Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die politische Repräsentation von Armut in den politischen Parteien Deutschlands. Grundlage ist ein armutspolitisch aktualisiertes Modell parteipolitischer Konfliktlinien. Für die Repräsentation von Armut ist neben der sozio-ökonomischen (Markt versus Staatsinterventionismus) auch die sozio-kulturelle Dimension von Bedeutung (Meritokratie versus Egalitarismus). Das Modell zeigt insbesondere die Relationierung der Parteien in ihrer armutspolitischen Positionierung zueinander auf.
Der Beitrag weist nach, dass nicht erst seit den Debatten um Hartz IV Armut eine Rolle in der bundespolitischen Arena spielte – auch weil sie von allen Parteien als Oppositionsthema interpretiert wird. Auf phänomenologischer Ebene zeigt sich, dass Maßnahmen gegen Armut, Formen, Ursachen und Wertvorstellungen im Parteiensystem ausdifferenziert und wandlungsfähig sind. Es lässt sich festhalten, dass die FDP Armut vorrangig als materielle Not, die SPD als multidimensionale Lebenslagen und Linke sowie Grüne sie als Ergebnis gesellschaftlicher Exklusion verstehen. Auf der linken Seite der armutspolitischen Konfliktmatrix wird die umfassende soziale Sicherung als Menschenrecht betont, zunächst durch die Grünen, später durch die Linkspartei. Auf der rechten Seite ist die Inklusion in den Arbeitsmarkt und eine an meritokratische Leitbilder geknüpfte Armutsdefinition im Zentrum, vertreten durch die FDP. Die Großparteien CDU und SPD sind in Mittelpositionen zu verorten, welche Armut als Appendix sozialpolitischer Fragen begreifen und Inklusion in die Sozialsysteme präferieren. Insgesamt kann, jedenfalls aus Sicht der programmatischen Analyse, Armut nicht mehr als randständiges Thema des politischen Wettbewerbs betrachtet werden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Similar content being viewed by others
Literatur
Achinger, Hans. 1958. Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik. Von der Arbeiterfrage zum Wohlfahrtsstaat. Hamburg: Rowohlt.
Andreß, Hans-Jürgen. 1995. Armut im vereinten Deutschland. Soziologische Revue, 18 (2), 187-196.
Balsen, Werner, Hans Nakielski und Karl Rössel. 1984. Die neue Armut. Ausgrenzung von Arbeitslosen aus der Arbeitslosenunterstützung. Köln: Bund-Verlag.
Beck, Ulrich. 1986. Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Bértoa, Fernando Casal. 2014. Party Systems and cleavage structures revisited. A sociological explanation of party system institutionalization in East Central Europe. Party Politics, 20 (1), 16-36.
Bianchi, Matthias und Karl-Rudolf Korte. 2013. Die Wahlkommunikation zur Bundestagswahl 2013. Perspektiven der Parteien- und Mediendemokratie. In Die Bundestagswahl 2013. Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung, hrsg. Karl-Rudolf Korte, 293-315. Wiesbaden: Springer VS.
Biehl, Heiko. 2009. Soziale Entwurzelung und Repräsentationsverlust der Parteien. In Zukunft der Mitgliederpartei, hrsg. Uwe Jun, Oskar Niedermayer und Elmar Wiesendahl, 111-128. Opladen: Barbara Budrich.
Borucki, Isabelle. 2013a. Armutspolitische Netzwerke lokaler Parteien und sozialer Träger. Eine quantitative Studie mit Hilfe der visuellen Datenerhebung mit VennMaker. In Visuelle Netzwerkforschung, hrsg. Michael Schönhuth, Markus Gamper, Michael Kronenwett und Martin Stark, 228-247. Bielefeld: transcript.
Borucki, Isabelle. 2013b. Inklusion und Exklusion durch armutspolitische Netzwerke im städtischen Raum. Das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ in Trier und Jena. In Inklusion/Exklusion und Kultur, hrsg. Iulia-Karin Patrut und Herbert Uerlings, 375-391. Köln: Böhlau.
Buhr, Petra, Monika Ludwig und Stephan Leibfried. 1990. Armutspolitik im Blindflug. Zur Notwendigkeit einer Erweiterung der Armutsberichterstattung. In Armut im Wohlstand, hrsg. Diether Döring, 79-110. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Burzan, Nicole. 2007. Soziale Ungleichheit. Eine Einführung in die zentralen Theorien. Wiesbaden: VS Verlag.
Bündnis 90/Die Grünen. 2013. Zeit für den grünen Wandel. Bundestagswahlprogramm 2013.
CDU/CSU. 2013. Gemeinsam erfolgreich für Deutschland. Regierungsprogramm 2013-2017.
CDU/CSU/SPD. 2013. Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag.
Dalton, Russel J., Ian McAllister und Martin Wattenberg. 2002. Political Parties and their Publics. In Political Parties in the new Europe. Political and Analytical Challenges, hrsg. Kurt Richard Luther und Ferdinand Müller-Rommel, 19-42. Oxford: Oxford University Press.
Debus, Marc. 2010. Soziale Konfliktlinien und Wahlverhalten. Eine Analyse der Determinanten der Wahlabsicht bei Bundestagswahlen von 1969 bis 2009. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 62 (4), 731-749.
Decker, Frank. 2015. Parteiendemokratie im Wandel. Beiträge zur Theorie und Empirie. Baden-Baden: Nomos.
Die Linke. 2013. 100 % sozial. Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013.
Dietz, Berthold. 1997. Soziologie der Armut. Eine Einführung. Frankfurt am Main: Campus.
Elff, Martin. 2007. Social Structure and Electoral Behavior in Comparative Perspective. The Decline of Social Cleavages in Western Europe Revisited. Perspectives on Politics, 5 (2), 277-294.
Frankenhauser, Timo und Simon Stratmann. 2013. Armutspolitische Konvergenz und Divergenz im Parteienwettbewerb. Inklusion und Exklusion im Bundestagswahlkampf 2009. In Inklusion/Exklusion und Kultur. Theoretische Perspektiven und Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. Iulia-Karin Patrut und Herbert Uerlings, 357-374. Köln: Böhlau.
FDP. 2013. Bürgerprogramm 2013. Damit Deutschland stark bleibt.
Geißler, Heiner. 1976. Die neue soziale Frage. Armut im Wohlfahrtsstaat. Freiburg: Herder.
Giddens, Anthony. 1998. The Third Way. The Renewal of Social Democracy. Cambridge: Polity.
Hassel, Anke, Christof Schiller. 2010. Der Fall „Hartz IV“. Wie es zur „Agenda 2010“ kam und wie es weitergeht. Frankfurt am Main: Campus.
Huster, Ernst-Ulrich, Jürgen Boeckh und Hildegard Mogge-Grotjahn. 2008. Armut und soziale Ausgrenzung. Ein multidisziplinäres Forschungsfeld. In Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung, hrsg. Ernst-Ulrich Huster, 13-35. Wiesbaden: VS Verlag.
Huster, Ernst-Ulrich. Hrsg. 2008. Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. Wiesbaden: VS Verlag.
Huster, Ernst-Ulrich. 1996. Armut in Europa. Opladen: Leske & Budrich.
Jentges, Erik. 2010. Die soziale Magie politischer Repräsentation. Charisma und Anerkennung in der Zivilgesellschaft. Bielefeld: transcript.
Jun, Uwe. 2004. Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich. Frankfurt am Main: Campus.
Jun, Uwe. 2009. Politische Parteien als Gegenstand der Politischen Soziologie. In Politische Soziologie. Ein Studienbuch, hrsg. Viktoria Kaina und Andrea Römmele, 235-266. Wiesbaden: VS Verlag.
Jun, Uwe. 2013. Typen und Funktionen von Parteien. In Handbuch Parteienforschung, hrsg. Oskar Niedermayer, 119-144. Wiesbaden: Springer VS.
Jun, Uwe und Alexander Berzel. 2014. Weshalb verlor die SPD die Wahl? Personal, Organisation, Programmatik, Koalitionsstrategie, Wahlergebnis. In Bilanz der Bundestagswahl 2013. Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen, hrsg. Eckhard Jesse und Roland Sturm, 205-229. Baden-Baden: Nomos.
Jun, Uwe und Simon Jakobs. 2015. Programmatic Change in the Two Main Parties: CDU and SPD on their Way to the Grand Coalition. In Germany after the 2013 Elections. Breaking the Mould of Post-Unification Politics?, hrsg. Gabriele D’Ottavio und Thomas Saalfeld, 129-153. Surrey: Ashgate.
Kaufmann, Franz-Xaver. 2003. Varianten des Wohlfahrtsstaates. Der deutsche Sozialstaat im internationalen Vergleich. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kercher, Jan und Frank Brettschneider. 2013. Wahlprogramme als Pflichtübung? Typen, Funktionen und Verständlichkeit der Bundestagswahlprogramme 1994-2009. In Wahlen und Wähler, Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2009, hrsg. Bernhard Weßels, Harald Schoen und Oscar W. Gabriel, 269-289. Wiesbaden: Springer VS.
Kitschelt, Herbert. 1994. The Transformation of European Social Democracy. Cambridge: Cambridge University Press.
Köcher, Renate. 2011. Produzieren wir eine Schicht sozialer Verlierer? Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. August 2011, 5.
Kriesi, Hanspeter, Edgar Grande, Martin Dolezal, Marc Helbling, Dominic Höglinger, Swen Hutter und Bruno Wüest. 2012. Political Conflict in Western Europe. Cambridge: Cambridge University Press.
Kroh, Martin und Christian Könnecke. 2013. Arm, arbeitslos und politisch inaktiv? DIW Wochenbericht 42 (2013), 3-15.
Kronauer, Martin. 2010. Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus. Frankfurt am Main: Campus.
Leibfried, Stephan, Lutz Leisering, Petra Buhr, Monika Ludwig, Eva Mädje, Thomas Olk, Wolfgang Voges und Michael Zwick. 1995. Zeit der Armut. Lebensläufe im Sozialstaat. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Lipset, Seymour Martin und Stein Rokkan. 1967. Cleavage Structures, Party Systems and Voter Alignments. In Party Systems and Voter Alignments, hrsg. Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan, 1-64. New York: Free Press.
Merkel, Wolfgang, Christoph Egle, Christian Henkes, Tobias Ostheim und Alexander Petring. 2006. Die Reformfähigkeit der Sozialdemokratie. Herausforderungen und Bilanz der Regierungspolitik in Westeuropa. Wiesbaden: VS Verlag.
Micus, Matthias und Franz Walter. 2008. Entkopplung und Schwund. Parteien seit der Bundestagswahl 2005. In 100 Tage Schonfrist. Bundespolitik und Landtagswahlen im Schatten der Großen Koalition, hrsg. Jens Tenscher und Helge Batt, 247-282. Wiesbaden: VS Verlag.
Nachtwey, Oliver. 2009. Marktsozialdemokratie. Die Transformation von SPD und Labour Party. Wiesbaden: VS Verlag.
Neugebauer, Gero. 2007. Politische Milieus in Deutschland. Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn: Dietz.
Niedermayer, Oskar. 2013. Die Parteien am Scheideweg. Wohin und mit wem? Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 12, 12-14.
Petersen, Jürgen 2010. Repräsentation in Demokratien. Konzepte deutscher und amerikanischer Politiker. Frankfurt am Main: Campus.
Pitkin, Hanna F. 1967. The Concept of Representation. Berkeley/Los Angeles: University of California Press.
Poguntke, Thomas. 2000. Parteiorganisation im Wandel. Gesellschaftliche Verankerung und organisatorische Anpassung im europäischen Vergleich. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Raphael, Lutz und Anselm Doering-Manteuffel. 2012. Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, 3. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Roth, Jürgen. 1974. Armut in der Bundesrepublik. Über psychische und materielle Verelendung. Frankfurt am Main: Fischer.
Schäfer, Armin. 2010. Die Folgen sozialer Ungleichheit für die Demokratie in Westeuropa. Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, 4 (1), 131-156.
Schiller, Theo. 1980. Probleme einer Sozialstaatstheorie. In Sozialstaat und Sozialpolitik. Krise und Perspektiven, hrsg. Michael Th. Greven, 11-90. Neuwied: Luchterhand.
Statistisches Bundesamt. 2015. Lebensbedingungen, Armutsgefährdung. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/LebensbedingungenArmutsgefaehrdung/LebensbedingungenArmutsgefaehrdung.html (abgerufen am 14.01.2016).
Stoll, Heather. 2013. Changing Societies, Changing Party Systems. Cambridge: Cambridge University Press.
SPD. 2013. Das WIR entscheidet. Das Regierungsprogramm 2013-2017.
Stratmann, Simon. 2015. Armutspolitik in Deutschland – Konzepte und Konflikte im Parteienwettbewerb. Studie zur Parteiprogrammatik seit den 1980er Jahren. (Parteien in Theorie und Empirie, Band 6). Opladen/Berlin: Barbara Budrich.
Strom, Kaare und Wolfgang C. Müller. 2008. Parliamentary Democracy, Agency Problems, and Party Politics. In Intra-party Politics and Coalition Governments in Parliamentary Democracies, hrsg. Daniela Giannetti und Kenneth Benoit, 25-49. London: Routledge.
Trampusch, Christine. 2009. Der erschöpfte Sozialstaat. Transformation eines Politikfeldes. Frankfurt am Main: Campus.
Wiesendahl, Elmar. 2011. Volksparteien. Aufstieg, Krise, Zukunft. Opladen/Berlin: Barbara Budrich.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Jun, U., Heisterhagen, T., Stratmann, S. (2017). Die Repräsentation von Armut durch politische Parteien. In: Wiesendahl, E. (eds) Parteien und soziale Ungleichheit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10390-3_15
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-10390-3_15
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-10389-7
Online ISBN: 978-3-658-10390-3
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)