Zusammenfassung
Seit Mitte der 90er-Jahre ist für die Bundesrepublik Deutschland in immer neuen Anläufen die Diagnose gestellt worden, dass in Gesellschaft und Politik das theatrale Diskursmodell der Inszenierung in den Vordergrund drängt. Der Befund enthält die empirisch gut belegte Prognose, dass die Gesellschaft der Bundesrepublik und mit ihr das politische System in kräftigen Zügen zu einer »Inszenierungsgesellschaft« mutiere.1 Für die Republik als politisches Gemeinwesen weisen politik- und medienwissenschaftliche Analysen in zunehmendem Maße in die gleiche Richtung. Der »Bericht zur Lage des Fernsehens«, der 1995 für den Bundespräsidenten erstellt wurde, ist mit seiner Diagnose ein repräsentatives Beispiel dieser Sichtweise: »In der Konkurrenz um die Öffentlichkeit haben Politiker Professionalität in der Platzierung und Inszenierung von Ereignissen wie auch in der Sachinformation entwickelt. Im Verlauf dieser Metamorphose wandelt sich sachbezogene, auf verbindliche Entscheidungen bezogene Politik zunehmend in symbolische Politik. Diese vom Fernsehen provozierte Politik entspricht einer Rückkehr zur höfischen Öffentlichkeit. (…) Von den Politikern verlangt der Fernsehauftritt zudem vor allem darstellerische Qualitäten, die in keinem notwendigen Zusammenhang zu politischen Leistungen stehen, aber über den politischen Erfolg entscheiden. Denn als erfolgreich gilt der Politiker mit den darstellerischen Fähigkeiten auch dann, wenn seine politischen Leistungen deutlich dahinter zurückbleiben. Umgekehrt verblassen politischen Leistungen, sobald das Talent zur Media Performance fehlt.«2
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Anmerkungen
Herbert Willems/Martin Jurga (Hrsg.), Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1998.
*Herbert Willems/Martin Jurga (Hrsg.), Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1998*Ebd., S.146f.
Thomas Meyer u. a., Die Inszenierung des Politischen. Zur Theatralität von Mediendiskursen, Wiesbaden 2000.
Erving Goffman, Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, Frankfurt/M. 1969;
Hans-Georg Soeffner, Rituale des Anti-Ritualismus, in: Hans-Ulrich Gumbrecht u. a. (Hrsg.), Materialität der Kommunikation, Frankfurt/M. 1988.
Erika Fischer-Lichte/Isabel Pflug (Hrsg.), Inszenierung von Authentizität, Tübingen und Basel 2000.
Peter Burke, Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Berlin 1993.
Thomas Meyer/Martina Kampmann, Politik als Theater, Berlin 1998.
Meyer, Inszenierung des Politischen (Anm. 3).
Winfried Schulz, Die Konstruktion der Realität in den Nachrichtenmedien, Freiburg und München 1976.
Meyer, Inszenierung des Politischen (Anm. 3), S. 194 ff.
Adi Grewenig (Hrsg.), Inszenierte Informationen. Politik und strategische Kommunikation in den Medien, Opladen 1993.
Thomas Meyer, Mediokratie: Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem, Frankfurt/M. 2001.
Thomas Meyer, Was ist Politik?, Opladen 2000, hier Kapitel 12 u. 13.
Vgl. dazu Karl-Rudolf Korte/Gerhard Hirscher (Hrsg.), Darstellungspolitik oder Entscheidungspolitik? Über den Wandel von Politikstilen in westlichen Demokratien, München 2000.
Die Reformansätze der deutschen Parteien skizzieren Manuela Glaab und Andreas Kießling in diesem Band, vgl. »Legitimation und Partizipation«, Kapitel 4.3.
Ulrich v. Alemann, Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 2000, S.149ff.
Oskar Niedermayer, Die Bundestagswahl 1998: Ausnahmewahl oder Ausdruck langfristiger Entwicklungen der Parteien und des Parteiensystems, Opladen 1999, S. 9 ff.
Robert Putnam, Bowling alone, New York 2000.
Ulrich Pfeiffer, Eine Partei der Zeitreichen und Immobilen, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 44/1997, S. 392 f.
Vgl. dazu auch Peter Glotz, Die beschleunigte Gesellschaft, München 1999.
Zur Internetnutzung der Parteien siehe den Beitrag von Manuela Glaab und Andreas Kießling in diesem Band, v.a. Kapitel 4.4.
Vgl. Ulrich Sarcinelli (Hrsg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Bonn 1998.
Klassisch für die kulturkritische Fundamentalkritik: Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, Frankfurt/M. 1985.
Vgl. die Ergebnisse des interdisziplinären Dortmunder Forschungsprojekts in: Meyer, Inszenierung des Politischen (Anm. 3), Kapitel 6.
Vgl. Otfried Jarren/Patrick Donges, Medienregulierung durch die Gesellschaft? Eine steuerungstheoretische und komparative Studie mit Schwerpunkt Schweiz, Opladen 2000;
Jo Groebel u. a., Bericht zur Lage des Fernsehens, Gütersloh 1995; Willems/Jurga, Inszenierungsgesellschaft (Anm. 1).
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Meyer, T. (2001). Inszenierte Politik und politische Rationalität. In: Korte, KR., Weidenfeld, W. (eds) Deutschland-TrendBuch. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93272-3_17
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93272-3_17
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-3212-6
Online ISBN: 978-3-322-93272-3
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