1 Beziehungsgestaltung als zentrales Element im Coaching

Der Beziehungsgestaltung kommt im Coaching eine besondere Bedeutung zu, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Coaching als zwischenmenschliche Dienstleistung anders als produktorientierte Leistungen auf die Mitwirkung des Klientels angewiesen ist und der Erfolg des Coachings von einer gelingenden Zusammenarbeit zwischen Coach und Klient/in abhängt (Schmidt-Lellek 2015). Die Beziehungsfähigkeit wird damit als grundlegende Kompetenz des Coaches angenommen, wodurch der Beziehungskompetenz neben anderen Basiskompetenzen eine hohe Bedeutung innerhalb des Coachings zukommt (ebd.). Dies mag nicht verwundern, wenn man sich die zahlreichen Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapie (insbesondere Grawe et al. 1994) vor Augen führt, in denen die Beziehung als einer der elementaren Wirkfaktoren herausgestellt wird. Die Übertragbarkeit dieser Studien auf Beratungs- und Coaching-Kontexte darf hierbei in hohem Maße angenommen werden (Heller und Gallenmüller 2016). Die International Coach Federation als größte internationale Coaching-Vereinigung stellt die vertrauensvolle Beziehung als eine der vier Kernkompetenzen professioneller Coaches dar (ICF 2020), wodurch die hohe Relevanz verdeutlicht wird. De Haan (2008) bezeichnet Beziehungen sogar als das Herz des Coachings. Es wird offensichtlich, dass die Bedeutung der Beziehung im Coaching kein neues Thema ist, sondern seit vielen Jahren als relevant angesehen wird. Ein Blick in die Coaching-Literatur verrät, dass die Beziehung zur Klientel vielfach behandelt wird. Wichtige Hinweise zur Beziehungsgestaltung im Coaching finden sich hierbei sowohl in der Praxis- als auch in der Forschungsliteratur. Hierbei werden Aspekte wie das Thematisieren der Beziehung durch Coaches bei Irritationen (O’Connell et al. 2014) benannt oder die Hypothese Helbings (2014), dass die Beziehung innerhalb des Coachings nicht nur Wirkfaktor, sondern auch Technik und Ergebnis eines gelungenen Coachings sein kann. Ergänzt wird diese Hypothese um die Annahme, dass die Kompetenzen wie Erfahrung, Prozesskompetenz und Wissen um Konflikte, die Coaches in die Arbeitsbeziehung mit einbringen, als Schlüssel zu einer gelingenden Beziehungsgestaltung angesehen werden können (ebd.). Im Rahmen der Wirksamkeitsforschung im Coaching wird das Commitment zwischen Coach und Klient/in als beiderseitiges Einverständnis und Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Coaching beleuchtet (Kilburg 2001). Kilburg beschreibt hierbei die Arbeitsbeziehung als bedeutsamen Wirkfaktor des Coachings: „the single most important item repeatedly identified as contributing to positive outcomes is a meaningful, lasting and effective relationship“ (Kilburg 2001, S. 258). Beziehungsgestaltung im Coaching erfordert neben der individuellen Interaktionsebene zwischen Coach und Klient/in immer auch die Berücksichtigung biographischer Kontexte, der Lebenswelt der Klient/innen sowie sozialer Bezüge, in denen diese sich bewegen (Gahleitner 2019). Im Rahmen der Arbeitsallianz zwischen Coach und Klient/in übernimmt der Coach die Verantwortung für die Gestaltung der Coachingbeziehung, indem die Dynamik beobachtet und bei Bedarf thematisiert wird (O’Connell et al. 2014). Trotz vielfacher Thematisierung in der Fachliteratur wie zuvor am Beispiel der Wirksamkeitsforschung im Coaching aufgezeigt, wird der Beziehungsgestaltung im Coaching in der wissenschaftlichen empirischen Auseinandersetzung nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Speziell die Nähe-Distanz-Gestaltung im Coaching wird bislang nur am Rande und selten explizit betrachtet. Daher soll diese als wichtiges Steuerungselement innerhalb der Beziehungsgestaltung nun näher in den Blick genommen werden.

Rettinger (2011) beschreibt die professionelle Interaktion zwischen Klient/in und Coach als dynamischen Prozess der Aushandlung von Rollen, Identitäten und der Arbeitsbeziehung, welcher sich insbesondere in der ersten Sitzung vollzieht. Dort erfolgt die Aushandlung wesentlicher Konstruktionen einer gemeinsamen Coaching-Beziehung (ebd.). Betrachtet man menschliche Interaktionen als zentrales Element des Coachings genauer, wird deutlich, dass bestimmte Aspekte in hohem Maße Einfluss auf die Gestaltung der Beziehung zwischen Klient/in und Coach nehmen. Neben der sprichwörtlichen Chemie zwischen den Beteiligten gibt es Faktoren, die oftmals unbewusst Einfluss nehmen, die aber durchaus bewusst gesteuert werden können und damit einen Beitrag zu einer gelingenden Beziehung leisten können. Als ein wichtiger steuerbarer Faktor mit deutlichem Einfluss auf die Arbeitsbeziehung darf das Nähe-Distanz-Verhältnis angenommen werden (Best 2020).

2 Nähe und Distanz – Mehr als eine räumliche Dimension

Nähe und Distanz sind im Alltag sehr gebräuchliche Begriffe, die im (sozial-)pädagogischen Kontext vielfach verwendet, jedoch dabei wenig wissenschaftlich expliziert werden (Gräber 2015), was zur Folge hat, dass Nähe und Distanz oftmals intuitiv eingesetzt werden und damit Einfluss auf die Beziehungsgestaltung nehmen, dabei aber in der Regel nicht bewusst reflektiert und damit auch nicht zur Prozesssteuerung innerhalb des Coachings eingesetzt werden. Gemeint ist mit Nähe und Distanz mehr als eine räumliche Dimension im Sinne einer räumlichen Entfernung zwischen Interaktionspartner/innen, sondern beispielsweise in Hinblick auf Emotionalität, angesprochene Themen, Abgrenzungen und Vertrauen (Best 2020). Diese verschiedenen Dimensionen werden in diesem Artikel näher beleuchtet.

Nähe und Distanz stellen zwei Pole innerhalb eines grundlegenden Denk- und Interaktionskonzepts dar, welches das Verhältnis zwischen Professionellen und der Klientel beschreibt und dabei weit über die räumliche Dimension von Nähe hinausgeht (Klatetzki 2012). Professionelle Beziehungsgestaltung erfordert eine gelingende Balance von Nähe und Distanz im Rahmen eines erfolgreichen psychosozialen Handelns (Datler und Strachota 2012). Hierbei stellt die Dynamik, welche mit Beziehungen einhergeht, eine Herausforderung an die Beziehungsgestaltung mit Blick auf Nähe und Distanz. Schmidt-Lellek (2015) beschreibt Beziehungen als dynamisches und lebendiges Geschehen, was zur Folge hat, dass eine Planbarkeit eingeschränkt wird bzw. nur in gewissem Maße möglich ist, während Spontanität und intuitivem Handeln eine hohe Bedeutung beigemessen wird (ebd. und Cavanagh und Grant 2006).

3 Nähe und Distanz im Coaching

Marson (2019) beschreibt Vertrauen als Basiselement der Coaching-Beziehung mit dem treffenden Bild des Vertrauens als Kleber, der die Coachingbeziehung zusammenhält und benennt den Aufbau von anhaltendem Vertrauen als Ziel. Besonderheiten in der Coaching-Beziehung treten vor dem Hintergrund auf, dass ein wesentliches Merkmal des Coachings in einer zeitlichen Begrenzung der Arbeitsbeziehung und des Prozesses besteht (Kühl und Schäfer 2019). Gleichsam wird der Beziehung eine elementare Bedeutung zugeschrieben, welche mittlerweile als wissenschaftlich erwiesen gelten kann. Neben dem oben benannten Vertrauen und der Arbeit auf Augenhöhe werden Begriffe wie Empathie, Wertschätzung und Kongruenz als Basisvariablen nach Carl Rogers sowie eine Neutralität und Unvoreingenommenheit des Coaches gegenüber der Klientel in der Literatur immer wieder als wesentliche Zutaten einer gelingenden Beziehungsgestaltung dargestellt (Stober 2006). Hedman (2001) beschreibt die Prinzipien nach Rogers als zentrale Elemente des Erfolgs von Coachingprogrammen.

Im Rahmen von Coaching-Beziehungen stellt sich regelmäßig die Herausforderung, mit Polaritäten umzugehen, wie Schreyögg und Schmidt-Lellek (2015) beschreiben. Beispielhaft werden Autonomie und Bezogenheit, Abstinenz und Beteiligung sowie Direktivität und Nondirektivität gegenübergestellt und in diesem Rahmen auch Nähe und Distanz als polarisierendes Begriffspaar aufführt. Zum Umgang mit den jeweiligen Gegenpolen im Coaching wird eine systematische und fortlaufende Reflexion und Supervision als notwendig erachtet, um situationsangemessen und professionell in der Rolle des Coachs agieren zu können (ebd.). Die Polaritäten Nähe und Distanz sollen in der Folge in den Fokus gerückt und einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass einerseits die Begrifflichkeiten im Alltagsgebrauch klar scheinen und vielfach auch außerhalb des professionellen Kontextes Verwendung finden, andererseits eine wissenschaftliche Betrachtung jedoch noch dürftig ist und wenige empirische Erkenntnisse darüber vorliegen, wie der Umgang mit Nähe und Distanz in der Coaching-Praxis erlebt wird.

Die Relevanz von Nähe und Distanz für Coaching-Beziehungen ist hingegen mehr als eindeutig. Davon ausgehend, dass die Coaching-Beziehung eine besonders sensible Beziehung darstellt, da ein/e Klient/in sich mit einem für ihn oder sie wichtigen eigenen Thema in eine vertrauensvolle Beziehung zum Coach begibt, stellen Nähe und Distanz wichtige Regulationsmechanismen dar, die Selbstwirksamkeitserlebnisse, Eigeninitiative, Sicherheit und Unterstützung ermöglichen, wenn sie bewusst und reflektiert im Sinne der Klientel zum Einsatz kommen (Best 2020). Bei misslingender Nähe-Distanz-Gestaltung kann in der Folge die Arbeitsbeziehung durch zu große Nähe wie beispielsweise einer körperlichen oder emotionalen Grenzüberschreitung sowie fehlender Abgrenzung des Coaches z. B. durch zu starke Identifikation mit Klient/in oder Inhalt belastet werden. Im Gegenzug besteht bei einer überhöhten Distanz die Gefahr fehlender Sicherheit, erlebter Kühle und Unnahbarkeit des Coaches sowie einer Überforderung durch fehlende Unterstützung im Prozess (ebd.). Diese Beispiele verdeutlichen die hohe Relevanz einer bewusst reflektierten Nähe und Distanz-Gestaltung während des gesamten Coaching-Prozesses unter Beachtung der Prozessdynamik, welche Anpassungen von Nähe und Distanz erfordert sowie einer individuellen Nähe-Distanz-Ausprägung abhängig von Erfahrungen und Bedürfnissen der Klientel und des Coachs.

4 Datenerhebung

Die Datenerhebung und die daran anschließende Auswertung soll Aufschluss darüber geben, wie von Seiten (angehender) Coaches die Nähe-Distanz-Gestaltung erlebt wird und welche Bedeutung sie im Rahmen der Ausbildung sowie im täglichen professionellen Handeln als Coach einnimmt. In einer anonymisierten Onlinebefragung im Jahr 2020 werden 123 Studierende und Absolvent/innen aus dem weiterbildenden Masterstudiengang [anonymisiert] in Bezug auf Nähe und Distanz innerhalb des Coachings schriftlich befragt. In diesem Rahmen werden zu folgenden Themenbereichen Fragen gestellt:

  1. 1.

    Allgemeine Angaben zu Alter, Geschlecht, Ausbildungsstand bzw. Dauer der Berufserfahrung im Coaching, vorrangige Arbeitsfelder und Angaben zur Klientel

  2. 2.

    Nähe und Distanz im Coaching: Assoziationen zu Nähe und Distanz im Kontext Coaching, Nähe und Distanz als Ausbildungsinhalte, Bewusstsein für Nähe und Distanz im beruflichen Alltag, Bedeutsamkeit eigener Nähe-Distanz-Bedürfnisse im Coaching, Herausforderungen in Bezug auf die Nähe-Distanz-Gestaltung zur Klientel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich Nähe und Distanz im Vergleich zu anderen Beratungsformaten, Raum für weitere wichtige Aspekte und Aussagen

Der Großteil der Befragten hat zum Zeitpunkt der Befragung das Studium bereits (seit maximal vier Jahren) abgeschlossen oder ist kurz vor Ende des Studiums. Es ist also davon auszugehen, dass die Mehrheit der Aussagen von Personen getätigt wird, die bereits bzw. in naher Zukunft über einen akademischen Abschluss im Bereich Coaching verfügen, in diesem Bereich aber erst seit kurzer Zeit professionell tätig sind. Die noch im Studium befindlichen Befragten sind neben ihrem berufsbegleitenden Masterstudium schon selbständig oder angestellt aktiv im Bereich Coaching und/oder nutzen die studiumsintegrierte Möglichkeit zur Arbeit mit realen Klient/innen unter Begleitung Lehrender. Die Kontexte, in denen sich die Studierenden und Absolvent/innen beruflich bewegen, sind divers, ebenso wie die beruflichen Hintergründe der Befragten. Diese stammen zum Großteil aus psychosozialen Berufsfeldern wie Soziale Arbeit, Sozialwissenschaften, Gesundheit und Pflege, Psychologie und Medizin, aber auch aus den Bereichen Journalismus, Rechtswissenschaften, Sprachwissenschaften und weiteren. Die durch die Onlinebefragung erhobenen Daten wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet und werden im Folgenden dargestellt.

5 Ergebnisse

5.1 Die Gruppe der Befragten

Zunächst wird die Gruppe der Befragten vorgestellt und in Bezug auf demographische Daten wie Alter, Geschlecht, Berufserfahrung als Coach sowie das vorwiegende Klientel differenziert dargestellt. Von 123 versendeten Befragungslinks nehmen 68 Personen an der Umfrage teil, wobei nicht zwingend jede/r Teilnehmer/in jede Frage beantwortet, so dass gegebenenfalls Abweichungen in den prozentualen Anteilen auftreten können. Abb. 1 zeigt zunächst eine Übersicht über die Altersverteilung der Befragtengruppe.

Abb. 1
figure 1

Altersverteilung der Befragten

17,9 % der Teilnehmenden sind männlich, 80,6 % weiblich und 1,5 % machten keine Angabe zum Geschlecht (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Geschlechterverteilung der Befragten

61 Teilnehmer/innen beantworten die Frage, ob sie als Coach aktuell freiberuflich, angestellt oder in sonstigen Kontexten tätig sind, wobei Mehrfachnennungen möglich sind und die Option „Andere“ durch ein Textfeld konkretisiert werden kann (Abb. 3). Hierbei zeigt sich eine ausgewogene Verteilung zwischen freiberuflich tätigen und angestellten Coaches sowie Personen, die teilselbständig tätig sind. Ein geringerer Anteil hat bislang ausschließlich in Übungskontexten mit realen Klient/innen gearbeitet.

Abb. 3
figure 3

Kontext der Coaching-Tätigkeit

Da sowohl berufsbegleitend Studierende als auch Personen befragt werden, die das Studium bereits abgeschlossen haben, schließt sich die Frage nach der Dauer der Coaching-Tätigkeit und -erfahrung an (Abb. 4). Etwa die Hälfte der Befragten gibt an, sich aktuell noch im Studium zu befinden. Ca. ein Drittel ist seit bis zu drei Jahren nach dem Abschluss als Coach tätig, 11,9 % bis zu 5 Jahre und 10,5 % bis zu einem Jahr nach Abschluss.

Abb. 4
figure 4

Dauer der Coaching-Tätigkeit

Die Teilnehmenden werden gebeten, ihr überwiegendes Klientel anzugeben. Abb. 5 zeigt eine Übersicht.

Abb. 5
figure 5

Überwiegendes Klientel der Befragten

Nachdem ein Einblick in die demographischen Daten und Basisdaten der Befragten im Bereich Coaching in Hinblick auf Erfahrung, Klientel und Arbeitskontext gegeben wurde, werden im Folgenden die inhaltlichen Ergebnisse der Befragung in Bezug auf Nähe und Distanz sowie deren Bedeutung für das Coaching dargestellt.

5.2 Coach-Perspektiven auf Nähe und Distanz

5.2.1 „Es ist ein schwieriger Balanceakt“ – Assoziationen zu Nähe und Distanz im Coaching

Zunächst werden die Befragten gebeten, ihre Assoziationen zum Thema Nähe-Distanz im Coaching darzustellen. Hierbei werden vielfach die Gratwanderung und der Balanceakt betont, die aus dem Spannungsfeld von Nähe und Distanz resultieren. Als Assoziationen werden weitere Spannungsfelder benannt und konkretisiert wie zum Beispiel Empathie versus Mitleid oder Empathie versus Abgrenzung. Weiterhin werden Schutz versus Freiheit zur Entwicklung, Öffnen und sich anvertrauen versus Distanzierung sowie Beziehung versus Eigenverantwortlichkeit aufgeführt. Zunächst wird aber von vielen Seiten das individuelle und subjektive Erleben und Wahrnehmen von Nähe und Distanz beschrieben sowie Verschiedenheiten hinsichtlich der Nähe-Distanz-Bedürfnisse bei Klient/innen und Coaches, welche Auswirkungen auf den Coaching-Prozess haben können. Hier wird die Prozesssteuerung als wesentlich angesehen, um sowohl körperliche als auch inhaltliche Nähe und Distanz zu regulieren. Weitere Assoziationen betreffen die Rolle und Professionalität des Coaches. Dem Coach als „weißes Blatt“ mit dem nötigen Abstand zu Klientel und Thema wird hierbei eine hohe Bedeutung zugesprochen, ebenso wie der Selbstreflexion der Coaches zum Erkennen von Übertragungen und Gegenübertragungen, eigener Trigger(‑themen) sowie dem Bewusstsein in Bezug auf Sympathien und Rahmenbedingungen. In der Rolle der Coaches wird mit Blick auf Nähe und Distanz außerdem das Abgeben von Verantwortung an Klient/innen sowie der Verbleib von Entscheidungen bei selbigen benannt. Weiterhin wird das Ausbleiben oder gezielte Einsetzen von Selbstoffenbarungen, eigenen Ideen und Ratschlägen seitens der Coaches als bedeutungsvoll erachtet. Das Trennen der Klient/innen-Geschichte und der damit einhergehenden Themen von eigenen Erfahrungen und Bewertungen wird außerdem als wichtig angesehen. Ein weiterer mehrfach benannter Aspekt als Assoziation zu Nähe und Distanz im Coaching ist das Thema Grenzen. Der Respekt vor Grenzen der Klientel, das Bewusstsein für eigene Grenzen sowie Grenzüberschreitungen als mögliche Folge zu großer und unreflektierter Nähe werden hier betont.

5.2.2 „Der Coach als weißes Blatt“ – Nähe und Distanz als Ausbildungsinhalte

Die Teilnehmer/innen werden gefragt, inwiefern Nähe und Distanz in ihrer Coaching-Ausbildung bzw. in ihrem Studium thematisiert wurden. Die Antworten verdeutlichen, dass die Beschäftigung mit dem Thema Nähe und Distanz individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen wird: Teilweise wird die Auseinandersetzung als sehr intensiv und andauernd erlebt, von anderen besteht der Wunsch nach stärkerer oder anders gearteter Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld. Insbesondere im Kontext von Haltungsarbeit im Coaching findet laut Aussage vieler Befragter eine intensive Beschäftigung mit Nähe und Distanz statt. Hierbei werden insbesondere theoretische Fundierungen wie das Menschenbild nach Carl Rogers oder die Studien zu Wirkfaktoren therapeutischer Beziehung nach Grawe benannt. Einige Befragte erleben hierbei die Grundhaltung nach Rogers als gegenläufig und kontrovers zu dem Anspruch, als Coach eine möglichst hohe Neutralität zu wahren und ein „weißes Blatt“ zu sein, also unvoreingenommen und wertfrei in der Zusammenarbeit mit Klient/innen aufzutreten. Als Erinnerung an die Thematisierung von Nähe und Distanz äußert eine befragte Person die Aufforderung der lehrenden Person, nicht im Familien- und Freundeskreis zu coachen, da hierbei die Distanz nicht gewahrt werden könne. Eine weitere Auseinandersetzung findet laut Aussage von Befragten vor allem in reflexiven Kontexten wie Intervision und Supervision sowie in Kleingruppenübungen mit entsprechenden Reflexions- und Feedbackrunden statt. Neben der expliziten Thematisierung von Nähe und Distanz benennen Befragte häufige implizite Auseinandersetzungen mit dem Thema, beispielsweise in Beschäftigung mit herausfordernden Klient/innentypen, Psychopathologien und Persönlichkeitsakzentuierungen, also an Stellen, an denen Nähe und Distanz relevant werden, weil sie in besonderer Weise Herausforderungen an den Coaching-Prozess stellen. Eine interessante Besonderheit wird von einer befragten Person geschildert, die in ihrer interdisziplinären Studiengruppe insbesondere bei angehenden Coaches mit dem beruflichen Hintergrund der Sozialen Arbeit eine besonders intensive Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Nähe-Distanz feststellt.

5.2.3 „Nähe stellt sich meist unterbewusst ein – muss mehr reflektiert werden“ – Das Bewusstsein für Nähe und Distanz im täglichen Handeln als Coach

Deutlich wird, dass Nähe und Distanz von der Mehrheit der Personen nach eigener Aussage mit hoher Regelmäßigkeit reflektiert werden, dass diese insbesondere aber bewusst und relevant werden, wenn Besonderheiten in der Coaching-Arbeitsbeziehung auftreten. Zu den Besonderheiten zählen laut der Befragten zum Beispiel eine starke Sympathie (z. B. ein „guter Draht“) oder Antipathie, die Coaching-Themen der Klientel (auch in Hinblick auf eigene Themen des Coaches), die Persönlichkeit der Klient/innen sowie Irritationen in der Coaching-Beziehung wie Grenzüberschreitungen oder das Gefühl, im Prozess nicht weiter zu kommen. Mehrfach wird geäußert, dass ein Bewusstsein für Nähe zum Teil wichtiger erlebt wird als jenes für Distanz, da Nähe häufig intuitiv eingesetzt oder als Teil der eigenen Persönlichkeit erlebt wird, während Distanz ohnehin bewusster eingesetzt wird, um sich abzugrenzen oder beispielsweise Themen der Klientel nicht „mit nach Hause“ zu nehmen. Außerdem wird benannt, dass Nähe und Distanz im beruflichen Alltag nicht nur im Umgang mit der Klientel, sondern auch mit Kolleg/innen reflektiert werden und bereits in der Anliegen- und Themenklärung bzw. im Erstkontakt eine Überprüfung der eigenen Haltung in Bezug auf Nähe und Distanz erfolgen sollte. Weiterhin beschreibt eine befragte Person, dass aus ihrer Sicht Nähe und Distanz nicht nur für Face-to-face-Kontakte relevant sind, sondern ebenso bei telefonischen Kontakten zur Klientel.

5.2.4 „Zu viel Distanz schafft zu viel Anspruch – Zu viel Nähe schafft zu viel Zuspruch“ – Herausforderungen hinsichtlich Nähe und Distanz im Coaching

Als grundlegende Herausforderung beschreiben einige der befragten Personen die Subjektivität und Individualität in Hinblick auf Nähe und Distanz bei Klient/innen und Coaches. Diesbezügliche Unklarheiten, Erwartungshaltungen und unterschiedliche Bedürfnisse können eine Beziehungsgestaltung erschweren und damit einen erfolgreichen Coaching-Prozess beeinträchtigen. Eine befragte Person sieht als wichtige Voraussetzung an, die Beziehungsbedürfnisse der Klientel „herauszufinden“ und beschreibt im Zuge dessen die Herausforderung, dass diese sich ändern können, was die Gestaltung von Nähe und Distanz besonders erschwert. Betont wird hierbei, dass insbesondere der Prozessbeginn als herausfordernd und gleichzeitig reich an Potential erachtet wird, um einen wichtigen Grundstein für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung in Bezug auf Nähe und Distanz zu ermöglichen. Eine Rollenklarheit und Trennung von privater und professioneller Rolle wird als gleichsam wichtig und herausfordernd erlebt. Als Beispiel hierfür wird die Kontaktaufnahme der Klientel außerhalb vereinbarter Termine benannt. Weiterhin wird die eigene Haltung des Coaches im Spannungsfeld aus Neutralität und Empathie als Herausforderung erlebt, was die Herstellung einer vertrauensvollen aber nicht freundschaftlichen Arbeitsbeziehung sowie ausreichender Nähe insbesondere beim Telefon- oder Online-Coaching betrifft. Eine distanziertere Haltung könnte laut Aussagen der Befragten das Erleben von Desinteresse des Coaches oder das Gefühl einer Zurückweisung nach sich ziehen. Eine befragte Person benennt hier als mögliche Intervention zum professionellen Umgang mit Nähe und Distanz eine starke Transparenz im Prozess, um Irritationen und Negativerleben zu vermeiden. Eine andere äußert in diesem Zusammenhang, dass ein „krampfhaftes Unterdrücken“ von Nähe herausfordernd erlebt wird, da es mit dem Postulat der Kongruenz aus ihrer Sicht unvereinbar ist. Von mehreren Befragten wird das Bewusstmachen und die Reflexion als wesentlich aber herausfordernd beschrieben, insbesondere durch den fortlaufenden Reflexionsbedarf. Dieser wird nach Ansicht mehrerer Befragter gesteigert, wenn sich Parallelen zwischen Klient/innen-Themen und aktuelle Themen der Coaches ergeben oder wenn sie ein ähnliches Alter bzw. eine vergleichbare Lebenssituation aufweisen. Bezugnehmend auf das im Titel dieses Kapitels bereits dargestellte Zitat einer befragten Person ist zu ergänzen, dass diese Person Anspruch und Zuspruch als herausforderndes Spannungsfeld ansieht, in dessen Konsequenz Distanz dazu führt, dass Klient/innen z. B. stark gefordert und damit ggf. überfordert werden, während Nähe zur Konsequenz haben kann, dass Empathie und Zuhören im Vordergrund stehen und das Fordern im Rahmen des Prozesses in den Hintergrund gerät.

5.2.5 „Den Klienten nicht als Schauplatz eigener Themen nutzen“ – Nähe- und Distanzbedürfnisse der Coaches

Auf die Frage, welche Bedeutung eigene Nähe-Distanz-Bedürfnisse der Coaches im Rahmen der Beziehungsgestaltung spielen, wird eine hohe Vielfalt unterschiedlicher Wahrnehmungen und Sichtweisen deutlich. Grundlegend wird beschrieben, dass das eigene Verhalten und die Auswahl der Methoden innerhalb des Coachings in bedeutender Weise abhängig sind von eigenen Nähe-Distanz-Bedürfnissen, zum Beispiel mit Blick auf den Wunsch, sich nicht übergriffig gegenüber Klient/innen zu verhalten oder sich selbst als eher „distanzierter Typ“ mit den eigenen Bedürfnissen ins Coaching zu begeben. Ein großes Bedürfnis nach Distanz wird von einigen Befragten als Gefahr oder Risiko für die Coaching-Beziehung beschrieben, insbesondere wenn das Bedürfnis der Klient/innen nach mehr Nähe besteht: „Ich will mehr Distanz, Klienten wollen mehr Nähe“ beschreibt eine befragte Person das Dilemma. Eigene Nähe-Distanz-Bedürfnisse scheinen weiterhin insbesondere in Situationen mit hoher Emotionalität bewusst zu werden. Beispielsweise führt die Verzweiflung einer/s Klient/in beim Coach dazu, Probleme des anderen lösen zu wollen, weil die negative Emotionalität schwer auszuhalten ist. Es wird weiterhin der Wunsch beschrieben, eine „beschleunigte Entscheidungsfindung“ zu erlangen. Auch in dieser Situation ist der befragten Person das eigene Bedürfnis nach Nähe und Distanz bewusst. Zu große Nähe oder zu große Distanz seitens der Klient/innen werden als verunsichernder Faktor dargestellt, welcher durch Metakommunikation – also ein Thematisieren der Irritation – behoben oder abgemildert werden kann. Eigene Bedürfnisse, die in direktem Zusammenhang mit Nähe und Distanz geschildert werden, sind beispielsweise das Bedürfnis nach Anerkennung, Freiheit und erfolgreicher Zielerreichung. Die Gefahr, die eigenen Bedürfnisse auf Kosten der Klientel zu stillen, wird hierbei kritisch beschrieben. Eine interessante Diversität in Bezug auf Sichtweisen der Befragten entsteht mit Blick auf das Bewusstmachen oder Ausblenden eigener Bedürfnisse: Während eine befragte Person die Professionalität des Coaches darin begründet sieht, eigene Bedürfnisse fortwährend zu reflektieren, beschreibt eine andere Person das Ausblenden eigener Bedürfnisse im Sinne einer komplementären Beziehungsgestaltung als besonders wichtig. Im Zuge der Berücksichtigung eigener Nähe-Distanz-Bedürfnisse wird auf unterschiedliche Weise Selbstfürsorge thematisiert. Es werden Strategien wie Burnout-Prävention, Supervision und Mentoring benannt, die dabei helfen sollen, blinde Flecken zu erkennen und in der Folge eigene Themen im Coaching außen vor lassen zu können.

5.2.6 „Die Probleme sind in allen Therapie- und Beratungsformaten gleich“ – Nähe und Distanz im Coaching im Vergleich zu anderen Beratungsformaten

Die Befragten beschreiben mehrheitlich, dass sie im Coaching viele Gemeinsamkeiten zu anderen Beratungsformaten in Bezug auf die Haltung und den Aufbau und Erhalt der Arbeitsbeziehung sehen. Hierbei sollten nach Ansicht der Befragten Nähe und Distanz fortlaufend reflektiert und angepasst werden, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu gewährleisten. Dem Gegenüber beschreibt ein Teil der Befragten als wesentlichen Unterschied zu Beratung – insbesondere in Hinblick auf Fachexpert/innenberatung, Kurzberatung und Beratungskontexte mit eingeschränkter Freiwilligkeit oder Abhängigkeitsverhältnissen – das Entstehen einer größeren Distanz und einer weniger dringlichen Auseinandersetzung mit Nähe und Distanz vor dem Hintergrund der anders gearteten Beziehung. In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche Sichtweisen auf Coaching deutlich, da einerseits die „Anfälligkeit für zu viel Nähe im Coaching“ aufgrund der individuellen und tiefgehenden inhaltlichen Zusammenarbeit beschrieben wird, während andererseits die zeitliche Begrenzung der Zusammenarbeit, das non-direktive Vorgehen des Coaches sowie die hohe Eigenverantwortlichkeit der Klientel als Argumente angebracht werden, um das Nähe-Distanz-Verhältnis als unproblematisch anzusehen. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf Beratung und Coaching scheinen stark vom Arbeitskontext und Klientel abhängig zu sein und führen zu unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Aussagen hinsichtlich Intensität und Nähe in der Zusammenarbeit mit der Klientel sowie in Bezug auf das Einbringen eigener Impulse, Sichtweisen und Selbstoffenbarungen. Einige Befragte betonen in Abgrenzung zu Moderation und Mediation, dass grundsätzlich das Eins-zu-Eins-Verhältnis im Coaching als relevanter in Hinblick auf Nähe und Distanz angenommen werden sollte als formatübergreifend in der Arbeit mit Gruppen. In Gruppen besteht die Herausforderung stärker im einheitlichen Adressieren und Einbeziehen der Beteiligten, als in der Gestaltung von Nähe und Distanz, so die Aussagen der Befragten. Im Bereich der Moderation wird außerdem benannt, dass die Beziehung zu einzelnen Beteiligten deutlich weniger im Fokus steht als in einer Zweier-Konstellation zwischen Coach und Klient/in. Insbesondere im Bereich der Mediation wird die Orientierung an einer strikten Prozessstruktur als distanzfördernd angenommen, ebenso wird eine natürliche Distanz beschrieben, die formatbedingt und situationsabhängig unter den beteiligten Konfliktparteien vorherrscht.

5.2.7 Nähe und Distanz – „Der Raum, in dem Beziehung geschieht“

Abschließend haben die Befragten die Möglichkeit, weitere Aspekte in Bezug auf Nähe und Distanz im Coaching anzusprechen, die ihnen über die vorherigen Fragen hinaus wichtig erscheinen. In diesem Zusammenhang wird einerseits nochmals die Bedeutung der Reflexion von Nähe und Distanz betont, insbesondere als wichtiges Ausbildungsthema, Andererseits werden Authentizität und Kongruenz als zentrale Voraussetzungen für eine gute und hilfreiche Beziehungsgestaltung unterstrichen. Die Person des Coaches betreffend wird außerdem benannt, dass Coaches neben ihrer Profession einen Ausgleich brauchen, um sich nicht ausschließlich über die Coach-Rolle zu definieren und für eine gute Work-Life-Balance zu sorgen. Nähe und Distanz werden von mehreren Befragten als kontext-, personen- und themenabhängig sowie trotz klarer Haltungs- und Werteklarheit als ein dynamischer Prozess wahrgenommen, in den das aktuelle Thema, die Stimmung und Sympathien einfließen. Eine große Verantwortung wird bei den Coaches darin gesehen, sich der eigenen Einflussnahme und Macht im Prozess bewusst zu sein und dafür zu sorgen, dass bei einem ungesunden Nähe-Distanz-Verhältnis Klient/innen ggf. an Kolleg/innen vermittelt werden. Im Gegenzug dazu wird ein Wohlbefinden im Prozess als Indikator für ein angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis angenommen und betont, dass es „kein Falsch und Richtig“ in Bezug auf Nähe und Distanz gibt. Eine befragte Person äußert außerdem: „Ohne Nähe und professionelle Distanz ist Beratung, Mediation und Coaching […] doch gar nicht möglich“.

6 Schlussfolgerungen für die Praxis

Bevor aus den Ergebnissen Rückschlüsse für die Coachingpraxis gezogen werden, ist der Hinweis wichtig, dass es sich um eine qualitative Studie mit einer Stichprobe von 68 Personen handelte, so dass die Ergebnisse nicht generalisierbar sind. Eine quantitative Erhebung könnte hier einen Beitrag dazu leisten, verallgemeinerbare Aussagen treffen zu können. Hierzu wäre es interessant, das Nähe-Distanz-Erleben von Berufseinsteiger/innen im Coaching mit solchen von langjährig erfahrenen Coaches abzugleichen, um hier gegebenenfalls Veränderungen aufzeigen zu können.

Im alltäglichen professionellen Handeln als Coach zeigt sich das Nähe-Distanz-Spannungsfeld als allgegenwärtig und auf vielfältige Weise bedeutsam zur Gestaltung der Beziehung zwischen Coach und Klient/in. Aus der Befragung wird deutlich, dass eine fortwährende Reflexion von Nähe und Distanz in der Arbeitsbeziehung und im beruflichen Umfeld als elementar angesehen wird, um zu einer gelingenden Beziehung beizutragen. Insbesondere Reflexionsformate wie Supervision und Intervision ermöglichen eine intensive Auseinandersetzung mit eigenen Themen und Bedürfnissen in Hinblick auf Nähe und Distanz. Besonders der scheinbare Widerspruch zwischen kongruentem Auftreten als Coach und dem Einhalten professioneller Distanz kann in diesen professionellen Reflexionskontexten zum Thema gemacht und damit in der Folge bewusst gestaltet werden. Für das Bewusstsein hinsichtlich Beziehungsgestaltung (und speziell der Nähe-Distanz-Gestaltung) spielt mit Sicherheit eine Rolle, dass die Befragten sich entweder noch im Studium befinden oder ihr Coaching-Studium maximal vier Jahre vor Befragung beendet haben, wodurch Ausbildungsinhalte und der Bedarf regelmäßiger Reflexion als präsent im beruflichen Handeln angenommen werden können. Es kann vermutet werden, dass bei vielen Praktiker/innen mit zunehmender Berufserfahrung die fortlaufende Reflexion der Beziehungsgestaltung und damit auch die Reflexion von Nähe und Distanz etwas stärker in den Hintergrund rückt, während das Handeln stärker durch Erfahrung und berufliche Routinen geprägt wird. Weiterhin wird aus der Befragung sowie der bereits existierenden Literatur zum Thema deutlich, dass das Nähe-Distanz-Verhältnis als dynamisches, multifaktorielles Spannungsfeld anzusehen ist, welches durch Sympathie, Stimmung, aktuelle Themen und personenabhängige Faktoren beeinflusst wird. Hierdurch zeigt sich ein komplexes Geflecht, welches durch bewusste Regulation und Steuerung beeinflussbar und dadurch für die Coaching-Beziehung nutzbar wird. Von mehreren Befragten wird betont, dass im alltäglichen Handeln Nähe intuitiver eingesetzt werde als Distanz, wodurch gerade die Nähe einer stärkeren Reflexion bedürfe. Aus Sicht der Autorin ist Nähe ohne Distanz jedoch nicht denk- und reflektierbar, da es weniger um den isolierten Einsatz von Nähe oder Distanz gehen sollte als vielmehr um einen bewussten Gestaltungs- und Aushandlungsprozess des Spannungsfeldes, der ermöglicht, die Beziehungsgestaltung zu steuern und für die Entwicklung der Coaching-Beziehung situativ anpassen zu können. Dies könnte beispielsweise bedeuten, aus Sicht des Coaches bewusst ein Klient/innen-Bedürfnis nach Nähe nicht zu erfüllen, um die Person darin zu stärken, selbstbestimmt und eigenverantwortlich Entscheidungen zu entwickeln und diesen Erfolg weniger als gemeinsames Arbeitsergebnis, sondern stärker als die Folge eigener Autonomie und Selbstwirksamkeit zu erleben. Ein weiteres Beispiel könnte sein, bewusst ein eigenes Bedürfnis nach Distanz als Coach zurückzustellen, weil die Situation aus Klient/innen-Sicht ein hohes Maß an Nähe erfordert, um Sicherheit zu erlangen. Eine professionell eingesetzte Nähe bietet somit ebenso wie die professionelle Distanz eine Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeit im Coachingprozess, ohne die eine Prozessgestaltung nicht denkbar ist.

Hierbei können Nähe und Distanz durchaus eine körperlich-räumliche Dimension aufweisen, z. B. indem man als Coach einen Schritt von der Klientel zurücktritt und dadurch verdeutlicht, dass die Person nun alleine eine Entscheidung treffen soll oder indem man sich bewusst neben einen Klienten/eine Klientin stellt, während er/sie etwas erarbeitet, um Sicherheit und Unterstützung zu signalisieren. Neben dieser offensichtlicheren und beobachtbaren Dimension besteht über die inhaltlich-thematische Dimension eine weitere Möglichkeit, Nähe und Distanz im Prozess einzusetzen, beispielsweise durch Fragetechniken, die Nähe oder Distanz fördern, einen Methodeneinsatz, der eine Tiefe im Prozess steuert oder mit Hilfe von Selbstoffenbarungen o. ä. Die bewusste Nicht-Erfüllung von Klient/innen-Bedürfnissen kann folglich situativ zielführender sein als eine durchgängige Bedürfnisbefriedigung der Klientel hinsichtlich Nähe und Distanz. In diesem Abwägungsprozess offenbart sich die Professionalität des Coaches. Diese kann auch darin bestehen, Irritationen, die durch den bewussten Einsatz von Nähe und Distanz wie in den zuvor beschriebenen Beispielen entstehen können, aufzulösen oder abzumildern, indem währenddessen oder ggf. im Nachhinein das Vorgehen und die dahinterliegenden Beweggründe transparent für das Gegenüber erläutert werden.

Wie aus der Befragung deutlich wird, treten Herausforderungen hinsichtlich Nähe und Distanz insbesondere in Situationen auf, in denen eine hohe Emotionalität entsteht, Klient/innen oder Coaches selbst besondere Bedürfnisse in Bezug auf Nähe und Distanz in die Arbeitsbeziehung mitbringen oder/und es in Folge dessen zu Irritationen im Prozess kommt. Der Einsatz von Metakommunikation wurde in diesem Zusammenhang bereits benannt und kann als hilfreiches Medium zur Klärung der Arbeitsbeziehung angesehen werden. In der Praxis scheint es so zu sein, dass das Nähe-Distanz-Spannungsgefüge bei Eins-zu-Eins-Arbeitsbeziehungen im Vergleich zur Arbeit mit Gruppen eine besondere Bedeutung hat. In Abgrenzung zu anderen Beratungsformaten wird außerdem deutlich, dass viele Gemeinsamkeiten in allen prozessorientierten Beratungsformaten in Bezug auf Nähe und Distanz bestehen, während Expertenberatungskontexte und Abhängigkeitsverhältnisse sowie Beratung unter eingeschränkter Freiwilligkeit deutliche Unterschiede hinsichtlich der Nähe-Distanz-Gestaltung in Abgrenzung zum Coaching aufweisen. Vom Coach wird setting- und kontextübergreifend erwartet, einerseits Nähe- und Distanz-Bedürfnisse der Klientel zu erkennen und diese situativ und zielabhängig zu erfüllen oder bewusst nicht zu erfüllen und andererseits einen Umgang mit den eigenen Nähe-Distanz-Bedürfnissen zu finden. Hierbei wurden im Zuge der Befragung deutlich unterschiedliche Anforderungen von fortlaufender Reflexion und Bewusstmachung bis hin zu gezieltem Ausblenden als hilfreich und professionell beschrieben. Um einen professionellen Umgang mit Nähe und Distanz zu fördern, ist aus Sicht der Autorin ein Vorgehen empfehlenswert, welches das Bewusstsein für eigene Nähe-Distanz-Bedürfnisse als Voraussetzung dafür nimmt, Einflüsse auf die Coaching-Beziehung zu erkennen und Nähe und Distanz somit gezielt als Regulationsmechanismus im Prozess zu nutzen.

Die Gefahr, eigene Nähe-Distanz-Bedürfnisse auf Kosten der Klientel zu stillen – beispielsweise durch eine übergroße Nähe oder eine aus Klient/innensicht unnötige Distanzierung – wird durch einen professionellen und reflektierten Umgang mit Nähe und Distanz vermindert. Hierdurch werden Nähe und Distanz zu wichtigen Regulationsmechanismen im Coaching-Prozess und ermöglichen bei adäquater Reflexion und bewusstem Umgang eine erfolgreiche Arbeitsbeziehung zwischen Coach und Klient/in.