Wandel in der Phänomenologie und neue Tendenzen in der Therapie sexueller Störungen

Zusammenfassung

Bei der Beschreibung der Änderungen, die sich im professionellen Umgang mit dem, was als sexuelle Störung angesehen wird, ergeben, wird deutlich, dass sich eine evolutionspsychologische Sicht auf die Phänomene von Vorlieben für bestimmte Partnerwahl, Verliebtheiten, Paarungswünsche und Partnerbindung anbietet, da sie nicht von einem zielgerichteten Trieb ausgeht, sondern von unterschiedlichen „Lernbereitschaften“, die sich entlang bestimmter Lebenserfahrungen zu kombinierbaren Motivationsmodulen weiterentwickeln. In den meisten Problemfällen, die medizinisch-therapeutisch als Störungen definiert werden, ist dann besonders die Dynamik zwischen einem Beziehungswunsch und erregend empfundenen Bedürfnissen nach Stimulierung und orgastischer Entspannung zu beachten. Die Störungen der ersten Bindungserlebnisse an die Mutter (unsicheres Attachment) können Vorraussetzung für gestörte Stressverarbeitung und Sucht- bzw. zwanghafte Lustsuche werden bzw. das geschlechtliche Identitätsgefühl grundsätzlich beeinträchtigen.

Für viele Störungen haben sich gerade in den letzten Jahren auch medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten ergeben, die bei psychotherapeutischem Vorgehen integrativ mitbeachtet werden müssen. Dazu gehören die Medikamente zur Verbesserung der Erektionsfähigkeit (Phosphodiesterasehemmer), aber auch die selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren, die sowohl bei Ejaculatio praecox eingesetzt werden als auch bei unerwünschter sexueller „Impulsivität“ zur Reduktion devianter Motivation bzw. Zwänge. Gerade wenn wir theoretisch von vorgegebenen Lernbereitschaften ausgehen, lassen sich viel eher organisch orientierte Interventionen (Medikamente) mit Psychotherapie kombinieren.