Zusammenfassung
Unter den Figuren des Ring nehmen Günther und Gutrune eine merkwürdige Zwitterstellung ein. Auf der einen Seite drängt sich die Frage auf, ob es sich bei dem unseligen Geschwisterpaar überhaupt um ›dramatis personae‹ im strengen Sinne des Wortes handelt. Zu keiner Zeit nämlich gewinnen sie eigenständiges dramatisches Profil, prägen sie von sich aus das Geschehen, vielmehr agieren sie von Anfang bis Ende als willenlose Werkzeuge und schließlich Opfer der Hagenschen Intrige. Schon ihr überwiegend gemeinsames Auftreten deutet auf ihre Unselbständigkeit: Was beide verbindet, ist ein Mangel — die Ehelosigkeit —, und der Wunsch, diesen Mangel zu beheben, läßt sie zum unlauteren Mittel der Täuschung greifen, deren von Hagen selbst betriebene, weil zu seinem Kalkül gehörende Aufdeckung ihnen die Ehre und das Leben nimmt. Am Ende stehen sie da als betrogene Betrüger, denen man allenfalls Bedauern, aber kaum Mitgefühl entgegenbringt. Anders als Siegfried und Brünnhilde verleiht ihnen das Scheitern keine tragische Fallhöhe. Vom Bösen, auf das sie sich einlassen, bleibt nur das Niedrige an ihnen haften, an seinem mephistophelischen Glanze haben sie keinen Anteil. Etwas Banal-Mittelmäßiges geht von ihnen aus, nach den Wirkungsgesetzen des Theaters und erst recht des Musiktheaters sind sie eigentlich Anti-Helden.
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Anmerkungen
Carl Dahlhaus, Richard Wagners Musikdramen, Velber 1971, Zürich-Schwäbisch Hall 21985, S. 133.
Richard Wagner, Der Nibelungen-Mythus. Ah Entwurf zu einem Drama, in: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Rchard Wagner, 2. Bd., Leipzig 1871, S. 201 ff., bes. S. 207.
Zusammengefaßt nach Wolfgang Golther, Die sagengeschichtlichen Grundlagen der Ringdichtung Richard Wagners, Charlottenburg (-Berlin) 1902, S. 100 ff.
Diese und alle folgenden Textzitate aus der Götterdämmerung nach Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen. Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend. Dritter Tag: Götterdämmerung. Textbuch mit Varianten der Partitur, hg. von Egon Voss, Stuttgart 1997, hier: S. 20.
Peter Wapnewski, Die Oper Richard Wagners als Dichtung, in: Ulrich Müller/Peter Wapnewski (Hg), Richard-Wagner-Handbuch. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachwissenschaftler, Stuttgart 1986, S. 223 ff. Vgl. S. 298
So Richard Wagner. Sämtliche Werke, Bd. 13, III: Götterdämmerung, hg. von Hartmut Fladt, Mainz 1982, S. 236 f.
Carolyn Abbate, Opera as Symphony, a Wagnerian Myth, in: Analyzing Opera. Verdi and Wagner, hg. von Carolyn Abbate und Roger Parker (California Studies in 19th Century Music, Bd. 6), Berkeley-Los Angeles-London 1989, S. 92 ff.
Cosima Wagner, Die Tagebücher. Band I: 1869–1877. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München-Zürich 1976, S. 444; 490.
So Patrice Chéreau in den »Kommentare(n) zu ›Mythologie und Ideologie‹« des Ring vor dem Hintergrund seiner Inszenierung der Tetralogie in Bayreuth 1976 in: Bayreuther Dramaturgie. Der Ring des Nibelungen, hg. von Herbert Barth, Stuttgart-Zürich 1980, S. 419 ff., bes. S. 423.
Cosima Wagner, Die Tagebücher, Band II: 1878–1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München-Zürich 1977, S. 1014: »R. tritt hinzu und singt die letzten Worte Brünnhilden’s, freut sich des ganzen, so heidnisch Germanischen!«.
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Döhring, S. (2001). Günther und Gutrune. In: Bermbach, U. (eds) »Alles ist nach seiner Art«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02795-5_9
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