Zusammenfassung
In verschiedenen Varianten ist eine Geschichte überliefert. Sie stammt aus einer Kultur, die wie kaum eine andere am eigenen Leibe Heimatlosigkeit, Verfolgung und Entwurzelung erlebt hat: die jiddische, also die Kultur der osteuropäischen Juden. Ein Jude wird auf einer seiner vielen Stationen durch die Welt gefragt, wo seine Heimat sei, wo es am schönsten gewesen sei. Man zählt ihm die einzelnen Orte auf: das Dorf in Galizien, Warschau, Prag, schließlich New York. Doch jedesmal verneint er, um dann ohne jeden Zweifel zu sagen: „Am schönsten war es unterwegs!“ Dieser Witz ist wohl deswegen so eindrucksvoll, weil er trotz des realen Elend auch Stärke demonstriert und weil er darauf verweist, daß Heimat doch mehr ist als nur ein Ort (vgl. z.B. Amery 1988). Und vielleicht ist Heimat tatsächlich mehr unterwegs, ein Weg, eine Suche, die allerdings immer auch — und das ist mir ganz wichtig — einen Ausgangspunkt besitzt. „Heimat ist, wovon wir ausgehen“, sagt T.S. Eliot. Daß wir dabei etwas verlieren und nicht genau wissen, wohin die Suche geht, es vielmehr nur ahnen können: das macht die melancholische Grundhaltung aus, die sich mit Heimat verbindet.
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Literatur
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Kleinspehn, T. (1995). Heimatlosigkeit und die Flüchtigkeit der Bilder. In: Belschner, W., Grubitzsch, S., Leszczynski, C., Müller-Doohm, S. (eds) Wem gehört die Heimat?. Reihe: Politische Psychologie, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97251-4_16
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