Auszug
Die PISA-Studien subsumieren unter „Risikogruppe“ jene Schülerinnen, die aufgrund ihres Kompetenzniveaus deutliche Schwierigkeiten haben, eine moderne Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen. Der Umfang dieser Gruppe ist ganz erheblich und beträgt in PISA 2003 für Deutschland zwischen 14,1% und 22,3% (vgl. Prenzel u. a. 2004, 72ff., 102f. u. 159) und in Österreich zwischen 19% und 20% der 15-Jährigen (vgl. Haider/Reiter 2004, 49, 69, 102f. u. 110f). Auch wenn in den bisherigen PISA-Untersuchungen nur bestimmte und rein alltagspragmatische Kompetenzen untersucht wurden, so enthalten sie gleichwohl Hinweise auf ein sehr grundsätzliches Entwicklungsproblem, welches hier als Schulversagen versucht wird zu deuten, wobei dieses Wort bzw. dieser Begriff schon die grundsätzliche Frage provoziert, wer denn da versagt hat:
-
Die SchülerInnen, denen es nicht gelungen ist in einem stark formalisierten, konkurrenz- und ergebnisbezogenen Überprüfungsverfahren die notwendigen Leistungen zu erbringen?
-
Die LehrerInnen, die es — ggf. trotz intensiver Bemühungen — nicht erreicht haben, dass in den Unterrichtsprozessen kognitiv und motivational herausfordernde und stabile, emotional belastbare Interaktionsbeziehungen aufgebaut wurden, die riskante Lernprozesse anregen und fördern?
-
Die Eltern, die ihren Kindern nicht die notwendigen Entwicklungs- und Lernanregungen bieten können oder wollen oder kompensatorische Dienstleistungen für familiäre und/oder schulische Förderungsdefizite (z. B. in Form der Nachhilfe) nicht bezahlen können oder wollen?
-
Die Schule als Institution, weil sie den notwendigen bzw. erwünschten Beitrag zur einfachen oder auch erweiterten Reproduktion der Gesellschaft nicht zu leisten vermag, also zur Reproduktion ihrer Arbeitsverhältnisse, ihrer Sozialstruktur, ihrer politischen Institutionen und Verfahren, ihrer kulturellen Traditionen und Reflexionsweisen sowie ihrer sozialen Integrationsformen?
-
Oder die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, weil sie die strukturellen Ungleichheiten, Benachteiligungen und Ausschlussprozesse zunehmend hinnimmt, sich vom Grundsatz der gleichwertigen Lebensbedingungen und sozialen Gerechtigkeit immer mehr distanziert und auch deshalb meint, Breitenförderung und Spitzenförderung nicht miteinander verbinden zu können?
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Similar content being viewed by others
Literaturverzeichnis
Alt, Chr. (2005): Kinderleben — Aufwachsen zwischen Familie, Freunden und Institutionen. Wiesbaden
Baumert, J. u. a. (2001): PISA 2000. Opladen
Beck, U./ Lau, Chr. (2004): Entgrenzung und Entscheidung. Frankfurt/M
Beerhorst, J. u. a. (2004): Kritische Theorie im gesellschaftlichen Strukturwandel. Frankfurt/M
Bois-Reymond, M. d. (2004): Lernfeld Europa. Wiesbaden
Bourdieu, P. u. a. (1997): Das Elend der Welt. Konstanz
Braun, K.-H. (2003): Ziele institutioneller Entwicklung der Schule in der „zweiten Moderne“. In: Riehm (Hrsg.): Schulentwicklung durch Lerngruppen. Opladen. S.153–181
Braun, K.-H. (2003): Lebensführung in der „zweiten Moderne“. In: neue praxis, H. 5/2003, 401–421
Braun, K.-H. (2006): Bildungshorizonte von Entwicklung und Lernen. In: Otto, H.-U./ Oelkers, J. (Hrsg.): Zeitgemäße Bildung. München. S. 52–71
Braun, K.-H./ Wetzel, K. (2000): Sozialpädagogisches Handeln in der Schule, Neuwied
Bremer, H. (2004): Der Mythos vom autonom lernenden Subjekt. In: Engler, St./ Krais, B. (Hrsg.): Das kulturelle Kapital und die Macht der Klassenstrukturen. Weinheim und München. S. 189–213
Coelen, Th. (2002): „Ganztagsbildung“ — Ausbildung und Identitätsbildung zwischen Jugendarbeit und Schule. In: neue praxis, 1/2002, S. 53–66
Cornelißen, W. u. a. (2002): Junge Frauen — junge Männer. Daten zu Lebensführung und Chancengleichheit. Opladen
Deinet, U. (Hrsg.) (2001): Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Opladen
Ehmann, Chr./ Rademacker, H. (2003): Schulversäumnisse und sozialer Ausschluss. Bielefeld
Engler, St./ Krais, B. (Hrsg.) (2004): Das kulturelle Kapital und die Macht der Klassenstrukturen. Weinheim und München
Fend, H.(2000): Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Opladen
Galuske, M. (2002): Flexible Sozialpädagogik. Weinheim und München
Haider, G./ Reiter, C. (Hrsg.) (2004): PISA 2003. Graz
Helsper, W./ Böhme, J. (Hrsg.) (2004): Handbuch der Schulforschung, Wiesbaden.
Honig, M.-S.(1999): Entwurf einer Theorie der Kindheit. Frankfurt/M
Klafki, W. (1991): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim und Basel
Klafki, W. (2002): Schulpolitische und pädagogische Schulgestaltung im Spannungsfeld konkurrierender Prinzipien. In: Ders. (Hrsg.): Schultheorie, Schulforschung und Schulentwicklung im politisch-gesellschaftlichen Kontext. Weinheim und Basel
Klafki, W. (2005): Überlegungen zur ethischen Bildung in der Schule. In: Stübig. F. (Hrsg.): Die Schule der Zukunft gewinnt Gestalt. Kassel
Köller, O. (2005): Die Bedeutung schulischer Kompetenzen für Erwerbsverläufe. In: Frederking, V. u. a. (Hrsg.): Nach PISA. Wiesbaden
Lenz, K. u. a. (2004): Entgrenzte Lebensbewältigung. Weinheim und München
Mack, W. u. a. (2003): Schule, Stadtteil, Lebenswelt. Opladen
Otto, H.-U./ Coelen, Th. (Hrsg.) (2004): Grundbegriffe der Ganztagsbildung. Wiesbaden
Müller, W./ Shavit, Y. (1998): Bildung und Beruf im institutionellen Kontext. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 4/1998, S. 501–533
Oelkers, J./ Otto, H.-U. (Hrsg.) (2006, im Druck): Zeitgemäße Bildung. München
Otto, H.-U./ Coelen, Th. (Hrsg.) (2005): Ganztägige Bildungssysteme. Münster
Prenzel, M. u. a. (Hrsg.) (2004): PISA 2003. Münster
Preuss-Lausitz, U. (2005): Anforderungen an eine jungenfreundliche Schule. In: Die Deutsche Schule, 2/2005, S. 222–235
Reinders. H. (2002): Entwicklungsaufgaben — Theoretische Positionen zu einem Klassiker. In: Merkens, H./ Zinnecker, J. (Hrsg.): Jahrbuch Jugendforschung 2/2002. Opladen
Rihm, Th. (Hrsg.) (2003): Schulentwicklung durch Lerngruppen. Opladen
Rumpf, H. (2004): Diesseits der Belehrungswut. Weinheim und München
Schümer, G. (2005): Bildung und soziale Ungleichheit. In: Die Deutsche Schule, 3/2005, S. 266–284
Schümer, G. u. a. (Hrsg.) (2004): Die Institution Schule und die Lebenswelt der Schüler. Wiesbaden
Simon, T./ Uhlig, St. (Hrsg.) (2002): Schulverweigerung. Opladen
Trautman, M (Hrsg.) (2004): Entwicklungsaufgaben im Bildungsgang. Wiesbaden
Vester, M. (2004): Die Illusion der Bildungsexpansion. In: Engler, St./ Krais, B. (Hrsg.): Das kulturelle Kapital und die Macht der Klassenstrukturen. Weinheim und München. S. 13–53
Vester, M. u. a. (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Frankfurt/M
Ziegler, H./ Otto, H.-U. (2004): Sozialraum und sozialer Ausschluss. In: neue praxis, 2 u. 3/2004, S. 117–135 und S. 271–291
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Braun, KH. (2006). Schulversagen — ein vielschichtiges Gefüge von objektiven Ursachen und subjektiven Gründen. In: Spies, A., Tredop, D. (eds) „Risikobiografien“. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90329-3_7
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-90329-3_7
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-14944-8
Online ISBN: 978-3-531-90329-3
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)