FormalPara Zusammenfassung

Gemäß der Pramāṇasamuccaya, einer altindischen Logik über gültiges Schlussfolgern, gibt es zwei Arten des Erkennens: Wahrnehmen und Schlussfolgern. Auch der Mathematiker René Thom glaubte, dass der Teil unserer Wirklichkeit, der mit Schlussfolgern erklärt werden kann, limitiert ist. Den Rest unserer Wirklichkeit respektive die Essenz des Lebens können wir nur erkennen, indem wir mit ihm in Resonanz gehen. Dazu müssen wir aber bescheiden(er) werden und uns eingestehen, dass die Ratio begrenzt ist. Wenn wir das tun, dann öffnen sich unsere Wahrnehmungen und wir können, wie es der Psychologe Mattias Desmet vorschlägt, die vibrierende Musik unseres Lebens, die ganze Wirklichkeit um uns herum, fühlen. Dies ermöglicht, die schwingenden Saiten in uns wahrzunehmen. Unser Körper besteht wie ein Saiteninstrument aus einem Skelett und Muskeln, die Saiten unseres Seins; diese vermögen als zweite Art des Erkennens, mit der Wirklichkeit außerhalb unseres Körpers in Schwingung zu gehen und wahrgenommen zu werden. Diesem gefühlten Wissen möchte ich hier für neue eHealth-Dienste auf den Grund gehen.

FormalPara Summary

According to the Pramāṇasamuccaya, an ancient Indian logic on valid reasoning, there are two ways of knowing: perceiving and reasoning. Also, the mathematician René Thom believed that the part of our reality that can be explained by reasoning is limited. The rest of our reality, respectively the essence of life, we can only recognize by going into resonance with it. But for this we (may) have to become (more) humble and admit to ourselves that our ratio is limited. When we do this, our perceptions open up and we can feel, as psychologist Mattias Desmet suggests, the vibrating music of life, meaning the whole reality around us. This enables to perceive the vibrating strings within us. Our body, like a stringed instrument, consists of a skeleton and muscles, aka the strings of our being; as a second way of knowing, these strings are able to vibrate and be perceived with the reality outside our body. At this point, I would thus like to get to the bottom of this felt knowledge for new eHealth services.

Ich habe keine Sorge, als mich physisch im Gleichgewicht zu bewegen, alles andere gibt sich von selbst“ soll Johann Goethe einmal gesagt und um „der Körper muss, der Geist will“ ergänzt haben. Zitate wie dieses prägten in der Folge als Goetheanismus die Antroposophie als eine integrative Weltanschauung. Ihrer Kritik ungeachtet, streben solche Anschauungen unter anderem eine Verbindung von Datenanalysen mit einem holistischen Verständnis um eine Materie, an dieser Stelle Health-Care, an. Mit dem Ziel, Menschen als vielschichtige Wesen zu verstehen und ihren Heilungsprozessen auf mehreren Ebenen zu unterstützen, möchte die anthroposophische Medizin, in welcher man durchaus auch Analogien zur Informatik erkennen kann, in der das No in NoSQL für Not-only Structured Query Language steht, über körperliche Diagnosen hinausgehen, indem sie nicht nur Symptome behandelt, sondern den gesamten Menschen mit seiner subjektiven Wahrnehmung erkennt und ihn entsprechend therapiert.

Auf eine ähnliche Weltanschauung, die jedoch im Shintoismus und dessen Weg der Götter fußt, bezieht sich Jōichi Itō mit seinem Buch Widerstand gegen die Reduktion, die der frühere Direktor des MIT Media Labs als gesamtheitlichen Ansatz für die Gestaltung und Schaffung unserer komplexen Zukunft mit Maschinen vorschlägt. Entsprechend NoSQL-Datenbanken, denen nicht-relationale Modellierungsmodelle zugrunde liegen, um mit großen Datenmengen besser skalieren zu können, sollen zukünftige Maschinen (nicht nur im Health-Care) infolgedessen den Menschen und seine Umwelt holistisch(er) miteinbeziehen. Ganzheitlich arbeitende Ärzte betrachten körperliche Beschwerden als einen Teil der Erkrankung. Das bedeutet, dass die hier zugrundeliegende Medizin integrativer sein sollte, da sie Menschen in all ihren Dimensionen wahrnehmen will ohne dabei naturwissenschaftliche Ansätze auszuschließen. Gesundheit ist dann nicht mehr die bloße Abwesenheit von Symptomen, sondern eine Balance von Körper, Geist und Seele.

Maschinenintelligenz und das ihr immanente Lernen helfen Ärzten und ihren Patienten schon heute, datenbasiertes Wissen aus Gesundheitsdaten abzuleiten. Auf diese Weise unterstützt die Digitaltechnologie der gegenwärtigen Gesundheitsdienstleistungen auch die Vorsorge, Untersuchungen, Pflege sowie die Diagnose, um etwa eine effiziente Gesundheitsbetreuung zu ermöglichen. Beispiele für solch smarte Maschinen, die hierzu eingesetzt werden, sind etwa Smartwatches und Gesundheitsapps. Viele Menschen nutzen solche Tools, damit diese sie daran erinnern, dass sie ein paar Schritte gehen und ihre Herzfrequenzen messen sollten. Sofern diese datensparsam betrieben werden, was so viel heißt, als dass bei medizinischen Datenverarbeitungen immer nur genau so wenig Daten wie möglich erfasst und verarbeitet werden, wie für den jeweiligen Zweck unbedingt nötig sind, spricht nichts dagegen. Denn solche Impulse können etwa analog zu relationalen Datenbanken ihren Beitrag zur Erhaltung unserer Gesundheit leisten.

Die gesammelten Daten erlauben nämlich vielfach eine schnellere Diagnose. Die eHealth-Tools, die aus großen Datenmengen lernen können, die ihn smarte eHealth-Anwendungen resultieren, können menschliches Verhalten besser einschätzen. Die Knacknuss dieser Tools ist jedoch, dass sie als datenbasierte Digitaldienste, mit ihrer 0/1-Binarität und ohne ein ganzheitliches Verständnis um die Materie, vornehmlich auf reduktionistischen Füssen stehen. Sie können zudem aus Datenschutzüberlegungen, wie SQL, bloß als eine Ergänzung zu gewohnten Gesundheitsdiensten beim Arzt eingesetzt werden, diese aber nicht ersetzen. Wie die Physik mit der Quantenmechanik eine Entwicklung einer mechanistischen hin zu einer organischen Weltanschauung erlebte, so braucht es auch für solch smarte Health-Care-Anwendungen eine Erweiterung. Ihre Dienste sollten dann aber nicht nur auf messbasierten Gesundheitsdaten aufbauen, sondern auch menschliche Wahrnehmungen ganzheitlich mit einbeziehen.

Emotionen, Gefühle, Wahrnehmungen sowie die sie beschreibenden Worte sind Beispiele für wahrnehmungsbasierte Daten und Informationen. Diese können oftmals nicht direkt gemessen werden, sind aber in der Medizin etwa beim Heilungsprozess trotzdem sehr relevant. Aus dem Goetheanismus, der auf den naturwissenschaftlichen Schriften Goethe’s wie etwa seinem Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt, in dem er aus den Farbphänomenen eine eigene Optik herleitete, herrührend, strebt die anthroposophische Medizin eine Integration von Menschen mit Weisheit an. Sie schließt eine Sinneslehre mit ein, die neben den klassischen Sinnen noch weitere nennt. Mit diesen Sinnen sollten alle menschlichen Wahrnehmungen, zu denen wir fähig sind, ganzheitlich abgebildet werden. Rudolf Steiner, der Schöpfer der Anthroposophie skizzierte zwölf Sinne, die er in drei Vierergruppen Körper‑, Umgebungs- und Erkenntnissinne bündelte.

Als vier Körpersinne werden der Tastsinn, der inneres Selbsterleben an der Körpergrenze mittels Berührung vermittelt, der Gleichgewichtssinn, welcher der Feststellung unserer Körperhaltung und Raumorientierung dient, der Bewegungssinn, mit dem wir Bewegungen wahrnehmen und der Lebenssinn, der es uns ermöglicht, uns als lebende, körperliche Wesen wahrzunehmen, bezeichnet. Als die vier Umgebungssinne werden der Wärmesinn, der uns auch vor Gleichgültigkeit bewahrt, der Sehsinn, der unser Empfinden von und für Farben sowie Helligkeit ermöglicht, der Geschmackssinn, der Kompositionen aus süß, sauer, salzig und bitter vermittelt, und der Geruchssinn, der uns unsere olfaktorische Wahrnehmung gestattet, benannt. Als die vier Erkenntnissinne werden schließlich der Hörsinn, der das Hören von Geräuschen, Tönen und Klängen ermöglicht, der Wortesinn, der ein simultanes Wahrnehmen vieler Ebenen unserer Kommunikation ermöglicht, der Gedankensinn, mit dem die Gedanken anderer wahrgenommen werden können, und der Ichsinn, der sich quasi als Körperorgan zur Gesamtwahrnehmung des anderen bildet, dargestellt.

Diese Zusammenschau erklärt das Wirken der einzelnen Sinne und ihre Zuordnung zu einem Wahrnehmungsgebiet. Selbstverständlich sind in Wirklichkeit die Übergänge fließend und meist mehrere Sinne beim Zustandekommen einer Wahrnehmung beteiligt. Wir stellen deshalb fest, dass unser Leben voller subjektiver, sinnlicher Urteile ist; das heißt, voller wahrnehmungsbasierter Entscheidungen, die wir fällen, welche andere Menschen betreffen, aber auch solche, welche andere Menschen über uns fällen. Egal ob von Laien oder Experten getroffen, solche Urteile reflektieren Meinungen, die durch unsere Sichtweisen, Erfahrungen und Hintergründe beeinflusst wurden. Und so können auch alle medizinischen Dienstleistungen eines Arztes als Entscheidungen seiner subjektiven Wahrnehmung interpretiert werden, mit welchen heutige Maschinen (noch) nicht wirklich umgehen können. Als wahrnehmungsbasierte Dienste werden dabei Anwendungen des von Lotfi Zadeh aus seiner Fuzzy-Logik (weiter)entwickelten Rechnens mit Worten bezeichnet, die mit der Zusammenführung von quantitativen mit qualitativen Daten, nach dem Not-only-Muster als Basis ganzheitlicheren Gesundheitsdienste dienen könnte.

Das würde einem (digitalen) Arzt und dessen eHealth-System ermöglichen, uns Menschen, in einem, um wahrnehmungsbasierte Daten und Informationen, wie zum Beispiel Angstgefühle, erweiterten Gesundheitssystem, in unseren subjektiven Urteilen zu unterstützen. In so einem System ließen sich nicht nur messbasierte, sondern eben auch subjektive Gesundheitsdaten, oder besser gesagt, die diese Wahrnehmungen beschreibenden Worte unserer Gesundheit, von Maschinen verarbeiten. Dies würde Anbietern von Gesundheitsdienstleistern – etwa basierend auf Konversationstheorie, einer dialektischen Mensch-Maschine-Interaktion des Kybernetikers Gordon Pask’s, die eine Grundlage bietet, wie Ärzte und ihr Health-Care Dienste anhand von Konversationen und zusammen mit ihren Patienten neues Wissen konstruieren könnten – ermöglichen, mit ihren Patienten mittels natürlicher Sprache mit dem eHealth-System zu interagieren.

Um unsere Wahrnehmungen auf Basis der Konversationstheorie mittels Interaktion zu eruieren, macht eventuell der Einsatz von Focusing Sinn. Der als Focusing bezeichnete Interaktionsprozess charakterisiert sich im Hin- und Hergehen zwischen einem Wahrnehmen einer konkreten Situation, mit unseren menschlichen Sinnen, und dessen Versprachlichung aus. Der Begründer des Focusing-Prozesses, Eugen Gendlin, verdeutlicht diesen am Beispiel einer Dichterin, die um Worten ringt, um ihr Gedicht fortzusetzen: am Anfang weiß sie nämlich noch nicht so recht, welche Worte wirklich passen, sie hält inne und verwirft alle unpassenden Formulierungen, so lange, bis sie auf einmal ein Aha-Erlebnis hat.

Unsere Sprache, mit der wir die Wahrnehmungen unseres Seins ausdrücken, passt sich also mit ihrer lebendigen Art konstant der Wirklichkeit an. Sie vermag so, mittels Worte, zu dem wahrnehmungsbasierten Teil hinter unserer Ratio vorzudringen. Mit Worten verarbeiten wir Menschen, was wir (noch) nicht wirklich verstehen. Und so sollte eine wichtige Aufgabe eines künftigen Gesundheitssystems, sein, mittels einer Mensch-Maschine-Interaktion in unserem Leben die jeweils für die Situation passenden Worte unseres wahrgenommenen Gesundheitszustandes zu finden. Die Aufgabe eines Health-Care Systems ist es nämlich zu heilen, Leid zu lindern, und dazu muss es Worte verstehen.

FormalPara Fazit

Erst wenn wir Menschen es erfassen, wie die Anthroposophie und ihre Sinneslehre in unser Leben ganzheitlich integriert werden können, wie diese uns zu beleben vermöge“, so Steiner, erst dann würden wir verstehen, „dass einzig und allein durch sie der Niedergang abgewendet werden kann, dass man einzig und allein durch sie zu einem Aufstieg kommen kann.“ Auch aus diesem Grund sollten wir wohl unsere Gesundheitsdienste von mess- zu wahrnehmungsbasierten Diensten erweitern, wie mein Haiku Mensch-Maschine-Interaktion zum Abschluss aufzeigen soll:

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Getextet von Edy Portmann auf Basis der Zeichensatzerweiterung PhonogrammeF von Philipp Stamm zur Schrift Frutiger von Adrian Frutiger. Dieser erlangte durch das preisgekrönte Buch Affenschwanz von Andreas Meier Bekanntheit. Ich hoffe, Sie mit diesem phonographischen Einwurf zu einer Konversation über Health-Care angeregt zu haben.