Zusammenfassung
Es ist bezeichnend für die Psychologie des ärztlichen Denkens, daß der Begriff der funktionellen Erkrankung im Gegensatz zur organischen sich durchsetzen und in der menschlichen Pathologie jene Bedeutung erlangen konnte, die er heute noch immer besitzt. Mit Virchows Zellularpathologie hatte sich der Grundsatz, daß jede Krankheit auf anatomische Veränderung von Körperorganen zurückzuführen sei, als Arbeitshypothese durchgesetzt. Der Umstand nun, daß bei gewissen Affektionen die anatomische Veränderung, die ihr zugeordnet war, sich mit den verfügbaren technischen Mitteln nicht nachweisen ließ, führte zu dem durchaus negativen Begriff der funktionellen, d. h. nicht organischen Erkrankungen. In dieser Gruppe waren durchaus heterogene nosologische Einheiten, wie Hysterie, Chorea, Paralysis agitans vereinigt, eine wahre Sammelkiste für den Abfall der Neurologie, mit dem man vorläufig nichts Rechtes anfangen konnte. — Allmählich begann man hier Ordnung zu machen. Man unterschied die Erkrankungen ohne anatomischen Befund in solche, bei welchen eine anatomische Grundlage vorläufig noch nicht bekannt, und solche, bei welchen sie a priori gar nicht anzunehmen, also nicht einmal zu suchen war. Die erstere Gruppe dürfte heute schon zur Gänze in das Kapitel der organischen Nervenkrankheiten übergegangen sein. Niemand denkt mehr daran, die Paralysis agitans als „Neurose“ zu bezeichnen, denn sie hat ihre pathologische Anatomie. — Bleibt die zweite Gruppe, und bei dieser verwendet man gemeinhin noch immer den Ausdruck „funktionelle Neurose“, ohne sich ernstlich über den Sinn dieser Nomenklatur Rechenschaft zu geben. „Funktioneil“ sollte hier, nach der herkömmlichen Definition, soviel bedeuten, daß es sich um Störungen der Funktion handelt, die nicht auf pathologische Veränderung irgend eines Organs zurückführbar sind.
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Toulouse et Mignard: Les maladies mentales et l’auto-conduction. Revue de psychiatrie, Tome 15, p. 265. 1911.
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Wexberg, E. (1926). Die psychologische Struktur der Neurose. In: Wexberg, E. (eds) Handbuch der Individualpsychologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-50692-5_16
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