Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag untersucht, wie Problem bearbeitende Akteur*innen im Feld der pädagogischen Prävention von „demokratiefeindlichem Islamismus“ ihren präventiven Auftrag wahrnehmen und welche Rolle dabei Dramatisierungen und Relativierungen der sozialen Problemgruppe spielen. In der empirischen Analyse wird herausgearbeitet, dass sie in einem Spannungsfeld agieren. Einerseits zeigen sich adoleszenz-, angebots- und religionsbezogen relativierende Deutungen und Bemühungen um Versachlichung und Differenzierung. Gleichzeitig sind die pädagogischen Akteur*innen aber einer Präventionslogik verhaftet, der immer eine gewisse Dramatisierung inhärent ist und die durch die notwendige Eingrenzung von Adressat*innen auch zur (Re-)Produktion von Problemgruppen beiträgt.
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Notes
- 1.
Mit der Kategorie „Islamist*innen“ bezeichnen wir keine natürliche, homogene soziale Gruppe, sondern es handelt sich dabei in unserem Verständnis um eine sowohl konstruierte als auch heterogene soziale Gruppe.
- 2.
Die qualitative Studie untersucht Akteur*innen im Hinwendungsprozess zu islamistischen Milieus und macht deutlich, dass Radikalisierungsprozesse biografische Funktionen haben und als religiös codierte adoleszente Sinnsuche, als wahlverwandschaftlicher Vergemeinschaftung oder als wechselseitige Entfremdung verstanden werden können.
- 3.
Ausgehend von der Norm der gesellschaftlichen Trennung von Religion und Politik vertreten „Islamist*innen“ politische Auffassungen und realisieren Handlungen, „die im Namen des Islam die Errichtung einer allein religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstreben“ (Pfahl-Traughber 2011). Als problematisch wahrgenommen wird daher die Infragestellung der freiheitlich demokratischen Grundordnung, da die Problemgruppe nach Gottessouveränität und nach einer homogenen islamischen Sozialordnung strebt.
- 4.
Auch sozialwissenschaftliche Perspektiven stellen weniger das Problematische an sich heraus. Sie versuchen die Hinwendung zu radikalen Strömungen in ihren Kontexten und Relevanzen zu verstehen. So beschreibt Werner Schiffauer (2000) die Anhänger*innen islamistischer Bewegungen im Kontext individuell erlebter (globaler) Umbrüche und konflikthafter Migrationskonstellationen. Glaser und Frank (i. E.) typisieren – vgl. FN 2 – die individuellen Funktionen, die Hinwendungen für Akteur*innen haben.
- 5.
Hintergrund der Verschiebung sind die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington und die ab 2004 umgesetzten Anschläge in europäischen Städten. In der breiten öffentlichen Wahrnehmung erfolgte ab dem Zeitpunkt eine Thematisierung von „Islamist*innen“ vor allem als „Terrorist*innen“ und als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit. Dies änderte sich teilweise ab 2005, als das Bundesamt für Verfassungsschutz Islamismus als eigenständiges soziales Problem in Deutschland beschrieb und zunehmend analysierte. Ab 2011 wurden (auch) infolge von Ermittlungsverfahren in der Szene Events von Predigern wie Pierre Vogel aber auch die öffentlichkeitswirksamen „Lies!-Aktionen“ als Türöffner in klandestine, sich radikalisierende Netzwerke verstanden. Mit dem Aufkommen des IS in Syrien ab 2014, der Ausreise von „Salafist*innen“ nach Syrien und der Umsetzung von terroristischen Aktivitäten in deren Namen wurden wieder gewaltbefürwortende, terroristische Aspekte bei Beschreibungen der Problemgruppe zentraler.
- 6.
Auch wenn sich hier eine für soziale Probleme typische Popularisierung und Dramatisierung der medialen und politischen Debatten zeigt, so machen die unverändert hohe Emotionalität der Diskussionen und die unterstellten Kompatibilitätsprobleme den spezifischen Kontext der Präventionsarbeit mit dieser sozialen Problemgruppe aus.
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Gerade für politische Akteur*innen sind Präventionsprogramme besonders attraktiv, da sie im Gegensatz zu eher allgemeinen pädagogischen Angeboten versprechen, ein konkretes soziales Problem abzuwenden (vgl. Lüders 2011). Darüber hinaus konstatiert Bröckling für moderne westliche Gesellschaften aus einer kritischen Perspektive eine allgemeine Tendenz, sich an Vorbeugung statt Intervention zu orientieren: „Weil niemand daran zweifelt, dass Vorbeugen besser ist als Heilen, breiten sich präventive Semantiken und Technologien in nahezu alle Lebensbereiche aus“ (Bröckling 2008, S. 40).
- 8.
Das schließt nicht aus, dass derartige Maßnahmen auch präventive Effekte haben können und beispielsweise die Wissensvermittlung zu Theologien und Strömungen im Islam auch jene Unwissenheit beseitigt, die Radikalisierungen begünstigen kann. Aber derartige Maßnahmen sollen nicht nur gegen Radikalisierung wirken, sondern v. a. der allgemeinen Unterstützung von gelingender Sozialisation dienen (vgl. Greuel 2018). Würde man einzig die potenziellen präventiven Wirkungen betrachten, kann alles pädagogische Handeln mögliche präventive Wirkungen entfalten.
- 9.
Seit 2010 stellen verschiedene staatliche Institutionen, u. a. das Bundesfamilienministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, in steigendem Ausmaß finanzielle Mittel für die zivilgesellschaftliche Problembearbeitung zur Verfügung, was zu einer Institutionalisierung des Handlungsfeldes geführt hat (vgl. Schau et al. 2017).
- 10.
Die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit „demokratiefeindlichen Islamismus“ erfolgte in den letzten Jahren im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sehr dynamisch. Während im Jahr 2015 19 Projekte gefördert wurden, waren es Ende 2016 bereits 29 Modellprojekte und sind es Mitte 2018 45 Modellprojekte.
- 11.
Hinzu kommen das Unwissen und die Verunsicherung von Eltern und Lehrkräften, sich mit „dem“ Islam und seinen Binnendifferenzen auseinanderzusetzen. Auch diese Entwicklungen bewerten die befragten Problembearbeitenden als begünstigend für Radikalisierungsprozesse in demokratiefeindliche-islamistische Milieus.
- 12.
Die Analyse der qualitativen Daten zeigt, dass sich die problembearbeitenden Akteur*innen in den Projekten gegen die vorschnelle Einordnung von jungen Menschen anhand einzelner Indikatoren aussprechen. Sie gehen i. d. R. davon aus, dass Radikalisierungsprozesse kontingent und nur multifaktoriell erklärbar sind und es keine abstrakten Indikatoren gibt, sondern eine vertiefte Betrachtung des Einzelfalls notwendig ist. Gleichwohl benennen die meisten von ihnen mögliche Erkennungsmerkmale, die teilweise simplifizierend erscheinen, betonen jedoch, dass es gerade ihre erfahrungsbasierte Erkennungskompetenz brauche, um sie im Einzelfall angemessen abwägen zu können.
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Figlestahler, C., Schau, K. (2019). „Das ist ja noch keine Gefahrenlage, aber dennoch“ – Pädagogische Islamismusprävention im Spannungsfeld von Dramatisierung und Relativierung. In: Negnal, D. (eds) Die Problematisierung sozialer Gruppen in Staat und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22442-4_7
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