Es ist viel geschrieben worden zur Arbeitswelt in, mit, vor und nach Corona. Ist Corona überhaupt vorbei? Darf man schon von „nach Corona“ sprechen? Und überhaupt: Nicht schon wieder ein Text, der sich mit Corona auseinandersetzt. Es muss doch auch so weitergehen.

Nein, muss es nicht. Zumindest nicht, wenn man dieses Buch gelesen hat. Bereits der Titel hebt sich ab von anderen Texten, lässt neugierig werden. Arbeiten wir künftig alle im Freien, auf der Parkbank, im Biergarten, im Zelt? Natürlich nicht, aber vielleicht doch, zumindest manchmal.

Dieses Buch ist mit Absicht kein ein wissenschaftliches Buch. Doch es kann im (gesellschafts-)wissenschaftlichen Diskurs einen wertvollen Beitrag leisten. Weil es sehr praxisnah ist. Praxisnähe wird oft reklamiert, aber hier trifft sie tatsächlich in besonderem Maße zu. Und genau das macht das Buch der Anthropologin Jitske Kramer so interessant und lesenswert.

Eigentlich kommt dieses Buch viel zu spät. Denn eigentlich beschreibt es, wie wir mit einer Ausnahmesituation umgehen können, die wir vorher so noch nie erlebt haben und von der wir hoffen, dass wir sie nie wieder erleben werden. Wie elegant wäre es gewesen, im Frühjahr 2020 auf das darin geballte Wissen zurückgreifen zu können.

Jetzt, im Frühsommer 2022 erkennt man erst richtig, wie präzise hier gedacht, wie achtsam erzählt, begründet und vorgeschlagen wird. Das ist neben der hervorragenden Arbeit der Autorin auch der exzellenten Übersetzung von Rolf Dräther zu verdanken. Das Buch strahlt große Sachkenntnis, Erfahrung, Überzeugungen, Empathie und Freude an der Arbeit aus. Das macht Mut. Und weil wir es heute besser wissen als zur Entstehung des Textes, ist es sicherlich mit gewisser Erleichterung und Freude erlaubt, zu sagen: Die Hoffnung der Autorin am Ende des Buches war nicht umsonst, es ist kein Cargo-Kult entstanden. Impfstoffe sind verfügbar, weitere neue, verbesserte Impfstoffe werden folgen.

Was leistet dieses Buch nun im Kontext der Wirtschaftsinformatik? Eine Ausnahmesituation wie die Corona-Pandemie erfordert den verstärkten Einsatz von IT. Überlegungen, wie sich technische Strukturen ändern müssen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden stehen im Vordergrund. Netzwerke müssen technisch abgesichert, Bandbreite muss bereitgestellt, Rechenkapazität muss aufgestockt, Anwendungen müssen auf Mobilgeräten installiert, Schulungen müssen konzipiert werden – und vieles mehr. Eine Mammutaufgabe, die leicht diejenigen vergessen lässt, die im Mittelpunkt des Geschehens stehen und ihm weitgehend ohnmächtig ausgeliefert scheinen – uns Menschen.

Genau hier setzt das Buch an und ergänzt damit alle technischen Aspekte um Aspekte der Arbeitskultur, der Führung, der Kommunikation, der Kreativität und Schöpferkraft. Das geschieht auf eine leichte, zuversichtliche und trotzdem klare Art, die Fragen zu adressieren und mögliche Lösungen zu thematisieren, ohne dabei reglementierend, fordernd oder mahnend zu werden. Denn den „einen“ Weg, die „eine“ Sichtweise gibt es nicht, das zeigen nicht zuletzt auch die vielen Stimmen Betroffener und eine Vielzahl von konkreten Beispielen, die aus dem Alltag eingefangen und an passenden Stellen immer wieder in den Text eingebaut wurden. Sicherlich erkennen wir uns im einen oder anderen Zitat selbst wieder. Das erleichtert uns das Erschließen des Textes und ergibt so zusammen mit einer Vielzahl von konkreten Tipps zum Ausprobieren diejenigen Leitplanken und Marken, an denen wir uns orientieren können und die das Buch zu einem hilfreichen Ratgeber werden lassen, der weit über Corona hinaus seine Gültigkeit und Berechtigung haben wird. Denn es ist zwar in der Corona-Zeit entstanden, seine Inhalte werden jedoch weit darüber hinaus hilfreich sein.

In insgesamt neun Kapiteln werden alle wichtigen Aspekte angesprochen, die eine neue Arbeitswelt auszeichnen könnten. Im ersten Kapitel wird die Entstehung und die Motivation für dieses Buch, aber auch die Zielsetzung formuliert. Darin findet sich auch der Titel wieder: „Ich denke, dass wir nach allen Erfahrungen … nicht wieder zu einer Normalität zurückkehren werden, in der wir die ganze Woche zwischen neun und fünf gemeinsam in einem Gebäude sitzen müssenFootnote 1“ – So also hat die Arbeit das Gebäude verlassen. Interessant ist das „müssen“, es wäre auf den ersten Blick vielleicht gar nicht nötig gewesen. Doch auf den zweiten Blick offenbart es, wie starr und gewohnheitsmäßig unsere Arbeit mitunter doch organisiert war. Und wie wertvoll daher die Diskussion über neue Optionen ist.

Im zweiten Kapitel werden die zu durchlebenden Phasen genauer betrachtet. Es schließt mit einem Wort zur alten Normalität, zu der wir vielleicht zurückkehren werden. Doch wollen, oder besser sollen und dürfen wir das – nicht zuletzt mit Blick auf alles, was sich außer Corona sonst noch ereignet hat oder schon länger im Raum stand und vielleicht nicht ausreichend beachtet wurde?

Das dritte Kapitel widmet sich den Themen synchron, asynchron und hybrides Arbeiten. Ein Aspekt sei hier herausgehoben: Es geht eigentlich gar nicht um Anwesenheit, sondern um Ergebnisse. Das ist doch selbstverständlich. Oder doch nicht?

Das sich anschließende Kapitel greift folgerichtig hybride Führung auf. Auch hier ist das „Was“, nicht das „Wie“ relevant. Ziele, Prioritäten und eine ergebnisorientierte Steuerung sind in „normalen“ Zeiten nicht minder wichtig wie in Home-Office-Zeiten.

Im fünften Kapitel stehen Online-Rituale und -Routinen angereichert mit zahlreichen konkreten Tipps im Vordergrund. Angesprochen werden unter anderem der Übergang zwischen Arbeit und Privatleben, Events, Onboarding und das Abschiednehmen. Aber auch die nach wie vor hohe Bedeutung von Treffen in der Realität, die teilweise erst wieder „erlernt“ werden müssen.

Im sechsten Kapitel dreht sich alles um Kommunikation und unterschiedliche Sichten. Es wird das aufrichtige Gespräch in seiner Online-Variante (Online-Lagerfreuergespräch) genauso thematisiert wie digitale Etikette, Online-Debatten und -Entscheidungsprozesse.

Das siebte Kapitel befasst sich mit Zweifel und Stille. Müssen neue, unbekannte Fragestellungen immer sofort beantwortet werden? Nicht zwingend, denn häufig fördert dies unnötiger Druck und Stress. Unruhe entsteht durch ein nicht ausgewogenes Timing zwischen Aktion und Tatkraft einerseits und Zweifel und Ruhe andererseits. Vielleicht hilft es, für mehr Weisheit an unserer eigenen Wirklichkeit mehr Zweifel zuzulassen und andere Ansichten einzuladen, wie die Autorin formuliert.

Das vorletzte Kapitel widmet sich der Führung in der Krise und während einer Transformation. Lebensweisheiten, Liminalität und tribale Archetypen stehen im Mittelpunkt. Wer diese beiden letztgenannten Begriffe zuvor nicht kannte, versteht anschließend viele Zusammenhänge, Geschehnisse und Folgen viel besser und kann so Führung verbessern oder mit dem „geführt-Sein“ besser umgehen.

Das neunte und letzte Kapitel widmet sich den Perspektiven, der Schöpferkraft, dem Experimentellen, aber auch dem Trennen von Sinn und Unsinn – und den eingangs erwähnten Cargo-Kulturen.

Ein sehr schönes, wichtiges und für uns alle lehrreiches Buch, die wir diese Themen vielleicht niemals zuvor so betrachtet haben. Nicht zuletzt ist das Buch auch deshalb so lesenswert, weil es nicht nur den Text selbst, sondern auch zur Situation passende kleine Gedichte umfasst und weil das Layout wie bei allen Büchern aus dem dpunkt.verlag sehr ansprechend gestaltet ist.