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Kapitulation? Re-Aktionen des Mediennutzers auf die (Um-)Nutzung medientechnologischer Entwicklungen durch seine (vermeintlichen) Gegenspieler

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De-Mediatisierung

Part of the book series: Medien • Kultur • Kommunikation ((MKK))

Zusammenfassung

Der Beitrag setzt an zwei Alltagsbegebenheiten an, die dem Autor im Zuge seiner eigenen Mediennutzung widerfahren sind. Diese beiden Erfahrungen werden (aus subjektiver Perspektive) zu einer Handlungsablaufstypologie im Sinne Schütz’ verarbeitet. In dieser werden Formen der Mediennutzung idealtypisch dargestellt. Unterschieden werden innovative, affine, ignorante, konservative und reaktionäre Mediennutzer von deren Gegenspielern: den Mediennutzungsopportunisten, den Mediennutzungsparasiten und den Mediennutzungsterroristen. Affine Mediennutzer, Mediennutzungsopportunisten und Mediennutzungsparasiten werden im Beitrag als Mediennutzungsstabilisatoren charakterisiert. Konservative und ignorante Mediennutzer werden als Medienentwicklungsentschleuniger herausgestellt, die tendenziell zu De-Mediatisierungseffekten führen. Als De-Mediatisierungsakteure im engeren Sinne erscheinen allerdings nur reaktionäre Mediennutzer – also jene, die bereits Medien aktiv genutzt haben, sich aber aufgrund gewisser Erfahrungen, zurückziehen und ihre Mediennutzungsaktivitäten wieder aufgeben. Im Beitrag wird auf Basis dieser Typologie resümiert, was solche de-mediatisierenden Handlungen (im Sinne von Rückzugshandlungen) für den Metaprozess der Mediatisierung bedeuten können.

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Notes

  1. 1.

    Da man „Lebenswelt“ ausschließlich vom konkreten subjektiven Bewusstsein ausgehend beschreiben kann, präsentiert dieser Text eine vorphänomenologische Studie zur Analyse eines medienhandlungsbezogenen Ausschnitts meiner Lebenswelt. Er repräsentiert damit einmal mehr den Versuch, eidetische Beschreibungen (wieder) in den Kanon interpretativer Sozialforschung einzubringen. Denn Lebensweltanalyse setzt unabdingbar an beim Erleben und bei den Erfahrungen des forschenden Subjekts und ‚reinigt‘ sie im eidetischen Vollzug von idiosynkratischen ‚Anhaftungen‘. D. h., die subjektiven An-Sichten des Forschers werden in Relation gesetzt zu anderen im Feld und außerhalb des Feldes vorfindlichen An-Sichten und so lange reflektiert, bis sie als tatsächlich gehabte Ein-Sichten evident sind. Generiert wird dergestalt ein abstrakter Idealtypus subjektiv gemeinten Handlungssinns, der dazu dient, den Sinn und die Bedeutung dessen, was andere tun, für die wir uns interessieren, (typisch) zu verstehen (vgl. z. B. Hitzler 2005; Hitzler und Eisewicht 2016).

  2. 2.

    Die Idee der De-Mediatisierung macht m. E. vor allem dann Sinn, wenn Akteure ihre Nutzung von Kommunikationstechnologien oder ihre Teilhabe an durch Kommunikationstechnologien veränderten oder überhaupt erst ermöglichten Sozialbeziehungen ‚rückbauen‘. Ich vermute, dass die Neigung zum Rückbau grosso modo negativ korreliert mit etwelchen Kompetenzen zur Aneignung und bei der Nutzung dieser Technologien. Bei der Idee der reflexiven Mediatisierung geht es handlungstheoretisch hingegen zunächst einmal um Fragen wie die, ob die Nutzung von Online-Medien soziale Aktivitäten (eher) intensiviert, (eher) unterminiert, (eher) fokussiert oder (eher) diffundiert, usw.

  3. 3.

    Durch seine Ausdehnung bzw. seine Verlagerung ins Internet hat Pokern sich gravierend verändert: Aus einem eher behäbigen Spiel, das entweder in Casinos oder am heimischen Wohnzimmertisch nur von Angesicht zu Angesicht gespielt werden konnte, hat sich im Zuge seiner primären Mediatisierung ein rasantes, jederzeit und von jedem Internetanschluss aus erreichbares Freizeit-Vergnügen entwickelt (vgl. Hitzler und Möll 2012).

  4. 4.

    Freizeitgambler, die nur zu ihrem Vergnügen spielen (wollen) und nicht geneigt sind, sich mit den Raffinessen und Fallstricken, mit statistischen Berechnungen und psychologischen Analysen des Pokerns intensiv auseinanderzusetzen, gelten als chronische Verlierer. Im ‚Pokersprech‘ werden solche Leute als „Idioten“ oder etwas weniger drastisch eben als „Fische“ bezeichnet. Traditionell gejagt und gefressen werden diese „Fische“ von den „Haien“, von jenen Kontrahenten an den Pokertischen also, die eben nicht nur die schlichten Spielregeln beherrschen, sondern die die einschlägig relevanten Sonderwissensbestände auch in ihren weniger allgemein zugänglichen Dimensionen tatsächlich kennen, sie anwenden können und sie zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen verstehen.

  5. 5.

    Die Datenspuren, die jeder Online-Spieler während des Spiels produziert, bilden beim Online-Poker die entscheidende Grundlage für die Nutzung legaler ebenso wie illegaler Analysetechniken. Illegal ist z. B. der Kauf und die Nutzung von Handhistories zu Spielen, an denen ein Spieler nicht selber beteiligt war. Diese Handhistories werden eben illegal von Firmen angeboten, die auf den Pokerplattformen im großen Stil ‚data mining‘ betreiben. Genutzt werden dabei die erwähnten Datenspuren der Pokerspieler. D. h., die beim Spiel anfallenden Daten werden aufgezeichnet, gebündelt und als ‚Paket‘ einer Vielzahl von Handhistories ‚jedermann‘ zum Kauf angeboten. Bei dieser Datenaufrüstung geht es um die Identifikation von Schwachstellen bei den Gegenspielern und letztlich um die Jagd nach und um das Aufspüren von schwachen Spielern, denn die Programme liefern bestimmte Kennwerte zum Setzverhalten der Gegner. Der ‚eingeweihte‘ und mit den Bedeutungen der Kennzahlen vertraute Spieler (Experte) kann aus diesen Informationen Rückschlüsse auf die vermutlich von seinen Gegnern gehaltenen Karten ziehen. Illegal sind auch avancierte softwaregestützte Analysetools, die dem Nutzer Handlungsvorschläge unterbreiten. Und illegal sind selbstverständlich auch sogenannte Bots, das heißt Computerprogramme, die mit Hilfe von Entscheidungsalgorithmen anstelle eines ‚realen‘, D. h. hier: menschlichen Spielers ‚selbstständig‘ online pokern.

  6. 6.

    Die Mediatisierung des Pokerns erweist sich als „reflexiv“ (vgl. Möll 2014b, 2015). Das heißt zum einen, Mediatisierung ist von einem Treiber des Pokers und Online-Pokers zu einem Risiko bzw. zu einem potenziellen Zerstörer dieser Spielwelt geworden. Wir haben es dabei also mit einer unbeabsichtigten Nebenfolge der Mediatisierung zu tun. Zum anderen eröffnen sich im Zuge der Mediatisierung des Pokers Möglichkeiten der Dauerbeobachtung und Vermessung – nicht nur für die Plattformbetreiber, sondern auch für die Spieler: Dauerbeobachtung und Vermessung von sich selber ebenso wie von Anderen. Seit die Vermessungsdaten des Spielerverhaltens aber nicht mehr nur einzelnen Spielern und Betreibern zugänglich sind, zeigen sich kaum übersehbar auch die destruktiven Folgen dieser Vermessung. Das heißt: die Mediatisierung der Pokerwelt unterminiert inzwischen unübersehbar die Erfolgsgrundlagen des Online-Pokerns.

  7. 7.

    Ein solches Modell bietet im Rahmen soziologisch relevanter handlungs- bzw. genauer: verhaltenstheoretischer Ansätze bekanntlich ja die „Subjective Expected Utility Theory“ (SEU). Diese Theorie subjektiver Nutzenerwartung, besagt, dass Akteure aus einer Menge von Handlungsalternativen diejenige auswählen, die ihnen in einer gegebenen Situation subjektiv am ehesten ein bestimmtes Ziel zu realisieren verspricht (vgl. Esser 1989). Die (Aus-)Wahl einer bestimmten Handlung aus einem (subjektiv wie auch immer gegebenen bzw. zuhandenen) Set möglicher Handlungsalternativen erfolgt dabei in drei Schritten: Zunächst wird die jeweilige Situation kognitiv erfasst, dann legt der Akteur den von ihm subjektiv erwarteten Nutzen der verschiedenen Handlungsergebnisse fest, und schließlich wählt er diejenige Handlungsalternative aus, die für ihn den höchsten subjektiv erwarteten Nutzen besitzt. Diese Entscheidungen werden allerdings eher selten wohlbedacht erwogen. Vielmehr resultieren sie in weiten Teilen aus über Habitualisierungen entwickelten Gewohnheiten des Tuns und Lassens (vgl. Esser 1990). Weil sie aber die (normalerweise hohen) Kosten der Informationsbeschaffung und Entscheidungsfindung deutlich senken, sind Gewohnheiten und Routinen im Sinne des SEU-Ansatzes ebenfalls ‚rationale‘ Handlungsstrategien. Deswegen werden sie meist auch dann noch beibehalten, wenn ihr Nutzen sich verringert oder die mit ihnen verbundenen Kosten sich erhöhen. In der Regel werden sie nur dann aufgegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit, eine alternative und hoch bewertete Handlungsalternative zu finden, als (sehr) hoch und/oder die zur Entscheidungsfindung notwendigen Kosten als (sehr) niedrig eingeschätzt werden (zur Kritik daran vgl. z. B. Srubar 1992; Eberle 2000, S. 178–221; Soeffner 2009).

  8. 8.

    Wenn im Folgenden von „Akteuren“ die Rede ist, dann dient das der Pointierung unterschiedlicher (Re-)Aktionsformen im Zusammenhang mit medientechnologischen Entwicklungen. Tatsächlich geht es mir nicht etwa um Personaltypen, sondern um Handlungsablauftypen im Sinne von Schütz (2010).

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Hitzler, R. (2017). Kapitulation? Re-Aktionen des Mediennutzers auf die (Um-)Nutzung medientechnologischer Entwicklungen durch seine (vermeintlichen) Gegenspieler. In: Pfadenhauer, M., Grenz, T. (eds) De-Mediatisierung. Medien • Kultur • Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14666-5_10

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