FormalPara Marja Toivonen und Eveliina Saari (Hrsg.)

Human-Centered Digitalization and Services

ISBN 978-981-13-7724‑2, Springer Singapore, 2019, 339 S., 106,99 €, https://www.springer.com/de/book/9789811377242

Branchen, mit denen personennahe Dienstleistungen (PDL) üblicherweise sofort in Verbindung gebracht werden, sind das Gesundheitswesen und der öffentliche Sektor. Gerade hier lassen sich Paradebeispiele für (digitalisierte) Dienstleistungen finden, die nah am Menschen und mit dem Menschen – den Patienten und den Bürgern – erfolgen. Der vorliegende, im Jahr 2019 veröffentlichte Herausgeberband „Human Centered Digitalization and Services“ von Marja Toivonen und Eveliina Saari behandelt in 16 Kapiteln sowohl theoretische als auch praktische Aspekte von Human Centered Services, die im Verständnis dieses HMD-Themenheftes personennahe Dienstleistungen darstellen. Anhand mehrerer Fallbeispiele aus dem Gesundheitswesen und der Sozialarbeit in Finnland, Japan und Norwegen werden die Entwicklung und Einführung von Dienstleistungsinnovationen beschrieben und analysiert, deren theoretische und praktische Grundlagen erläutert und Herausforderungen, Probleme und Erfolge kritisch diskutiert.

Die aufgezeigten Fallbeispiele dienen in zweierlei Hinsicht als Vorbilder für Dienstleistungsinnovationen in anderen Sektoren und in anderen Ländern. Erstens haben Finnland, Japan und Norwegen schon früh mit der Digitalisierung personennaher Dienstleistungen angefangen und können somit auf umfangreiche Erfahrungen zurückgreifen. Zweitens zeigen der öffentliche (z. B. Schulen, Kindergarten) und der Gesundheitssektor gleichermaßen kritische Elemente auf, die bei personennahen Dienstleistungen auch in anderen Sektoren eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehört zunächst die direkte und intensive Arbeit mit dem Nutzer der Dienstleistung – den Patienten, den Eltern oder den Kindern. Diese führen zu ähnlich komplexen Strukturen im Business-Ökosystem. Mit seinen Regelungen und Gesetzen, der umfassenden Möglichkeit der Ko-Kreation mit den Endnutzern in der Dienstleistungsentwicklung, der Integration des Kunden in der eigentlichen Dienstleistungserstellung und natürlich den zahlreichen Möglichkeiten der Digitalisierung, mit seinen Fragen zur Ethik, Vertrauen und Sicherheit. All diese Aspekte werden in dem Sammelband in den einzelnen Kapiteln an Projekten, die zwischen 2015 und 2018 durchgeführt worden sind, behandelt. Die transparente und beispielhafte Darstellung ermöglicht es dem Leser, die diskutierten Lösungen und Probleme einfach auf andere Sektoren und Fragestellungen zu übertragen.

Der Sammelband ist in vier Teile gegliedert. Jeder Teil besteht wiederum aus vier Beiträgen, die von unterschiedlichen Autoren geschrieben wurden. Teil 1 stellt einen Überblick zum Potential der Digitalisierung von PDL dar. Besonders wertvoll für den Leser ist, dass die Beiträge praktische Problemstellungen und Aspekte anhand der Service Logik (Grönroos und Voima 2013, Vargo und Lusch 2004) und deren Prinzipien spiegeln. Kap. 1 beschreibt aus der persönlichen Perspektive des Autors sehr unterhaltsam die Entwicklung von traditionellen, individuellen Dienstleistungen (Service Economy 1.0) bis zur heutigen Service Economy 4.0, in der Big Data und Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle spielen. Kap. 2 beschäftigt sich mit einem praxis-basierten Ansatz zur Entwicklung und Einführung von PDL im öffentlichen Sektor und hebt dabei auf die Dynamik und die Rekursivität bei der Entwicklung und Einführung von Dienstleistungsinnovationen ab, insbesondere unter den Bedingungen der Ko-Produktion, Ko-Kreation und Ko-Integration der beteiligten Akteure. Die Autoren des Kap. 3 argumentieren, dass eine alleinige Betrachtung von Technologien für eine erfolgreiche Entwicklung von digitalen PDL nicht ausreichend ist. Technologische und menschliche Aspekte müssen gleichermaßen berücksichtigt werden. Die Autoren weisen zurecht darauf hin, dass PDL immer in Ökosysteme eingebunden sind, die aus Produkten, Menschen und Institutionen und ihren Beziehungen zueinander bestehen. Deswegen ist für sie das umfängliche Denken in komplexen Ökosystemen, über den Systems Thinking Ansatz (ähnlich dem Design Thinking), von besonderer Bedeutung. Im Kap. 4 wird eine Evaluationsmethode für Dienstleistungsinnovationen vorgestellt, die neben der Technik vor allem Sozial- und Nachhaltigkeitsaspekte aus der Endnutzersicht berücksichtigt.

Teil 2 des Sammelbands beschäftigt sich mit Ansätzen und Fallbeispielen von PDL-Innovationen. Hierbei wird analysiert, wie Menschen mit Innovationen umgehen (Kap. 5), wie ein unterschiedliches Zusammenspiel von Akteuren in Business-Ökosystemen auf Lösungen wirkt (Kap. 6), wie Ko-Kreationsansätze von Nutzern wahrgenommen werden (Kap. 7) und wie und was Menschen aus dem technischen Versagen bei Dienstleistungen lernen können (Kap. 8). Zur Lektüre empfehle ich insbesondere die Kap. 6 und 7. Im Kap. 6 wird anhand verschiedener Projekte zur Integration von Flüchtlingen in Norwegen beschrieben, wie ähnlich gestaltete (Business)-Ökosysteme in verschiedenen Kommunen, die alle ein gleiches Hauptziel (erfolgreiche Integration) und nur leicht unterschiedliche Subziele verfolgen, zu unterschiedlichen Lösungen (und Konsequenzen) führen. Dies zeigt auf, dass, um ein optimales Ergebnis zu erreichen, alle Akteure in einem Ökosystem über deren jeweilige Zielparameter informiert sein sollten, bevor gemeinsam eine PDL entwickelt wird. Ebenso ist die Lektüre des Kap. 7 zu empfehlen. Vor dem praktischen Hintergrund einer Ko-Kreationslösung in der Patienten- und Krankenpflege wird die Bedeutung des organisationalen „Mindsets“ und der entsprechenden professionellen Einstellung von verschiedenen Akteuren (Ärzte, Krankenschwestern, Verwaltung) dargestellt.

Teil 3 des Sammelbandes analysiert neue Möglichkeiten für PDL, die durch digitale Lösungen geschaffen werden können. Projekte werden dargestellt, die sich mit dem Einsatz von Robotern im Gesundheitswesen (Kap. 9 und 10), einer digitalen Plattform für kommunale Familien- und Kinderdienstleistungen (Kap. 11) sowie einem digitalen Informationssystem für Krankenpfleger(innen) (Kap. 12) auseinandersetzen. Durch einen internationalen Vergleich zwischen Finnland und Japan wird im Kap. 9 insbesondere auf institutionelle Aspekte wie Kultur, Regulierung, Gesetze, Normen, Arbeitswerte und -verfahren eingegangen. Jeder Leser, der an einer internationalen Lösung im Bereich PDL interessiert ist, sollte dieses Kapitel lesen. Kap. 10 zeigt am Beispiel des Einsatzes von Robotern in der Krankenpflege die Notwendigkeit auf, bei der Entwicklung von PDL immer an die Endnutzer zu denken und diese in die Lösung zu integrieren. Kap. 11 zeigt Probleme bei agilen Entwicklungs- und Implementierungsprozessen von PDL auf. Wie schon Kap. 3 zeigt auch Kap. 12, dass nicht nur die Technik bei der Entwicklung von digitalen PDL eine wichtige Rolle spielt, sondern zum Beispiel auch menschliche und soziale Aspekte wie der emotionale Kontext des Nutzers.

Teil 4 des Sammelbandes beschäftigt sich mit ethisch-philosophischen Aspekten von digitalisierten PDL. Es werden Fragen der menschlichen Würde, sozialen Nachhaltigkeit und Datenhoheit im Kontext digitalisierter PDL (Kap. 13 und 14) und Fragen zu Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitsprozesse auf Arbeitnehmer (Kap. 15) sowie Kontrollmöglichkeit und Sicherheit von KI-Lösungen aufgeworfen (Kap. 16).

Mit Blick auf die Beiträge im vorliegende HMD-Themenheft ist der vorgestellte Sammelband eine sehr wertvolle Ergänzung, um eine breite Basis von Fallbeispielen zu digitalisierten Dienstleistungen zu erhalten und die Grundpfeiler der Dienstleistungserstellung und -erbringung mit den Prinzipien der Service Logik zu verstehen.