Zusammenfassung
Prozesse der Ein- und Ausgrenzung, der Zuschreibung und der Platzierung in pädagogischen Kontexten rücken aktuell verstärkt in den Fokus fachlicher Debatten. Dabei stellt sich u. a. die Frage, wie Professionelle in Herstellungsprozesse von Differenz und sozialer Ungleichheit involviert sind und zu deren Reproduktion beitragen. Einen Zugang zur Untersuchung derartiger Prozesse bieten die gewählten ethnografischen Forschungsstrategien, die Adressierungen von Lehrkräften und Familienhelfer*innen in den jeweiligen pädagogischen Feldern in den Blick nehmen. In diesem Beitrag liegt das Interesse darin zu zeigen, wie Adressierungen vor dem Hintergrund von Differenz- und Machtverhältnissen verstanden werden können. Anhand eines exemplarischen Vergleichs von ethnografischen Protokollauszügen werden Prozesse des un/doing difference in der Schule und der Sozialpädagogischen Familienhilfe analysiert und aufeinander bezogen. Unser Vergleich liefert Aufschluss darüber, wie sich Adressierungen beispielsweise in Form von doing authority und undoing class zeigen und aufeinander bezogen werden können, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Adressierungen im Kontext von Schule bzw. der Sozialpädagogischen Familienhilfe deutlich zu machen.
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Notes
- 1.
Meta-Ethnografie als Methode des Vergleichs bietet eine Möglichkeit, um unterschiedliche ethnografische Forschungsanlagen aufeinander zu beziehen (vgl. bspw. Beach et al. 2013; Fritzsche und Huf 2015; Kakos und Fritzsche 2017). Im vorliegenden Beitrag konzentrieren wir uns auf das konkrete In-Beziehung-Setzen von zwei Protokollausschnitten laufender Forschungsprojekte (vgl. Abschn. 4) und verstehen Vergleichen deswegen vorläufig als situiertes, selektives und exemplarisches Vorgehen (vgl. Abschn. 2). Vergleichen und Vergleich wird dabei weitestgehend synonym verwendet und meint das Ins-Verhältnissetzen der Projekte.
- 2.
Unter ‚Professionellen‘ werden dabei im vorliegenden Beitrag unterrichtende Lehrkräfte und Sozialpädagogische Familienhelfer*innen verstanden. Diese Bezeichnung ist die nötige Abstraktionsebene, um diese hauptberuflichen Akteur*innen in den beiden Feldern in einen Vergleich zu bringen.
- 3.
Budde nennt drei Spielarten des Umgangs mit Kategorien in der Analyse: 1. Ein deduktives Vorgehen mit der Gefahr der Reifizierung und gesellschaftlich-prozessierten Vorstellungen der Kategorien. 2. Die direkte Thematisierung: Die Kategorien werden erst verwendet, wenn sie thematisiert werden und 3. ein induktives Vorgehen, das ‚nur‘ aktualisierte Differenzen in den Blick bekommt, die auch indirekt hergestellt werden können und nicht zwangsläufig als Markierungen sofort erkennbar und sichtbar sind (vgl. Budde 2014, 136 f.). Die im Text vorgestellte Variante soll nicht dazu dienen zu reifizieren, sondern gesellschaftliche Kategorien im Blick zu halten (vgl. auch ebd., S. 146).
- 4.
Aufgrund der forschungspraktischen Ausrichtung unserer Projekte sowie des Forschungsinteresses an ‚Differenz‘, entsteht eine Parallelität von doing ethnography und doing difference, die im Forschungsprozess immer wieder austariert und reflektiert werden muss (vgl. Fritzsche und Tervooren 2012).
- 5.
Auf die Grenzziehungen der Ethnografen wird unter 5. näher eingegangen.
- 6.
Nach Rabenstein et al. ist methodologisch zudem bedeutsam, dass zwischen ‚beobachteten‘ Differenzen und ‚im Feld praktizierten Differenzen’ präzise zu unterscheiden ist (vgl. 2013, S. 674). Gerade durch den Vergleich kann die eigene Involviertheit bei der Herstellung von Differenz in kontrastierender Weise reflektiert werden.
- 7.
- 8.
Transkriptionszeichen: WORT(teil) – Betont; ‚…’ – wörtliches Zitat; (.) – Pause 1 Sek.
- 9.
Referendar*innen lernen im Studienseminar diese Ansprache. Sie werden aufgefordert, diese im Unterricht einzusetzen und beispielsweise in ihren Artikulationsschemata zu berücksichtigen. Diese Ansprache begegnete mir, Florian Weitkämper, sowohl in diversen Schulpraktika als auch während meiner Beobachtungen regelmäßig.
- 10.
Dieser Status ist ein In-Vivo-Code aus diversen Interviews mit den Lehrkräften, die insbesondere Pauls Sozialverhalten loben.
- 11.
Im Rahmen des Artikels bleibt in der Analyse bspw. die Kategorie ‚Geschlecht‘ außen vor. Gleichwohl spielt sie eine wichtige Rolle: Im Sinne eines selbstkritischen Hinweises ist uns aufgefallen, dass wir Szenen mit ‚weiblich‘ sozialisierten Professionellen gewählt haben, die wir beide als ‚männlich’ sozialisierte Forscher interpretieren. In diesem ‚männlichen Sprechen‘ über pädagogische Fachkräfte, die von uns als weiblich wahrgenommen und repräsentiert werden, spiegelt sich ein patriarchales und hegemoniales Geschlechterverhältnis wider, das durch unsere Forschung reproduziert wird. Wir sehen uns deswegen dazu aufgefordert die Bedeutung von ‚Geschlecht‘ im weiteren Verlauf des Vergleichsprozesses stärker in den Blick zu nehmen.
- 12.
Damit alle Schüler*innen der Ordnung des frontalen Unterrichts folgen, ist es nachvollziehbar, dass diese Disziplinierung ausgeführt wird. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das hiermit verbundene Lernen in ‚vorgespielte Aufmerksamkeit und Unterwerfung unter die Bewertungsinstanz‘ eine bildungsrelevante Unterdrückung darstellt. Es ließe sich ebenfalls dafür plädieren, die Ausrichtung primär auf Inhalte zu richten und die Schüler*innen dazu zu befähigen, dies nach und nach selbst einschätzen zu können.
- 13.
Prozesse des doing und undoing sind aus unserer Sicht eng miteinander verstrickt und schwer voneinander zu trennen, wodurch auch andere Lesarten möglich werden. Bspw. kann in unserem Beispiel undoing class durchaus auch als doing class gelesen werden. Dies stellt für uns keinen Widerspruch dar, sondern verdeutlicht vielmehr die Ambivalenz und Kontingenz von Differenzkategorien und -konstruktionen (vgl. auch Hirschauer 2014).
- 14.
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Weitkämper, F., Weidenfelder, T. (2018). Positionierungen miteinander vergleichen – Zur Herstellung von Differenz und sozialer Ungleichheit durch Adressierungen von Professionellen. In: Mai, H., Merl, T., Mohseni, M. (eds) Pädagogik in Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen. Interkulturelle Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21833-1_10
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