Auszug
Die Schriften des französischen Philosophen Michel Foucault verstehen sich selbst nicht als kompakter methodischer Leitfaden für eine veränderte Forschungspraxis. Sie ermöglichen dennoch eine Art Perspektivverschiebung gegenüber jenen Traditionen, Vorstellungen und Fragen der Geschichtswissenschaft, die sich mit den Begriffen Ideengeschichte, Ideologiekritik und Historische Sozialwissenschaft verbinden. Natürlich macht eine an Foucault orientierte Diskursanalyse auch viele wichtige Anleihen bei diesen Theorien.1 Im Folgenden möchte ich jedoch das Trennende hervorheben, um deutlicher zu machen, was die Diskursanalyse für die historische Forschung leistet. Um eine solche Perspektivverschiebung plastisch werden zu lassen, möchte ich sie für die drei Felder des Wissens, der Macht und der Subjektformation skizzieren, um anschließend zu zeigen, welche Impulse die Geschichte des Männerbundes durch die Diskursanalyse bekommen könnte.2
So führt die Diskursanalyse etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die Kritik der deutschen Historischen Sozialwissenschaft an einer Idealisierung des Subjekts fort, die die politische ldeengeschichte lange dominierte, um sie ihrerseits zu radikalisieren. (Sarasin 2003: 14) Das komplexe Verhältnis von Foucault zur Gründerfigur der historischen Sozialwissenschaften, Max Weber, untersucht u.a. Neuenhaus 1993; zum spannungsreichen Verhaltnis von Geschichtswissenschaft und Foucaultscher Diskursanalyse vgl. auch Maset 2002 u. Brieler 2001.
Zu den an Foucault anknüpfenden diskursanalytischen Schulen und Methoden — vor allem der „amerikanisch-pragrnatischen“ und der „französisch-poststrukturalistischen“ — siehe als erste Orientierung Angermiiller/Bunzmann/Nonhoff 2001; gelungene Einfuhrungen bieten auch Keller 2004; Landwehr 2001; Bublitz 1999 und Link 1997; einen eigenen, stärker sprachanalytisch orientierten Versuch methodischer Operationalisierung legte 1993 Siegfried Jäger als „Kritische Diskursanalyse“ vor; zur Anwendung auf die Geschichtswissenschaft vgl. auch Martschukat 2002.
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Bruns, C. (2006). Wissen — Macht — Subjekt(e). In: Eder, F.X. (eds) Historische Diskursanalysen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90113-8_10
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