Als Lösungsvorschlag für die soeben aufgezeigten Problematisierungen wird das Forschungsparadigma einer diskursorientierten Prozessforschung vorgestellt. Im ersten Teil dieses Abschnittes werden zunächst grundlegende Annahmen der diskursiven OF besprochen, bevor im zweiten Abschnitt eine Übersetzung auf das Phänomen Coaching vorgenommen wird. Dies ist letztlich eine Vorbereitung für den dann folgenden Abschnitt, in dem konkrete Beispiele für die methodische Ausgestaltung empirischer Analysen gegeben werden.
Die diskursive Organisationsforschung
Die diskursorientierte OF ist ein interdisziplinärer Forschungsansatz in der unter anderem Strömungen der Foucaultschen Diskursanalyse, der Diskurspsychologie sowie aus der linguistischen Analyse von Texten zusammenfließen. Diskursive Ansätze haben sich seit den 1990er Jahren in der Organisationsforschung fest etabliert, da sie sowohl ein theoretisches als auch ein methodologisches Rahmenkonzept zur Erforschung sozialer Interaktionen und der Produktion von Wissen liefern (Phillips und Di Domenico 2009) und werden „zunehmend als das wichtigste, empirisch zugängliche, Phänomen der Sozial- und Organisationsforschung anerkannt“ (Alvesson und Kärreman 2011, S. 1137Footnote 1). Als Ausdruck des sozial konstruktionistischen Paradigmas wird die Bedeutung und organisierende Funktion der Sprache bei der Konstituierung sozialer Prozesse betont (Grant et al. 2004). Auch wird grundsätzlich angenommen, dass Wissen durch eine soziale Interaktion, in der die Akteure allgemeine Wahrheiten konstruieren und dessen Bedeutung konsolidieren oder herausfordern, erzeugt wird (Lawless et al. 2011). Damit lässt sich das allgemeine Anliegen der OF präzisieren: Die diskursorientierte OF interessiert sich dafür wie Organisationen sich durch Sprache konstituieren und, damit verbunden, wie Menschen sich und andere durch diskursive Prozesse organisieren.
Darüber hinaus kann man innerhalb der diskursorientierten OF nach Alvesson und Kärreman (2011) zwischen zwei grundsätzlichen Ansätzen unterscheiden. Text-fokussierte Studien und Paradigmen-orientierte Diskursanalysen bilden zwei Pole der Forschungslandschaft, wobei sich erstere eher als Mikroforschung und letztere eher als Makroforschung verstehen lassen. Text-fokussierte Studien, welche auch als mikro-diskursive Studien, Gesprächsanalysen oder text-basierte Analysen bezeichnet werden, richten das Augenmerk auf die Konstruktion der sozialen Welt durch sprachliche Interaktionen. Im Zentrum des Interesses steht die linguistische Analyse von Texten, also alle Formen gesprochener und geschriebener Sprache, welche als soziale Praktiken verstanden werden (Wood und Kroger 2000). Text-fokussierte Studien setzen Diskurs häufig mit lokal produzierten, sprachlichen Handlungen gleich und gehen davon aus, dass diese über den Kontext ihrer Entstehung hinaus nur wenig verallgemeinerbare Gültigkeit besitzen (Alvesson und Kärreman 2011). Studien, die ein solches Verständnis von Diskurs haben, untersuchen meist in induktiver Form die Ausprägung und Wirkung die Texte z. B. in sozialen Interaktionen, den Medien, wichtigen Dokumenten etc. hervorrufen. Demgegenüber stehen Paradigmen-orientierte Diskursanalysen, welche auch als Foucault-basierte Studien, Makro-Diskursive Studien oder Studien zu Ideologie-basierten Weltsichten bezeichnet werden (Townley 1993; Barratt 2003). Die Position betont, dass soziale Realität durch historisch geformte Ideen geschaffen und reproduziert wird. Entsprechend beschäftigt sich diese Form der Forschung weniger mit der Analyse alltäglicher Sprachaktivitäten und mehr mit der Suche nach wiederkehrenden Mustern von Ideen und deren Bezug zum sozio-historischen Kontext. Zentraler Ausgangspunkt für dieses Forschungsparadigma sind die Werke Foucaults, in denen er sich insbesondere mit der gesellschaftlich-historischen Entwicklung von Wissen, Macht und Mechanismen der Kontrolle kritisch auseinandersetzt. Es wird dabei angenommen, dass die in einer Zeit vorherrschenden Diskurse, also die wiederkehrenden Systeme von Ideen, eine relative Konstanz und Stabilität aufweisen und über eine Reihe von Situationen ihre Wirkung entfalten.
Aktivierung theoretischer Ressourcen der diskursiven Organisationsforschung zur Erforschung von Management Coaching
Die im obigen Abschnitt aufgezeigten Annahmen und die zwei Richtungen diskursorientierter OF sollen nun dabei behilflich sein die Forschung zum Thema Coaching weiter zu entwickeln. Zunächst zum Aspekt einer genauen Klärung des Forschungsfeldes „Coaching“. Überträgt man die Grundannahmen der oben referierten diskursiver Ansätze auf Coaching, so muss man Coaching als soziale Konstruktion verstehen. Damit werden normative Beschreibungen der Funktion und Sinnhaftigkeit von Coaching nicht der Ausgangspunkt der Forschung, sondern der Gegenstand derselben. Es wird angenommen, dass wir mehr über die Wirkung des Phänomens erfahren können, wenn wir die multiplen Bedeutungen für Organisationen wie für Individuen begreifen und der Frage nachgehen, wie diese Bedeutungen positioniert, angefochten oder stillschweigend übergangen werden. Aus der Perspektive einer diskursorientierten OF wird also danach gefragt, wie Coaching mit und durch Sprache abgebildet wird und Wirkung entfaltet. Entsprechend wird vorgeschlagen als Ausgangspunkt nicht Coaching zu definieren, sondern die organisationalen Rahmenbedingungen innerhalb derer diese spezifische Form sozialer Interaktionen stattfindet. In diesem Sinne wurde in dem hier referierten Forschungsprojekt (Schulz 2013) der untersuchte Forschungsgegenstand „Management Coaching“ wie folgt definiert: „Management Coaching ist ein von einer Organisation bezahltes Gespräch, das als ‚Coaching‘ bezeichnet wird. Dieses Gespräch findet zwischen einem Angestellten der Organisation und einer von der Organisation beauftragten Person, die sich als ‚Coach‘ betitelt, statt“ (Schulz 2013, S. 44). Diese Definition von Management Coaching ermöglicht dem Phänomen „Coaching“ ohne normativ geladene Vornahme zu begegnen. Anders ausgedrückt sind die normativen Definitionen von Coaching nicht Ausgangspunkt sondern Untersuchungsgegenstand dieser Forschung. Damit ist auch die Forderung nach mehr Distanz zum Forschungsobjekt zu Teilen erfüllbar. Des Weiteren macht die Definition auch deutlich, dass es sich hier um ein Phänomen handelt, das fest in der Arbeitswelt verankert ist. Implizit schließt diese Definition damit auch an bestehende Diskussionen zu Personalentwicklungs-Interventionen innerhalb des Human Ressource Management an, wodurch die Diskussionen um das Phänomen Coaching eine Öffnung hin zu bestehenden Auseinandersetzungen bekommt. Letztlich ist diese Definition auch eine Voraussetzung für eine genaue Analyse der diskursiven Prozesse, die innerhalb dieses Rahmens stattfinden.
Die diskursiven Ansätze der OF greifen auf eine lange Tradition des kritischen Denkens u. a. des marxistischen Materialismus, der Frankfurter Schule, feministischer und post-kolonialer Studien und der Queer Theorie zurück (Alvesson und Willmott 1992). Häufig zitierte Werke sind dabei die von Michel Foucault, Pierre Bourdieu, Jacques Derrida, Gilles Deleuze und Judith Butler (van Dijk 2001). Die kritische Diskursanalyse ermöglicht Einsichten in die Art und Weise wie diskursive Strukturen das Beziehungsgefüge zwischen Macht und Dominanz in einer Gesellschaft inszenieren, bestätigen, legitimieren, reproduzieren oder herausfordern (van Dijk 2001, S. 353). Darüber hinaus kann kritisches Denken zu einer emanzipatorischen Position gegenüber dominierenden Diskursen, durch deren Dekonstruktion, führen (Alvesson und Willmott 1992). Bezogen auf Coaching bedeutet dies, dass nicht nur Fragen bezüglich des Auftretens möglicher Nebenwirkungen, im Sinne des medizinischen Modells von Veränderung, gestellt werden (De Haan et al. 2010), sondern eben auch kritische Frage durch die oben genannten theoretischen Konzepte informiert sind. Das meint, dass man der Frage nachgeht, wie Coaching Gegenstand politischer Dynamiken wird und die dominierenden Machtstrukturen in einem Unternehmen verstärkt oder z. B. heterosexuelle und maskuline Normen reproduziert.
Die Beschreibung von Coaching als soziale Konstruktion, sowie die Annäherung an kritisch informierte Fragestellungen soll nun weiter ergänzt werden durch eine zusammenfassende Forschungsperspektive. Konkret wird vorgeschlagen, angelehnt an das integrative Diskursmodel von Fairclough (1992; siehe auch Nielsen und Nørreklit 2009), Coaching auf drei, miteinander zusammenhängenden, Ebenen diskursiver Prozesse zu unterscheiden. Diese sind Coaching als Gespräch, Coaching als organisationale Intervention sowie Coaching als sozio-historisches Phänomen. Durch die Betonung, dass es sich auf den drei Ebenen um diskursive Prozesse handelt, soll der fortlaufende Charakter von Coaching als Diskurs unterstrichen werden. Damit, so der Vorschlag, lässt sich auch die den im Abschn. 3.1 vorgestellten diskursiven Richtungen der OF implizite Makro-Mikro Dichotomie überwinden. Ich folge damit der Aussage von Cooren und Kollegen, dass die paradigmatischen Makro-Diskurse kontinuierlich in Form von Texten reproduziert, aufrechterhalten und von einem Punkt zum anderen übertragen werden müssen, da sie sonst in der Bedeutungslosigkeit versinken würden und keine Wirkung in der Welt hätten (Cooren et al. 2007).