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Berkéwicz, Ulla: Das Geheimnis von Fräulein Doktor Faußt (Ausschnitt)

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Gesellschaft in literarischen Texten
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Zusammenfassung

Ich war als Zwölfjährige in die Flachstadt gekommen. Hatten wir vorher in einer Hügelstadt gelebt, in einem Haus, in dem die Standuhren schlugen und die guten Geister uns den blauen Schutzmantel umlegten, hatte das Haus unter Bäumen gestanden, in deren Schatten ich die Welten auf der anderen Seite des Lichts erkennen konnte, hatten die von dort mir herübergeflüstert, daß einmal einer kommen wird, als König oder Bettelmann, lebten wir jetzt unter den Steinen. Kein Baum in der Flachstadt, keine Blume, die man sich hatte pflücken können und ins Haar stecken als Zeichen des Widerstands. Nur draußen am Fluß siedelten einzelne Siedler im Grün zwischen den Lagerhallen, verloren wie in Alaska. Die Strichmenschen gingen auch am Sonntag nicht zur Stadt hinaus, trieben sich in den Straßen, rieben sich an den Ecken, besaßen ihren Besitz, maßen mit ihrem Maß, eine Elle lang, was länger ist, wird abgeschnitten. Die Nacht war grün und rot von ihren Winkern, in mein Zimmer platzte alle zweieinhalb Minuten die Riesenbombenbrust des Neon-pin-up von gegenüber: zwei steile Hütchen in der roten Mitte, Funkensprühen aus den Hütchen, Brüstewippen, Zucken, Beben, batsch! Hinter dem Haus stampfte eine Maschinenfabrik meinen Schlaf ein, brachen Maschinenwesen durch die Hauswand, zerstampften in Grund und Boden, mich und meine ganze Familie. Dabei sollte mein Bett mich trösten, die ersten Träume von dem, der kommen würde, und die letzten aus Märchenland. In meiner Schule: Mädchen, aufgewachsen in der Flachstadt, Strichmenschen schon mit zwölf, ohne Sehnsucht, leer und leer, so daß es zieht, so daß du meinst, der Wind fahrt in sie, heult dort drinnen. Die Lehrer Monster, bucklige, hinkende Ungeheuer, Schreckmasken, wie sie dir im Fieber hochsteigen. Kurze Röcke, von jenen so verboten wie lange Gedanken, Seelen wurden geknebelt, blutig geschlagen, weil der Holzstock verboten war.

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Literatur

  • Berkéwicz, Ulla: Das Geheimnis von Fräulein Doktor Faußt. In: Ders.: Maria Maria. Drei Erzählungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988. S. 66-71.

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Ralf Zoll

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© 2005 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Berkéwicz, U. (2005). Berkéwicz, Ulla: Das Geheimnis von Fräulein Doktor Faußt (Ausschnitt). In: Zoll, R. (eds) Gesellschaft in literarischen Texten. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83416-4_66

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83416-4_66

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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  • Online ISBN: 978-3-322-83416-4

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