Zusammenfassung
Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, kurz: Grundrechtecharta, ist am 7. Dezember 2000 auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Nizza „feierlich verkündet“ worden. Sie wird zukünftig nicht nur innerhalb der EU nachhaltige Wirkung entfalten, sondern auch — als die derzeit modernste Fassung eines Menschenrechtsdokuments — international eine breite Ausstrahlung auf die bestehenden Grund- und Menschenrechtsregime haben. Mit der Charta dokumentiert die Europäische Union eindrucksvoll, dass sie nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch und vor allem eine Wertegemeinschaft ist. Damit schafft sie eine klare Orientierung über das europäische Modell, fördert damit innerhalb der Union die Identitätsstiftung der Bürger mit dem europäischen Projekt3 und stärkt darüber hinaus den Rechtsschutz der Bürger gegenüber den europäischen Organen. Nach außen gibt die Charta Auskunft über das Menschenrechtsverständnis der Union, was bei politischen und wirtschaftlichen Verhandlungen ebenso wichtig ist, wie für kommende Beitrittsverhandlungen mit Kandidatenländern.4
Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD), MdB, ist stellvertretender Vorsitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundestages und war der deutsche Parlamentsvertreter im Konvent zur Erarbeitung der Grundrechtecharta.
Dr. Markus Engels war im Sekretariat des Europaausschusses des Deutschen Bundestages für die wissenschaftliche Betreuung der Grundrechtecharta zuständig. Er hat für das Sekretariat an den Konventssitzungen teilgenommen.
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Literatur
Der Europarechtler Pernice hierzu: „Die Debatte hierüber [über die Charta] löst einen europaweiten Diskurs über die gemeinsame Wertebasis der Union aus, ein möglicher Konsens darüber wirkt legitimierend, identitätsfördernd und integrierend,“ in: Pernice Ingolf: Eine Grundrechte-Charta far die Europäische Union. Deutsches Verwaltungsblatt, Heft 12 (15. Juni 2000), S. 847 — 859 (849).
So Jürgen Meyer im ZRP-Rechtsgesprüch „Die EU ist eine Wertegemeinschaft,“ in: Zeitschrift far Rechtspolitik, Heft 3 (2000), S. 114 — 116 (115).
Vgl. die diesbezüglichen Anmerkungen in Kapitel 5.
EuGH Slg. 1958/1959, 43 ff, Stork sowie EuGH Sig. 1965, 295 ff, Sgarlata.
EuGH Sig. 1970, 1 130 ff, Internationale Handelsgesellschaft.
Siehe z.B. die Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes. Vgl. Wetter, Irmgard: Die Grundrechtscharta des Europäischen Gerichtshofes. Die Konkretisierung der gemeinschaftlichen Grundrechte durch die Rechtsprechung des EuGH zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Frankfurt a. M., 1998, S. 20.
Anstatt vieler: Welter (Fußn.9); Rengeling Hans-Werner: Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft. München, 1993, S. 1; C’hwolik-Lanfermann Ellen: Grundrechtsschutz in der Europäischen Union. Bestand, Tendenzen und Entwicklungen. Frankfurt a. M., 1994, S. 47 ff; Baumgartner Gerhard: EU-Mitgliedschaft und Grundrechtsschutz. Wien, 1997, S. 149 ff.
Zu den Problemen des Richterrechts im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des EuGH siehe: Losch Bernhard/Radau, Wiltrud Christine: Grundrechtskatalog für die Europäische Union, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, Heft 3 (2000), S. 84 — 87 (85 O.
Europäische Kommission (Hrsg.): Die Grundrechte in der Europäischen Union verbürgen. Es ist Zeit zu handeln, Bericht der Expertengruppe „Grundrechte“. Brüssel, 1999.
EuGH, Gutachten 2/94 vom 28. März 1996 — Beitritt der Gemeinschaft zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Vgl. die im Anschluss an den Gipfel von Nizza geführte Debatte darüber, ob die „klassische Regierungskonferenz“ an ihr Ende gekommen sei. Statt vieler: Süddeutsche Zeitung vom 7.12.2000 „Was vom Reste übrig bleibt” und Die Welt vom 13.12.2000 „Europaparlament zeigt sich enttäuscht von Nizza.“
Die Vertreter des Deutschen Bundestages wurden am 25. November 1999 vom Plenum nahezu einstimmig (bei einer Enthaltung) gewählt. Vgl. Plenarprotokoll 14/73 Zusatztagesordnungspunkt 2.
Vgl. z.B. einen Änderungsantrag von Pervenche Berès, dem alle acht sozialdemokratischen Europaparlamentarier zustimmten, und den Änderungsantrag von Jürgen Meyer, den dreizehn Delegierte unterschrieben. Vgl. GRC Dok. vom 7. September 2000, in dem alle Änderungsanträge der Konventsmitglieder zur Charta (Fassung Convent 45) zusammengefasst sind.
Die Aufnahme dieses Artikels fußt auf einem Diskussionsentwurf zur Grundrechtecharta, den Jürgen Meyer bereits 1995 vorgelegt hat und der als erste Eingabe an den Konvent gerichtet worden ist (GRC Dok. Contrib. 2 vom 6. Januar 2000 ).
Jarass Hans D./Pieroth Bodo: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar. München, 5. Aufl., 2000, Rn 54 zu Art. 2.
So z.B. in Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und im UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984.
Die Befürchtung war von 13 Delegierten des Konvents in einem Schreiben vom 31. August 1999 — auf Initiative von Jürgen Meyer — an das Präsidium gerichtet worden: „Aus systematischen Gründen sollte aber davon abgesehen werden, in einzelnen Artikeln einen Verweis auf „einzelstaatliche Rechtsvorschriften“ und „nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts” aufzunehmen. Insofern sprechen sich die Unterzeichner dafür aus, diese Verweise aus den Artikeln 9, 18, 25, 26, 32, 33 und 34 zu streichen. Es sei darauf hingewiesen, dass durch die horizontale Bestimmung in Art. 49 Abs. 1 und 2 [in der Endfassung der Charta Art. 51] ein solcher Verweis überflüssig ist. Aus systematischen Gründen hat sich der Konvent darauf geeinigt, horizontale Fragen separat zu formulieren, nicht zuletzt, um die Lesbarkeit der Charta und damit die Identifikationsmöglichkeit der Bürger mit der EU zu färdem. Durch die in Convent 45 [gemeint ist die damalige Fassung der Charta] vorgelegte Systematik wird dagegen beim Bürger der Eindruck erweckt, dass hier spezifische Artikel gegenüber anderen abgeschwächt werden sollen. Dies entspricht weder der Intention des Konvents noch dem Kölner Auftrag. Darüber hinaus kann der Eindruck entstehen, dass Grundrechte, die nach allgemeinem Verständnis höchstrangiges Recht darstellen, unter den Vorbehalt einzelstaatlicher Regelungen oder zukünftiger Vertragsrevisionen gestellt werden. Dieser Eindruck wäre fatal und widerspräche dem Geist des Art. 6 Abs. 1 EUV, in dem deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass die Union der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten höchste Priorität beimisst.“ Der Appell war unterschieben von Jürgen Meyer. Alima Bourmediene-Thiery, Andrew Duff, Caspar Einem, Ben Fayot, Michael Holoubek, Ulpu Ilvari, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Jo Leinen, Hans-Peter Martin, Elena Paciotti, leke van den Burg und Johannes Voggenhuber.
Jürgen Meyer hatte eine solche Regelung bereits in einem Änderungsantrag vom 16. März 2000 gefordert.
Chartaentwurf vom 14. September 2000, GRC Dok. Convent 47.
Vgl. Urteil vom 24. November 1993 - „Lentia“ -, in: EuGRZ 1994, 549 ff.
Diese Position ist auch in dem Schreiben vom 31. August 1999 von Jürgen Meyer (vgl. Fußn. 31) und den anderen Unterzeichnern vertreten worden. Vgl. auch das 23. Protokoll zum Amsterdamer Vertrag, in dem eine Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk enthalten ist.
In GRC Dok. Convent 45 vom 28. Juli 2000 war in Art. 13 nur die Freiheit der Forschung erwähnt.
GRC Dok. Convent 49 vom 11. Oktober 2000. Dieses Dokument stellt keine offizielle Kommentierung des Konvents dar, sondern ist vom Präsidium auf Nachfrage des Konvents als Hilfestellung für die Delegierten zusammengestellt worden. Der Inhalt des Dokuments ist nicht im Konvent diskutiert worden, und eine Reihe von Delegierten hat immer wieder auf die Unverbindlichkeit des Dokuments hingewiesen. Diese Einschätzung wurde vom Präsidium bestätigt und findet sich auch in der Einleitung von Convent 49.
Vgl. zu der Gesamtdebatte und der Beantwortung der Frage, ob sich politische und soziale Rechte ihrem Wesen nach unterscheiden: Engels, Markus: Verbesserter Menschenrechtsschutz durch Individualbeschwerde? Zur Frage der Einführung eines Fakultativprotokolls für den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. München, 2000.
GRC Dok. Convent 49 vom 1 l. Oktober 2000, Art. 16.
Das Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967, auf die beide in Art. 63 EGV verwiesen wird.
Vgl. das Schreiben Meyers vom 2. Mai 2000, mit dem er sein „3-Säulen-Modell“ dem Konvent vorgestellt hat.
Während die eine Seite dieses Kapitel als Beleg dafür nimmt, dass nunmehr der Durchbruch des Neoliberalismus auch in einer Grundrechtecharta dokumentiert sei, sehen andere in ihm die Gefahr, dass der freie Wettbewerb int’rage gestellt werden könnte und dass eine — an die sozialistischen Staaten erinnemde — Regelungswut der Union ausgelöst werden könnte. Zu einer Zwischenbilanz in Bezug auf die sozialen Rechte während der Verhandlungen im Konvent siehe: Meyer, Jürgen/Engels Markus: Aufnahme von sozialen Grundrechten in die Europäische Grundrechtecharta?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, Heft 9 (2000), S. 368 — 371.
Jürgen Meyer hat am 3. Juli 2000 bei einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion darauf hingewiesen, dass man bei jedem in der Charta vorgesehenen Recht sorgfältig prüfen müsse, ob es sich dabei um ein Menschen- oder um ein Bürgerrecht handele, wobei er die Auffassung vertrat, dass die letztgenannte Kategorie nur die Ausnahme sein könne. Zustimmend Weber Albrecht: Die Europäische Grundrechtscharta — auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung, in: Neue Justiz, Heft 8 (2000), S. 537 — 608 (541 f).
So auch u.a. gefordert von Schmuck Otto: Die Ausarbeitung der Europäischen Grundrechtscharta als Element der Verfassungsentwicklung, in: Integration, Heft 1 (2000), S. 48 — 56 (52).
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Meyer, J., Engels, M. (2001). Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union Eine Einführung. In: Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93246-4_1
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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Online ISBN: 978-3-322-93246-4
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