Der vorliegende Sammelband ist das (Zwischen-)Produkt einer längeren Reise. Angetreten wurde diese Reise von verschiedenen Personen an unterschiedlichen Orten, die durch prägende Ereignisse und durch ein gemeinsames Interesse zusammenfinden: Hochschullehrende auf der ganzen Welt, die im weitgefassten Bereich der ökonomischen Bildung tätig sind, sehen sich durch Ereignisse wie die Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Europa langfristig prägende Eurokrise, aber auch die Klimakrise dazu aufgerufen, ihre Lehrtätigkeit grundlegend zu überdenken. In dringlichem Maße gilt das nun seit Ausbruch der Coronapandemie und ihrer sozioökonomischene Folgekrisen.Footnote 1 Denn wenn diese mit der gegenwärtigen Wirtschaftsweise fundamental verbundenen Phänomene in standardökonomischer Bildung überhaupt vorkommen, finden sich ihre Beschreibungen wie auch Vorschläge zu ihrer Lösung meist in ein enges paradigmatisches Korsett gezwängt. Wirtschaft aber ist mehr als ein anonymes Marktgeschehen, mehr als Nutzenmaximierung und abstrakte Modellierung. Der Band möchte Wege aufzeigen, worin dieses „Mehr“ bestehen kann und auf welchen didaktischen Wegen dies zu einer nunmehr pluralen, sozioökonomischen Hochschulbildung beiträgt. Wenngleich maßgeblich aus dem Kreis von Hochschullehrenden heraus entstanden, findet die Reise dieses Bandes einen weiteren wichtigen Ausgangspunkt in der studentischen Kritik an standardökonomischer Bildung und Wissenschaft. Das 2012 in Deutschland gegründete Netzwerk Plurale Ökonomik ebenso wie die 2014 initiierte International Student Initiative for Pluralism in Economics (ISIPE) können mittlerweile als federführende Wegbereiterinnen und Wegbereiter eines öffentlich ausgetragenen Diskurses um die Ausrichtung ökonomischer Bildung an Schulen und Hochschulen angesehen werden. Unter anderem hiervon inspiriert, kamen im Oktober 2016 Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler sowie Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker zusammen, um diesen Impuls im Rahmen der Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft (GSÖBW) zu stärken und in der akademischen Fachwelt zu verankern. Das heißt, (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die entweder Studierende der VWL oder Lehramtsstudierende ausbilden, beginnen, gemeinsam wissenschaftliche und praktische Prinzipien einer explizit interdisziplinär ausgerichteten sozioökonomischen Bildung zu entwickeln. Aus dieser Gesellschaft heraus ist nun der vorliegende Sammelband als erstes Projekt der Sektion Hochschullehre entstanden, zu deren Mitbegründerinnen und Mitbegründern das Herausgeberteam des Bandes zählt. Was motiviert uns als Herausgeberteam, eine intensivere Auseinandersetzung mit pluraler, sozioökonomischer Hochschulbildung anzustoßen? Warum interessieren wir uns insbesondere für individuelle Lehrerfahrungen in der Anwendung innovativer Lehrkonzepte? Was glauben wir zeigen zu können, wenn wir zum einen diese unterschiedlichen Bereiche von Fachdidaktik und Fachwissenschaft zusammenführen und zum anderen nach einer Reflexion der institutionellen Gegebenheiten fragen, unter denen die Lehrinnovationen initiiert wurden?

Das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) in Düsseldorf – das auch die Realisierung dieses Sammelbands finanziell ermöglichte – hat in den vergangenen vier Jahren zahlreiche Forschungsvorhaben gefördert, die den Status quo ökonomischer Forschung und Bildung zum Gegenstand hatten. Die Ergebnisse dieser und weiterer Studien untermauern mindestens drei Problemlagen, die der oben erwähnten Kritik der Studierenden Nachdruck verleihen: Erstens wird ökonomische Hochschulbildung weltweit und insbesondere auch in Deutschland von einem engen Lehrbuchkanon bestimmt, der die bestehende Vielfalt intra-, inter- und transdisziplinärer Herangehensweisen an ökonomische Phänomene weitestgehend unerwähnt lässt (Lopus und Paringer 2012; Beckenbach et al. 2016; Jatteau und Egerer 2017; Rebhan 2017; Decker et al. 2018). Zweitens vermag dieser Lehrbuchkanon auch nicht die Weiterentwicklungen der neoklassisch geprägten Mainstreamökonomik zu würdigen, was die meisten Lehrbuchautorinnen und Lehrbuchautoren jedoch nicht davon abhält, Studierenden wirtschaftspolitische Rückschlüsse aus den bloßen Grundmodellen von Märkten nahezulegen (Colander 2010; van Treeck und Urban 2016; Peukert 2018a, 2018b). Drittens ist es bedenklich, dass sich in didaktischen Materialien standardökonomischer Provenienz semantische Techniken finden, die eine weitgehend unbewusst erfolgende Wirkung auf politische, weltanschauliche oder auch die eigenen Selbstbilder betreffenden Glaubenssätze bei den Lernenden entfalten können (Zuidhof 2014; Bäuerle 2018; Graupe und Steffestun 2018; Maeße 2018).

Wirft man neben einem derartig strukturierten Lehrkorpus einen erweiterten Blick auf die tatsächliche Lebensrealität von Studierenden, so zeigt sich ein in hohem Grade rezeptives und repetitives Lerngeschehen an den Hochschulen; Studierende treten hier allenfalls als passive Empfängerinnen und Empfänger eines eng abgesteckten Kanons in Erscheinung, den sie in standardisierten Prüfungsformen wiedergeben müssen (Bäuerle et al. 2020). Dies mag zum Teil durch die eben erwähnte Ausgestaltung didaktischer Materialien zu erklären sein. Ein Großteil ist aber auch eine Folge der strukturellen Gegebenheiten, in denen Hochschulbildung weitestgehend standardisiert und auf eine ökonomische Verwertung des Erlernten hin ausgerichtet ist (ebd., Kap. 4). Viele Studierende äußern in diesem Zusammenhang ein gesteigertes Stressempfinden und eine Wahrnehmung von Konkurrenzdruck, was sich unter anderem in der Auswahl möglichst einfacher Kurse im Laufe des Studiums niederschlägt und zu einer wachsenden Distanzierung – man könnte es auch Desinteresse nennen – gegenüber den Studieninhalten führt (ebd.; Schweitzer-Krah und Engartner 2019). Ein solcher Vorrang ökonomischer Kennziffern oder Zwecke, ein Bedeutungsverlust der eigentlichen Bildungsinhalte und schließlich auch eine Ausweitung von Konkurrenz- und Stressempfinden lassen sich als Merkmale einer umfassenden Ökonomisierung des Bildungssystems verstehen, die eben auch ökonomische Hochschulbildung in erheblichem Maße zu prägen scheint.

Studierende, die eine derartige ökonomische Hochschulbildung erfahren haben, sehen sich mit der Anforderung konfrontiert, aktuelle sowie generelle wirtschaftliche Zusammenhänge für ihr persönliches, gesellschaftliches und späteres berufliches Umfeld nachvollziehbar und erklärbar zu machen. Dabei haben Fragen Relevanz, die das Verhältnis von standardökonomischen Modellen und realweltlichen Prozessen betreffen, und solche, die sowohl den Nutzen der Modelle grundsätzlicher hinterfragen als auch die Art und Weise, wie auf Basis der Modellkategorien gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden. Dem Stand der bisherigen Forschung nach zu urteilen, sind solche Fragen jedoch derzeit nicht Teil eines ökonomischen Hochschulstudiums. Vielmehr scheint ein gewisses Missverhältnis von Theorie und Praxis sowie eine mangelnde Reflexion dieses Verhältnisses sowohl bei Promovierenden wie auch bei Professorinnen und Professoren der VWL vorzuherrschen (exemplarisch Urban und Rommel 2020).Footnote 2 Vor diesem Hintergrund birgt ein Brückenschlag von Fachwissenschaft und Fachdidaktik das Potenzial, im Austausch über Inhalt und Formen zu einer Erneuerung ökonomischer Hochschulbildung beizutragen. Denn während sich plurale Ökonominnen und Ökonomen bisher allen voran den Inhalten (sozio-)ökonomischer Lehre gewidmet habenFootnote 3, werden Grundsatzüberlegungen der sozioökonomischen Fachdidaktik (exemplarisch Fischer und Zurstrassen 2014; Hedtke 2018; Autorengruppe Sozioökonomische Bildung 2019) bereits im Rahmen des Hochschulstudiums von angehenden Lehrerinnen und Lehrern angewendet. Hier werden in den fachdidaktischen Hochschulseminaren beispielsweise „didaktische Doppeldecker“ realisiert, in denen Lehrinhalte mithilfe von Lernmethoden erörtert werden, die von den Studierenden in der zukünftigen Lehrpraxis selbst verwendet werden können. Das gemeinsame Interesse der Beitragenden dieses Sammelbands besteht vor diesem Hintergrund darin, explizit eine Hochschuldidaktik für sozioökonomische Bildung zu entwickeln. Diesem Prozess – zu dem die Leserinnen und Leser dieses Bandes herzlich eingeladen sind – hat sich die Sektion Hochschullehre der GSÖBW verschrieben. Wenn wir diesen Band bewusst als eine Sammlung von Erfahrungen pluraler, sozioökonomischer Hochschulbildung betrachten, so ist dies aber auch unserer eigenen Lehrerfahrung geschuldet, dass die Fallstricke der Realisierung einer solchen Hochschulbildung immer im Detail liegen. Die hier aufgeworfene Diskussion kann sich deswegen nicht alleine in theoretischen Erwägungen erschöpfen, sondern muss ganz dezidiert auch die alltäglichen Untiefen hochschuldidaktischer Praxis einbeziehen.

Hierbei treten beispielsweise folgende Fragen hervor: Welche theoretischen Konzepte und aktuellen Forschungsergebnisse gehören unbedingt in einen volkswirtschaftlichen oder einen fachdidaktischen Kurs? Welche Methoden können gewählt werden, um den Studierenden Zugänge zu Lehrinhalten zu eröffnen und ihre aktive (weitere) Auseinandersetzung mit diesen Themen zu fördern? Welche Haltung nehme ich als lehrende Person ein, wenn ich aus einer standardisierten Lehre ausbreche, wenn ich die Standardökonomik auf eine neue Art und Weise einführe, wenn ich im Wissenschaftssystem weniger beachtete Diskurse berücksichtige und wenn ich zudem meinen Lehrstil von einem monologischen bzw. frontalen zu einem dialogischen bzw. partizipativen verändere? Und schließlich: Wie kann ich Lehrinnovationen mit den institutionellen Rahmenbedingungen und oftmals auch Beschränkungen in Einklang bringen und darin vielleicht gar eine Verstetigung der Innovation veranlassen?

Für unser Herausgeberteam, das paritätisch fachwissenschaftlich und fachdidaktisch besetzt ist, sind dies Fragen, die durch die Beschäftigung mit den Beiträgen erst deutlicher hervorgetreten sind. Unser Call for Papers orientierte sich hauptsächlich an folgenden Kriterien:

  • Die Beiträge sollten von selbstorganisierten Studierendengruppen (sozio-)ökonomischer Studienfächer, von Lehrenden der VWL und von Lehrenden der sozialwissenschaftlichen Lehrämter stammen.

  • Die Beiträge sollten eine Lehrinnovation sowohl in Bezug auf ihren Inhalt als auch in Bezug auf ihre Form darstellen.

  • Die Beiträge sollten verdeutlichen, welche Antworten die Lehrinnovationen auf in der Standardökonomik vernachlässigte Themen und Ansätze geben – etwa in Bezug auf Klimawandel, Wirtschaftskrisen, Gender oder Ökonomisierungsprozesse.

  • Die Beiträge sollten einen lockereren, narrativen Stil aufweisen, mit dem wir – neben der Veröffentlichung im Open-Access-Format – eine größere Breite motivierter Lehrender erreichen möchten.

  • Die Beiträge konnten sowohl deutschsprachig als auch englischsprachig eingereicht werden, da eine standardisierte ökonomische Hochschulbildung ein globales Phänomen darstellt.

Die eingereichten Beiträge durchliefen ein doppelt anonymes Peer-Review-Verfahren, das von einem wissenschaftlichen Beirat des Sammelbands übernommen wurde. Die begutachteten und überarbeiteten Beiträge finden sich nun in diesem Sammelband in einer Reihenfolge angeordnet, mit der wir bewusst die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Perspektiven der Fachwissenschaften und der Fachdidaktiken aufbrechen wollen. Mit der Anordnung, die wir letztlich ex post vorgenommen haben, unterbreiten wir ein grobes und mit Vorsicht zu genießendes Orientierungsangebot, mit dem wir mögliche charakterisierende Aspekte der Beiträge hervorheben. Wie Marc Casper in seinem Beitrag am Ende des Bandes zeigt, gibt es durchaus weitere Möglichkeiten, Bezüge zwischen den Beiträgen herzustellen. Die hier ex post gewählte Reihenfolge orientiert sich dabei größtenteils an den Pluralismusforderungen des Netzwerk Plurale Ökonomik: theoretische und methodische Pluralität, Interdisziplinarität, historische Fundierung und Selbstreflexion des Faches. Mindestens zwei neue Komponenten sind durch die Beiträge der Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker hinzugekommen: der persönliche Bezug zu wirtschaftlichen Themen einerseits und zu der eigenen wirtschaftlichen Praxis – im Unternehmen oder als Konsumierende – andererseits. Des Weiteren haben wir die Kategorie „diskursive Aspekte von Sozioökonomie“ hinzugenommen. Denn zum einen hat sich gezeigt, dass Studierenden der Unterschied zwischen den verschiedenen sprachlichen Ebenen der Wissenschaft und des Alltags oftmals nicht klar ist – und diese mangelnde Differenzierungsfähigkeit ein Einfallstor für (auch ungewollte) ideologische Beeinflussung darstellen kann. Zum anderen ist deutlich geworden, dass ein Umgang mit volkswirtschaftlichen Konzepten auch erst im verbalen Umgang verwirklicht werden kann.

Die einzelnen Beiträge des Sammelbands lassen sich wie folgt einteilen und einführen:

1 Essayistisches Vorwort

Die Politökonomin und Scientists4Future Mitinitiatorin Maja Göpel ordnet die Rolle des Wissenschaftssystems für die Herausbildung der großen gesellschaftlichen Erzählungen aus der Perspektive der Transformationsforschung ein. Sie deutet auf die Vielzahl der sich aktuell zuspitzenden Tendenzen wie im Bereich der Umweltveränderungen und der Digitalisierung hin, welche die Gewohnheiten und Denkstrukturen – individuell sowie gesellschaftlich – in Bewegung setzen. Dieser „Stresszustand“ eröffnet auch der pluralen, sozioökonomischen Hochschulbildung einen Weg in den Mainstream, sollte sich ein neues Paradigma einer systemischen Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene durchsetzen. Die Einladung zu solch einem appellförmigen Beitrag ist von den Herausgeberinnen und Herausgebern bewusst gewählt: Wenn die Relevanz von bestimmten Bildungsinhalten und -formen Gegenstand einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion werden soll, braucht es Menschen, die in der Lage sind, eine solche Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft einzunehmen.

2 Einleitender Beitrag

Moritz Peter Haarmann nimmt in seinem Beitrag ausgehend von Wilhelm von Humboldts Begriff der Bildung und der Universität eine Grundlagenbestimmung der möglichen Ziele und Zwecke einer sozioökonomischen Hochschulbildung vor. Dabei unterstreicht er die der Aufklärung entspringende Würde und Mündigkeit des Bildungssubjektes als zentrale Leitidee. Diese Idee ist heute jedoch in standardökonomischer Bildung einer Krise ausgesetzt, ebenso wie die Universität als Ort einer freien, selbstbestimmten Bildung nur noch selten in Erscheinung tritt. Die so vorgenommene Begriffsbestimmung erweitert Haarmann sodann durch einen Bezug zu etablierten Prinzipien pädagogischer Praxis, die auch im Sinne einer sozioökonomischen Hochschulbildung fruchtbar gemacht werden können. Dies veranschaulicht er abschließend an den Beispielen der Bestimmung von Lehrinhalten und Methoden wie auch der möglichen Ausgestaltung sozioökonomischer Curricula.

3 Standardökonomik einführende und reflektierende Formate

Sebastian Thieme zieht den oft bedienten Verweis auf vermeintliche Sachzwänge standardökonomischer Hochschulbildung empirisch und theoretisch in begründeten Zweifel, um die Möglichkeit einer Integration von Perspektiven der Pluralen Ökonomik in grundlegende VWL-Lehrveranstaltungen zu unterstreichen. Basierend auf Erfahrungen einer Einführungsveranstaltung in die VWL diskutiert er in seinem Beitrag Gestaltungsmöglichkeiten, die auch in bestehenden Curricula genutzt werden können, um in grundlegenden ökonomischen Lehrveranstaltungen kritische Perspektiven im Sinne der Pluralen Ökonomik zu verankern.

Marcel Beyer beschreibt in seinem Beitrag die Erkenntnismomente von Lehramtsstudierenden, die er in einem Masterseminar durch die Reflexion ihrer bisherigen neoklassisch orientierten ökonomischen Ausbildung ermöglichen konnte. Mithilfe eines Texts des Ökonomen Gary S. Becker, der die Anwendung der neoklassischen ökonomischen Prinzipien auf jegliche Lebensbereiche vorschlägt, tritt die Denkart der Standardökonomik besonders pointiert hervor. Beyer schafft durch Gruppenarbeit und eine entsprechende Sitzordnung einen offenen Raum zur Beschäftigung der Studierenden mit dem Gelernten. Aus der Reflexion leitet sich für die Lehramtsstudierenden auch die Frage nach paradigmatischen Alternativen zum Mainstream ab, dem Beyer Folge leistet und hier für die folgenden Seminare eine breitere Integration anderer Denkschulen in Erwägung zieht.

4 Paradigmatischer Pluralismus und Pluralismus reflektierende Formate

Anna Saave stellt theoretische und praktische Herausforderungen für die Lehre von feministischer Ökonomik dar: Zum einen ist das Feld selbst plural, mit unterschiedlichen, historisch gewachsenen Strömungen, wenngleich Saave herausarbeitet, dass sich in Verbindung mit politischer Ökonomie und queer studies aktuell eine Art eigenes Paradigma herausbildet, welches auch konsistent in die Lehre eingebunden werden kann. Zum anderen bleibt die Lehre von feministischer Ökonomik für viele Studierende erklärungsbedürftig, da der Begriff persönlich wie politisch aufgeladen ist. Saave knüpft hier an die Erfahrungen von Studierenden an, die sich im Volkswirtschaftsstudium häufig in Situationen befinden, in denen Fragen zu stellen unangemessen erscheint. Im Gegensatz dazu soll feministische Ökonomik ganz bewusst als ein Modus des Fragens erlernt werden. Weiterhin organisieren die Studierenden Teile des Seminars und übernehmen care work, um die praktische Relevanz der neu gewonnenen Perspektiven zu testen.

Anne Berner, Franziska Dorn, Christian Ochsner, Alexander Silbersdorff und Lukas Wolfinger zeigen in ihrem Beitrag auf, welche Entwicklungen in der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre an der Universität Göttingen 2007 zur Gründung einer Hochschulgruppe führten und wie diese die Lehre an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät um eine pluralistische Perspektive ergänzt hat. Im Zuge dessen werden wesentliche Defizite der Lehrsituation aufgezeigt, das Kooperationsverhältnis mit der Fakultät erörtert und die gruppeninternen Prozesse, die der studentisch gestalteten Lehre zugrunde liegen, diskutiert. Am Beispiel von studentisch organisierten Seminaren und Ringvorlesungen legen die Autorinnen und Autoren dar, unter welchen Bedingungen pluralistische Lehre einen Beitrag leisten kann, die Mängel in der Lehre aufzuheben und wie dies auf die Hochschulgruppe und die Fakultät zurückwirkt.

5 Empirische Herausforderungen, realweltlicher und persönlicher Bezug

Christian Fahrbach und Annika Weiser beschreiben in ihrem Beitrag ein jährlich an der Leuphana Universität Lüneburg stattfindendes Projektseminar zu wissenschaftlichen Methoden, welches alle Studierende vor ihrem Fachstudium belegen müssen. Im Wintersemester 2018/2019 wurde erstmalig das Thema Low-Profit in den Blick genommen und mit der Lehrmethode des Forschenden Lernens bearbeitet. Der Beitrag stellt zunächst die Einführung von Low-Profit-Investitionen als eine empirische Herausforderung des standardökonomischen Ansatzes im Projektseminar sowie Möglichkeiten einer wirtschaftspolitischen Umsetzung dar. Aufgabe der Studierenden war es dabei, das Thema Low-Profit mit den sustainable development goals (SDG) zu verbinden, dazu eine eigene Forschungsfrage zu entwickeln und diese kooperativ mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen zu beantworten.

Poulomi Dasgupta konstatiert in ihrem Beitrag, dass die Frage nach der Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten in gesellschaftspolitischen Debatten zwar eine zunehmend dominante Rolle eingenommen hat. Gleichzeitig werden die komplexen Interdependenzverhältnisse zwischen Wirtschaft und Umwelt jedoch nicht von den Standardmodellen der neoklassischen Ökonomik erfasst. Vor diesem Hintergrund erörtert die Autorin die Frage, ob die Integration des akademischen Reisens in die wirtschaftswissenschaftlichen Curricula das Potenzial mit sich bringt, die Lücke zwischen der Auseinandersetzung mit nachhaltiger Entwicklung und dem wirtschaftswissenschaftlichen Lehralltag zu verkleinern.

Johanna Hopp und Theresa Steffestun berichten in ihrem Beitrag – vor dem Hintergrund der studentischen Kritik, dass die multiplen sozialen, ökologischen und ökonomischen Krisen der Gegenwart in der ökonomischen Bildung einen geringen Stellenwert einnehmen – von ihren Erfahrungen bei der Umsetzung einer dezidiert weltzugewandten ökonomischen Bildung als Antwort auf diese Kritik. Dabei rücken sie den Kontext wirtschaftlichen Denkens und Handelns auf der einen und das erkennende und sich bildende Subjekt auf der anderen Seite in den Mittelpunkt des Bildungsgeschehens. Am Beispiel einer einwöchigen Exkursion von Ökonomiestudierenden der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in das landwirtschaftliche Ensemble von Rothenklempenow legen die Autorinnen die didaktische Umsetzung dieses Bildungsanliegens dar.

Tim Thrun, Marc Casper und Maximilian Schormair stellen in ihrem Beitrag ein Lehrkonzept vor, das sich in folgende drei Teile gliedert: In einem ersten Block leisten die Studierenden überwiegend biographisch orientierte Reflexionen. Die dabei subjektiv formulierten Lebensentwürfe werden im zweiten Block durch Filmvorführungen und -diskussionen kontrastiert. Im Rahmen eines dritten Referatsblocks vertiefen die Studierenden ihre bisherigen Überlegungen vor dem Hintergrund eines aktuell diskutierten Themas der Wirtschaftswissenschaft wie beispielsweise „Postwachstum und Minimalismus“ oder „Selbstoptimierung“. Mit diesem Vorgehen soll kritisch-emanzipatorisches Denken und Handeln im Hinblick auf die eigenen Lebenswelten gefördert werden.

Harald Hantke konstatiert, dass (zukünftige) Lehrerinnen und Lehrer der wirtschaftsberuflichen Bildung mit einem Lernfeldparadoxon konfrontiert sind. So setzt sich der Lernfeldansatz als Curriculum der beruflichen Bildung aus folgenden zwei Ansprüchen zusammen, die sich zu widersprechen scheinen: Dem im Lernfeld-Konzept formulierten (Bildungs-)Anspruch an eine nachhaltigkeitsorientierte wirtschaftsberufliche Bildung steht ein in den Lernfeld-Vorgaben formulierter (Qualifikations-)Anspruch an eine wirtschaftsberufliche Bildung gegenüber, der sich an betrieblichen Situationen orientiert. Mit der Herausforderung dieses doppelten Anspruchs setzen sich zukünftige Lehrkräfte in ihrem Bachelorstudium „Wirtschaftspädagogik“ an der Leuphana Universität Lüneburg in einem gestaltungsorientierten Lern-Forschungs-Prozess auseinander. Hantkes Beitrag gibt konzeptionell-theoretische Einblicke in diesen Prozess, indem design thinking als gestaltungsorientierter Lern-Forschungs-Prozess re-konzeptionalisiert und am Beispiel eines Seminarkonzepts konkretisiert wird.

6 Interdisziplinäre Formate

Anja Breljak, Felix Kersting, Klaas Miersch, Timo Stieglitz und Iris Wohnsiedler stellen mit dem Interdisziplinären Studentischen Kolloquium (ISK), das seit 2013 an der Humboldt-Universität zu Berlin wöchentlich stattfindet, ein selbstorganisiertes Format zur kritischen Diskussion von ökonomischen Theorien und anderen wissenschaftlichen Ansätzen vor, die sich im Themenfeld der Ökonomie bewegen. Das ISK verfolgt dabei drei Ziele: (1) VWL stärker als politische Ökonomie zu verstehen, (2) interdisziplinäre Zugänge zu fördern und (3) die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu empowern. Für die Umsetzung dieser Ziele haben sich, so die Autorinnen und Autoren, eine offene und inklusive Atmosphäre als ebenso förderlich erwiesen wie der Ansatz des selbstbestimmten und autodidaktischen Lernens. Die dauerhafte Schaffung eines Diskussions- und Reflexionsraums nach geisteswissenschaftlichem Vorbild führte unter anderem zu weiteren studentischen Seminaren und einigen veröffentlichten Texten.

Julia K. Mayer und Lisa-Marie Schröder stellen die Frage, wie die Integration unterschiedlicher Fachperspektiven, etwa der wirtschafts-, politik-, sozial- und geschichtswissenschaftlichen sowie geographischen Betrachtungsweisen, in der ökonomischen Hochschulbildung gelingen kann und schlagen hierzu den Einsatz von design thinking vor. Im Rahmen eines fachdidaktischen Vertiefungsseminares erarbeiten die Lehramtsstudierenden des Faches „Politik und Wirtschaft“, wie der spezifische Blick von Fachdisziplinen eingebunden und gleichzeitig auf konkrete Probleme, etwa das Thema CO2-Steuern, angewendet werden kann. Da jede Disziplin eine eigene Didaktik mit sich bringt – die politikwissenschaftliche Perspektive zielt etwa auf die Bildung eines demokratisch souveränen Subjekts ab –, müssen die Lehramtsstudierenden zunächst solche Zielformulierungen der unterschiedlichen Disziplinen in ihren Konzeptvorschlägen miteinander vermitteln. Mayer und Schröder zeigen auf, dass das für den Hochschulkontext angepasste design thinking, die „Interdisziplinäre Problemlösung konkret“, auch in anderen Bereichen, etwa der Politikberatung, Einsatz finden könnte.

7 Diskursive Aspekte von Sozioökonomie

Lara Boerger stellt ein Seminar aus dem Bereich der VWL vor, das von 2006 bis 2019 an der Universität Leipzig angeboten wurde und sich durch eine dialog- und erwägungsorientierte Didaktik kennzeichnet. Das Konzept des „Leipziger Erwägungsseminares“ fußt auf der Erwägungsdidaktik der „Forschungsgruppe Erwägungskultur Paderborn“ und wurde Ende der 1980er Jahre entwickelt. Die Grundidee umreißt einen spezifischen erwägungsorientierten Umgang mit Alternativen. Demnach soll das Wissen von Expertinnen und Experten nicht als gesetzt, gesichert und unumstößlich gelten. Vielmehr geht es darum, Theorien zu hinterfragen, zu vergleichen und einen integrierenden und bewahrenden Umgang mit unterschiedlichen Erklärungsansätzen zu praktizieren. Boerger unterstreicht dabei, dass das Konzept die zentralen Forderungen des Netzwerk Plurale Ökonomik e. V. – Selbstkritik, Reflexion und Offenheit in der VWL zu fördern – aufzugreifen vermag und somit eine Vorbildrolle einnehmen kann.

Elsa Egerer plädiert in ihrem Beitrag – unter Einbezug der Debatte über die von Studierenden aus aller Welt formulierten Forderungen für eine Plurale Ökonomik – dafür, dass eine explizite Diskurskultur im Sinne einer dialogischen Kommunikation und die Auseinandersetzung mit realen Problemen einen festen Platz in Lehr-Lernsettings finden sollten. Als exemplarisches Setting wird im Zuge des Beitrags eine für den Master „Plurale Ökonomik“ an der Universität Siegen konzipierte Veranstaltung vorgestellt. Während des Seminars lernten die Studierenden verschiedene ökonomische Denkrichtungen und deren Anwendung auf aktuelle wirtschaftspolitische Fragen kennen. Strukturiert wurde das Seminar mithilfe verschiedener Formate bzw. Methoden. Den Beitrag rundet eine auf mehreren Ebenen erfolgende Zusammenschau ab, die mögliche Implikationen dialogischen Pluralismus im Seminarkontext – und Wege, mit diesen umzugehen – darlegt.

Gabriela Hahn, Harald Hantke und Andreas Fischer reflektieren den Einsatz von Poetry-Slam-Texten in der Lehre angehender Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer. Auch im Sinne eines „didaktischen Doppeldeckers“, also für die Anwendung im Unterricht geeignet, verdeutlichen sie den Studierenden das Besondere an der VWL: die im allgemeinen Sprachgebrauch verbreiteten Begriffe der Wirtschaft – wie etwa Markt, Geld, Effizienz oder Nutzen – sind für die neoklassisch orientierte VWL sehr bestimmt definierte, mathematisch beschriebene Konzepte. Die Autorin und die Autoren wählen deshalb die Lyrik als eine Art Zwischensprache, die es den Studierenden erlaubt, sich zwischen der Ebene der Gesellschaft und jener der Wissenschaft zu verorten. In Poetry-Slam-Texten dürfen auch schräge, lustige, nachdenkliche und fragende Haltungen eingenommen werden, während gleichzeitig das Gelernte in eigener Sprache wiederholt und angeeignet wird.

8 Abschließende Beiträge

Marc Casper widmet sich schließlich in einer Zusammenschau der Beiträge des Sammelbands auf einer Metaebene folgenden Fragen: Welche Menschen und Institutionen betrifft sozioökonomische Hochschulbildung? Welche Merkmale und Spannungsfelder kennzeichnen hochschulisches Lernen im Allgemeinen und sozioökonomische Lehre im Besonderen? Auf dieser Basis wird als gemeinsames Anliegen einer sozioökonomischen Hochschulbildung die Ermöglichung von lebendigem Lernen identifiziert und nach drei Bestimmungen ausdifferenziert: nach biographischen, lebensweltlichen Bezügen; nach der sinnlich-ästhetischen Qualität von Lernprozessen und nach der Interaktionsmoral von Lerngruppen. Abschließend werden institutionelle und persönliche Entwicklungslinien einer sozioökonomischen Hochschulbildung aufgezeigt.

Julia K. Mayer und Jan Pranger bieten Literaturempfehlungen an, um die Umsetzung eigener Lehrinnovationen weiter zu befördern. Vorgestellt werden Publikationen, die sich mit den Herausforderungen zur Gestaltung einer pluralen, sozioökonomischen (Hochschul-)Lehre auseinandergesetzt haben. Die in diesem Beitrag gesetzten Impulse sollen dazu dienen, bei den Rezipierenden innovative Ideen für die eigene Hochschulbildung anzuregen.

9 Danksagungen und Einladung

Abschließend bleibt uns einigen Personen und Institutionen zu danken, die einen maßgeblichen Anteil an der Herausgabe dieses Sammelbands haben: Für die Möglichkeit, im Rahmen eines Gesprächsraums unsere Ideen in ein tatsächliches Vorhaben fließen zu lassen, insbesondere für das unserem Wirken entgegengebrachte Vertrauen, danken wir der Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft (GSÖBW) sowie Christian Fridrich, Silja Graupe, Udo Hagedorn, Reinhold Hedtke, Georg Tafner und Eva-Maria Walker als Herausgebenden der Springer VS-Reihe „Sozioökonomische Bildung und Wissenschaft“. Den Gutachterinnen und Gutachtern des wissenschaftlichen Beirats unter der Leitung von Udo Hagedorn danken wir neben Thorsten Hippe (Lektorat) und Cori Antonia Mackrodt und Thomas Hortmann (Springer VS) für die an einer hohen wissenschaftlichen und formalen Qualität orientierten Begleitung des Bandes. Ein gesonderter Dank geht an das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) für die finanzielle Förderung des Sammelbands. Ohne diese Förderung wäre es nicht möglich gewesen, den Sammelband im Open-Access-Format anzubieten. In diesem Zusammenhang danken wir auch den Verantwortlichen der Online-Plattform Exploring Economics, deren Bereitschaft zur Kooperation die Reichweite der hier versammelten Beiträge maßgeblich befördern wird.

Allen Autorinnen und Autoren, die zu diesem Band beitragen, danken wir für ihr Engagement im Sinne einer pluralen, sozioökonomischen Hochschulbildung. Ein besonderer Dank geht darüber hinaus an die Autorinnen und Autoren der dezidiert eingeladenen Beiträge: Maja Göpel, Moritz Peter Haarmann, Marc Casper, Julia K. Mayer und Jan Pranger. Last but not least wünschen wir den Rezipierenden des vorliegenden Werkes nun möglichst viele Inspirationen für die eigene Lehre: Gehen Sie dabei getrost kreativ mit den Lehrinnovationen um und bringen Sie sich bei Interesse gerne auch in der Sektion Hochschullehre der GSÖBW ein.

Kurz: Kommen Sie mit auf die gemeinsame Reise der Gestaltung einer pluralen, sozioökonomischen Hochschulbildung!