In der historiographischen und transnationalen Forschung zur Supervisionsgeschichte zwischen 1945 und 1975 werden Positionierungen sichtbar, die an den späteren Diskurs der Entwicklung des Coachings im deutschsprachigen Raum erinnern. Ideengeschichtlich lassen sich Motive, Technologien und Konzepte, die später als Coaching bezeichnet wurden, in Europa bereits in den 1950er und 1960er-Jahren in der frühen Supervision nachweisen, in den USA vermutlich noch früher. Es scheint also, als wären in einem anderen Kontext vergleichbare Ideen bereits diskutiert worden, die es näher zu erfassen gilt. Dieser Beitrag kann nur eine erste Annäherung sein, weil (a) Coachingverständnisse hochgradig heterogen sind, (b) für die frühe Geschichte der Supervision nur ein unzureichender Forschungsstand vorliegt (Belardi 1992, S. 56 f.; Gröning 2013; Walpuski 2020b), insbesondere in Hinblick auf ihre Ideengeschichte (Lohl 2019, S. 17–19), und (c) sich die Entwicklung nur in der Analyse der komplexen und vielsprachigen theoretischen und praktischen Austauschprozesse insbesondere zwischen den USA und dem westlichen Europa rekonstruieren lässt. Mit diesem ersten Beitrag wird vor allem die Forschungslücke konturiert. Ob und gegebenenfalls welcher Zusammenhang zwischen frühem Supervisions- und späterem Coaching-Diskurs besteht, ist ein Forschungsdesiderat.

1 Was ist Coaching?

Damit die Ideengeschichte des Coachings rückverfolgt werden kann, gilt es zuerst, das dafür zugrunde gelegte Coachingverständnis offen zu legen. Dies ist insbesondere deshalb notwendig, weil Coaching inzwischen ein vielgestaltiger Containerbegriff mit multiplen Verständnissen und Konzepten ist (Böning und Kegel 2013), auch wenn Loebbert (2016, S. 6–7) dies zu nivellieren versucht.

Vier zentrale Motive, zu was Coaching primär dienen soll, werden einer Stichprobenuntersuchung diskursprägender Beiträge aus Theorie und Praxis vorangestellt. Diese Motive eines funktionalisierenden Verständnisses sollen dann im historischen Vergleich nachverfolgt werden:

  1. 1.

    Coaching zur individuellen Leistungssteigerung und (Selbst‑)Optimierung

  2. 2.

    Coaching als Rationalisierung und Effizienzsteigerung im Sinne der Organisation

  3. 3.

    Coaching als Selbststeuerung und Aktivierung

  4. 4.

    Coaching als Methode der Führung von Mitarbeitenden

An dieser Stelle kann keine systematisierende Arbeit zu Coachingverständnissen im Feld erfolgen; vielmehr soll anhand willkürlich gewählter Stichproben aus diskursprägenden wissenschaftlichen Publikationen als auch einem empirischen Beispiel aus der Praxis das hier zugrunde gelegte Coachingverständnis dargestellt werden, ohne damit einen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit zu verbinden. Divergente Coachingverständnisse und Motive, die daneben, aber weniger verbreitet auch zu finden sind, werden hier zugunsten der Fokussierung nicht detaillierter dargestellt, sind in weiterer Forschung aber unbedingt zu berücksichtigen.

Als erste Quelle soll Michael Loebbert dienen, als „Programmverantwortlicher und Dozent für Coaching Studies an der Fachhochschule Nordwestschweiz“Footnote 1 und Autor mit Diskursmacht ausgestattet. Loebbert sieht eine „bedeutende Innovation von Coaching“ (2016, S. 7–8) darin, Beratung von den Resultaten her zu denken und auf die individuelle Leistung zu fokussieren (vgl. auch Greif und Benning-Rohnke 2015; Wastian und Poetschki 2016; Grant 2018). Die Optimierung der Wirksamkeit ist für ihn das zentrale Beratungsziel, und er sieht in „Selbstwirksamkeitserleben, Selbstaktualisierung und Selbststeuerung die wichtigsten Faktoren für erfolgreiches Handeln“ (ib.).

Ein ähnliches Verständnis findet sich bei Harald Geißler, mittlerweile pensionierter „Professor für Allgemeine Pädagogik […] an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg [… sowie Leiter des] Institut[s] für Online-Coaching an der HFH. Hamburger Fern-Hochschule“Footnote 2, der die Ziele von Coaching in drei Punkten komprimiert:

  • seine Leistung bzw. Leistungsfähigkeit kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern, und zwar durch die Verbesserung seines zweckrationalen Umgangs mit Ressourcen, d. h. Geld, Information, Material, Beziehungen zu anderen und last not least auch mit den eigenen Fähigkeiten und Motivationen,

  • seine Sozialität bzw. seine sozialen Fähigkeiten kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern, und zwar durch die Verbesserung seines wertrationalen Umgangs mit den an ihn gestellten Ansprüchen gesellschaftlicher und organisationaler Loyalität und Moralität und

  • seine Persönlichkeit bzw. Persönlichkeitsentwicklung kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern, und zwar durch die Verbesserung seines authentischen Umgangs mit sich selbst.“ (Geißler 2017, S. 74)

In allen drei Punkten ist das Ziel die Verbesserung des Individuums in unterschiedlichen Dimensionen unter der Mitwirkung des Individuums, oder, synonym: die Selbstoptimierung. Der Umwelt oder der Gesellschaft kommt dabei lediglich die Rolle zu, die notwendige Anpassungsleistung zu formulieren, und sie sind in diesem Verständnis kein Ziel von Kritik.

Auch in Frank Austermanns (2013) stark zugespitzter Untersuchung des Coaching- und Supervisionsverständnisses der „vielgelesenen Autorin zahlreicher Publikationen“ (Möller 2011, S. 19) Astrid Schreyögg werden drei zentrale Punkte sichtbar:

  1. 1.

    „‚Coaching richtet sich an die Zielgruppe der Führungskräfte, Supervision an die der Geführten‘ (Schreyögg 2009, S. 196).

  2. 2.

    ‚Coaching strebt Veränderung von oben an, während Supervision eher Veränderung von unten intendiert.‘ (Schreyögg 2009, S. 196)

  3. 3.

    Coaching gehört zur Personalentwicklung, Supervision zur Personenentwicklung (Schreyögg 2013, S. 232).“ (Austermann 2013, S. 36)

Schreyöggs erster Punkt darf als Unterscheidungskriterium inzwischen als obsolet gelten, ist Coaching doch seit Jahren auch in der Arbeit der Jobcenter der Bundesrepublik mit ihren sogenannten „Kunden“ angekommen (vgl. Griewatz und Walpuski 2017, 2018),Footnote 3 die zu guten Teilen weit davon entfernt sind, überhaupt „Personal“ geschweige denn Führungskräfte zu sein. Aus Schreyöggs Verständnis entsteht der Eindruck, dass Coaching ein Teil von Governance ist und sich der Frage stellen muss, auf welche Weise und mit welchen Werten es daran mitwirkt.

Das vierte Motiv, Coaching nicht nur als optimierendes Angebot für Führungskräfte zu nutzen, sondern auch als Kompetenz an die Führungskräfte selbst zu vermitteln, damit diese nach den Methoden, Techniken und Zielen des Coachings ihre Mitarbeitenden führen, findet sich exemplarisch bei Werner Sauter (1994). Seine Dissertation trägt erstmalig das Motiv der „Führungskraft als Coach“ in den deutschsprachigen Diskurs, zumindest in monographischer Form. Lediglich das unveröffentlichte Workshop-Skript des St. Galler Beraters Rolf Stiefel von 1989, „Coaching – der Vorgesetzte als Entwickler seiner Mitarbeiter“, benennt Sauter als ältere Quelle (Sauter 1994, S. 327). Abgesehen davon, dass Sauter sich nur auf wenigen Seiten seiner Dissertationsschrift überhaupt mit Coaching beschäftigt und den Begriff äußerst unscharf mit Erwachsenenbildung, Personal- und Organisationsentwicklung vermischt sowie als Containerbegriff gebraucht, ist diskursanalytisch viel interessanter, in welche Kontexte er Coaching setzt.

Sauter betont für den „dauerhafte[n] geschäftliche[n] Erfolg“ (Sauter 1994, S. 13) die Notwendigkeit, „Gruppen von Mitarbeitern zu aktivieren“ (op. cit., S. 16). Für das „Coaching als Führungsaufgabe“ (op. cit., S. 144) nennt er als Ziele die Leistungssteigerung, Verhaltens- und „Mentalitätsveränderung […] in Richtung Eigenverantwortung“ (op. cit., S. 145), Prozessoptimierung, Freisetzung von Potenzialen, „Hilfe zur Selbsthilfe“ (op. cit., S. 145), verbunden mit einem jeweils individuellen Lern- und Entwicklungstempo. „Coaching ist die gemeinsame Entwicklungsarbeit von Führungskraft und Mitarbeiter mit dem Ziel der optimalen Aufgabenerfüllung“ (op. cit., S. 145). Schließlich wirbt Sauter für ein Konzept, in dem höhere Führungskräfte niedere Führungskräfte coachen („Einführung des Coaching-Gedankens in die Gesamtunternehmung“, „Coach the Coach“; op. cit., S. 296–297). Damit finden sich bei Sauter die vorangehenden drei Motive, die nun mit Führungsarbeit verknüpft und als interne Organisationsaufgabe strukturiert werden.

Diese theoretischen Stichproben sollen zur Vervollständigung des Bildes um eine empirische ergänzt werden. Dafür dient ein Ausschreibungstext der Bundesagentur für Arbeit (BA). Denn neben zahlreichen lokalen Ausschreibungen der Jobcenter, in der Regel gemeinsame Einrichtungen mit der jeweiligen Gebietskörperschaft, sucht die BA in Ausschreibungen regelmäßig Coaches für ihre rund 98.700 Beschäftigten und Führungskräfte (BA 2021, S. 115). Damit steht sie, obwohl Behörde, dennoch stellvertretend für eine vergleichbare Großorganisation, die zudem durch ihre öffentlichen Ausschreibungstexte einen einfacheren Zugang zum Coachingverständnis ermöglicht, als dies privatwirtschaftlich agierende Unternehmen tun. In einer solchen Ausschreibung heißt es:

Unter Coaching wird in der BA die professionelle, berufsbezogene Beratung von Führungskräften zur Förderung von Spitzenleistungen verstanden. Coaching geht zielgenau auf den individuellen Bedarf einer Führungskraft ein. Es ist ein „maßgeschneiderter“ und ganzheitlicher Beratungsprozess. Ziel des Coachings ist es, die Ressourcen und Kompetenzen des Coachee bestmöglich zu fördern, damit aktuelle Verhaltensmuster kritisch betrachtet und neue Verhaltensmöglichkeiten erkannt und umgesetzt werden können. Vor allem gilt es, die Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung des Coachee zu fördern sowie dessen Handlungskompetenzen zu erweitern. Das Coaching basiert auf einem für den jeweiligen Einzelfall ausgearbeiteten Konzept, in dem das Vorgehen und die verwendeten Interventionen und Methoden durch den Coach festgelegt werden.Footnote 4

Damit finden sich auch in der Praxis aus Sicht einer vorstrukturierende Einkaufsabteilung die beschriebenen Motive wieder. Die Perspektiven von Einzelkund*innen, die ohne Vorstrukturierung ein Coaching in Anspruch nehmen und in Form von Erwartungen auch ein Coachingverständnis haben, muss hier vor allem aus forschungspraktischen Gründen unberücksichtigt bleiben, es sei jedoch auf Fallbeispiele in Möller und Zimmermann (2020, Kapitel 4) verwiesen, die dies verdeutlichen.

1.1 Ergebnissicherung der Coachingverständnisse

Zusammenfassend lassen sich für diesen ersten Versuch, die Ideengeschichte eines in Theorie und Praxis vertretenen Coachingverständnisses zu verorten, diese Stichproben aus Beschreibungen der letzten Jahrzehnte für diesen Zweck als hinreichende Durchdringung, wenn auch nicht vollumfängliche Abbildung des Feldes begreifen. Die vier voran gestellten Motive finden sich sowohl in diskursprägenden theoretischen Beiträgen wie auch exemplarisch in der Praxis wieder.

Insbesondere Sauters Konzept ähnelt in seiner Konstruktion, nicht jedoch den Inhalten, dem Casework-Ausbildungskonzept im Supervisionsdiskurs der 1950er und 1960er-Jahre der USA, wie im Weiteren gezeigt wird. Sauter jedoch schließt an keine dieser Quellen an. Vielmehr greift er auf mehrere Texte des Organisationspsychologen Oswald Neuberger zurück, darunter auch „Der Mensch ist Mittel. Punkt.“ (1990). Austermann untersuchte Neubergers Lehre (Neuberger 1994 [1991]) im Kontext von Schreyöggs Coachingverständnis, wies stark zuspitzend auf dessen inhumane Verdinglichung von Beschäftigten hin und arbeitete Neubergers und Schreyöggs konzeptuelle Nähe zur Psychotechnik und Menschenökonomie heraus (Austermann 2013). Damit kritisiert Austermann eine „Orientierung an der Optimierung der Funktionsfähigkeit“ (Austermann 2013, S. 47) und wirft die Frage nach dem Menschenbild der Beratung auf – ein Diskurs, den Sauter nicht ansatzweise in den Blick nahm.

Coaching geht damit teilweise auch auf die Konzepte der Menschenökonomie und Psychotechnik zurück (vgl. Austermann 2013; Gröning 2015, S. 61). In dieser funktionalisierenden Form soll es der Steigerung von Effizienz und Effektivität dienen und Unternehmen – durch die Ökonomisierung der gemeinwohlorientierten Organisationen sind auch diese inzwischen überwiegend als gewinnorientiert wirtschaftende Unternehmen zu beschreiben – letztlich helfen, Kosten zu sparen und Erträge zu erhöhen. Die Coachees sollen sich dabei im Sinne dieser Werte anpassen und verändern, wie auch die weiteren Stichproben belegen.

Wo finden sich diese Motive, Ziele und konzeptionellen Ansätze aber im Supervisionsdiskurs zwischen 1945 und 1975? Und welches Supervisionsverständnis wird dafür zugrunde gelegt?

2 Was ist Supervision?

Dieser Beitrag will keinen neuen Versuch starten, Supervision und Coaching voneinander abzugrenzen. Als historiographischer Beitrag muss die Frage vielmehr lauten: Was war Supervision im transnationalen Diskurs zwischen 1945 und 1975? Grundlegend gilt dabei: Die in dieser Zeit diskutierten Konzepte entstanden nicht ex nihilo, sondern greifen auf ältere Konzepte und Theorien zurück, auf die dann jeweils verwiesen wird. Und auch für die Supervision bestanden damals heterogene Verständnisse, die bisher für den deutschsprachigen Raum nur unzureichend erforscht geschweige denn systematisiert sind (Walpuski 2020b). Für diesen Essay relevant sind nicht die Vorformen und Entwicklungsschritte hin zu einem kritisch-reflexiven Supervisionsverständnis, wie es Katharina Gröning (2013; 2016) sozialwissenschaftlich und historisch fundiert. Vielmehr geht es darum, Ähnlichkeiten in funktionalisierenden Positionen und Konzepten aufzuspüren, wie sie bei Schreyögg (2009) bereits sichtbar wurden, und damit Spuren für eine systematische Bearbeitung zu legen. Der Fokus liegt dabei auf dem Diskurs innerhalb der Sozialen Arbeit. Hier wurde Supervision, seinerzeit untrennbar mit dem Social Casework (Einzelfallhilfe) verbunden, diskutiert, ausprobiert und konturiert. Dabei wird der Diskurs von Supervision im Kontext von psychotherapeutischer Ausbildung außer Acht gelassen, weil er sich entkoppelte (Steinhardt 2007). Dies wäre eine eigene Untersuchung wert.

Grundlegend ist für das weitere Verständnis voraus zu schicken, dass bis etwa 1975 im Fachdiskurs Casework und Supervision untrennbar miteinander verbunden waren (Belardi 1992, S. 56 f.):Footnote 5 Im Denken der damaligen Zeit ließ sich Casework nur durch Supervision richtig erlernen, und eine Supervision außerhalb von Case- oder Groupwork gab es noch nicht. Oder mit den häufig zitierten Worten, die der deutschen Supervisionswegbereiterin Dora von Caemmerer zugeschrieben werden: „Methodenorientierte Ausbildung ohne Supervision ist wie Kaffee, der nicht geröstet wurde“ (Schiller 1988, S. 68). Damit einher ging ein kasuistisches Supervisionsverständnis, das ausschließlich auf den Einzelfall bezogen reflektiert.

Dabei ist es insbesondere in den sehr frühen Jahren vor 1960 schwierig, überhaupt auf den Supervisionsdiskurs zu stoßen, denn es gab nur sehr wenige Beiträge, die sich explizit mit Supervision befassten. Noch zu neu war das Casework überhaupt, und die Beiträge bearbeiteten im Wesentlichen das Casework als „neue Methode“. Supervision wurde häufig nur am Rande als geheimnisumwitterte und konturlose conditio sine qua non erwähnt. Da sich im Verständnis dieser frühen Jahre in der Beziehung zwischen Supervisorin und Sozialarbeiterin die „helfende Beziehung“ zwischen Sozialarbeiterin und Klient*in gewissermaßen auf höherem Niveau abbildete, lässt sich Supervision stark vereinfacht als Casework für Sozialarbeiter*innen beschreiben und in gewissen Grenzen gleich setzen: Vieles, was über Casework gedacht und veröffentlicht wurde, galt gleichermaßen für die Supervision als Ausbildungsbestandteil des Casework. Erst nach 1970 begann die deutsche Supervision, sich langsam vom Case- und Groupwork zu lösen und sich unabhängig davon zu entwickeln. Noch bis über die späten 1970er-Jahre hinaus zog sich der Streit um den Begriff: Supervision oder Praxisberatung (vgl. Caemmerer 1970; Andriessen 1978). In dieser Zeit begann die Supervision auch, befördert durch die Verbindung von Gruppendynamik und Supervision in einzelnen Akteur*innen wie beispielsweise Gerhard Leuschner, Hermann Steinkamp oder Cornelis Wieringa, sich neue Zielgruppen zu erschließen, was sich auch alsbald in der neuen Fachzeitschrift Supervision widerspiegelte (vgl. Kutter et al. 1977; Krämer 1982, 1983).

Im Folgenden soll nun eine kursorische Spurensuche im sozialarbeiterischen Diskurs erste Analogien und damit Quellen und Zugänge erschließen. Der Anspruch ist dabei wiederum nicht die Vollständigkeit, sondern das Aufspüren von diskursprägenden Fragmenten, um damit weitere Forschung anzuregen. Im Rahmen dieses Beitrags lassen sich dabei nur einzelne Quellen benennen, die jedoch häufig als Phänotypen für weitere Diskursbeiträge stehen. Der explizite diesbezügliche Nachweis bleibt weiterer Forschung vorbehalten.

3 Funktionalisierend-optimierende Motive im deutschsprachigen Supervisionsdiskurs zwischen 1945 und 1975

Die soeben als einem verbreiteten Verständnis von funktionalisierend-optimierendem Coaching zugrunde liegenden Ideen herausgearbeiteten Punkte finden sich schon in den 1950er und 1960er-Jahren in der westeuropäischen Diskussion um Supervision in Verbindung mit dem Social Casework, manchmal auch etwas außerhalb dieser Grenzen. Die Soziale Arbeit knüpfte nach dem Zweiten Weltkrieg an den Versuch an, durch Verwissenschaftlichung die Professionsbildung zu betreiben. Supervision war dabei ein zentrales Ausbildungsinstrument. Vieles geschah unter den Einflüssen aus den USA, die wiederum häufig durch Migrationsbewegungen aus und nach Mitteleuropa sowie Exilant*innen beeinflusst wurden (Walpuski 2020b, 85,86,a, b). Die Supervision war dabei vor allem tiefenpsychologisch orientiert und befand sich im Dilemma zwischen freudianisch geprägter, psychoanalytischer Schule („diagnostic school“) und der auf den Ansätzen von Otto Rank und Jessie Taft begründeten Ich-psychologischen, funktionalen Schule („functional school“) (vgl. Kasius 1951; Lowy 1977; Heekerens 2016), oder geografisch gesprochen, zwischen New York und Philadelphia. Die dritte Schule, reformpädagogisch von den Theorien John Deweys und der sozialwissenschaftlichen Chicago School beeinflusst, begann, sich in Chicago um Charlotte Towle ([1954] 1967) herauszubilden. Ihre Lehre beeinflusste die Entwicklung der Supervision in den folgenden Jahren deutlich. Aber auch hier wird analog zum Coaching deutlich, dass es differente Verständnisse von Supervision gab, die für die frühe Zeit noch nicht ausreichend erforscht und beschrieben sind. Im Folgenden werden gezielt Spuren von Supervisionsverständnissen gesucht, die zum oben dargestellten Coachingverständnis passen, um Gemeinsamkeiten und etwaige Entwicklungszusammenhänge nachzuzeichnen.

Exemplarisch berichten die beiden Niederländerinnen Cora Baltussen (1953) und Maria James (1954), die 1953 mit einem UN-Stipendium in den USA Casework studierten (Walpuski 2021a), von ihren Eindrücken, in diesem Fall aus der Family Service Association in Cleveland. Ihnen fiel dort ein starkes Effizienzdenken auf: „The opinion of the staff is that casework must be done (more) effectively and (more) efficiently“ (Baltussen 1953, S. 3). Ob Supervision und KonsultationFootnote 6 dort als Hindernisse für diese Effizienz und Effektivität oder als deren Treiber und Ermöglicher gesehen wurden, wird nicht deutlich, während hingegen die Betonung der Effizienz im Denken sehr klar wird.

Welcher Diskurs auch immer in den USA über Supervision geführt wurde – nach Deutschland (und ins westliche Mitteleuropa) kamen durch Baltussen, James und zahlreiche weitere Austauschstudierende, die die Supervision aus den USA transportierten (Walpuski 2020b, 85,86,a, b), zum Teil unzusammenhängende Bruch- und Versatzstücke davon und stießen auf andere gesellschaftliche Strukturen und Traditionen. Ringshausen-Krüger (1977, S. 82) sah in diesen Umständen zwar zahlreiche Rezeptionsfehler begründet, faktisch bildeten sich in der jungen Bundesrepublik jedoch allmählich eigene Verständnisse von Supervision heraus, die maßgeblich durch die US-amerikanischen und niederländischen Impulse geprägt wurden.

Anhand von drei ausgesuchten Motivkomplexen, deren Spuren ich analog für das oben dargestellte funktionalisierend-optimierende Coachingverständnis suche, möchte ich dies im Folgenden detaillierter herausarbeiten:

  1. 1.

    Motive zur Rationalisierung, Leistungssteigerung und (Selbst‑)Optimierung

  2. 2.

    Motive der Persönlichkeitswandlung, Selbststeuerung und Aktivierung

  3. 3.

    Motive der Governance und (Selbst‑)Führung

Für die weitere Forschung sind diese weit gefassten Motivkomplexe auszudifferenzieren, und weitere vorhandene Motivkomplexe bleiben dabei zunächst unberücksichtigt. Einige der im Folgenden angeführten Quelltexte lassen sich nicht trennscharf nur einem Motiv zuordnen. Dies verdeutlicht nur, wie fließend die Übergänge zwischen den Motiven und wie notwendig die weitere Ausdifferenzierung sind.

3.1 Motive zur Rationalisierung, Leistungssteigerung und (Selbst‑)Optimierung

Wie unzählige weitere Sozialarbeiter*innen mit deutschem Migrationshintergrund andernorts (vgl. Walpuski 2020b) half die Exilantin Anne Fischer mit ihren Erfahrungen aus den USA, die Mannheimer Familienfürsorge in Casework und Supervision auszubilden. Über diese Ausbildungsunterstützung, die im Gesamtprozess der US-amerikanischen „Reeducation“ zu betrachten ist, berichtete Oberfürsorgerin Aloysia Roesinger (1955, 1957) in der Katholischen Sozialarbeit. Darin heißt es unter anderem:

Auf Grund ihrer [i.e. Fischer] Anregungen gelang uns der Nachweis, daß sowohl durch eingehende Behandlung und Aktivierung von Hilfsbedürftigen und intensive Zusammenarbeit der Mitarbeiter wirtschaftliche Unterstützung oft kurzfristiger als sonst nötig war wie auch Heimkosten durch laufende erzieherische Betreuung von Minderjährigen erspart werden konnten (Roesinger 1957, S. 70).

Damit ist nicht gesagt, dass Fischer eine Effizienzsteigerung als Ziel lehrte, sondern es können durchaus Roesinger und ihr Umfeld sein, die die Anregungen Fischers für diese Argumentationslinie, die in der Traditionslinie der menschenverachtenden NS-Sozialpolitik stand, zu nutzen wussten. Deutlich wird in jedem Fall das ökonomische Interesse, Einsparungen an Zeit und Geld zu realisieren. Roesinger weiter:

Mein Bericht über die Supervision […] kann nicht mit Erfolgszahlen aufwarten. Ich glaube jedoch sagen zu dürfen, daß die durch Praxisberatung vertiefte Einzelhilfe nicht nur die Arbeit intensiviert hat, sondern daß auch in vielen Fällen Notstände wirtschaftlicher oder erzieherischer Art durch diese Methode verkürzt oder durch geeignete Hilfsmittel ganz behoben werden konnten. Der auf den ersten Blick kompliziert und zeitraubend erscheinende Prozeß der Supervision erweist sich letzten Endes als rationelle und daher unentbehrliche sozialberufliche Einrichtung. (op. cit., S. 72)

Roesinger denkt in Einsparungspotenzialen sowie „Erfolgszahlen“ (ib.) und begrüßt die Beschleunigung, auch wenn sie diese nicht evidenzbasiert belegen kann. Casework und den zugehörigen „Prozeß der Supervision“ (ib.) erlernt und nutzt sie als eine Methode, eine Technik, die „verkürzt“ (ib.) und rationalisiert, obwohl sie „auf den ersten Blick kompliziert und zeitraubend erscheint“ (ib.). Eine ökonomische Argumentationslinie steht bei ihr deutlich im Vordergrund und ist möglicherweise ihrer Führungsposition als Oberfürsorgerin geschuldet. Einerseits ist Roesingers positive Einschätzung von Casework und Supervision in der Armut der Nachkriegszeit noch vor dem einsetzenden Wirtschaftswunder gut zu verstehen: Ressourcen jeglicher Art waren knapp, und die Bevölkerung litt unter absoluter und nicht relativer Armut. Gleichwohl lassen ihre Berichte jedoch das humanistische, anerkennende, verstehende Gegengewicht missen, das die Soziale Arbeit bestimmt.

Im weiteren Verlauf der Entwicklung lassen sich deutlicher ökonomisierende Denkweisen finden. So berichtet Annedore Schultze, die in Salt Lake City (USA) einen Master of Social Work erworben hatte (Schultze 1959), von einer späteren USA-Reise:

Die Ökonomie nimmt in der amerikanischen Sozialarbeit einen breiten Raum ein. Erfolgsanalysen nach den verschiedensten Kriterien sind überall gebräuchlich. Ob anhand von Aktenmaterial oder nach Tonbändern, die Arbeit des Sozialarbeiters wird zunehmend einer Kontrolle unterworfen, um festzustellen, ob und welcher Erfolg (Nichterfolg) zu verzeichnen ist – wie der Klient die Arbeit sieht – wann sich der Erfolg zuerst zeigte – wie die Kurve der Veränderung aussieht – welche Mittel und Techniken zum Erfolg (oder auch Nichterfolg) geführt haben. (Schultze 1971, S. 154)

Schultze konstatiert dabei binnen weniger Jahre eine Veränderung der Supervision:

Unter Supervision versteht man heute stärker eine von administrativen Gedanken getragene Kontrolle des Sozialarbeiters. Veröffentlichungen aus dem Bereich der Wirtschaft, wie z. B. Amatai [sic!] Etzionis: „Modern Organizations“ (1964) haben entscheidenden Einfluß auf die Supervision genommen (Schultze 1971, S. 154).

Vielleicht übersah Schultze aber auch viel ältere diesbezügliche Tendenzen, denn 1929 wurde aus der New Yorker Sozialschule bereits über „regelmäßige Aussprachen über technische Fragen in der Fürsorge, die sich besonders auf die Wirtschaftlichkeit und Rationalisierung in der Wohlfahrtspflege erstrecken und gemeinsam mit Volkswirtschaftlern durchgeführt werden“ (o. V. 1929, S. 302) berichtet. Und Hans Scherpner kritisierte bereits 1927 die Verbindung von Casework mit einer Zweckrationalität durch „[b]ewußte Planmäßigkeit, intensivste Ausnutzung aller Hilfsquellen und ständige kritische Selbstkontrolle“ (Scherpner 1927, S. 22) auch in Hinblick auf ökonomischen Erfolg (op. cit., S. 34). Aus Schultzes weiterer Biographie lässt sich erahnen, dass sie in den Folgejahren an der Akademie für Jugendfragen im westfälischen Münster ein tendenziell kritischeres und gemeinwesenorientiertes Supervisionsverständnis lehrte.

Eine Effizienzsteigerung in Form von Beschleunigung findet sich schon früh bei Townsend (1953) und dann in der weiteren Entwicklung immer wieder:

Über die sehr intensive Evaluationsarbeit sind auch die Kriterien für „planned short-term treatment“, eine zeitlich von vornherein festgelegte, kurzfristige Behandlung erarbeitet worden (vgl. Reid und Shyne „Brief and Extended Casework“ [1969]). Heute ist ein erfreulicher Trend zu einer gezielteren kurzfristigen Behandlung in der Sozialarbeit sichtbar; außerdem zur sofortigen Krisenintervention. (Schultze 1971, S. 154)

Dies begrüßte auch Bethusy-Huc (1971) in ihrer Rezension von Reid und Shyne, wenn sie die schnellen Erfolge, geringeren Kosten und den geringeren Zeitaufwand herausstellt. Zudem zwingt dieses Vorgehen „zu einer genauen Definition der im Vordergrund der Behandlung stehenden Probleme sowie des Behandlungsziels“ (Bethusy-Huc 1971, S. 456), also letztlich zu einer Priorisierung und Fokussierung. Erst Jahre später, als das brief casework schon Eingang in den Fachdiskurs gefunden hatte, legte Steve de Shazer seine ersten Überlegungen zu einer Brief Therapy (1975, 1978) vor.

Grundlage der Supervisionsausbildung in Deutschland und seinen Nachbarländern waren über lange Zeit die amerikanischen Konzepte. Dafür viel genutzte „Standardartikel“ fanden zum Teil Eingang in einen Quellenband zur „Praxisberatung (Supervision)“ (Caemmerer 1970, S. 7). Sie wurden als bewährte Lehrtexte in deutscher Übersetzung publiziert, um sie den „Ausbildungsstätten und der Praxis der Sozialarbeit […] zur Verfügung“ (ib.) zu stellen. Die Herausgeberin übersetzte aufgrund damaliger Begriffsstreitigkeiten Supervision mit „Praxisberatung“, nur Wieringa (1970) widersetzte sich dem explizit.

3.2 Motive der Persönlichkeitswandlung, Selbststeuerung und Aktivierung

Neben diesen ökonomisierenden und rationalisierenden Spuren, Soziale Arbeit zu beschleunigen und effizienter zu gestalten, findet sich als zentrales Motiv immer wieder auch das einer Persönlichkeitswandlung und (Um‑)Formung im Casework, wie es Maraun im Kontext der Jugendfürsorge beschreibt:

Jeder Widerstand eines Kindes gegen seine Heimeltern kann zu einem positiven Erlebnis geformt werden, wenn durch Stützung von mehreren Seiten aus einer unzulänglichen Beziehung schließlich eine positive geworden ist. Ebenso wie auch der Widerstand des jungen Fürsorgers gegen den beratenden Supervisor nicht gebrochen, sondern zu einer positiven Haltung umgeformt werden soll (Maraun 1952, S. 245).

Bang nennt dies später die „Wandlungsmethode“ (Bang 1967, S. 114 ff.). Dies wird vor allem deutlich, wenn als Ursache für die sozialarbeiterischen Hilfebedarfe der Klient*innen häufig auf eine unzureichende Anpassung der Klient*innen an die Gesellschaft oder ihre „unangebrachten Reaktionen“ (Bang 1967, S. 114) verwiesen wird. Damit wurden strukturell bedingte Notlagen einerseits ausgeblendet, individualisiert und subjektiviert, andererseits schloss sich diese Sichtweise an Formen der Psychotechnik und Menschenökonomie an, die sich schon in Frieda Duensings (1920) Vortrag zur Eröffnung der Sozialen Frauenschule München findet. Geschichtlich ist auch auf die im Deutschen Reich forciert vertretene Subjekt-Psychotechnik (vgl. Moede 1930) zu verweisen, die durch Anwendung von Erkenntnissen der Differentiellen Psychologie zur Eignungsdiagnostik, Führung und Weiterbildung auf eine Anpassung des Menschen an die industriellen Arbeitsbedingungen setzte und mit ihren Methoden das NS-Regime stützte. Dieses Motiv einer „Anpassung“ lässt sich auch als Persönlichkeitswandlung und -umformung fassen: Die Persönlichkeit des Klienten und sein Verhalten müssen sich ändern, damit die Integration in die Gesellschaft gelingt und ein erfolgreiches Leben möglich wird. Dem Casework und damit der Supervision kommt die Aufgabe zu, dazu zu motivieren:

Nur der Fürsorger, der in seiner Berufsausbildung psychologisch gut geschult ist, kann dem Klienten wirksam helfen, seine Gefühle mit der Zielsetzung auf Wachstum, Wandel, Anpassung an die Wirklichkeit zu mobilisieren (Hamilton 1950, S. 50).

Dieses Motiv spiegelt sich in der Supervision der Caseworker*innen, deren Persönlichkeiten reifen und die durch die Supervision „‚funktionstüchtiger für ihre institutionell vorgegebenen Aufgaben‘ gemacht werden sollen“ (Leuschner 1999, S. 5; vgl. Neuffer 1990, S. 181). Hierbei wird in der Regel nicht – wie in den Niederlanden – auf lerntheoretische Konzepte der Erwachsenenbildung zurückgegriffen, sondern aus psychologischer Perspektive eine Anpassungsleistung zu erreichen gesucht. Das sozialarbeiterische Werkzeug dafür ist „die helfende Beziehung“, und Jessie Taft spricht diesbezüglich von einer „relationship therapy“ (Taft 1933). Sie verortet Sozialarbeit und die zugehörige Supervision damit in oder nahe einem (psycho-)therapeutischen Kontext und steht damit in der Tradition Mary Richmonds (1917), die erstmalig ärztlich-diagnostisches Vorgehen mit einer anschließenden „Behandlung“ („treatment“) konzipierte. Einerseits hat Taft damit die Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin als zentrales Element gelingender Therapie in die Soziale Arbeit übertragen, andererseits die Soziale Arbeit deutlich stärker mit der Psychotherapie und medizinisch-therapeutischem Denken verflochten. Diese älteren Konzepte kamen, ausdifferenzierter und weiterentwickelt, nach dem Zweiten Weltkrieg nach Mitteleuropa.

Auch die Casework-Lehre selbst wird – wenn auch zunächst nur experimentell – in ein therapeutisches Setting überführt, wie die Exilantin Hilde Braunthal über einen Kurs 1951 in Mannheim berichtet:

Lecturing on casework methods seemed inadvisable for various reasons. […] Under these circumstances a group-therapeutic approach seemed to be the most hopeful one. […] To create a therapeutic atmosphere, voluntary participation was stressed. […] Like resistive patients, they tried to find ways and means to induce me to tell them what to do and to withhold their own opinions in order to challenge me. (Braunthal 1952, S. 239 f.)

Dies fügt sich zu Caemmerers psychologisch orientiertem Casework-Verständnis, das sie aus England mitgebracht hatte und in ihrer Dissertation beschreibt. Ihrer Auffassung nach besteht „zwischen psychotherapeutischer Behandlung und Case Work kein grundsätzlicher, sondern nur ein Gradunterschied“ (Caemmerer 1952, S. 157).

Diese therapeutischen Ansätze zeigen, dass damit nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer Entwicklungsschritt weg vom eugenisch geprägten Menschenbild der vorigen Jahrzehnte gegangen wurde. Dieses Menschenbild hatte in seinen rassistischen Kategorisierungen nur sehr eingeschränkt die Vorstellung von einem Menschen, der sich ändern und entwickeln könnte. Zum neuen Menschenbild gehörte nun ein Mensch, der in seinem Charakter weniger genetisch prädisponiert ist, sondern sich auch wandeln und verändern kann. Gleichzeitig kommt jedoch der normative Anruf hinzu, sich auch wandeln zu müssen, um einen anerkannten Platz in der Gesellschaft zu finden, die „Anpassung“ („adjustment“). Später versuchte Jürgen Link, diese normalisierenden Prozesse mit der Normalismustheorie (Link 2009) zu verstehen, und zuletzt belegten auch Graf und Fleischhacker (2020) dies exemplarisch für Coachings.

3.3 Motive der Governance und (Selbst‑)Führung

Auch der oben dargestellte Ansatz, Coaching als Führungsinstrument einzusetzen, findet sich im Supervisionsdiskurs früher Jahrzehnte. Die Führung beginnt unscheinbar als Selbstführung und „Aktivierung“, als „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Bang 1967, S. 116 f.). Dafür wird die „Aktivierung von Hilfsbedürftigen“ (Roesinger 1957, S. 70) als notwendig angesehen, in der eine „Ressourcenorientierung“ bereits zwischen den Zeilen durchschimmert. Ganz davon abgesehen, dass Hilfsbedürftige häufig überproportional aktiv aber eben nicht in der Lage sind, ihre Problemlagen zu lösen (Freier 2016), wird in diesen Jahren selten expliziert, was genau mit der „Aktivierung“ gemeint ist. Bang nennt dazu fünf „seelisch-geistig[e] ‚Kapazitäten‘“, die es zu aktivieren gelte: „Beziehungs-(Liebes-)fähigkeit […]; Verzichtfähigkeit; […] Selbstkritik und Einsicht, zum Lernen aus Erfahrung; […] Realitätssinn; […] ein Mindestmaß an Intelligenz“ (Bang 1967, S. 117). Es geht also um die Einsicht in die eigenen Unzulänglichkeiten, eine Selbstreflexion und ein Selbstmanagement. Ohne dass dies in den Publikationen nur ansatzweise angesprochen würde, schimmert dennoch das Bild eines Homo oeconomicus durch die Zeilen, der durch diese Hilfe und Aktivierung angeleitet werden soll, möglichst rationale, nutzenmaximierende Entscheidungen zu treffen.

Es ist Aufgabe der Sozialarbeiterin, sich in der „helfenden Beziehung“ als Person selbst zum Werkzeug zu machen und durch die Beziehung zu helfen. Das ist für den europäischen Diskurs zu dieser Zeit neu. Damit den Sozialarbeiter*innen dies gelingt, war es notwendig, diese professionelle Persönlichkeit zu reflektieren, zu entwickeln und reifen zu lassen. Die Supervision war der Ort dafür, und es wird sichtbar, dass nicht nur Klient*innen als hilfe- und aktivierungsbedürftig angesehen wurden, sondern auch Professionelle: Supervision wurde teilweise etikettiert als Maßnahme, die „auf schwache und schlecht ausgebildete Sozialarbeiter ausgerichtet“ (Neuffer 1990, S. 198) sei – ein Motiv, das auch heute noch regelmäßig mit Coaching in Verbindung gebracht wird (vgl. Gross und Stephan 2012, S. 331). Diese Haltung hatte auch Einfluss auf die Ausbildung, denn:

Für die Gestaltung weiterer Lehrgänge dieser Art muß sorgfältig überlegt werden, wie eine stärkere Motivierung zum selbständigen Arbeiten gesetzt werden könnte, ohne äußeren Druck auszuüben oder eine Prüfung zu verlangen (Caemmerer und Schiller 1953, S. 261).

Auch im Kölner Seminar für Wohlfahrts- und Jugendpfleger in Trägerschaft des örtlichen Diözesan-Caritasverbands wurde die Supervision in der Ausbildung zur Gruppenarbeit erprobt. Die Erfahrungen zeigten, dass Studierende unter anderem eine „bessere Selbsterkenntnis“ erlernt hätten und dies zur „beruflichen wie persönlichen Selbsterziehung“ diene (Morczinek 1956, S. 18). Die Berliner Fürsorgerin Ingeborg Geest konkretisierte das in einem Vortrag:

Es kommt dabei nicht nur auf die intensive Betreuung durch Hausbesuche und Einzelgespräche auf dem Amt an, sondern auch auf die ausführliche schriftliche Berichterstattung. Diese Berichte dienen der Selbstkontrolle auf die Reaktion der Betreuten sowie der Feststellung des Entwicklungsprozesses. Absolute Ehrlichkeit der Wiedergabe auch einer mißlungenen Gesprächsführung oder einer falschen Verhaltensweise der Fürsorgerin sind besonders wichtig, um zu einer klaren Diagnose zu kommen. (Junk 1955, S. 89)

Es entstehen Assoziationen zur Beichte mit einer Wahrheits- und Geständnispflicht sowie allgemeiner einer wachsenden Bekenntniskultur (vgl. Burkart 2006).

Der Supervision kommt in der Person eines Dritten also die Aufgabe zu, dabei zu helfen, sich besser selbst zu kontrollieren, zu bewerten, zu erziehen und zu regieren. Das Schreiben von Berichten kann dabei helfen, weil es als Methode eingesetzt im ersten Schritt dabei hilft, sich von der konkreten Situation zu distanzieren und zu strukturieren (Koch und Oesterreicher 1985). Die vorläufig letzte diesbezügliche Entwicklung zeigt Kramann (2020) mit ihrem Büchlein zum „Selbstcoaching“, wo eine unabhängige Dritte aufgrund geschickten Methodeneinsatzes nicht mehr notwendig zu sein scheint.

Aber nicht nur für die Selbstführung wird Supervision diskutiert, sondern auch als Führungsinstrument durch eine dritte Person. Anfänglich noch wird diese dritte Instanz abgelehnt, wie ein Beispiel aus der seinerzeit sehr progressiven Arbeit der Bewährungshilfe zeigt. Kurt Nachbauer, der in den frühen 1960er-Jahren als Supervisor nahe Freiburg im Breisgau mit einer Gruppe von Bewährungshelfern und Jugendrichter Karl Härringer arbeitete, erzählte später von Widerständen:

Als wir die Supervision lancieren wollten, kam sofort eine enorme Abwehr „wir wollen keinen Oberbewährungshelfer“. Sie hatten also sofort eine hierarchische Vorstellung, da soll uns jemand vorgesetzt werden, der prüft, ob wir alles richtig machen. (Neuffer 1990, S. 198; vgl. Gröning 2013, S. 87 f.)

Externe Kontrolle und Hierarchie wurden demnach abgelehnt, während sie langsam akzeptiert wurde, als sie zur Selbstregierung wurde. Der Verweis auf das Foucault’sche Konzept der Gouvernementalität liegt auf der Hand (vgl. Walpuski 2020a), wenn in den Fragmenten zu Tage tritt, wie sich die Disziplinarmacht in moderne Machtformen wie die Pastoralmacht oder Technologien des Selbst wandelt. Dies ist durch weitere Forschung klarer herauszuarbeiten; leider hat Bröckling (2017) dies in Hinblick auf das Coaching noch nicht unternommen.

Auch Erna Maraun beschreibt Supervision früh als „beratende ‚Überwachung‘ [… deren] Aufgabe es ist, die Gesamtleistung der ih[r] anvertrauten Fürsorger zu steigern, nicht nur durch eine Bemühung um die fachliche Leistung, sondern auch durch Zuwendung zur Persönlichkeit des Fürsorgers“ (1952, S. 243–244). Und in Caemmerers (1970) Sammelband bewährter Lehrtexte findet sich ein Beitrag von Francis Scherz (1970 [1958]), die sich selbst eine tendenziell abweichende Auffassung von Supervision attestierte. Ihre Gedanken bilden für die Entwicklung des Coachings eine wichtige Spur. Scherz beschreibt Supervision respektive „Praxisberatung“ als „administrative Führungstätigkeit“ (op. cit., S. 198). Dies ist einerseits dem US-amerikanischen System der Sozialen Arbeit mit seinen Bedingungen geschuldet: Im damaligen US-amerikanischen System waren fachliche Anleitung im Casework und Vorgesetztenrolle häufig in Personalunion verbunden (vgl. Kadushin und Harkness 2014), während die Konsultation in der Regel von externen Psychoanalytiker*innen durchgeführt wurde (Baltussen 1953; Föllmer 1977). Im deutschen Diskurs hingegen wurde in der Regel nur der Anteil der fachlichen Anleitung als Supervision beschrieben, nicht auch der disziplinarische. Scherz unterscheidet sich aber dennoch diametral von anderen Konzepten, wie sie beispielsweise einige Seiten weiter bei Judd et al. (1970) dargestellt werden. Denn Scherz schreibt Supervisand*innen die absolute Selbstverantwortung für die eigene Arbeit und die eigene berufliche Weiterentwicklung zu und entlastet damit gleichzeitig Vorgesetzte davon. Die Supervisor*in soll die Wirksamkeit von der Supervisand*in kontrollieren, beurteilen und erhöhen (Scherz 1970, S. 201). Dafür plant der Supervisor*in den Prozess und wählt die „geeigneten Beratungsmethoden“ (Scherz 1970, S. 204) aus – auffällig die Parallele zum oben bereits zitierten Text der Bundesagentur für Arbeit, nach dem das Coaching „auf einem für den jeweiligen Einzelfall ausgearbeiteten Konzept [basiert], in dem das Vorgehen und die verwendeten Interventionen und Methoden durch den Coach festgelegt werden.“Footnote 7

Wenn für dieses Verständnis auch die „helfende Beziehung“, die die Grundlage des Casework war, gilt, zeigen sich erhebliche Parallen zu Sauters oben dargestelltem Konzept. Sauter, betriebswirtschaftlich denkend, geht jedoch noch über den Casework-Ansatz einer Anpassung an die Gesellschaft hinaus, die noch Spielräume lässt, wenn er das „Ziel der optimalen Aufgabenerfüllung“ (Sauter 1994, S. 145) erklärt und damit ein Superlativ-Synonym mit totalem Anspruch nutzt.

Dass sich auch früher schon in Deutschland eine enge Verzahnung von Supervision und Führungsaufgaben entwickelte, zeigt sich in den Schriften von Gerhard Melzer. Melzer wurde als junger Sozialarbeiter vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge als Referent an der Akademie in Frankfurt angestellt, wo er zunächst noch als Assistent von Dora von Caemmerer Fortbildungsveranstaltungen in Praxisanleitung konzipierte (Caemmerer 1966). In die Kurse flossen neben Scherz (1970) auch Inhalte eines europäischen Seminars der Vereinten Nationen im niederländischen Amersfoort ein, an dem Melzer teilnahm, und er fokussierte ausdrücklich die Führungskräfte sozialer Einrichtungen (Melzer 1964). 1981 blickte Melzer auf die Entwicklung dieser Kurse unter der Überschrift „Beratung als Leitungsaufgabe“ (Melzer 1981a) zurück. In den zurückliegenden 16 Jahren hatte Melzer demnach ein Konzept für „Leitung und Führung durch Beratung“ (Melzer 1981b) entwickelt und in den Kursen gelehrt. Damit stand Supervision in seinem Verständnis viel näher an der Führung als das in anderen Konzepten der Fall war. Auch Martha Krause nahm an der Amersfoorter Tagung teil und berichtete von Kontrollaufgaben des Supervisors:

Der Supervisor habe eine Tätigkeit nach innen und außen, die der Aufrechterhaltung der Organisation diene. Sie besteht hauptsächlich aus Anleitung und Arbeitsüberwachung (Lund). Nach außen ist der Supervisor die Schlüsselfigur zwischen Direktor und beruflichen Mitarbeitern. Er erläutert den Zweck der Organisation und garantiert die Einheitlichkeit bei der Durchführung der Aufgaben. Er hat eine größere Übersicht als der durchschnittliche Mitarbeiter, daher kann er auch beweglicher sein. (Krause 1964, S. 55)

Deutlich wird, dass sich in dieser Zeit und insbesondere im transnationalen Diskurs unterschiedliche Rollen hinter dem Begriff des Supervisors verbargen, wenn Krause fortfährt:

Die Rolle eines solchen leitenden Sozialarbeiters ist aber – und das muß deutlich unterschieden werden – eine andere als die der Supervisorin im Sinne der Methodenausbildung. Im letzteren Fall ist der Sp. eindeutig ein Lehrer für die Praxis, d. h. er hat die Entwicklung der beruflichen Haltung und Fähigkeit beim Studierenden und bei anderen Mitarbeitern auszubilden (Younghusband). Das Vorgesetztenverhältnis tritt dabei zurück, d. h. seine Stellung wird mit einem ganz andern Inhalt gefüllt. (ib.)

Diese Spuren lassen sich jedoch noch weiter zurückverfolgen. So berichtet Fürsorgerin Geest 1954, dass die Supervisorin der Lehrgangsgruppe „zum ersten Male nach den schweren Nachkriegsjahren die große Bürde unserer Verantwortung ab[nahm], die wir meinten, für unsere Hilfsbedürftigen tragen zu müssen. Sie verglich uns mit einem Hirsch, der tapfer ein riesiges, viel zu schweres Geweih auf seinem Kopf trägt. Sie öffnete uns die Augen dafür, daß auch der Hilfsbedürftige entscheidend die Verantwortung für sich selbst tragen muß und verlagerte so die Last auf breitere Schultern.“ (Geest in Junk 1955, S. 89). Allein schon die naturromantisierende Metapher des (männlichen) Hirschen, der von der Realität des (weiblichen) Fürsorgerinnenalltags in Berlin meilenweit entfernt war, wäre eine Analyse wert. Relevanter erscheint hier aber der Prozess, wie Verantwortung durch Supervision systematisch nach unten kaskadiert wird, bis sie beim Hilfsbedürftigen als letztem Glied der Kette in Form der Selbstverantwortung ankommt, der damit seines Glückes Schmied sein muss.

3.4 Ergebnissicherung

Im transnationalen Diskurs zur Supervisionsentwicklung zwischen 1945 und 1975 finden sich vielerlei Quellen für funktionalisierend-optimierende Verständnisse. Häufig sind dies aber nur Fragmente, neben denen im gleichen Text auch andere Verständnisse zu finden sind, weil Supervision zu dieser Zeit häufig eklektizistisch und nur bedingt konturiert diskutiert wurde. Der folgende Abschnitt skizziert diese anderen Verständnisse. Die zuvor herausgearbeiteten Konzepte zur Rationalisierung und Anpassung konnten in Deutschland an ältere Diskurse über Menschenökonomie und Psychotechnik anknüpfen. Parallel zeigte sich bereits der Entwicklungsstrang der Psychologisierung und Therapeutisierung, der Menschen wandeln und anpassen will. Erst allmählich begann sich die Supervision unter anderem anhand ethischer und anthropologischer Diskurse zu konturieren und in Teilen von den Verständnissen in den USA zu lösen. Dennoch fanden die Konzepte, die Supervision mit Aufsicht, Überwachung und Steuerung verknüpften, lange Zeit Widerhall, beispielsweise in der Akademie des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge in Frankfurt am Main (Caemmerer 1970; Melzer 1964; 55,56,a, b). Unklar bleibt, inwieweit gesamtgesellschaftliche Entwicklungen für diese Prozesse verantwortlich sind, die Foucault als Übergang von der Disziplinarmacht zur Gouvernementalität beschreibt.

4 Alternative Entwicklungen zu einer kritisch-reflexiven Supervision

Schon am Beginn der Supervisionsgeschichte in Deutschland war „Verstehen“ ein zentrales Motiv, wie der sechswöchige Fortbildungskurs in Bremen 1953 belegt, der mit „Verstehen, um zu helfen“ (ASF 1953) betitelt war (Walpuski 2020b, S. 69). Das Motiv einer „helfenden Beziehung“, die akzeptiert, anerkennt und zu verstehen sucht, prägte diese Jahre. Die anfänglich individualisierende Fokussierung wurde durch die Sozialwissenschaften und die Institutionskritik um eine gesellschaftliche Dimension und damit eine wichtige Facette erweitert. Auch erste Beschreibungen von Gruppensupervision werden in dieser Zeit nicht als effizienzsteigernd oder knappen Ressourcen geschuldet begründet, sondern mit dem „Verstehen der Familie des Klienten und [der] Helferrolle des Sozialarbeiters in dieser Familie“ (Judd et al. [1962], 1970, S. 231).

Ruth Bang, die 1958 das erste deutsche Lehrbuch zu Casework vorlegte, konnte das in dieser und ihren zahlreichen Folgepublikationen noch nicht präzise genug formulieren. Bei ihr finden sich die unterschiedlichen Strömungen der Supervisionsentwicklung verquickt, und es fehlten noch die Erkenntnisse der emanzipatorischen Bewegungen rund um die 1968er, die mit all ihren gesellschaftlichen Veränderungen den Rahmen der Supervisionsentwicklung beeinflussten. Es fehlte auch die Klarheit, mit der Louis Lowy auf die notwendige „kritische Auseinandersetzung mit den Wertvorstellungen und Wertannahmen der Supervision als Bestandteil der Sozialarbeit [sowie die] gesellschaftspolitische Beleuchtung der manifesten und latenten Funktionen der Supervision“ (Lowy 1977, S. 17) hinweist.

Teile der noch jungen Disziplin der Supervision haben in den 1970er-Jahren am Beginn ihrer Institutionalisierung unter dem Einfluss von Sozialwissenschaften, Anthropologie, Themenzentrierter Interaktion (TZI) und Gruppendynamik kritisch-reflexive Supervisionskonzepte entwickelt und damit ein Supervisionskonzept begründet, das sich von den hier verfolgten Spuren der Funktionalisierung und Optimierung deutlich abhebt (Gröning 2013). Ausgangspunkt dafür war ein aristotelisch inspiriertes Menschenbild und damit ein philosophisch-ethischer Diskurs mit der Frage nach einem gelingenden Leben. Dieser Prozess ist exemplarisch an den Arbeiten von Dreier und Steinkamp (1969), Leuschner (1970), Steinkamp (1973), Lander (1977), Lowy (1977) sowie der Praxis von Kappeler (2001) nachzuvollziehen.

Zugleich begann Ende der 1960er-Jahre langsam die Systemtheorie Talcott Parsons Einzug in Deutschland zu halten: In der Wissenschaft an Luhmanns Vortrag von 1968 sichtbar (Luhmann 1971), und von Kersting (1975) früh in die Supervision übertragen (vgl. Lowy 1977; Neuffer 1990, S. 184 f.). Systemische oder auch verhaltenstherapeutische Herangehensweisen, für die Verstehen keine Relevanz besitzt, sowie Psychoboom und Therapeutisierung gaben den zuvor dargestellten Supervisionskonzepten, die auf Individualisierung, Funktionalisierung und Optimierung setzten, neue Impulse.

Katharina Gröning benannte die diesbezüglichen Forschungsfragen:

Wann, wie und warum in dieser Zeit dann aus Reflexivität und Selbstreflexivität die „narzisstische Reflexivität“ im Sinne des Psychobooms und der Therapeutisierung (Bourdieu 1993, S. 365ff.) geworden ist, bleibt ein zentraler Gegenstand der Supervisions- und Beratungsforschung. […] Von ebenso großem Interesse dürfte es sein, nachzuvollziehen, wann die Supervision zur funktional begründeten Beratung geworden ist und schließlich, wie sich die Professionalisierung der Supervision, ihre Hinwendung zur funktionalistischen (systemischen) Vernunft und ihr weitgehend modernisierungstheoretisch begründeter gesellschaftspolitischer Standort entwickelt haben. (Gröning 2013, S. 26)

5 Fazit

Einzelne Konzeptbestandteile, die den Diskurs des Coachings der letzten Jahrzehnte prägen, finden sich bereits zwischen 1945 und 1975 im Diskurs um Praxisberatung und Supervision oder Konsultation im Kontext des Social Casework und Groupwork und damit in der Sozialen Arbeit. Hier ist diskursanalytisch nicht die Etikettierung, sondern die Ideengeschichte mit ihren Zielen und Motiven dahinter in Form einer funktionalisierenden Beratung zu beschreiben. Nach derzeitigem Forschungsstand lassen sich zwar Analogien in solchen Konzepten und Verständnissen von früher Supervision und im späteren Coaching finden, die nicht kausal verbunden sein müssen aber möglicherweise sind. Denn bisher lässt sich nicht belegen, ob das Coaching auf die im Rahmen der Supervisionsentwicklung entstandenen Wissensbestände zugegriffen hat und wenn ja, in welcher Weise Bestandteile übernommen wurden, oder ob das Coaching sich unbeeinflusst davon eigenständig im Rahmen allgemeinerer gesellschaftlicher Diskurse entwickelt hat. Die Autorinnen – die ausgewerteten Quelltexte vor 1970 wurden nahezu ausschließlich von Frauen verfasst – entstammen einem breiten politischen wie konfessionellen Spektrum und sind diesbezüglich nicht festzulegen und auch nicht geographisch eindeutig zu lokalisieren. Die Übernahme könnte auch außerhalb des deutschen Sprachraums geschehen sein, so dass sich diese Entwicklungen bisheriger deutschsprachiger Forschung entzogen haben. Denn bisher werden die Entstehenszusammenhänge des Coachings in der Psychologie in Verbindung mit ökonomischen Wissensbeständen, insbesondere der Betriebswirtschaft und dem Management sowie dem Leistungssport verortet (Traue 2011, S. 255). Dies berücksichtigt allerdings nicht, dass zahlreiche Pionierinnen der Sozialen Arbeit promovierte Nationalökonominnen waren, also auch durchaus ökonomische Theorien kannten und sich zudem mit Psychologie beschäftigten. Wenn also Loebbert (2016) die Supervision als „Coaching für helfende Berufe“ untertitelt, stellt er die historische Entwicklung auf den Kopf. Griewatz vermutet dahinter „einen politischen Kampf der Deutungshoheit“ (Griewatz 2018, S. 75). In jedem Fall wird deutlich, dass die Coaching-Forschung dringend historischer Forschung bedarf. Denn wie für die Oltener Tagung „Coaching meets Research“, die 2020 die „Coaching-Erfolgsgeschichte rückblickend erzählen“ (cfs 2019Footnote 8) und „Meilensteine“ (ib.) feiern wollte, der Anfangspunkt 1980 Eingang in den Call for Papers gefunden haben mag, bleibt unklar. Er erscheint geradezu willkürlich gewählt (vgl. Traue 2011, S. 255).

Eine große Nähe von Supervision und Coaching lässt sich (inzwischen) jedenfalls sowohl in Fachzeitschriften wie der OSC, in Berufsverbänden wie der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching e. V. als auch in Teilen der praktizierenden Personen seit Jahrzehnten erkennen. Und auch die Anfänge der Supervision wurden seinerzeit stark durch tiefenpsychologische Konzepte geprägt. Zudem gibt es auch kontemporäre Supervisionsverständnisse im Feld, die sich von den dargestellten funktionalisierend-optimierenden Coachingkonzepten nur marginal unterscheiden. Im Gegensatz dazu gibt es auch ein Verständnis von kritisch-reflexiver Supervision, die nicht eine (Selbst‑)Optimierung fokussiert, sondern Verstehen und Anerkennung, und die sich auf ein anderes Menschenbild gründet (Gröning 2013).

Weitere Forschung zur frühen Geschichte von Supervision, ihren Wissensreservoiren, ihrer Genealogie und vor allem ihrer Anthropologie kann helfen, zumindest historischen Unterschieden zwischen Formen des Coachings und Formen der Supervision auf die Spur zu kommen. Diese Forschung kann zudem dazu beitragen, die von Gröning (2013) aufgezeigte Forschungslücke zu schließen. Auch zur Geschichte des Coachings ist – das ist offenbar geworden – transnationale historisch-kritische Forschung angezeigt. Wandhoff (2016) hat dazu bereits schon einen hilfreichen Beitrag geliefert.