Die brasilianische Wirtschaftspolitik seit dem Ende der Militärdiktatur: Von der Krise der Importsubstitution zum Programa de Aceleração do Crescimento

Zusammenfassung

Es gibt kaum einen Politikbereich in Brasilien, zu dem die Einschätzung verschiedener Beobachter der zurückliegenden Regierung Luiz Inácio Lula da Silva (Partido dos Trabalhadores PT, 2003-2010) so weit auseinandergeht, wie in der Wirtschaftspolitik. Gerade in den ersten Amtsjahren der Regierung ab 2003 wurde deren Ausrichtung oft heftig kritisiert oder aber auch überschwänglich gelobt. Während ehemalige Weggefährten des früheren Gewerkschaftsführers Lula wie Emir Sader (2005: 535) harsche Worte für die Kontinuität der wirtschaftspolitischen Ausrichtung zur Vorgängerregierung von Fernando Henrique Cardoso (Partido da Socialdemocracia Brasileira PSDB, 1995-2002) waren gerade die internationalen Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die brasilianischen Machteliten begeistert. Und ungeachtet dieser zwiespältigen Bewertung schienen alle Anzeichen auf eine Fortsetzung der orthodoxen Finanzpolitik zu stehen. Die Regierung erwirtschaftete hohe primäre Haushaltsüberschüsse, setzte auf den Export, führte die Hochzinspolitik fort und griff keineswegs zu Mitteln wie Verstaatlichung. Doch seit der zweiten Amtszeit ab 2007 setzte die Regierung Lula eine verstärkte staatliche Regulierung durch, die v.a. in der Weltwirtschaftskrise 2008/09 von Bedeutung war. Nun veränderte sich die Diskussion um die brasilianische Wirtschaftspolitik: Im Mittelpunkt stand nun die Frage, ob dieser Wandel einen Regimewechsel (Sicsú 2007) einleiten werde oder vielmehr eine bloße Verschiebung innerhalb der neoliberalen Gesamtausrichtung darstelle (Paulani 2008).