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Relation und Prozeß — Die unterschiedene Einheit der werdenden Welt

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Einheit der Welt und Einheitswissenschaft

Part of the book series: Wissenschaftstheorie Wissenschaft und Philosophie ((WWP,volume 37))

  • 58 Accesses

Zusammenfassung

Was wir auch tun, worüber wir auch nachdenken oder sprechen, wir unterscheiden stets etwas von anderem. Wir gehen mit identifizierbaren, abgrenzbaren Dingen und Begriffen um, mit Systemen, wie ich von nun ab sagen werde. Wir identifizieren ein System, indem wir es von anderen, wenn auch nicht unbedingt explizit, unterscheiden. Einem identifizierbaren System können wir Eigenschaften zuschreiben, die nur diesem System und keinem anderen zukommen. In der substantialistischen Denkweise werden einer zugrundeliegenden, unveränderlichen Substanz, die die “wesentlichen” Eigenschaften eines Systems verkörpert (Aristoteles’ “eidos”), akzidentiell wechselnde, für dieses System “unwesentliche” Eigenschaften wie Etiketten aufgeklebt. Faßt man den Substanzbegriff weit, so gelangt man zur “hyle” des Aristoteles, zur “res extensa” Descartes’1, der ausgedehnten Substanz der materiellen, nicht geistigen Welt, kurz: der Materie der Naturphilosophie und Naturwissenschaften. Allen (gegenständlichen) Systemen wäre demnach die Materie gemeinsam, der die ein definiertes System K gegenüber anderen Systemen auszeichnenden “K-typischen” Eigenschaften ebenso “anhaften”, wie die akzidentiell wechselnden, transitorischen Eigenschaften jedes Systems. Wie läßt sich die Materie aber selbst charakterisieren? Materie wird als “einfache Lokalisierung” (“simple location”) verstanden, wie Whitehead2 sich ausdrückt, sie ist in einem absoluten Sinne “einfach da”, vollkommen unabhängig von irgendwelchen Beziehungen zu anderem. Der Substanzgedanke gehört zu den ältesten, traditionsreichsten philosophischen Gedanken. Brauchen wir aber eine Substanz? Was erklärt sie? Verstellt sie vielleicht den Blick auf “Elementareres”?

We have an intricate task before us. We are going to build a world … The first problem is the building material … I cannot make the world out of nothing, but I will demand as little specialised material as possible. Success in the game of World building consists in the greatness of the contrast between the specialised properties of the completed structure and the unspecialised nature of the basal material. …

We take as building material relations and relata. The relations unite the relata; the relata are the meeting points of the relations. The one is unthinkable without the other.

— Arthur Stanley Eddington (1929)

In a certain sense, everything is everywhere at all times. For every location invokes an aspect of itself in every other location. Thus every spatio-temporal standpoint mirrors the world.

— Alfred North Whitehead (1925)

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Referenzen

  1. Hier soll der Substanzbegriff auf die “res extensa” beschränkt bleiben. Descartes Rede von einer davon zu unterscheidenden “res cogitans”, einer geistigen Substanz, setzt einen fundamentalen Dualismus voraus, der entweder unterstellt, wir könnten etwas über eine die erfahrbare Welt transzendierende geistige Welt sagen oder eine willkürliche Grenze innerhalb des Ganzen unserer erfahrbaren, zugänglichen Welt zwischen einer “geistigen” und einer “materiellen” Welt ziehen muß. Von einem radikal immanenten Standpunkt aus, wie er hier von mir eingenommen wird, erübrigt sich jede solche Unterscheidung (vgl. Kap. 3).

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  2. Whiteheads Kritik an der Vorstellung von “simple location” findet sich in Whitehead (1925), S. 50 ff, S. 59 und (1929), S. 260. Materie als etwas Grundlegendes, als “Substanz” zu konzipieren, heißt Whiteheads Meinung nach, eine Abstraktion, nämlich die Abstraktion vom Bezogensein jeglichen identifizierbaren Systems auf anderes, irrtümlich für das Unmittelbare zu halten, heißt, den Trugschluß der unzutreffenden Konkretheit (“fallacy of misplaced concreteness”) zu begehen. Weitere Kritik an der substantialistischen Denkweise z.B. in Whitehead (1929), S. 109 ff, 152, 261.

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  3. Neben Whitehead waren beispielsweise Eddington (1929), S. 230 ff und Lloyd Morgan (1923), S. 64 ff bemüht, substantialistisches Denken durch relationales Denken zu ersetzen. Vgl. auch Schwegler (1992), Roth and Schwegler (1990) und (1992).

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  4. Wenn im folgenden von “räumlichen” Relationen die Rede ist, so wird damit keine bestimmte Vor-stellung, von dem, was “Raum” bedeutet, verknüpft. Räumliche Relationen seien all die Relationen, die nicht als zeitliche Relationen eingestuft werden. Zum Unterschied von Raum und Zeit s.u.

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  5. Bergson (1898), S. 91.

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  6. Bergson (1898), S. 76 ff.

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  7. Auch über unser Bewußtsein können wir nur etwas sagen, insofern es präsent ist. Wenn wir also von Bewußtsein reden, dann sprechen wir nicht von einem transzendenten “Beobachter” oder “Konstrukteur”. Vgl. hierzu auch die Diskussion in Kap. 3.

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  8. Diese Kritik ist in gleichem Sinne auf Whiteheads subjektivistische Deutung seiner Begriffe von “Konkretisierung” (“concrescence”) und “Kreativität” (“creativity”) anzuwenden (z.B. Whitehead (1929), S. 173). Whitehead versteht sein “wirkliches Einzelwesen” (s.u.) als Subjekt im Prozeß des Werdens (concrescence) — vergleichbar etwa mit Bergsons kreativer “wahrer” Dauer oder dem “transzendentalen Subjekt” des Idealismus —, glaubt aber trotzdem “von außen” etwas über das Fortschreiten (creativity) von sich konkretisierenden Subjekten sagen zu können. (Whiteheads Unterscheidung von concrescence und creativity hängt mit seiner atomistischen “epochalen” Zeittheorie zusammen, vgl. Fußnote 12.)

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  9. In der gängigen systemtheoretischen Terminologie ausgedrückt (vgl. Ashby (1956), S. 25 ff.) überführt ein Operator ein System oder eine Relation (auch Operand genannt) in ein anderes (eine andere). Die Menge aller durch einen Operator ermöglichten Übergänge (Transitionen) nennt man eine Transformation. Läßt sich ein System oder eine Relation mathematisch exakt beschreiben, so kann der Operator durch eine mathematische Funktion dargestellt werden. Um Mißverständnisse zu vermeiden, werde ich den soeben vorgestellten Begriff der Transformation nicht verwenden, da ich im Folgenden zwischen einer Transformationsfunktion und einer Kausalfunktion unterscheiden will, die beide je verschiedene Transformationen (Mengen von Transitionen) festlegen.

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  10. Vgl. hierzu z.B. Ashby (1956), S. 243 ff., Rescher (1963) und Haken (1976), S. 88 ff.

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  11. Eine formalisierte Version der Kategorisierung in räumliche und zeitliche Relationen, wurde im Anhang zu Schlosser (1990) entwickelt. Der Begriff der “Gleichzeitigkeit”, hier völlig naiv verwendet, muß eigentlich, berücksichtigt man die Erkenntnisse der Relativitätstheorie, standpunktabhängig definiert werden. Was als räumliche, was als zeitliche Relation angesprochen wird, hängt dann zwar vom “Standpunkt” ab, für jeden Standpunkt gibt es aber einen gleichmannigfaltigen Raum (vgl. auch die Legende zu Abb. 1; der Begriff des “Standpunkts” kann mit den in Kap. 4.3 eingeführten “Elementarprozessen” identifiziert werden). Auf eine relativistische Präzisierung der Begriffe von Raum und Zeit will ich hier verzichten, um die Diskussion nicht unnötig zu komplizieren. Einer relativistischen Modifi-kation des vorgeschlagenen Modells stehen aber keine prinzipiellen Schwierigkeiten entgegen.

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  12. Vgl. etwa Whitehead (1925), S. 126 ff und (1929), S. 141 ff, 396. Whitehead faßt Zeit als eine Sukzession von Zeitatomen (“epochs”) auf; jedes “Zeitatom” wird durch den unteilbaren, nicht-extensiven “mikroskopischen” Prozeß einer Konkretisierung (“concrescence”) repräsentiert (in Whiteheads subjekti-vistischer Deutung von Werden ist dieser in etwa mit Kants synthetischer Apperzeption zu vergleichen). Die Sukzession der Konkretisierungsepochen stellt dann einen davon zu unterscheidenden “makroskopischen” Prozeß (“creativity”) dar. Die Unterscheidung zwischen einem unteilbaren mikroskopischen und einem extensiven makroskopischen Prozeß wurde von Hammerschmidt (1981), S. 159 wie auch von Chapell (1961), S. 71 ff angegriffen: Der Idee eines nicht-extensiven Prozesses läßt sich keine klare Bedeutung geben; ein Zeitatom kann daher nur als ein ausgewählter Abschnitt eines zeitlichen Kontinuums, als ein Zeitintervall verstanden werden. Whiteheads “Konkretisierung”, sofern sie als zeitlich erstreckter Prozeß verstanden werden soll, ist demnach ein Ausschnitt des makroskopischen Prozesses der “Kreativität”, kein fundamental davon unterschiedener Prozeß.

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  13. Auch Whitehead faßt die konstitutiven Relationen seiner “wirklichen Einzelwesen” (s.u.) als prozessuale Relationen auf, als die unterschiedlichen Aspekte des Prozesses der Konkretisierung (“concres-cence”). In Whiteheads subjektivistischer Deutung wird der Konkretisierungsprozeß aber als der synthetische Prozeß aufgefaßt, der die Einheit der Erfahrung eines Subjekts stiftet. Die Relationen werden quasi als Wahrnehmungsrelationen (“prehensions”) konzipiert (vgl. etwa Whitehead (1925), S. 70 ff; (1929), S. 66, 401 ff). Schon Sellars (1941), S. 423 kritisierte zurecht, Whitehead unterscheide nicht zwischen objektiven und subjektiven Relationen. Whiteheads subjektivistische Deutung seiner “wirklichen Einzelwesen” und somit seine gesamte Theorie der “prehensions” sind nicht aufrechtzuerhalten, wenn man, wie Whitehead, von einer Vielzahl gleichzeitiger “wirklicher Einzelwesen” ausgeht. Vgl. hierzu meine Kritik an Whiteheads “wirklichem Einzelwesen” (s.u.). In der neueren Literatur versuchen Roth und Schwegler, wirksame Relationen (“modes of interaction”) zu den “Bausteinen” der Welt zu machen und an die Stelle statischer Strukturen zu setzen. So beschreibt etwa “the physical structure [of sodium] … nothing but the modes of interaction of the molecule or atom which can be realised in certain experiments (i.e. interaction with certain media).” (Roth and Schwegler (1990), S. 39; vgl. auch Roth and Schwegler (in Vorber.).

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  14. Vgl. hierzu Kap. 6 und Kap. 8, wo ich auch zum Verhältnis von Bedeutung und Wirkung in der Sprache Stellung nehmen werde.

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  15. Die seit Locke übliche Einteilung von “Eigenschaften” (Qualitäten) in primäre (objektive) und sekundäre (subjektive) Qualitäten unterscheidet, so betrachtet, zwischen ohne menschliche Vermittlung wirksamen Relationen und Relationen, die nur durch die Vermittlung des Menschen wirksam sind.

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  16. Diese Kritik betrifft vor allem Whiteheads “eternal objects” (vgl. Fußnote 19), die als substantialisti-sches Relikt seiner Philosophie gelten müssen. Damit kein Mißverständnis entsteht: Ich möchte hier nicht in plump positivistischer Manier ein Redeverbot über bestimmte “metaphysische” Begriffe verhängen. Im Gegenteil: Über alles, worüber wir kommunizieren und uns verständigen können, läßt sich sinnvoll reden. Deshalb sprechen wir auch nie über die transzendentalen Grundlagen unserer Welt (höchstens über ein Bild, das wir uns in unserer Welt von ienen machen).

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  17. Allerdings unterscheidet Lloyd Morgan (1923) zwischen effektiven (“effective”) und ineffektiven (“ineffective”) Relationen (S. 78) und behauptet, (z.B.) raumzeitliche Relationen seien ineffektiv (S. 79). Wie oben argumentiert, ist diese Auffassung unhaltbar: Unsere werdende Welt besteht nur aus effektiven Relationen, ineffektive Relationen machen für unsere Welt keinen Unterschied. Whitehead (1929) schlägt an einer Stelle (S. 120) eine ähnliche Interpretation von Substanz als relativer Beständigkeit von Relationen vor (im allgemeinen läßt Whitehead aber sein “wirkliches Einzelwesen” an die Stelle der traditionellen Substanz treten; siehe z.B. Whitehead (1929), S. 110).

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  18. Die Identitätsmenge des definierten Systems K ist bezüglich der in ihr enthaltenen Momentansysteme extensionsgleich mit der Menge aller Prozeßsysteme Kpi. Eine ausführlichere Darstellung des mengen-theoretischen Systembegriffs wird in Kap. 5 gegeben. Vgl. auch Kür (1969), S. 50 ff., Mesarovic and Taka-hara (1975), S. 6 ff. und die Pionierarbeit von Ashby (1956), S. 69 und 200, wo Systeme als Listen von Variablen definiert werden (die eine Menge von Zuständen festlegen). Ashby deutet nur am Rande an (S. 284 f.), daß nicht alle in einer Liste von Variablen theoretisch möglichen Werte für ein definiertes System auch “erlaubt” sind. Eine vorläufige Formalisierung des Systembegriffs findet sich im Anhang zu Schlosser (1990). Whiteheads Analoga der hier verwendeten Systembegriffe (“Nexus”, “Gesellschaft”, “dauerhafter Gegenstand”) werden gleichfalls in Kap. 5 vorgestellt.

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  19. Ich möchte mich hier klar von Whiteheads Lehre der “eternal objects” (Whitehead (1925),S. 88, 159; (1929) z.B. S. 65, 99) absetzen, die seinem eigenen (immanent-realistischen) “ontologischen Prinzip” zuwiderläuft. “Eternal objects” heißen die ewigen Begriffe mit denen wir — bzw. die “wirklichen Einzelwesen” — die Welt strukturieren und zur subjektiven Einheit synthetisieren. Sie können in etwa mit den Identitätskriterien verglichen werden, von denen im Text die Rede war. Sie sind uns als solche aber nicht zugänglich, wir können sie nicht zum Gegenstand philosophischer Reflexion machen, wie Whitehead in seiner Theorie der “prehensions” (insbesondere in Whitehead (1929), S. 401 ff). Hall (1930) und Chiaraviglio (1963), S. 87 schlagen vor, “eternal objects” realistisch umzudeuten und sie als spezifische definierte Systeme (“Nexus” in Whiteheads Terminologie) aufzufassen. Hall (S. 113) spricht dabei von den “focal features” und der “focal identity” von Systemen, als wären diese den Systemen inhärent. Er übersieht, daß jede “Zusammenstellung” von verschiedenen Relationengefügen zu einem bestimmten System in der Tat nach einem Kriterium erfolgen muß, das den Relationengefügen nicht selbst “innewohnt”. Die von Identitäts-und Kontinuitätskriterien geleitete Zuordnung von Relationengefügen zu den bestimmten Identitätsmengen derjenigen definierten Systeme, die uns in unserer Welt jeweils “begegnen”, müssen wir aber als gegeben hinnehmen bzw., transzendentalphilosophisch gesprochen, einem “transzendentalen Subjekt” überlassen, das wir als “regulative Idee” zwar postulieren können, dessen konstitutive “Arbeitsweise” uns aber verborgen bleibt.

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  20. Whitehead (1929) spricht hier von der “Solidarität des Universums” (S. 121).

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  21. Auf den denkbaren Einwand, es könne in einer Welt “Effektivitätsschwellen” für Relationen geben, gehe ich weiter unten (Kap.4.4) näher ein.

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  22. Wissenschaft ist also ein Versuch, die Unterschiede, die uns in der Welt begegnen, zu systematisieren! So vermutet auch Weizsäcker (1968), “daß die ganze Physik im wesentlichen nichts anderes ist als die Gesamtheit derjenigen Gesetze, welche schon deshalb gelten müssen, weil wir das, was die Physik untersucht, objektivieren können … ‘Objektivieren’ möchte ich dabei definieren als: Reduzieren auf empirisch entscheidbare Alternativen.” (S. 288/289).

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  23. Vgl. hierzu Oppenheim and Putnam (1958), S. 5 ff. Shapere (1974), S. 189 schreibt diese Aufgabe sogenannten “compositional theories” zu: “a compositional problem is a theoretical problem about a domain calling for an answer in terms of the constituent parts of the individuals making up the domain and the laws governing the behavior of those parts.” Ein System und seine Eigenschaften sollen also durch Wechselwirkungen zwischen den Konstituenten erklärt werden, dies impliziert allerdings nicht, daß die Eigenschaften eines Systems aus den Wechselwirkungen nur seiner Teilsysteme (“Autokon-stituenten”) untereinander erklärbar und von Umgebungseinflüssen unabhängig sind: Auch Umgebungssysteme können konstitutiv (“Allokonstituenten”) sein. Zur Partitionismusdiskussion vgl. aber Kap. 5.

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  24. Lloyd Morgan (1923) will zwar auch “Eigenschaften” als Relationen deuten (S. 19, 186), übersieht aber die Möglichkeit, diese sämtlich als Gefüge wirksamer Relationen eines Wirkungszusammenhangs zu analysieren. Nur deshalb kann er “external relations” (“ineffective”) von “internal relations” (“effective”) unterscheiden und von “new kinds of relations” (S. 64) neuer Systeme sprechen, deren emergente Systemeigenschaften angeblich unanalysierbar seien.

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  25. Parallelen und Unterschiede der Explikation (Deutung) von gegenständlichen und begrifflichen Systeme werde ich in Kap. 8.1 aufzeigen, nachdem ich in Kap. 6.3 den Bedeutungsbegriff präzisiert und Be-deutungszusammenhänge von Wirkungszusammenhängen unterschieden haben werde.

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  26. Beispiele für relativ abgeschlossene eingeschränkte Wirkungszusammenhänge sind atomare Interaktionen (chemische Reaktionen), Erregungsinteraktionen zwischen Nervenzellen im Nervensystem, Zellinteraktionen verschieden adhäsiver Zellen im Organismus und die Sprachinteraktionen der menschlichen Kommunikationsgemeinschaft. Keiner dieser eingeschränkten Wirkungszusammenhänge ist indes vollkommen abgeschlossen und isoliert vom Rest der Welt (vgl. hierzu auch Schwegler (1992)). Was wir untereinander bereden, hängt zwar weitgehend davon ab, wie unser Gespräch bisher verlaufen ist (und auch von früheren sprachlichen Interaktionen), ist aber nicht unbeeinflußbar durch äußere Ein-flüsse: Fällt einem der Gesprächsteilnehmer während des Dialogs ein Dachziegel auf den Kopf, so dürfte das Gespräch eine eher unerwartete Wendung nehmen.

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  27. Für die Fragestellungen wissenschaftlicher Systemanalyse genügt es, “Eigenschaften” von Systemen als Relationengefüge solcher eingeschränkter Wirkungszusammenhänge zu erklären, in denen der in Frage gestellte Zusammenhang mit anderen Systemen explizit zum Vorschein kommt. So genügt es zum Beispiel, die unterschiedliche Verhaltensantwort eines Zebras auf verschiedene Umweltreize auf der Ebene des eingeschränkten Wirkungszusammenhangs der Erregungsverarbeitung im Nervensystem zu analysieren, sofern die Fragestellung lediglich auf die Kohärenz des Verhaltens zielt (“wie werden verschiedene Verhaltensantworten auf verschiedene Umweltreize generiert?”); die verschiedenen Umwelteinflüsse werden dann lediglich als Auslöser eines bestimmten Verhaltens und selbst nicht als erklärungsbedürftig betrachtet; warum verschiedene Umwelteinflüsse in einer bestimmten Abfolge auf das Zebra einwirken, wird nicht hinterfragt. Will man aber wissen, wie das Verhalten eines Zebras ihm das Überleben in seiner Umgebung ermöglicht (“wie hält ein Zebra im Umgang mit Umwelteinflüssen seine Identität aufrecht?”), so reicht diese Betrachtungsebene nicht aus, da zur Klärung dieser Fragestellung auch die Interaktionen mit und zwischen Systemen in der Umgebung des Tieres berücksichtigt werden müssen. Aus der Betrachtung der Erregungsabfolgen im Nervensystem eines vor einem Löwen fliehenden Zebras läßt sich nichts über die Erfolgschancen seiner Flucht aussagen, da diese ebenso von der Konstitution des Löwen, der Unwegsamkeit des Geländes etc. abhängen.

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  28. Die Naturwissenschaften, vor allem die Physik, messen i.a. räumliche Unterschiede im engeren Sinn, d.h. Entfernungsunterschiede (Zeigerausschlag eines Meßinstruments) im dreidimensionalen Raum und versuchen eine Interpretation des Wirkungszusammenhangs als komplexes Netzwerk räumlicher (im engen Sinne) Relationen, d.h. Entfernungsbeziehungen zwischen einfachen Systemen, die sich in Abhängigkeit voneinander ändern. Naturwissenschaft kann daher als eine Systematisierung wirksamer Entfernungsänderungen aufgefaßt werden. Entfernungsbeziehungen reichen aber nicht aus, um die Wechselwirkungen zwischen den einfachsten uns bekannten Systemen (“Elementarteilchen”) zu charakterisieren, es müssen noch “Eigenschaften” der Systeme wie Masse, Ladung, Spin usw. berücksichtigt werden. Insofern auch solche “Eigenschaften” sich in Abhängigkeit von Wechselwirkungen mit anderen Systemen än-dern, sollten auch sie als Gefüge wirksamer Relationen neu interpretiert werden können. Das ist beispielsweise in der Relativitätstheorie für die “Eigenschaft” der Masse von Systemen durchgeführt worden: Die Relationen des Wirkungszusammenhangs sind dann nicht mehr als einfache, dreidimensionale Ent-fernungsbeziehungen deutbar, sondern nurmehr als Relationen eines vierdimensionalen Raums — sie lassen sich nicht mehr anschaulich charakterisieren. Letzten Endes sollten sich alle regulär veränderlichen “Eigenschaften” auch der Elementarteilchen aus einem relationalen Zusammenhang ergeben, wobei letzterer immer mehr an Anschaulichkeit verliert. Bei dem Versuch, die Quantentheorie relational umzudeuten, muß man beispielsweise zu höherdimensionalen Räumen übergehen (vgl. etwa Böhm (1987), S. 242 ff). Ich möchte noch betonen, daß die Vorentscheidung der Physik, Entfernungsunterschiede zu systematisieren, räumliche Unterschiede objektivistisch — als “primäre Qualitäten” — zu deuten und alle anderen von uns feststellbaren Unterschiede, z.B. Farbunterschiede, als “sekundäre Qualitäten” ins Reich der Subjektivität abzuschieben, auch anders hätte ausfallen können: Würden wir beispielsweise nicht den Ausschlag eines Zeigers, sondern die Veränderung eines Farbkontrasts unseren Meßinstrumenten zugrundelegen, so würde unsere Wissenschaft anders aussehen. Während wir, legen wir die heutige Physik zugrunde, gezwungen sind, eine Farbe mit verschiedenen räumlichen Relationengefügen zu korrelieren (Spektralfarben, Mischfarben, Beleuchtungsabhängigkeit von Farben usw.), und Farben deshalb als “subjektiv” bezeichnen, ereilte räumliche Entfernungen das gleiche Schicksal, würden wir “Farbenphysik” betreiben! Dies hebt auch Uexküll (1928) hervor: “Durch die Einstellung der Lokal-und Richtungszeichen für die Inhaltszeichen, sind diese keineswegs aus der Welt geschafft. Wohl aber hat man … überall den gleichen Nenner eingesetzt, der allein die rechnerische Durcharbeitung ermöglicht.” (S. 127; siehe auch S. 103). Vgl. auch Primas (1985), S. 164.

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  29. Der Versuch vieler Physiker, eine einheitliche Feldtheorie zu entwerfen, die alle Wechselwirkungen aus einem grundlegenden Typus von Wechselwirkungen abzuleiten versucht, zielt genau in diese Richtung (vgl. etwa Weinberg (1987), S. 437). Solange wir aber Elementarteilchen unanalysierte “Eigenschaften” zuschreiben können, sind diese nicht mit den Elementarprozessen, wie sie hier angepeilt werden, zu identifizieren.

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  30. Vgl. Whiteheads (1929) “Solidarität des Universums” (S. 121): “ein wirkliches Einzelwesen kann nur in dem Sinne Element einer ‘gemeinsamen Welt’ sein, daß diese Konstituens seiner eigenen Beschaffenheit ist. Daraus folgt, daß jede Einzelheit des Universums, einschließlich all der anderen wirklichen Einzelwe-sen, ein Konstituens in der Beschaffenheit jedes wirklichen Einzelwesens ist.” (S. 277).

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  31. Eine genauere, formalisierte Darstellung von Elementarprozessen (dort noch “Elementarsystem” genannt) findet sich im Anhang zu Schlosser (1990). Eine überarbeitete und korrigierte Version dieser Formalisierung ist in Vorbereitung. Helmut Schwegler verdanke ich den wertvollen Hinweis, daß es nicht ausreicht, Elementarrelationen als zweistellige Relationen Rij zwischen einem Elementarprozeß Ei (t) und einem früheren Elementarprozeß Ej.(t-dt) zu konzipieren. Ein Elementarprozeß Ei (t) (i = 1, 2, …, u) wurde als u-Tupel der Elementarrelationen Rij zu allen antezedenten Elementarprozessen (j = 1, 2, …, u) eingeführt. Nun sollen sich verschiedene gleichzeitige Elementarprozesse Ei (t), Ej (t) usw. zwar durch ihre “Perspektive” voneinander unterscheiden, jeder Elementarprozeß soll aber sozusagen die “Information” über das ganze antezedente Universalsystem “in sich tragen” (d.h. um den Zustand des künftigen Universalsystems mit der Kausalfunktion zu berechnen, soll die vollständige Kenntnis eines Elementarprozesses genügen). Unter diesen Bedingungen ist jeder Elementarprozeß durch eine Transformationsfunktion auf jeden anderen gleichzeitigen Elementarprozeß abbildbar. Das zentrale Postulat der “vollständigen Selbstbestimmtheit” eines Elementarprozesses läßt sich aber nur erfüllen, wenn Elementarrelationen als mehrstellige Relationen (Relationen, die mehr als nur zwei Elementarprozesse verknüpfen) eingeführt werden. Vermutlich genügt es, eine Elementarrelation als die dreistellige Relation Riij aufzufassen, die Ej (t) mit Ei.(t-dt) und Ej (t-dt) verknüpft. Elementarprozesse müssen dann als u-Tupel von Riij eingeführt werden. Im Text werde ich, der Einfachheit halber, Elementarrelationen weiterhin mit Rij notieren.

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  32. Der Begriff der Gleichzeitigkeit muß aber, wie schon in Fußnote 11 erwähnt, relativistisch verstanden werden, d.h. welche antezedenten Elementarprozesse Ej als gleichzeitig (als Ej (t-dt)) gelten, hängt vom Elementarprozeß Ei (t) ab. Bezieht man diese Überlegungen in das theoretische Modell des universalen Wirkungszusammenhangs mit ein, so läßt sich auch eine Interpretation des Nahwirkungsprinzips trotz simultaner universaler Dependenz finden. Diese Diskussion soll einer gesonderten Publikation vorbehalten bleiben (den Hinweis auf den potentiellen Konflikt meines Modells mit dem Nahwirkungsprinzip der Physik verdanke ich Helmut Schwegler).

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  33. Vgl. hierzu Whitehead (1929), S. 121, 518.

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  34. Unsere Welt ist ein Prozeß und “der Prozeß [ist] das Werden von wirklichen Einzelwesen … Daher sind wirkliche Einzelwesen Geschöpfe; sie werden auch als ‘wirkliche Ereignisse’ bezeichnet.” Whitehead (1929), S. 64. Die Betonung des prozessualen Charakters von Welt findet sich z.B. in Whitehead (1925), S. 74, 175 und (1929), S. 29, 64. Den elementaren Prozeß, den jedes “wirkliche Einzelwesen” — oder wie ich lieber sagen möchte: jeder Elementarprozeß — eigentlich verkörpert, beschreibt Whitehead auch als Konkretisierungsprozeß (“concrescence”) (s.o.). Vgl. hierzu Whitehead (1929), S. 63, 92, 173, 396.

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  35. Wie schon mehrmals betont, können wir Systemanalyse betreiben und die Welt in immer einfachere, d.h. “eigenschaftslosere” Systeme analysieren, ohne daß uns die zugrundeliegende Prozeßregel bekannt sein muß. Dies gilt natürlich auch für die Kausalfunktion des universalen Wirkungszusammenhangs. Der “Glaube” an die Existenz der Kausalfunktion ist eine regulative Idee, die unsere Analyse in Richtung auf Elementarprozesse leitet, welche vollkommen eigenschaftslos und durch externe Relationen charakterisierbar sind. Wir nehmen an, daß die Veränderungen aller Relationen in Abhängigkeit voneinander im Prinzip durch eine einzige Regel wiedergegeben werden können, da alles von allem beeinflußt werden kann. Es ist für die hier angestellten Betrachtungen aber vollkommen gleichgültig, welche konkrete Form die Kausalfunktion in unserer Welt annimmt. Daher ist die Allgemeine Systemtheorie unabhängig vom aktuellen Stand der physikalischen Gesetzeswissenschaft.

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  36. Die Indizierung der Kausalfunktion mit der Zeitvariablen t im Anhang zu Schlosser (1990), S. 261 ist mißverständlich, worauf mich Helmut Schwegler aufmerksam machte. Ich wollte damit nur die implizite Zeitabhängigkeit (Abhängigkeit von den zu einem Zeitpunkt t auftretenden Werten der Funktionsvariablen) der Kausalfunktion zum Ausdruck bringen, keinesfalls unterstellen, die Kausalfunktion sei explizit zeitabhängig (die Verknüpfungsregel zwischen zwei ungleichzeitigen Räumen ändere sich mit der Zeit); in diesem Fall löste sich der Begriff der Verknüpfungs“regel” ja selbst auf.

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  37. Die Einheit der Perspektive ist unteilbar: Ein Elementarprozeß E1 (t) kann unmöglich bezüglich einiger antezedenter Elementarprozesse Ej (t-dt) die gleichen Elementarrelationen Rij aufweisen wie E2 (t)-so daß gilt: Rij gleich R2j —, hinsichtlich anderer Ek(t-dt) aber nicht (R1k ungleich R2k), so wie es einer Person A unmöglich ist, den Schrank in einem Zimmer aus der Perspektive von B zu sehen, den Tisch aber nicht. Entweder A sieht beides aus der Perspektive von B (und ist dann mit B identisch) oder keines von beiden.

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  38. Vgl. hierzu den Anhang zu Schlosser (1990), S. 261.

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  39. Das vorgestellte ganzheitliche Modell des Universums läßt sich gut mit einigen erstaunlichen Konse-quenzen der Quantentheorie vereinbaren, insbesondere den nicht-lokalen Korrelationen (Einstein-Po-dolsky-Rosen-Korrelationen) zwischen verschiedenen Systemen. Die Paradoxien der Quantentheorie resultieren daraus, daß das Universum eigentlich als ein “verschränktes System” betrachtet werden muß, in dem es keine isolierten “Objekte” gibt: “quantum theory strictly speaking admits of no isolated objects.” Scheibe (1989), S. 119. Wir gehen aber in unserer Weltbetrachtung — z.B. im physikalischen Experiment-immer von isolierten Objekten aus und vernachlässigen somit unweigerlich einige der ganzheitlichen EPR-Korrelationen, was u.U. zu paradoxen Konsequenzen führen kann. Vgl. hierzu vor allem Primas (1985), S. 114 f und S. 118, sowie Böhm (1987).

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  40. Im Original “actual entity”, “actual occasion”, ursprünglich auch einfach “event”. Vgl. z.B. Whitehead (1925), S. 72 ff, 171, 175, (1929), S. 57 ff, 66, 150 sowie Leibniz (1720).

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  41. Whitehead spricht daher von “internal relatedness”: “The position here maintained is that the relationships of an event are internal, so far as concerns the event itself; that is to say, that they are constitutive of what the event is in itself.” (1925), S. 106 (vgl. auch S. 125 f).

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  42. Ich habe bereits mehrmals auf den “Konkretisierungsprozeß” (“concrescence”) hingewiesen, der für das Werden eines wirklichen Einzelwesens steht. Die Sukzession von Konkretisierungsprozessen stellt den makroskopischen Prozeß des Werdens der Welt dar, der Ausdruck einer zugrundeliegenden Aktivität (“creativity”) ist (Siehe z.B. Whitehead (1929), S. 79, 173). In neuerer Zeit wurde von Böhm (1987) die Whitehead sehr nahe kommende Philosophie der “impliziten Ordnung” entwickelt, in der sich die Idee eines universalen Wirkungszusammenhangs mit einem strikten Determinismus verbindet. Whiteheads “creativity” wird bei Bohm zu einem “Notwendigkeitsdruck” (S. 264).

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  43. Whitehead (1929), S. 401 ff.

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  44. Vgl. etwa Whitehead (1929), S. 93, 95. Whitehead (1929) spricht in Zusammenhang mit dem Konkretisierungsprozeß des wirklichen Einzelwesens auch von “subjektivem Ziel” (S. 69, 73), “Streben” (S. 80) und “Zweckursachen” (S. 173, 202 ff, 282) und kann daher leicht teleologisch mißverstanden werden. Auf der anderen Seite betont Whitehead die “innere Determiniertheit” des Weltprozesses durch die “Wirkverursachung” ((1929), S. 104, 282). Auf den ersten Blick widersprüchlich, lassen sich beide Vorstellungen bei genauerem Hinsehen vereinbaren, wenn man “Zweckverursachung” als einen komplementären Aspekt der “Wirkverursachung” auffaßt und nicht als eine davon unterschiedene entelechiale “causa finalis” (vgl. Whitehead (1929), S. 282, 395, 504; Vlastos (1937), S. 161; ähnlich schon Leibniz (1720), S. 32). Einige Passagen in Whiteheads Werk lassen sich aber beim besten Willen nicht anders als teleologisch verstehen (z.B. Whitehead (1929), S. 206), seine ganze Theorie lebender Systeme (Whitehead (1929), S. 199 ff) krankt daran.

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  45. So sagt er etwa: “jedes Elektron ist eine Gesellschaft von elektronischen Ereignissen, und jedes Proton ist eine Gesellschaft von protonischen Ereignissen.” Whitehead (1929), S. 180. Whiteheads “Gesellschaft” entspricht in etwa meinem “System”.

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  46. Ein Elementarprozeß läßt sich vielleicht eher mit Whiteheads Begriff des “Standpunkts” (“standpoint”) gleichsetzen, der einem von subjektivistischen Zutaten “gereinigten” wirklichen Einzelwesen entspricht (Whitehead (1929), S. 513 ff).

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  47. Das heißt auch, daß die Physik niemals die Kausalfunktion des universalen Wirkungszusammenhangs beschreiben wird. Jeder solche Versuch scheitert schon am berühmten “Dreikörperproblem”: Ein exakter Algorithmus für die Prognose der gleichzeitigen Wechselwirkungen zwischen mehr als zwei Systemen ist — mathematisch beweisbar — nicht geschlossen, sondern nur numerisch, und das heißt approximativ lösbar. Die ideale Kausalfunktion des universalen Wirkungszusammenhangs soll aber alle Elementarrelationen des Universums gleichzeitig als Variablen berücksichtigen. Eine solche Funktion wäre demnach nicht eindeutig lösbar und deshalb auch nicht eindeutig überprüfbar, selbst wenn alle Elementarrelationen zu einem Zeitpunkt bekannt wären. Letztere Voraussetzung ist zudem aufgrund der Beobachterpartizipation (vgl. Kap. 7.2) prinzipiell unerfüllbar.

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  48. Poppers (1977) “Propensitätsinterpretation” von Wahrscheinlichkeit (S. 48 ff) kann als ein Versuch verstanden werden, “realen Zufall” durch Effektivitätsschwellen zu “erklären”, was vor allem daran deutlich wird, wie Popper neue, emergente Systemeigenschaften unter Verwendung seines Propensitätsbe-griffs interpretiert. Popper (1977) behauptet: “nicht nur die Bewegung jedes einzelnen Atoms [beeinflußt] die Bewegungen der angrenzenden Atome, sondern die Durchschnittsgeschwindigkeit einer Atomgruppe beeinflußt auch die Durchschnittsgeschwindigkeit der angrenzenden Atomgruppen. Dadurch beeinflußt sie die Geschwindigkeit vieler einzelner Atome in der Gruppe …” (S. 60). Eine solche globale Beeinflussung ist möglich, weil die “Propensität” von Systemen, in einen bestimmten Zustand überzugehen, von der Umgebung beeinflußt wird. Hat aber die Umgebung einen globalen Einfluß auf den zukünftigen Zustand eines Systems, der über die Einflüsse aller ihrer Elementarprozesse hinausgeht, so überschreiten in diesem zusätzlichen globalen Einfluß bislang unwirksame Relationen die Effektivitätsschwelle.

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  49. Auf diese Art und Weise versucht eine “geläuterte” — nicht streng schriftgläubige — Version des Kreationismus, die Anpassung und Zweckmäßigkeit lebender Organismen im Gegensatz zur Selektionstheorie zu “erklären”. Vgl. etwa Wilder-Smith (1982), z.B. S. 11, 54. Wilder-Smith spricht nicht explizit von “göttlicher” Lenkung, fordert aber eine intelligente Instruktion (“Logos”), die mit den Naturgesetzen nicht beschrieben werden kann.

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  50. Deshalb sträubten sich viele Physiker jahrelang gegen die Quantenmechanik, die mit der deterministischen Tradition der Physik bricht, weil alle Versuche für bestimmte Quantenphänomene deterministische Deutungen zu finden, gescheitert waren. Die Unzufriedenheit mit diesem Verstehensverzicht der Quantenmechanik kommt in Einsteins berühmtem Diktum “Gott würfelt nicht” zum Ausdruck. Auch Böhm (1987) versucht mit seiner Theorie der “verborgenen Variablen” die Quantenmechanik deterministisch umzudeuten. (Der Indeterminismus der Quantentheorie braucht allerdings nicht unbedingt mit echten Effektivitätsschwellen zu tun zu haben, könnte vielmehr auch aus der Selbstbezüglichkeit aufgrund Beobachterpartizipation resultieren.)

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  51. Whitehead sieht die Möglichkeit solcher konfigurationalen Gesetze, hält sie aber für überflüssig: “The prompt self-preservative actions of living bodies, and our experience of the physical actions of our bodies following the determinations of will, suggest the modification of molecules in the body as the result of the total pattern. It seems possible that there may be physical laws expressing the modification of the ultimate basic organisms with adequate compactness of pattern. It would, however, be entirely in consonance with the empirically observed actions of environments, if the direct effects of aspects as between the whole body and its parts were negligible.” (1925), S. 150 — “basic organisms” entsprechen den Elementarprozes-sen. Vgl. zum Thema “konfigurationale Gesetze” auch die Diskussion in Kap. 2.1.1.

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  52. So spricht z.B. der frühe Bertalanffy (1930/31), S. 390 von einem “spezifisch vitalen, an das Ganze des organischen Systems gebundenen (also nicht ‘vitalistischen’) Formfaktor” und läßt offen, ob die “Formbildungsgesetze des Lebens” jemals “physikochemisch auflösbar” sein werden (S. 397 f). Elsasser (1958) spricht von “biotonic laws” (S. 19), die organisationsspezifisch und nicht universell (S. 172), aber mit den physikalischen Gesetzen kompatibel sein sollen (S. 146).

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  53. Auch Sheldrake (1981) geht bei der Formbildung unbelebter (Kristallisation) und belebter Systeme (Morphogenese) von einer nichtenergetischen Verursachung (S. 69) aus (was einer contradictio in adjecto gleichkommt) und davon, daß die Gesetze der Physik mehrere Möglichkeiten offenlassen, aus denen durch “morphische Resonanz” mit einem “morphogenetischen Feld”, welches die virtuelle Form eines Systems enthält, eine Möglichkeit ausgewählt wird. Die morphogenetischen Felder würden ihrerseits durch die Formbildung modifiziert (S. 72, 88, 91). Sheldrakes Behauptung, seine Theorie sei im Gegensatz zu Drieschs testbar (S. 100), ist fadenscheinig, da sich seine “Theorie” beliebig durch zusätzliche ad-hoc-Hypothesen immunisieren läßt.

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  54. Ein weiterer, etwas anders gelagerter denkbarer Einwand gegen ein einfaches Kausalgesetz wäre: Die Naturgesetze (die Kausalfunktion) selbst könnten sich permanent verändern (explizit zeitabhängig sein). Wie Nagel (1961), S. 380 betont, ist diese Auffassung unhaltbar: “the assumption that all laws are simultaneously involved in a process of change is self-annihilating, for since the past would then be completely inaccessible to knowledge we would be unable to produce any evidence for that assumption.” (Vgl. auch Fußnote 36.)

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  55. Waddington (1961), S. 40 ff., Bertalanffy (1968), S. 47, Wartofsky (1968), S. 357 und Maturana (1975), S. 139, um nur exemplarisch einige Namen anzuführen, heben ausdrücklich hervor, daß die Aufklärung der Organisation eines Systems für unser Verständnis der Systemeigenschaften vordringlich ist.

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Schlosser, G. (1993). Relation und Prozeß — Die unterschiedene Einheit der werdenden Welt. In: Einheit der Welt und Einheitswissenschaft. Wissenschaftstheorie Wissenschaft und Philosophie, vol 37. Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90910-7_5

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