Das folgende Fallbeispiel zeigt, wie einige der beschriebenen Konzepte, Methoden und Sprachen angewendet wurden, um einen für ein konkretes Unternehmen wesentlichen Prozess zu verbessern. Die Dokumentation des real durchgeführten Projekts macht deutlich, dass sich die vorgestellten Aktivitäten nicht streng voneinander getrennt bearbeiten lassen, sondern sich in der Praxis oft überlappen und mit häufig wechselnden Schwerpunktbetrachtungen ineinander überfließen. Wir geben den Projektverlauf wieder, der von Christoph Moser stammt [1], und stellen mit den grau dargestellten Unterüberschriften jeweils den Bezug zu den passenden Ausführungen in Kap. 1 bis Kap. 6 und den betroffenen Aktivitätsbündeln in Abb. 7.1 her.

Abb. 7.1
figure 1

Wechsel zwischen den Aktivitäten im Fallbeispiel

7.1 Ausgangsituation

Analyse: Blick auf die „Welt“

ENGEL ist ein traditioneller Hersteller von Spritzgießmaschinen aus Österreich und wurde 1945 von Ludwig Engel gegründet. Nach Einführung der ersten Spritzgießmaschine im Jahr 1952 hat sich ENGEL bis zum Jahr 2016 mit einem Gesamtumsatz von 1,36 Mrd. EUR zum Weltmarktführer entwickelt. Das vollständig eigentümergeführte Unternehmen beschäftigt weltweit ca. 5900 Mitarbeiter in 9 Produktionswerken und über 85 Niederlassungen [2]. ENGEL ist ein stark kundenorientiertes Unternehmen mit Fokus auf Flexibilität und Innovationen.

Festlegung des Key Performance Indicators ausgehend vom Geschäftsmodell und der Strategie

Die starke Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse und die fortschreitende Entwicklung hin zu kürzeren Lieferzeiten führten zur Definition eines unternehmensweiten Ziels: Reduzierung der Durchlaufzeit eines Prozesses für die Produktion aller Varianten einer Standardkomponente für Spritzgießmaschinen um 30 %.

Ein Projektteam wurde geschaffen, um den bestehenden Prozess zu erheben, zu analysieren und die erforderlichen Verbesserungen zu implementieren. Der erste Schritt eines Optimierungsprozesses ist die Abbildung des Ist-Status, um detailliertere Kenntnisse über die Material- und Informationsflüsse sowie über alle Faktoren zu erhalten, die den betrachteten Prozess beeinflussen können. Zum Zeitpunkt des Projektstarts gab es kaum explizite Informationen zum Gesamtprozess, den detaillierten Prozessschritten oder den beteiligten Prozessakteuren.

Analyse und Modellierung

Zu Beginn war nur bekannt, dass sich der Prozess über zwei Produktionsstandorte in zwei verschiedenen Ländern (Fabrik A und Fabrik B) erstreckt und sich auf drei Produktgruppen bezieht:

  • Produkt 1: Der fertige Rahmen für die Spritzgussmaschine ist die Ausgangskomponente jeder Maschine. Rahmen werden in Fabrik A zusammengebaut und bestehen unter anderem aus Produkt 2. Die Gesamtdurchlaufzeit für Produkt 1 umfasst die Auftragsabwicklung, Produktion und Lieferung von Komponenten (Produkt 2) und Teilkomponenten (Produkt 3).

  • Produkt 2: Der sogenannte „rohe“ Rahmen mit Öltank. Diese Hauptkomponente ist noch mechanisch unbearbeitet und wird in Fabrik B aus Produkt 3 zusammengebaut. Es gibt mehrere Dutzend Varianten von Produkt 2, abhängig von den Anforderungen der Kunden.

  • Produkt 3: Eine Art Bausatz aus Sägezuschnitten, welche in Fabrik A für die jeweilige Variante aus Stangenmaterial abgesägt werden.

Abb. 7.2 zeigt ein grobes Schema der Lieferkette. Der Auslöser des Prozesses (breaking point) ist der Auftrag der Fertigung der Spritzgießmaschine als internem Kunden (Customer) an Fabrik A. Diese sägt und liefert daraufhin die benötigten Teile (Produkt 3) für Produkt 2 und beauftragt Fabrik B mit dessen Fertigung. Das Zwischenprodukt wird anschließend an Fabrik A geliefert, dort zusammengebaut und als Produkt 1 an die Montagelinie der Spritzgießmaschine geliefert.

Abb. 7.2
figure 2

Lieferkette zwischen den Werken

Der Prozess wird durch die Bestellungen gesteuert, die zwischen den Fabriken ausgetauscht werden. Wenn ein Auftrag in einer Fabrik eintrifft, wird er im ERP-System erfasst, und ein Fertigungsauftrag mit einem entsprechenden Lieferdatum erstellt. Erst nach dieser Erfassung ist der Auftrag produktiv wirksam. Wenn der Prozess bis zur Erfassung länger als 2 Arbeitstage dauert, trifft der Produktionsauftrag nicht rechtzeitig in der Produktion ein, da die Bestellvorlaufzeit auf zwei Arbeitstage festgelegt ist. In der Ausgangssituation wurden ca. 95 % aller Bestellungen zwischen den Fabriken zu spät erfasst, d. h. zwischen der Ankunft des Auftrages in der Fabrik und der tatsächlichen Erfassung vergingen mehr als zwei Arbeitstage. Diese Aufträge mussten dann manuell mit enormem Mehraufwand bearbeitet werden, was zu einer internen Liefertreue für Produkt 2 von nur 39 % führte. Daraus resultierende Probleme bei der Produktionsplanung in der Fabrik A und Verzögerungen bei der Produktion von Produkt 1.

Um das vorgegebene Ziel, die Durchlaufzeit um 30 % zu reduzieren, zu erreichen wurde ein Zeitrahmen von nur 10 Wochen vorgegeben. Die zwei Fabriken lagen in zwei verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen.

Erste grobe Planung und Einordnung in die Enterprise Architecture: Keine grundlegenden Änderungen an der Organisation und der IT

Der enge Zeitrahmen führte zu Einschränkungen für das Projekt: Neue Softwarelösungen oder Technologien können nicht eingeführt werden. Die Einführung solch weitreichender Veränderungen ist eine strategische Entscheidung und erfordert viel Personaleinsatz, Geld, Risikomanagement und Zeit. Dies bedeutete, dass Änderungen an den bestehenden Prozessen innerhalb der bestehenden Organisation und IT-Umgebung implementiert werden mussten. Erst nach Erreichen des ursprünglichen Projektziels können weitere, für zusätzliche Verbesserungen notwendige Maßnahmen umgesetzt werden.

7.2 Durchgeführte Maßnahmen

Prozessanalyse und Auswahl einer Modellierungssprache

Mit Ausnahme einer oberflächlichen Beschreibung des Materialflusses zwischen den Fabriken standen uns keine expliziten Prozessinformationen zur Verfügung. Da eine ordnungsgemäße Prozessdokumentation für das Verständnis des Gesamtprozesses und die Identifizierung von Optimierungspotenzialen von grundlegender Bedeutung sind, bestand unser nächster Schritt in der Dokumentation und Analyse des bereits etablierten Produktionsprozesses mittels Wertstromanalyse (WSA) [3], Dem Standardwerkzeug zur Dokumentation von Produktionsprozessen in unserem Unternehmen.

Für eine erste Abbildung des Prozesses war es notwendig, ein geeignetes, repräsentatives Produkt auszuwählen, das die grundlegenden Produktionsschritte umfasst und den größten Teil des Materialflusses abdeckt. Wir kamen zu dem Schluss, eine Variante von Produkt 2 für eine erste Ist-Analyse zu verwenden. Diese Auswahl basierte auf einer ABC-Analyse aller Produktvarianten und der entsprechenden Arbeitspläne. Die ausgewählte Variante für Produkt 2 macht 30 % der Gesamtproduktion aus, hatte die komplexesten Arbeitspläne und die längste Gesamtdurchlaufzeit der drei definierten Produktgruppen.

Modellierung eines Teils des Ist-Prozesses

Durch die Verfolgung des Materialflusses auf Werksebene durch beide Fabriken, die Erhebung relevanter KPIs (Lagerstand, Produktionsdurchlaufzeiten, Kundentakt etc.) und die Befragung der verantwortlichen Mitarbeiter konnten wir ein Wertstrommodell (WSM) für Produkt 2 erstellen. Abb. 7.3 zeigt das WSM des Produktionsprozesses und seine hierarchische Struktur.

Abb. 7.3
figure 3

Wertstromanalyse der Fertigung von Produkt 2

Ergebnis der Analyse

Die Ergebnisse der Wertstromanalyse waren wie folgt:

  • Der Produktionsprozess des Produkts 2 besteht aus zwei Hauptschritten: Herstellung des Basisrahmens und Herstellung des Öltanks. Sobald der Öltank fertiggestellt ist, wird er an den Rahmen montiert, um Produkt 2 herzustellen.

  • Der Öltank und der Rahmen werden getrennt gefertigt. Dies bedeutet, dass es keine Abstimmung zwischen den beiden Produktionslinien gibt, sobald der Auftrag gestartet wurde.

  • Aufgrund fehlender Produktionsplanung stapeln sich unfertige Bestände mit langen Wartezeiten. Nur ca. 10 % der gesamten Durchlaufzeit ist Produktionszeit.

  • Durch Optimierungen in der Produktionsplanung und den Arbeitsplänen kann die Durchlaufzeit verringert werden. Jedoch reichen die identifizierten Verbesserungen nicht aus, um das vorgegebene Ziel zu erreichen.

  • Wir haben allerdings hohes Potenzial im Informationsfluss der Auftragsverarbeitung identifiziert.

Detaillierung des Prozessmodells

Darüber hinaus wurden konkretere Informationen zum Bestellprozess zwischen den Fabriken gewonnen und die Prozessbeschreibung entsprechend erweitert:

  • Die Nachfrage nach Produkt 1 stammt von Fabrik A, von der aus eine Bestellung für die erforderliche Variante von Produkt 2 an Fabrik B gesendet wird.

  • Die Bestellung für Produkt 2 wird bearbeitet und die Beschaffung der erforderlichen Komponenten, darunter Produkt 3, beginnt.

  • Fabrik B bestellt jetzt Produkt 3 von Fabrik A.

  • Die Bestellung für Produkt 3 wird in Fabrik A erfasst, die Teile werden zugeschnitten und an Fabrik B verschickt.

  • Sobald Produkt 3 in Fabrik B ankommt, beginnt die Produktion von Produkt 2 und das fertige Produkt 2 wird danach an Fabrik A geliefert.

  • Sobald Produkt 2 in Fabrik A ankommt, beginnt die Fertigung von Produkt 1.

  • Dieser Prozess ist für jede Maschine gleich, unabhängig von der Variante von Produkt 1.

Identifikation von Optimierungspotenzialen

Durch die Wertstromanalyse konnten wir zwei Potenziale identifizieren: Die fehlende Produktionssynchronisierung und die nicht optimierte Auftragsabwicklung. Die Produktionssynchronisation ist allerdings direkt mit dem jeweiligen Produktionsplanungsprozess verknüpft. Bei einer kurzen Analyse des Planungsprozesses kamen wir zu dem Schluss, dass langfristige Verbesserungen nur möglich sind, wenn die Abläufe im Prozess Planung komplett reorganisiert und umstrukturiert werden und die Denkweise an sich verändert wird. Obwohl dies eine notwendige Änderung gewesen wäre, konnten wir sie im Zeitrahmen des Projekts nicht umsetzen. Wir haben uns daher auf den Bestellprozess und sein Optimierungspotenzial konzentriert, da wir es als möglichen „Quick Win“ für unser Projekt identifiziert haben.

Modellierung der noch fehlenden Aspekte

Dies war der Einstiegspunkt für eine umfassende Prozesserhebung. Dem WSM fehlten jedoch noch relevante Prozessinformationen, um den Gesamtprozess und den entsprechenden Informationsfluss detailliert zu beschreiben, beispielsweise

  • keine Informationen über die Interaktionen zwischen den beteiligten Parteien

  • keine Informationen darüber, welche Schritte im Prozess automatisiert sind und welche Schritte manuell durchgeführt werden

  • keine konkreten Informationen zu den im SAP®-ERP-System verwendeten Transaktionen

  • keine Information über die Zeitlinien des Informationsflusses

  • keine Überprüfung der bereitgestellten Informationen

Modellbildung, zusätzliche Modellierungssprache auswählen

Da sich die WSA auf die Produktionsprozesse konzentriert und vor allem den Materialfluss zwischen den Prozessschritten beschreibt, haben wir schnell erkannt, dass wir einen anderen Ansatz benötigen. Wir mussten eine zusätzliche Methode verwenden, um den Informationsfluss in einem Detailgrad zu beschreiben, der es uns erlaubt eine genaue Analyse durchzuführen. Der nächste Schritt bestand darin, ein Prozessmodell der in den Prozess involvierten Personen und SAP®-Systeme sowie deren jeweiligen Interaktionen bzw. des Informationsflusses zu erstellen.

Begründung warum subjektorientierte Modellierung hinzugenommen wurde

Zur Ergänzung unseres bestehenden WSM haben wir das subjektorientiertes Geschäftsprozessmanagement eingeführt [4]. Wir wählten S-BPM aufgrund unserer vergangenen Erfahrungen und der Probleme, die wir mit Flussdiagrammen bzw. Swimlane-Diagrammen hatten, die gelegentlich neben der WSA verwendet werden. In früheren Anwendungen von Swimlanes lieferten die Prozessmodelle entweder einen Überblick über den Prozess, waren aber damit nicht detailliert genug für eine gründliche Prozessanalyse, oder die Prozessmodelle waren so detailliert, dass es sehr schwierig wurde, den Überblick zu behalten. Darüber hinaus sind Swimlane-Modelle unserer Erfahrung nach nicht dazu geeignet, die beteiligten Individuen und deren Abhängigkeit voneinander in transparenter Form, insbesondere bei mehr als fünf oder sechs Beteiligten, zu visualisieren.

Beschreibung von S-BPM und verwendete Werkzeuge

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die an den Prozessen beteiligten Personen, ihre individuellen Ansätze, ihr Wissen und ihre Erfahrungen eine entscheidende Triebfeder für die Prozesse eines Unternehmens sind und für erfolgreiche Prozesse unerlässlich sind [5, 6]. Die Art und Weise, in der der Informationsfluss zwischen den Prozessakteuren organisiert ist, hat einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsprozessleistung [7].

S-BPM konzentriert sich speziell auf die Darstellung von Prozessen aus der Sicht der beteiligten Prozessakteure, sogenannte „Subjekte“, und deren Interaktion in der Prozessumgebung. Ein Subjekt kann eine Maschine, ein IT-System oder eine Person sein. Subjekte sind abstrakte Handelnde ohne Angabe wie sie implementiert sind.

Die S-BPM Methode verwendet zwei Ebenen, um Prozesse zu beschreiben, das Subjekt Interaktionsdiagramm (SID: Subject Interaction Diagram) und das Subjektverhaltensdiagramm (SBD: Subject Behavior Diagram). Die Interaktion zwischen den Subjekten wird in dem SID visualisiert, welches die ausgetauschten Nachrichten zwischen den beteiligten Parteien (Subjekten) beschreibt. Das SID stellt eine Prozessübersicht bereit und hilft, die Rolle eines Subjekts im Gesamtprozess zu identifizieren.

Das Subjektverhaltensdiagramm beschreibt die einzelnen Prozessschritte eines beteiligten Probanden für dessen Rolle im Prozess. Das Verhalten eines Subjekts wird beschrieben durch drei unterschiedliche Aktionen (die sogenannten „Zustände“ in S-BPM), die es durchführt: „Senden“, „Empfangen“, und Ausführen einer internen Aufgabe („Funktion“). Da der für einen Prozessakteur relevante Teil eines Prozesses innerhalb des jeweiligen Subjekts gekapselt ist, repräsentiert jedes SBD einen eigenständigen Handelnden innerhalb des Prozesses. Es ist nicht notwendig, den gesamten Prozess auf einmal oder in einer strikten Sequenz zu modellieren, z. B. wenn Informationen fehlen oder nicht verfügbar sind, oder ein Teil des Prozesses für die Untersuchung nicht relevant ist.

Detaillierte Modellierung mit S-BPM

Die S-BPM-Notation besteht aus fünf Symbolen, die durch ihre Bedeutung und nicht durch die Form definiert sind, obwohl Empfehlungen in der Literatur existieren. Zwei Symbole werden für das SID verwendet, um ein Subjekt bzw. Handelnden (z. B. eine rechteckige Form) und die Wechselwirkung (z. B. einen Pfeil) darzustellen, und drei Symbole für das SBD, um jeden einzelnen Zustandstyp (Senden, Empfangen, Funktion) darzustellen (am häufigsten rechteckige Formen in verschiedenen Farben).

Ein Vorteil der beiden Ebenen und einer solchen einfachen Modellierungsnotation ist die Möglichkeit, Prozesse gleichzeitig in einem Top-Down- und/oder Bottom-Up-Ansatz zu modellieren, wobei die traditionell getrennten Bereiche Geschäftsprozessmanagement und Lean Production [8] in Abhängigkeit von den geforderten und unterschiedlichen Anforderungen zusammengeführt werden, je nach verfügbarer Detailtiefe der Informationen. Obwohl es für die Modellierung von S-BPM dedizierte Softwarelösungen gibt, haben wir unsere eigene MS Visio-Vorlage verwendet. Dies ermöglichte es uns, uns sofort auf die Modellierung und Analyse der Prozesse zu konzentrieren, ohne Ressourcen und Zeit in die Anwendung einer externen technischen Lösung zu investieren – ein häufiger Fehler in vielen Unternehmen, wenn Prozessmodellierung implementiert wird [9].

Durch detailliertere persönliche Interviews erstellten wir ein Modell der ersten Ebene des Prozesses, das SID. Das daraus resultierende Prozessmodell der Ist-Situation ergab, dass der Logistik- und Produktionsprozess wie erwartet sehr komplex ist. Ungefähr 40 involvierte Subjekte verteilten sich auf die Produktion, Produktionssteuerung und Logistik aller drei Produkte in beiden Fabriken. Die endgültige Version des resultierenden Ist-SID und die verwendete Notation sind in Abb. 7.4 zu sehen. Das SID zeigt die allgemeine Kommunikationsstruktur des Prozesses und welche Subjekte miteinander welche Nachrichten austauschen. Die konkreten Namen der Subjekte oder der Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sind für das weitere Verständnis der durchgeführten Maßnahmen nicht relevant.

Abb. 7.4
figure 4

Kommunikationsstruktur (Subject Interaction Diagram) der Produktion und des Bestellprozesses

Modellbildung und -analyse

Die rechteckigen Formen repräsentieren die verschiedenen Subjekte, die an dem Prozess beteiligt sind, und die Pfeile repräsentieren die Nachrichten zwischen den Subjekten. Um zwischen den beiden Fabriken zu unterscheiden, haben wir die entsprechenden Subjekte farbig in Grün für Fabrik A und Orange für Fabrik B gekennzeichnet. Außerdem haben wir die Subjekte, welche SAP®-Systeme darstellen mittels Schraffur gekennzeichnet, um die bereits digitalen Teile des bestehenden Prozesses hervorzuheben.

Obwohl von beiden Werken dasselbe ERP-System verwendet wird, teilen wir es für eine strukturiertere Visualisierung entsprechend den jeweiligen Abteilungen auf (SAP®-System A, SAP®-System B und SAP®-System A Disposition).

Identifikation von Optimierungsmöglichkeiten

Aufgrund der Anzahl der involvierten Subjekte und der Komplexität des gesamten Prozesses wäre es nicht praktikabel gewesen, alle Subjektverhalten ohne einen definierten Rahmen für unsere nächsten Schritte zu erheben und zu modellieren.

Um einen solchen Rahmen zu definieren, haben wir das nun vorhandene SID verwendet, um die Hauptknoten und Engpässe im Prozess für das entsprechende Produkt zu identifizieren und zu analysieren (Abb. 7.5).

Abb. 7.5
figure 5

Zusammenhang der Kommunikationsstruktur mit den jeweiligen Produkten

Weiter Prozessmodellierung Ist-Analyse der IT-Unterstützung

Der auffälligste Teil des Prozesses war die Auftragsabwicklung selbst. Die Abarbeitung der Bestellung von Produkt 1 durch Fabrik A, die Auftragsabwicklung und die Beschaffung von Produkt 2 durch Fabrik B sowie die Produktion von Produkt 3 in Fabrik A beschäftigte bis zu 12 Subjekte (3 SAP®-Systeme und 9 Personen) und nahm bis zu 15 Arbeitstage in Anspruch. Außerdem wurden nur 65 % des Produkts 2 pünktlich fertiggestellt, weil die Auftragsabwicklung zu lange dauerte und die Aufträge im Produktionszentrum zu spät eingingen (ca. 95 % aller Aufträge). Dies hatte direkte Auswirkungen auf die Produktion von Produkt 1 und auf die Prozessstabilität. Die Lieferzeiten konnten nur mit viel Aufwand in der Produktion eingehalten werden.

Wir haben uns entschieden, uns auf diesen Materialbeschaffungsprozess zu konzentrieren, da der Prozess selbst relativ zur Komplexität der bereitgestellten Komponenten (Produkt 3) sehr komplex und zeitaufwendig ist. Wir haben den Umfang unserer Prozesserhebung wie folgt definiert:

  • Der Fokus liegt auf den Logistikabteilungen von Fabrik A und Fabrik B. Dazu gehört auch die Produktion von Produkt 3 in der Fabrik A, da diese organisatorisch direkt in die Logistik integriert ist und somit Teil des Prozesses und der Produktion von Produkt 2 in Fabrik B ist.

  • Die Materialbeschaffung in Fabrik A und die tatsächliche Montage von Produkt 1 in Fabrik A sind nicht mehr Teil der Erhebung (siehe Abb. 7.5 für eine Visualisierung des Prozesses und der entsprechenden Produkte).

Validierung des Prozessmodells

Wir untersuchten die relevanten Prozessschritte, indem wir die involvierten Mitarbeiter in Einzelinterviews befragten, die Mitarbeiter während des Prozesses begleiteten, und gleichzeitig für die Interviewpartner sichtbar die Subjektverhaltensdiagramme modellierten. So konnten wir den Prozessverlauf für Produkt 3 (siehe Pfeile in Abb. 7.6) detailliert beschreiben, detaillierte Informationen über das SAP®-ERP-System und die verwendeten Transaktionen dokumentieren und den Interviewpartnern ermöglichen, die Prozessmodellierung direkt zu begleiten und das Modell verifizieren.

Abb. 7.6
figure 6

Kommunikationsstruktur (SID) des Prozesses für die Produktion von Produkt 3

Identifikation von Optimierungspotenzialen auf der Basis des Ist-Modells

Nachdem die SAP®-Transaktionen in dem SID und dem SBD klar beschrieben wurden und einem Dummy-Auftrag durch das System gefolgt wurde, haben wir die verschiedenen Schritte des SAP®-Systems spezifiziert. Dies erlaubte es uns, zwischen automatisierten und manuellen Schritten zu unterscheiden, das überprüfte Prozessmodell zu verifizieren, und die tatsächlichen Prozessdurchlaufzeiten zu dokumentieren. Für das SBD verwendeten wir rechteckige Formen und verschiedene Farben, um die drei Zustände darzustellen; Rot für den Zustand „Senden“, Grün für den Zustand „Empfangen“ und Gelb für den Zustand „Funktion“ (siehe Abb. 7.7).

Abb. 7.7
figure 7

Beispiel für eine Verhaltensbeschreibung eines Mitarbeiters

Abb. 7.7 visualisiert das Prozessverhalten eines Mitarbeiters, der die Bearbeitung von Fertigungsaufträgen in Fabrik B abwickelt. Dieser Mitarbeiter prüft, ob Produktionspläne für geplante Fertigungsaufträge vorliegen. Anschließend werden alle geplanten Produktionsaufträge mit verfügbaren Produktionsplänen nach einem definierten Regelwerk zusammengefasst und zur Produktion freigegeben. Die Mitarbeiter erledigen dies manuell für jeden Produktionsauftrag, bei mehreren tausend Bestellungen pro Tag. Produkt 3 allein verursacht insgesamt eine Arbeitsbelastung von ca. 7 h pro Tag.

Optimierung des Prozessmodells

Der Gesamtaufwand für die gesamte Erhebung, alle Interviews und die Zeit, die für die Vervollständigung und Überprüfung der Prozessmodelle benötigt wurde, betrug ca. 200 geleistete Arbeitsstunden. Dies ist ein relativ geringer Aufwand im Vergleich zu anderen Prozessoptimierungsprojekten angesichts der Komplexität der Prozessmodelle und der untersuchten Tiefe bzw. Details.

Organisatorische Implementierung

Mit dem nun vorhandenen detaillierten Wissen über die involvierten Subjekte haben wir anhand der gesammelten Daten und der im SAP®-System dokumentierten Daten (Bestellzeiten, Lieferzeiten etc.) einen Zeitplan für den Prozess erstellt. Dieser Zeitplan beinhaltet alle Organisations- und Produktionsschritte und deren jeweilige Durchlaufzeiten. Beispielsweise betrug die Durchlaufzeit für eine der Produkt 1-Varianten, von der Bestellannahme in Fabrik B bis zur Lieferung des fertigen Produkts 1 an die Montagelinie in Fabrik A, ungefähr 30 Arbeitstage (vgl. Abb. 7.8).

Abb. 7.8
figure 8

Zeitverbrauch im Ausgangsprozess

Prozessoptimierungen

In Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern wurden die bestehenden Arbeitspläne überarbeitet, aktualisiert und verbessert. Dies führte zu verkürzten Durchlaufzeiten für die Arbeitsschritte sowie zu einer reduzierten Anzahl von Arbeitsschritten durch die Zusammenführung bestehender Schritte. In diesem Fall bedeutet eine reduzierte Anzahl von Arbeitsschritten weniger Subjekte als auch weniger Verhaltenszustände. Während der Analyse haben wir mehrere ähnliche Prozessschritte identifiziert, die in Fabrik A und Fabrik B unterschiedlich durchgeführt wurden. In einer Fabrik wurden notwendige Prozessschritte manuell ausgeführt, jedoch automatisch vom SAP®-System in der anderen Fabrik ausgeführt.

Darüber hinaus wurden vorhandene automatisierte SAP®-Batch-Jobs unterbrochen, da die erforderliche manuelle Eingabe zwischen den Jobs fehlte. Diese Jobs wurden zu zwei definierten Zeiten während des Arbeitstages eingeplant. Wenn zu diesem Zeitpunkt die manuelle Eingabe fehlte, musste die gesamte Bestellung bis zu einem gesamten Arbeitstag warten. Dies konnte bei jeder Bestellung mehrmals für verschiedene Jobs geschehen, was letztendlich zu einer Verzögerung von mehreren Arbeitstagen führen konnte.

IT-Implementierung

Die beschriebenen Subjekte lieferten präzise definierte Prozesse, die alle relevanten Prozessschritte im SAP®-System beschreiben, alle erforderlichen SAP®-Transaktionen, wer diese Transaktionen ausführt, sowie die Interaktionen zwischen System und Mitarbeitern. Aufgrund dieser detaillierten Prozessdokumentation konnte unsere IT-Abteilung das relevante Subjektverhalten direkt implementieren, um neue standardisierte, digitalisierte und automatisierte Prozesse zu erstellen, Prozessschritte zu überarbeiten und den Verarbeitungsplan von bestehenden Batch-Jobs für beide Fabriken zu rationalisieren.

Dies beinhaltete Schritte wie Auftragsannahme, Auftragserfassung, Auftragseröffnung, Auftragsfreigabe in beiden Werken und Lieferung der Fertigungspapiere an die Produktion. Die automatische Bestellabwicklung ermöglichte die auftragsbezogene und zeitnahe Bearbeitung von Produkt 3 in der Fabrik A, was uns wiederum die Einführung von KANBAN-Beständen mit definierten kritischen Teilen, die Reduzierung des Lagerbestands unkritischer Teile, und den Versand von extern gekauften Teilen direkt in die Fertigung ermöglichte.

7.3 Erzielte Ergebnisse

Eines der erreichten Ergebnisse war eine neue Lagerstrategie und eine Neubewertung des Lagerbestandes. Dies ermöglichte, den gesamten Lagerbestand zu überarbeiten und ein KANBAN-System für kritische Teile von Produkt 3 zu implementieren. Der neu geschaffene KANBAN-Bestand und der höhere Wert der betroffenen Teile führten zu einer Steigerung des gebundenen Kapitals um ca. 209 %. Dies hatte jedoch nur minimalen Einfluss auf den bestehenden Lagerwert von insgesamt etwa 10.000 €. Die neue Strategie erhöhte die Verfügbarkeit und reduzierte die Lieferzeiten für alle zugekauften Teile.

Die Unterbrechungen bei der Herstellung von Produkt 2 aufgrund fehlender Teile konnten ursprünglich bis zu 15 Arbeitstage dauern. Nach den Änderungen waren alle benötigten Komponenten innerhalb eines Arbeitstages entweder direkt vor Ort oder über den Sicherheitsbestand beim Lieferanten verfügbar. Damit konnten eine signifikante Verbesserung der Prozessstabilität sowie eine Reduktion des Umlaufbestandes bei einem vergleichsweise geringen Anstieg des Lagerbestands erreicht werden.

Die Wertstromanalyse ist in unserem Unternehmen ein etabliertes Werkzeug zur Analyse von Produktionsprozessen. Obwohl die Literatur [10, 11] und unsere externen Berater oft die Möglichkeit der WSA hervorgehoben haben, nicht nur Materialflüsse, sondern auch Informationsflüsse zu beschreiben, wurden unsere Erwartungen nicht erfüllt, als wir versuchten, dies zu dokumentieren und zu visualisieren. Wenn die meisten relevanten Informationen verfügbar sind, können die administrativen Prozesse und der Informationsfluss mit einem Wertstrommodell beschrieben werden.

Erfahrungen mit Modellierungssprachen

Aufgrund unserer Erfahrungen eignet sich ein WSM jedoch nicht für eine Darstellung des Informationsflusses mit teilweise abstrakten Informationen. S-BPM bot uns eine einfach zu lernende Modellierungsnotation, die dennoch sehr genaue und detaillierte Prozessmodelle liefern kann. Die involvierten Mitarbeiter konnten die S-BPM-Notation selbstständig verstehen, lesen und richtig interpretieren und begannen, ihre eigenen Prozessmodelle (das Subjektverhalten) ohne den Input der Methodenspezialisten zu verifizieren. Dies führte zu einer hohen Akzeptanz der Prozesserhebung und der folgenden Veränderungen im Prozess, da die Mitarbeiter direkt an der Dokumentation und den Optimierungsschritten beteiligt waren.

Betrieb und Monitoring

Die vorgenommene Umstrukturierung und Digitalisierung zuvor manueller Prozessschritte führte zu einem standardisierten Prozess und einer Reduktion der beteiligten Subjekte von 12 auf 8 (siehe Abb. 7.9). Weniger Subjekte bedeuten weniger Schnittstellen im Prozess, was wiederum die Prozesskomplexität reduziert und die Prozessstabilität und -transparenz erhöht. Darüber hinaus wurden die Mitarbeiter von zeitraubenden und sich wiederholenden Aufgaben befreit.

Abb. 7.9
figure 9

Kommunikationsstruktur des aktualisierten Prozesses für Produkt 3

Der erhöhte Digitalisierungsgrad und der neue geplante Ablauf führten zu einer neuen Prozessdurchlaufzeit von 2 Tagen (von ursprünglichen 5–10 Tagen) für die Auftragsabwicklung. Aufgrund des detaillierten und klar definierten Prozesses konnte unsere IT-Abteilung die Prozessänderungen in der bestehenden Systemumgebung innerhalb von nur 3 Arbeitstagen umsetzen. Der Produktions- und Versandprozess für Produkt 3 konnte auf 3 Tage reduziert werden, und zwar von ursprünglichen 5–6 Tagen. Dies bedeutet, dass wir die Gesamtdurchlaufzeit von 11–15 Arbeitstagen von Produkt 3 um 87 % auf 2 Arbeitstage reduzieren konnten. Diese Änderungen führten zu einer erhöhten Liefertermintreue für Produkt 3: Die Liefertreue stieg bereits vier Wochen nach der Umsetzung auf 89 % und nach einem Jahr auf 97 %.

Gemessene Kennzahlen

Der relativ hohe Zeitaufwand für die Auftragsabwicklung für Produkt 3 in der Anfangsphase führte dazu, dass die meisten Aufträge in der Fabrik A zu spät oder sehr kurzfristig ankamen. Die neu geschaffenen automatisierten SAP®-Prozesse führten zu einer schnelleren Bearbeitung von Bestellungen der Fabrik A innerhalb der Abteilungen von Fabrik B. Dies hatte eine kürzere Bestellzeit für Produkt 3 und einen früheren Produktionsstart anderer Komponenten, die für Produkt 2 erforderlich waren, zur Folge. Das Ergebnis war eine Reduktion von anfänglich 95 % der Bestellungen, die zu spät registriert wurden, auf nur 12 %, wodurch wiederum die Prozessstabilität und Prozessqualität stark erhöht wurden und der Bedarf an Fehlersuche in beiden Fabriken reduziert werden konnte. Die Gesamtdurchlaufzeit des Produktions- und Bestellprozesses von Produkt 2 konnte um 7 Arbeitstage (ca. 38 %) verkürzt werden, von 19–23 Tagen auf 12–14 Tage.

Die Umwandlung von manueller Arbeit in automatisierte, digitalisierte Prozesse im SAP®-System führte zu einer reduzierten Arbeitsbelastung der beteiligten Mitarbeiter von 5–6 h auf bis zu einer Stunde pro Tag. Die Mitarbeiter mussten nun die Bestellungen nur mehr für spezielle Komponenten bzw. Sonderfälle, die nicht vom SAP®-System abgedeckt werden konnten, manuell bearbeiten. Die Auswirkungen dieser Änderungen addieren sich zu einer kalkulierten Prozesskostenreduktion von rd. 65.000 € pro Jahr.

Die implementierten Verbesserungen und entsprechende Änderungen auf der Prozessebene reduzierten die Durchlaufzeiten für Produkt 2 und 3 und führten zu einer verkürzten Gesamtdurchlaufzeit für Produkt 1 von 26 bis 33 Arbeitstagen auf 18 bis 20 Arbeitstage. Dies entspricht einer Gesamtreduktion von ungefähr 60 % für den gesamten Bestell- und Produktionsprozess (vgl. Abb. 7.10 und 7.11).

Abb. 7.10
figure 10

Zeitbedarf im ursprünglichen Prozess

Abb. 7.11
figure 11

Zeitbedarf im überarbeiteten Prozess

Abschließende Analyse der erreichten Ergebnisse

Wir konnten nicht nur das gesteckte Ziel einer 30 %igen Durchzeitverkürzung erreichen, sondern konnten diese Reduktion durch Digitalisierung und Automatisierung der Prozessschritte und des entsprechenden Informationsflusses mehr als verdoppeln. Dies führte in weiterer Folge zu einer Reduktion des Umlaufbestandes mit einem Gesamtwert von mehreren hunderttausend Euro über den gesamten Prozess.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, durch die Optimierung und Digitalisierung des Informationsflusses die Durchlaufzeit und die manuelle Arbeitsbelastung deutlich zu reduzieren. Der erhöhte Digitalisierungsgrad und die damit verbundene Prozesstransparenz kann dazu beitragen, weitere Verbesserungen zu erreichen und die Prozesse in zukünftigen Analysen besser zu verstehen [12]. Obwohl die Einführung spezialisierter S-BPM-Tools bewusst vermieden wurde, könnte deren Einführung dank der S-BPM-Methodik die Grundlage für eine noch umfassendere Digitalisierung der bestehenden Prozesse bieten. Die S-BPM-Methode und unterstützende Modellierungswerkzeuge ermöglichen eine direkte Transformation von Prozessmodellen in laufende Prozesse [4]. So könnte der Aufwand für die zukünftige Digitalisierung von Prozessen deutlich reduziert werden.