebräuchlichen Lehrbüchern weitgehend unterbleibt, die skizzierte ‚Entwurzelung‘ von den Studierenden also nicht reflexiv nachvollzogen werden kann. Dabei bleibt es jedoch nicht: Die ökonomische Standardlehre beschränkt sich nicht auf die „Vermittlung“Footnote 2 eines mathematisch-abstrakten Denkens. Vielmehr finde – so Graupe – in der wissenschaftlichen Bildung eine Art „geistige Umpflanzung“ statt: Zunächst wird das wirtschaftliche Denken durch mathematische Abstraktion aus seinen vormals bestehenden vielschichtigen soziokulturellen Zusammenhängen gerissen. Auf diese Weise entwurzelt, wird es sodann in einen neuen Boden impliziter kognitiver Deutungsrahmen eingelassen (Graupe und Fischer 2019). Dieser Boden besteht im Wesentlichen aus einem hochgradig selektiven wirtschaftlichen Erfahrungswissen und den sogenannten deep seated frames, die sich, im Unbewussten verankert, aus weltanschaulichen und emotionalen Quellen ebenso wie aus wirtschaftsfremdem Erfahrungswissen speisen. Ein solches selektives wirtschaftliches Erfahrungswissen basiert nicht nur auf mathematischen Argumentationsfiguren, sondern auch auf abstrakten Konzepten, die sprachlich transportiert werden. Kognitionswissenschaftlich betrachtet lassen sich solche Konzepte nicht rein bewusst-kognitiv verarbeiten, sondern sie aktivieren quasi automatisch ein Netz unbewusster Deutungen und Interpretationen. Dabei gilt: Je weniger Hintergrundsituationen durch die sprachliche Vermittlung abstrakter Konzepte aktiviert werden, desto stärker wird der Spielraum möglicher Interpretationen eingeengt. Kognitionswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als selektives framing. Durch die geschickte Wahl von Sprache (und von Bildern) lassen sich abstrakte Konzepte lediglich an ein sehr begrenztes Erfahrungswissen anbinden. Dies hat zur Folge, dass alternative Wissensstrukturen ausgeblendet werden und den Lebenswelten der Lernenden keinerlei Bedeutung mehr eingeräumt wird. Der interpretative Spielraum für die Deutung realer Phänomene wird also reduziert, wodurch die kognitive Pluralität verloren geht (Graupe und Fischer 2019).

Vor diesem Hintergrund stellen sich die Fragen, wie die Welten der Wirtschaftswissenschaften und die Welten des Alltags zueinanderstehen und welche Welten für Studierende relevant sind. Antworten auf diese Fragen gibt Priddat (2015), der darauf aufmerksam macht, dass dann, wenn Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern keine anderen Sprach-, Denk- und Handlungsweisen als ihre eigenen wahrnehmen, ihren Modellen etwas Entscheidendes fehle: Sie erklären nicht, wie Subjekte sich wirtschaftlich bewegen. Vielmehr postulieren sie normativ, wie sie sich bewegen sollen. Kurzum: Das, was Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Wirtschaftswissenschaften nennen, wird nur von ‚Insidern‘ – den Ökonominnen und Ökonomen selbst – verstanden. Wirtschaftswissenschaftliche Theorien spiegeln somit eine Expertenperspektive auf die Wirtschaft – eine Expertenkultur – wider, die von Alltagsakteuren oftmals anders verstanden und interpretiert wird.Footnote 3 Das Wissen sogenannter Ö-Experten, die eine Ö-Sprache sprechen, ist somit nicht konstitutiv für wirtschaftliche Alltagsakteure, die eine A-Sprache sprechen, mit der sie an wirtschaftlichen Prozessen teilnehmen, ohne die Ö-Sprache zu kennen. Diese Akteure haben ihre eigenen Auffassungen, (subjektiven) Theorien und Konzepte des Ökonomischen, die nicht unbedingt denen der Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler entsprechen. Die Kommunikation zwischen der Ö-Sprache der Ökonominnen und Ökonomen und der A-Sprache der Alltagsakteure ist somit unvollkommen. Dieses Problem kann durch die Herausbildung von Zwischensprachen – Soziolekten – relativiert werden, die Interpretationsspielräume eröffnen (Priddat 2015, S. 43 ff.; Priddat und Fischer 2019). Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis. Denn die Präzision, wie sie die Theoretikerinnen und Theoretiker der Ö-Sprache pflegen, erweist sich in den Alltagswelten als unbrauchbar, weil die Akteure in ihnen ständig inter- und intradisziplinären Sachverhalten begegnen, die sie flexibel und opportunistisch erfassen müssen. Dabei sind zugleich Sach-, Zeit- und Sozialdimensionen einzubeziehen, die die standardisierten Wirtschaftswissenschaften in ihrer analytischen Sprache nicht abbilden. Studierende wissen, dass sie im ökonomisch geprägten Alltag mit Ungenauigkeiten und Ungefährem umgehen müssen und somit oftmals in ‚Zwischenwelten‘ operieren. Die standardisierten Wirtschaftswissenschaften achten dagegen darauf, „ihre eine Welt analytisch eindeutig auszubauen“ (Priddat 2015, S. 52). Damit wird eine weitere Facette deutlich: Die Gegensätze zwischen den Welten der Wirtschaftswissenschaften, in der Ö-Sprache gesprochen wird, und den Welten des Alltags, in denen A-Sprache gesprochen wird, existieren dialektisch nebeneinander. In ihrer Gleichzeitigkeit bedingen sie sich, zugleich stehen sie sich diametral gegenüber, wodurch die Kommunikation zwischen diesen zwei Sprachen bruchstückhaft bleibt. Studierende müssen somit subjektive Zwischensprachen zur Ent- bzw. Aufdeckung der Zwischenwelten zwischen den Welten der Wirtschaftswissenschaften und den Welten des Alltags entwickeln, die interpretationsoffen oder -bedürftig bleiben.

Die Spannungen zwischen diesen Welten können nicht einfach aufgelöst, sollten aber auch nicht ideologisch dramatisiert werden. Sie sind schlicht vorhanden und Bedingungen von Bildung. Hier wäre eine gewisse Gelassenheit geboten, denn alle denkbaren subjektiven Zwischenweltkonstruktionen haben lediglich vorläufigen Charakter. Eine perfekte Lösung scheint nicht realisierbar. Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht nicht darum, die Welten des Alltags gegen die Welt der standardisierten Wirtschaftswissenschaften auszuspielen, sondern lediglich darum, die Unterschiede der Bedeutungsgenerierung der A-Sprache und der Ö-Sprache sichtbar zu machen, um die sich daraus ergebenden Konsequenzen und Herausforderungen für die sozioökonomische Hochschulbildung zu identifizieren.

2 Innovative Lösungen im Sinne einer pluralen, sozioökonomischen Hochschulbildung

Der im vorangegangenen Abschnitt skizzierte Problembefund verdeutlicht zusammengefasst, dass der standardisierte wirtschaftswissenschaftliche Wissenskanon auf einem Autonomisierungsprozess der modernen Wirtschaftswissenschaften basiert. Aus diesem Kanon werden Denkmuster bzw. -modelle losgelöst von ihrem wissenschaftlichen und ökonomischen Kontext in Lehrbüchern zusammengefasst, die sich die Studierenden im Sinne eines l‘art pour l‘art aneignen müssen. Doch welche Möglichkeiten bestehen, Studierende subjektive Zwischensprachen entwickeln zu lassen, um diesem Phänomen im Rahmen einer sozioökonomischen Hochschulbildung zu begegnen?

Eine Möglichkeit besteht darin, Studierende Zwischensprachen entwickeln zu lassen, die auf literarischen Fiktionen basieren. Denn das Privileg der literarischen Fiktionen liegt in der Arbeit mit provokativen Übertreibungen, mit Ironie, Satire und Groteskem, mit Mehrdeutigkeiten, Paradoxien, Absurditäten und mit der Verfremdung, dem Geheimen und dem Irrationalen in Grenzsituationen. So erreichen Fiktionen in der Literatur und auch im Film in ihrer Ventilfunktion für Lesende und Zuschauende vertiefte, teils zugespitzte Erkenntnisse, beeinflussen unsere Wahrnehmung und konstruieren Wirklichkeit(en). Vor allem kann in der Literatur die Innenwelt der Akteure, ihre Einbettung in soziale Welten, offengelegt werden. Dabei bekommen komplexe Motive, Gründe, Affekte, Stimmungen, Informationen, Kalkulationen, Interessen, Hoffnungen, Normen, Narrative etc. Geltung, die in der Standardökonomik mit Präferenz und Nutzen viel zu eng gefasst sind (Priddat 2014).

Auf Basis dieser Erkenntnis haben ca. 25 Studierende des Masterstudiengangs „Lehramt an berufsbildenden Schulen – Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften“ im Modul „Masterforum: (Sozio-)ökonomische Bildung an berufsbildenden Schulen“ zur Erkundung der Welten zwischen Wirtschaftswissenschaften und Alltagen Poetry-Slam-Texte erarbeitet, präsentiert und reflektiert. Dieses Vorgehen verstehen wir nicht allein als modisches Lehr-Lern-Arrangement, sondern als Impuls, um mithilfe von Sprache die Monokultur der wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream-Lehre zu reflektieren, alternative Zugänge auszumachen und zu beschreiten. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Sprache ein zentrales Merkmal der menschlichen Lebensform ist – wohl wissend, dass es ‚die‘ Sprache gar nicht gibt. Vielmehr existieren verschiedene, zum Teil miteinander vollends inkompatible Sprachformen. Konstruktivistisch ausgedrückt: Ebenso wenig, wie es ‚die‘ Welt gibt, kann von ‚der‘ Sprache die Rede sein. In Sprache spiegelt sich eine eigenständige Art und Weise wider, die Welt zu begreifen. Auch wenn sich Sprache auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, kann ein und demselben Begriff in verschiedenen Kontexten eine andere oder auch ganz neuartige Bedeutung zugewiesen werden (vgl. exemplarisch Maturana und Varela 1987). Exemplarisch sei hier der Markt genannt, der als Ort, als Funktion, als normatives Prinzip, als Ideologie oder als Mythos aufgefasst werden kann (vgl. exemplarisch Ötsch et al. 2015).

Vor diesem Hintergrund erhielten die Studierenden im Rahmen der Erprobung des Lehr-Lern-Arrangements Gelegenheit, die (ökonomischen) Welten in ihrer eigenen Sprache zu erfassen. Dazu setzten sie sich mit der offen formulierten Aufgabe auseinander, in Einzelarbeit einen Poetry-Slam-Text zur übergeordneten Frage zu erarbeiten, zu präsentieren und zu reflektieren, inwieweit man in der wirtschaftsberuflichen Bildung Wirtschaft anders, quer und neu denken und gestalten sollte (Fischer und Hahn 2016, S. 5). Als Basis dieses Denkens und Handelns in Alternativen dienten die Überlegungen des Wirtschaftswissenschaftlers Jürgen Freimann (2013), die er in „Des Menschen Wolf. Wie die Herrschaft der Geldökonomie unser Leben zerstört und was wir dagegen tun können“ publiziert hat. Konkret erörterten die Studierenden auf dieser Basis Konflikte, Koalitionen und Widersprüchlichkeiten, die zwischen Geldökonomie und Realökonomie, Politikerinnen/Politikern und Unternehmerinnen/Unternehmern, Arbeitgeberinnen/Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern, Unternehmerinnen/Unternehmern und Konsumentinnen/Konsumenten, Politikerinnen/Politikern und Konsumentinnen/Konsumenten sowie dem Homo oeconomicus und dem Homo sapiens bestehen bzw. bestehen können. Die konkreten Seminarphasen und Aufgabenstellungen werden in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Ausschnitt aus dem Seminarkonzept

Entstanden sind in diesem Prozess Poetry-Slam-Texte in Form von Gedichten, Balladen oder Rap-Songs, über die die Studierenden – hineinversetzt in verschiedene Rollen – im Rahmen einer Präsentation intersubjektiv kommunizierten oder richtiger formuliert: ‚slammten‘. Die Texte erweiterten allesamt die monodisziplinäre Perspektive der wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulbildung, indem sie beispielsweise Produzentinnen und Produzenten sowie Konsumentinnen und Konsumenten nicht allein als rational handelnde Individuen, sondern als verantwortlich handelnde Subjekte betrachteten (Fischer und Hahn 2016, S. 7). Für das Publikum bedeutete dies unter anderem, genau zuzuhören, wie über das, was als Ökonomie bezeichnet wird, gesprochen wird. Abb. 1 gibt einen Einblick in einen der dargebotenen Poetry-Slam-Texte.

Abb. 1
figure 1

Quelle: Prinzke 2016, S. 176 f.

Poetry-Slam-Text „Homo oeconomicus – Mensch, Maschine, oder doch nur ein Märchen.“

Anhand des Beispiels in Abb. 1 wird deutlich, dass die Formulierung der Poetry-Slam-Texte die Studierenden dazu herausforderte, ihren Überlegungen einen subjektiven Sinn zuzuschreiben. Deutlich wird dies vor allem an der am Ende des Textes von der Verfasserin formulierten Moral, die ihre subjektive Sinngebung aus der Auseinandersetzung zwischen „Homo oeconomicus“ und „Homo culturalis“ widerspiegelt. Eine Folge daraus ist, dass die Texte – trotz vorangegangener wissenschaftlicher Analyse – einen starken subjektiv-lebensweltlichen Charakter haben (Fischer und Hahn 2016, S. 6).

Bezogen auf den in Kap. 1 formulierten Problembefund verdeutlicht das Beispiel in Abb. 1 somit, dass die Studierenden im Rahmen der Auseinandersetzung mit ihren Poetry-Slam-Texten dahin gehend sensibilisiert wurden, dass

  • wirtschaftliche Tatsachen und Zusammenhänge in der wirtschaftswissenschaftlichen Sprache der Ökonominnen und Ökonomen (Ö-Sprache) wie auch in der Alltagssprache (A-Sprache) beschrieben werden können,

  • es zwischen diesen beiden Sprachen einen mitunter großen Unterschied geben kann und

  • vor diesem Hintergrund zwischen der Ökonomik, in der in Ö-Sprache gesprochen wird, und der Ökonomie, in der in A-Sprache gesprochen wird, mit einer weiteren, – hier – märchenhaften Sprache Zwischenwelten erschaffen werden können, die mit subjektiver Sinngebung belegt sind.

Etwas allgemeiner formuliert besteht im Rahmen der sozioökonomischen Hochschulbildung somit – wie in Tab. 2 verdeutlicht wird – eine Möglichkeit zur Übersetzung von der Ö-Sprache der Ökonominnen und Ökonomen in die A-Sprache der Alltagsakteure darin, über Poetry-Slams die L-Sprache der Literatinnen und Literaten als Zwischensprache einzuführen. Diese L-Sprache entwickelt die Autorin des Beispieltextes (Abb. 1) mithilfe der märchenhaften Vermenschlichung der beiden Konzepte „Homo oeconomicus“ und „Homo culturalis“.

Tab. 2 Welten zwischen Ökonomik und Ökonomie

Tab. 2 verdeutlicht ebenfalls, dass die L-Sprache mehr Anschlussmöglichkeiten und mehr Zugänge für jene Narrative bzw. Geschichten bietet, die sich A-Akteure als Studierende (und als Lernende) erzählen, da sowohl in der L-Sprache als auch in der A-Sprache die Kerngedanken der Alltagstheorien zum Ausdruck gebracht werden können. Sie sind häufig ‚Gewissheitsvergewisserungen‘ in unsicheren Situationen. Dabei geht es nicht um wahr oder falsch, sondern um Plausibilisierungen, also darum, Anschlüsse herzustellen. Das geschieht nicht über Wahrscheinlichkeitseinschätzungen, sondern über Narrationen (Beckert und Bronk 2018). Das ‚Wahrscheinliche‘ der A-Sprachen in der Wirtschaft beruht auf erzählter Vergewisserung, dass andere ebenfalls so handeln und Situationen ähnlich einschätzen.

3 Folgen und Wirkungen

Am Beispiel des Poetry-Slam-Texts „Homo oeconomicus – Mensch, Maschine, oder doch nur ein Märchen?“ (Abb. 1) wurde deutlich, dass die Arbeit mit und an literarischen Fiktionen wie Poetry-Slams mit ihren provokativen Übertreibungen, mit ihrer Ironie, Satire und dem Grotesken, mit den Mehrdeutigkeiten, Paradoxien, Absurditäten und mit der Verfremdung, dem Geheimnisvollen und dem Irrationalen in Grenzsituationen dazu beitragen kann, kreative Übersetzungen von der Ö-Sprache in die A-Sprache zu gestalten. Denn Fiktionen können bei Studierenden vertiefte Erkenntnisse aufbauen helfen, die die Wahrnehmung von Wirtschaft auf eine breitere Basis stellen. Dabei können Poetry-Slams inhaltlich reichlich ‚schräg‘ sein; teils werden wir damit bewusst in die Irre geführt. In ihrer Originalität sind derartige Texte hochgradig subjektiv – und ermöglichen damit eine andere, neue, pluralere Hochschullehre, die Lernende (und eventuell auch die Lehrende) gewissermaßen auflaufen lässt. So bieten die Texte keine Garantie für Richtigkeit oder Überprüfbarkeit. Dies ist jedoch gewollt. Denn im Zentrum der Erarbeitung, der Präsentation und der Reflexion steht nicht die Frage, wie Wirtschaft funktioniert. Vielmehr wird im Rahmen dieses Prozesses die subjektive Auseinandersetzung mit der Frage adressiert, welche Relevanz das Wirtschaften in unserem Leben hat. Damit wird ein subjekt- und problemorientierter Reflexionsraum eröffnet, in dem „ein sinnstiftendes, gleichermaßen theorie- wie auch praxisorientiertes sozioökonomisches Denken“ (Fischer und Hahn 2016, S. 9) entwickelt werden kann. Konkret werden Studierende durch die Erarbeitung, Präsentation und Reflexion von Poetry-Slams also dazu befähigt, Übersetzungen von der Ö-Sprache in ihre A-Sprache gestalten zu können. In den Mittelpunkt rückt damit eine Kommunikation, für die eine Lehrbuchökonomie allein nicht ausreicht. Vielmehr fließen weitere sozialwissenschaftliche und lebensweltliche Perspektiven mit ein, um sozioökonomische Prozesse gedanklich zu durchdringen. Dies bedeutet, dass das tatsächliche Verhalten der Wirtschaftsakteure genauer betrachtet werden muss, statt ökonomische Prozesse ausschließlich mithilfe vorgefertigter Modelle und Konzepte abzubilden. Dies wiederum impliziert, dass externe soziale und politische Anforderungen und Einflüsse in der sozioökonomischen Hochschulbildung stärker in den Vordergrund treten, während interne, systemimmanente Faktoren, wie sie aktuell für den neoklassischen wirtschaftswissenschaftlichen Betrieb relevant sind, an Gewicht verlieren (vgl. exemplarisch Beckenbach 2017).

So betrachtet perturbieren Poetry-Slams die alltägliche wissenschaftliche Lehre der Ökonomik und provozieren zugleich eine Reflexion über ebendiese Lehre sowie über sozial- bzw. erziehungswissenschaftliche Wissensbestände, die sich oft nur schwer mit dem Alltagswissen in Einklang bringen lassen. Abstrakt formuliert ermöglichen Poetry-Slam-Texte ein Mit- und Für-sich-selbst-Sein und schaffen damit Zeit und Raum, um eigene Wünsche zu formulieren, zu hinterfragen, ggf. zu verwerfen und neu zu denken. Nach unserer Einschätzung ist dies ein für die Professionalisierung der Studierenden existenzieller Prozess. Der Einsatz von Poetry-Slams in der Hochschulbildung ist demnach vor allem dann sinnvoll, wenn er sich nicht darauf beschränkt, wissenschaftliche Modelle, Konzepte und Theorien zu bestätigen. Die Stärke von Poetry-Slams entfaltet sich somit dann, wenn sie helfen, die bisherigen Perspektiven der Studierenden mit anderen bzw. neuen Sichtweisen auf die ökonomisch geprägte Welt zu konfrontieren. So kann quasi eine Zukunft simuliert werden, die ebenfalls von Ungewissheiten und Irritationen geprägt sein dürfte – und die es den Studierenden abverlangt, vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen und mit liebgewonnenen Routinen und Gewohnheiten zu brechen. Solche unerwarteten Momente können sich als produktive Anstöße für persönliche Bildungsprozesse entpuppen, weil sie Hergebrachtes und Gewohntes zu (zer-)stören vermögen. Die Konfrontation mit einander widersprechenden wissenschaftlichen Konzepten oder mit kontrastierenden eigenen Erfahrungen ist eine Form der fachlich-pädagogisch fruchtbaren Irritation. Dazu kann das Erarbeiten, Präsentieren und Reflektieren von Poetry-Slams anstiften.

Darüber hinaus bieten Poetry-Slams einen Zugang zum ‚Mehr-wahrnehmen-Können‘, sofern sie die Beobachtung von und den Umgang mit realweltlichen Phänomenen organisieren, die den Studierenden aus ihrer eigenen Lebenswelt heraus zunächst fremd erscheinen. Dies gelingt dann, wenn die Texte so angelegt sind, dass das Fremde nicht in Form marginaler Phänomene dargestellt, sondern als das relevante Fremde aufgegriffen wird.

Alles in allem können wir Mut aussprechen, auch die eigenen Studierenden dazu herauszufordern, Poetry-Slams zu erarbeiten, präsentieren und reflektieren. Denn überrascht werden hiervon nicht nur Ihre Studierenden, sondern auch Sie selbst sein!