Design und Designausbildung sind heute gegensätzlichen Herausforderungen ausgesetzt. Auf der einen Seite steht die herstellende und vertreibende Industrie mit ihren politischen Lobbies. Auf der anderen Seite stehen kulturelle und soziale Bedürfnisse und Möglichkeiten der Menschen. In ihrem instruktiven Buch über Stationen und Methoden der Designausbildung in Deutschland plädieren Kai Buchholz und Justus Theinert dafür, dass praktisch-kritische Vernunft die Ziele in der Designausbildung vorgeben sollte, nicht Industrie und Handel. Denn sowohl beim Entwerfen als auch beim Philosophieren gehe es am Ende immer um dasselbe, nämlich „um gelungenes Leben“ (Buchholz und Theinert 2007, S. 280).

Das sehe ich auch so; doch ich würde hier die grammatische Form des Partizip I vorziehen. Im ethischen Zusammenhang kommt es weniger auf den Rückblick an als vielmehr auf Gegenwart und mögliche Zukunft. Daher spreche ich nicht vom gelungenen, sondern vom „gelingenden“ Leben. Gelingendes Leben ist selbstbestimmtes Handeln mit anderen in Freiheit. Dafür ist, so der Philosoph Martin Seel (1994), eine Reihe von elementaren Faktoren unerlässlich. Da ist zunächst der Raum zur Selbstverwirklichung durch das Erreichen vernünftig begründbarer Ziele. Dazu gehören weiterhin gelingende Kommunikation und Interaktion, sinnvolle und nicht fremdbestimmte Arbeit sowie Freiräume zum Spielen. Und, nicht zuletzt, Denk-Räume für zweckfreie Betrachtung, also für Kontemplation. Das sind keine hinreichenden, aber allemal notwendige Bedingungen für ein gelingendes Leben.

Als Gegenbegriff zum gelingenden Leben würde ich vom „funktionierenden“ Leben sprechen. Ob wir als Einzelne unser Leben als gelingend empfinden, spielt im Blick auf das gesellschaftliche Ganze bislang keine primäre Rolle. Wir kommen insoweit in Betracht, wie wir funktionieren: als Werktätige, als Familienmitglieder und als Teile einer Kommunikations- und Arbeitsgemeinschaft. Doch ist diese Gemeinschaft überhaupt eine? Sie besteht ja in der Summe aus Konkurrenten, die ständig gegeneinander antreten müssen. Das „Gelingen“ des Ganzen ist ein anderes „Gelingen“ als das erwünschte unseres Leben. Es besteht im Funktionieren eines Systems, in dem wiederum auch die Subsysteme funktionieren. Zwischen dem funktionalen Gelingen der Totalität, von der jeder abhängig ist, und dem Gelingen des eigenen Lebens herrscht für den einzelnen Menschen eine Diskrepanz.

Der Philosoph Adorno (1951, S. 42), Freund des Architekten und Designers Kramer, hat im nordamerikanischen Exil unter anderem auch darüber nachgedacht, ob es gegenwärtig überhaupt noch die „Möglichkeit des Wohnens“ gibt. Adorno hat nicht in Hotels gelebt wie sein Zeitgenosse, der existenzialistische Philosoph Jean Paul Sartre, der mit der Vorstellung des Privatlebens radikal brechen wollte. Aber er hat seine Privatsphäre auch nicht repräsentativ oder lifestylish inszeniert. Seine Altbauwohnung im Frankfurter Westend war ästhetisch sparsam, sachlich und schmucklos eingerichtet. Die einzige Ausnahme: ein häufig bespielter Flügel, der sich inmitten der asketisch kargen Wohnlandschaft wie eine Skulptur ausnahm, wie ein Sinnbild der Welt musikalischer Erfahrung, der Adorno als Musikphilosoph und Komponist verpflichtet war.

Seiner Ansicht nach gibt es heute aber kein unbeschädigtes Privatleben mehr. Die Sozialutopien der gestalterischen Avantgarden in Ost und West scheiterten, von heute aus betrachtet, aus zwei Gründen: Der „Kasernensozialismus“ (Kurz 1991) des Ostens hatte die Einheit von Leben und Arbeit als gigantisches Arbeitslager verwirklicht. Im Westen war die Geschäftsgrundlage der kapitalistischen Gesellschaft, das Privateigentum an den Produktionsmitteln, nie ernsthaft angetastet worden. Daher, so Adorno, seien dort letztlich auch die Versuche gescheitert, das Alltagsleben zu reformieren.

Ein ästhetisch gestaltetes Leben war für Adorno, wenn überhaupt, nur in einer befreiten Gesellschaft denkbar. Weil die soziale Revolution versäumt worden sei, könne man eigentlich „überhaupt nicht mehr wohnen“; die nationalsozialistischen „Arbeits- und Konzentrationslager“ und die „Zerstörungen der europäischen Städte“ durch Bombardements beförderten auf grauenvolle Weise die Tendenz zur technisch-wissenschaftlichen Effizienz-Optimierung der kapitalistischen Warenproduktion (Adorno 1951, S. 42). Für die Menschen in den entwickelten Industriestaaten ergebe sich daraus eine verzwickte Lage. Falsch sei es, sich an das Privateigentum zu klammern und sein Leben nach ästhetischen Kriterien zu gestalten. Aber falsch sei es auch, gleichgültig in Fragen der ästhetischen Lebensgestaltung zu sein. Es bleibe nichts anderes übrig, als sein Privatleben zu „führen, solange die Gesellschaftsordnung und die eigenen Bedürfnisse es nicht anders dulden“, man solle es aber es nicht so „belasten, als wäre es noch […] gesellschaftlich substantiell und individuell angemessen“ (S. 43).

Adorno hat als Schlussfolgerung aus dieser Antinomie des Wohnens den berühmten Satz formuliert: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ (Ebd.) Was soll das bedeuten? Dazu müssen wir etwas weiter ausholen und den ethischen Zusammenhang erläutern, in den der Satz alsbald, und zu Recht, gestellt worden ist.

Als Adorno nach seiner Rückkehr aus der Emigration in Frankfurt eine Vorlesung über „Probleme der Moralphilosophie“ hielt, merkte er an, dass sich die Studierenden vermutlich wundern, wenn der Autor des ominösen Satzes „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ ein ganzes Semester lang ethische Fragen behandelt. Wozu die Mühe, wenn’s doch nicht gelingen kann? Am Ende der Vorlesung verkündete Adorno, er habe zwar keine ethische Lebenshilfe anzubieten, aber er könne sein eigenes Modell vorstellen. Wie soll der Einzelne heute noch glücklich und zugleich verantwortungsbewusst leben? Wenn das Leben im Ganzen ungerecht eingerichtet ist, gibt es auch kein moralisch gerechtfertigtes Leben für einzelne. Denn die meisten haben ja gar keine Chance, ihr Leben gelingen zu lassen. Aber daraus folgt nicht, dass moralische Normen nicht wichtig wären. Adorno empfahl, „in den engsten Beziehungen der Menschen so etwas wie Modelle eines richtigen Lebens zu erstellen“ (Adorno 1956/1957, zit. nach Schweppenhäuser 2016, S. 208). Er schlug vor, man sollte ein „stellvertretendes Leben“ führen (ebd). Was sollte das heißen? Vor allem dies: Im eigenen Leben eine Freiheit antizipieren, die es so noch gar nicht gibt. Soweit wie möglich so miteinander umgehen, „wie man […] sich vorstellen könnte, daß das Leben von befreiten, friedlichen und miteinander solidarischen Menschen beschaffen sein müßte“ (ebd.).

Das „stellvertretende Leben“ ist also kein „gelingendes“, sondern ein prekäres Leben voller Widersprüche. Es ist „zum Scheitern und zum Widerspruch verurteilt, aber es bleibt nichts anderes übrig, als diesen Widerspruch bis zum bitteren Ende durchzumachen. Die wichtigste Form, die das heute hat, ist der Widerstand.“ (Ebd., S. 220) Er ist die Voraussetzung dafür, „humane Zellen im inhumanen Allgemeinen zu bilden“. So hat Adorno (1951, S. 33) in seinem Hauptwerk, der Aphorismensammlung Minima Moralia, das ‚Modell eines richtigen Lebens‘ umschrieben.

Zurück in die Gegenwart. – Ich stimme dem Philosophen und Designwissenschaftler Kai Buchholz zu, wenn er feststellt, „dass sich die wesentliche kulturelle Aufgabe des Designs seit 1850 nicht geändert hat. Nach wie vor geht es darum, unter den Bedingungen der technischen Zivilisation eine humane Lebenswelt zu gestalten.“ (Buchholz 2012, S. 205) Und dafür, so lautet meine These, brauchen wir heute ein stellvertretendes Design.

So etwas gibt es auch schon in einzelnen Ansätzen. Design, sagt zum Beispiel der Sozialpsychologe Harald Welzer (2012a), sollte heute nicht mehr die „Formensprache der Konsumwirtschaft“ sein. Dagegen empfiehlt er „Transformationsdesign“. Das erinnert auf den ersten Blick an die Lesart von Beat Schneider (2005, S. 196), der den Transformationsakt als wesentliches Merkmal des Entwerfens überhaupt versteht: „Design ist Transformation. Design verhilft Gegenständen und Bildern zu nachhaltiger Wirkung auf die RezipientInnen.“ Doch das ist für Welzer nicht der springende Punkt. Es geht ihm um eine Umformung in einem speziellen ökologischen Sinne: weniger von allem herstellen, sich bei der Produktion und beim Konsum beschränken, Rohstoffe und Produkte in eine vernünftige, also ökologisch vertretbare und sozial gerechte Relation bringen. Das ist ähnlich gedacht wie Latours antimodernistisches credo, es sei heute für das Weiterleben der Menschheit wichtig, von „Design zu sprechen und nicht von Konstruktion, Schöpfung oder Herstellung“ (Latour 2009, S. 369). „Transformationsdesign“ knüpft also an den Nachhaltigkeits-Diskurs an. Welzer (2012a, S. 11) sieht die Aufgabe des Designs darin, nicht mehr „unablässig zusätzliche Dinge in die Welt zu bringen, die man nicht braucht, sondern die, die man nicht braucht, aus der Welt zu schaffen“. Aber dabei geht es nicht bloß um Recycling, sondern schon auch um Innovation. Welzer (2012b) möchte „konkrete Wege für veränderte Mobilitätsformen, Wirtschaftsformen, Ernährung, Konsum […] untersuchen“. Designer sollten „nicht eine coole Flasche für ein Mineralwasser aus Fidschi […] entwerfen, sondern den Hinweis auf den nächsten Wasserhahn.“ (Welzer 2012a, S. 11). Der funktionalistische Gedanke less is more kehrt in ökologischen Krisenzeiten zurück: „Die reduktive Moderne“ erfordert demnach heute „ein transformatives Design“, das sich „nicht auf das Auffüllen, sondern auf das Wiederentleeren der Welt richten“ soll (Sommer u. Welzer 2014, S. 140). Und dazu würde auch „eine De-Ökonomisierung des öffentlichen Raums“ (141) gehören.

Bazon Brock (2008, S. 278) argumentiert mit Blick auf den Zusammenhang von Kreation und Destruktion als Motor der produktivistischen Betriebsamkeit unserer Zeit: „Es ist den Dingen anzusehen, daß ihr Gebrauch zur Zerstörung führen wird; alles ist gemacht, damit es verbraucht werde, denn erst im Vergehen zeigt das Ding seinen Wert an.“ Spätestens, wenn aus dem „Verenden der Dinge im Müll“ (ebd.) dann wiederum Neues entsteht, wird erkennbar: Dem Produktdesign ist objektiv die Intention eingeschrieben, Umwandlungs-Gestalten auf dem Stoffwechselweg zur Müllkippe zu erschaffen. Alles dreht sich darum, dass der warenförmige Metabolismus aufrechterhalten bleibt. Mit Brocks Worten: „Die Industrie berücksichtigt beim Entwurf der neuen Produkte bereits deren Bestimmung zum Recycling.“ (S. 244)

Stellvertretendes Design hat die Paradoxie von Produktivismus und Konsumismus der Moderne zu reflektieren – man könnte auch sagen, ihr Wachstumsparadox. Aber es darf deshalb nicht hinter die Errungenschaften der Moderne zurückfallen. Das Konzept „Emanzipation“ ist nicht durch die Konzepte „Bindung, Zuwendung, Verwicklung, Abhängigkeit und Fürsorge“ zu ersetzen, wie Latour (2009, S. 357) nahelegt, sondern dadurch zu ergänzen. Stellvertretendes Design muss auch stellvertretend für das Interesse an einem freien, vernunftbestimmten und ästhetisch erfüllten Leben stehen. Es muss also auch das bis heute uneingelöste Versprechen der Designmoderne repräsentieren. Der Gedanke der Innovation, der von der Postmoderne als gewalttätig und totalitär denunziert wurde, ist zu rehabilitieren. Denn eine wahrhafte Neugestaltung unserer Lebensverhältnisse, die sich primär und substanziell an den vitalen Bedürfnissen der Menschen orientiert, steht nach wie vor aus.

Wenn ich die Maximen des „stellvertretenden Designs“ in allgemeiner Form zu formulieren hätte, würden sie wie folgt lauten. Man sollte

… so entwerfen, als ob Verwertungszwänge sowie Markt- und Image-Tauglichkeit des Produkts nicht das Primäre wären, sondern der (womöglich) lebenslange Gebrauchswert für die Nutzer.

… so entwerfen, als ob der Individualkonsum nicht der entscheidende wirtschaftliche Faktor wäre, sondern eine tendenziell kollektive Aneignung (also Produkte gestalten, die in verschiedenen Kontexten und für verschiedene Benutzer sinnvoll und erfreulich wirksam werden können).

… so entwerfen, als ob der Imperativ, Aufmerksamkeit zu erregen und wahrgenommen zu werden, nicht die alleinige Existenzberechtigung für Beiträge zur öffentlichen Kommunikation wäre.

… so entwerfen, als ob die Beziehungen der Menschen nicht bis ins Innerste von der Warenform und vom Tauschverhältnis modelliert wären.

… so entwerfen, als ob das Ziel jeder Kommunikation die Orientierung auf einvernehmliche Verständigung und solidarisches Handeln wäre (und nicht die strategische Bearbeitung von „Zielgruppen“ in „Kampagnen“).

… so entwerfen, als ob jeder Mensch niemals nur Mittel für die Ziele der Gestalter und seiner Auftraggeber wäre, sondern jederzeit zugleich Zweck an sich selbst.

Design will und soll Gebrauchswerte maximieren. Die Welt kann durch den Entwurf von Dingen, Beziehungen und Lebensformen nutzerfreundlicher werden: bequemer, praktischer, besser und schöner. Im sozioökonomischen Rahmen, in dem Design entstanden ist und bis heute steht, scheint das bis auf weiteres aber nur möglich zu sein, indem Design den Tauschwert von Dingen und Menschen maximiert. Es inszeniert den Warencharakter der Dinge des Lebens, der Beziehungen und der Lebensformen – vom Gebrauchsgegenstand in Arbeit und Freizeit über Transportmittel und Medienträger bis hin zu Formen und Inhalten der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Häufig gelingt es jedoch nicht, Gebrauchswert über Tauschwertmaximierung zu vergrößern; der Tauschwert wird zum Selbstzweck. Als uneingelöstes Versprechen gemahnt die konkrete Utopie des Designs der Moderne an ihre mögliche Verwirklichung. Wir sollten sie nicht vorschnell entsorgen. Einstweilen sollte „stellvertretendes Design“ den Vorschein einer Lebensform entwerfen, in der Menschen, Natur und Objektwelt vernünftig, selbstbestimmt, solidarisch und ästhetisch existieren könnten – also in größtmöglicher Freiheit.