Zusammenfassung
Die Grundthese dieses Beitrags hebt darauf ab, dass Formen von Privatheit nicht von ihrem medialen Substrat zu trennen sind. Methodisch strebt dieser Beitrag deshalb einen Vergleich der Schreibpraktiken auf Facebook mit denen des bürgerlichen Briefwechsels der Empfindsamkeit an, um (Dis-)Kontinuitäten der Privatheit sichtbar zu machen. Der kommunikative Stil des Briefs der Empfindsamkeit entschlüsselt sich nach einem Code der Wärme, der authentische Verbundenheit inszenierte, um Distanzen zu überbrücken. Der kommunikative Stil auf Facebook, so legen es die empirischen Ergebnisse des DFG-Forschungsprojekts „Öffentlichkeit und Privatheit 2.0“ nahe, folgt hingegen einem Code der Kälte, der seine eigene Artifizialität ausstellt, um Privatheit zu inszenieren. Dazu werden von den Usern gekonnt Distanzen in die Kommunikation eingebaut, um private Nähe zu erzeugen. Gerade die spezifische Medialität der Sozialen Netzwerke (SNS) erzeugt dabei Formen einer „erkalteten Privatheit“. Privatheit wird also in den Netzwerken nicht einfach aufgelöst, wie viele Internetkritiker unterstellen, sondern den veränderten technischen und medialen Gegebenheiten der Plattformen angepasst und anders codiert. Vor dem Hintergrund des Imperativs der Vernetzung üben wir heute auf Facebook auch Verhaltenslehren der Kälte ein.
Upon digital terms the historical coupling between the distinctions public/private and the metaphor of coolness/warmth intersect. The media transforms a style of communication that operates within codes of authenticity and affectivity. Within the empirical results of the DFG-project ‘Öffentlichkeit und Privatheit 2.0’ we find rather cold intimacies of strange friends on Plattform. Within the literal culture of Sentimentalism (Empfindsamkeit) letters were written as emotional outpourings between fellow feeling friends. The networked digital friend has to perform his online intimacies while excluding unspecific other addresses within the network. Therefore practices of distance and irony, cool distinctions and cryptic maneuvers of exclusion become functional. Against the backdrop of the imperative of connection the users practice a cool conduct and a culture of distance on Facebook.
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Notes
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Die Projektarbeiten erfolgen seit April 2014 in Kooperation der Universitäten Hamburg (UHH; Prof. Martin Stempfhuber; STE 2244/2–1) und Mainz (JGU, Jun.-Prof. Elke Wagner; WA3374/2–1).
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Wenn ich jedoch nachfolgend selbst die Kältemetapher bemühe, meine ich damit gerade nicht diese Form „sozialer Kälte“, die Adorno noch als Kritik einer verwalteten und entfremdeten Welt im Blick hatte (vgl. Adorno 1971). Vielmehr will ich sie lediglich als eine medientheoretische Heuristik nutzen (vgl. McLuhan 1964). Hier soll gewissermaßen mit kaltem medientheoretischen Blick auf die technischen Dispositive der Privatheit und deren Kulturtechniken geschaut werden. Um Techniken und deren Modulationen sozio-kultureller Prozesse systematisieren zu können, führt Marshall McLuhan die Unterscheidung zwischen heißen und kalten Medien ein. McLuhans Unterscheidung wurde vielfach für ihre Unschärfe kritisiert (vgl. Sandbothe 1996). Entscheidend für ihn ist jedoch, dass nicht jeweils Medien an sich kalt oder heiß sind, sondern sie sind es nur jeweils im direkten Vergleich mit anderen Medien. Und gerade nur als Vergleichsheuristik zwischen einem literalen und einem digitalen Medium soll sich die Unterscheidung heiß/kalt hier bewähren.
- 3.
Eine letzte Vorbemerkung: Diese Formen kalter Privatheit sollen auch nicht zu einer globalen Zeitdiagnose aufgebaut werden. Private Kommunikation kennt in der modernen Gesellschaft tatsächlich unzählige Kontexte, in denen sie geradezu „heiß läuft“. Vor allem im Hinblick auf höherstufige und interaktionsbasierte Formen von Privatheit oder gar Intimsysteme scheint eine „warme“ Kommunikation aufrichtiger Innerlichkeit geradezu unvermeidlich. Die Kommunikationsform einer kalten Privatheit stellt vielmehr in einem funktionalistischen Sinne auf das medial erzeugte Problem von Nähe und Distanz in sozialen Netzwerken ab.
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Barth, N. (2019). Verhaltenslehren der Kälte – private Kommunikation auf Facebook. In: Stempfhuber, M., Wagner, E. (eds) Praktiken der Überwachten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11719-1_7
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