Zusammenfassung
Ein Blick in die Geschichte soziologischer Forschung zeigt, dass die Erkundungen sozialer Welten durch teilnehmende Beobachtung, Informantenbefragungen, Dokumentenanalysen und andere ethnographische Verfahren, wie sie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im Kontext der Chicago School entwickelt wurden, auch biographische Dokumente einbezogen hatten. Einige Vertreter wie William I. Thomas, Florian Znaniecki oder Clifford Shaw (1966(1930]) entwickelten in diesem Zusammenhang eine systematische und theoretisch begründete Verwendung (auto-biographischer Materialien, die unter dem Begriff „life history method“ bekannt wurde. Die kritische Evaluation der Nutzung von „personal documents“ in Soziologie, Psychologie und Ethnologie, durch die der Ansatz kurze Zeit später schon wieder in Zweifel gezogen wurde, hat deren Bekanntheitsgrad eher gesteigert (vgl. Paul 1979: 211ff.). Die bis heute als klassische Studie der Biographieforschung anerkannte Arbeit über den „Polish Peasant in Europe and America“ (Thomas/Znaniecki 1958) ist ein Beispiel für eine multimethodische soziologische Analyse. Sie bezieht umfangreiches Briefmaterial aus Einwandererfamilien ebenso ein wie Leserbriefe, Akten von Gerichten, Sozialbehörden und Migrantenorganisationen und schließlich auch die durch die Forscher initiierte schriftliche Autobiographie eines polnischen Einwanderers.
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Literatur
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Dausien, B., Kelle, H. (2005). Biographie und kulturelle Praxis. Methodologische Überlegungen zur Verknüpfung von Ethnographie und Biographieforschung. In: Völter, B., Dausien, B., Lutz, H., Rosenthal, G. (eds) Biographieforschung im Diskurs. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09432-6_10
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-14241-8
Online ISBN: 978-3-663-09432-6
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