Zusammenfassung
Ein Kernelement der agrarischen „Sinnwelt“ bezog sich stets auf die zumindest als Ideal fortwirkende traditionelle Familienwirtschaft. In jenen Regionen, in denen der kleinbäuerliche Familienbetrieb dominierte und überwiegend vollbäuerliche Familien bestanden, findet man bis in das 20. Jahrhundert hinein die Spuren dieses traditionellen Familientypus.87 Umgekehrt gehörte die Klage über seinen Verfall zum Kanon des agrarischen Protests. Wenn im folgenden über die Familie als „Indikator“ des Zusammenhangs zwischen Moderne und Krisenbewußtsein gehandelt wird, so bezieht sich dies jedoch explizit nicht auf das traditionelle, sondern auf das moderne „bürgerliche“ Familienmodell. Was mit ihm freilich genau gemeint sei, blieb, wie sogleich hinzugefügt werden muß, über die gesamten zwei Jahrhunderte seiner Existenz umstritten. „Der historisch vieldeutige Begriff [der Familie A.W.] ist nur brauchbar, wenn im Einzelfall sein Sinn klargestellt wird.“88 Tatsächlich gehört zur Geschichte der modernen Familie unauflöslich auch die Unsicherheit darüber, auf welchen Grundlagen sie beruht, welche Substanz und welche Form sie hat und welche sozialen Funktionen sie erfüllt. Zugespitzt formuliert: Die Geschichte der Selbstvergewisserung darüber, was Familie sei, ist zugleich auch die Geschichte der Feststellung, die Familie befinde sich in einer Krise. Die Klage über den drohenden Verfall der Familie ist so alt wie die moderne Familie selbst.
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Notes
Otto Brunner, Das „Ganze Haus“ und die alteuropäische „Ökonomik“, in: Ders., Neue Wege der Verfassungs-und Sozialgeschichte, 3. Aul. Göttingen 1980, S. 103-127
Johannes Burkhardt, Art.: Wirtschaft, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, Stuttgart 1992, v.a. S. 550–553.
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© 2004 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Wirsching, A. (2004). Die Geschichte der modernen Familie als Geschichte ihrer Krise. In: Agrarischer Protest und Krise der Familie. Otto-von-Freising-Vorlesungen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, vol 23. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80577-5_3
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