Zusammenfassung
„Von 1945 bis 1961“, schreibt Martin H. Ludwig, „kann von einer Arbeiterliteratur in der Bundesrepublik nicht gesprochen werden.“1 Das klingt apodiktisch, läßt sich aber historisch plausibel machen. Das Problem verlorener Tradition, konstitutiv für die Nachkriegsliteratur insgesamt, potenziert sich im Sektor der proletarischen Literatur. Ihre inhaltlichen und formalen Traditionen, auch ihre Organisationszusammenhänge, wie sie in Kaiserreich und Weimarer Republik, meist in Anbindung an politische Organisationen der Arbeiterbewegung, existiert hatten, waren durch den Faschismus zerschlagen und dann vergessen worden. Selbst wenn man sich erinnert hätte: als Orientierungspunkte für eine ‚neue‘ Literatur waren gerade solche Erinnerungen wenig attraktiv bzw. durchaus unerwünscht. Ein Literaturkonzept, das prinzipiell auf dem Nachweis von gesellschaftlichen Konflikten, auf der Verwendung realistischer Darstellungsformen und auf dem Anspruch politisch-sozialer Wirksamkeit beruhte, war fehl am Platze. Die ökonomische Restauration beherrschte alle Bereiche öffentlichen und auch privaten Lebens. In ihrer Folge — und andererseits wieder der sozialpsychologischen Absicherung des ‚Wirtschaftswunders‘ dienend — prägten Parolen wie die von der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky), der „formierten Gesellschaft“ (Ludwig Erhard) den ‚Geist der Zeit‘. Die neue Ideologie des „identitätsstiftenden Besitzes“2 ließ nicht nur den unerledigten Faschismus schnell vergessen, sondern auch über fortdauernde gesellschaftliche Widersprüche hinwegsehen. Die Verfolgung der KPD durch die Adenauer-Administration, die ‚Wandlung‘ der SPD zur integrativen Volkspartei, die zunehmende Entpolitisierung der Gewerkschaften nahmen einer (möglichen) Arbeiterliteratur überdies die traditionellen politischen Organisationskerne.
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Literaturhinweise
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Günter Wallraff: Industriereportagen. Als Arbeiter in deutschen Großbetrieben, Reinbek 1970 (= rororo 6723).
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Jochen Vogt: Wallraff war hier… und noch jemand. Eine Obung in Lesebuchkritik, in: J. V.: Korrekturen. Versuche zum Literaturunterricht, München 1974, S. 125 ff.
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Peter Fischbach, Horst Hensel, Uwe Naumann (Hrsg.): Zehn Jahre Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. Dokumente, Analysen, Hintergründe, Frankfurt/M. 1979 (= Fischer Taschenbücher 2195 ).
Ulla Hahn/Uwe Naumann: Romane mit Gebrauchswert. Zur Romanproduktion des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt, in: Basis 8 (1978), S. 155 ff.
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Schütz, E., Vogt, J. (1980). Literatur der Arbeitswelt in der Bundesrepublik. In: Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. Grundkurs Literaturgeschichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91544-3_21
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