Zusammenfassung
Max Bense lässt in seinen Publikationen der 1950er und 1960er Jahre eine große Faszination für die Welt jenseits des Menschen erkennen: für das Unbelebte und für das Chaos, dem Ordnung und Rationalität nur abgerungen sind, und für eine Kunst, die sich, wie es scheint (und aktuell wieder heftig diskutiert), auch ohne wesentlichen menschlichen Beitrag mithilfe des Computers hervorbringen lässt. Andererseits sind Benses Auffassung und seine eigene Praxis der Kunst als höchster Vollzug menschlichen, intellektuellen Vergnügens wie auch Benses Bestreben, die Technik als Errungenschaft des menschlichen Geistes mit diesem zu versöhnen, unübersehbare Hinweise darauf, dass Bense sich keineswegs einseitig der Idee eines naiven Auszugs des Menschen aus der Kunst und aus der Welt hingibt. Benses Aufmerksamkeit für das menschliche Subjekt und das seiner Fassungskraft Gegenüberstehende spiegelt sich in seinem Anspruch, eine „neue Aesthetik“ (AESTHETICA 1965) zu entwerfen und zu praktizieren, die der Aufsatz in dieser Doppelperspektive nachzeichnet und im zeitgenössischen Kontext situiert.
Die Welt hat ohne den Menschen begonnen und wird ohne ihn enden (Bense 1963, S. 144)
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Notes
- 1.
Graff 2019.
- 2.
Ebd.
- 3.
Ebd.
- 4.
Haaf 2019.
- 5.
Bense 1963, S. 144.
- 6.
Lévi-Strauss 1960, S. 366.
- 7.
Ebd., S. 366 f.
- 8.
Siehe unten, Abschn. V.
- 9.
Baumgarten 2007, § 27, S. 26 f.
- 10.
Rosa 2016, S. 482.
- 11.
Seel 2014, S. 272.
- 12.
Seel 2017, S. 27.
- 13.
Pias 2008, S. 73. Pias interpretiert diese Provokation m. E. in Bezug auf Bense jedoch zu einseitig, wie ich im Folgenden zu zeigen versuche, wenn er dessen „Kunde von einer ‚zukünftigen kybernetische[n] Kunst‘ […] nicht zuletzt [als] eine von der Aufhebung des Menschen“ angibt, ebd., S. 78; und auch ich selbst habe in einer früheren Auseinandersetzung mit Bense zu undifferenziert Benses Ästhetik einen „konsequent deanthropologisierten Schönheitsbegriff“ zugeschrieben, Jacob 2007, S. 430–439, hier S. 438. Unberührt davon bleibt Benses Interesse an einer rationalisierenden Objektivierung des Schönen, die hier nicht noch einmal zum Thema gemacht werden muss.
- 14.
Bense 1982, S. 182; vgl. Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Einleitung, „Begrenzung der Ästhetik und Widerlegung einiger Einwürfe gegen die Philosophie der Kunst“.
- 15.
Bense 1982, S. 183.
- 16.
Ebd.
- 17.
Ebd.
- 18.
Heidegger 1980. Heidegger wird als jüngster unter denen aufgeführt, die den „Verfall der Seinsthematik […] rückgängig gemacht“ hätten, Bense 1982, S. 135, und auch im Literaturverzeichnis der AESTHETICA ist Heidegger prominent vertreten, ebd., S. 377, u. a. mit dem Aufsatzband Holzwege, in dem Der Ursprung des Kunstwerkes 1950 zuerst erschienen ist.
- 19.
Bense 1982, S. 135, 137.
- 20.
Ebd., S. 138.
- 21.
Heidegger 1980, S. 65.
- 22.
Vgl. Beatrice Nunold zur Widersprüchlichkeit von Benses Vorstellung eines ‚unabhängigen ästhetischen Seins‘ des Kunstwerks, Nunold 2003, S. 58, Anm. 31; die Idee, dass „das Kunstwerk nichts mehr mit dem Menschen zu tun hat“, scheint mir jedoch weniger in der klassischen Autonomieästhetik angelegt zu sein, vgl. ebd., als vielmehr in der deutschen Humanismuskritik seit den 1920er Jahren, die Gregor Streim in seiner umfassenden Studie Das Ende des Anthropozentrismus umfassend aufgearbeitet hat, Streim 2008.
- 23.
- 24.
- 25.
Bense 1982, S. 285.
- 26.
Ebd.
- 27.
Ebd., S. 285.
- 28.
Bense 1965, S. 362, 368.
- 29.
Bense 1965, S. 362 f.
- 30.
Im Essay Kosmologische Ästhetik fasst Bense diese künstliche, gegenläufig gerichtete Kraft mit Felix Auerbach als ‚Ektropie‘, vgl. Bense 1982, S. 286 f.
- 31.
Ebd., S. 184.
- 32.
Ebd., S. 183.
- 33.
Ebd., S. 184.
- 34.
„So unterschied die Maschine nicht zwischen Fremde und Fremder (also ‚EIN FREMDER‘ – ‚JEDER FREMDE‘), vor das zusammengeschriebene ‚SOGILT‘ setzte sie kein Komma und der Punkt schloss an das folgende Wort an.“ Auer o. J. Eine Gegenüberstellung von publiziertem Text und Faksimile des Computerausdrucks findet sich bei Büscher u. a. 2004, S. 168 f. Lutzʼ Texte sind inzwischen eingehend besprochen worden, u. a. von Bense selbst, Bense 1969, Kap. 11: „Synthetische Texte“; Bense 1971, S. 82–87. An neuerer Literatur nenne ich hier nur die auch den internationalen Kontext berücksichtigende Darstellung bei Boatin 2014, S. 217–236, und Bohr 2011, S. 446–448.
- 35.
Bense 1969, S. 384.
- 36.
Ebd.
- 37.
Ebd., S. 386 f. Vgl. Stickel 1966.
- 38.
So Pias 2008, S. 78, zu deren Gunsten „Kontext, Betrachter, Autor und vielleicht sogar die Geschichtlichkeit der Kunst selbst […] ausgeklammert“ seien. Ohne Belang sind diese Parameter zwar in Bezug auf die Analyse der Ästhetizität von Gegenständen, die Bense mit George David Birkhoff u. a. zu mathematisieren trachtet, vgl. ebd., S. 80–85, die Kunstreflexion Benses im Ganzen abstrahiert aber nicht von ihr, ja, sein ganzes Ansinnen liegt vielmehr darin, der „Geschichtlichkeit der Kunst“ im Zusammenhang von Autor, Rezipient und im Werk geronnener Innovation standzuhalten.
- 39.
Vgl. Walther 1998, S. IX f., XXXVII f.
- 40.
von Herrmann 2004, S. 80.
- 41.
Bense 1982, S. 184. Ich akzentuiere damit anders als die jüngere Bense-Forschung, die wie etwa Dieter Mersch kritisch Benses ‚vereinseitigende‘ Delegation der „Kreativität des künstlerischen Prozesses […] an die apparative Produktion von Emergenzen mittels Zufallsreihen“ betont, Mersch 2018, S. 76 (vgl. auch Bohr 2011, S. 449, 452). Für Merschs Hinweis auf den „Verlust“ in Benses ‚technisch-semiotischer Ästhetik‘ hingegen, der „in dem besteht, wovon er [Bense; J.J.] einst ausging: dem ‚existenziellen Moment‘, der Verwurzelung der Rationalität im Leben oder, wie er es selbst in einer seiner frühen Schriften, Humanistisches – Allzuhumanistisches, ausdrückte: der ‚Aussetzung unseres Lebens an den Geist‘“, ebd., scheint mir Benses Weg in einen ‚transzendenten Idealismus‘ eine charakteristische Bestätigung zu sein.
- 42.
Bense 1966, S. 246
- 43.
Ebd., S. 247.
- 44.
Ebd.
- 45.
Ebd.
- 46.
Ebd.
- 47.
Vgl. Bense 1961b, S. 26.
- 48.
Mit Burdorf ist die Segmentierung das formale gattungskonstituierende Merkmal des Gedichts als „Text, der durch vom Prosasatzspiegel abweichende Zeilenbrechungen gekennzeichnet ist“, Burdorf 1997, S. 13.
- 49.
Döhl 1966, S. 254.
- 50.
Ebd., S. 257. Dabei übergeht Döhl allerdings die vorgegebene Segmentierung, um stattdessen eine Reihe von eigenen Segmentierungen als „Lesemöglichkeit[en]“ anzubieten, ebd., S. 255.
- 51.
- 52.
Schulze 2000, S. 206 ff.
- 53.
Sogar mit Reimeffekt: „K. JOSEF K. windet sich ängstlich davon irgendwo hin bleibt nie nur ein wenig mehr als nur oder na“, Bense 1961b, S. 31 [meine Hervorhebung; J.J.].
- 54.
- 55.
Bense 1961b, S. [5].
- 56.
Ebd., S. 93.
- 57.
Ebd., S. [5]. So hatte schon Eugen Gomringer in vom vers zur konstellation (1954) den Produktions- und Rezeptionsmodus Konkreter Poesie bestimmt.
- 58.
Roberto Simanowski: Facebook-Gesellschaft (2016), zit. nach Sugiera 2019, S. 65.
- 59.
Bense 1982, S. 190. Hervorhebung im Orig.
Literatur
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Haaf, Kolja: Danke, Internet. Kreativität ist nichts exklusiv Menschliches mehr. In: Süddeutsche Zeitung (14. Mai 2018), https://www.sueddeutsche.de/kultur/danke-internet-wie-kuenstliche-intelligenz-die-kunst-veraendert-1.3975486 (13.01.2019).
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Wols (Alfred Otto Wolfgang Schulze): Grafik. In: Bense, Max: Aesthetica, Bd. 2: Aesthetische Information. Krefeld/Baden Baden 1956, nach S. 82.
Abb. 2: Brownsche Molekularbewegung. In: Bense, Max: Aesthetica, Bd. 2: Aesthetische Information. Krefeld/Baden Baden 1956, nach S. 92.
Abb. 3: Max Bense: „MEIN Standpunkt ...“. In: Bense, Max: Bestandteile des Vorüber. Dünnschliffe Mischtexte Montagen. Köln/Berlin 1961, S. 37.
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Jacob, J. (2019). Vor der Enthumanisierung. Max Benses Herausforderung des Ästhetischen. In: Albrecht, A., Bonitz, M., Skowronski, A., Zittel, C. (eds) Max Bense. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04753-3_8
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