Auszug
Gegenstand der pädiatrischen Psychologie ist die psychologische Situation und Entwicklung des körperlich erkrankten Kindes in Verbindung mit den krankheitsbedingten Belastungen seines sozialen Umfeldes. Gemessen an der normalen psychischen und kognitiven Entwicklung ergeben sich bei Kindern mit akuten oder chronischen Erkrankungen partielle Entwicklungsverzögerungen und -ausfälle, zum Teil aber auch vorzeitige Reifungsprozesse und erhöhte Integrationsleistungen. Diese Differenzen gegenüber der durchschnittlichen Normalentwicklung hat die pädiatrische Psychologie beim kranken Kind festzustellen und gegebenenfalls mit fördernden, kompensierenden oder auch therapeutischen Maßnahmen den Möglichkeiten des Kindes entsprechend auszugleichen. Dabei ist auch das enge familiale und soziale Umfeld des Kindes, insbesondere seine primären Bezugspersonen, teilweise einzubeziehen. Denn die Krankheit des Kindes führt auch zu Abweichungen von den üblichen Verlaufsformen der Objektbindungen und Loslösungs- und Individuationsprozesse. Ferner wird die psychosexuelle Entwicklung von Jungen und Mädchen durch die Art, Dauer und Schwere der Krankheit beeinflusst und verändert. Die Geschlechterdifferenz kommt jedoch bereits durch unterschiedliche Erkrankungshäufigkeiten bei Mädchen und Jungen sowie durch zum Teil différente Erkrankungsarten und -verlaufe zum Ausdruck, die sich aus den organischen, hormonellen, chromosomalen und endokrinen Geschlechtsunterschieden und deren Auswirkungen auf die Entwickiungsverläufe ergeben. Die im prä- und postnatalen Stadium und während der frühen Kindheit feststellbare geringere neuronale Reife des Jungen ist nicht nur für dessen verstärkte Anfälligkeit bei einigen Krankheiten verantwortlich, sondern bewirkt zugleich eine geringere Bewältigungskapazität (Coping) bei psychophysischen und emotionalen Belastungen. Entsprechend finden sich psychische und kognitive Störungen häufiger sowohl beim physisch gesunden wie entsprechend beim körperlich kranken männlichen Kind. Sowohl bei Mädchen wie Jungen untersucht die pädiatrische Psychologie die auftretenden Abweichungen in der emotionalen und kognitiven Entwicklung, im Bindungs- und Sozialverhalten, um altersbezogen inadäquate Bindungsmuster und Verhaltensstrukturen zu korrigieren und eine dem Kind und seinen Bedürfnissen wie den sozialen Anforderungen entsprechende Individuation und Integration zu ermöglichen. Hierfür sind psychosoziale Maßnahmen der Rehabilitation sowie zur Prävention gesundheitlicher Folgeerscheinungen notwendig. Dabei geht es insbesondere auch um die Wiederherstellung bzw. Neugestaltung von Bedingungen optimaler Lebensqualität für Jungen und Mädchen trotz deren Erkrankung und ihren (Spät)Folgen. Aber auch die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod im Kindesalter ist eine zentrale Fragestellung der pädiatrischen Psychologie. Hier finden jedoch geschlechtsbezogene Aspekte bisher kaum Berücksichtigung.
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Moré, A. (2008). Zur Geschlechtsspezifik bei (neuro) psychologischen und psychosomatischen Störungen aus der Sicht der pädiatrischen Psychologie. In: Rieder, A., Lohff, B. (eds) Gender Medizin. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-68290-6_6
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