FormalPara Ross, J. W., Beath, C. M., & Mocker, M. (2019). Designed for digital: How to architect your business for sustained success. The MIT Press.

ISBN 978-0262042888, Hardcover, The MIT Press, 208 S. 29,99 €

ISBN 978-0262542760, Softcover, The MIT Press, 208 S. 16,85 €

Das Schlagwort der „digitalen Transformation“ und der damit einhergehenden Disruption von Märkten und Gesellschaft wird in Wirtschaft, Politik und Forschung seit Jahren häufig bemüht. Die Disruption hat verschiedene Facetten. In vielen Branchen „denken“ Unternehmen ihre Produkte zunehmend aus Sicht von Software und software-gestützten Dienstleistungen. Dadurch greifen sie tradierte Produktleistungsversprechen im Sinne einer schöpferischen Zerstörung an. Die Automobilindustrie ist ein Beispiel dafür, wie ein neuer Wettbewerber, Tesla, die IT-Architektur eines Autos neu aufsetzt, mit Dienstleistungen komplementiert, und traditionelle Anbieter wie VW oder Mercedes-Benz mit Milliardeninvestitionen als Late-Follower nachziehen müssenFootnote 1. Auch im Dienstleistungsbereich sind die wirtschaftlichen Erfolge von Unternehmen wie AirBnB, Amazon, Apple, Google oder Microsoft durch digitale Geschäftsmodelle beeindruckend und verändern die Märkte für Beherbergung, Handel, Medienkonsum, Werbung oder Rechenzentren bzw. Hosting fundamental.

Entsprechend existiert viel Forschung zu den damit einhergehenden Themen wie z. B. datengetriebeneFootnote 2 und digitale GeschäftsmodelleFootnote 3, Cloud ComputingFootnote 4, Digital Customer ExperienceFootnote 5 aber auch Innovation, agile Führung oder Ambidextrie. In jedem dieser Bereiche werden – wie in der Wissenschaft üblich – meist klar abgegrenzte Einzelaspekte untersucht und nachgezeichnet. Oft sind deshalb aber die Ergebnisse für bestehende Unternehmen nicht direkt in die betriebliche Praxis umsetzbar.

Auf der anderen Seite findet man in der Start-Up-Szene viele Unternehmen, die digital gestützte Geschäftsmodelle verfolgen und im großen Stil skalieren wollen. Die entsprechenden Wachstumsversprechen sichern den Start-Ups große Mengen Wagniskapital, um ein „Rapid Scaling“ zu verfolgen. Mithin verfestigt sich dadurch in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass „irgendwie alles“ disruptierbar sei und die althergebrachten Marktteilnehmer in verschiedenen Industrie- und Dienstleistungsbranchen dem Untergang geweiht wären.

Das ist eventuell ein etwas überzeichnetes Bild, führt uns aber direkt zum Leistungsversprechen des Buches „Designed for Digital“ von Ross, Beath und Mocker aus dem Jahr 2019. Die Autorinnen und der Autor adressieren in ihrem Werk die Frage, wie große Traditionsfirmen (das Buch spricht hier wertschätzend von „Big Old Companies“) erfolgreich als digitale Disruptoren auftreten können, anstatt zu ihrem Nachteil disruptiert zu werden. Die Grundidee ist, dass Traditionsfirmen sich wandeln müssen, um kontinuierliche kundenorientierte innovative digitale Angebote auf den Markt zu bringen, anstatt IT „nur“ für die Effizienzsteigerung des Unternehmensbetriebs zu nutzen. Das Buch richtet sich dabei bewusst an Führungskräfte und nimmt eine ganzheitliche Sichtweise in Bezug auf Unternehmen ein. Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert und umfasst ca. 150 Seiten.

In Kapitel 1 wird der Kontext und der grundlegende Aufbau des Buches beschrieben. Ross et al. legen dar, dass vermehrt disruptive digitale Technologien, SMACIT (Social, Mobile, Analytics, Cloud und IoT), aufkommen. Innovative neue Unternehmen („Born Digital Companies“) wiederum machen sich diese Technologien zu Nutze und wälzen damit bestehende Branchen um. Um nicht ins Hintertreffen zu gelangen, müssen Traditionsfirmen in diesen Branchen ebenfalls innovative digitale Angebote mit Mehrwert für ihre Kunden entwickeln und anbieten. Ross et al. sprechen hier von sogenannten „Digital Offerings“, d. h. mit Informationen angereicherte Lösungen, verpackt in ein nahtloses, personalisiertes Kundenerlebnis, die auf Software und Daten basieren. Durch diese Digital Offerings können sich auch Traditionsfirmen potenziell zukunftsfähig ausrichten und Wachstum und Erfolg sichern. Darauf muss die Unternehmensorganisation aber vorbereitet sein und ein sogenanntes „Digital Business Design“ besitzen. Digital Business Design wird dabei als die ganzheitliche organisatorische Konfiguration von Personal, Prozessen und Technologie verstanden, um wertversprechende Angebote bereitzustellen, die durch digitale Technologien ermöglicht werden. Digital Business Design ist aber nicht als eine einmalige Transformationsaktivität zu verstehen, sondern als eine konstante Fähigkeit eines Unternehmens, den digitalen Wandel anzunehmen und in konkrete Produkt- und Serviceangebote umzumünzen. Basierend auf zahlreichen Fallbeispielen internationaler, aber auch deutscher Unternehmen führen die Autoren fünf Bausteine einer digitalen Transformation ein: 1. „Shared Customer Insights“, d. h. ein gemeinsames Kundenverständnis, 2. ein „Operational Backbone“, d. h. eine effiziente IT-Unternehmensinfrastruktur, 3. eine „Digital Platform“, d. h. eine Plattform für neue Digital Offerings, 4. ein „Accountability Framework“, d. h. ein Verantwortungsrahmen für die digitale Transformation, und 5. eine „External Developer Platform“, d. h. eine externe Entwicklerplattform.

Die nachfolgenden Kapitel 2 bis 6 detaillieren jeden dieser Bausteine bevor in den letzten beiden Kapiteln 7 und 8 Transformationsbeispiele anhand der fünf Bausteine gezeigt werden und auf aktuelle Technologieentwicklung im Kontext von Digital Offerings eingegangen wird.

In Kapitel 2 wird der Baustein „Shared Customer Insights“ erläutert. Es wird zunächst dargelegt, dass die Digital Offerings eines Unternehmens im Schnittbereich zwischen Kundenwünschen und digital inspirierten Lösungen zu finden sind. Das Konzept klingt banal, es stellt Unternehmen aber regelmäßig vor Herausforderungen. Einerseits fehlt vielen Unternehmen die Kompetenz zu erkennen, was mit neuen digitalen Technologien möglich ist. Andererseits ist es aber auch für Kunden schwierig, ihre Bedürfnisse zu artikulieren bzw. den Nutzwert von Innovationen zu beurteilen, ohne dass diese einen konkreten Anwendungsfall vor Augen zu haben. Die Herausforderung besteht also darin, innovative Digital Offerings zu schaffen für die Kunden eine hohe Zahlungsbereitschaft mitbringen werden. Dies wird anhand eines Fallbeispiels von Schneider Electric, die einen neuen Entwicklungsprozess für Digital Offerings entwickelt haben, veranschaulicht. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass Unternehmen sich zunächst das klare strategische Ziel setzen, Mehrwerte für ihre Kunden durch digitale Technologien zu schaffen. Darauf aufbauend sollte kontinuierlich und iterativ mit neuen Ideen für Digital Offerings experimentiert werden. Die Experimente sollen dazu dienen, dass ein Unternehmen einschätzen kann, ob man eine Idee verwerfen oder in Richtung eines marktfähigen Digital Offerings weiterentwickeln sollte. Um das umzusetzen, müssen Produktentwicklung, Vertrieb und Service eng zusammenarbeiten. Auch Kunden sollten in die spätere Produktentwicklung aktiv miteinbezogen werden. Darüber hinaus muss das aus diesen Experimentier- und Produktentwicklungsaktivitäten generierte Wissen im gesamten Unternehmen geteilt werden.

Kapitel 3 beschreibt den zweiten Baustein für ein digitales Unternehmen, nämlich den Aufbau eines gut funktionierenden „Operational Backbones“, d. h. einer IT-Unternehmensinfrastruktur. Dieses Kapitel weist inhaltliche Nähe zum Buch „Enterprise Architecture as Strategy“ von Ross et al. aus dem Jahr 2006 auf, wurde aber für das vorliegende Werk überarbeitet und aktualisiert. Zunächst unterscheiden Ross et al. in diesem Kapitel zwischen Unternehmen, die „digitized“ sind, und Unternehmen, die „digital“ sind. Im Deutschen kann man das am ehesten mit „digitalisiert“ im Gegensatz zu „digital“ übersetzen. Für die Autoren ist ein digitalisiertes Unternehmen eines, das eine effiziente Unternehmens- und IT-Architektur aufweist. Das ist aus Sicht der Autoren die klassische Enterprise IT, die eine nahtlose End-to-End-Transaktionsverarbeitung unterstützt, zuverlässige und zugängliche Stammdaten bereitstellt, Einblicke in Transaktionen und andere Kernproesse bietet und repetitive Geschäftsprozesse automatisiert. „Digitalisierung“ ist also der Aufbau des Operational Backbones. Ein solcher, effizient funktionierender Operational Backbone ist eine wesentliche Voraussetzung, um als Unternehmen „digital“ zu werden. Digital bedeutet aus Sicht der Autoren, dass man aufbauend auf dem Operational Backbone einen kontinuierlichen Strom innovativer Digital Offerings unter Zuhilfenahme der anderen Bausteine generiert.

Mit Kapitel 4, „Building a Digital Platform“, beginnt der eigentliche Kern des Buches. Es wird dargelegt, wie man eine digitale Plattform im Unternehmen aufbaut, die es ermöglicht, schnell Digital Offerings für Kunden zu entwickeln. Voraussetzung zur kontinuierlichen und raschen Entwicklung dieser Digital Offerings ist das Vorhandensein wiederverwendbarer digitaler Komponenten, die auf der digitalen Plattform bereitgestellt werden. Dabei handelt es sich um Daten‑, Infrastruktur- und Technologiekomponenten, wobei aus Sicht der Autoren der Schlüssel die Datenkomponenten sind. Diese sammeln und bearbeiten effizient alle Arten von Daten, stellen diese über APIs zur Verfügung und unterstützen damit die Produktentwicklung. Das Hosting dieser Komponenten kann über Cloud-Dienste erfolgen. Eine digitale Plattform unterscheidet sich fundamental vom Operational Backbone, auf den sie aufbaut. Während ein Operational Backbone auf Prozesseffizienz fokussiert, geht es bei einer digitalen Plattform darum, mit Hilfe der Plattform schnell neue innovative Digital Offerings erstellen zu können. Die digitale Plattform stellt also eine Voraussetzung dar, um iterativ und rasch Innovationsvorhaben durchführen zu können, wie sie im Kapitel 2 dargelegt wurden. Mit der klassischen Enterprise IT, d. h. dem Operational Backbone, der sehr rigide auf Prozesseffizienz und Integrität getrimmt ist, wäre das aus Sicht der Autoren nicht möglich. Ein Fallbeispiel von Toyota Motor North America illustriert die Bedeutung einer digitalen Plattform. Der Aufbau einer digitalen Plattform erfolgt dabei bestenfalls organisch in einem Unternehmen, kann aber gegebenenfalls auch anorganisch durch Zukauf erfolgen wie am Fallbeispiel einer Versicherung aus Nordamerika, Northwestern Mutual, gezeigt wird.

Die folgenden Kapitel bauen auf dem Konzept eines Operational Backbones und einer digitalen Plattform auf.

In Kapitel 5, „Building an Accountability Framework“, wird erörtert, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befähigt werden können, bei der Entwicklung und dem Aufbau digitaler Komponenten und Digital Offerings innovativ und einfallsreich zu sein und gleichzeitig auf gemeinsame Geschäftsziele hinzuarbeiten. Im Kern geht es dabei darum, ein gutes Gleichgewicht zwischen Autonomie und Ausrichtung auf die Unternehmensziele herzustellen. Hier weist das Buch Nähen zu Aspekten des Agilen Managements auf, indem auf ähnliche Grundwerte verwiesen wird, wie z. B. Produkt‑/Serviceverantwortung (anstatt funktionalem Projektmanagement), zielvorgabenorientiertes Management (anstatt direktiven Managements), kontinuierliche Releases und Experimente (statt rigider großer Produktlaunches), Zusammenarbeit (statt Hierarchie) oder Vertrauen (statt Kontrolle). Spotify, ein inzwischen schon klassisches Beispiel für agile Führung und Organisation in großen Unternehmen, dient als Fallstudie, um diese Prinzipien zu veranschaulichen. Aber auch Traditionsfirmen können sich entsprechend wandeln, wie an Fallbeispielen von CarMax und Toyota Motor North America gezeigt wird.

In Kapitel 6, „Building an External Developer Platform“, wird der Aufbau einer externen Entwicklerplattform behandelt, um die digitale Plattform zu erweitern und sie für Dritte verfügbar zu machen. Die externe Entwicklerplattform kann dabei unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Plattform kann Partnern die Möglichkeit geben, die intern entwickelten Komponenten des Unternehmens in den Angeboten des Partners zu verwenden. Die Plattform kann aber auch als Branchenplattform fungieren, indem ein Markt für verwandte Digital Offerings geschaffen wird. Dies ist die Königsdisziplin eines digitalen Geschäftsmodells, aber es ist auch am schwierigsten hiermit erfolgreich zu sein. Mehrere Fallstudien von DBS Bank, Uber, Royal Philips und Schneider Electric verdeutlichen die Vorteile des Aufbaus einer externen Entwicklerplattform, legen aber auch die Herausforderungen dar.

An diesem Punkt haben die Autorinnen und der Autor die aus ihrer Sicht fünf grundlegenden Bausteine für ein digitales Unternehmen beschrieben. Das darauffolgende Kapitel 7, „Developing a Roadmap for Your Digital Transformation“, befasst sich mit der Frage, wie sich ein Unternehmen in ein digitales Unternehmen wandeln kann. Die Studien der Autoren zeigen, dass es dafür keinen einheitlichen Fahrplan gibt, der für alle Unternehmen gleichermaßen geeignet ist. Stattdessen wird eine Reihe von Fallstudien vorgestellt, die verschiedene Arten von Unternehmen an unterschiedlichen Punkten ihrer digitalen Transformation zeigen. Jeder der fünf Bausteine wird für jede Fallstudie (PI Chile, DBS, Schneider Electric, Royal Philips) erörtert, wobei gezeigt wird, wann und wie sie als Teil der Gesamtstrategie entwickelt wurden und welche Auswirkungen dies auf das Endergebnis hatte.

Das letzte Kapitel, „Designing Your Company for Digital“, fasst die allgemeine Botschaft des Buches zusammen: Um in der digitalen Wirtschaft erfolgreich zu sein, muss man Inspirationen auf Basis digitaler Kompetenzen entwickeln. Es geht also darum, im eigenen Unternehmen die Kompetenz aufzubauen wie man (a) neue Infrastruktur‑, Daten- und Geschäftskomponenten aufbaut, (b) testet und lernt, was die Kunden schätzen, und (c) die einzelnen Mitarbeiter befähigt, diese Kompetenzen zu nutzen und gleichzeitig ihre individuellen Bemühungen aufeinander abzustimmen.

Im Appendix 1 wird der Aspekt der operativen Effizienz eines Operational Backbones illustriert. Im Sinne einer Selbsteinschätzung bietet Appendix 2 darüber hinaus ein Bewertungsinstrument, mit dem Unternehmen ihre Fortschritte auf dem Weg zur digitalen Transformation entlang der im Buch dargelegten fünf Bausteine messen können.

„Designed for Digital“ ist ein sehr leicht zugängliches Buch und damit für Praktiker aber auch Studierende, z. B. auf Master- oder MBA-Niveau, sehr geeignet. Es liest sich leicht und verständlich. Alle Konzepte sind mit vielen Beispielen veranschaulicht und damit ist das Buch in jeder Hinsicht sehr handlungsorientiert und damit praktisch nutzbar. Positiv hervorzuheben ist der stringente und klare Aufbau um die fünf Bausteine einer digitalen Transformation herum. Die Bausteine werden leicht verständlich eingeführt und die folgenden Kapitel vertiefen jeweils einen der Bausteine. Abschließend werden Implementierungsszenarien, d. h. Bausteinkombinationsausprägungen, aufgezeigt und auf die notwendigen Kompetenzen einer Organisation eingegangen, um diese Transformation durchführen zu können.

Hervorzuheben ist, dass das Buch nie abstrakt bleibt, sondern die Erkenntnisse tief in empirischer Fallstudienarbeit verankert sind. Entsprechend werden alle konzeptionellen Aussagen und Ideen reichhaltig mit Fallbeispielen von Traditionsfirmen aus aller Welt untermauert. Die Autorinnen und der Autor gehen dabei in ausreichender Tiefe ins Detail, ohne aber die Leserin oder den Leser zu verlieren oder zu verwirren. Ganz im Gegenteil: man schätzt die Veranschaulichungen und die detaillierten Einblicke, wie Unternehmen verschiedenster Branchen und Kulturen die Herausforderung der digitalen Transformation adressieren. Vor diesem Hintergrund kann man das Buch als „Anleitung“ für den Weg zum digitalen Unternehmen für Führungskräfte verstehen und es hat in dieser Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal, weil es einen umfassenden und ganzheitlichen, aber zugleich sehr handlungsorientieren Blick auf die digitale Transformation traditioneller Unternehmen wirft. Ob man es vor diesem Hintergrund als „Pflichtlektüre“ für IT-Führungskräfte bezeichnen wollte, sei dahingestellt, aber ich würde Praktikern, die Orientierung für eine strategische Steuerung der digitalen Transformation benötigen, die Lektüre des Werkes empfehlen. Eine deutsche Übersetzung ist bisher leider nicht verfügbar, aber das Buch ist dank seines guten Schreibstils, auch für Nicht-Muttersprachler leicht zugänglich.